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Was genau machen Korporationen?
Ohne sie lief früher nichts. Auch heute noch geniessen Korporationen in Obwalden eine wichtige Stellung. Für Zuzüger und Auswärtige sind diese Organisationen aber schwer durchschaubar. Was ist überhaupt Sinn und Zweck von Korporationen? Ein Experte gibt Auskunft.
Drehen wir die Zeit um 1000 Jahre zurück und stellen uns vor, der Kanton Obwalden wäre ein noch unentdeckter Flecken Natur Nun kommen einige Siedler und lassen sich im Tal nieder Jeder baut sich ein Häuschen, sät Getreide und kümmert sich um sein Vieh Eines Tages beraten sich die Siedler: «Wir haben hier so viele Wälder und Felder, Alpen fürs Vieh und Wasserquellen Doch wer darf das Holz nutzen? Wer bestellt die Äcker? Wer kümmert sich um die Wasserversorgung? Wäre es nicht klug, wenn wir uns zusammentun, um all das zu regeln?» Und so beschliessen die Siedler die Gründung einer Gemeinschaft oder sogenannten Kollektivs
Etwa so kann man sich – natürlich arg vereinfacht – vorstellen, wie Korporationen entstanden sind Sie waren eine Organisationsform des gesellschaftlichen Zusammenlebens und -wirkens und gelten damit als eine Art Vorläufer von Gemeinden (Für sich genommen bedeutet der Begriff Korporation vom lateinischen corpus – einfach Körperschaft Denselben Ursprung hat auch der englische Begriff Corporation wie beispielsweise in «Microsoft Corporation».)
«Ohne Korporation lief früher gar nichts», bringt es Niklaus Wirz auf den Punkt Der Präsident der Sarner Korporation Freiteil beschäftigt sich seit Jahren mit der Geschichte von Korporationen «Seien es Strassen, Schulen oder die Wasserversorgung: Das ganze Dorfwesen lag früher in den Händen von Korporationen » Und wenn ein Zuzüger im Sarner Talboden sesshaft werden und Land erwerben wollte, ging dies – man ahnt es –ebenfalls nicht ohne Segen der Korporation
Alles dreht sich um Landbesitz
Dass die Schweiz eine Hochburg von solchen Urformen des gemeinschaftlichen Zusammenlebens ist, kommt nicht von ungefähr. «Bei uns gab es nie Monarchien mit grossem Landbesitz», erklärt Niklaus Wirz Nicht zuletzt deshalb seien Körperschaften entstanden, die sich mit der Frage des Land-
Flächen der
Korporationen auf dem Gemeindegebiet von Sarnen
Korp Freiteil Korp Ramersberg
Korp Kägiswil Korp Schwendi helle Farben = bewaldetes Gebiet besitzes und des Landverkaufs auseinandersetzen mussten In Sarnen finden wir heute neben den «Freiteilern» auch die Korporationen Schwendi, Ramersberg und Kägiswil, die früher im sogenannten «Chilchgang» verbunden und für das Gemeinwesen verantwortlich waren Die Korporationen Freiteil und Schwendi waren früher sogar noch feiner aufgegliedert «Allein auf dem heutigen Gemeindegebiet von Sarnen existierten einst neun Kollektivgemeinschaften, die sich zu den heutigen vier Sarner Korporationen vereint haben » Das meist friedliche Nebeneinander hatte auch Spannungen zu erdulden In alten Protokollen ist etwa zu lesen, dass sich die Freiteiler, die Ramersberger und die Kägiswiler mehrmals vor Gericht trafen, weil sie sich nicht einig wurden betreffend Nutzung der gemeinschaftlich verwalteten Wälder
Bürger einer Korporation – also ein «echter» Einheimischer – zu sein, war ein grosses Privileg Zog etwa ein Kernser Korporationsbürger nach Sarnen, galt er dort nur als «Beisasse» Zugezogene aus anderen Kantonen oder dem Ausland nannte man «Hintersassen», sie waren sozusagen Bürger zweiter Klasse Bei- und Hintersassen hatten eingeschränkte Rechte, was immer wieder zu Spannungen führte Um 1730 beispielsweise
Der «Zipfel» ganz links gehört der Armee (Schiessplatz Glaubenberg)
