youngbloods

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YOUNGBLOODS e n i z a g a m #7

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goesuntilhisheartstops.tumblr.com

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IM JAHRE 2012... ...gibt es mehr Subkulturen als man zählen könnte. Es gibt Hipster, Rockabillys, Metaler, Rocker, Electro-Anbeter, Hip Hopper, Grungekids, Punks, Gothics und etliche weitere. In dieser Ausgabe beschäftige ich mich mit der wohl aggressivsten Subkultur von allen: Hardcore-Punk. Ich durchleuchte die letzten 36 Jahre der Szene – von den Anfängen in den späten Siebzigern, über die Musik, bis hin zu einigen Subströmungen wie Straight Edge oder Do It Yourself. Darüber hinaus habe ich zwei Jugendliche interviewt, die von ihren Erfahrungen als Tätowierte und Gepiercte berichten. Abschließend widme ich mich einem schwierigen Thema, das auch innerhalb der Szene selbst für gespaltene Lager sorgt: Violent Dancing – eine sehr aggressive Art des Tanzens mit Körperkontakt der etwas anderen Art. Also liebe Leserin, lieber Leser: Ich wünsche Euch viel Spaß mit dieser Ausgabe von YOUNGBLOODS.

Editorial

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E1NS Chronik

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“SO WE REALLY WERE TRYING TO CARVE OUT OUR OWN PLACE, AND WE SAID: ‘NO, WE‘RE HARDCORE PUNK’ .” Musik

12 “THE LESS IT WAS A SONG, THE MORE WE LIKED IT. ” Werte

14 “IF THERE IS SOMETHING YOU WANNA CREATE THAT DOES NOT EXIST – CREATE IT YOURSELF .” 16 “EVERYBODY WAS JUST LIKE ‘HAVE A GOOD TIME AND GET HIGH’, BUT A LOT OF KIDS WERE LOOKING FOR SOMEONE WHO‘D NOT SAY THAT.“ 18 “IF SOMEONE GETS IN MY WAY, OR IN MY FRIENDS WAY, WE GONNA BULLDOZE OVER HIM BY ANY MEANS NECESSARY.”

2WEI Interview

„ABER DAFÜR BIN ICH DANN DOCH INZWISCHEN ZU ALT.”

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„MAN SOLLTE SICH ÖFTER FRAGEN: 26 ’WARUM NICHT?’.”

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Inhalt


YOUNGBLOODS e magazin 3

EDITORIAL

38 IMPRESSUM

DR3I Violent Dancing

32 “THIS NEXT SONG WE MADE JUST FOR YOU MOTHERF*UCKERS TO MOSH! BLOW THIS F*CKING PLACE APART!” Inhalt

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E1NS CHRONIK MUSIK WERTE

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Eins


BLACK FLAG BAD BRAINS MINOR THREAT

DEAD KENNEDYS RETROSPEKTIVE: 36 JAHRE HARDCORE

/SCHOOL

NEW OLD

MUSIK: HARDCORE, POST-HARDCORE, METALCORE, MELODICHARDCORE, DEATHCORE

DIY

DO IT YOURSELF

STRAIGHT

EDGE

FSU FRIENDS STAND UNITED

Eins

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2009 PATRICK FLYNN

HAVE HEART

8

Chronik


IAN MACKAYE - MINOR THREAT

“SO WE REALLY WERE TRYING TO CARVE OUT OUR OWN PLACE, AND WE SAID: ‘NO, WE‘RE HARDCORE PUNK’ .” Wir schreiben das Jahr 1976. Es sind turbulente Zeiten: Der Kalte Krieg ist im vollen Gange, Discomusik erlebt ihre Blütezeit und läutet damit eine der schrillsten Dekaden der Musikgeschichte ein. Doch es gibt Jugendliche, die sich dagegen wehren. Junge Menschen, die sich nicht mit den Veränderungen anfreunden wollen. Sie kämpfen für das musikalische und geistige Erbe, das unterzugehen droht.

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it den oben zitierten Worten beschreibt Ian MacKaye im Dokumentarfilm American Hardcore aus dem Jahre 2006 die Entstehung von Hardcore. Diese Subkultur kam Ende der Siebzigerjahre auf, nachdem sich Punkrock als eigenständige rockmusikalische Stilrichtung etabliert hatte. Die Jugendlichen hatten genug von der Heuchelei in der Gesellschaft, die ihnen große Versprechungen machte, ihnen aber nichts gab. Sie konnten sich auch nicht mit Bands wie den Sex Pistols identifizierten, die Punk mainstreamtauglich machten und so ihre rebellische Art untergruben. Die Folge war, dass Hardcore sich nicht nur als Gegenbewegung zum Mainstream, sondern insbesondere auch zum Punk verstand. Er gab Anstoß für die Entwicklung vieler weiterer Bewegungen und Szenen, wie zum Beispiel die Straight­ Edge- oder die Emo-Bewegung, und beeinflusste einige Musikrichtungen, die später große Bekanntheit erlangten. Grunge dürfte den meisten Menschen dank Kurt Cobain und Nirvana ein Begriff sein. Ihren Ursprung fand die Bewegung im englischsprachigen Raum, insbesondere in den USA und in Großbritannien. In den vereinigten Staaten zählen Los Angeles, San Francisco, New York, Boston und Washington, D.C. als Geburtsstätte des Hardcore.

