Wie ein Schwede in Poltawa

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Ein deutsch– ukrainisches Studienprojekt

„Wie

ein

Schwede

bei

Poltawa…“ Die Erinnerung an die Schlacht von Poltawa 1709 und ihre Bedeutung für die Identitätssuche der Ukraine in Europa.


Romea Kliewer & Guido Hausmann (Hrsg.) „Wie ein Schwede bei Poltawa…“ Die Erinnerung an die Schlacht bei Poltawa 1709 und ihre Bedeutung für die Identitätssuche der Ukraine in Europa. Ein deutsch–ukrainisches Studienprojekt.

„Like a Swede at Poltava…” Remembering the 1709 Battle at Poltava and its Role in Ukraine‘s Search for Identity in Europe. A German–Ukrainian Student Study.


Inhaltsverzeichnis Vorwort

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1. Etappen der Entdeckungsreise

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2. Die Spurensucher – Wir stellen uns vor…

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3. Methodische Schrittfolge

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4. Vor 300 Jahren bei Poltawa – Vorder- und Hintergründe

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5. Erinnerungskultur im Wandel

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6. Masepa im Kreuzfeuer

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7. Gedächtnis aus Stein – ein Stadtrundgang in Poltawa

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8. Alte Schlacht in neuem Gewand – Das Museum der Schlacht bei Poltawa

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9. Oral History – Poltawaer im Gespräch

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10. Das 300. Jubiläum in Poltawa – Gedenken oder Feiern?

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11. Europäische Schlachten im Vergleich

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12. Mit Blick auf Russland und Europa

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13. Backstage

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Literaturverzeichnis

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Bilderverzeichnis

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Impressum

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„Vorwort“

„Wie ein Schwede bei Poltawa...“ Über unsere ukrainisch–deutsche Geschichtswerkstatt Von Maria Martens

Um Antworten auf diese Fragen zu finden, haben wir Texte und Dokumente (sowjetiDer Titel unseres Projektes –„Wie ein Schwede bei Poltawa“– ist eine in Russland und schen, ukrainischen und westeuropäischen Ursprungs) zur Schlacht bei Poltawa kritisch der Ukraine geläufige Redewendung. Mit ihr wird die Hilflosigkeit einer Person oder Ausanalysiert und verglichen, Denkmal – und Museumsanalysen vorgenommen, Oral History weglosigkeit einer Situation bezeichnet. Die Redewendung bezieht sich auf die Schlacht Interviews durchgeführt, die Berichtserstattung der Medien im Vorfeld des Jubiläums von Poltawa vom 7. Juli 1709. Der Ausgang dieser Schlacht zwischen dem Russischen untersucht und die Gedenkkultur zur Schlacht bei Poltawa mit Gedenkkulturen Reich und dem Königreich Schweden stellte einen Wendepunkt der europäischen zu anderen europäischen Schlachten verglichen. Geschichte dar und gilt als Geburtsstunde des Russischen Imperiums. Doch in welchem Zusammenhang steht dieses Ereignis mit aktuellen EntwickDie Schlacht von Gefördert wurde das Projekt maßgeblich von der Geschichtswerkstatt lungen der Erinnerungskultur in der Ukraine? Poltawa ist diesen Sommer Europa, einem Programm der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung 300 geworden. Was aber und Zukunft“ zur Auseinandersetzung mit europäischer Erinnerung. Nicht nur die Tatsache, dass die Kampfhandlungen auf ukrainischem bedeutet dieses Ereignis europäischer Die Projekte 2009 standen unter dem Motto „Schichten der ErinTerritorium stattfanden, sondern vielmehr der Umstand, dass der Tragweite für die Erinnerungskultur der nerung“. Die Projekte werden von dem Institut für angewandte Kosakenführer Iwan S. Masepa die Schweden unterstützte, spielt noch jungen Ukraine heute? Anlässlich des Geschichte in Kooperation mit der Europa–Universität Viadrina heute eine ausschlaggebende Rolle für viele Ukrainer. Von den Jubiläums haben Studenten aus Freiburg und begleitet. Einen wird er als Volksheld gefeiert, die Anderen betrachten ihn als Poltawa von April bis September im Rahmen Verräter. So können die Schlacht von Poltawa und die Kontroversen einer Geschichtswerkstatt den Wandel der Weiterhin wurde das Projekt durch das Lektorenprogramm der um die Person Masepas als symbolisch für aktuelle Gegensätze im ukrainischen Erinnerungskultur nach Robert Bosch Stiftung gefördert, das mit seinen Lektoraten an HochSelbstfindungsprozess der Ukrainer gelten. 1991 erforscht. Maria Martens schulen in Osteuropa und China einen Beitrag zur Völkerverständigung erklärt, was es mit dem leistet. Im Rahmen unseres Projektes haben vierzehn Studenten aus Poltawa Projekt auf sich hat… und Freiburg und ihre Teamleiter am Beispiel der Erinnerungsschichten der Engagierte Partner und Unterstützer für uns waren ferner die Staatliche UniSchlacht von Poltawa den Prozess der nationalen und europäischen Identitätsversität für Wirtschaft und Handel der Ukraine in Poltawa, das Historische Seminar der suche der Ukraine seit ihrer staatlichen Unabhängigkeit 1991 untersucht. Ziel war es, Universität Freiburg sowie das deutsch–russischsprachige Jugendportal to4ka–treff, ein den Wandel der Geschichtsschreibung und des Geschichtsbewusstseins zu erfassen und Projekt der Stiftung Deutsch–Russischer Jugendaustausch und der Goethe–Institute der dessen Auswirkungen sowohl in der Ukraine als auch im gesamteuropäischen Kontext Region Osteuropa / Zentralasien. zu bewerten. Wichtige Fragen in diesem Zusammenhang waren für uns zum Beispiel: • Wie werden die Schlacht von Poltawa bzw. Masepa in unterschiedlichen Quellen dargestellt? • Wie wurden bzw. werden verschiedene Darstellungen für politische Zwecke genutzt? • Inwiefern beeinflussen diese Darstellungen das nationale und europäische Selbstverständnis der ukrainischen Bürger und Bürgerinnen?

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Wir danken Förderern und Partnern für die Ermöglichung des Projekts sowie für die Betreuung und Beratung unseres Projektteams in allen Fragen. Weiterhin gilt unser herzlicher Dank unseren ehrenamtlichen Übersetzungshelfern und Korrekturlesern sowie für seinen unermesslichen Einsatz – unserem Grafiker Ronny Bülow.


„Vorwort“

Summary „Like a Swede at Poltava...“ About our Ukrainian–German History Project By Maria Martens

The title of our project – “Like a Swede at Poltava” – is a current saying in Russia and Ukraine. It is used as a simile for “completely defeated”. The saying refers to an event that took place 300 years ago – the Battle of Poltava. The outcome of this battle was a watershed not only in the Great Northern War of the early 18th century but in European history. Russian troops had beaten the army of the Swedish king Charles XII and Russia rose to supreme power in Eastern Europe. Our question was: What impact does this event have on current developments in Ukraine, above all in its mental make up? Ukraine became part of the event not only because the battle took place on Ukrainian territory, but because the Cossack leader Ivan Mazepa had switched sides before the battle and had supported the Swedish forces. There is no single opinion on Mazepa in contemporary Ukrainian society, as to whether he represents a hero or a traitor. In some respects the Battle of Poltava and the dispute about Mazepa symbolise prevailing contradictions in Ukrainian national identity. The analysis of processes of changes in Ukraine’s cultural identity since 1991 was the main topic of the project. The project team was made up of 14 students and the group leaders from Poltava and Freiburg. Our quest was to understand changes in regard to the appreciation of history and historiography in Ukrainian culture, and to evaluate its effects on Ukraine – in a national as well as in a European context. In this regard, important questions were: • How do various literary sources present the battle and Mazepa? • How are various images used for political aims? • How do the descriptions influence the national and European self–perception of Ukrainian society? We have tried to answer these questions by comparing Ukrainian, Soviet and Western European documents, by analysing the museum and monuments dedicated to the battle, by conducting Oral History interviews, by examining the media coverage in the run–up to the anniversary and by comparing the remembrance culture on this battle with the remembrance cultures on other battles in Europe. The project has been mainly sponsored by the “Geschichtswerkstatt Europa”, a program of the Foundation “Remembrance, Responsibility, Future” (Stiftung EVZ), which supports international projects addressing the issue of the culture of memory and remembrance in Europe. The projects in 2009 were themed “Layers of Recollection”. Other supporting institutions have been the lectureship program of the Robert Bosch Foundation, which actively contributes to an international understanding through lectures at universities in Eastern Europe, the State University of Consumer Cooperatives of Ukraine in Poltava, the Historical Seminar of the University of Freiburg and furthermore the German–Russian language youth portal “to4ka– treff“, a project of the Foundation for German–Russian youth exchange (Stiftung DRJA) and the Goethe–Institutes of the Eastern European / Central Asian region. We like to thank all sponsors and partners for their support in helping make our project successful. Thanks! Regarding this brochure, we like to thank our voluntary translators and proofreaders for their great efforts and, last but not least, our graphic designer Ronny Bülow for his unmeasurable commitment and the considerable work he has done.

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1. Etappen der Entdeckungsreise Von Romea Kliewer

Welche Erinnerungsorte haben wir betrachtet? Welche Wege sind wir gegangen? Welche Hßrden haben wir genommen? Eine Darstellung des Projektverlaufs‌

Our Journey of Exploration


„1. Etappen der Entdeckungsreise“

Etappen der Entdeckungsreise

I

m April 2009 begaben wir, sechzehn Studenten und ihre zwei Leiter aus Freiburg und Poltawa, uns auf Spurensuche. Was wollten wir finden? Wir wollten Erinnerungspfade entlang wandern und dabei die nationale und europäische Erinnerungskultur der Ukraine aufspüren. Klingt erstmal gut, und auch interessant. Aber was ist eigentlich Erinnerungskultur? Und was sind Erinnerungsorte, –pfade oder –schichten? Bei unserem ersten Treffen in Poltawa (Mai 2009) haben wir Begriffe wie diese diskutiert und sind uns recht schnell einig geworden: Sie sind nicht eindeutig definierbar. Um so spannender gestaltete sich unsere Suche. Je weniger klar ist, wo genau man hinwill und wo man ankommt, desto erlebnisreicher wird die Reise.

Gedächtnis aus Stein „Unterwegs“ haben wir zunächst bei den Denkmälern zur Poltawaer Schlacht Rast gemacht und versucht, ihre Schichten offenzulegen. Bei diesem Stadtrundgang haben wir zuhören gelernt. Steine haben ein Gedächtnis und sie erzählen viel, wenn man sie sprechen lässt. Sie führten uns durch die Jahrhunderte und die Zeiten verschiedener Regierungen, von der ein jede auf ihre Weise Spuren im Stein hinterlassen hat. Hierbei scheinen die Symbolik und Botschaften der Steine in einem ständigen Fluss, je nachdem wer die Denkmäler zu welcher Zeit betrachtet.

