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«Die Stunden zählen darf man nicht»

Seit fast vier Jahrzehnten führen Moritz und Irene Rogger den Sarner «Peterhof». Im Sommer hören sie auf. Über ein Wirtepaar, das alle Höhen und Tiefen der Gastronomie erlebt hat.

War früher alles besser? Irene und Moritz Rogger zögern, wenn ihnen diese Frage gestellt wird Nach 37 wechselvollen Jahren in der Gastronomie kann man ein Fazit nicht auf die simple Gegenüberstellung von «früher» und «heute» reduzieren Immerhin ein Grundsatz zieht sich durch alle Jahrzehnte, die das Wirtepaar nun schon im «Peterhof» in Sarnen verbracht hat: «Die Stunden zählen darf man nicht, wenn man zu zweit einen Gastrobetrieb führt», sagt Irene Rogger «Das galt früher und das gilt heute noch » Im Sommer ziehen sie einen Schlussstrich unter das Kapitel «Peterhof» Zwar sind beide noch nicht im regulären Pensionsalter, doch niemand, der das Wirtepaar kennt, würde den beiden den Vorwurf machen, sie hätten ihr «Arbeits-Soll» noch nicht erfüllt Fänden sie mit Leichtigkeit Personal, das ihnen einen Teil der Arbeit abnimmt, hätten sie «vielleicht noch ein Jahr angehängt», wie Moritz Rogger sagt Aber eben nur vielleicht Denn Personal zu finden ist in der Gastronomie derzeit nur ein Teil der Herausforderung Ob man sich das Personal leisten kann, ist die andere Frage

Als junges Paar angefangen

Im Mai 1986 übernahmen Irene und Moritz Rogger als Pächter den «Peterhof» Die Kirchgemeinde Sarnen hatte den Gasthof zwei Monate zuvor gekauft «Bist du dabei?», fragte der damals 26-jährige Koch

Moritz seine 22-jährige Freundin Irene, die gerade dabei war, die Hotelsekretärinnenschule abzuschliessen Und sie antwortete: «Ja, warum nicht So vier bis fünf Jahre können wir das probieren.» Irene Rogger lacht, wenn sie sich daran erinnert Dass das junge Paar schliesslich sein ganzes Berufsleben im «Peterhof» verbringt und drei Söhne grosszieht, hätte sie damals kaum gedacht Rückendeckung erhielt das junge Wirtepaar von Moritz Roggers Eltern, die das Hotel und Restaurant Wilerbad geführt hatten und den Betrieb 1987 verkauften «Ohne ihre Hilfe hätte es kaum funktioniert »

Eine spezielle Lage

Der «Peterhof» gehörte früher zu den Juwelen des Fremdenverkehrs in Sarnen Gemeinsam mit der «Mühle» bildete er das Tor in Richtung Wilen am Sarnersee, wo Gäste aus nah und fern Erholung suchten und Kuraufenthalte buchten – beispielsweise in der weit über die Kantonsgrenzen hinaus bekannten Kuranstalt Friedenfels, über die wir schon berichtet haben Der «Peterhof» und die «Mühle» hatten damals sogar eigene Strandbäder am See Diese Zeiten sind aber längst vorbei – sie waren es schon, als Moritz und Irene Rogger den «Peterhof» übernahmen Von Anfang an war ihnen klar, dass die Lage des Gasthauses im Kirchhofen-Quartier einige Vorteile, aber auch einige Nachteile mit sich bringt Anders als die Tra- ditionsbeizen im Sarner Dorfkern kann der «Peterhof» nicht mit zentraler Lage punkten Von Grossanlässen im Dorf – das gilt auch für die Fasnacht – kann der «Peterhof» kaum profitieren, obwohl er zu Fuss in wenigen Minuten erreichbar ist «Wir sind nicht mittendrin, aber auch nicht weit weg», sagt Moritz Rogger – «so eine Art ‹Mittelding›, das schnell einmal vergessen geht, wenn die Leute auswärts essen wollen»

