1 DING Ein Magazin der Fakultät für Design der Hochschule für angewandte Wissenschaften München
DING
1. was dinge mit uns machen what things do to us
2013 Ding Magazin Ausgabe N°1
SUPPORTED BY
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Fremde Formen S.13 Foreign Forms P.13
LieblingsDing Mein Rucksack und Ich S.08 My Rucksack and I P.08
Bullenkarre S.43 Cop wheels P.43
Kartoffelputzgerät S.60 The peeler P.60
Rauchwolke S.11 A Cloud of Smoke P.11 Play Hart! S.14 Play Hart! P.14
Homestory Klaus Voormann S.20 Klaus Voormann P.20
5 Sammler S.30 5 Collectors P.30
Homestory Die Legende lebt S.46 The Legend lives on P.46
ErinnerungsDing 500 ml verbeulte Erinnerung S.40 500 ml of dented memories P.40
ZwischenDing Sofaritzenenergie S.52 Sofa Cushion gap energy P.52
Homestory Wohnen aus zweiter Hand S.56 Secondhand life P.56
Ein Tag S.55 One Day P.55
EgoDing Spinner S.66 Oddballs P.66 Homestory Das Haus S.78 The house P.78
It's only rock and roll and it's plastic, plastic yes it is! S.92 It's only rock and roll and it's plastic, plastic yes it is! P.92
Ein Urinal im Wohnzimmer? S.70 A urinal in the living room? P.70
Kein AuĂ&#x;en ohne Innen S.73 No case without content P.73
UnDing Schreiben, Reiben, Leiden S.84 Write, Rub, Suffer P. 84
Homestory Der Nachbar S.88 My Neighbour P.88
Steine S.95 Stones P.95
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LIEBEN DINGE
ERZÄHLEN DINGE
NUTZEN DINGE
INSZENIEREN DINGE
HASSEN
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Haptik Touch Ich besitze ein Messer, das ich sehr gerne mag. Es ist zwar designmäßig ein bisschen daneben, schneidet aber wunderbar und liegt sehr gut in der Hand. Der Griff ist perforiert. Alle Dinge, zu denen ich eine Beziehung habe, haben immer etwas Haptisches an sich. #
Ingo Maurer Der Magier des Lichts, tiefsinniger Visionär und einziger Besitzer 5 Paar knallroter Schuhe von Clarks teilt seine Sicht der DINGE mit uns. Wir bedanken uns herzlich für die Horizonterweiterung. The Magician of Light, profound Visionary and the only owner of bright red Clarks shoes shares his view of THINGS with us. We want to thank him for broadening our horizon.
I have a knife that I love. Even though its design is a bit silly, it cuts perfectly and feels good to hold. The handle is perforated. Every object that is important to me has something special about the way it feels. #
7 DINGE
LIEBEN
Mein Rucksack und ich Rauchwolke Fremde Formen Play Hart! Klaus Voormann 5 Sammler My rucksack and I A cloud of smoke Foreign Forms Play Hart! Klaus Voormann 5 Collectors
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Agnes Bachmaier [Text]
Fjä | llrä | ven, HERKUNFT schwedisch < [Polarfuchs], ist eine schwedische Firma, die
Fjä | llrä | ven, ORIGIN swedish < [arctic fox], is a Swedish company, specialising
auf Outdoorausrüstung spezialisiert ist. Alles begann mit der Erfindung eines Rucksacks mit rückenschonendem Rahmen. Daraufhin wurde F. 1960 von Åke Nordin gegründet. #
in outdoor equipment.The original product was an external frame rucksack which led to the foundation of F. in 1960 by Åke Nordin. #
»Du hast sicher bemerkt, dass Fjällräven-Ausrüstung nicht den letzten Trends folgt, sondern Qualität für eine sehr lange Zeit bietet.« ¶ Das ist ein schönes Zitat, entnommen aus der rustikalen Website jenes schwedischen Herstellers von Outdoorprodukten. Eine süße Feststellung, man wird gedutzt, wie bei Ikea und der vor Authentizität nur so strotzende Ausdruck »letzter Trend« erwärmt einem auch gleich das Herz. Tja. ¶ Allerdings, wenn mein Fjällräven und ich unterwegs sind, werde ich sehr oft auf jenen anscheinend doch allerletzten Trend, mitunter offensichtlich despektierlich hingewiesen. Für diese Kritiker ist Fjällräven eher das Epizentrum der Konvergenzzone aus Schweden- und Hipsterklischees, quasi Kinder von Bullerbü, die in Mitte hängen. Man bewegt sich aber heutzutage auch auf einem Mienenfeld. Es macht der Menschheit anscheinend die größte Freude, wenn sie nach langer Zeit auch einmal erkannt hat, welche Objekte zum Klischeekanon gehören, um dann munter naserümpfend auf mich und den armen kleinen, quadratischen Schulranzen loszugehen. ¶
