Mobiles Lernen – das gesammelte Weltwissen in der Schulmappe

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Eine Beilage der Wochenzeitung WOZ Nr. 38

20. September 2012

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ILLUSTRATIONEN: PHILIP SCHAUFELBERGER

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Laptops, Tablets und Smartphones verschaffen uns mit einem Klick Zugang zum grössten Wissensspeicher der Welt. Sie verändern unser Lehren und Lernen. Doch führt das auch zu mehr Chancengleichheit?


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Die Revolution macht nicht vor der Schule halt

Digital Native oder digital naiv? Medienpädagogin Petra Grell über Strategien im pädagogischen Um gang mit den neuen Medien . Seite 4

Kein Punkt für die «Piramide» Wenn der Lehrer mehr ans iPad glaubt als seine Schü lerlnnen . Eine Reportage. Seiten 7-11

Im Reich des Apfels Wer auf mobiles Lernen setzt, hat es schwer, den Kosmos des Softwaregiganten zu verlassen . Seite 11

Mal mit, mal völlig ohne 98 Prozent der Jugendlicheh besitzen ein Handy- aber jede Lehrkraft stellt eigene Regeln für den Um gang damit auf. Seite 12

Wissen ist im Kopf Wer ständig vom Neuen Lernen spricht, sollte sich an ein paar alte Weisheiten erinnern. Seiten 15-17

Kaputte Kisten Was passiert, wenn man Hunderttausenden Schülerinnen einen Laptop gibt? Seiten 19-20

Digitale Panik Manfred Spitzers Buch «Digitale Demenz» macht Eltern Angst vor der Zukunft. Seite 21

Tausche Deutsch gegen Spanisch Das Internet machts möglich, Sprachlehrerin und -schülerin in einer Person zu sein. Seite 21

Das Sofa als Hörsaal Das Studium an der Fernuniversität im deutschen Hagen ist kein Zuckerschlecken . Seite 23

Nie war es einfacher, sich Wissen anzueignen- so scheint es auf den ersten Blick. Von einem Computer oder einem Handy aus lässt sich flugs das gesammelte Weltwissen im Internet anzapfen. So steht in praktisch jedem Haushalt der Schweiz ein Computer, 95 Prozent verfügen über einen Internetanschluss. Und bereits in der sechsten !<lasse besitzen fast alle I<inder ein Handy. Schon Dreikäsehochs googeln Wörter oder lassen sich über YouTube erklären, wie etwas funktioniert. Die digitale Revolution hat einen fundamentalen Wandel eingeleitet, der auch vor den Bildungsinstitutionen nicht haltmacht. Noch überwiegen Handyverbote, doch scheinen sie oft weniger der Ordnung im I<lassenzimmer geschuldet als der Machterhaltung - eine pädagogische Bankrotterklärung, finden viele Medienpädagoglnnen. Zugleich wird bemängelt, dass kaum eine pädagogische Hochschule den angehenden Lehrerinnen das technische und didaktische Rüstzeug vermittelt, um Smartphone oder iPad sinnvoll in den Unterricht zu integrieren. Tatsächlich? Mittlerweile sind durchaus Pionierinnen am Werk, die Smartboards, iPads und iPhones ins Klassenzimmer holen und sie als Werkzeuge zum Lernen im Unterricht ausprobieren. Pädagogische Hochschulen unterstützen sie dabei. Die Projekte verweisen auch auf Ambivalenzen, die mit dem Einsatz digitaler Geräte im I<lassenzimmer auftauchen. So ist etwa der IT-Gigant Apple drauf und dran, sich im Bildungsbereich eine monopolähnliche Marktstellung aufzubauen. Immer deutlicher wird auch, dass ein himmelweiter Unterschied besteht zwischen dem überall und jederzeit verfügbaren Wissen im Internet und seiner Nutzung andererseits. Das zeigen insbesondere westliche Initiativen in den Entwicklungsländern: Der Glaube, allein mit dem Zugang zu digitalen Geräten und Internet könne man Kinder aus der Bildungsmisere herausholen, hat sich als vollkommen naiv entpuppt. Die versammelten Beiträge dieser Bildungsbeilage zu mobilem Lernen machen deshalb vor allem eines deutlich: Die Informationsgesellschaft ist mehr denn je auf Wissensvermittlerinnen angewiesen. Denn nur wer gelernt hat, kritisch mit digitalen Technologien und Wissensschätzen umzugehen, kann effizient durch die Informationsflut navigieren und vermag sich selbstständig darin zu orientieren. Die Illustrationen zu dieser·Bildungsbeilage stammen von Philip Schaufelherger (31), der als freischaffender Illustrator und Cerniezeichner in Zürich arbeitet. 2010 erhielt Schaufelherger den « Gender & Diversity»-Preis der Hochschule Luzern für seinen Reportagecernie «Hier. Dort. Diese Strasse», seine Abschlussarbeit im Studienbereich IllUStratiOn. DANIEL STERN UND FRANZISKA MEISTER

Wenn Sie weitere Exemplare dieser Beilage wünschen , dann m elden Sie sich bitte bei der WOZ unter Tel. 044 448 14 14 oder bei woz@woz.ch .

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IMPRESSUM Eine Beilage der Wochenzeitung WOZ Nr. 38 vom 20. September 2012 Re d a ktion: Franziska M eister, Daniel Stern Bildre daktion: Andreas Bodmer Abschluss: Armin Büttner Layout: Marcel Bamert, Alina Günter, Franziska Meyer Korre ktorat: WOZ-Korrektorat Inserate: Roger Baldinger, Stephan Müller, Roger Odermatt Verla g : Genossenschaft infolink Adresse: WOZ Die Wochenzeitung, Hardturmstrasse 66, 8031 Zürich. Telefon 0 44 448 14 14, www.woz.ch.


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Die deutsche Medienpädagogin Petra Grell warnt: Auch wer mit digitalen Medien aufwächst die sogenannten Digital Natives -,ist mitunter digital naiv. Und wer den Sprung in die digitale Welt scheut, läuft Gefahr, den Anschluss zu verlieren. Gefragt sind neue Bildungsstrategien. INTERVIEW: FRANZISKA MEISTER

WOZ: Frau Grell, «lebenslanges Lernen» ist eines der grossen Schlagworte unserer Zeit. Digitale Medien sollen uns das versüssen - wie sehen Sie das? Petra Grell: Mit den digitalen Medien eröffnen sich tatsächlich neue Möglichkeiten. Wir haben in grösserem Umfang Zugriff auf Informationen und Wissen, und wir können in Gruppen kommunizieren. Doch die Heilsvorstellung, dass durch das Web 2.0 alle an unserer Gesellschaft partizipieren, ist eine Illusion. Auch der grosse E-Learning-Hype hat sich wieder etwas abgeschwächt. Ebenso gibt es eher populärwissenschaftliche Stimmen, die Untergangsstimmung verbreiten mit der Sorge, durch die neue Entwicklung würde die gesamte Kulturgesellschaft zusammenbrechen. Doch Tatsache ist: Die Bedeutung, die der digitale Wandel für unsere Kultur hat, wird heute noch erheblich unterschätzt. Sie meinen, wir stecken mitten in einer kulturellen Revolution? Die Veränderungen sind enorm, gerade wenn wir von mobilen Geräten wie Smartphones ausgehen. Mit ihnen wird das Internet allzeit verfügbar. Egal wo - mir steht eine gigantische Informationsquelle zur Verfügung. Das war früher anders: Man musste den Weg in die Bibliothek oder zu einem Experten finden, was alles mit einem gewissen Zeitaufwand verbunden war. Jetzt kann man immer sofort auf dieses Wissen zugreifen. Und man kann sich jederzeit mit anderen darüber austauschen, man kann seine Sicht der Dinge ausdrücken. Und manche nutzen es intensiv im Alltag. Schon mit dem Aufkommen der Handys und den SMS konnten wir beobachten, wie gerade Jugendliche dieses ständige InKontakt-Sein begeistert aufgegriffen haben. Und wo liegt das Problem? Die Notwendigkeit, sich in diesem Umfeld zu orientieren, wird immer grösser. Denn die Informationen, die mir immer und überall zur Verfügung stehen, sind nicht per se richtig, angemessen oder gut. Und wenn ich nicht über die entsprechenden Strategien verfüge, finde ich die Information, die ich suche, vielleicht auch gar nicht. Das heisst, all diese digitalen Medien eröffnen nicht nur Möglichkeiten, sondern machen es auch notwendig, dass man mit ihnen angemessen umgehen kann. Und hier gibt es erhebliche Unterschiede in den jüngeren Generationen: Nicht alle _verfügen über die notwendigen Kompetenzen, sich in diesem Netz zu orientieren. Dann sind die sogenannten Digital Natives also ein Mythos? •

Vermittelt mobiles Lernen Kindern und Jugendlichen so auch Kompetenzen, die der herkömmliche Unterricht nicht vermitteln kann? Ja, auf jeden Fall. Gerade was den kompetenten Umgang mit digitalen Medien betrifft. Im Rahmen eines Projekts erleben die Kinder und Jugendlichen digitale Medien als ganz selbstverständliches Werkzeug zum Erarbeiten und Präsentieren von Ergebnissen. Und sie lernen, digitale Medien dazu zu nutzen, sich als handelnde Menschen die Welt anzueignen. Es geht also auch um die Fähigkeit, teilnehmen zu können an der Gesellschaft. Das sind Kompetenzen, die immer notwendiger werden, um Sind die fehlenden Expertinnen und Experten sich als Persönlichkeit entfalten zu können: auf nicht einfach ein Generationenproblem? Information zugreifen, kommunizieren, mitbeHätten Sie mich das vor ein paar Jahren ge- stimmen zu können. fragt, hätte ich das bejaht. Ich dachte lange, dass sich das Problem mit den nachfolgenden Gene- Wie ist das bei Erwachsenen, die sich nur mit rationen auflöst. Das glaube ich jetzt nicht mehr. analogen Medien auskennen? Vermögen sie sich in einer immer stärker digital geprägten Welt Was macht Sie so skeptisch? überhaupt noch selbstbestimmt zu bewegen? Die Medienbildung, die Medienpädagogik Es besteht tatsächlich die grosse Gefahr, und auch die Mediendidaktik werden viel zu we- dass diese Leute abgehängt werden. Denn wenn nig in die pädagogische Ausbildung integriert. man seine Strategien zu r InformationsbeschafDort fristen sie immer noch ein Nischendasein - fung und zur Kommunikation in vordigitalen als handelte es sich um blosse Nebenkompe- Zeiten entwickelt hat, dann sieht man erst mal tenzen. Das spiegelt in keiner Weise die Tatsa- keinen Grund, warum sich das ändern sollte. Ich che, dass wir heute in einer digital und medial halte es für wichtig und absolut notwendig, für geprägten Kultur leben. solche Leute immer wieder Bildungsangebote zur Verfügung zu stellen . Das mit den Digital Natives stimmt so tatsächlich nicht, das belegen verschiedene Studien. Wer mit digitalen Medien aufwächst, ist nicht zwingend digital kompetent, sondern vielleicht auch nur digital naiv. Kinder und Jugendliche brauchen dringend Unterstützung, um die Kompetenzen zu entwickeln, die notwendig sind, um sich in einer digital geprägten Kultur bewegen zu können. Das ist eine grosse Herausforderung, zumal wir nicht davon ausgehen können, dass das pädagogische Fachpersonal, also die etwas ältere Generation, über diese Kompetenzen verfügt.