Nähe zur Kirche bis heute wichtig

Als die Roggers den «Peterhof» pachteten, war ihnen aber auch das grosse Plus bewusst: die Nähe zur Pfarrkirche und die katholische Kirchgemeinde als Verpächterin der Liegenschaft Ob Taufe, Hochzeit oder Beerdigung – der «Peterhof» ist für Kirch- gänger oft die erste Wahl Allerdings ist die Zahl der Kirchgänger in den vergangenen Jahrzehnten bekanntlich nicht gestiegen Ein schwerer Dämpfer war es, als die Gedächtnisfeiern nach Beerdigungen – der «Dreissigste» und das Jahresgedächtnis – vom Samstagmorgen auf den Abend verlegt wurden «Seither sind die Traueressen massiv eingebrochen», bedauert das Wirtepaar Zu den Zeichen der Zeit gehört es auch, dass Beerdigungen oft im engsten Familienkreis stattfinden und umliegende Gasthöfe deshalb weniger stark frequentiert werden

Zur grossen Freude der Roggers tätigte die Kirchgemeinde zwei Mal grosse Investitionen ins Haus Vor gut 20 Jahren wurde rechts der Liegenschaft das neue Pfarreizentrum mit grossem Saal gebaut Auch die Küche und das Restaurant wurden erneuert 2010 folgte der Umbau der Hotelzimmer «Als wir anfingen, hatte der Betrieb 24 Betten», erinnert sich Irene Rogger Heute sind es noch sechs Doppelzimmer Der Hotelbetrieb laufe praktisch nur noch nebenbei, sagt Moritz Rogger Etwa die Hälfte des Umsatzes verdankt das Wirtepaar den verschiedenen Anlässen im Pfarreizentrum und den Sälen im Obergeschoss Ein Bankett mit über 100 Gästen bekocht Moritz Rogger praktisch im Alleingang «Unglaublich dankbar» ist das Wirtepaar den vielen langjährigen und treuen Helferinnen «Ohne sie wäre es nicht gegangen » Wenn Not am Mann ist, springen ab und zu auch die Söhne mit ihren Partnerinnen ein

«Heute gönnt man sich etwas»

Ganz allgemein habe sich die Gastronomie massiv verändert, seit sie in den Beruf eingestiegen sind Das Bewirten von Gästen bis zur Polizeistunde um Mitternacht war zu Anfangszeiten eher die Regel als die Ausnahme Heute sind die ruhigen Abende in der Überzahl, wenn nicht gerade ein grösserer Anlass stattfindet Vorbei sind auch die Zeiten, als man sich nach der Arbeit in der Gartenwirtschaft traf «Das typische Feierabendbier gibt es heute nicht mehr», sagt Irene Rogger Erfreut nimmt das Ehepaar dagegen zur Kenntnis, dass die Gäste beim Auswärtsessen nicht mehr jeden Franken umdrehen «Günstig essen» – dies sei früher bei vielen Gästen oberste Maxime gewesen «Heute gönnt man sich etwas, wenn man ins Restaurant geht», sagt Irene Rogger «Wer schnell und günstig essen will, bestellt sich eine Pizza oder geht in eine Imbissbude »

Profitieren kann der «Peterhof» seit einiger Zeit auch davon, dass er an einer Route des Netzwerks «Veloland Schweiz» liegt «Wir haben mehr Gäste, die mit dem Velo unterwegs sind » Dank dem Aufkommen von E-Bikes sind vermehrt auch ältere Herr- schaften auf Velotouren anzutreffen – und die machen gerne einen Halt bei der einladenden Gartenwirtschaft und kehren im «Peterhof» zu Speis und Trank ein

Kirchgemeinde sucht Nachfolger

Bis Ende Juni werden Irene und Moritz Rogger den «Peterhof» mit Herzblut weiterführen Die Kirchgemeinde hat die Suche nach einem Nachfolger bereits eingeleitet «Danach wollen wir einfach mal ‹runterfahren›», sagt Irene Rogger – zur Ruhe kommen nach 37 Jahren in der Gastronomie Sie freuen sich darauf, zu reisen und Anlässe zu besuchen, die am Wochenende stattfinden «Bisher konnten wir an den Wochenenden nichts unternehmen», sagt Moritz Rogger

Wer in der Gastronomie tätig sei, habe oft einen sehr grossen Bekanntenkreis, aber nur einen kleinen Freundeskreis Mehr Zeit für Familie und Freunde zu haben – auch darauf freuen sie sich Doch wie es sich tatsächlich anfühlt, wenn man plötzlich nicht mehr arbeiten muss? Irene Rogger: «Ehrlich gesagt: Wir wissen es nicht » (ve)

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