Illustration: Niklaus Wirz entbrannte in Sarnen ein Streit, ob sich die Bei- und Hintersassen an der Wahl des Pfarrers beteiligen dürfen Rechte waren auch mit Pflichten verbunden: Als im 18 Jahrhundert die Kleine Schliere in Alpnach Schäden verursachte, musste jeder einheimische Alpnacher sechs Tage Fronarbeit leisten Ein Bei- oder Hintersasse dagegen – ausgestattet mit weniger Privilegien – musste nur vier Tage arbeiten Auch das Stimmrecht gab es nur mit der «richtigen» Abstammung In der Chronik von Sarnen ist etwa zu lesen, dass im Jahr 1789 in Sarnen 826 Männer das Stimmrecht hatten, nämlich 294 Freiteiler, 104 Kägiswiler, 64 Ramersberger, 170 Oberschwander und 194 Unterschwander
Welch grosse Rolle das Thema Bürgerrecht bei Korporationen spielte, zeigt sich beispielsweise in Engelberg, wo die Korporation bis heute den Namen «Bürgergemeinde» trägt Auch im Wallis heissen die alten Körperschaften Burgergemeinden (Dies ist übrigens der Grund, weshalb sich die heutigen Gemeinden oft Einwohnergemeinden oder politische Gemeinden nennen Es dient als Abgrenzung zu anderen öffentlichen Körperschaften wie Kirchgemeinden, Schulgemeinden oder eben Bürgergemeinden und Korporationen )
Gerade die Korporation Freiteil im Kantonshauptort war immer daran interessiert, dass Sarnen wächst und sich weiterentwickelt «Dies bedingte auch eine Öffnung gegenüber Zugezogenen», sagt Niklaus Wirz «Die Korporation war darauf bedacht, dass sich gute Handwerker in Sarnen niederliessen, und stellten ihnen Land zur Verfügung » Wer das nötige Kleingeld hatte, konnte sich in das Korporationsrecht – normalerweise nur durch Abstammung übertragbar – auch einkaufen. «Ein Einkauf ist heute nach aktueller Einung der Korporation Freiteil nicht mehr möglich und ist meines Wissens das letzte Mal vor rund 150 Jahren vorgekommen »
Auch wenn Korporationen altertümliche Gebilde sind, die bis heute Bestand haben, waren sie stets einem Wandel unterzogen Vor allem das 19 Jahrhundert brachte einschneidende Umwälzungen mit dem Entstehen der politischen Gemeinden und der
Totalrevision der Bundesverfassung im Jahr 1874. Die einheimischen Korporationsbürger verloren – zumindest auf dem Papier – ihre privilegierte Stellung gegenüber Zugezogenen Egal ob Lungerer, Luzerner oder Aargauer: Wer sich in Sarnen niederliess, hatte nun die gleichen Rechte und Pflichten gegenüber Gemeinde, Kanton und Bundesstaat wie die einheimischen Freiteil-Geschlechter Abegg, Dillier, Heymann, Imfeld, Omlin, Seiler, Stockmann und Wirz Auch viele Aufgaben und Rechte, die früher in den Händen der Korporationen lagen, sind von da an nach und nach an die Gemeinden oder die Kantone übergegangen
«Es war ein stetes Geben und Nehmen»
Eine berechtigte Frage lautet folglich: Warum sind denn die Korporationen vor 150 Jahren nicht dem Untergang geweiht gewesen, sondern existieren bis heute? Das wichtigste
Ausschnitt aus der sogenannten Einung der Korporation Freiteil, Mitte des 16 Jahrhunderts verfasst
Das Buch war eine Art Regelwerk über die Rechte, Pflichten und das Zusammenleben der Freiteiler
Stichwort hierzu lautet Landbesitz Mit dem Entstehen von politischen Gemeinden wurden die Korporationen ja nicht über Nacht enteignet, sondern blieben mächtige Landbesitzer Die Gemeinden waren deshalb stets darauf bedacht, ein gutes Verhältnis zu Korporationen zu pflegen Und so entwickelten sich Gemeinden und Korporationen in den vergangenen 150 Jahren parallel weiter «Es war ein stetes Geben und Nehmen», wie es Niklaus Wirz formuliert Gerade in Sarnen findet man kaum ein öffentliches Gebäude oder eine Wohnsiedlung, deren Boden ursprünglich nicht Bestandteil der sogenannten Allmend und damit in den Händen der Korporation war «Über die Jahrhunderte fand jedoch ein steter Übergang vom kollektiven zum privaten Grundbesitz statt», so Wirz. «Die Freiteiler verfügten bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges noch über bedeutende Allmendflächen, haben seither aber verglichen mit anderen Korporationen sehr viel Land für die Entwicklung des Hauptortes abgegeben.»