Und wie wollen Sie ausgerechnet älteren Menschen, die das Berufsleben hinter sich haben, digitale Welten schmackhaft machen? Wir wissen aus Alltagsbeobachtungen, dass gerade die Grosseh erngeneration dann anfängt, sich mit digitalen Medien und dem Internet zu beschäftigen , wenn sie zum Beispiel mit ihren Enkeln per Skype kommunizieren kann. Dann entsteht nicht nur Interesse, sondern das Ganze bekommt für sie auch eine Bedeutung. Solche Möglichkeitsräume nicht nur für Grosseitern zu schaffen, sondern dafür zu sorgen, Petra Grell. dass kein Mensch von der digitalen Kultur abgeschnitten bleibt, halte ich für ganz wichtig. Es Gibt es denn überhaupt konkrete mediendidak- geht nicht darum, Computerkurse anzubieten tische Ansätze für die Schule? das sind reine Trockenübungen. Es geht darum, Die gibt es - aber viele dieser Ansätze sind für konkrete lebensumweltliehe Situationen und leider noch nicht in den pädagogischen Hoch- Interessenlagen Angebote zu kreieren, wo jede schulen, geschweige denn im Klassenzimmer und jeder seinen eigenen Zugang entwickeln angekommen. Im sogenannt situierten Lernen kann, um sich die digitale Welt zu erschliessen. etwa knüpft man an konkrete komplexe Pro- Das hat viel mit sozialer Gerechtigkeit zu tun. blemsituationen aus dem Lebensalltag der Lernenden an. Und auch forschendes Lernen lässt Petra Grell (44} ist Erziehungswissenschaftlerin und Professorin für Medien und lebenslanges Lernen sich mit digitalen Medien - als Werkzeug in den an der Universität Pot sdam . Sie lehrt und forscht zur Händen der Lernenden - komplex umsetzen. Didaktik mit digitalen Medien .


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Mathematik, Geografie, Sexualkunde: In Affoltern am Albis unterrichtet ein Sekundarlehrer mit iPads. Seine Euphorie für die pädagogischen Einsatzmöglichkeiten des Tablet-Computers wird allerdings von unerwarteter Seite gebremst: von den Schülerlnnen. VON FRANZISKA MEISTER

«Oh, die erste grosse Liebe ist in der Mathematik gelandet - ich hab sie schon überall gesucht.» In den Schulbänken der Sekundarklasse 2c in Affoltern am Albis wird gekichert, Lehrer Peter Mathis verschiebt derweil mit dem Zeigefinger das falsch abgelegte Dokument vorne auf der elektronischen Wandtafel, dem sogenannten Smartboard, in den Menschenkunde-Ordner. Die schwarze Wandtafel dahinter wirkt mit ihrem eisernen Schwammhalter und dem überdimensionierten Lineal aus weissem Plastik wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten. Lehrer Peter Mathis setzt in seinem Schulzimmer auf digitale Medien. Das Smartboard dient n icht allein als interaktive Wandtafel, es präsentiert auch Filme, Fotos, Schulbuch- oder Internetseiten. Steuern lässt es sich per Fingertipp von einem iPad aus. Seit einem Jahr setzt Mathis die Tablet-Computer der Firma Apple in seinem Unterricht ein. Mittlerweile steht jeder Schülerin und jedem Schüler ein iPad zur Verfügung. Die Mathestunde hat begonnen. Mathis turnt mit seiner Klasse in schwindelerregendem Pingpong durch die verschiedenen Darstellungsformen von Teilen eines Ganzen: dezimal, prozentual oder als Bruch. Dazu blendet er auf dem Smartboard immer neue Aufgaben ein und schreibt die Lösungen, die ihm die Schülerinnen zurufen, mit ein em dicken roten Stift direkt

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auf das Smartboard. Das neue Mathebuch und Für Peter Mathis gehört die Zukunft des die zugehörigen Arbeitsblätter hat er in seinen Unterrichts dem digitalen Lernen und dem iPad Computer eingescannt, so steht ihm alles elek- im Besonderen. Dabei steht Mathis selbst kurz tronisch zur Verfügung. vor der Pensionierung. «Ich will mich als Lehrer im Unterricht nicht zu lange mit der Technik herumschlagen», sagt er. «Das iPad ist intuiDem iPad gehört die Zukunft tiv benutzbar. Die Schüler lernen den Umgang Am nächsten Tag . wird die 2c eine Prüfung damit, indem sie einfach ausprobieren.» Zudem schreiben. Zur Vorbereitung sollen sie zu Hause seien die Tablets sofort einsetzbar, das lästige noch ein Arbeitsblatt lösen und Warten, bis alle ihren Computer in der Dropbox ablegen, dem virhochgefahren haben und starttuellen Ordner im Internet. Darin «Wenn wir etwas bereit sind, entfällt. Das gefällt stellt der Lehrer Unterrichtsmate- nachschauen auch den Schülerinnen. «Wenn rialien, Aufgabenblätter und auch wollen, geht das wir etwas nachschauen wollen, Lösungen bereit. Die Schülerinnen geht das viel rascher als mit dem viel rascher als ihrerseits geben dort ihre HausCompi», sagt ein Junge, «mit dem aufgaben ab. Alles funktioniert mit dem Compi.» iPad sind wir mit einem Klick im elektronisch und ohne Papier. Internet.» Ein Schüler Auf dem Smartboard erKlassische Computer, ist scheint jetzt eine Art ZeichentrickPeter Mathis überzeugt, werden film, den Mathis von seinem iPad innerhalb der nächsten zehn Jahaus abspielt: Kugeln mit Brüchen, re wieder aus den Schulen verDezimal- und Prozentzahlen tanschwinden. «Es ist viel billiger, zen auf und ab. «Ich habe euch ein neues App, das jeden Schüler, jede Schülerin mit einem iPad Spiel <Numberline>, auf das iPad geladen», sagt auszurüsten, als in jedes Schulzimmer zwei bis Mathis und demonstriert, wies funktioniert: Die vier Computer zu stellen, wie es das aktuelle verschiedenen Kugeln müssen möglichst schnell Budget zulässt.» Die Pflege der ganzen Infrain die richtige Reihenfolge gebracht werden. struktur mit Computerraum und Server entfalle, «Das könnt ihr jetzt glefch mal testen und schau- den Support könne man als Lehrer weitgehend en, welches Level ihr erreichen könnt.» selbst leisten. •