Querfeldein Unsere nächste Reiseetappe führte uns querfeldein. Wir ließen unsere Blicke über die weite, flache Landschaft schweifen. Nach einiger Zeit konnten wir sehen, wie die Einheiten von Peter I und Karl XII sich langsam aufeinander zu bewegen, erste stumme Kanonenschüsse abfeuern, dann die Gewehre aufeinander richten. Die Kampfhandlungen beginnen. Dort Peter der Große hoch zu Ross auf seinem Schimmel, dort der junge, fast kindlich wirkende Karl XII, noch siegesgewiss nach vorn blickend. Und plötzlich, im wilden Galopp stürmt eine ukrainische Kosakeneinheit angeführt von ihrem Hetman Iwan Masepa auf uns zu. Sie kommen immer näher, werden größer vor unseren Augen und beginnen dann langsam wieder zu verblassen, lösen sich schließlich ganz auf. Wir reiben uns die Augen, drehen uns im Kreis und schauen rundum auf die Felder und den fernen Horizont. Noch heute, 300 Jahre nach der Schlacht von Poltawa, finden die Bauern ab und zu ein Stück altes Eisen einer Rüstung, Pistolenkugel, Münzen oder auch Knochen. Sie geben ihre Funde im Museum ab, das inmitten des Schlachtfelds steht und wo Peter, Karl und Masepa heute recht friedlich zusammen unter einem Dach wohnen. Klar ist, wer hier Hausherr ist. Peter steht bei unserer Ankunft in 2,03 Meter Lebensgröße vor dem Eingang und empfängt uns majestätisch. Wir treten ein.

Zwischen den Geschichten Überraschend klein ist das Museum, eine einstöckige Hütte. Sie ist ganz nach Geschmack des russischen Monarchen eingerichtet – im Stil des Sieges und Triumphes. Karl taucht immer wieder auf, lugt um eine der Ecken. Richtig wohl scheint er sich hier nicht zu fühlen. Er rechtfertigt seine strategischen Überlegungen, die ihn nach Poltawa führten und hier so unglücklich mit Peter zusammenstießen ließen. Masepa hatte lange Hausverbot, erst in den Neunzigern ist er eingezogen. Noch ist ihm nur ein kleines Plätzchen im Museum zugewiesen, bald soll er mit seinen Kosaken einen eigenen Raum bekommen. Er hat sich einen Namen gemacht, wenn auch einen umstrittenen. Gerade das macht Masepa ja so interessant für uns und unser Thema Erinnerungskultur.

Im Gespräch mit Poltawaern Unsere nächste Reiseetappe sollte uns deshalb ins Gespräch mit Ukrainern bringen. Wir bereiteten uns gut vor, fuhren sogar extra nach Charkiw, wo Gelinada Gritschenko (Präsidentin der Ukrainischen Oral History Gesellschaft) uns erklärte, wie wir am besten vorgehen, worauf wir zu achten haben und was wir unbedingt vermeiden sollen. Voller Enthusiasmus erarbeiteten wir unseren Interview–Leitfaden. Und dann ging es endlich los. Doch der Beginn entpuppte sich schwieriger als gedacht. Denn es war gar nicht so leicht, geeignete und uns noch unbekannte Gesprächspartner zu finden; und diese dann zu motivieren sich interviewen zu lassen. Erste Frustrationen machten sich bemerkbar. Schließlich hatten wir fünfzehn Freiwillige beisammen, allerdings nicht in der gesuchten Konstellation. Wir haben uns damit abfinden müssen, dass die Omas auf den Parkbänken schwerlich das ausreichende Vertrauen aufbauen konnten, um unserer Selbsteinladung in

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„1. Etappen der Entdeckungsreise“

Gedenkfeiern Schließlich kam der Höhepunkt unserer Entdeckungsreise – die 300jährige Gedenkfeier zur Schlacht bei Poltawa am 27. Juni in Poltawa. Viele kleine Kämpfe auf verschiedensten Ebenen (international, national, regional, lokal) gingen der Gedenkfeier voraus, die wir gespannt in den Medien verfolgten. Im Zentrum der Debatten stand die Frage: „national–ukrainisch oder im russischen Stil gedenkfeiern?“ Letztlich wurde es weder das eine noch das andere. Man einigte sich auf das Motto „Versöhnung“, gedachte allen Gefallenen gleichermaßen und feierte um des Feierns willens.

Der europäische Blick

ihre Wohnungen zuzustimmen. So war die Sektion „60–80jährige“ nur mit einer Person besetzt. Tatjana. Sich scheinbar ihrer besonderen Stellung bewusst, öffnete sie die Tür in ihre persönlichen Erinnerungen weiter als die anderen. Ein wunderbares Gespräch, das uns vom 250jährigen Jubiläum der Poltawaer Schlacht (1959) bis zum bevorstehenden 300jährigen Jubiläum führte. Wir erhielten Einblicke in Tatjanas Schulbücher, in ihr Elternhaus und in ihr Erleben der ukrainischen Umbruchsjahre Anfang der Neunziger. Mal lachten wir zusammen, mal waren wir den Tränen nahe. Ein bewegendes Gespräch.

Mitgeschnitten In der Gesamtsicht auf unsere fünfzehn Interviews lässt sich ein ähnliches Bild zeichnen, wie man es auch in den Medien vermittelt bekommt: Die meisten unserer Gesprächspartner begrüßen die Unabhängigkeit der Ukraine, beklagen aber die schwierige wirtschaftliche Lage ihres Landes und ärgern sich offen über ihre endlos streitenden Politiker. Viele der Älteren wünschen sich ein enges, freundschaftliches Verhältnis zu Russland. Die Jüngeren hingegen fordern mehr Abgrenzung vom ehemaligen „großen Bruder“ und eine Zuwendung zur Europäischen Union. Die Erinnerung an die Schlacht von Poltawa ist allen ein wichtiges Anliegen. Peter wird fast durchweg positiv „erinnert“, über Karl weiß man wenig. Und an Hetman Masepa scheiden sich die Geister: Einige unserer Gesprächspartner sehen ihn als Verräter an, weil er kurz vor der Schlacht von Peters auf Karls Seite wechselte. Für andere ist er hingegen eben deshalb ein nationaler Held. Dass es sehr schwer werden würde, unsere narrativen Interviews auszuwerten, war uns klar. Wir verwendeten viele Tage darauf, diskutieren zunächst Möglichkeiten und Methoden, und teilten uns schließlich friedlich in zwei Gruppen und zwei Methoden, – die deutschen analytischen Statistiker und die ukrainischen transkribierenden Protokollanten. Erstere haben die Aussagen unserer Interviewpartner typologisiert und dann quantitativ ausgewertet. Letztere haben besonders prägnante Antwortpassagen zu unseren Kernfragen einander gegenübergestellt.

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Die letzte Station unserer Reise führte uns weg von der Ukraine, nach Deutschland. Aus der Ferne, im Freiburger Seminarraum, resümierten wir unsere bisherigen Etappen und versuchten von hier aus, einen europäischen Blick auf die Schlacht von Poltawa und die ukrainische Erinnerungskultur zu werfen. Unter anderem, indem wir die Poltawaer Schlacht mit anderen großen Schlachten der europäischen Geschichte verglichen und die heutigen politischen Beziehungen der Ukraine zu Russland, Schweden und der EU untersuchten.

Der Fund unserer Reise Letztlich haben wir nicht einen konkreten Fund, kein eindeutiges Ergebnis aus unserer Entdeckungsreise mitgebracht. Sondern wir haben viele Funde gesammelt, sind zu einer Vielzahl von Ergebnissen gekommen. Wir haben die ukrainische Erinnerungskultur aus einer Vielzahl von Blickwinkeln betrachtet. Wir haben viele Methoden kennengelernt, mit denen wir die Erinnerungsorte entlang unserem Weg analysiert haben. Erinnerungsorte auf unserer Reise waren die Denkmäler Poltawas, das Museum der Poltawaer Schlacht, die Gespräche mit Poltawaer Bürgern, die Gedenkfeier sowie unsere Recherchefunde in historischen Schriften, in Literatur und Medien. Aus unseren Betrachtungen dieser Erinnerungsorte ist ein Mosaik an Ergebnissen entstanden, die untrennbar zueinander gehören und die Vielfalt der ukrainischen Erinnerungskultur widerspiegeln. Zu unserem Mosaik gehören auch die ganz persönlichen Erfahrungen und Eindrücke unserer deutsch–ukrainischen Gruppe. Wir haben uns dreimal für vier bis sechs Tage vis–à–vis getroffen, wo wir tagsüber viel gearbeitet und abends bei Musik und Tanz viel Spaß gehabt haben. Die restlichen Wegstrecken und Untersuchungen unserer halbjährigen Reise haben wir virtuell vernetzt zurückgelegt. Dass wir jetzt, nach unserer gemeinsamen Entdeckungsreise, immer noch aktiv virtuell vernetzt sind, ist für uns eines der schönsten Ergebnisse. Unser Mosaik an Erfahrungen, Erlebnissen und Ergebnissen stellen wir in dieser Projektbroschüre vor.


„1. Etappen der Entdeckungsreise“

SUMMARY Our Journey of Exploration By Romea Kliewer

In May 2009 our project group set out on a journey of exploration. We wanted to trace the roots of the Ukrainian culture of remembrance. Which places of remembrance did we visit? Which paths did we strike? What hurdles did we encounter? And what conclusions did we reach? Our project stages: From May until July 2009 our Ukrainian–German project group met three times and explored the remembrance of the Battle of Poltava and its meaning for today’s Ukrainians. The first stage of our journey led us across town to the monuments of the Poltava battle. We experienced that stones have a memory and will tell their stories, if you listen to them. We then went to the former battlefield, where 300 years ago the armies of Peter I and Charles XII fought against each other. Today the two emperors live quite peacefully together, in a small cottage that is situated on the battlefield, called the Museum of the Battle of Poltava. However, it is obvious that Peter is the lord of the house. The cottage is equipped after his fancy – in the style of victory and triumph. Cossack leader Ivan Mazepa was banned for a long time, only in the early 90’s did he get permission to move in. So far he has only a small place at the wall, but soon he and his Cossacks will have a room to themselves. The next stage of the journey took us into the homes of Poltava citizens. It was not easy to find volunteers who were ready to open the doors to their private memories. Finally, we were able to conduct 15 interviews that gave us moving insights into the variety of co–existing memories and cultures of remembrance. Certainly, one highlight of our journey was the 300th anniversary of the Battle of Poltava. For weeks, we had observed the media coverage, the focus of which was the question of “How to celebrate the anniversary, in a patriotic Ukrainian Way versus as a day of Russian military victory?” In the end, neither was the case. Instead the commemoration program was themed in the spirit of reconciliation. The last stage of the journey took us away from Ukraine, to Germany. From the seminar room in Freiburg, we summed up our previous experiences and explorations. Then, in a final step, we tried to take a “European” look at the Battle of Poltava by comparing the Poltava battle to other decisive battles in European history and by examining today’s political relations of Ukraine to Russia, Sweden and the EU. All in all, we did not arrive at one certain discovery or finding, but rather a wide spectrum of findings that form a mosaic that mirrors the diversity of the Ukrainian culture of remembrance. In this brochure we present this mosaic of our research findings as well as our personal reflections on our teamwork as a bi–national project group.