Anstatt sich mit mir über sein heiteres Senfgelb und den großen Tragecomfort zu freuen und mir zur Absenz von Jutebeuteln zu gratulieren, werde ich nonstop in Schubladen gesteckt. Liebe Leute, ich weiß das! Ich trage ihn voller Freude und in klarem Bewusstsein seiner allerletzten Trendigkeit, denn ich liebe diesen Rucksack. Er ist der romantische Traum von Schlittenhunden unter Aurora Borealis und ich fühle mich damit wie ein schwedisches Schulmädchen, das im Wechselschritt die Straßen entlang hüpft und alle mit hejhej begrüßt. Meine Freude beginnt schon morgens, wenn ich beim Einräumen den Reißverschluss aufziehe. Dann sehe ich erstmal das eingenähte, weiße Adressschildchen, auf dem man nach Doppelpunkten auf einer gepunkteten Linie seine Kontaktdaten im Falle eines Verlusts auf dem Schulhof angeben kann. ¶ Der Firmengründer, jener damals 14-jährige Åke Nordin aus Örnsköldsvik hat einfach mitgedacht. Manchmal packe ich mir sogar eine Tupperdose mit Vollkornkäsebrot und Apfelschnitzchen ein, die dann gegenseitig ihren Geschmack annehmen. Keine Birnen, denn Birnen sind gegen das Konzept. Åkes anfängliches Hauptanliegen war nämlich die Verbannung der birnenförmigen Rucksä-
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MY
RUCK MEIN SACK RUCK SACK UND AND ICH I LIEBLINGS
DING
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LIEBEN
Lukas Schramm [Fotos]
Emma, Wolfgang, Karl-, Emma, Heinz, Sarah, Sarah, Karl-Heinz, Wolfgang
PLAY HART!
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Lukas Schramm [Text] [Fotos]
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KLAUS VOOR MANN
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LIEBEN
KLAUS VOOR MANN ailurophile, flyhater, designer, musician, Grammy- winner, fifth Beatle, friend of tennis Katzenliebhaber, Fliegenhasser, Grafiker, Musiker, Grammy- Gewinner, f端nfter Beatle, Tennisfreund
HOME
STORY
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LIEBEN
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Bild 01 Yellow Submarine Revolver Album: Song N째6 Lennon/McCartney
Bild 02 And Your Bird Can Sing Revolver Album: Song N째9 Lennon/McCartney
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Dollcollector, Pearl- Puppen collector, sammlerin, Perlen sammlerin, Kensamm Kencollector, Bagcollector, lerin, MetallMetalcol- sammler, T端tenlector sammlerin
Max Eicke
[Text]
Lisa Nelhiebel [Text]
5 SAM COLL
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MMLER LECTORS
LIEBEN
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Anneliese Figue Sie arbeitete lange Jahre bei den Münchner Kammerspielen als Tänzerin, Sängerin und Souffleuse; heute lebt sie in Aying bei München und gibt noch Gesangs- und Klavierunterricht. ¶ „Als Einzelkind habe ich schon früh viel Zeit mit meinen Puppen verbracht, da meine Eltern arbeiteten. Mit meiner Lieblingspuppe, dem Maxe, durfte ich allerdings immer nur an Heiligabend spielen, was sehr hart war. ¶ Die Sammelleidenschaft ist durch ein trauriges Ereignis entflammt: Zutiefst bewegt über den 11. September bestellte ich noch am selben Abend meine erste Puppe bei einer Verkaufssendung im Fernsehen um mich zu trösten. Inzwischen sind es 145 Puppen, die alle Namen haben und mit mir in meinem Haus wohnen. Leider waren mir nie Kinder vergönnt, vielleicht fühle ich mich auch deswegen so zu meinen Puppen mit ihren ausdrucksstarken Gesichtern hingezogen.“ #
Anneliese Figue worked at the Münchner Kammerspiele for many years as a dancer, singer and prompter. Today, she lives in Aying near Munich and still gives singing and piano lessons. ¶ “From an early age, and because I was an only child, I was used to playing with dolls when my parents were at work. But I was only allowed to play with my favourite doll, Maxe, on Christmas Eve, which was very hard for me. My passion for collecting them as an adult was triggered by a tragic incident. ¶ Deeply disturbed by the events that took place on 9/11, I ended up ordering my first doll through a TV sales channel to comfort myself. In the meantime, I have 145 dolls, who all have names and who live with me in my house. Unfortunately, I was never blessed with children and perhaps that is why I feel so attracted to my dolls and their expressive faces.” #