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Ausserdem können die Schülerinnen mit Begrüssung die Hand zu drücken. «Heute dreein paar Klicks das gesammelte Weltwissen aus hen wir ein kleines Filmchen», beginnt Peter dem Internet anzapfen. «Hier lege ich sehr viel Mathis die Doppelstunde Sexualkunde. «In der Wert auf einen kritischen Umgang mit der Info- letzten Stunde gings ums Küssen . Was kommt flut im Netz», sagt Mathis. Wenn seine Schüler- jetzt ?» Verlegenes Kichern in den Bänken. Ein Innen im Internet arbeiten, verlangt er, dass Vorwitziger ruft: «Geschlechtsverkehr!», doch sie stets mindestens zwei Informationsquellen der Lehrer schaut weiter in die Runde, aus der angeben. Ausserdem dürfen sie ihre Texte nicht kaum jemand seinen Blick erwidert, bis dann einfach im Copy-paste-Verfahren zusammen- schliesslich ein Mädchen etwas nuschelt, das basteln. «Ich habe ein Verfahren, mit dem ich Mathis dankbar aufgreift. «Ja, die erste grosse herausfinden kann, ob sie ihre Sätze selber for- Liebe», er öffnet das falsch platzierte Dokument vom Morgen auf dem Smartboard. «Was macht muliert haben.» Zum Beispiel, wenn die Schülerinnen man denn da?» Vorträge im Fach Geografie zusammenstellen. Das ist nach dem Mittagessen aber noch nicht Gut für das Selbstvertrauen gefragt. Die Klasse 2b beschäftigt sich in der ersten Nachmittagsstunde mit Urvölkern im Die Klasse ist kaum zu aktivieren, und so spielt 21. Jahrhundert. Peter Mathis kündigt an, drei Mathis nach wenigen Minuten eine Fernsehsendung für Jugendliche zum Thema Dokumentarfilme über das halbein: eine Art Talkshow mit szenomadische Hirtenvolk der Hirnnischen Einblendungen, Anrufen ba in Namibia zeigen zu wollen - «Geometrie ins Studio und betont locker und «drei Filme mit drei unterschied- auf dem iPad? cool auftretenden Expertinnen . lichen Botschaften». Mit einem Das ist doch mit Und dann sind die SchülerKlick auf sein iPad startet Mathis Hand und Zirkel Innen der 2c dran. Einen ersten den ersten Film, und das SmartFlirt sollen sie inszenieren und board wird zur Kinoleinwand. Im sinnvoller.» mit dem iPad filmen - zu dritt. Anschluss bleibt nur .noch wenig Ein Schüler Plötzlich ist der Tumult gross. Ein Zeit für die Schülerinnen, um auf dem iPad in «Pages», einem . Junge setzt dem Lehrer wortreich auseinander, weshalb er so etwas Textverarbeitungsprogramm für mobile Geräte, Stichworte zu den unmöglich tun könne. Ein Mädunterschiedlichen Präsentationen chen fragt: «Dürfen wir auch nach· der Himba zu notieren. Zu Hause sollen sie draussen in den Hof gehen?» - «Lieber nicht», das ergänzen, auch mit eigenen Recherchen im sagt Mathis, «sonst kommt noch ein Lehrer und Internet. nimmt euch das iPad weg.» Das Schulreglement «Der dritte Film ist von mir», verrät Mathis, verbietet den Schülerinnen, sich ohne explizites während ihm die Schülerinnen der 2b ihre Hän- Einverständnis auf dem Areal mit Handys und de zum Abschied hinstrecken und zur nächsten anderen mobilen Geräten gegenseitig zu foto • Unterrichtsstunde davontrotten. In seinem Wei- grafieren oder zu filmen . Leidgeprüfte iPad-Geprüfte terbildungsurlaub hat er Naturvölker in Afrika Peter Mathis gibt seinen Schülerinnen Tatsächlich teilen längst nicht alle die Begeiste- besucht und sich mit den Widersprüchen zwi- noch ein paar kurze Tipps, wie sie das iPad als rung ihres Lehrers für den iPad-Unterricht. Vor schen traditioneller Lebensweise und wachsen- Filmkamera einsetzen können, und entlässt sie allem die Mathematik sei zu Beginn des letzten den Touristenströmen auseinandergesetzt. Bis dann mit dem Hinweis, es sei Vertrauenssache, Schuljahrs zu kurz gekommen, weil sie erst·mal Ende des Jahres will er dazu einen Buchbeitrag dass die Filme nicht rausgehen würden. Er werdas iPad hätten kennenlernen müssen, sagt ein schreiben. Für mobile Geräte. de sie am Ende der Stunde alle auf seinen Computer laden und in den iPads löschen. grosser, schlaksiger Bursche in der Pause. Die andern Klassen seien im Schulstoff bereits viel Sexualkunde mit dem iPad «Meine Erfahrung ist, dass sie viel seriöser weiter gewesen. «Herr Mathis wollte uns auch arbeiten, wenn sie sich beim Rollenspiel filmen, Geometrie auf dem iPad beibringen», sagt ein Das kam so: Mitte Juli nahm Peter Mathis an als wenn sie direkt vor der Klasse spielen», sagt anderer. «Dabei ist es doch viel sinnvoller, das einer Apple-Konferenz in Irland teil. 240 Men- Mathis, als sich das Klassenzimmer geleert hat. schen aus der ganzen Welt waren dabei. «Es «Gerade in solchen Situationen ist das iPad ein von Hand und mit dem Zirkel zu machen.» Als ein Mädchen Prüfungen auf dem iPad ging darum, dass man neu für das iPad auch _Bü- pädagogisch wertvolles Instrument.» Für die erwähnt, reden plötzlich alle durcheinander. cher schreiben und via Apple-Store publizieren Jugendlichen sei es schon schwierig genug, eine «Wir hatten mehr Tests als die andern Klassen»; kann.» In den Sommerferien reiste er gleich an Stimmung ausdrücken und dazu vielleicht sodie nächste von Apple gesponserte gar über ihren Schatten springen zu müssen. «der Lehrer macht sie häufiger, Weiterbildung - einen Wochen- «Das iPad ist unkompliziert und sofort einsatzweil er viel weniger Aufwand hat mit dem Korrigieren»; «dabei ist «Wir sind froh, kurs, in dem man lernte, mit den bereit - man sieht gleich, wie die Szene herausneuen Werkzeugen umzugehen, gekommen ist, kann sie mit ein paar Klicks verdie automatische Benotung voll müssen wir die die der Konzern für die Entwick- ändern oder nochmals drehen.» Laut Mathis scheisse: Schreibt man ein Wort Tests nicht mehr lung interaktiver Lehrbücher hilft das iPad den Jugendlichen, Selbstvertrauen falsch, wird die ganze Antwort als auf dem iPad entwickelt hatte. «Ich arbeite mit aufzubauen. falsch gewertet.» Wer etwa «Pira- machen.» sechs Lehrern aus England, Irland, Kurz vor den Sommerferien hat die Euphomide» statt «Pyramide» schreibt, Schottland, Mexiko und Austra- rie von Peter Mathis allerdings einen gehörigen kriegt keinen Pun'kt, auch wenn Eine Schülerin lien an eineni Buch, das sich an Dämpfer erfahren. Parallel zum Ersinnen einer er die gesuchte geometrische junge Lehrer richtet und ihnen Flirtgeschichte erzählen zwei Jungs von einer Form richtig erkannt hat. mit Anleitungen und Beispielen Nachrichten-App, über die sich einige Schüler«<rgendwann gilt es ernst • zeigt, wie man das iPad im Un- Innen während der Prüfung über die Resultate mit der Rechtschreibung», kontert terricht einsetzen kann», sagt ausgetauscht hätten. «Der Lehrer war fuchsteuPeter Mathis beim Gespräch in der Mittagspause. «Immerhin müssen sie schon Mathis. Ende des Jahres soll es auf «iTunes U», felswild, als er dahintergekommen ist.» Peter Mathis spricht von eine·m Vertraubald ihre ersten Bewerbungen für eine Lehrstel- der Bildungsplattform von Apple, veröffentlicht ensbruch, der ihn masslos enttäuscht habe. Aber le verschicken.» Als Lehrer, so betont er, habe er werden. In der Zwischenzeit sind erneut die Schü- verhindern lasse sich so etwas kaum. Da half heute vor allem die Aufgabe, die Jugendlichen für ein leben slanges Lernen vorzubereiten . «Mit lerinnen der 2c ins Klassenzimmer geströmt auch das siebenseitige Reglement zum Umgang und drängen sich um ihren Lehrer, um ihm zur mit dem iPad nicht, das Mathis vor einem Jahr dem iPad lässt sich lustvoll lernen.» Zumindest wenn man wie Peter Mathis das betonen seine Schülerinnen immer wieder - Hobby und Beruf miteinander vermählt hat. Seit 25 Jahren arbeitet er bereits mit Produkten von Apple im Unterricht und auch mit der Firma selbst zu sammen: Er gehört zu den sogenannten «Apple Distinguished Educators», vor einem Jahr hat ihm der Konzern sogar den Titel ·«Apple Professional Developen> verliehen - alles im Zeichen der weltweiten Bildungsoffensive des Konzerns (vgl. «Ein Apfel in jedes Kinderherz», Seite 11). Mathis zeigt andern Lehrerinnen, wie sie iPads im Unterricht einsetzen können, und bildet ganze Schulhäuser im Umgang mit den Geräten aus. Und er gibt freimütig zu , dass er sich von Konzernen abhängig macht, wenn er mobiles Lernen im Unterricht einführen will. Vielen Lehrpersonen gehe es genauso mit den obligatorischen Lehrmitteln. Peter Mathis begutachtet immer wieder neue Programme für mobile Geräte, kurz Apps genannt, für den Unterricht. «Es geht darum, den richtigen Mix für das Schulzimmer zu finden.» «Numberline» etwa sei ein gutes Beispiel: einfach gebaut, sofort verständlich und den Denkprozess anregend, weil man, ohne grosse Hürden zu überwinden, rasch ein paar Level im Spiel schaffen könne. Das stachle den Ehrgeiz an, und der Trainingseffekt sei enorm. In der 2c sind mittlerweile alle über ihr iPad gebeugt. Manche ziehen den Zeigefinger über den Bildschirm - sie spielen «Numberline». Andere tippen etwas ins iPad. Ob sie die Hausaufgaben abschreiben oder mit einem Klassenkollegen am Chatten sind, bleibt dabei offen. «Allzu spannend war das also nicht», kommentiert einer auf dem Weg nach draussen.


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ausgearbeitet hat und von Schülerinnen und Eltern unterzeichnen liess. «Ich finde, der Lehrer kann nicht von uns erwarten , dass wir nichts Unerlaubtes tun während de r Schulstunde, wenn wir. ein iPad mit all diesen Möglichkeiten vor uns haben», sagt ein weiterer Schüler. «Wir können jederzeit ins Internet , um etwas nachzu schauen. Dabei werfen wir vielleicht halt auch noch einen Blick in ein YouTube-Video.» Und einmal hätten sie bei einer Prüfung im Fach Mensch und Umwelt einfach alles im Internet oder in den Unterlagen, die in der Dropbox lagen, nachgeschaut. Die Affäre endete schliesslich vor der Schulleitung. «Weil wir gespickt haben , dürfen

Und es macht auch Spass. Aber ob es für den Unterricht wirklich etwas bringt, ob es auch einen Lerneffekt hat, da bin ich mir nicht so sich er.» Ein Zurück ins analoge Klassen zimmer ist für Peter Mathis unvorstellbar. Auch h eute wird der Lehrer noch bis spät in die Nacht vor dem Computer sitzen, um mit seinen internationalen Teamkollegen auf einer virtuellen Austauschplattform am Buch für «iTunes U» weiterzuarbeiten . «Ich bin schon sehr viel im Net z unterwegs und hole mir Inputs und Ideen, auch Es gibt kein Zurück aus der Community der Apple Developers», sagt Und nach den Ferien? «Ich weiss nicht, ob das er. «Es läuft immer-viel. Pro Abend bin ich zwei gut kommt», sagt ein Junge nachden k lich. «Mit bis vier Stunden an d er Arbeit - Stunden vorbedem iPad kann man einfach viel zu viel machen . reiten, Kontakte pflegen.»

wir das iPad bis zu den Herbstferien eigentlich nicht mehr gebrauchen», sagt ein Schüler, der gerade damit beschäftigt ist, die erste Aufnahme der Flirtszene zu beschneiden. «Nur noch ausnahmsweise.» Vermissen sie es? Schulterzucken reihum. «Nicht so stark - wegen der Tests», sagt ein Mädchen, die andern nicken. «Wir sind • froh, müssen wir die nicht m ehr auf dem iPad machen.»

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Alles funktioniert, alles ist intuitiv benutzbar, alles ist kompatibel - in einem geschlossenen System, das ein einziger Konzern kontrolliert. VON FRANZISKA MEISTER

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Der US-amerikanische IT-Konzern Apple ist daBereits heute ist allerdings klar: Wer auf bei, den Bildungsmarkt zu erobern - von der m obiles Lernen setzt, kommt um Apple nicht Universität bis zum Kindergarten. Die Offensive herum - und kaum wieder aus dem System geht weit über die Bildungsplattform «iTunes U» heraus. Dafür sorgt der Konzern mit seinem und die wachsende Zahl an für den Unterricht Rundumangebot von Hardware, Software und massgeschneiderten Apps hinaus: Apple will mediendidaktischem Input, bei dem alles unden gesamten Unterricht digitalisieren. Und in tereinander und aufeinander abgestimmt ist. diesem Zug die eigenen mobilen Geräte - Mac- «Andere Anbieter wie Android sind bei SupportBook, iPad, iPod Touch und iPhone - in jedes lösungen viel weniger bildungsorientiert», sagt Klassenzimmer und Kinderherz tragen. Claudia Fischer von der Pädagogischen HochDie Schweiz ist nicht nur das Land mit der schule der Fachhochschule Nordwestschweiz höchsten iPhone-Dichte weltweit, hierzulande (FHNW), Leiterin des Projekts «my-pad.ch», an hat Apple auch an den Schulen einen Marktan- dem sich mittlerweile 29 Schulen vom Kinderteil von über siebzig Prozent. Eine wachsende garten bis in die Sekundarstufe beteiligen. «Das ist auch das grosse Dilemma: Man Zahl an Lehrerinnen lässt sich begibt sich in die Abhängigkeit vom Konzern als «Apple Distin- Selbstredend von einer einzigen Firma.» guish ed Educators» und «Apple Für das im Frühling 2 0 11 Professional Developers» ver- funktioniert das von der FHNW initiierte Projekt pflichten und trägt den Unter- alles nur auf richt mit iPad, iPod und iPhone in wollte Fischer sowohl iPads als Apple-Geräten. auch Tablets anderer Firmen, die weitere Schulen (vgl. Reportage mit dem Betriebssystem Android auf Seite 7). Auch in sogenannten laufen, verwenden. Das scheiterte «Regional Training Centers», von daran, dass es technisch nicht denen es mittlerweile bereits acht m öglich war, eine kontrollierte gibt, können sich Lehrerinnen im Lernumgebung für Kinder zu Umgang mit Apple-Programmen erstellen. «Wir haben aber darund -Geräten weiterbilden. Und auf geachtet, keinerlei Verpflichmit «teachdifferent.ch » betreibt Apple eine Plattform für iPad-Schulen und -Pro- tungen gegenüber Apple oder andern Anbiejekte, auf der sich Lehrerinnen online zu den tern einzugehen», betont Fischer: «Wir wollten versch ieden en Einsatzm öglichkeiten von m obi- nichts gesch enkt und n ichts gesponsert.» Bei «my-pad.ch » stehen nicht die Tablets len Geräten für den Unterricht weiterbilden und an sich im Fokus, sondern das kooperative Leraustauschen können. nen . «Es braucht zuerst didaktische Kon zepte, bevor man Kindern solche Geräte überlässt», «Wir wollten nichts geschenkt» sagt die Projektleiterin. Die FHNW unterstützt Bei Apple Schweiz wird auf die eigene Website die Lehrerinnen mit didaktischen Unterrichtsverwiesen - das «Education Team» gibt keine ideen und -materialien, die Schülerinnen schreiInterviews - und b etont, dass die Apple-Lehrer- ben in Medientagebüchern, wie sie mit den Innen und -Trainin g-Centers unabhängig von iPads arbeiten und was sie davon halten . Erste Umfragen unter den Kindern haben gezeigt, so Apple fu n ktionierten .