Im Zuge dieser «Abtretungsprozesse» an die politische Gemeinde konnten die Sarner Korporationen nach und nach auch Pflichten abgeben, etwa die Wasserversorgung oder den Bau und Unterhalt von Strassen im Dorf Typische Allmendflächen, die im Besitz der Korporation sind, gibt es in Sarnen nicht mehr viele Zwei unüberbaute Grundstücke, die zur sogenannten Oberen Allmend gehören, sind auf der Karte oben rechts zu sehen
Baurecht und Vermietung statt Verkauf
Irgendwann kam allerdings der Punkt, an dem die Korporation Freiteil über die Bücher musste «Man sah ein: Wenn weiterhin so viel Land abgetreten wird, verlieren wir unsere Existenzgrundlage», so Niklaus Wirz In den 1970er-Jahren habe deshalb ein Umdenken stattgefunden. Die Korporation begann, vermehrt Land im Baurecht abzugeben, statt es zu verkaufen Der markante «Schärme»-Erweiterungsbau Schmetterling beispielsweise wurde im Baurecht auf Land
Diese
Karte: Swisstopo/Bearbeitung: ve der Korporation Freiteil erstellt Die Freiteiler stiegen auch selbst ins Immobiliengeschäft ein. Prominentes Beispiel ist die Wohnüberbauung Freiteilmattli, die zwischen 1998 und 2003 entstand «Ursprünglich wollte die Korporation alle Wohnungen verkaufen » Weil die Abgabe von Wohneigentum im Baurecht aber nicht ganz so rosig lief wie erhofft, entschied sich die Korporation zu einem bis dahin ungewöhnlichen Schritt: vermieten statt verkaufen «Rund die Hälfte der rund 100 Wohnungen im Freiteilmattli sind bis heute im Besitz der Korporation Rückblickend war es das Beste, das uns passieren konnte » Auch die drei grossen und relativ neuen Wohnhäuser mit je sieben Mietwohnungen am Ennetriederweg gehören der Korporation Mietzinserträge bilden heute die wichtigste Einnahmequelle der Korporation Freiteil Kürzlich hat sie ihr neustes Bauprojekt bekannt gegeben (siehe Kasten auf nächster Seite).
Eine ähnliche Immobilienstrategie verfolgen andere Korporationen in Obwalden Die Korporation Alpnach etwa schreibt folgerichtig auf ihrer Website, dass aus den vormals land- und forstwirtschaftlich geprägten Korporationen heutzutage eigentliche KMU-Betriebe geworden sind, die – mit der Korporation Alpnach als Pionierin – unter anderem mit dem Bau von Heizwerken auch ins Geschäft mit der Wärmeenergie eingestiegen sind Gerade in Alpnach zeigte sich jüngst eine weitere interessante Strategie, indem die Korporation nicht etwa Land verkaufte, sondern mit dem Kauf des strategisch wichtigen Pfistern-Areals selbst zur Investorin und Liegenschaftskäuferin wurde. Korporationen geniessen dabei ein wichtiges Privileg: Anders als andere öffentlich-rechtliche Körperschaften wie Gemeinden sind sie nicht dem Submissionsgesetz unterworfen Das bedeutet, dass sie Bauarbeiten eigenhändig vergeben und so das einheimische Gewerbe bevorzugen können
Wichtige Aufgaben zum Wohle aller
Die falschen Schlüsse würde allerdings ziehen, wer nun glaubt, dass bei den Korporationen das Geld nur so hineinsprudelt «Die Korporationen erbringen – quasi zum Nulltarif – sehr viele Dienste für die Allgemeinheit», betont Niklaus Wirz «Vielen ist das gar nicht bewusst.» Tatsächlich: Die ausgedehnten Waldflächen in Obwalden – seien es Schutzwälder oder Naherholungsgebiete – sind grösstenteils im Besitz von Korporationen und werden auch von ihnen gehegt