Chronik

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Black Flag wurden 1976 in Hermosa Beach, Kalifornien gegründet und gelten seitdem bei vielen Anhängern als Legende. 1979 schlossen sich Fear, The Germs und Circle Jerks deren neuem musikalischen Manifest an und wurden 1981 für Penelope Spheeris Dokumentarfilm The Decline of Western Civilization gefilmt. Der Film gab einen Einblick in die damals noch junge und größtenteils ignorierte Subkultur und hat mittlerweile Kultstatus erreicht. Fast zeitgleich mit Black Flag wurden Dead Kennedys in San Francisco gegründet. Obwohl sich die Szene dort nicht so sehr ausbreitete wie in Los Angeles, gab es große lokale Unterstützung. So unter anderem von dem Fanzine Maxi-

mumrocknroll und der gleichnamigen Radioshow von Tim Yohannan, welche regionale Bands unterstützte und spielte. Bad Brains, ein Bandname, der meistens in Verbindung mit den Dead Kennedys und Black Flag genannt wird, zählt ebenfalls zu den Bands der ersten Stunde. Gegründet in Washington, D.C. machte sich die ausschließlich aus Afro-Amerikanern bestehende Gruppe rasch durch ihre schnellen Songs beliebt. Sie gehörte zu den stilprägendsten Bands in der Geschichte des Hardcore. Ian MacKaye und Jeff Nelson formten 1979 die Band Teen Idles, lösten sich aber bereits ein Jahr später auf. Allerdings übte die Nachfolgeband der beiden, Minor

Threat, großen Einfluss auf die gesamte Hardcore-Szene aus. Mit ihrem Song Straight Edge, der sich gegen Alkohol und Drogen ausspricht, sorgten sie für die Grundsteinlegung der gleichnamigen Bewegung. Als Bad Brains 1981 Hardcore nach New York brachten, wurden Agnostic Front, eine seither bekannte und einflussreiche Band, gegründet. Viele Gruppen, die dem New York Hardcore zugeschrieben werden, kamen und kommen ursprünglich aus New Jersey, so zum Beispiel die Misfits.

1990

JACOB BANNON

1976 HENRY ROLLINS

BLACK FLAG

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Chronik

CONVERGE


1998

CANDACE KUCSULAIN

WALLS OF JERICHO

2003 ED MCRAE

YOUR DEMISE

Die Entwicklung in Europa war nicht ganz so ereignisreich wie in den USA. Vor allem in Großbritannien gründeten sich einige Hardcore-Punk Bands, die vermutlich bekannteste von ihnen The Exploited. Ende der Achtziger hatten sich viele der einflussreichsten Bands, unter anderem Black Flag, bereits aufgelöst oder andere Richtungen eingeschlagen. Die Beastie Boys wandten sich dem Hip-Hop zu und wurden so weltberühmt. Social Distortion hingegen gingen in Richtung Countrymusik, während Bad Brains verstärkt Reggae einbrachten.

Die Entwicklung der Achtziger setzte sich fort und Hardcore galt bald vielmehr als Überbegriff, da eine Menge anderer Musikrichtungen aus ihm sprossen: Melodic Hardcore, Emocore, Mathcore, Screamo, Post-Hardcore und Metalcore, um ein paar wenige zu nennen. Während viele Bands in den Neunzigerjahren Straight Edge propagierten, lehnten andere Prominente Bands wie Madball oder Sick Of It All diesen Lebensstil ab. Damals wie heute ist dem Internet die wachsende Popularität von Hardcore zu verdanken, aber auch Festivals, wie das Hellfest in den USA, das With Full Force Festival in Deutschland und unzählige andere rund um den Globus trugen zu

seiner Verbreitung bei. Der kommerzielle Erfolg von Plattenlabeln und Bands wie Refused gewährten dem Hardcore Zugang zum Mainstream. Ermöglicht durch den Punkrock Boom in den späten Neunzigern und frühen Jahren des neuen Jahrtausends, wurden viele Hardcore Bands von Major Labels unter Vertrag genommen. Allen voran H2O, die bei MCA einen Vertrag unterschrieben, der aber aufgrund mangelnden kommerziellen Erfolgs aufgelöst wurde. Die PostHardcore Gruppe Rise Against trat 2003 bei Geffen Records unter Vertrag, erreichten mit drei Veröffentlichungen Platinstatus und brachten so Hardcore endgültig der breiten Masse nahe.

Chronik

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“THE LESS IT WAS A SONG, THE MORE WE LIKED IT. ” Hätte man Henry Rollins oder Ian MacKaye damals gesagt, wie viele weitere Subgenres aus ihrer Musik wachsen würden, hätten sie vermutlich ungläubig den Kopf geschüttelt. Hardcore und dreifach Platin? – Was damals unvorstellbar war, ist mittlerweile Realität geworden.

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orweg lässt sich sagen, dass Hardcore insgesamt schneller und härter ist als der vorangegangene Punkrock. Waren die frühen Songs alle noch sehr kurz, sorgte der Einfluss anderer Musikrichtungen im Laufe der Jahrzehnte dafür, dass sich die Songstrukturen der Anfangszeit stark veränderten. „Ich sagte genau das, was ich im Kopf hatte – und zwar in 32 Sekunden.”, sagt Ian MacKaye in einem Interview. Hardcore war zu Beginn noch sehr simpel strukturiert. Chris Foley von SS Decontrol drückt es wie folgt aus: “Die ganze Sache des Hardcore war, dass die Leute anfingen sich Gitarren zu holen, drei Riffs lernten und so schnell spielten, wie sie konnten.” In den Achtzigern wurde es zunehmend schwerer Hardcore als Ganzes zu betrachten, da viele Gruppierungen anfingen zu experimentieren. Zahlreiche neue Bands wurden in den Staaten in Radiosendern an Colleges gespielt und prägten so den Begriff des College Rock; während einige in eine langsamere, härtere und rockigere Richtung gingen und ihre Musik mit Hardrock-Elementen mischten, wurden andere durch Trash Metal wie Slayer beeinflusst. Musiktechnisch bewegte sich die Szene in den Neunzigerjahren hauptsächlich in zwei Richtungen: New School, welche vor allem Trash- und Death Metal-Elemente einbezog, und Old School, die am traditionellen Hardcore festhielt. Post-Hardcore, Melodic-Hardcore, Metalcore, und Deathcore sind beispielsweise heute etablierte New School Richtungen und am weitesten verbreitet. Doch was unterscheidet all diese Stilrichtungen? – Eine kurze und knappe Erklärung der Subgenres für Laien von einem Laien:

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Musik

MELODIC-HARDCORE Energisch und schnell erfreut sich Melodic-Hardcore einer sehr großen Beliebtheit. Die Songstrukturen sind, wie im Hardcore üblich, meist einfach. Die Verwendung von ausgeklügelteren, melodischeren Gitarrenriffs stellt die wohl größte Besonderheit dar. Häufig bedienen sich die Musiker dieses Genres auch an Breakdowns, wie sie im Metalcore üblich sind. Gesanglich überwiegen Shouts.