Claudia Fischer, dass sie vor allem vier Dinge an den Geräten schätzen: Man kann sie überall hin • mitnehmen, sie sind sofort betriebsbereit, lassen sich einfach mit den Fingern bedienen, und man kann auf ihnen in kleinen Häppchen lernen. Die einfache und intuitive Handhabung der iPads habe sogar bislang technikresistente Lehrerinnen zu überzeugen vermocht, sagt Fischer. Sie, die früher selbst als Lehrerin tätig war, ist überzeugt: «Diese mobilen Geräte besitzen ein grossesPotenzial für den Unterricht.» Gerade wenn es um offene Formen wie kooperatives Lernen gehe, bei dem der Frontalunterricht in den Hintergrund trete und die Lehrerin vermehrt als Coach unterwegs sei und die Kinder beim selbstgesteuerten Lernen begleite. «Ich glaube, das ist die Zukunft des Lebrens und Lernens.»

Alles ist gratis Gleichzeitig dürfte es nicht einfacher werden, sich dem Dunstkreis von Apple zu entziehen. Zumal das Weiterbildungsangebot, mit dem der Konzern Lehrerin~en an sich bindet, verlockend ist: Für «Apple Distinguished Educators» - und als solcher kann man sich jederzeit auf der Website von Apple bewerben - sind die in der ganzen Welt stattfindenden Kurse gratis. Zu bezahlen ist einzig der Flug, Apple kümmert sich um den Rest. Auch die allermeisten Apps im «iTunes U» sind kostenlos, inklusive der interaktiven Lehrbücher, die man seit diesem Jahr mit Apple-Software selber erstellen und auf der Plattform zur Verfügung stellen kann, sobald man sich dazu eine Lizenz des Konzerns besorgt hat. Selbstredend funktioniert das alles ausschliesslich auf Apple-Geräten. So können nicht nur technisch und rechtlich komplizierte Abgleiche mit Betriebssystemen von andern Anbietern vermieden werden, die Kontrolle von Apple bleibt auch allumfassend und lückenlos.


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Das Handy ist unter Kindern und Jugendlichen mittlerweile so verbreitet, dass auch die Volksschulen nicht umhinkommen, sich mit dem Gerät auseinanderzusetzen. Erste Erfahrungen zeigen: Richtig eingesetzt kann das Handy im Unterricht eine Bereicherung sein. VON JAN JIRAT •

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Seit Jahren leite ich Skilager für Primarschü- direkteren - sind das Handy im Speziellen und lerlnnen. Dabei gilt der Grundsatz: Das Handy mobiles Lernen im Allgemeinen momentan und bleibt zu Hause! Diese Vorgabe stösst zuneh- in absehbarer Zukunft kein Thema, wie eine mend auf Widerstand - und zwar bei Kindern Nachfrage der WOZ ergab. So sind zwischen den und Eltern gleichermassen. «Ich will wissen, Polen «völliges Handyverbot» und «Integration wie es meinem Kind geht», sagen die Eltern, und von Handys in den Unterricht» in der Schweizer die Kinder wiederholen den Satz Volksschule alle möglichen Varidankbar, denn auch sie wollen das anten anzutreffen. Handy dabeihaben, wenn auch Fotoapparat, Bisher hat keine andere Diktiergerät, meist aus anderen Gründen. Schule die Handynutzung so ausDas Handy ist aus der Le- I<ompass, Lexikon geprägt in den Schulunterricht benswelt von Kindern und Jugendintegriert wie die Projektschule in einem: Was lichen nicht mehr wegzudenken. Goldau im Kanton Schwyz. SiebWie handyvernarrt die Schweizer bedeutet das für zehn Schülerinnen einer fünften Jugend ist, belegt auch die Statis- den Unterricht? Primarklasse hatten dort iPhones tik: Gernäss dem aktuellen Forals Unterrichtswerkzeug erhalten. schungsbericht «Handygebrauch Jedes Kind hatte fortan einen Fotoder Schweizer Jugend», den die apparat, ein Diktiergerät, einen Zürcher Hochschule für AngeKompass, ein Lexikon, ein Wörterwandte Wissenschaften (ZHAW) buch und einen Taschenrechner in publiziert hat, besitzen 98 Prozent der Jugend- einem Gerät vereint zur Hand. Was bedeutet das lichen in der Schweiz ein Handy. Wobei der An- für den Unterricht? teil an Smartphones, also an Mobiltelefonen mit «Die Haupterkenntnis ist simpel: Es ist Computerfunktionen und Internetzugang, bei machbar», bilanziert Beat Döbeli Honegger, der 47 Prozent liegt. Im Mittel erhalten die Jugend- das Projekt ins Leben gerufen hat. Der Dozent vom Institut für Medien und Schule der Pädagolichen ihr erstes Handy mit elfeinhalb Jahren. gischen Hochschule Schwyz (PHZ) hält fest: «Die von Kritikern im Vorfeld geäusserten BefürchDas iPhone ist kein Selbstläufer tungen wie Verschuldung, Porno- und GewaltVor diesem Hintergrund st ellt sich die Frage, konsum oder Suchtpotenzial sind nicht eingewie die Volksschulen mit dem Thema Handy- treten. Weder ist ein Chaos ausgebrochen, noch nutzung umgehen. Vorweg: Bis anhin stellt sind die Kinder einsam, gewalttätig oder dick jede Lehrperson ihre eigenen «Handyregeln» geworden.» Zugleich sei klar: «Nur aufgrund des auf. Eine gewisse Orientierung bieten allentans Schulhausordnungen oder Merkblätter der Geräts lernt niemand besser.» Computer und kantonalen Bildungsdepartemente; eine ein- Internet seien genauso wie Wandtafel oder heitliche pädagogische Strategie aber existiert Hellraumprojektor keine Selbstläufer, so Dönicht. Auf nationaler Ebene - bei der Schweize- beli Honegger. Es gehe bei alten wie bei neuen rischen Konferenz der kantonalen Erziehungs- Medien darum, dass sie von den Lehrpersonen

kompetent eingesetzt werden. Was ihn freut : «Alle Beteiligten - der Klassenlehrer, die Schulleitung, die Eltern und die Kinder - waren mit dem Projektverlauf zufrieden und würden wieder mitmachen.»

Nicht immer muss das Handy an sein «So wie früher jedes Kind eine Schiefertafel und später ein Schulheft in der Tasche mittrug, wird es in Zukunft ein internetfähiges Arbeitsinstrument sein», sagt Daniel Süss, Medienpsychologe an der ZHAW. Das eröffnet ganz neue Möglichkeiten. «Wurde früher stundenlang telefoniert, um sich Hausaufgaben von Schulkollegen erklären zu lassen , so werden heute die Fragen und Ergebnisse via Smartphone fotografiert und im Chat b esprochen », so Süss. «Solche Teamarbeit :: kann man auch im Unterricht selbst bewusst einsetzen für die Vernetzung beim gemein- · · samen Lernen und Problemlösen, auch über die Schulklassengrenzen hinaus.» Für den Medienpsychologen gibt es aber klare Grenzen der Handynutzung im Unterricht. Für Kinder sei es wichtig zu lernen, sich ganz auf eine Aufgabe einzulassen und nicht permanent mit Multilasking die Aufmerksamkeit zu streuen. Süss hält es deshalb. für berechtigt, Schulzeiten fe stzulegen, «in denen die Handys ausgeschaltet sein müssen». Der sinnvolle Umgang mit Handys sollte in der Medienbildung auf jeden Fall zum Schulstoff gehören . Auch ich muss mich dar an gewöhnen , dass das Handy wohl schon im nächsten Skilager dazugehört. «Wieso soll ich mir das Skibillett in die Tasche stecken und es womöglich verlieren, wenn ich es auf meinem Handy speichern kann?», fragte mich im letzten Winter eine Schülerin. Ich blieb ihr eine Antwort schuldig. ·

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UNIVERSITÄT LUZERN

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Informations-Abend Mittwoch, 24. Oktober 2012 Etne Code Reader App wtrd ben61rg1, betSprolswtiso •• n.gma•

Theologie, Kultu r- und Sozialwissensc haften, Rec htswissensc haft Programm und Anmeldung: www.unilu.ch/master


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LERNEN IM ZEITALTER VON WEB 2.0

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Die neuen Technologien würden das Lernen revolutionieren, heisst es allenthalben. Doch dabei geht so manche Weisheit verloren. Und manch neue Erkenntnis ist gar nicht so neu. VON EDUARD KAESER

Das Web 2.0 entwickelt sich in Richtung einer egalitären, «flachen» Wissensgesellschaft, in der das traditionelle Expertinnenturn nicht mehr allein die Wissenshoheit beanspruchen kann. Mit Web 2.0 ist das weiterentwickelte Internet gemeint, bei dem theoretisch alle ihr Wissen anderen über das Internet zugänglich machen können. Das hat natürlich Konsequenzen für unsere Vorstellungen von Lernen und Lehren. Seit ein paar Jahren erfüllt der Geist des Web 2.0 die Köpfe der «Digerati», der sich als neue Elite gebärdenden Verfechterinnen digitaler Medien. Ginge es nach ihnen, müssten die alten Wissensbastionen geschleift und der Bildung für alle Tür und Tor geöffnet werden. Das Zauberwort lautet Interaktivität. Bereits kursiert eine neue Wunderpädagogik, das «Lernen 2.0». Um sie ranken sich Visionen einer Zukunft des Lernens im Netz, die man mit ein paar Trivialitäten beschweren sollte, damit sie nicht in den didaktischen Himmel wachsen.