Die Korporation Freiteil plant auf ihrem rund 8200 m2 grossen Grundstück Untere Allmend eine Grossüberbauung mit 58 Wohnungen sowie Gewerbeflächen Die Freiteiler haben kürzlich einem Planungskredit von 2,8 Millionen Franken zugestimmt Insgesamt investiert die Korporation knapp 50 Millionen Franken in die neue Überbauung Das Feld wurde bislang landwirtschaftlich genutzt, befindet sich aber seit geraumer Zeit in der Bauzone Vergangenen Sommer beispielsweise hat der Ackerbauverein Obwalden hier Weizen angepflanzt. Läuft alles nach Plan, können die Bauarbeiten in rund zwei Jahren beginnen Die ersten Wohnungen könnten im Herbst 2027 bezogen werden und gepflegt Zwar nehmen Korporationen mit dem Verkauf von Holz Geld ein, doch das Geschäft ist «im besten Fall kostendeckend und wäre ohne Subventionen sogar defizitär», wie Niklaus Wirz erklärt
Dasselbe gilt für die Alpen «Die Korporation Schwendi beispielsweise investiert unglaublich viel Zeit und Geld in die Pflege und Bewirtschaftung ihrer weiträumigen Alpgebiete » Damit werde man nicht reich Im Gegenteil: «Auch diese Dienstleistung muss durch andere Einnahmen quersubventioniert werden.» Eine solche Quersubventionierung könne sich eben nur leisten, wer als Besitzer von Grundstücken und Liegenschaften auch Geld einnimmt, so Wirz
Für den Freiteil-Präsidenten ist klar, dass Korporationen kein Auslaufmodell sind. Gerade im Immobilienbereich seien sie darauf bedacht, nicht dem schnellen Profit hinterherzujagen, sondern Wohnungen zu moderaten Preisen auf den Markt zu bringen «Durch die starke Verwurzelung und Verbundenheit mit der Heimat handeln Korporationen einfach anders», ist Niklaus Wirz überzeugt «Sie denken oft viel langfristiger als beispielsweise private Investoren » (ve)
Korporation
Alpnach
Bürger: 782
Landbesitz: 4198 ha davon Wald: 2775 ha
Korporation
Ramersberg
Bürger: 85
Landbesitz: 430 ha davon Wald: 190 ha
Korporation
Giswil
Bürger: 1266
Landbesitz: 4911 ha davon Wald: 3028 ha
Teilsame
Lungern Dorf*
Bürger: k A
Landbesitz: 2282 ha davon Wald: 1234 ha
Überblick: Rund 60 Prozent der Fläche Obwaldens sind
im Besitz von Korporationen
Links auf der Karte: Flächen der politischen Gemeinden in Hektaren (ohne Seen)
Korporation
Freiteil
Bürger: 248
Landbesitz: 723 ha davon Wald: 567 ha
Korporation
Kägiswil
Bürger: 134
Landbesitz: 394 ha davon Wald: 234 ha
Korporation
Sachseln
Bürger: ca. 1000
Landbesitz: 3869 ha davon Wald: 1894 ha
Teilsame Lungern Obsee*
Bürger: ca 200
Landbesitz: 1555 ha davon Wald: 776 ha
* Voraussichtlich 2025 werden sich die beiden Lungerer Teilsamen zu einer gemeinsamen Körperschaft vereinen
Korporation
Schwendi
Bürger: 394
Landbesitz: 3402 ha davon Wald: 1953 ha
Korporation
Kerns*
Bürger: 1900
Landbesitz: 5285 ha davon Wald: 2209 ha
* In Kerns gibt es zwei eigenständige Organisationen: die Korporation und die sogenannte Alpgenossenschaft ausserhalb der steinernen Brücke Sie werden aber vom Korporations- und Alpgenossenrat in Personalunion geführt
Bürgergemeinde
Engelberg
Bürger: 766
Landbesitz: 1352 ha davon Wald: 842 ha
Wichtig zu wissen: Gemeindegrenzen sind nicht zwingend Korporationsgrenzen Beispiele: Die Freiteiler besitzen Land auf Melchsee-Frutt, die Teilsamen Lungern besitzen Wald auf
Giswiler Gemeindegebiet, die Korporation Alpnach besitzt Grundstücke auf Luzerner Boden
Ernst Zimmermann Ag
Herdern 5, Ennetbürgen
T 041 620 47 00 info@zimmermann-kaercher ch www.zimmermann-kaercher.ch