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2. Die Spurensucher Wir stellen uns vor…

Projekte entstehen durch das Interesse und Engagement von Menschen. „Wer“ ist das Projekt „Wie ein Schwede bei Poltawa“ und warum haben wir uns auf Spurensuche begeben? Die sechs Poltawaer und acht Freiburger Studenten und ihre Teamleiter stellen sich vor…

Tracing the Paths of Remembrance… The 14 Project Participants introduce themselves


„2. Die Spurensucher“

Julia Kalisch

Ich heiße Julia und bin eine 19–jährige Studentin aus Poltawa. Ich bin im zweiten Studienjahr und studiere Internationale Wirtschaft. Ich würde mich selbst als eine offene Person bezeichnen, die immer bereit ist etwas Neues zu lernen. In meinem Leben gibt es viele Dinge, die ich mag, und eher wenige, die ich nicht mag. Ich mag mein Studium, zumindest meistens =). Ich mag alle möglichen Formen von Kunst. In meiner Freizeit lese ich viel, beschäftige mich mit Fotografie und ich höre gern Musik, wobei ich mich auf keine bestimmte Musikrichtung festlege. Ich bin auch gern am Computer und surfe im Internet. Ich unternehme viel mit Freunden. Ich lache gern und viel. Ich mag interessante Menschen, entdecke gerne neue Dinge und lerne mit Vergnügen Fremdsprachen. Ich verbringe viel Zeit damit, Deutsch zu lernen. Das ist einer der Gründe, weshalb das Projekt mein Interesse geweckt hat: Es gibt mir die Möglichkeit, mich mit verschiedenen Menschen aus Deutschland zu unterhalten. Ich genieße die internationale Atmosphäre unseres Projekts. Meine Hauptmotivation zur Projektteilnahme jedoch ist in meinem Interesse an Geschichte begründet. Geschichte hat mich schon als Schulfach fasziniert. Mir gefällt es, Neues über vergangene Ereignisse und über ihren Einfluss auf die Zukunft zu erfahren. Ich finde vor allem die Quellenarbeit spannend. Ich freue mich darauf, Neues über die Schlacht bei Poltawa und über die Art und Weise, wie sie erinnert wird, in Erfahrung zu bringen. My name is Julia. I’m a 19 year old student from Poltava, Ukraine. I’m a second year student, majoring in International Economics. I´d describe myself as an open–minded person who is quick in thought and always eager to learn new things.There are many things in life I like and only very few I dislike. I like to study, at least most of the time. I am fond of all forms of art. In my spare time I like to occupy myself with things such as reading books, photographing, listening to all kinds of music, being on the computer and surfing the internet. I like my friends, I like to laugh and joke. I like interesting people. I like to explore something new. I like foreign languages. I devote a lot of time to study German. This is one of the reasons why our project about the Poltava Battle is very interesting for me. Owing to it I can communicate with different people from other countries and put my German and English language knowledge into practice. I enjoy the international environment of our project team which gives us all the privilege to build up new relationships with people from different cultures. However, my main motivation to be in the Project results from my interest in history. History, as a field, has always fascinated me right from my school days. I´ve always liked to find out something new about events in the past and how they are influencing the future. I enjoy working with historical documents. I am eager to learn more about the Poltava Battle and the way how it is commemorated in the Ukraine and by doing so, to find out more about the various options where Ukraine as a nation might be heading to in future.

Tanja Komar Ich heiße Tanja Komar. Ich studiere Internationale Wirtschaftsbeziehungen und daher interessiere ich mich für Wirtschaft, für fremde Kulturen und für Globalisierungsprozesse. In meiner Freizeit gehe ich gerne ins Kino, lese und treibe Sport, vor allem Tennis. Ich bin der Meinung, dass man sich sowohl mental als auch physisch weiterentwickeln muss und mache deshalb auch Fitness. Wie andere Studenten mag auch ich es, auf Partys, Konzerte und Festivals zu gehen. Als junge Frau mag ich natürlich auch Shopping, Mode und Glamour. Aber das wichtigste in meinem Leben sind meine Familie und meine Freunde. Ich schätze Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit und Treue an anderen Menschen. Ich denke, dass ich sehr romantisch und kreativ bin. Ich glaube an Wunder und mein Lebensmotto ist: „Man kann alles erreichen, wenn man es nur will” und „Glaube an dich selbst”. Ich nehme an dem Projekt teil, weil ich die verschiedenen Blickwinkel auf die Schlacht von Poltawa kennenlernen möchte. Das ist nicht zuletzt deshalb interessant für mich, da dieses historische Ereignis in meiner Heimatstadt stattgefunden hat und wir dieses Jahr des 300. Jahrestages der Poltawaer Schlacht gedenken. My name is Tanya Komar. I study International Economics, so my interests are business, foreign cultures and globalization processes. Nevertheless, I really like cinematography, reading, and sport. My favorite one is tennis. I think a person should develop mentally as physically so I go in for fitness. As every student I like different parties and great events, as a girl I also like shopping, fashion and glamour. But my family and friends are the most important in my life. I appreciate sincerity, honesty, and confidence among people. I think I’m a romantic and creative person. I believe in wonder and my mottos for life are: ”You’ll achieve everything if you really want it” and “Believe in yourself ”. I participate in the project because this is an excellent opportunity to research and compare minds of people of different nations about Poltava’s battle. After all, this historical event took place in my native town and this year we have the 300th anniversary of it, so, of course, this project is very interesting for me.

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„2. Die Spurensucher“

Malte Liewerscheidt Mein Name ist Malte Liewerscheidt. Ich komme aus Deutschland und bin 24 Jahre alt. Zurzeit bin ich Student an der Universität Freiburg und befinde mich in der letzten Phase meines Studiums. Meine Fächer sind Politik, Geschichte und BWL. 2006/2007 habe ich ein Jahr in Irland studiert, am Trinity College in Dublin. Neben den üblichen Dingen wie Sport, Kino, Musik etc. interessiere ich mich für jede Art von Satire und Kleinkunst. Daneben lese ich gerne, vor allem deutsche und russische Literatur. Erst kürzlich habe ich die Photographie als neues Hobby entdeckt. Außerdem bin ich Mitglied bei den Jungen Europäischen Föderalisten und engagiere mich für eine friedliche Einigung des europäischen Kontinents. Meine Motivation für dieses Projekt resultiert aus meinem generellen Interesse für Osteuropa und seine Geschichte, hat aber auch einen biographischen Hintergrund: Meine Großeltern waren so genannte Schwarzmeerdeutsche, die in der Südukraine siedelten. Dieses Projekt ist eine tolle Möglichkeit, in Kontakt mit dem Land meiner Vorfahren zu kommen.

My name is Malte Liewerscheidt. I’m German and 24 years old. Currently, I’m a student at the University of Freiburg and at the final stage of my studies. My fields of study are Politics, History and Economics. In 2006/07 I spent a year studying abroad at the Trinity College Dublin, Ireland. Apart from the usual stuff like sports, movies, music etc., I’m interested in any kind of satire and cabaret. I also like reading, especially German and Russian literature. And just recently I discovered photography as a new hobby. Besides, I’m a member of the Young European Federalists Movement and engage myself for the peaceful integration of the European Continent. My motivation to participate in this project results from my general interest in Eastern Europe and its history as well as from a biographical anecdote: my grandparents were so–called Black Sea Germans, who used to settle in the Southern Ukraine.This project is a great opportunity to get in contact with the land of my forefathers.

Anastasija Malijenko

Ich heiße Anastasija Malijenko und studiere Internationale Wirtschaft. Um das Wesentliche über mich zu sagen: Ich bin ehrgeizig, begeisterungsfähig und abenteuerlustig und bin immer offen für neue Aktivitäten. Ich lerne gerne von der Welt, eröffne mir gern Unbekanntes und mag Herausforderungen. Die Teilnahme an diesem Projekt ist eine solch neue Herausforderung für mich, denn hier kann ich in eine neue Rolle schlüpfen und mich ausprobieren: in der Rolle eines Wissenschaftlers – wenn ich wissenschaftliche Forschung zum Thema betreibe, in der Rolle eines Analytikers – wenn ich Erinnerungsorte analysiere und dabei Vergangenheit und Zukunft verbinde, in der Rolle eines Entdeckers – denn im Verlauf unserer Forschungen werden wir unter Umständen Neues aufspüren, und in der Rolle eines Journalisten, wenn wir unsere Projektergebnisse der Öffentlichkeit präsentieren. Ich freue mich darauf, mehr über die Schlacht von Poltawa zu erfahren. Seit vielen Jahren ist mir die Poltawaer Schlacht als ein Datum in der Geschichte unseres Landes ein Begriff. In der Schule, in den Medien, in Gesprächen mit Eltern und Großeltern haben wir von diesem Ereignis gehört. Nun bin ich interessiert daran, die Einflüsse der Schlacht auf die gegenwärtige Entwicklung sowie auf die internationalen Beziehungen unseres Landes zu untersuchen. Alles in allem sehe ich dieses Projekt als eine einzigartige Chance, das Thema der Schlacht von Poltawa Schicht um Schicht aufzudecken, – und dabei neue Sichtweisen auf die Welt kennenzulernen und mehr von mir selbst sowie den Menschen um mich herum zu entdecken. My name is Anastasiya Maliyenko. I am majoring in International Economics. The essential about me is that I am a very ambitious, enthusiastic and adventurous person and I like to be involved in new activities. I like to learn from the world, to open unknown and to face positive challenges. So, participating in this project is a challenge for me, because here I can try out myself in new roles: in the role of a scientist – when I do scientific research, in the role of a cultural and social analyst – when I analyze places of remembrance and thus link past and present, in the role of a discoverer – because in the process of researching we might find some facts that were still unknown, and in the role of a journalist – when we will introduce our results to the public. I am eager to broaden my knowledge about the Poltava Battle. For a long time I knew this event just as a highlighted date in the history of our country.We were taught a lot at school, we heard a lot from mass media, from our parents and grandparents about this event. Now it is interesting for me to analyze the consequences of this event and their influence on the present development of Ukraine. Altogether, I regard this project as a unique chance to discover the topic of the Poltava battle in details – layer by layer, and thereby to discover new horizons of the world and, of course, to discover myself and people around me.