METALCORE Hier besteht wohl die größte Verwechslungsgefahr. Während die Bands sich stilistisch sehr stark an Metal-Genres wie Heavy- oder Melodic Death-Metal bedienen, vertreten sie in der Regel eine Hardcore-Attitüde. Gesanglich dominiert der Shout, weit verbreitet ist aber auch der Einsatz von klarem Gesang während melodischer Stellen wie dem Refrain. Das prägendste musikalische Stilmittel ist wohl der Breakdown – ein Part, der ein regelrechtes Loch in das Klangbild reißt, und vor allem durch seine geringe Geschwindigkeit und seine enorme Intensität sehr beliebt ist. Der Stil ist technisch recht anspruchsvoll, jedoch wird dem Metalcore häufig vorgeworfen, sehr monoton zu sein. In der Tat sorgt der Metalcore-Boom dafür, dass etliche neuen Gruppierungen unter Vertrag genommen werden.

POST-HARDCORE Post-Hardcore ist sehr melodisch und verwendet in der Regel wenige bis gar keine Shouts; der Gesang ist also clean. Die Songstruktur ist insgesamt komplizierter und „durchdachter“. Von allen Subgenres dürfte Post-Hardcore wohl die größte Mainstreamtauglichkeit besitzen, da sie für Szenefremde musikalisch und gesanglich als am wenigsten befremdlich empfunden wird.

DEATHCORE Von allen hier genannten Stilen stellt Deathcore den brutalsten und extremsten dar. Die Musik bedient sich an Metalcore, Hardcore und Death Metal. Gesanglich wird das Repertoire um Growls und Screams, also stark gutturalem Gesang und Schreien, erweitert. Eine weitere Eigenart sind die sogenannten Pig Squeals, bei denen der Sänger die Luft so ein- oder ausatmet, dass ein Geräusch ähnlich dem eines Schweinequiekens entsteht.


WER, WIE, WAS?

DEATHCORE

METALCORE

POST-HARDCORE

MELODIC-HARDCORE

NEW SCHOOL

OLD SCHOOL

Eine Auszug an bekannteren Bands und ihren Genres.

THEGHOSTINSIDE

Musik

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BRIAN BAKER - MINOR THREAT

“IF THERE IS SOMETHING YOU WANNA CREATE THAT DOES NOT EXIST – CREATE IT YOURSELF .” Viele Musiker hoffen heute darauf entdeckt und anschließend als der nächste Superstar vermarktet zu werden. Andere hingegen haben keine solchen Ambitionen, wollen sich aber dennoch Gehör verschaffen. Was tut man also, wenn man keine kommerzielle Unterstützung erwarten kann? – Richtig: Man nimmt die Sache selbst in die Hand.

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ie Doktrin, die hinter diesen Worten steckt, ist ebenso kurz wie prägnant: Do It Yourself – mach‘ es selbst. Als Erbe des Punks diente Do It Yourself, abgekürzt DIY, als einer der Grundpfeiler der Hardcoreszene und half ihr maßgeblich, die Größe zu erlangen, die sie heute hat. „Du hattest alles in der Hand. Weißt du, Gigs auf die Beine stellen, Magazine herausbringen. Es war mehr als nur die Erscheinung auf der Bühne“, so Mike Watt von Minutemen. Flyer wurden selbst gemacht und verteilt, Platten und Kasetten wurden eigenhändig verpackt und Fanzines als Informationsmedium herausgegeben. „Wir hatten ein paar Plattencover von Musikern, die wir mochten. Wir zogen diese dann auseinander, um zu sehen, wie sie hergestellt wurden. Also nahmen wir die Dinger und legten sie auf ein großes Stück Papier und zeichneten eine Linie drum herum und brachten es anschließend zu einer Druckerpresse und sagten: ‚Druck das so und so oft.‘ Und dann schnitten wir jedes verdammte einzelne Teil aus und Lyle klebte und faltete sie alle zusammen. Wir haben das für locker 10000 Stück gemacht. Jede Schallplatte war handgemacht. Wir saßen einfach da und schnitten und klebten. Wir hatten keine Ahnung, wir hatten es nicht gelernt.“ Während bekannte Punkbands wie die Ramones, The Clash oder die Sex Pistols bei großen Plattenlabeln unter Vertrag standen, trafen Hardcorebands oft auf taube Ohren. Black Flag waren zwar anfangs bei einem größeren Label mehr oder weni-

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Werte | Do It Yourself

ger unter Vertrag , wurden aber aufgrund von Differenzen herausgeworfen. Als Folge dessen fingen Black Flag und viele weitere Bands an, ihre eigenen Labels zu gründen, um ihre Musik selbst zu vertreiben. So entstand unteranderem SST RECORDS, welches vom Journalisten Michael Azerrad einst als „das einflussreichste und bekannteste underground independent Label der Achtziger“ betitelt wurde. Zahlreiche weitere Musiker folgten dem Beispiel und gründeten BYO Records und Epitaph Records. Letzteres hat heute viele der kommerziell erfolgreichsten Bands unter Vertrag. Doch DIY beschränkt sich nicht nur auf diesen Bereich. Durch weitere gegründete Bands immer mehr an Bekanntheit erlangend, war es bald an der Zeit, dass nicht nur Konzerte, sondern


auch Touren organisiert werden konnten. Black Flag kamen so in Kontakt mit einer Vielzahl weiterer Musiker in ganz Nordamerika und setzten den Grundstein für viele nachfolgende Bands. Youth Brigade war eine der ersten Bands, die tourte. Mit Social Distortion dokumentierten sie 1984 in dem Film Another State of Mind ihre Reise durch das Land. Die Tour wurde durch ein von BYO organisiertes Konzert finanziert, zu dem über 3500 Menschen kamen. Man kann sagen, dass Bands es heutzutage einfacher haben sich einen Namen zu machen, da die Szene der Achtziger beste Voraussetzungen für sie geschaffen hat. Do It Yourself bleibt trotz allem bis heute eine verbreitete Attitüde und wird noch immer stark vertreten. Unzählige junge Musiker gehen auf eigene Faust ins Studio, um ihre Platten aufzunehmen, gründen eigene Booking-Agenturen für selbstorganisierte Shows und Touren oder helfen Bands an Bekanntheit zu gewinnen, indem sie deren Alben auf ihren Webzines vorstellen. Dank des Internets und der Tatsache, dass in den westlichen Ländern nahezu jeder Jugendliche Zugang zu einem PC hat, ist es heutzutage vergleichsweise einfach, sich einen Namen zu machen und seine Musik zu verbreiten. Aber Do It Yourself bedeutet auch auf die Konzerte zu gehen und nicht bloß die CDs zu kaufen. Die Musik wurde nicht für das Regal gemacht. Die Szene lebt von den Leuten, die die die Shows besuchen und so die Bands unterstützen. Fotos machen, Motive für Bandshirts entwerfen, Bands verbreiten – das sind die Werte, die Hardcore groß gemacht haben, die ihn heute noch größer machen.