Die erste Trivialität: Lernen heisst mitmachen, aber Mitmachen allein ist nicht Lernen. Das Netz fusioniere Homo faber, Homo ludens und Homo sapie~s, meint John Seely Brown, ehemaliger Forschungsdirektor von Xerox und Theoretiker des Lernens 2.0. Seine Devise: «Learning to be» statt «Learning about». Das heisst, um etwas zu lernen, ist es viel wichtiger, Mitglied einer Gruppe zu sein, sich an einem Gespräch, einer Debatte, einer Praxis, einem Spiel zu beteiligen, als sich «Stoff» einzutrichtern. Diese Gewich-

tung des Prozesses ist durchaus bedenkenswert, Verbund mit der Erinnerungstechnik des Goo- nur ist sie nicht neu. Sie ist gewissermassendie gle-Klicks das Memorieren überflüssig mache. Netzversion des alten Learning by Doing, also . In unserem Zeitalter konstanten Wandels habe dessen, was schon längst in GestaJt von Praktika, es keinen Sinn, einen Haufen Wissen anzusamSprachlabors oder Lernwerkstätten zum schu- mein, das doch bald wieder veraltet sein wird. lischen Alltag gehört. Stattdessen sollte man sich permanent mit neuDa wir Menschen in Gemeinschaften le- en Wissensmodulen ausstatten, die man nach ben, ist Lernen trivialerweise immer auch sozia- Erkenntnisstand auswechseln kann. «Kinder :: les Lernen. Onlineforen können zweifellos ein müssen ihre Wissensbasis mehrmals in ihrem .. nützliches Lernwerkzeug abgeben. Via Internet Leben erneuern. Deshalb ist das Memorieren von · · einen französischen Gesprächspartner oder eine ~ Fakten und Zahlen eine Zeitverschwendung.» äthiopische Gesprächspartnerin zu haben, kann Das ist eine Binsenwahrheit. Schon lange helfen, das Französisch aufzupolieren oder sich vor dem Internet haben Enzyklopädien, Atlanten aus erster Hand geografisch-poliund tabellarische Werke präliteratische Kenntnisse über Ostafrika rische Gedächtnistechniken wie zu verschaffen. Nur sollte man Lernen braucht das Auswendiglernen von Fakten sich vor dem Fehlschluss hüten, Gedächtnis, und Zahlen an den Rand gedrängt. dass die Verbesserung des Lern- aber GedächtnisFragwürdig ist die Updating-Phiwerkzeugs allein schon das Ler- Ieistung allein losophie des Marktschreiers, die nen selbst verbessere. hier zum Ausdruck kommt: Wir Die neuen Technologien ist nicht Lernen. haben neue Medien und Kulturspielen hier natürlich ihr ganzes techniken, also brauchen wir die Verführungspotenzial aus. Aber alten nicht mehr! sie machen leicht vergessen, dass Autoren wie Don Tapscott es immer noch die individuelle scheinen eines nicht zu verstehen: Praktisch alle Disziplinen haben Initiative der Schülerin und des Schülers braucht, wie sehr man auch die kollek- ihre Basics, ihren Grundstock an Kenntnissen tiven Lernbedingungen verbessert. Larry Sanger, und Kompetenzen, auf dem man aufbaut und Mitbegründer von Wikipedia, hat das neulich den man nicht ständig erneuern kann. Wer keiauf den Punkt gebracht: «Es ist eine Sache, sich ne Vokabeln büffelt, lernt keine Sprache; wer an einer Diskussion zu beteiligen - ob online, in nicht Rechenoperationen exerziert, lernt keine einem traditionellen Klassenzimmer oder auf Mathematik. Aus dem Grundstock, das heisst einer Studientagung -, und es ist eine ganz an- aus dem Memorieren und Inte~nalisieren der dere Sache, etwas kreativ und kritisch für sich Basics, wächst überhaupt erst das Verstehen, unselber durchzudenken.» sere Wahrnehmung der Bedeutung von Fakten ....,~ und Daten - unsere ganze Kultiviertheit .

Eduard Kaeser

Die zweite Trivialität: Lernen braucht GedächtDer 1948 geborene Physiker und Philosoph nis, aber Gedächtnisleistung allein ist nicht LerEduard Kaeser hat bis im Sommer 2012 als Gym- nen. Gewiss, das Internet ist ein riesiges, wachnasiallehrer unterrichtet. Kaeser schreibt zu sendes externes Gedächtnis, das uns von unnöThemen rund um die Frage, was den Menschen tiger Memotierarbeit entlastet. Inzwischen hat im Zeitalter zunehmender technologischer es die Grössenordnung von Zettabytes erreicht Durchdringung von Lebenswelten ausmacht. (1021 Bytes). Der kanadische Managementwissen schaftSein neustes Buch «Multikulturalismus revisited» ist soeben bei Schwabe in der Reihe «Re- ler und Publizist Don Tapscott feiert deshalb das Internet als neue «Quelle des Wissens», die im · flexe» erschienen.

Damit zusammen hängt eine dritte Trivialität: Lernen heisst erfahren und sachkundig werden. Dieser Punkt verdient besondere Beachtung, weil er auf eine Neuinterpretation der Erfahrung im Zeitalter des Web hinweist. Der USamerikanische Computerwissenschaftler David Dalrymple schreibt: «Vor dem Internetzeitalter erforderten die meisten Berufe einen grossen Wissensbestand, der über Jahre oder gar Jahr-

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zehnte der Erfahrung angesammelt wurde. Aber früher eine Beziehung zwischen zwei Personen jetzt kann jeder mit einem guten kritischen war - jener des Lehrers und jener des Schülers Denkvermögen und der Fähigkeit, sich auf die wird nun zu einer Sache der Informationsüberwichtigen Informationen zu konzentrieren, die- mittlung zwischen zwei humanen Apparaten. se auf Wunsch aus dem Internet abrufen statt Natürlich geht es beim Lernen auch daaus dem eigenen Gedächtnis (...). Wie gut ein rum. Aber das Entscheidende ist dabei, dass die Angestellter seine Aufmerksamkeit fokussieren Lehrerin in p ersona für den Stoff ein steht, ihn kann, könnte, unter dem Strich betrachtet, wich- glaubwürdig (nicht einmal in erster Linie wistiger sein als seine Sachkundigkeit.» sen swürdig) macht. Genau das kennzeichnet ja In einem Punkt wird man kaum wider- die Lehrperson: Sie ist «expertus», das heisst, sie sprechen wollen: Fokussieren, das Wissen-wo, hat das Wissen selbst - man könnte sogar sagen: ist im Netz zweifellos eine Schlüsam eigenen Leib - erfahren. Und selkompetenz. Stutzig hingegen diesen «Erfahrungsschatz» vermacht einen die Bemerkung, dass Wissen ist im mittelt sie nur im Kontakt von Perdadurch die Sachkundigkeit se- Kopf (oder besser: son zu Person. kundär werde. Ist denn nicht gera- im I<örper). Wissen entsteht aus einem de Sachkundigkeit die Voraussetkomplexen Prozess der Auswahl, Das Netz weiss zung dafür, dass man fokussieren Unterscheidung und Beurteilung kann, den Blick für die wichtigen überhaupt nicht. von Information. Und die wichInformationen hat? tigsten «Prozessoren» und «FilMan erhält den Eindruck, ter» in diesem Vorgang sind nach wie vor die menschlichen Einzeldie ganze Frage des Wissens reduziere sich auf ein Managementprowissenden. Gerade im Zeitalter blem: Ich muss etwas nicht wissen, der ausgelagerten, «entkörpersondern nur über die geeigneten ten» Information sollten wir verSuchtechniken verfügen, um dieses Wissen mehrt die Informationsverarbeitung aus «verirgendwo im Labyrinth des Netzes abzurufen. körperter», will sagen: individuell-persönlicher Eine Wirtschaftslehrerin erzählte mir kürzlich, Perspektive würdigen. auf ihre Frage an eine Schülerin, was ein Saldo Aus dieser Perspektive erscheinen nämsei, habe diese mit der Gegenfrage geantwortet: lic~ die Zettabytes an Information zie:rp.lich Darf ich auf meinem iPhone googeln? Eine sym- irrelevant, denn entscheidend bei der menschptomatische Reaktion. lichen Informationsverarbeitung ist nicht die Die Mobilität der modernen Gadgets (ver-) Menge, sondern die Bedeutung der Daten. Und führt viele Menschen, nicht nur junge, dazu, sie hier spielt die ganze mentale Raffinerie von zu internalisieren und zu einem Ersatz- oder Zu- Aufmerksamkeit, Neugier, Staunen, Lösungsgesatzorgan werden zu lassen . Ich brauche mein spür, intuitivem Urteil, Erinnern und Vergessen, Gedächtnis nicht, ich habe ja Google. Das nährt Kreativität, Skepsis eine tragende und treibende die zeittypische Abspeichern-und-abrufen- Rolle - lauter individuelle Qualitäten also, die Gesinnung. auf dem uralten Netzwerk unseres Gehirns basieren. ,,,,_ Sie führt zur vierten Trivialität: Lernen heisst nicht Information aufnehmen, sondern den Wert und die Bedeutung von Information erkennen. Der ehemalige Formel-1-Weltmeister Niki Lauda sprach einmal in einer Serie mit dem Titel «Ich habe einen Traum» davon, wie wunderbar es wäre, wenn er «den Schatz seiner Erfahrung, sein Wissen auf seine Söhne Lucas und Mattbias übertragen» könnte. «Einfach ein Modem nehmen, einen Adapter, und schon ginge ein Datenfluss auf die Reise.» Man mag von einer solchen Vision halten, was man will. In ihr artikuliert sich der didaktische Traum der Lerntheoretiker im Web: Lernen heisst Datenflüsse auf Reisen schicken. Was

Bei aller aktueller Hervorhebung der Interaktivität, des Kollektivs, des «Schwarms» sollte die Verbundenheit von Wissen und Person nicht ausser Acht gelassen werden. Die neuen Wissenstechnologien machen sich anheischig, selbst «wissend» zu werden. Der Homo solle sich gar nichts darauf einbilden , dass er sapiens sei, so der Tenor. Wissen könne auch die Maschine, wenn nicht sogar besser. Kern dieses Wissenskonzepts ist das Prinzip der Delegierbarkeit. Delegieren kognitiver Arbeit nicht nur an fleissige anonyme WikiArbeitsbienen («Crowdsourcing»), sondern auch an Maschinen. Das herkömmliche Expertenturn

sieht sich ja heute sowohl von menschlichen Nichtexpertinnen als auch von nicht men schlichen Experten herausgefordert. Der Herausforderung liegt das stillschweigende Postulat zugrunde, men schliche Kompetenzen - vom Knüpfen der Schuhbändel bis zum Lösen von komplexen mathematischen Problem en - Hessen sich letztlich in einem Algorithmus ausbuchstabieren. Seit drei Jahrzehnten bemühen sich «Wissen singenieure», den Expertinnen ihr Wissen aus den Köpfen zu pressen und «Wissen sbasierten» künstlichen Expertinnen einzuimpfen. Mit begrenztem Erfolg. Edward Feigenbaum, einer der Pioniere auf diesem Gebiet, stellte schon in den achtziger Jahren entnervt fest, dass das Wissen eines Experten, einer Expertin oft «ungenau festgelegt oder unvollständig» ist, «Weil der Experte selbst nicht immer genau sagen kann, wie viel er über sein Fachgebiet weiss». Das wird so bleiben.