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Ingeborg Kern (72) Sie ist gelernte Sozialpädagogin und lebt in München. ¶ „Die Leidenschaft für meine Glasperlen bedeutet mir sehr viel, da sie meinem Leben einen Sinn gibt, um den mich viele beneiden. ¶ Ich sammle die Perlen nicht nur, ich verarbeite sie auch weiter. Besonders gerne mache ich Ketten, aber auch Ohrringe und Armbänder, die inzwischen eine stetig wachsende Fangemeinde erfreuen. Ständig bin ich auf der Suche nach seltenen Glasperlen, aber ab und zu wickle ich auch selbst welche. ¶ Komischerweise trage ich persönlich kaum Ketten, obwohl alles mit einer Kette aus der Art-Déco Zeit angefangen hat, die ich zerrissen auf der Straße liegend fand.“ # She is a trained social education worker and lives in Munich. ¶
“My passion for glass beads is very important to me because they give my life meaning in a way that many envy. I don’t just collect glass beads, I also work with them. I am particularly fond of making necklaces, but I also like creating earrings and bracelets that my growing fan club admires. ¶ I’m always on the lookout for rare glass beads but now and again I spin them myself. Strangely, I hardly ever wear necklaces myself although everything started with a broken art deco necklace that I found on the street.” #
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Das Schlafzimmer ist dunkel. S. schläft auf einem Futon, direkt unter zwei großen Fenstern. Der Kleiderschrank aus unlackiertem Fichtenholz steht offen und ist uneitel klein. Die vorherrschende Farbe der Insassen ist Schwarz. An der Schranktür hängt ein ebenso schwarzes, dekonstruiert viktorianisches Issey Miyake Jackett auf dem Bügel. Die offensichtlich öfter getragene Lederjacke ist über den Hocker geworfen. S. war schon hier, als im Hipsterparadies noch Brokatstoffe für den heimischen Buckinghampalast verkauft wurden. Wenn es etwas wie Juwelen aus nichtgentrifizierter Zeit gibt, dieser Ort ist einer davon. ¶
EGENDE
S
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ich je Mitglied sein werde. Oft sind es aber ja dann die alltäglichen, unglamourösen Dinge, die einem am meisten fehlen, beispielsweise meine Lieblingsteekanne von Rosenthal, das UFO. Meine Maskensammlung würde ich auch sehr vermissen. Manchmal, wenn ich etwas mehr über meinen Besuch wissen will, lasse ich die Leute eine Maske auswählen. Die, die ihnen am besten gefällt, sagt mir oft sehr viel über den Betreffenden. ¶
Ich bevorzuge zwar leichtes Gepäck, aber ganz bestimmt würde ich mich früher oder später wahnsinnig ärgern, meine Reise ohne den Hitchhiker's Guide to the Galaxy angeWir hängen an Dingen. An den Geschichten, die treten zu haben. # Dinge erzählen. Also, S. Wenn Du irgendwo nochmal neu anfangen müsstet und nur sieben SaIn a few hours from now, the sounds from the chen mitnehmen dürftest, was würdest Du mitParadiso Klangbar, where Freddy Mercury and Danehmen? Und was würdest Du vermissen? vid Bowie once raised their glasses, will rise up Eigentlich müsste ich alle meine Platten mitfrom below. Then S. might be sitting with her legs tucked up on a creaking kitchen chair, drinking nehmen, aber wenn ich nur eine einzige auswäha glass of wine, and her cigarette smoke might be len dürfte, dann »Sticky Fingers« von den wafting out through the old kitchen window, aRolling Stones. Natürlich wäre auch die Gitarcross the balcony, through the courtyard and into re und meine Lieblingsmaske aus the night. This kitchen is made for the night but it Westafrika, die ich eigentlich in New York gekauft can take a nice, misty sunrise the next day too. habe, mit im Gepäck. ¶ Its silent flatmates are a couple of blokes in black and white, Keith Richards in a »Who the fuck is An meiner Kleidung hänge ich im allgemeinen Mick Jagger?« T-shirt, a sweaty Iggy Pop and nicht so sehr, aber ein Stück müsste ich unbedingt dabei haben: das Issey Miyake Jackett. Das Earl Slick next to his Framus guitar. There’s a scent of jasmine tea. White tiles reflect the light habe ich aus einem Second Hand Laden in Paris of the wrought-iron ceiling lamp. ¶ und ja, trotzdem ist es das teuerste Stück, das ich besitze. Sehr wichtig ist mir auch dieses Buch. The passage from the white kitchen to the orange Das ist eigentlich für Kinder, es heißt »Die living room is uncluttered but the colour contrast Mumins«, das sind kleine Trolle. Die Seiten sind jars. Once you pass the old, wooden kitchen dressschon ganz vergilbt, aber