Do It Yourself | Werte

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I’M A PERSON JUST LIKE YOU BUT I’VE GOT BETTER THINGS TO DO THAN SIT ×

F CK MY HEAD HANG OUT WITH THE LIVING DEAD UP SNORT MY WHITE NOSE AROUND AND

SHIT

PASS OUT AT THE SHOWS I DON’T EVEN THINK ABOUT SPEED THAT’S SOMETHING I JUST DON’T NEED

I’VE GOT STRAIGHT EDGE I’M A PERSON JUST LIKE YOU BUT I’VE GOT BETTER THINGS TO DO THAN SIT AROUND AND SMOKE DOPE CAUSE I

KNOW

I CAN COPE

LAUGH

AT THE THOUGHT OF EATING LUDES AT THE THOUGHT OF SNIFFING GLUE

ALWAYS GONNA KEEP IN TOUCH

NEVER

WANT

TO USE A

CRUTCH

I’VE GOT STRAIGHT EDGE

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Werte | Straight Edge


IAN MACKAYE - MINOR THREAT

“EVERYBODY WAS JUST LIKE ‘HAVE A GOOD TIME AND GET HIGH’, BUT A LOT OF KIDS WERE LOOKING FOR SOMEONE WHO‘D NOT SAY THAT.“ Unverhofft kommt oft, heißt es. Auf Ian MacKaye trifft dies absolut zu. Ein Junge, der es einfach satt hatte, betrunkene und durch Drogen berauschte Punks auf Konzerten zu sehen, schrieb einen Song und wurde so zur Gallionsfigur einer ganzen Bewegung.

A

ls Ian MacKaye 1981 den Song Straight Edge schrieb, hätte er wohl nie geglaubt, dass er damit eine Massenbewegung anstoßen würde. MacKaye, der schon immer ein nüchternes Leben führte und Drogen sowie Alkohol mied, protestierte gegen die Jugend, die sich mithilfe von Rauschmitteln das Leben zerstörte. Bereits zu seinen Teen Idles-Zeiten verarbeitete er seine persönliche Überzeugung in mehreren Songs und verbreitete diese Sichtweise dann durch Minor Threat weiter. Der Song Straight Edge, welcher auf der ersten EP von Minor Threat zu hören war, schlug große Wellen in der Szene und seine Denkweise fand großen Anklang bei vielen Jugendlichen. „Es gab keinen Mangel an Leuten, die sagten: ‚Dröhn‘ dich zu.‘ Ich meine, die waren überall. In jeder Form von Musik sangen die Leute: ‚Nimm was, nimm was, nimm was.‘ Wisst ihr, Eric Clapton sang über Kokain, Lou Reed sang über Heroin, und überhaupt, alles drehte sich nur ums Kiffen.“, so Ian MacKaye. Angetrieben durch diese Idee gründeten sich viele Straight Edge-Gruppen wie 7 Seconds, SSD oder DYS und halfen so, die Bewegung weiter zu verbreiteten. Ian MacKaye, völlig überrascht von der enormen Größe, die diese Bewegung allmählich annahm, sah sich nie als Gallionsfigur der Straight Edge-Szene. Seine Texte spiegelten lediglich seine eigenen Empfindungen wieder, er sah

sie nicht als Verhaltenskodex, auch wenn er stolz darauf war, wie viele Leute seine Gedanken teilten. Aus dem 1981 erschienen Song Out Of Step leitet sich die sogennante Three-StepFormula ab, die essentiell für die Szene ist.

DON‘T SMOKE. DON‘T DRINK. DON‘T F × CK. Der Song war radikaler als Straight Edge da er nicht nur Drogen sondern auch Alkohol kritisch betrachtete. Neben dem Konsum von Rauschmitteln wurde auch eine promiske Lebensweise angeprangert. Dieser Aspekt gebot keine Enthaltsamkeit, er bedeutete lediglich, dass man seine Sexualpartner mit Bedacht wählen und respektvoll behandeln soll. Seit den Anfängen gilt das X als Symbol des Straight Edge innerhalb der HardcoreSzene, weshalb dieser Subkult oft mit SXE abgekürzt wird. Grund dafür ist das Alko-

Straight Edge | Werte

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holverbot für Jugendliche unter 21 Jahren in den USA. Da viele Gaststättenbetreiber jedoch nicht auf die junge Kundschaft verzichten wollten, kennzeichneten sie jene mit einem schwarzen X auf dem Handrücken. Dieses Zeichen wird heute noch von Konzertgängern und Jugendlichen, auch außerhalb der USA, auf Handrücken gemalt, um ihre Zugehörigkeit zu demonstrieren. Die Straight Edge-Szene blühte insbesondere in Boston auf und wurde dort sehr konsequent durchgesetzt. Militante Gangs wie die Boston Crew patroullierten durch die Straßen und machten Jagd auf Drogen-

dealer oder griffen auf Konzerten Jugendliche an, die Alkohol tranken. Der brutale Ruf des Bostoner Straight Edge lockte aufgrund des Gewaltaspekts viele weitere Jugendliche in die Szene. Die zunehmende Gewalttätigkeit des Publikums sorgte dafür, dass Minor Threat sich unwohl auf ihren Konzerten fühlten, was wiederum dazu führte, dass die Band mit der mitbegründeten Szene brach und Straight Edge den Rücken kehrte. Großen Einfluss auf Straight Edge hatte besonders die New Yorker Band Youth Of Today. Das 1987 erschienene Album Break Down the Walls gilt heute als eines der einflussreichsten Alben innerhalb der Szene. Youth Of Today beeinflussten die Verbreitung und Entwicklung von SXE in New York maßgeblich. Sie setzten sich sehr für Tierrechte und eine vegetarische oder gar vegane Lebensweise ein. Auf sie geht die sogenannte Youth Crew zurück. Dieser Begriff gilt als Oberbegriff für viele weitere Straight Edge-Bands aus dem Großraum New York.