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„2. Die Spurensucher“

Maria Martens Hallo an alle! Ich heiße Maria Martens und bin seit Oktober 2005 Studentin an der Albert–Ludwigs–Universität in Freiburg. Ich bin 23 Jahre alt und in der litauischen Hauptstadt Wilna geboren, lebe aber seit meinem dritten Lebensjahr in Deutschland. Meine Studienfächer sind Geschichte und Geographie, vor allem die Länder und Gebiete der ehemaligen Sowjetunion sind für mich von besonderem Interesse. Neben dem Studium arbeite ich als studentische Hilfskraft an der School of History des Freiburg Institute for Advanced Studies und bediene in einem netten, kleinen Café in Freiburg. Meine Freizeit verbringe ich am liebsten mit meiner Familie und meinen Freunden. Für meine Zukunft gibt es noch keine konkreten Pläne, ein Ziel, das ich mir gesetzt habe ist, so viele Teile und Facetten unserer Erde wie möglich zu sehen. In meinen Augen ist das Projekt eine einzigartige Gelegenheit, einerseits der Geschichte der Ukraine, andererseits deren Bevölkerung und Kultur näher zu kommen. Die Schlacht bei Poltawa ist ein interessantes und weitreichendes Thema; zum einen handelt es sich um ein Ereignis, welches vor 300 Jahren stattfand, zum anderen aber auch um ein ebenso aktuelles, welches einen Teil der ukrainischen Zeitgeschichte bildet. Im Rahmen des Projektes besuche ich die Ukraine zum ersten Mal und bin froh, die Geschichte dieses Landes quasi hautnah erfahren zu dürfen. Ich freue mich sehr auf die Bekanntschaft und Zusammenarbeit mit den Studenten auf ukrainischer Seite und allen anderen Beteiligten. Ich sehe das Projekt als eine tolle Möglichkeit und Herausforderung, in einem internationalen Team zu arbeiten. Hello everybody! My name is Maria Martens and I am a student at the Albert–Ludwigs–University of Freiburg/Germany since October 2005. I am 23 years old. My birthplace is Vilnius, the capital of Lithuania, but I`ve lived in Germany since the age of three. The major subjects I study are History and Geography, both with a focus on the region of the former republics of the Soviet Union. Besides my studies I work as assistant at the School of History of the Freiburg Institute for Advanced Studies and as a waitress in a small café in Freiburg. My leisure time I enjoy spending with my family, my friends and with books (which are not necessarily linked with my fields of study). I have no precise plans for my future life. But one major goal certainly is to see as many parts of our world as possible. In my opinion, this project is a unique opportunity to learn more about the Ukrainian history and the way it is commemorated today on the one hand, and to get to know the Ukrainian culture and people on the other hand.The Battle of Poltava is a very interesting topic; it is not just an event that took place 300 years ago, it is also an actual matter that is part of the contemporary history of the Ukraine. I have never been in Ukraine before and so I am very glad to get the possibility to come to know the Ukrainian history that close. I look forward to meet the Ukrainian students and other people in Ukraine. In addition, I think it is a great possibility and a new challenge for me to work in an international team.

Petro Martschenko

Schon seit meiner Kindheit liebe ich zwei Dinge: Musik und Kontakt zu anderen Menschen. Ich bin Saxophonist und studiere nun noch Internationale Wirtschaft. Musiker sind sehr emotional und ich bin da keine Ausnahme. Ich mag verschiedene Musikrichtungen aus verschiedenen Ländern. Ich hoffe, ich werde in meinem Leben die Möglichkeit haben viele Menschen aus anderen Ländern zu treffen. Ich möchte so viel wie möglich vom Leben mitnehmen. Meine Teilnahme an dem Projekt “Wie ein Schwede in Poltawa” ist einer der wichtigsten Abschnitte meines bisherigen Lebens. Ich nehme an diesem Projekt teil, weil es die Chance bietet, die Wahrheit über die Poltawaer Schlacht herauszufinden. Sokrates sagte: „Die Wahrheit wird im Streitgespräch geboren“. Ich kann ihm nur zustimmen. Jeder Teilnehmer am Projekt weiß etwas, was die anderen nicht wissen. Die Teilnehmer werden ihr Wissen austauschen und schließlich zusammenfassen und Schlussfolgerungen ziehen. Ich bin froh, einer der Teilnehmer zu sein. Ich bin gespannt darauf, Neues zu erfahren und freue mich darauf, mein Wissen zu teilen. Da wir unter anderem Umfragen als Forschungsmethode nutzen, werden wir auch die Ansichten und Standpunkte der Poltawaer Bürger kennenlernen. Im Ganzen ist dieses Projekt eine tolle Chance für mich, mich weiter zu entwickeln, insbesondere in Hinblick auf solche Kompetenzen wie Teamwork, Flexibilität und Unabhängiges Denken. Und sicherlich will ich auch viel Spaß mit meinen Freunden aus der Ukraine und Deutschland haben. Since I was a child I`ve liked two things: music and connection with other people. I am a Saxophonist by profession who now studies International Economics. Musicians are very emotional and I am not an exception. I like different kinds of music from different countries around the world. I hope I will get a chance in my life to meet many different people from other countries. I want to challenge my life and take as much as possible from it. My participation in the project “Like a Swede at Poltava” is going to be one of the greatest stages in my life so far. I take part in this project because it is a great chance to find out the truth about Poltava´s Battle. Socrates said: “In Dispute the Truth is born”. I agree with him completely. Every one of the participants knows something especial, something that the others do not know. The participants will exchange all the information and at the end will summarize it, draw conclusions. I am glad to be one of them. I want to learn something new and to share the information that I`ve got. Since we will be doing sociological research in Poltava we will find out viewpoints of Poltava citizens, too. On the whole, this project is a great chance for me to develop myself further, especially regarding my skills of team working, flexibility and independent thinking. And, of course, I want to have a lot of fun with my friends from Ukraine and Germany.

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„2. Die Spurensucher“

Kristina Offterdinger Mein Name ist Kristina Offterdinger. Ich bin am 20. März 1987 in Sankt Petersburg geboren. Ich studiere Geschichte und Ostslawistik an der Albert–Ludwigs–Universität Freiburg. Momentan schreibe ich meine Bachelor–Arbeit über die Beziehungen der Kiever Rus‘ zu dem ostfränkischen Herrschaftsgebiet. An dieser Thematik erkennt man, dass sich mein Interessenschwerpunkt in der Osteuropäischen Geschichte befindet. Meine Hauptthese hierbei ist grundsätzlich, dass Osteuropa ein wichtiger Teil Europas und damit der europäischen Geschichte ist; somit lassen sich gegenseitig kulturelle und politische Beziehungen über die verschiedenen Epochen feststellen. Dies ist der Grund, warum Poltawa und die Schlacht von Poltawa für mich von Interesse sind. Es handelt sich um eine Schlacht zwischen zwei fast imperialen Großmächten: Schweden und das zaristische Russland im europäischen Kontext. Hinzu kommt ein weiterer Aspekt: die Erforschung von Erinnerungskulturen. Interessant ist aus meiner Sicht der Vergleich und die Gegenüberstellung mit der Erinnerung an die Varusschlacht in Deutschland. Dazu lohnt sich zum Beispiel ein Vergleich der verschiedenen Museumskonzeptionen in Deutschland und in der Ukraine. Daher habe ich vor, verschiedene Museen und Ausstellungen zur Varusschlacht in Nordrhein–Westfalen zu besuchen, und im Anschluss die Erinnerungsschichten zu den beiden Schlachten zu vergleichen.

My name is Kristina Offterdinger. I was born in Saint Petersburg on the 20th March in 1987. I study history and Slavic studies at the Albert–Ludwigs–University in Freiburg.This summer I am writing my Bachelor–thesis about the Kievan Rus’ and its connections with the East Francian territory.The topic of my thesis easily reveals that I am very interested in Eastern European History. As I see it, Eastern Europe is an important part of Europe and thus of European history. In my thesis I argue that there has been a strong cultural connection and interaction between Eastern and Central Europe throughout history.The Poltava–Project is of interest to me, because the Battle of Poltava has a European context. It was a battle between the mighty empires of Sweden and Tsarist Russia. Furthermore, I am interested in the study of cultures of remembrance. Basically our project is about examining layers of remembrance. Personally I find it especially intriguing to compare different historical events (as battles) and their layers of remembrance.Within the framework of our project a comparison between the battle of Poltava and the Varus battle could be a good choice. Thus I am going to travel to Northern Rhine–Westphalia to visit different museums and see their exhibitions on this German battle. Subsequently I will compare the presentation and formation of remembrance of the two battles.

Laura Ritter Ich heiße Laura Ritter und bin 23 Jahre alt. Eigentlich komme ich aus Hamburg, studiere aber nun schon seit acht Semestern an der Albert–Ludwigs–Universität Freiburg Neuere und Neueste Geschichte, Ostslavische Philologie und Wirtschaftspolitik. Das Projekt über die Schlacht von Poltawa hat mich zum einen interessiert da mein persönliches Interesse und mein Studienschwerpunkt auf Osteuropa liegen. Daher wollte ich gerne mehr über die Geschichte der Ukraine und die Person Masepa lernen. Zum anderen interessierte mich besonders der Kontakt zu den ukrainischen Studenten und deren Ansichten über ihre eigene Geschichte.

My name is Laura Ritter and I am 23 years old. Originally I am from Hamburg, but I am studying for four years History, Slavonic studies and Economic policy at the Albert– Ludwigs–University of Freiburg. On the one hand I was interested in the project about the battle at Poltava because my personal interest and my major field of study is Eastern Europe.That´s why I want to learn more about the history of Ukraine and on the person Mazepa in particular. On the other hand I am especially interested in the personal contact with the Ukrainian students. I want to get to know their opinion about their own history.

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„2. Die Spurensucher“

Julia Rybatschok „Leben bedeutet das zu tun, was Du in diesem Augenblick tun willst. Wir leben nicht für die Ewigkeit. Wir haben nur diesen einen Moment, der als Stern in unserer Hand leuchtet – und wie eine Schneeflocke schmilzt“, schrieb Marie Beyon Ray. Ich stimme ihr da ganz zu und darum schätze ich jede Minute meines Lebens und versuche es mit interessanten Menschen und Ereignissen zu füllen. Ich nehme an dem Projekt zur Schlacht bei Poltawa teil, weil ich mein Land und seine Geschichte liebe. Die ukrainische Geschichte ist eine Liste tragischer Ereignisse, welche weit länger als die der glücklichen ist. Denn die Geschichte meines Landes ist ein ständiger Kampf um Unabhängigkeit. Ich bin neugierig darauf, die Meinungen anderer Menschen über die Rolle der Schlacht für die Ukraine kennenzulernen. Ich habe so viele Fragen und ich denke, dass die Teilnahme am Projekt den Vorhang, hinter dem sich die ukrainische Geschichte verbirgt, ein wenig heben werden kann. Abgesehen davon ist das Projekt sehr aufregend für mich, weil ich mit seiner Hilfe neue Kontakte und Freundschaften mit anderen Studenten schließen kann. Ich freue mich darauf, mit ihnen zu diskutieren und gemeinsam neue Erkenntnisse zu gewinnen. Noch dazu sieht das Projekt eine Fahrt nach Deutschland vor, so dass ein Traum von mir wahr wird: das erste Mal in meinem Leben ins Ausland zu fahren! Oh, ich vergaß mich vorzustellen: Mein Name ist Julia Rybatschok. Ich studiere in Poltawa. Ich mag es, interessante Bücher zu lesen, zu tanzen und ukrainische Lieder zu singen. Kurz gesagt: Ich liebe mein Leben und alles was ich tue. “Being is doing what you want to do now. We are not living in eternity. We have only this moment, sparkling like a star in our hand – and melting like a snowflake,” said by Marie Beyon Ray. I agree with her and that’s why I appreciate every minute of my life and try to make it full of interesting people and events. I participate in the project because I love my country and adore its history. Ukrainian history is a list of tragic events which is much longer than that of happy ones. It is because the history of my country was a constant fight for independence. I am interested in the opinions of different people about the role of the Poltava battle for Ukraine. I have so many questions, and I am convinced that participation in the Poltava Battle project will lower a little the curtain behind which Ukrainian history hides. Besides of that, the Poltava Battle project is very exciting for me because I am looking forward to establish new acquaintances and friendly relations with other students, as we go along discussing our points of view and making some conclusions together. Moreover, this international project foresees the trip to Germany, so participation in it can make my dream come true – I can go abroad for the first time of my life. Oh, I even forgot to introduce myself. My name is Yulia Rybachok. I am a second year student from Poltava who likes to read interesting books, dance and sing Ukrainian songs. In shorter words I adore my life and everything I do.