es gibt einfach immer er with its teapots, and the oven on the right, wieder Momente, da muss ich dieses Buch lesen. you enter a kind of den. The light is a blood orMeine Kamera gehört sowieso zur Grundausange colour. Next to the sofa, a laptop and reading stattung. Bilder sind wichtig. Überall aufhängen glasses wait on a bar stool. The fluffy, strangely müsste ich das Iggy Pop live Bild, das ich selbst appealing ‘70s carpet makes you want to sit on it. geschossen habe. Wie seine nassen Haare da so It’d be nice to lie here and listen to »Moonlight an seinem Oberkörper kleben, das ist einfach Mile« by the Stones and to lean on the grey-beige Wahnsinn. Bilder sind doch auch sehr handlich, sofa with its terrycloth cover. On the wall above da nehme ich noch eines mit, dieses Keith you, there is a 35-year-old ficus tree, wizened Richards Bild. Da hat er nur für mich posiert, in Oberhausen beim Soundcheck und Du musst and craggy. You feel like you’re in good compawissen, dieser Mann ist die einzige Kirche, in der ny. Countless eyes stare at you from the wall op-
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ERZÄHLEN
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posite – animalist, extra-terrestrial, cubistic, abstract and foreign. Like mysterious witnesses of ancient ceremonies, these masks fill the entire wall. One doesn’t fit so it has its own space above the dresser, the West African Grebo sorcerer’s mask in dark wood with three stylised, mechanical pairs of eyes and a moveable jaw. ¶ To the left and right loom two loudspeakers that look capable of booming bass tones. There’s an aura of music in this room even though it is silent for now. A dark Western guitar with decorative inlays waits for the next Johnny Cash session. The simple, open wooden shelves store an impressive vinyl collection alongside books by Douglas Adams, Astrid Lindgren and Issey Miyake. ¶
lot, but from time to time, I still have to read this
book. ¶
My camera has to come along because I never go anywhere without it. Photos are important. I’d have to put up the live Iggy Pop picture everywhere I went, the one I shot myself. The way his wet hair clings to his body is just wild. Pictures are light, so I’ll take another one – the Keith Richards picture. He posed just for me during a soundcheck in Oberhausen, and let it be known that this man is the only religion I’ll ever follow. ¶
It’d be the everyday, unglamorous things that I’d miss most, like my favourite Rosenthal teapot, shaped like a UFO. I’d miss my mask collection very much. Sometimes, if I want to The bedroom is dark. S. is asleep on a futon, diknow something about my visitors, I let rectly beneath two large windows. The unvarthem choose the mask they like best – nished wooden wardrobe is ajar and modest in it often tells me a lot about them. I presize. Most of its contents are black. A deconfer to travel light, but sooner or later, it structed Victorian Issey Miyake jacket, also would make me really mad if I went on a journey without my copy of »The black, hangs on the door. A leather jacket, clearHitchhiker’s Guide to the Galaxy.« # ly worn more often, is flung over a stool. S. already lived here back when you could still buy real brocade from hipster paradise for your own private Buckingham Palace. If such a thing exists as jewels from a non-gentrified era, then this place is one of them. We get attached to things. To the stories they tell. So, S., if you had to start over and were only allowed to take seven things with you, what would you take? And what would you miss? ¶ I’d have to take all my records, but if I were only allowed to take one, then it’d have to be »Sticky Fingers« by the Rolling Stones. And, of course, my favourite West African mask (that I actually bought in New York) and my guitar would also find their way into my luggage. I’m not attached to clothing in general but one thing would have to come with me – the Issey Miyake jacket, which I bought from a second hand shop in Paris, but which is still probably the most expensive item I own. There’s also a book that’s very important to me, a children’s book, »The Moomins«. The pages have yellowed quite a
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[EN]
Ihr nutzt die Dinge außerhalb ihrer Funktion?