ELGIN JAMES - FRIENDS STAND UNITED

“IF SOMEONE GETS IN MY WAY, OR IN MY FRIENDS WAY, WE GONNA BULLDOZE OVER HIM BY ANY MEANS NECESSARY.” Sie sind zahlreich, sie sind aggressiv und sie sind wütend: Sie sind die Hooligans der Hardcore Szene. Wenn sie kommen, dann gibt es Ärger. Sie stehen zusammen, denn einzeln fallen sie. Sie sind die FSU – Friends Stand United. Oder auch F*ck Sh*t Up.

E

lgin James konnte, nach mehreren Aufenthalten in Waisenhäusern, Pflegefamilien und Gefängnissen, bereits im jungen Alter auf ein sehr bewegtes Leben zurückblicken. Er versuchte nach der Entlassung aus dem Jugendgefängnis die Kurve zu kriegen, wurde aber in einer Schlägerei gefährlich verletzt. Nach einer Sprach- und Physiotherapie folgte das Leben auf der Straße und in besetzten Häusern. James wuchs zeitweise auf einer Marihuanafarm auf und wurde dort mit Alkohol- und Drogenmissbrauch konfrontiert. Dies weckte in ihm nicht nur eine Abneigung gegenüber jeglicher Form von Drogen, er entdeckte an diesem Ort auch seine Vorliebe zu Punk und Hardcore. In Boston sang er für Wrecking Crew. Zusammen mit Freunden, die er in Bostons Problembezirken kennengelernt hatte, gründete er bald F*ck Sh*t Up, auch als FSU bekannt. Als antirassistische Initiative war das Ziel der FSU, White Power Skinheads und andere rassistische Gruppierungen auf Konzerten anzugreifen und zu verprügeln, um sie so von diesen Veranstaltungen fern zu halten. Von Straight Edge-Idealen angetrieben beschränkte sich die Gang bald nicht mehr nur auf Rassisten, sondern ging auch gegen Drogendealer vor. Als moderner Robin Hood der Straße unterstützte James wohltätige Organisationen in Boston mit dem Geld, das von den Drogendealern erbeutet wurde. Die FSU fand bald großen Anklang in der Hardcoreszene und erlangte zunächst nationale Bekanntheit, hatte bald aber auch Mitglieder in Kanada und England. Besonders verbreitet war die FSU in New Jersey, New York City und Philadelphia. Als mehrere Gründungsmitglieder F*ck Sh*t Up verließen, strebte Elgin James eine posi-

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Werte | Friends Stand United

tive Weiterführung an und benannte die Gang in Friends Stay United um. Außerdem gründete er eine Stiftung im Namen der verstorbenen FSU-Mitglieder. Sie vergibt bis heute Stipendien am Berklee College of Music und der Suffolk University Law School. Trotz aller Bemühungen hat Friends Stand United noch immer einen sehr brutalen Ruf, nicht zuletzt durch Anhänger von Bands wie Death Before Dishonor oder Blood for Blood. Auch der von Elgin James produzierte Film Boston Beatdown trägt zu dem negativen Image der Gruppierung bei. T-Shirts, die die FSU thematisieren, sind auf vielen Konzerten verboten und ihnen wird darüber hinaus vorgeworfen, Hardcore durch ihre exzessiven Prügelorgien zu ruinieren.


Friends Stand United | Werte

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2WEI ANDREAS DENISE

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Zwei


AT THE CORE

OF

HEART

MY THIS IS SOMETHING

MORE THAN INK INTERVIEW: TATTOOS UND PIERCINGS IM ALLTAG

Zwei

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NAME Andreas

ALTER 25

BERUF Industriemeister Chemie / ehrenamtlicher Prüfer bei der Industrieund Handelskammer

PIERCINGS 6 - Lippe / Ohren

TATTOOS 3 - linker Oberarm innen (der Tod), linker Oberarm außen (Medusa), linke Schulter (Schriftzüge)

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Interview | Andreas


„ABER DAFÜR BIN ICH DANN DOCH INZWISCHEN ZU ALT.” Andreas, der in seinem Freundeskreis trotz seiner 25 Jahre „de Papa“ genannt wird, offenbart einen sehr vernünftigen Charakter – und das trotz ganzer vier Lippenpiercings. Der karriere- und zukunftsorientierte WahlDarmstädter beantwortet uns einige Fragen zu seinem Alltag.

Was war dein erstes Piercing beziehungsweise Tattoo? Mein erstes Piercing war ein Ring in der Unterlippe, mein erstes Tattoo die Medusa auf der Außenseite meines linken Oberarmes. Wie alt warst du da? Beim Piercing war ich 20. Das Tattoo habe ich zwei Jahre später stechen lassen. Gab es einen bestimmten Grund dafür? In erster Linie war es die Faszination für den Körperkult und die Möglichkeit sich durch ihn zu individualisieren. Außerdem interessiert mich die Geschichte der Medusa. Wie reagieren Menschen darauf? Hattest du wegen deines Körperschmucks Probleme bei der Jobsuche? Größtenteils gelassen und verständnisvoll, aber auch oft interessiert. Ältere Menschen reagieren eher mit Unverständnis und Ablehnung, zum Teil scheint es ihnen sogar Angst zu machen. Beeinträchtigt dich dein Körperschmuck im Alltag (Job, Familie / Verwandtschaft, Freunde)?

Nein, das ist in der chemischen Industrie kein Problem, da ich in meiner Tätigkeit nicht mit Kunden in Kontakt trete. Allerdings ist in Pharmabereichen aus hygienischen Gründen generell kein Schmuck gestattet, deswegen nehme ich meine Piercings dann einfach heraus. Hast du irgendwas davon jemals bereut? Nein, nicht wirklich. Würdest du weitermachen? Wenn ja, in welche Richtung?