Sebastian Sparwasser Ich heiße Sebastian Sparwasser. Ich studiere mittlerweile seit vier Jahren die Fächer Kulturanthropologie und Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Freiburg. Ich bin 24 Jahre alt. In meiner Freizeit spiele ich Gitarre und Basketball. Außerdem versuche ich so viel als möglich zu reisen. Ich interessiere mich sehr für die Geschichte und die zukünftige Entwicklung osteuropäischer Länder. In meinem Studium habe ich den Schwerpunkt auf die Minderheitenfragen im Balkan und Ungarn gelegt.Weitere Themen, die ich im Studium behandelt habe, sind die Betrachtung von Migrationsbewegungen und soziologische Theoriebildung dazu. Ich wollte an dem Projekt teilhaben, da die Ukraine, als eines der größten Länder Europas, einen besonderen Einfluss auf seine osteuropäischen Nachbarn hat. Die ukrainische Erinnerung an die Schlacht von Poltawa ist außerdem ein Ausdruck für den Kampf einer Nation um Identität, was in kulturanthropologischer Forschung heute eine große Rolle spielt.

My name is Sebastian Sparwasser. I am now in my fourth year of studying Cultural Anthropology and Modern History at the University of Freiburg/ Germany. I am 24 years of age. In my spare time I like playing guitar and basketball. Furthermore I am trying to travel as much as I can. I am very interested in the history and the future developments of Eastern European countries. In my studies I have a focus on the question of minorities in the Balkans and present day Hungary. Other main issues I deal with at university are migration processes throughout Europe and sociological theory. Since there is a particular influence of Ukraine, as one of the largest countries in Europe, to its Eastern European neighbors I got interested in participating in this project. By exploring the remembrance on the battle of Poltava it is also possible to study the struggle of a people or a nation about its identity which currently is a main issue in cultural anthropological research.

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„2. Die Spurensucher“

Clara–Louise Sutterer Ich heiße Clara–Louise Sutterer, bin 25 Jahre alt und im Süden Deutschlands, in Freiburg, geboren. Im Jahr 2004 habe ich mein Studium an der Albert–Ludwigs– Universität in Freiburg begonnen. Auf Grund meines schon in der Schule vorhandenen Interesses an Geschichte gepaart mit einer Faszination für Russland, entschied ich mich für die Fächerkombination Osteuropäische Geschichte, Ost–Slawistik und Philosophie. Neben dem Lesen besteht meine Hauptbeschäftigung in Unternehmungen mit meinen Freunden, seien es Kinobesuche, Partys, Museen oder Reisen. Meine Motivation an dem Projekt in Poltawa teilzunehmen beruht insbesondere auf dem Interesse am Verhältnis der nun unabhängigen Ukraine zu seinem ehemals „großen Bruder“ Russland. Einen Eindruck außerhalb der Medien zu erlangen, in Zusammenarbeit mit Studenten aus der Ukraine scheint dabei sinnvoll und spannend.

My name is Clara–Louise Sutterer, I am 25 years old and was born in the south of Germany, in Freiburg. In the year 2004 I began studying at the Albert–Ludwigs–University Freiburg. My interest in history and my fascination for Russia goes back to my school days and so I decided to study Eastern European History, Eastern Slavic Studies and philosophy. In my spare time I enjoy reading, meeting friends, going to the movies, to parties, to museums and travelling abroad. I have a particular interest in the relationship of now independent Ukraine with former “big brother” Russia. I am excited about the student project und looking forward to receiving information and impressions on Ukraine beyond media coverage, by communicating and collaborating closely with students from Ukraine in Poltava.

Julian Völkle Ich heiße Julian und ich bin 22 Jahre alt. Ich lebe in Freiburg und studiere hier die Fächer Philosophie, Geschichte und Latein auf Staatsexamen. Am liebsten beschäftige ich mich mit Philosophie, sowohl an der Uni als auch in meiner Freizeit. Philosophie ist für mich eine Lebenseinstellung, wogegen Geschichte für mich eher ein „Interessenfach“ ist. Ausgehend von diesen Fächern lese ich gerne in meiner Freizeit, treffe mich aber ebenso gerne mit Freunden und probiere jede Art von Sport aus, wobei ich mich ungern auf bestimmte Hobbies festlege. Da ich es bisher schwer fand mich in der Geschichte zu orientieren und zu spezialisieren, bin ich sehr glücklich über die Entwicklung des letzen Jahres. Denn ich lebte mit mehreren Georgiern für ein Jahr zusammen, welche meine Begeisterung für „den Osten“ weckten. Ausgehend davon belegte ich eine Übung bei Herrn Hausmann, in der der Fokus auf Russland liegen sollte. Über diese Übung gelangte ich auch weiter in das Poltawa–Projekt. Dieses Projekt begeistert mich sehr, einerseits, weil es viele mir unbekannte, interessante Informationen gibt und andererseits, weil es durch den interkulturellen Austausch und die in Poltawa gewonnen Eindrücke mein Gefallen am Osten weiter bekräftigt. Es ist somit für mich persönlich eine schöne Mischung aus Geschichte und Philosophie. My name is Julian and I’m 22 years old. I live in Freiburg where I study Philosophy, History and Latin. My favorite pastime is delving into Philosophy, at University as well as in my free time.To me, Philosophy is an attitude towards life, whereas History is rather a “field of interest”. My fields of study kind of implicate that I like reading a lot in my free time, but I also enjoy meeting friends and doing sports. I’ve had a go at all sorts of sports, but generally speaking, I´d say I am a person who doesn´t like to commit himself on “one” particular hobby. Also, I had a quite difficult time deciding in what area of my Historical Studies I want to specialize. I feel therefore all the more happy about the developments of the last year: I have been living with some Georgians, who have raised my enthusiasm for “the East”. As a result, I took a course offered by Mr. Hausmann at the University of Freiburg which had a focus on Russia. Thus I got into the team of the Poltava–Project. I find the project very inspiring, because I get a lot of new, interesting information, plus I get the chance to participate in an intercultural exchange. Our workshop in Poltava has left me with many positive impressions and increased my passion for the East even more. Altogether, this project, as I see it, is a nice mix of history and philosophy..

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„2. Die Spurensucher“

Neele Wulff Ich heiße Neele Wulff und studiere seit 2005 die Fächer Geschichte, Literatur und öffentliches Recht an der Universität Freiburg. In meiner Freizeit lese ich viel, vor allem Romane, und ich mache viel Sport. Ich bin sehr interessiert daran, wie sich Europa in Zukunft entwickeln wird. Neben dem Studium engagiere ich mich deshalb bei der Organisation „Junge Europäische Föderalisten“. Wir organisieren interkulturelle Konferenzen, Lesungen und Diskussionsrunden in ganz Europa. Meinen Studienschwerpunkt habe ich bewusst auf Osteuropastudien gelegt und ich möchte in diesem Bereich auch meinen Abschluss machen. Letztes Jahr habe ich für zwei Semester in Budapest studiert. Dort habe ich Ungarisch gelernt und viel über die ungarische Kultur und Geschichte erfahren. Ich gehe gerne auf Reisen. Aber nicht nur aus letzterem Grund nehme ich an dem Projekt „Wie ein Schwede in Poltawa“ teil. Ich möchte vor allem mehr über die die ukrainische Perspektive auf Europa und seine Verknüpfung zur europäischen Geschichte lernen.

My name is Neele Wulff. Since 2005 I study History, Literature and Law at the University of Freiburg. In my spare time I read a lot, mainly novels, and I do a lot of sports. Furthermore I am very interested in the future development of Europe. Therefore, besides my studies at university, I commit myself to the organization “Young European Federalists”. We organize intercultural conferences, lectures and round table discussions all over Europe. In my studies I have a focus on Eastern European history and I want to major in this field. Last year I`ve spent two semesters in Budapest. I`ve learned Hungarian and I learned a lot about Hungarian history and culture. I like to travel. Taking part in the project “Like a Swede at Poltava” is interesting to me, because I want to learn more about the Ukrainian perspective of Europe and its links to European history.

Anna Zub Ich heiße Anna und ich komme aus Poltawa, Ukraine. Ich gehe gern spazieren, treffe mich gern mit Freunden, lerne gern neue Menschen kennen und ich tagträume gern.Wenn ich mal von der realen Welt abschalten will, verbringe ich meine Zeit damit kleine Romane zu schreiben. Deshalb mag ich es auch viel zu lesen und Filme zu schauen, – sie sind meine Hauptquellen für neue Ideen, Gedanken und Gefühle. Ich mag auch Zeichentrickfilme und denke keineswegs, dass sie nur für Kinder gemacht sind. Ich liebe leuchtende Farben und möchte sie mit jedem teilen. Ich glaube an Wunder und habe kein bestimmtes Lebensmotto. Ich genieße es, Neues zu lernen und versuche daher, ständig von der Welt um mich herum zu lernen. Dieses Geschichtsprojekt ist nicht das erste, an dem ich teilnehme. Ich habe bei archäologischen Ausgrabungen in der Poltawaer Region mitgewirkt, wo wir auf der Suche nach Belegen für die Kultur der Trypilska waren, die vor 3000 Jahren in unserer Region beheimatet war. „Wie ein Schwede bei Poltawa“ ist eine großartige Möglichkeit, neue Erkenntnisse in den Tiefen unserer Geschichte auszugraben, sich als Forscher zu versuchen und den Geschichtsbüchern der jungen unabhängigen Ukraine neue Seiten hinzuzufügen und nicht zuletzt auch, neue interkulturelle Freundschaften zu schließen. My name is Anna and I’m from Poltava, Ukraine. I like going for walks, meeting with my friends, becoming acquainted with new people and daydreaming. In my free time I write small novels, that way I take breaks from the real world. I’m enthusiastic about reading and watching films because these are the main sources of my new ideas, thoughts and emotions. I like cartoons and I don’t think that they are for kids only. I love bright colors and try to share them with everyone. I believe in miracles. I don’t follow a certain life style nor do I have one particular philosophy of life. I like learning and I try to learn from everything around me. This history project isn’t the first one in my life: I participated in archeological excavations in Poltava region where we were trying to find examples of Trypilska culture that was presented in our region 3000 years ago. “Like a Swede at Poltava” is a great opportunity to find out something new in the sands of our history, to feel myself as a real researcher and to add new pages to history books of the young independent Ukraine, and also, last but not least, to establish intercultural friendships.