Ja, bei so viel »Gerümpel« wird man erfinderisch. Wir haben uns aus alten Obstkisten Regale gebaut, Paletten zum Bettgestell umfunktioniert und aus zwei, drei kaputten Möbeln wieder ein Ganzes gemacht. ¶
Ihr nutzt alle Bereiche des Hauses. Wie frei ist man, wenn man nur »Nutzer auf Zeit« ist und eigentlich keine Rücksicht auf Gegenstände oder das Gebäude nehmen muss, weil es abgerissen werden soll?
Natürlich fühlen wir uns sehr frei. Wir haben viele Freunde, mit denen wir uns natürlich immer hier treffen. Man muss respektvoll gegenüber einem Haus und den Dingen sein, darf aber auch alles nicht so eng sehen, da nicht vieles neu und teuer war. Wertvoll ist es für uns trotzdem. Wir lieben die alten Möbel und passen gut darauf auf. Selbst wenn wir hier nicht mehr wohnen können, werden uns die Möbel vielleicht noch weiter begleiten. Wir sehen uns nicht nur als »Nutzer auf Zeit«, für uns ist das jetzt unser Eigentum und hat einen Wert. Materiell und natürlich auch persönlich. ¶
Ihr würdet euch nicht anders verhalten, wenn ihr das Haus unbefristet nutzen könntet? Gibt es eurer Meinung nach einen Unterschied zwischen dem Nutzen alter, gebrauchter Gegenstände und dem Nutzen neuer Dinge?
Nein. ¶
Was elektronische Dinge angeht, sollte man auf energie- und ressourcenschonende neue Geräte umsteigen. Bei Möbeln ist es anders. Es ist erstaunlich, dass ihnen all die Jahre, die sie auf dem Buckel haben, nur wenig anhaben konnten. Klar war vieles kaputt, aber eher durch schlechte Lagerung oder Aufbewahrung, als durch den Gebrauch. Außerdem hat man früher die Dinge anders genutzt als heute. Es gibt an Schreibtischen, Sideboards oder auch in der Küche Fächer und Schubladen, die keines dieser Objekte in einer heutigen Ausführung besitzen würde. ¶
Gibt es in euren Augen einen Mehrwert eures alten, unrenovierten Hauses, den man in einem neuen Haus nicht finden könnte? Was unterscheidet dieses Haus von einem Neubau?
Das Flair der Vergangenheit! In ein Haus zu ziehen, dass noch vollständig vom Vormieter eingerichtet ist: so etwas könnte einem in einem neuen oder renovierten Haus nicht passieren. Wir denken oft daran, wer vor uns schon in diesem Haus gewohnt haben könnte und welche Spuren diese Menschen hinterlassen haben. Das Haus ist voll mit Erinnerungen und Leben. #
A feature on three young men who live in a house that is due to be demolished. The personal belongings of the house’s previous owner, now deceased, surround these new tenants. The previous owner’s family collected only the most valuable personal possessions. The young men have respect for the previous tenant, are a little rebellious and have the usual money problems associated with twenty-something-year-olds. It’s an improvised lifestyle that offers them unexpected freedom. ¶
Why do you live in this house?