Hier stossen wir auf die fünfte, die fundamentalste Trivialität: Wissen ist im Kopf (oder besser: im Körper). Das Netz weiss überhaupt nicht. Es speichert Informationen. Information kann objektiviert, ausgelagert, gespeichert, verwaltet und insofern auch von einer Maschine verarbeitet werden. Wissen braucht ein Subjekt, eine Person , in der sich Information anlagert. Und diese Anlagerung erfordert eine Fähigkeit, die heute paradoxerweise in dem Masse schwindet, in dem die Information wächst: Aufmerksamkeit. Deshalb bedeutet Lernen heute zuallererst: lernen, mit seiner Aufmerksamkeit sorgfältig zu hantieren; im immensen Angebot des Netzes sich sein eigenes Urteil bilden können; sich zum Connaisseur von Information entwickeln. Wenn der Vergleich vielleicht auch etwas weit hergeholt erscheint: Der Connaisseur französischer Weine ist nicht die Person, die sich durch möglichst viele Flasch en vom Norden bis zum Süden Frankreich s getrunken hat, sondern jene, die im riesigen Angebot der Chateaux, Terroirs, Rehsorten und Appellationen eine Ordnung herzustellen gelernt hat, die ihr etwas sagt. Ihre Informationen über den Wein sind in ihr selber angelagert. Sie hat etwas über Wein an sich selbst erfahren. Und gerade das macht ihr Expertenturn aus, die Fähigkeit, andere etwas zu lehren. Und vor allem: Sie verantwortet ihr Wissen . Diese Verantwortung und Glaubwürdigkeit des Wissens spielt auch im Web 2.0 eine ~entra­ le Rolle. Sie sind der Goldstandard des Lebrens und Lernens.

REKLAME

b Hochschuldidaktik und Studiengangsentwicklung Die Hochschuldidaktik der Universität Bern hat im September ihr neues Kursprogramm veröffentlicht. Rund fünfzig praxisbezogene Kurse verteilen sich auf sechs Themenbereiche und sind offen für Teilnehmende von ausserhalb der Universität Bern. Angesprochen sind Lehrende an Hochschulen, höheren Fachschulen und der Weiterbildung. Besuchte Kurse werden angerechnet, falls der Weiterbildungsabschluss «CAS Hochschullehre» angestrebt wird . Studienangebote planen und optimieren: Im September 2013 startet der neue CAS «Str~tegie-. und Curriculums~ntwicklung in der Lehre» für Verantwortliche von Modulen, Studiengängen oder Bildungsprogrammen. We1teres unter www.scl.umbe.ch Informationen: www hochschuldidaktik.umbe.ch, hd@zuw.unibe.ch, Tel. 031 631 55 32. Für Infos auf dem Smartphone: hdid.ch

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EIN LAPTOP FÜR JEDES KIND

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Ein Laptop sei der Schlüssel zur Bildung und zur persönlichen Entwicklung, sind die Leute von der Stiftung One Laptop Per Child überzeugt. Sie hat bereits Hunderttausende Schülerinnen in Ländern wie Peru, Uruguay und Ruanda mit ihren günstigen Geräten ausgerüstet. Doch die Erfahrungen sind nicht überwältigend. VON DANIEL STERN

Stück. Auf der Website der Hilfsorganisation allerdings bessere Leistungen im abstrakten werden die Erfahrungen mit den XC-Laptops in Denken und verarbeiteten schneller Informatioden höchsten Tönen beschrieben. Unabhängige nen als Kinder ohne Laptop. Studien kommen allerdings zu weitaus skeptischeren Schlüssen über den Nutzen des LapUnd wenn er gestohlen wird? topeinsatzes in den entsprechenden Klassen• zimmern. Die Situation in vielen der untersuchten peruaKürzlich hat die Interamerikanische Ent- nischen Schulen zeigt, dass es mit dem Verteilen wicklungsbank (IDB) eine Studie über die Erfah- der Computer nicht getan ist. Oft fehlte in den rungen in Peru veröffentlicht. Kein Land hat bis- Klassenzimmern ein Stromanschluss. Auch walang mehr der XO-Laptops an seine Schulkinder ren viele Lehrerinnen in abgelegenen Dörfern verteilt als der Südamerikanische mit den Computern überfordert. Staat: 8oo ooo Stück in fünf JahEine Weiterbildung zum Ein satz ren. Das kostete die Regierung In einem armen der XC-Laptops hatten sie nie rund 200 Millionen US-Dollar, Dorf ist ein erhalten. Fehlerhafte Software eingerechnet die Ausgaben für In- derart günstiger sorgte für zusätzliche Frustration, frastruktur, Software und Lehrer- Laptop ein extrem fehlende Internetanschlüsse in Innenfortbildung. vielen Dörfern und Schulen verunDoch die Resultate sind teures Gerät. möglichten es, Updates herunterzuladen. gernäss IDB ernüchternd: In den 319 für die Studie untersuchten Problematisch ist gernäss Schulen haben die Kinder weder der IDB-Studie ebenfalls, dass der 800 000 Stück in Peru bessere Mathematik- noch besse188-Dollar-Laptop in einem armen Dorf ein im Verhältnis zum Doch ganz so schnell hat Niebolas Negroponte re Sprachkenntnisse erworben als Einkommen der Bevölkerung seine Ziele nicht verwirklicht: Laut der von ihm ihre Kameradinnen aus Schulen präsidierten Stiftung One Laptop Per Child ohne Laptop, noch ist die Qualität des Unter- extrem teures Gerät ist. So weigerten sich viele (OLPC) sind inzwischen erst 2,4 Millionen Lap- richts gesteigert worden. Die XC-Laptops ver- Lehrerinnen, die Geräte ihren Schülerinnen mit tops der Eigenmarke XO ausgeliefert worden, mochten die Kinder auch nicht zu mehr Haus- nach Hause zu geben, aus Angst, sie könnten kazu einem Preis von derzeit 188 US-Dollar pro aufgaben zu motivieren. Dafür erreichten sie puttgehen. Andererseits verbot rund ein Viertel

Niebolas Negroponte ist ein Mann mit grossen Visionen: Anfang 2005 verkündete der Wissenschaftler des Massachusetts Institute of Technology am Weltwirtschaftsforum in Davos, in nur wenigen Monaten den Prototyp eines Laptops für Kinder vorzustellen, der gerade mal1oo USDollar kosten soll. In nur wenigen Jahren sollten in Ländern wie Brasilien, China, Südafrika und Thailand bereits über hundert Millionen dieser Laptops völlig gratis an Schulkinder verteilt sein, um deren Bildungschancen zu erhöhen. Negroponte zeigte sich überzeu·gt, auf diese Weise die Welt dramatisch verändern zu können. Hätten die Kinder erst einmal einen Laptop in den Händen, würden sie ganz von alleine daran arbeiten. Sie würden Englisch lernen, sich mit dem Weltwissen auf dem Internet vertraut machen und ihr Können im Umgang mit dem technischen Gerät auch ihren Kolleginnen und Eltern beibringen.


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WOZ Bildung 20. September 2012