Bisher nicht wirklich, da alle meine sichtbaren Piercings ja herausnehmbar sind, was ich hin und wieder zu bestimmten Anlässen, wie meiner Prüfungstätigkeit, auch mache.

Wenn, dann nur noch Tattoos. Obwohl ich auch überlegt habe, mir noch das ein oder andere Piercing zuzulegen – aber dafür bin ich dann doch inzwischen zu alt, finde ich. Ansonsten würde ich mir generell nur noch Tattoos stechen lassen, die ich durch Alltagskleidung verdecken kann. Was geht deiner Meinung nach gar nicht? Eigentlich darf ja jeder machen, was er will, solang er sich damit wohlfühlt, aber ich persönlich finde, dass Implantate unter der Haut, die beispielsweise Hörner oder ähnliches darstellen, doch zu weit gehen. Ebenso finde ich Bodymodification in gewissen Berufen, wie zum Beispiel als Mediziner, Anwalt oder Banker, unangebracht, solange sie unvermeidlich sichtbar ist – das ist einfach historisch gewachsen und gehört meiner Meinung nach nicht zu einem gepflegten Äußeren.

Andreas | Interview

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Andreas | Interview

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„MAN SOLLTE SICH ÖFTER FRAGEN: ’WARUM NICHT?’.” Stets gut drauf, immer unbefangen und für jeden ein Lächeln parat: So ist Denise aus Frankfurt am Main. Sie mag ihren Körperschmuck wie ihre Klamotten: bunt und verspielt.

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Denise | Interview

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NAME Denise

ALTER 24

BERUF Studentin / Angehende Kunsttherapeutin

PIERCINGS 3 - Lippe / Nase / Ohren

TATTOOS 8 - rechter Oberarm (pinker Elefant mit Luftballons), linker Unterarm (Schriftzug), linke Wade (Blumenranke mit Kolibri), Fuß (Initialen von Familienmitgliedern), linke Hüftseite (Grinsekatze), linke Schulter und linke Brust (Herz mit Schriftzug), hinter dem linken Ohr (Stern), rechte Hand (Stern), rechtes Schulterblatt (Schmetterling)

Was war dein erstes Piercing oder Tattoo? Mein Lippenpiercing kam als erstes. Meine ersten Tattoos waren die Sterne an Ohr und Hand.

von Fremden auf Tattoos oder Piercings angesprochen werde. Aber auch von jüngeren Menschen. Bei den Piercings wird von den älteren Mitbürgern meist nach der Beeinträchtigung beim Essen gefragt. Bei den Tattoos werden entweder Motiv bewundert oder nach dem Tättowierer gefragt – sowohl von Untättowierten als auch tättowierten Personen. Generell kommt aber meist die Frage nach den Schmerzen. Es gibt sicherlich auch negative Reaktionen, aber die scheinen wohl nicht so offensichtlich zu sein.

Wie alt warst du da? So circa eine Woche vor beziehungsweise kurz nach meinem achtzehnten Geburtstag hab‘ ich es stechen lassen.

Ich glaube, nicht wirklich. Man sollte sich öfter fragen: „Warum nicht?“.

Nicht wirklich. Mein zweijähriger Cousin zum Beispiel findet meine Piercings zwar irgendwie blöd, meine Tattoos aber mag er sehr. Natürlich gibt es in Familie und Freundeskreis Personen, die der Meinung sind, dass es langsam reicht oder denen das ein oder andere nicht gefällt, aber das akzeptieren sie - hoffentlich - trotzdem. Es muss ja auch nicht jedem gefallen. Die meisten Situationen mit den älteren Menschen haben sich ereignet, als ich nebenher im Einzelhandel gejobbt habe, von daher ist auch da alles prima.

Wie reagieren Menschen darauf?

Hattest du wegen deines Körperschmucks Probleme bei der Jobsuche?

Gab es einen bestimmten Grund dafür?

Auf jeden Fall positiver als gedacht! Besonders ältere Menschen sind eher interessiert und fragen nach, obwohl ich immer dachte, dass die eher negativ auf solchen „modernen Schmuck“ reagieren. Es passiert aber generell öfter, dass ich 28

Beeinträchtigt dich dein Körperschmuck im Alltag (Job, Familie / Verwandtschaft, Freunde)?

Interview | Denise

Bis jetzt nicht. Ich war allerdings auch noch nicht wirklich auf ernsthafter Jobsuche. Hast du irgendwas davon jemals bereut? Nein. Zumindest nicht, dass ich es hab machen lassen. Im Laufe der Jahre ändert sich der Geschmack ein bisschen und ich würde gern hier und da noch etwas ändern oder erwei-


tern, aber das ist kein zwingendes Muss – würde es so bleiben, wäre ich damit nicht unglücklich. Haben / hat dein Tattoo eine bestimmte Bedeutung für dich? Ja, besonders mein Schriftzug „Life is hungry at heart“. Er geht von Brust über die Schulter bis auf den Rücken. Er ist eine Fusion aus zwei Songzeilen von Emil Bulls und Maraya und spiegelt das ewig währende Leid auf diesem Planeten wieder. Die verkommene Gesellschaft voller Egoisten und Kapitalisten, die den Blick für das Wesentliche aus den Augen verloren haben. Würdest du weiter machen? Ja, auf jeden Fall. Mittlerweile glaube ich selbst auch, dass „Tättowieren süchtig machen kann“, so wie immer behauptet wird. Aber ich finde, das ist eine schöne Sucht. Es schwirren noch so viele Ideen in meinem Kopf herum, ich glaube nicht, dass das so bald ein Ende nehmen wird. Ich hoffe, ich kann bald den nächsten Termin ausmachen. Was geht deiner Meinung nach gar nicht? Generell find ich hier: Weniger ist mehr! Zugekleisterte Gesichter mit 283492 Piercings und überladene Körper sind einfach abartig. Zu große Tunnel oder Plugs auch. Außerdem noch Tribals, Arschgeweihe, Stacheldraht um den Oberarm und solche Sachen! Und die „neumodischen Bodymodifications“ wie Implantate, Brandings, Schmucknarben oder Skarifizierungen finde ich ekelhaft!