It was empty for about a year and a half. A good friend’s uncle owns it and as the three of us urgently needed a place to live after returning from abroad, it seemed like a good option. The rent is low and all we have to do is upkeep the outdoor area. ¶
What’s it like living with the things that were left in the house?
We sorted them out and split them up. At the start, it was about function – making sure everything worked and was useful. We use a lot of the things that were left and only bought or brought with us a few things, like electronic goods. Some things were very important, of course, like the wood-burning stoves in the rooms because there’s no central heating. We were amazed that almost everything still worked when we considered how old most things were. Then there’s a fully equipped workshop, which we like to work in. ¶
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NUTZEN
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Do you think about the objects more than you usually would?
Yes, I catch myself doing that all the time. We’ve shifted things around and renovated painting and decorating the walls, but despite this, the furniture has an aura of the past. Lots of people would throw some things away – the house is going to be demolished after all – but we appreciated the fact that we were allowed to use the furniture and the house. After a while, it wasn’t just about using the furniture and the fact that we didn’t have to buy anything: we got very close to the man who used to live here. We have brought new life into his house and his possessions. ¶
Were there things in the house that you didn’t know how to use?
Yes, countless things. For example, gadgets, like a clothes spinner or an old juice extractor. But even if we couldn’t use some things any more, we thought they were just very nice. So we used them for decoration or to store things in. ¶
Do you use things in a different way from their original function?
Yes. When you’re surrounded by so much bric-a-brac, you become creative. We built shelves out of old fruit crates, converted pallets into bed frames and made one working item of furniture out of two or three broken items. ¶
You use all the areas in the house. How free are you as »temporary users«, and do you have to be careful with the house and its contents, seeing as the house is going to be demolished anyway?
It gives us a great deal of freedom, of course. We have lots of friends over but we still treat the house and its contents with respect, perhaps without having to be quite so strict because many things aren’t new or expensive. Nevertheless, they are worth a lot to us. We love the old furniture and look after it. Even when we have to leave, we might take the furniture with us. We don’t regard ourselves as »temporary users« – these things are ours now and have some value, both materially and personally. ¶
You wouldn’t behave any differently if you could use the house indefinitely?
No. ¶
Do you think there’s a difference between the use of old, used objects and the use of new things?
As far as electronic goods go, everyone should switch to new energy-saving, ecoconscious gadgets. With furniture, it’s different. Considering how old all these things are, it’s amazing how little wear and tear they show. And things were used differently in the past. There are compartments and drawers in desks, sideboards and kitchen equipment that don’t exist in modern versions. ¶
Do you think there is an additional value to your old, unrenovated house that a new house couldn’t offer? What is the difference between this house and a newly built one?
The atmosphere of the past! Moving into a furnished house, full of the previous owner’s things, just wouldn’t happen with a new or renovated house. We often think about who lived here before and what traces these people have left behind. The house is full of memories and life. #
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Steine: den Bau. Da es verdammt anstrengend war, Häuser aus Bronze oder Eisen zu schmieden, und da Stroh- und Holzhütten nicht ausreichend vor Wölfen schützen, benutzte man halt Stein. Die Steinarten mögen sich der Moderne angepasst haben und immer mehr Stahl hat sich in die Wände eingeschlichen, aber trotzdem kann sich der Stein noch immer felsenfest behaupten. Und so harren die steinernen Bauten gleich ihrer wilden Artgenossen an Ort und Stelle und die positive Seite des Steins zeigt sich auch Menschen, die dem Zen nicht nahe stehen. Steine bieten Obdach, Schutz und sind Statussymbol, denn schließlich gilt ein Haus auch als Errungenschaft, und generell zeugen grade die imposanten Bauten von den Tugenden ihrer Erbauer: Leistung, Planung und Ästhetik. Aber so großartig die Konstruktionen auch sind, so groß sind auch die Schatten die sie werfen. Für den Bau der Cheops-Pyramide starben etliche, nur um ein Grabmal für einen Einzelnen zu bauen und der konnte sich nicht mal mehr bedanken. Für die Chinesische Mauer sterben etliche, um die Mongolen auszusperren, haben aber nur mäßigen Erfolg, nachdem mongolische Ingenieure die Leiter erfunden hatten. Und auch an der Berliner Mauer, die zwar erfolgreicher Mongolen abgehalten hat, starben etliche. So dienen die steinernen Bauten fast immer auch als Mahnmal für Hochmut und Größenwahn. ¶
Kein Stein sagt »Bitte« oder »Danke« oder denkt an deinen Geburtstag