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„2. Die Spurensucher“

Guido Hausmann

Der Zufall, Glück und gute Lehrer erklären, warum ich im Moment als Osteuropahistoriker in Deutschland arbeite. Nach Studien– und Studienortwechseln habe ich 1987/88 mein Studium (Geschichte und Deutsch) an der Universität zu Köln abgeschlossen. Als Student bekam ich die Chance, an einem Forschungsprojekt über die Nationalitätenfrage im ausgehenden Zarenreich mitzuarbeiten, und ich habe danach an der Universität zu Köln über die Geschichte der in der heutigen Ukraine liegenden Stadt Odesa (russ.: Odessa) im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert promoviert.Von 1995–1997 habe ich an der Universität Bielefeld ein Forschungsprojekt über Städte im ausgehenden Zarenreich bearbeitet. Es folgte eine Durststrecke mit kleineren Projekten und Stipendien, bevor die DFG mir ein Forschungsprojekt über die Wolga als Erinnerungsort genehmigte (2000–2002), dessen Ergebnisse die Universität Bielefeld etwas später als Habilitationsschrift annahm. In diese Zeit fielen auch eine Gastprofessur an der Universität Halle–Wittenberg, ein Forschungsaufenthalt am Harvard Ukrainian Research Institute sowie mehrere Workshops mit ukrainischen Nachwuchshistorikern in Kyiv, die von der VolkswagenStiftung gefördert wurden. Nach meiner Habilitierung bin ich für drei Jahre als Lecturer an das Trinity College Dublin gegangen (2005–2008), und im Moment vertrete ich für vier Semester den Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte an der Albert–Ludwigs– Universität Freiburg. Meine Forschungsinteressen beziehen sich auf die Geschichte Russlands und der Ukraine, und zwar besonders auf die Stadtgeschichte, die Bildungsgeschichte, Imperium und Nationalitäten sowie in letzter Zeit vermehrt Erinnerungskulturen und Imperium und Krieg. My formation as a historian was shaped by accidents, fortune and above all by good teachers. Currently I am in the chair of the history of Eastern Europe at the Albert–Ludwigs– University Freiburg (until autumn 2010). But I have graduated from the University of Cologne (Köln) in 1987/88. At the time I did research on the nationalities question in late Imperial Russia and a few years later I completed my PhD in this area of research, on the history of multinational Odessa at the end of the 19th, early 20th century. In the following I transferred to the university of Bielefeld where I conducted research on the history of late Imperial Russia’s emerging middle class(es) (1995–1997). In the following years I was able to complete (with the financial support of the DFG) my second dissertation on the Volga as a site of memory from the 17th to the early 20th century (2004). During that time I also taught as a guest professor at the University of Halle–Wittenberg (2002), conducted research at the Harvard Ukrainian Research Institute (2002–2003) and organized workshops for young Ukrainian historians in Kyiv (2001–2003, supported by the VolkswagenStiftung) After the completion of my second dissertation I taught for three years as a lecturer at the Trinity College Dublin before I accepted the offer of the University of Freiburg. I focus my research on Russia and Ukraine and my main areas of interest are urban history, history of education and knowledge, empire and nationalities, cultures of remembrance and empire and war.

Romea Kliewer Ich bin Romea Kliewer, Dipl.–Kulturwirtin. Seit September 2008 arbeite ich als Lektorin der Robert Bosch Stiftung an der Universität für Wirtschaft und Handel in Poltawa, Ukraine. Als deutsche Gastdozentin im Ausland ist man immer auch Kulturmittlerin. Für mich ist kultureller Austausch zur Leidenschaft geworden. Schon als Schülerin und später im Studium habe ich jede Gelegenheit ergriffen, um an Austauschprogrammen, internationalen Projekten und Studienreisen teilzunehmen. Nun habe ich die Möglichkeit, andere bei der Entdeckung der „verbindenden Unterschiede“ zwischen Menschen, Kulturen und Nationen zu begleiten. Und dabei entdecke ich selbst immer wieder Interessantes und Neues. Unser Projekt „Wie ein Schwede bei Poltawa“ spürt verschiedene Formen von Erinnern auf und will im Ergebnis Schichten einer gemeinsamen europäischen Erinnerung offenlegen. In seinem Prozess ist das Projekt ein spannender Dialog von jungen Menschen unterschiedlicher Herkunft, die als Team ein kleines Stück gemeinsames Europa gestalten. Das Engagement und die Begeisterung in der Studentengruppe machen es zu einer Freude, sich für das Projekt einzusetzen. My name is Romea Kliewer. Since September 2008 I work as lecturer of the Robert Bosch Foundation at the Poltava University of Consumer Cooperatives in Ukraine. Any guest lecturer in a foreign country can`t help but get into the role of a culture mediator at some point. As for me, cultural exchange has become a passion. During my schooldays and my years of study I seized every opportunity to participate in exchange programs, international projects and study trips. Now I am in the position to accompany and guide others as they explore the “connecting differences” between people, cultures and nations.Yet, at the same time, I myself keep getting new, interesting insights and impressions. In the course of the project “Like a Swede at Poltava” our binational team traces different forms of remembrance and, as a result, wants to disclose layers of a common European remembrance. As a process, this project is an exciting dialogue of young people with different cultural backgrounds who together as a team shape a small piece of a common Europe.The students’ high motivation, commitment and enthusiasm make it a pleasure to dedicate myself to this project.

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„2. Die Spurensucher“

Olena Kobsar Mein Name ist Olena Kobsar. Ich bin Dozentin für Deutsch als Fremdsprache (DaF) an der Poltawaer Universität für Wirtschaft und Handel der Ukraine. Neben dem Unterrichten forsche ich im Bereich der deutschen Literaturwissenschaften. Mein Schwerpunkt liegt auf der deutschen Romantik und zwar auf dem Schaffen von Friedrich Hebbel. Mein Hobby ist Reisen. Besonders gerne reise ich in mir noch fremde Länder, und das am liebsten mit meiner Tochter (16). Ich unterstütze das Projekt mit Freude, denn ich bin gebürtig aus Poltawa und seit meinen Schuljahren mit vielen Facetten der ukrainischen Erinnerung an die Schlacht bei Poltawa vertraut. Das weite Feld an neuen Möglichkeiten im Bereich der Forschung, die sich seit der Unabhängigkeit der Ukraine aufgetan haben, fasziniert mich und ist für mich von großem Interesse. Auch nutze ich gerne jede Gelegenheit, um mich mit Ausländern zu unterhalten und andere Meinungen zu erfahren.

My Name is Olena Kobzar. I teach German language at the Poltava University of Consumer Cooperatives of Ukraine. Besides teaching, I do research in the fields of German literature. My focus lies on German Romanticism, namely on the works of Friedrich Hebbel. In my spare time I like to travel, especially with my daughter (16), and especially to countries that I haven´t yet been to. I support the project and enjoy being involved because I myself am from Poltava. So, ever since my schooldays I am familiar with the many–sided facets of Ukrainian remembrance on the battle at Poltava. I am fascinated and very interested in all the new possibilities in research that have opened up with the independence of Ukraine. I try to use every chance to talk to foreign visitors and get to know more about their opinions.

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„3. Methodische Schrittfolge“

3. Methodische Schrittfolge Von Guido Hausmann

Das Projekt hat mit mehreren methodischen Elementen gearbeitet, die chronologisch und logisch miteinander verknüpft waren.

Some Methodological Thoughts about our Programme 20


„3. Methodische Schrittfolge“

Methodische Schrittfolge Ein Überblick zu den methodischen Elementen unseres Projekts Von Guido Hausmann

Exkursion Ein erster methodischer Schritt bestand darin, dass die Freiburger und Poltawaer Studierenden auf einem ersten Workshop in Poltawa gemeinsam die materielle Hinterlassenschaft der Erinnerung an die Schlacht in der Stadt Poltawa sowie auf dem einige Kilometer vor der Stadt gelegenen Schlachtfeld erkundeten. Es handelte sich um das methodische Element der Exkursion, das wir an den Anfang unseres Projektes gestellt haben. Es setzte bei der sinnlichen Wahrnehmung an und schärfte den Sinn für die räumliche und ästhetische Dimension der Erinnerungskultur an die Schlacht von Poltawa. Wir haben diesen Schritt in zweifacher Weise verfeinert: Zum einen informierten die Poltawaer Studierenden die Freiburger Studierenden dabei über den Entstehungskontext der Memorialkultur und alle Teilnehmer wurden so mit historischen Schichten der Erinnerung an die Schlacht vertraut gemacht; zum zweiten nahmen die Studierenden die materielle Memorialkultur fotografisch auf. Wir konnten so die vorhandene Memorialkultur dokumentieren und gleichzeitig ein Element einführen, dass für die Ergebnissicherung und –präsentation hilfreich war.

Expertengespräche Ein zweites methodisches Element war die Diskussion mit Experten. Dieses Element baute auf dem ersten auf und hat deshalb auf dem zweiten Workshop in Poltawa und dem dritten Workshop in Freiburg größere Bedeutung gehabt. Es sollte aber die Workshops nicht dominieren, um den Workshopcharakter (also die gemeinsame Erarbeitung eines Themas durch Studierende) nicht zu beeinträchtigen. Experteninputs können aber, wenn ein Grundwissen gesichert ist, stimulierend wirken, vermitteln weitergehende Kenntnisse und aktivieren das kritische Denken der Teilnehmer. Auf dem ersten Workshop hatten wir ein Treffen mit einem Mitarbeiter des auf dem Schlachtengelände gelegenen Museums der Schlacht von Poltawa, sowie ein Abendgespräch mit einem Lokalhistoriker. Zur Vorbereitung auf die Interview–Durchführung haben die ukrainischen Projektteilnehmer einen speziell für sie angebotenen Workshop der Ukrainischen Oral History Gesellschaft in Charkiv besucht. Auf dem zweiten Workshop haben wir schließlich die Gelegenheit zu einer Diskussionsrunde mit Herrn Andriy Portnov gehabt.

Interviews Ein drittes wichtiges methodisches Element unseres Projektes bestand in Interviews, die wir gemeinsam vorbereitet und die die Poltawaer Studierenden durchgeführt haben. Interviews sind ein weitaus komplexeres methodisches Element, als Unbefangene sich denken mögen. Wir haben erstens dafür gesorgt, dass die Studierenden durch wichtige neuere Literatur mit der Komplexität von Interviewtechniken vertraut gemacht worden sind. Wir haben uns zweitens dazu entschieden, dass die Studierenden selbst am Ende des ersten Workshops einen Katalog an Fragen entwarfen und darüber diskutierten, wen sie wann und wie interviewen wollten. Diese offene Form der Herangehensweise an das methodische Vorgehen war quasi selbst ein methodisches Element. Wir haben dann die Diskussion durch unsere aktive und kritische Teilnahme begleitet. Die Freiburger und Poltawaer Studierenden haben auch zwischen den beiden Workshops miteinander korrespondiert, um die Ergebnisse zu sichern. Ziel dieses methodischen Schrittes war, im Generationenwandel von der letzten sowjetisch geprägten zur ersten postsowjetischen Generation einen Wandel der Erinnerungskultur an diese Schlacht zu erkennen. Er war von zentraler Bedeutung, weil hierdurch in besonderer Weise Schichten der Erinnerung erkundet werden konnten.