Denise | Interview

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An

KRITIK: VIOLENT DANCING AUF HARDCORE-KONZERTEN 30

Drei


DR3I VIOLENT DANCING

ndreas | Interview

Drei

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SCOTT VOGEL - TERROR

“THIS NEXT SONG WE MADE JUST FOR YOU MOTHERF*UCKERS TO MOSH! BLOW THIS F*CKING PLACE APART!” Die Band gibt alles. Fans direkt vor dem Sänger bekommen das Mikrofon in ihre Gesichter gedrückt. Drei Meter weiter hinten stehen 200 weitere Konzertbesucher. Sie nicken mit den Köpfen, während sie ihre Fäuste nach oben strecken. Vor ihnen klafft ein etwa drei Meter weites Loch. Leute verteilen Lufttritte und Schlagen mit ihren Fäusten wie wild um sich. Sie sind im Mosh-Pit – ein ganz normales Konzert eben.

Violent Dancing

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E

s gibt sie auf jedem Konzert: die Hardcore-Mosh-Krieger. Sie treten um sich, schwingen ihre Arme in nicht ganz ungefährlicher Geschwindigkeit durch den Raum und scheuen auch nicht davor zurück, Leuten auf dem Kopf herumzutrampeln. Doch ist es wirklich so gefährlich, wie es auf Außenstehende wirkt? Um zu verstehen, was diese jungen Menschen dazu bringt, sich auf Konzerten derart zu verausgaben, muss man Hardcore als Ganzes betrachten. Hardcore gilt als Gegenkultur – sie lehnt den Mainstream und ein gesellschaftskonformes Leben ab. Nicht nur das, Hardcore ist auch ein Gegenentwurf zum Punkrock. „Die Musik, die wir spielten, die Texte, die wir schrieben, hatten nichts mit Händchen halten, lächeln und anschließend im Sonnenuntergang spazieren zu tun.“ Zwar galt Punkrock bis in die späten Siebziger als rebellisch und wild, aber Hardcore trieb das Ganze noch weiter. Während sich Leute auf Punkkonzerten herumschubsten und wie tollwütig durch die Räume sprangen, fingen die Leute auf Hardcore-Shows in den Achtzigern an, sich zu prügeln und legten allgemein ein sehr hohes Gewaltpotential an den Tag. Für Außestehende damals wie heute nicht nachvollziehbar. „Ich arbeite von Montag bis Freitag. Und hier kommt Freitagnacht und ich will einfach nur abgehen. Ich hasse meinen Boss, ich hasse die Leute, mit denen ich arbeite, ich hasse meine Eltern, ich hasse all diese autoritären Figuren, ich hasse Politiker, ich hasse die Leute in der Regierung, ich hasse die Polizei. Weißt du, jeder zeigt mit dem Finger auf mich, jeder meckert an mir herum und fasst mich an. Und jetzt habe ich die Chance, mit meinen Leuten zu sein, und ich will einfach nur ausrasten. Das ist es, was es im Großen und Ganzen war.“ So wie Keith Morris von Black Flag dürfte es damals vielen anderen Jugendlichen auch ergangen sein. Sie waren anders und sie wussten es. Sie wollten einfach all ihre Wut und Frustration herauslassen. Es genügte ihnen nicht mehr, zu schreien oder sich herumzuschubsen. Doch das war damals. Wir leben in Deutschland, zählen das Jahr 2012, es fehlt den meisten an nichts. Wieso haben diese Jugendlichen es also nötig, sich derart auf Konzerten zu verhalten? Seit den Tagen von Black Flag oder Minor Threat sind nun 30 Jahre vergangen – eine lange Zeit, die viele Entwicklungen mit sich brachte. Zwar werden heutzutage immer noch viele Menschen ungläubig den Kopf schütteln, wenn sie den Begriff HardcorePunk hören, aber die auf Musiksendern immer häufiger gespielten Videos und die dadurch resultierende wachsende Popularität lassen keinen Zweifel zu: Hardcore ist am äußeren Rand des Mainstreams angekommen.

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Vielleicht deswegen suchen die meisten Jugendlichen in der Szene heute nach noch extremeren Mitteln, sich vom Mainstream abzuheben und wählen deswegen den Weg der Gewalt. Doch dieses Phänomen ist nicht neu. In der Tat begann die Hardcore-Szene bereits in den Achtzigerjahren gewalttätiger und roher zu werden und gipfelte letzten Endes in der Entstehung von Beatdown, auf deutsch umhauen. Die Musik, die auf Beatdownkonzerten gespielt wird, bietet die optimale klangliche Untermalung für jede gepflegte Schlägerei. Aber das ist nicht das Hauptproblem. Es geht nicht mehr um Frustration durch den Alltag und dessen Bewältigung. Unsere Generation – in dieser Szene wohlbemerkt – hat andere Probleme als das kapitalistische System. Es geht um‘s Image. Der Song What Happened von H2O formuliert es sehr treffend.

BUT NOW THE BIGGEST PART IS ALL ABOUT THE IMAGE AND NOT THE ART FASHION BEFORE PASSION!

Eben diese junge Generation ist es, die bereits in jungem Alter mit einer hohen Anzahl an Piercings oder gar Tattoos auf sich aufmerksam macht. Wer hat die größten Fleshtunnel, wer die meisten Piercings? Wie viel Euro sind bereits in Form von Tinte in die Haut geflossen? Wer trägt die teuerste College-Jacke, wer die engste Jeans? Und zu guter Letzt: Wer geht am meisten ab, wer ist der br00talste? Es geht um Jungs, die sich beweisen wollen. Die sich, wie sie denken, vor anderen, aber doch am ehesten vor sich selbst, beweisen müssen. Geht man auf Konzerte, wird man kaum Leute jenseits der 25 treffen, die akrobatische Tritte ausführen oder herumboxen. Betrachtet man die selbstbetitelten br00tal-Kids, so wird einem das doch meistens recht niedrige Alter auffallen. Viele von ihnen sind oft keine 20 Jahre alt. Es schütteln mittlerweile nicht mehr nur