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Apropos Hochmut und Größenwahn: man muss auch die Wirkung von Edelsteinen beachten, den Diven unter den Steinen, die ungefähr genauso viel nützen wie ihre schnöden grauen Verwandten, aber eine magische Wirkung auf Mensch und Tier ausüben. Vielleicht offenbaren sie dem Ungeduldigen das, wofür ein Buddhist Jahrzehnte Steine streicheln muss, vielleicht sind sie aber einfach nur Opium fürs Auge. Jedenfalls als Statussymbol für Wohlstand etabliert lässt sich so mancher diese Klunker ein Vermögen und sogar Kriege kosten – nur für Steine. ¶ Schlussendlich kann man sagen, dass Steine, so charakterlos sie auch erscheinen mögen, doch eine Wirkung auf unser Wesen haben, und alles Schlechte im Steine lässt sich immer auf den Menschen projizieren, außer vielleicht Steinschlag, man kann Bergen einfach nicht trauen. Ob man sie stapelt, hortet, isst oder auch schmeißt – Steine wecken das Destruktive und das Konstruktive im Menschen und manchmal ändern sie sogar dessen Perspektive, spätestens wenn mal einer im Auge landet. ¶ P.s.: wir haben euch lieb, Steine. # Stones, what are we to make of them. There they lie all self-satisfied, acting like none of it is any of their business. Stones are always callous and rarely exhibit a desire to be helpful when problems arise; on the contrary, they create obstacles whenever possible. In general, stones have a bad character. No stone ever says »please« or »thank you«, as if they never even heard of good manners. No stone will ever remember your birthday; it’s much too late when the gravestone arrives with its macabre proclamation, and no stone will ever wish you good health. It seems stones are indifferent to the world and its inhabitants and they have no compunctions about causing the latter great suffering through rockfall, stonings, gall stones and deafening rock concerts. ¶
No stone will ever remember your birthday; it’s much too late when the gravestone arrives with its macabre proclamation, and no stone will ever wish you good health
But even the Bible says »let he who is without sin cast the first stone«, and so we should look around at least a little in search of the guilty party, for stones are peaceful as a rule and seldom allow others to provoke them. With an almost stoic tranquillity they endure all that plants, animals and in particular human beings inflict upon them. Many take this extraordinary inner calm as a role model; followers of Zen Buddhism in particular are happy to imitate stones and remain immobile in one place for hours to calm their minds. So as not to forget how to do this, they keep stones as pets and usually also cultivate a stone garden. You don’t need to water this garden,
Bild 01 "Steine stellen sich einem in den Weg wo sie nur können." "Stones create obstacles whenever possible."
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HASSEN
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it won’t grow any better, but Buddhists nevertheless care for their stones; stroking them with a rake, keeping them company and giving them their complete attention – neglected stones offer no revelations. ¶ There are, however, exceptions. Some noteworthy features of stones are revealed even to those who disregard them. Stones are hard and dense, not as in under the influence of alcohol or marijuana, but as in resilient and heavy. Since the average human being does not exhibit these two characteristics to the same extent, stones hold a certain power of persuasion; they reach the mind fastest when thrown at a head. This impact is perhaps the reason for stones’ reputation of brutality; since the dawn of humanity people have used stones to do violence. Cain used a stone to kill his brother Abel, David conquered Goliath with a stone in his slingshot and the first tools and weapons made by Neanderthals for hunting and protecting their territory were of stone. Not until bronze and iron were discovered and the Stone Age slowly came to an end did the stone give up its place as the number one instrument of violence. It must however be said that in some places people still preserve the tradition of stoning to death and on the first of May, the art of throwing stones is celebrated in Berlin. ¶ 02
Despite all this, human beings did discover a constructive use for stones – building. Since making houses out of bronze or iron was quite strenuous and neither straw nor wood provided enough protection from wolves, people used stone. The type of stone may have changed in deference to modernity and more and more steel may have crept into the walls, but stone’s position in construction nevertheless remains rock-solid. And so stone buildings, like their wild congeners, have held their ground and the positive side of stone is also revealed to those who are not adherents of Zen Buddhism. Stones provide shelter and are a status symbol, for in the final analysis a house is also considered to be an achievement. Impressive structures in particular often reflect the virtues of the builder, namely accomplishment, planning and aesthetics. But as grand as these constructions are, their shadows are just as long. Untold numbers of people died erecting the Pyramid of Cheops just to make a tomb for one man, and he couldn’t even say thank you anymore. Innumerable people also perished building the Great Wall of China to keep out the Mongolians, with only moderate success after Mongolian engineers invented the ladder. And at the Berlin Wall too, effective for keeping out Mongolians, many lost their lives. Thus stone structures are almost always monuments to arrogance and delusions of grandeur. ¶
Stones are hard and dense, not as in under the influence of alcohol or marijuana, but as in resilient and heavy
Bild 02 Clint Nossack Ein literarisches Debüt aus Königswusterhausen. Unser Gastautor erzählt uns alles, wirklich alles über Steine. Wir freuen uns auf weitere bahnbrechende Geistesauswüchse von Clint Nossack. A literary début from Königswusterhausen, Germany. Our guest author tells us everything – really everything – about stones. We are looking forward to reading more of Clint Nossack´s ground-breaking brainwaves.