Kritische Reflexion Ein viertes methodisches Element war die gemeinsame Beobachtung und kritische Reflexion des 300. Jahrestages der Schlacht Ende Juni 2009. Anlässlich dieses Ereignisses haben wir gemeinsam einige Veranstaltungen in Poltawa besucht und seine Darstellung in den lokalen und nationalen Medien untersucht. Dieses Ereignis war quasi vor unseren Augen eine kollektive Erinnerung bzw. plurale kollektive Erinnerungen an das Ereignis, die dokumentiert wurden.

Vergleich Schließlich wurde auf unserem dritten Workshop das methodische Verfahren des Vergleiches hinzugenommen. Mit Hilfe von Experten und auf der Basis eigener Recherchen haben wir die Schichten der Erinnerung, die wir in Poltawa untersucht haben, in einen größeren europäischen Kontext gestellt. Das geschah durch den Vergleich mit Erinnerungskulturen anderer europäischer Schlachten, deren Bedeutung für nationale oder sich nationalisierende Gesellschaften uns interessiert hat. Damit erschlossen wir uns auch auf dieser Ebene die europäische Dimension.

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„3. Methodische Schrittfolge“

Summary Some Methodological Thoughts about our Programme By Guido Hausmann

Our program aimed at combining various methodological elements. A first methodological tool consisted of a classical walking tour around the city and to the battlefield ground in order to document the existing material memorial culture. It thus was the classical excursion which better than just watching pictures suited us to get an idea of the spatial and aesthetic dimension of the memorial landscape in and near by Poltava. Discussions with experts as a second methodological element served to deepen our knowledge and understanding of the battle itself or of the origins and the uses and meanings of the memorial culture in past and present times. They however did not dominate the programme and had more of a supportive character. Conducting interviews was a third and a very important methodological element. On the one hand interviews were of critical importance for our project which focused on changes in the culture of commemoration after 1991, on the other hand it was a rather complicated element. The Ukrainian students conducted the interviews between our first and our second workshop. However we have together discussed the interviews and have prepared a catalogue of questions on our first workshop. We also stood in continuous contact between the first and the second workshop to secure our results. A fourth element was of course the joint participation, observation and critical reflection of the 300th anniversary in Poltava on our second workshop. We have documented the event itself, how it was covered by the media and examined to what extent a plural culture of commemoration had developed in post–Soviet times. Last but not least the comparison with other important battles in Europe at the same time period – or more precisely of their commemoration culture – was a methodological element. It helped us to put the Poltava battle and its commemoration in a broader European context.

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4. Vor 300 Jahren bei Poltawa

Vorder- und Hintergründe Von Julian Völkle

Die Schlacht von Poltawa 1709 markiert einen Einschnitt in der europäischen Geschichte. Sie gilt als Geburtsstunde des russischen Imperiums. Doch warum gedenkt die Ukraine einer russisch– schwedischen Schlacht? Julian hat Antworten gesucht…

Abb. 1

300 Years ago in Poltava: Fore- and Backgrounds


„4. Vor 300 Jahren bei Poltawa – Vorder- und Hintergründe“

Vor 300 Jahren bei Poltawa: Vorder – und Hintergründe Von Julian Völkle

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ie Schlacht von Poltawa 1709 war

eine Schlacht zwischen Russland In und Schweden. Ihr Ausgang marPoltawa, einer Stadt kierte einen großen Einschnitt in der Zentralukraine, in der europäischen Politik. Auf der Siegerwurde im Sommer 2009 der seite schlug die Geburtsstunde des russischen 300–jährige Gedenktag der Imperiums. Das besiegte Schweden verlor mit Schlacht von 1709 begangen. Doch dieser Schlacht den Status einer europäischen warum erinnert und gedenkt die Großmacht. Aber was hat diese Schlacht mit der Ukraine einer russisch– Ukraine zu tun? Nur ein geografischer Zufall? schwedischen Schlacht? Der Vordergründig mag es so scheinen. Ein Blick Versuch einer Erklärung. auf die Hintergründe führt uns in die ukrainische Geschichte: Abb. 2

Ukrainische Geschichte bis zur Schlacht 1709 Nach dem Untergang der Kiewer Rus festigte sich im 14. Jahrhundert die polnisch– litauische Oberherrschaft über große Teile der heutigen Ukraine (während die nördlichen, ostslawischen Gebiete von der Goldenen Horde beherrscht wurden). Ein Vorgang und eine Zeit, welche die zukünftige Entwicklung der (späteren) Ukraine und ihr Nationalverständnis entscheidend prägen sollten. Im Jahre 1554 wurde die erste Kosakenfestung, die „Saporoher Sitsch“, gegründet. Dieses Ereignis hatte auch eine symbolische Bedeutung. Denn das Kosakentum wurde auch ein Symbol für den Wunsch nach Autonomie und nach Abgrenzung von Polen, besonders dem polnischen Adel und der katholischen Kirche (Lüdemann 2001: 68; Kappeler 2009: 56f). Der Autonomiewunsch führte im Jahr 1654 zum Perejaslawer Abkommen zwischen dem russischen Zaren und den Kosaken. In dem Abkommen von Perejaslaw sicherte der Zar den Kosaken Unterstützung gegen die Polen sowie Wahrung ihrer Autonomie zu. Im Gegenzug versicherten die Kosaken dem Zaren Loyalität. In diesem Zuge wurde das Kosakenheer dem Zaren unterstellt. Die Vereinbarung von Perejaslaw zeigt, dass die Kosaken eine größtmögliche Autonomie zum Ziel hatten (Lüdemann 2001: 69). Diese verloren sie mit ihrer Loyalitätserklärung gegenüber dem Zaren nur teilweise. Unter Polen wäre die Einschränkung gravierender gewesen.

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Als Peter I. im frühen 18. Jahrhundert die im Perejaslawer Abkommen zugesicherten Rechte der Kosaken missachtete, wurde dies von den Kosaken als Vertragsbruch empfunden (Kappeler 2009: 90). Vielmehr noch: Sie sahen ihre Autonomie in Gefahr. Die Autonomie der Kosaken wurde nicht zufällig von Peter I. beschnitten. Angesichts des drohenden Krieges mit Schweden konnte sich der Zar niemanden mehr leisten, der nach Autonomie strebte. Daher musste er sie enger an sich binden, zum Missfallen der Kosaken selbst natürlich. Doch was hat das Verhältnis von Peter I. und den ukrainischen Kosaken mit dem Nordischen Krieg zu tun?

Der Nordische Krieg Denkt man an die Schlacht bei Poltawa, denkt man vordergründig an Schweden und Russland, die im Zuge des Nordischen Krieges gegeneinander kämpften. Die beiden Anführer Karl XII. und Peter I. standen in verschiedensten Bündnissen und Koalitionen. Hierbei verbündeten sich Polen und Dänemark mehr oder minder freiwillig und abwechselnd mit Schweden oder Russland. Die Schlacht bei Narwa im Jahr 1700 brachte dem Zaren eine derbe Niederlage gegen den Schweden. Aber diese Niederlage war keine vollständige Vernichtung. In den Folgejahren rüstete der Zar sein Heer wieder auf (und gründete, nebenbei bemerkt, im Jahr


„4. Vor 300 Jahren bei Poltawa – Vorder- und Hintergründe“ 1703 St. Petersburg). Während Karl seinen Kriegszug durch Polen fortsetzte, richtete sich der Zar mehr und mehr an der Ostsee ein. Die Ostsee spielte eine wichtige Rolle im Nordischen Krieg, da sie ein wichtiger Handelsweg war (Duchhardt 1997: 238f.). In gewisser Hinsicht kann man die Jahre vor 1709 als eine Zeit des Wettrüstens bezeichnen. Der Zar investierte in das Militär: In Russland wurden 95% des Staatshaushaltes für das Militär ausgegeben (Duchhardt 1997: 242). Aber auch Karl investierte – nur anders. Er bevorzugte Investitionen in Bündnisse (etwa in die „Warschauer Konföderation“ mit Polen von 1705). Er tat das wahrscheinlich deshalb, weil sein Heer schon lange als unbesiegbar galt. Da beide Seiten auf ihre Art und Weise „aufrüsteten“, kann man davon ausgehen, dass sie damit rechneten bald aufeinander zu treffen – die Frage war nur noch wo?

Die Schlacht bei Poltawa – Nur ein geografischer Zufall? Sollen wir uns mit der Antwort zufrieden geben, dass Poltawa eben zufällig Kriegsschauplatz wurde, dass die Poltawaer Schlacht die ukrainische Geschichte darüber hinaus nicht betrifft? Ich denke, dass wir gerade an diesem Punkt auf das Kosakentum zurückkommen müssen. Im Vordergrund sieht man das protestantische Schweden und das orthodoxe Russland im Vormarsch. Im Hintergrund allerdings sind da auch die Kosaken – auf dem Weg ihre Autonomie zu verlieren. Die Kosaken, insbesondere ihr Anführer Masepa, wurden zum Spielball zwiAbb. 4 schen zwei Mächten, was sich an der Wiederaufnahme der Schaukelpolitik seitens Masepa zeigte (Kappeler 2009: 91). Damit kam ihnen eine durchaus gewichtige Rolle im russisch– schwedischen Krieg zu. Kurz vor der Schlacht entschied sich Hetman Masepa von der russischen auf die schwedische Seite zu wechseln. Ein Bündnis mit Schweden, das als unbesiegbar galt, schien dem Hetman – mit Sicht auf zukünftige Autonomie – die bessere Wahl zu sein. Heute wissen wir, dass sie es nicht war: Der unerwartete triumphale Sieg Russlands in der Poltawaer Schlacht wurde zur Geburtsstunde des Russländischen Imperiums – Russland wurde zur europäischen Großmacht. Die Niederlage des schwedischen Heeres führte zum Verlust der schwedischen Vorherrschaft im Ostseeraum und markierte damit den Niedergang des schwedischen Großreiches. Aber der Ausgang der Schlacht prägte auch die Entwicklung der ukrainischen Geschichte sehr entscheidend: Er überdeckte das ukrainische Streben nach Unabhängigkeit für die kommenden knapp 300 Jahre, bis zum Jahre 1991. Wobei sich auch heute noch, 2009, manchmal die Frage auftut, ob die Ukraine nicht immer noch im Schatten Russlands steht.