diejenigen ihre Köpfe, die mit der Szene und ihren Eigenarten nicht vertraut sind – der Protest kommt auch aus der Szene selbst. Egal ob auf T-Shirts, auf Stickern oder auf Bildern im Internet, man findet immer häufiger Sprüche wie „Enough of your tough guy bullshit – keep Hardcore positive“, die das übertriebene Machogehabe vieler Konzertgänger ablehnen. Man verstehe mich nicht falsch. Ich habe nichts gegen Leute, die ihren Spaß haben wollen. Ich habe nichts gegen Leute, die stagediven oder gegen die Leute im MoshPit. Im Gegenteil. Ich gehe eben wegen der Stagedives, der Walls of Death oder Circlepits dort hin – und in gewisser Weise auch wegen der Leute, die vor der Bühne ihre eigene Show abliefern. Was ich nicht verstehe sind die Leute, die ohne Rücksicht auf Verluste um sich schlagen und auf Unbeteiligte losgehen. Jeder, der im Mosh-Pit ist, weiß um das Risiko, weiß um die Verletzungsgefahr. Vermutlich sollte es jeder Konzertgänger wissen. Trotzdem verdirbt es anderen den Spaß, wenn man ihnen unvermittelt an den Kopf schlägt oder in die Rippen tritt. Es ist schlicht und ergreifend egoistisch, andere für den eigenen Spaß zahlen zu lassen. Überraschenderweise sind ernsthafte Verletzungen ziemlich selten. Wer hinfällt, hat in fast allen Fällen gleich zwei oder drei andere Leute um sich stehen, die einen vor den anderen schützen und wieder auf die Beine helfen. Man entschuldigt sich, wenn man jemanden offensichtilich verletzt hat oder mit seinem Spaß zu weit gegangen ist. Vielleicht ist es auch nur der übliche Generationenkonflikt. Haben sich nicht bereits die alten Bürger im antiken Rom über die immer verdorbenere Jugend beklagt? Leben und leben lassen – vermutlich sollte man den ganze Konflikt so betrachten und die Jungen einfach das sein lassen, was sie sind: unsicher und nach einem Weg, einer Konstante suchend. Wenn Hardcore, nein, wenn es Musik im allgemeinen sein kann, und dies ihre Art ist, zu der Szene beizutragen, dann soll es so sein. Dennoch, man muss den Kids klar machen, dass man andere Menschen nicht so respektlos behandeln darf. Spaß haben, ja. Moshen, ja – aber nicht um jeden Preis. Damit sich etwas ändert, sind aber auch vor allem die Bands gefragt. Aber wie soll das geschehen, wenn Musiker von Bands wie Trapped Under Ice auf Fans losgehen und sie zusammenschlagen? Mit solchen Menschen als Vorbildern wird es schwer, einen Wandel herbeizuführen. Überhaupt scheinen viele der Musiker ihre Vorbildfunktion vergessen zu habe, wobei es fraglich ist, ob so ein Bewusstsein je existiert hat. Stagedive? Circlepit? Wall of Death? Die Aufklärung folgt auf Seite 35.


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DAS EINMALEINS DER HARDCORE-KONZERTE Ob Punk-, Hardcore- oder MetalKonzert: Diese drei Elemente sind Bestandteil jedes guten Konzertes. Ein paar Tipps, um sich vor dem Gröbsten zu schützen.

DER STAGEDIVE Stagediven ist simpel: Man muss sich bis nach vorne kämpfen und auf die Bühne klettern. Anschließend springt man – nach aufmerksamer Analyse, denn niemand will auf dem harten Beton landen – in die Menge. Auf größeren Konzerten fallen Stagedives schwer, da meistens ein sogenannter Wellenbrecher direkt vor der Bühne zum Einsatz kommt. Die Securities, die dort warten, ersticken für gewöhnlich jeden Versuch im Keim.

DER CIRCLEPIT Die Interaktion zwischen Band und Fans ist auf den meisten Konzerten sehr einfach. Der Frontmann befielt, die Menge gehorcht. Ruft der Sänger zum Circlepit auf, so bedeutet es: Platz schaffen, den Mosh-Pit ausweiten, sodass ein großer Kreis entsteht. Sobald das Signal gegeben wird, einfach loslaufen und im Kreis rennen. Auf keinen Fall in die entgegengesetzte Richtung laufen und außerdem Leuten, die hinfallen, immer sofort aufhelfen. Der Circlepit ist meistens ungefährlich und besonders praktisch, wenn man hinten steht und nach vorne möchte. Doch Achtung: Sobald das Gelaufe aufhört, fängt meistens das Gemoshe an.

DIE WALL OF DEATH Die Wall of Death ist eben so fies wie einfach. Angeblich geht sie auf die Band Sick Of It All zurück. Der gesamte vordere Bereich teilt sich in der Mitte und bildet zwei Seiten, sodass sich die Fans anschließend auf diesen beiden Seiten gegenüber stehen. Oft folgen darauf einige Sekunden des Wartens, bis das Zeichen gegeben wird. Auf Kommando rennen sich beide Hälften entgegen, um anschließend mit voller Wucht aufeinander zu treffen. Nicht selten passiert es, dass jemand mit den Füßen voran springt und so heftige Verletzungen verursacht, weshalb die Wall of Death mit Vorsicht zu genießen ist. In Anlehnung auf die Schlachten im Mittelalter-Epos von Mel Gibson, auch Braveheart genannt, ist die Wall of Death nichts für Konzertneulinge.

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IMPRESSUM

TEXTE / FOTOS / GRAFIKEN / ILLUSTRATIONEN Arnold Léva LEKTORIAT Lisa Rosignol DRUCK M. J. Raak GmbH Berner Straße 38 60437 Frankfurt am Main QUELLENANGABEN http://en.wikipedia.org/wiki/Hardcore_punk http://en.wikipedia.org/wiki/Straight_Edge http://en.wikipedia.org/wiki/Friends_Stand_United American Hardcore, Paul Rachmann, 2006 FOTOMODELLE Andreas Streuber Denise Tekol

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Impressum


Arnold Léva Mtr. # 466 458 Interdisziplinärer Entwurf WS 2011/12 Betreuung: Prof. Christine Wagner Prof. Dr. Cornelia Freitag-Schubert Dipl. Des. Philipp Böttcher Hochschule Rhein-Main



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