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Beat Döbeli Honegger verweist auf einen der Eltern ihren Kindern, den Laptop nach Hau- Reparatur oder aus anderen Gründen zeitweise se zu nehmen. Viele fürchteten, er könnte ge- unbenutzbar. Inzwischen habe man mobile Re- weiteren Vorteil: «Ein Lehrer kann n icht gleichstohlen werden, und sie müssten dann dafür paraturteams eingerichtet und informiere die zeitig auf zwan zig Schüler eingehen. Mit den haften. Eltern besser über die Handhabung der Geräte, Computern können die einen still arbeiten, wähGrundsätzlicher ist die Kritik am OLPC- so Derndorfer. rend der Lehrer den anderen Schülern etwas Projekt, die zum Beispiel Mark Warschauer äuserklärt.» Ausserdem gibt sich Döbeli Honegger sert, Professor für Erziehungswissenschaft und überzeugt, dass der Einsatz der Computer auch XOs nichts für die Schweiz Experte für digitales Lernen an der Universität medienpädagogisch wertvoll ist: «Die Kinder von Kalifornien. In einem Artikel für das «Jour- Beat Döbeli Honegger ist Professor an der Päda- merken , dass die Geräte nicht nur zum Spielen nal of International Affairs» schrieb er zusam- gogischen Hochschule Schwyz und ein Experte da sind.» Er vergleicht den Einzug des Compumen mit der Wissenschaftlerin Morgan Ames, in der Anwendung von Computertechnologie im ters ins Schulzimmer mit dem Aufkommen der das Projekt OLPC stehe für «eine lange Liste von Schulzimmer. Auch er b efürwortet die Anwen- Taschenrechner - heute sei es «nur viel krasser». utopischen Entwicklungsvorsteldung der XOs, er sitzt im Vorstand Die ~Lehrerinnen müssten sich fragen, was für lungen, die komplexe soziale Proder Schweizer OLPC-Gruppe. Für Inhalte sie denn noch vermitteln,was die Kinder bleme mit simplen Lösungen aus In Uruguay den XO-Einsatz in der Schweiz sei denn noch auswendig lernen sollen, wenn «je. der Welt schaffen wollen». Wür- waren schon nach der Zug allerdings bereits abge- des Kind Wikipedia und Google im Hosensack fahren : «Viele Sechstklässler ver- hat». den die Gelder für die OLPC-Pro- einem Jahr über gramme für etwas anderes einfügen heute bereits über Geräte, 27 Prozent gesetzt - etwa die Errichtung von die wesentlich leistungsfähiger Helikopteransatz ist gescheitert der Geräte Schulhäusern oder die Einstellung sind.» von mehr Lehrerinnen -, so wären ausser Betrieb. In seiner Funktion als Pro- Für Mark Warschauer und Morgan Ames ist klar: die Effekte wohl höher. fessor leitet Döbeli Honegger Pro- Die Bildung zu verbessern, erfordert je· nach Mark Warschauer und Morjekte an Volksschulen, bei denen Ort und sozialer Situation eine jeweils andere gan Ames schätzen die Kosten pro den Kindern Handys, iPads oder Vorgehensweise. Der Einsatz von Computern • Kind für einen XC-Laptop und die iPods abgegeben werden. Letztlich muss wohlüberlegt sein. Die Geräte lassen sich, geht es dabei um ähnliche Ziele anders als Negroponte glaubt, nicht einfach per nötige Infrastruktur auf 263 USDollar. Ruanda zum Beispiel gebe jährlich aber wie beim OLPC-Projekt: Die Schülerinnen sollen Helikopter flächendeckend an die Kinder verteinur gerade 109 Dollar pro Kind für die Schul- die Geräte als Werkzeuge nutzen, um in Wiki- len - in der Hoffnu1:1g, diese würden dann auch bildung aus. Zudem gäbe es andere, kostengüns- pedia etwas nachzuschlagen, eine Fotografie zu ohne fremde Hilfe herausfinden, wie sie damit tigere Mittel, Kinder zu Bildung zu verhelfen. machen oder mit einem speziellen Programm lernen könnten. So habe in Kenia ein Projekt zur Entwurmung Vokabeln zu büffeln. Die Realität hat den beiden Wissenschaftaller Kinder, das nur einen. halben Dollar pro Die grundsätzliche Kritik von Warschau- lerinnen recht gegeben: So sind 2008 in der Kind kostete, die Beteiligung am Schulbesuch er und Ames am Einsatz solcher Geräte kann US-Stadt Birmingham 15 ooo XC-Laptops an um vierzehn Prozent erhöht. Es gelte in jedem Beat Döbeli Honegger durchaus nachvollziehen: die Schulkinder verteilt worden. Beim Start der :: Land genau zu untersuchen, welcher Ansatz zur Warschauer und Ames argumentieren, dass die Aktion hatte der Bürgermeister Larry Langford .. Verbesserung der Schulbildung sinnvoll sei. Ne- Computer von den sowieso schon Privilegierten voller Überzeugung im Sinne Negropontes ver.· groponte habe dagegen eine «naive und techno- besonders kreativ genutzt werden, während die kündet: «Wenn wir ihnen die XOs geben und sie am meisten marginalisierten Schülerinnen das dann machen lassen, werden sie uns über die logielastige Sicht». Potenzial der Geräte nicht im gleichen Umfang Welt unterrichten.» Zwei Jahre später musste zu nutzen wissen. «Mit dem Einsatz von Compu- der Versuch abgebrochen werden: Viele LapUruguay als Vorbild tern öffnet sich die Schere zwischen guten und tops waren schnell kaputtgegangen. Mehr noch: Die Stiftung OLPC kann auf der ganzen Welt auf schlechten Schülerinnen», räumt Döbeli Honeg- Im Durchschnitt verwendeten die Kinder für Unterstützerinnen zählen. Die Idee, mit einem ger ein, gibt aber zu bedenken: «Die Schule muss Hausarbeiten und neues Lernen weniger Zeit als Laptop die Lernautonomie zu erhöhen, faszi- auch für die Schlauen da sein. Wenn Schlaue vorher. Dafür stieg ihre Präsenz in Onlinechatniert . gerade in den westlichen Staaten viele. schlauer werden, dann ist das gut so:» rooms dramatisch an. Einer von ihnen ist Christoph Derndorfer, Vorsitzender des Österreichischen OLPC-Vereins. • Derndorfer räumt ein, dass in Peru «gröbere Fehler» gemacht worden sind. Dennoch ist er . Lernen per Handy mit der Unesco vom OLPC-Ansatz nach wie vor überzeugt: «Kin- D'ie Unesco will das mobile Lernen fördern. In Laut der Unesco sind weltweit inzwischen der, die heute eingeschult werden, müssen doch der vom Mobiltelefonhersteller Nokia gespon- 5,9 Milliarden Handys im Umlauf. Selbst in Afrinach ihrer Schulzeit einfach mit Computern um- serten Serie von POP-Dokumentationen «Tur- ka verfüge die Mehrheit der Bewoh!lerinnen gehen können. Das wird so nötig sein wie Lesen ning on mobile learning» stellt die Uno-Organi- über ein Mobiltelefon. Mit SMS könnten sehr und Schreiben. Das wird auf der ganzen Welt zur sation Pilotprojekte in der ganzen Welt vor und günstig Bildungsprojekte gestartet werden. In Minimalanforderung.» . gibt sich überzeugt, dass Handys denjenigen Ghana würden zum Beispiel von der staatlichen Derndorfer verweist auf Uruguay: Das helfen können, die sonst kaum Zugang zu guter Kakaovermarktungsgesellschaft Tausende von Land hat flächendeckend XC-Laptops an alle Schulbildung hätten. Es sei falsch, dass Mobil- Kakaolandwirtinnen auf neue Anbaumethoden ScHülerinnen verteilt. Allerdings ist Uruguay telefone oft von den Schulen verbannt würden. aufmerksam gemacht und über den richtigen nicht mit Peru zu vergleichen. Abgelegene, kaum Vielmehr müsse es darum gehen, diese Geräte Umgang mit Schädlingen informiert. Im Senegal zugängliche Gebiete wie in Peru gibt es in Uru- verantwortungsvoll einzusetzen. werde per SMS die lokale Sprache Wolof lesen guay nicht. Das Land ist viel kleiner und wohl},laAls Beispiel, wie Handys zu besserer und schreiben geübt. Die Unesco-Serie ist voll bender. Uruguay hat sehr viel Geld in die Infra- Lese- und Schreibkompetenz führen können, solcher Beispiele aus aller Welt. struktur für die Laptops investiert. In fast allen wird ein Projekt in Pakistan vorgestellt, wo nur Allerdings, schränkt die Unesco selbst ein, Schulen, aber auch in Gemeinschaftszentren gerade vierzig Prozent der Frauen lesen und ist auch bei den Handys die Ungleichheit nach und Jugendhäusern gibt es inzwischen Inter- schreiben können. In der Provinz Pandschab hat wie vor gross: Während im Westen inzwischen netzugang. Für die Fortbildung der Lehrerinnen die Unesco an 120 junge Frauen Mobiltelefone Smartphones dominieren, mit denen auch ein sei zudem eigens ein TV-Kanal aufgeschaltet verteilt. Nach einem Einführungskurs erhalten relativ schneller Zugriff aufs Internet möglich worden, sagt Derndorfer. Dort würden Informa- die Frauen seither täglich Fragen per SMS. Die- ist, sind etwa in Afrika meist nur einfache Motionssendungen zur Anwendung der Laptops se Fragen übertragen sie einerseits in ein Heft delle verbreitet. Zudem zahle jemand in Afrika laufen. und antworten andererseits per SMS darauf. durchschnittlich 17 Prozent seines MonatseinDennoch gab es auch in Uruguay Rück- Die Unesco schreibt, dass die Teilnehmerinnen kommens für Handygebühren, in reicheren Länschläge. Ein Jahr nach der Einführung waren mit diesem einfachen und günstigen Vorgehen dern seien es gerade mal1,5 Prozent. os bereits 14,3 Prozent der XC-Computer voll- inzwischen viel besser lesen und schreiben gekommen defekt und 13,2 Prozent entweder in lernt hätten. www.tinyurl .com/unesco-stene •


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Sind Computer, Smartphone und Tablet «Lernverhinderungsmaschinen»? Ein neues Sachbuch bedient die Angst analoger Eltern vor den Gefahren der digitalen Welt für ihre Kinder. VON FRANZISKA MEISTER •

Eines kann man dem deutschen Psychiater und Gehirnforscher Manfred Spitzer nicht absprechen: Er ist ein brillanter Vermarkter seiner Thesen - ob in der eigenen Sendung «Geist und Gehirn» auf dem Bildungskanal des Bayrischen Rundfunks oder als Autor. Kaum liegt sein neustes Buch «Digitale Demenz: Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen» in den Verkaufsregalen, führt es bereits die Bestsellerlisten an. In deutschen Feuilletons und Internetforen wird heftigst darüber debattiert. Denn einmal mehr zeigt sich Spitzer mit steilen Thesen als Meister der Popularisierung. In «Digitale Demenz» verkündet er, Computer, Smartphone und Tablet taugten nicht zum Lernen - im Gegenteil: Sie seien «Lernverhinderungsmaschinen», die dumm, dick und depressiv machten.

Missionarischer Eifer Spitzer führt zahlreiche wissenschaftliche Studien an - natürlich vor allem jene, die seine Überzeugung stützen - und scheut sich nicht zu polemisieren. Das kann, wenn es tatsächlich als Streitkunst daherkommt, durchaus zu fruchtbaren Diskussionen und Erkenntnissen führen. Allein, beim Lesen von «Digitale Demenz» sieht man sich statt mit einer stringenten eher mit einer verschwörungstheoretischen Argumentation konfrontiert. Sie gipfelt unter anderem in der Behauptung, wer digitale Medien in der Volksschule einsetze, fixe junge Menschen mit

einer gefährlichen Suchtdroge an. Die Lehrerin als Dealerin? Auch Eltern entgehen Spitzers missionarisch-moralinsaurer Anklagerhetorik nicht. «Wenn Sie also wirklich wollen, dass Ihr Kind in der Schule schlechtere Leistungen erbringt und sich künftig weniger um Sie als auch um seine Freunde kümmert», so der Mahnfinger, «dann schenken Sie ihm doch eine Spielkonsole! Sie leisten damit zugleich einen Beitrag zu mehr Gewalt in der realen Welt.» Mit geradezu sadistischer Lust bedient der Psychologe immer wieder die Ängste von analog aufgewachsenen Eltern, die mit der digitalen Welt ringen. «Computergestütztes Lernen gibt es insofern, als man sich durch Ballerspiele eine Aufmerksamkeitsstörung aneignen kann.» Fundament solcher Aussagen ist Spitzers umstrittene Überzeugung, das Gehirn funktio niere wie ein Muskel und lasse sich entsprechend mit Lernen trainieren. Wird es hingegen nicht benutzt - etwa, weil man sich von Computern, Smartphones und andern Denkmaschinen die geistige Arbeit abnehmen lässt -, verkümmert es. Die Hirnforschung liefert durchaus Hinweise darauf, dass Kinder anders lernen als Erwachsene und digitale Medien mitunter dazu führen können, dass Lernen nur noch oberflächlich erfolgt und das Gelernte zu wenig tief im Gehirn verankert wird. Etwa, wenn Erstklässlerinnen Buchstaben nicht mehr von Hand schreiben lernen und üben, sondern via Tastatur eintippen:

Weil die zu sätzliche motorische Gedächtnisspur fehlt, sind die Kinder später schwächer im Lesen.

Leere Polemik Doch braucht es deswegen gleich die digitale Abstinenz im Schulzimmer und zu Hause, wie sie Spitzer mit Verweis auf solche Studien predigt? Lässt sich aufgrund dieser Erkenntnisse nicht didaktisch gegensteuern? Nein, wehrt Spitzer kategorisch ab - obwohl er sich als Leiter des Transferzentrums für Neurowissenschaften und Lernen an der Psychiatrischen Universitätsklinik in Olm vor allem mit Neurodidaktik beschäftigt. Medienkompetenz zu fördern, sei wirkungslos: «Was würden Sie sagen, wenn jemand das Training von Alkoholkompetenz im Kindergarten oder als Schulfach einführen würde?» Mit seiner polemischen Abrechnung trägt Spitzer nichts bei zur tatsächlich eminent wichtigen .Debatte rund um die Frage, wie Handy, Internet, iPod und iPad didaktisch sinnvoll zum Lernen einsetzbar sind. Schade. Manfred Spitzer: <<Digitale Demenz. Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen.» Droemer Verlag. München 2012 . 368 Seiten. Fr. 29.90.