Speaking of arrogance and delusions of grandeur, we should not forget the influence of the precious stone, that diva among stones, about exactly as useful as its common grey relation, but able to exert a magical effect on people and animals. Perhaps it has the power to reveal to the impatient that which a Buddhist will pet stones for decades to see, and perhaps it’s just opium for the eyes. At any rate, established as the status symbol of wealth, some of these rocks have cost a fortune or even wars – for stones alone. ¶ In the final analysis we can say that stones, lacking in character as they seemingly are, do in the end have an impact on our beings, and everything bad about stones can be projected onto people – except maybe for rockfall, there’s just no trusting mountains. Whether you stack them, collect them, eat them or throw them – stones awaken people’s destructive and constructive sides and sometimes they even change our perspective, at the latest when we are struck between the eyes. ¶ PS We love you, stones. #
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Impressum Imprint DING – was dinge mit uns machen. ¶ Ein Magazin der Lehrredaktion der Fakultät für Design, Hochschule für angewandte Wissenschaften ¶ München # Ausgabe N ° 1, 2013 # Chefredaktion ¶ Agnes Bachmaier Julia Lindt Lisa Nelhiebel # Projektbetreuung/ Leitung Lehrredaktion ¶ Prof. Markus Frenzl # Textchefin ¶ Lisa Nelhiebel # Artdirektion ¶ Agnes Bachmaier Agata Rogge-Solti # Layout ¶ Rhea Deisenhofer Theresa Hatz Laura Herbst Julia Kraus Alexander Schäfer Marina Widmann # Gestalterische Betreuung ¶ Prof. Xuyen Dam # Fotografie ¶ Sandy Caspers Max Eicke Theresa Hatz Laura Herbst Anna Mayr Micha L. Reiser Lukas Schramm Isabell Wesp # Online-Redaktion ¶ Agata Rogge-Solti Katharina Ganzer #
Lektorat ¶ Max Eicke # Mitarbeiter dieser Ausgabe ¶ Agnes Bachmaier Markus Bauer Rhea Deisenhofer Max Eicke Katharina Ganzer Alexander Große Theresa Hatz Laura Herbst Burak Ispiroglu Ralf Josef Elisabeth M. Kerp Julia Lindt Anna Mayr Leonhard Möckel Lisa Nelhiebel Clint Nossack Thomas Rogge-Solti Alexander Schäfer Viktoria Schmidt Hendrik Terwort Sandra Zeman # Übersetzung ¶ Laura Radosh Lucy Renner Jones # Druck ¶ ColorDruck, Leimen, colordruck.com # Papier ¶ Luxoart Samt (170 g/m2 ), Luxoart Samt (90 g/m2 ) # Für die freundliche Unterstützung bedanken wir uns bei: ¶ Hochschule für angewandte Wissenschaften München, Hochschulmarketing ¶ Hochschule für angewandte Wissenschaften München, Fakultät für Design ¶ Claudia Gutzen und Anja Neidhardt ¶ Verlag form GmbH, Frankfurt #
www.dingmagazin.de #
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