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SPRACHEN LERNEN IM INTERNET

Autonomes Korrigieren Schwedischstunden gegen Deutschunterricht: Verschiedene Websites machen das Sprachenlernen einfach. VON DANIEL STERN

Das Internet verbindet Milliarden Menschen, die Hunderte von verschiedenen Sprachen sprechen. Was liegt da mehr auf der Hand, als Leute zusammenzubringen, die sich gegenseitig ihre Muttersprache beibringen? Websites, die genau das anbieten, gibt es inzwischen viele. Je nach Ausgestaltung bieten sie den Sprachlernenden zudem verschiedene Vokabeltrainingsprogramme, Lernvideos und Übungstexte an. Eine der bekanntesten Websites auf dem Gebiet ist Busuu. Der Basisservice ist gratis, eine «Premium-Mitgliedschaft» kostet 85 Franken im Jahr. Die Website ist personalisiert: Man loggt sich ein und hat dann einen Überblick über seine bisherigen Lernanstrengungen. Auch neue Aufgaben stehen bereit, eben so Texte von ande-

ren Lernenden, die korrigiert werden können. Die Seite bietet zudem Zugriff auf Chatrooms und verbindet Benutzerinnen miteinander. Einen ähnlichen Service bietet Babbel. Wie Busuu bietet die Website Apps an, mit denen man unterwegs vom Handy seinen Wortschatz ausbauen kann. Der Zugriff auf die Lern-App schlägt für einen Monat mit drei Franken zu Buche. Während sich viele der Lernwebsites auf die gängigsten Sprachen konzentrieren, finden sich auf Livemocha sagenhafte 38 Sprachen, die gelernt werden können. Die Website basiert stark auf freiwilligen Mitarbeiterlnnen. Wer sich aktiv einbringt, kann sogenannte Tokens erwerben und diese virtuellen Münzen wiederum dazu benutzen , Angebote auf der Website

zu kaufen. Ansonsten können Tokens auch mit ganz realem Geld erstanden werden. Man kann auch autonom auf dem Internet Sprachlernpartnerinnen finden . Diverse Unis bieten solche Vermittlungsdienste gratis an. So kommt man mit Leuten in Kontakt, die etwas lernen wollen, was man selbst beherrscht, die eigene Muttersprache, und die einem gleichzeitig selbst beim Erlernen einer anderen Sprache helfen können. Kommuniziert wird per E-Mail oder Skype. «Vollautonomes Lernen» heisst das bei der Humboldt-Universität Berlin. www.busuu.com I www.babbel.com I www.livemocha.com I www.sprachenzentrum.hu-berlin.de/selbstlernzentruml vollautonomes-lernen-im-taodem •

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WOZ Bildung

20.

September 2012 •

FERNUNIVERSITÄT HAGEN

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Die grösste Universität im qeutschsprachigen Raum funktioniert über eine virtuelle Plattform im Internet. Mit den besonderen Lern- und Prüfungsformen, die das mit sich bringt, tun sich manche allerdings schwer. VON DANtEL STERN

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Für die Fernuniversität Hagen ist die ana- inzwischen auch viele Präsenzuniversitäten anloge Paketpost immer noch ein zentraler Ver- wenden. Für jeden Kurs wird auf Moodle eine mittlungskanal: Von ihrem Logistikzentrum eigene Website aufgeschaltet, auf der die Betei> aus verschickt sie vor jedem Semester Zehn- ligten miteinander kommunizieren können. Die tausende meist individuell zusammengestellte Dozierenden stellen etwa Fragen zum Lernstoff ins Netz, die Studierenden setzen Pakete in über hundert Länder ihre Antworten in das entsprekiloweise Bücher und Broschüren, chende Forum auf der Website. So die sogenannten Studienbriefe. Studieren an der gibt es je nach Kurs eine Vielzahl Das wird sich in absehbarer Zeit Fernhochschule von Foren, in denen einzelne Fraauch nicht ändern, so Susanne ist kein gen und Themen in schriftlicher Bossemeyer: «Die Studierenden Zuckerschlecken. Form diskutiert werden. haben in einer Befragung klar siDie Struktur von Moodle ist gnalisiert, dass sie die Dokumente offen: Auch die Studierenden könweiterhin zugeschickt bekommen nen neue Foren gründen. Moodle möchten.» kann von den Dozentinnen darDie meisten der LernmateAls PDF oder mit der Post über hinaus benutzt werden, um rialien sind jedoch auch passStudieren an der Fernuni ist kein Zuckerschle- wortgeschützt als PDF-Dokument den Studentinnen Textdateien, . · cken. «Achtzig Prozent der Studenten sind be- auf dem Server der Universität zu finden. Sie Filmsequenzen und Bilder zur Verfügung zu .. rufstätig», so Pressesprecherio Susanne Bosse- könnten also auch direkt am Computer, iPad stellen. . · meyer. Im ersten Studienjahr entscheide sich in oder Handy gelesen undbearbeitet werden . Ausserdem besteht die Möglichkeit, dass der Regel, ob man mit der Doppelbelastung klarZentrale Internetplattform für den Aus- sich Studierende via Moodle zu einem Livekomme - fast jedeR Zweite in Hagen Eingeschrie- tausch zwischen den Dozierenden und den Stu- chat verabreden. Auf Moodle finden zudem sobene bricht das Studium in diesem Zeitraum ab. dentinnen ist das Lernprogramm Moodle, das genannte virtuelle Seminare statt, bei denen in einem vorgegebenen Zeitrahmen ein Thema vertieft behandelt wird. Studierende können ..... dabei zum Beispiel gemeinsam an einem Text • «Ist das prüfungsrelevant?» - ein Erfahrungsbericht arbeiten. Lange Zeit war es für mich undenkbar, dass ich Lernen gelegentlich zu Panikattacken zu führen: Für die Fernuniversität Hagen ist das Innoch studiere. Doch als ich auf das Angebot der Oft war aus den Fragen grosse Unsicherheit her- ternet ein zentrales Instrument der WissensverFernuniversität Hagen stiess, dachte ich: «He, auszuspüren, ob man denn auch wirklich genug mittlung. Sogenannte Kick-off-Veranstaltungen probiers einfach mal», und schrieb mich für das gelernt habe. für NeueinsteigerInnen zum Beispiel werden per An der Fernuni besteht auch die Mög- Video aufgezeichnet und ins Netz gestellt. Mehr Fach Soziologie ein. Die Eintrittsschwelle ist tief: lichkeit der realen Begegnung. In jedem Modul und mehr Vorlesungen sind online zu finden. D~e Studiengebühren sind niedrig, eine Matura ist nicht erforderlich, und vor allem: Man kann wird ein zwei- bis dreitägiges Seminar angebo- Und in sogenannten Connect-Sitzungen können lernen, wo man will und wann man will. Auch ten. Die siebenstündige Zugfahrt dafür habe Studierende und Dozentinnen im Internet zeitdas Studienpensum lässt sich frei wählen. Es ich jedes Mal auf mich genommen. Auch wenn gleich miteinander kommunizieren. spielt für die Fernuni keine Rolle, ob ich drei es meist nur um eine vertiefte Vorbereitung auf - oder sechs Jahre für einen Bachelorabschluss die Klausur ging. Und auch wenn das Unigelänlange Reise für zwanzig Minuten de, das an einer Autobahnausfahrt am Rande brauche. Ich lernte meist abends, nachdem mein der Stadt liegt, den Charme eines Steueramts Das Bologna-System gilt auch an der FernuniSohn zu Bett gegangen war. Hauptsächlich versprüht. Allerdings haben sich die dort ge- versität. Jeweils zu Semesterende finden Prüarbeitete ich die sogenannten Studienbriefe knüpften Kontakte als recht hilfreich erwiesen. fungen statt und werden ECTS-Punkte vergedurch - dicke Stapel A4-Blätter. Das Gelesene Man merkt, dass andere in ähnlichen Situa- ben. Studierende aus der Schweiz können in fasste ich im Computer zusammen. Täglich zwei tionen stecken, lernt die Professorinnen und der Regel die schriftlichen Prüfungen in den Stunden sowie einige freie Nachmittage- dieses Assistenten kennen, geht abends mit ihnen ein Studienzentren Brig und Pfäffikon oder an der Pensum hielt ich ein, und so schaffte ich pro Se- Bier trinken. Universität Bern ablegen. Schwieriger gestaltet Drei Module habe ich an der Fernuni absol- sich bislang die Abnahme von mündlichen Prümester ein Modul. Notwendig sind zehn Module viert. Dann reduzierte ich mein Jobpensum und fungen. Wenn Dozentin und Proband dafür zuplus Abschlussarbeit. Daneben knüpfte ich auf der Internetplatt- ging an eine normale Uni - ein Schritt, den ich sammenkommen müssen, bedeutet das oft eine form Moodle Kontakte zu anderen Studierenden ohne den Umweg über die Fernuni wohl nicht stundenlange Anfahrt für eine vielleicht gerade (vgl. Haupttext). Tiefschürfende Diskussionen gemacht hätte. An der Präsenzuni merkte ich mal zwanzigminütige Befragung. Die Fernuni über soziologische Themen hab~n sich in den dann schnell: Lernen ist auch ein sozialer Akt. Hagen bietet als Alternative dazu die Möglichvirtuellen Diskussionsforen allerdings nie er- Der viel häufigere Austausch mit Lernenden und keit der Videokonferenz. Allerdings ist dieser geben. Die meistgestellte Frage war: «Ist das Lehrenden macht nicht nur Spass, er schafft auch Service nicht ganz billig - 250 Franken pro Prüprüfungsrelevant?» Der Austausch auf Moodle mehr Möglichkeiten, sich mit den Themen ver- fung muss hinblättern, wer diese Variante wählt. schnellte vor allem im Vorfeld der Semester- tieft auseinanderzusetzen. Eine Anwesenheitsprüfung hoch . Bei einigen schien das isolierte pflicht bräuchte es dazu allerdings nicht. os www.fernuni-hagen.de

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Die Fernuniversität im deutschen Hagen existiert seit 1975. Sie ist mit derzeit über So ooo eingeschriebenen Studentinnen zur grössten Universität im deutschsprachigen Raum angewachsen. Unter ihnen sind auch Studierende aus der Schweiz, die teilweise von den Studienzentren in Brig und Pfäffikon SZ betreut werden. Die Schweizer Studienzentren bieten auch eigene Studiengänge in Wirtschaft, Recht und Psychologie an. Allerdings braucht es als Voraussetzung dafür eine Matura. Wer an der Fernuni Hagen studieren will, braucht diese nicht, es genügt ein staatlich anerkannter Lehrabschluss und das Bestehen einer Eintrittsprüfung.


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