Abb. 3

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„4. Vor 300 Jahren bei Poltawa – Vorder- und Hintergründe“

Abb.5

SUMMARY

300 Years ago in Poltava: Fore– and Backgrounds By Julian Völkle

In 1709, a battle took place in Poltava, Ukraine. This decisive battle between Russia and Sweden, which was known as part of the Great Nordic War (1700–1721), resulted in Sweden’s defeat and Russia’s superior power status in the Eastern Baltic Sea. One may speculate whether this battle, which signified the birth of the Russian Empire, occurred randomly in Poltava, or if the Cossacks in Ukraine were more closely related. With the foundation of the first fortress, the “Zaporoher Sich”, the Cossacks symbolized their freedom and autonomy, as well as their rejection of suppression. This real and symbolic site was directed primarily against Polish domination. In 1654, the Pereyaslav agreement between the Tsar and the Cossacks declared reciprocal loyalty. The agreement granted the Cossacks a chance to gain more autonomy from both Russia and Poland. However, when Tsar Peter I restricted the rights of the Cossacks during the beginning of the 18th century, the autonomy established under the agreement was endangered. In addition to this broader historical background, one must take into consideration the circumstances of the Northern War. Peter I successfully restructured his army after his defeat at the battle of Narva against the Swedish king Charles XII in 1700. Aside from rearmament, Charles also undertook other efforts, and these efforts included the construction of a political coalition. Therefore, the years before 1709 were a time of arms race, and one can conclude that both sides, Russia and Sweden, were aware of a new upcoming battle. Taking this all into consideration, one nevertheless can state that the battle came as a surprise. Above all, it seems that the battle at Poltava has a symbolical significance: if one looks at Mazepa with his seesaw policy (first his alliance with Russia, then with Sweden), one may ask themselves if the decision was not a symbol for Ukraine, which lasted for the next 300 years. After the battle in Poltava, the question of compliance and struggle for autonomy gained new importance. However, what implications do these historical benchmarks have on today’s society? Have Cossack’s original ambitions become a reality, or does the battle of Poltava once again signify a policy of indecisiveness, not only in Poltava, but in the whole Ukraine?

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5. Erinnerungskultur im Wandel

Wie hat sich die ukrainische Kultur des Gedenkens im Laufe der Zeit verändert? Und wo nimmt die Politik Einfluss auf Erinnerungskultur? Petro und Julian haben sich Gedanken gemacht‌

Remembrance in Change


„5. Erinnerungskultur im Wandel“

Gedenkkultur im Laufe der Zeit Die Jubiläen der Schlacht bei Poltawa 1709–2009 Von Petro Martschenko (Übersetzung: Sara Andersch)

Wie hat sich das Gedenken an die Schlacht von Poltawa im Laufe der Zeit verändert? – Eine Reise durch drei Jahrhunderte.

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ie Schlacht von Poltawa ist eines der bedeutendsten historischen Ereignisse in der Geschichte der Ukraine, Schwedens und Europas. Im Laufe der Zeit gab es viele unterschiedliche Interpretationen dieser Schlacht. Sie spiegeln sich in der Art wider, wie Jubiläen dieser Schlacht zu verschiedenen Zeiten begangen wurden.

Im frühen 20. Jahrhundert versuchte Zar Nikolaus II. sein auseinanderfallendes Imperium durch symbolische Akte wieder zu einen (Wortman 2000: 365–391). Vor allem nach der Niederlage Russlands im Russisch–Japanischen Krieg von 1904–05 war es notwendig, den Stolz und den Kampfeswillen im Volk wieder herzustellen. Zu dieser Strategie passte der 200. Jahrestag der Schlacht von Poltawa sehr gut. Dank der Schlacht von Poltawa war es Russland seinerzeit gelungen, zu einer der führenden Mächte in Europa aufzusteigen. Das Gedenkjahr 1909 stand daher ganz im Zeichen des Sieges der russischen Waffen und diente dazu, das russische Reich zu glorifizieren (Wortman 2000: 421–428). In Poltawa wurde eine Reihe von Gedenkstätten restauriert oder neu errichtet, darunter 1909 das historische Museum auf dem Schlachtfeld (Website Stadtgeschichte Poltawa). Den Machtzerfall konnte der Zar damit jedoch nicht aufhalten.

Das Gedenken zu Zeiten des russischen Imperiums Direkt nach der Schlacht, im Juli 1709, wurden drei Tage lang Kanonenschüsse in ganz Russland abgegeben (Pogosjan 2001: 124). Die Nachricht über Peters Sieg verbreitete sich schnell. Allerorts im zaristischen Reich wurde gefeiert. Der erste offizielle “Siegesfeiertag” wurde im russischen Kalender festgelegt. Bis dato hatte es in Russland nur rein religiöse Feiertage gegeben. In Sankt Petersburg wurde 1710 die Kathedrale des heiligen Samsonij zu Ehren der Poltawaer Schlacht eröffnet (Website Staatliches Museum St. Isaaks–Kathedrale). Und auch die Gründung Petershofs, des so genannten „Versailles Russlands”, geht auf die Schlacht bei Poltawa zurück. Nach seinem Sieg über die Schweden bei Poltawa beschloss Peter seinem Triumph durch eine gewaltige Schlossanlage Ausdruck zu verleihen. Im August 1723 wurde Peterhof feierlich als Zaren–Residenz eingeweiht (Website Peterhof). Das zehnjährige Jubiläum der Schlacht (1719) wurde groß gefeiert (Pogosjan 2001: 124). An diesem Gedenktag wurde zum ersten Mal in der Geschichte ein Schiff nach einer Schlacht benannt (Dubenskij 2000: 6); insgesamt wurden seitdem sieben Schiffe „Poltawa“ getauft (Kalanov). Das 25jährige Jubiläum (1734) fiel in die Zeit der Feldzüge gegen die Krimtataren, weshalb keine große Feier stattfand. Auch der 100. Jahrestag (1809) wurde ohne große Feierlichkeiten begangen, da das Russische Reich sich mit außenpolitischen Bündnissen beschäftigt sah. [Anm. Redaktion: 1809 befand sich Russland in einer Koalition mit Napoleon gegen England, die Russland allerdings brach, woraufhin Frankreich in Russland einmarschierte (1812). Russland konnte Napoleons Invasion bekanntlich abwehren.] Erst 1811 wurde in Gedenken an die Schlacht die Siegessäule im Zentrum von Poltawa festlich eröffnet (Website Stadtgeschichte Poltawa).

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Das Gedenken zu Sowjetzeiten Nach der Revolution von 1917 traten die Errungenschaften der Zarenzeit zunächst in den Hintergrund. Das galt auch für das Gedenken an die Schlacht von Poltawa. Das Museum der Schlacht von Poltawa wurde 1921 geschlossen. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg, im Jahr 1950, wurde es wieder eröffnet (Website Stadtgeschichte Poltawa). Fast 80 Portraits Peter des Großen wurden ausgestellt sowie eine Vielzahl von Karl XII., aber


„5. Erinnerungskultur im Wandel“ keines von Hetman Masepa. Auch wurde den ukrainischen Kosaken, die auf beiden Seiten gekämpft hatten, kein Platz eingeräumt. So unterschied sich die Art und Weise, wie man der Schlacht während der Sowjetzeit gedachte, nicht wesentlich vom Gedenken zur Zarenzeit. Auch der 250. Jahrestag (1959) wurde mit einer an die Zarenzeit erinnernde Demonstration militärischer Stärke begangen (Kovalevskaja 2008).

Gegenteil: Der 27. Juni wurde auf lokaler Ebene als Tag des Gedenkens an alle Soldaten begangen, die in der Schlacht gefallen waren, egal auf welcher Seite sie gekämpft hatten und welcher Nationalität sie gewesen waren. Dennoch zeigen die Vorbereitungen auf die Feierlichkeiten, dass in der Ukraine weiterhin Uneinigkeit darüber besteht, wie man der nationalen Geschichte angemessen gedenkt. Insbesondere die Figur von Masepa spiegelt diese Gespaltenheit wider.

Das Gedenken in der unabhängigen Ukraine Mit der Unabhängigkeit der Ukraine 1991 änderte sich die Lage: Viele Kapitel der Geschichte mussten neu geschrieben werden. War die Geschichte der Ukraine zu Zeit der Zaren und zu Sowjetzeiten untrennbar mit Russland verbunden, ist die gegenwärtige Geschichtsschreibung national geprägt (Velychenko 2002: 323–366). In diesem Zusammenhang kam zum Beispiel den ukrainischen Kosaken eine zentrale Rolle für die nationale Identitätsbildung zu. Dieser Trend spiegelt sich natürlich in der Haltung der Ukrainer zur Schlacht von Poltawa wider: Während die Schlacht in den Augen der Russen die Ukraine von den schwedischen Invasoren befreite, so beendete das Ereignis von 1709 aus heutiger, ukrainischer Sicht abrupt alle Unabhängigkeitsbestrebungen des Landes und brachte eine Jahrhunderte lange Okkupation durch die Russen. Vor diesem Hintergrund sahen viele in dem herannahenden Jahrestag 2009 großes Konfliktpotential. Noch kurz vor dem Gedenktag schien es, als würde die Ukraine den Jahrestag als Meilenstein auf dem Weg ihrer Unabhängigkeitsbestrebungen begehen (Ukaz Presidenta Ukraini № 955/2007). Die ersten Programmentwürfe vermittelten eine Feier in großem Stil. Präsident Juschtschenko hatte vor nach Poltawa zu kommen, und auch der russische Präsident Medewedjew und der schwedische König haben einen Besuch in Poltawa erwogen. Es war absehbar, dass Medwedjew sich letztlich gegen eine Teilnahme an den Gedenkfeiern entscheiden würde, denn er war nicht offiziell eingeladen worden (Website Novij Region). Aber auch der schwedische König lehnte eine Teilnahme ab. Am Ende war die Situation sogar für den ukrainischen Präsidenten zu prekär. Es war nicht nur die gespannte politische Situation mit Russland (wie z.B. der jüngste Gas–Konflikt), die ihn dazu zwang, von seinen Plänen Abstand zu nehmen. Auch die gegenwärtigen Probleme innerhalb des Landes bargen eine Menge Konfliktpotential. Vor allem die Rolle des Hetmans Masepa in der Schlacht ist unter den pro–westlichen und den pro–russischen Politikern ein sehr kontroverses Thema; ebenso wie in der ukrainischen Bevölkerung. Während die westlich eingestellten Nationalisten den ukrainischen Kosakenführer als Nationalhelden und Wegbereiter für die Unabhängigkeit sehen, ist er in den Augen der „Moskautreuen“ Ukrainer eher ein Verräter denn ein Held. Im Hinblick auf die bevorstehenden Wahlen wäre es fahrlässig gewesen, eindeutig Position zu beziehen und dadurch potentielle Wähler zu verprellen.

Schwierige Identitätssuche Sofern es sich um demokratische Staaten handelt, besteht eine Kultur des Gedenkens normalerweise aus verschiedenen Schichten, die gemeinsam existieren können. Ohnehin ist eine Kultur des Gedenkens per definitionem nie abgeschlossen, sondern befindet sich immer im Fluss. Allerdings kann man im Fall der Ukraine kaum von der Koexistenz verschiedener Schichten sprechen, die im Ganzen gesehen eine Art kollektives Gedenken bilden. Die unterschiedlichen historischen Interpretationen und Standpunkte sind zu konfliktgeladen, um unter einen Hut gebracht zu werden. Der schwierige Prozess, ein gemeinsames kulturelles Gedächtnis zu schaffen, zeigt vielmehr, wie kompliziert und komplex die Suche der Ukraine nach einer europäischen Identität ist.

Am Ende entpuppte sich der 300. Jahrestag in Poltawa weder als Fest der ukrainischen Unabhängigkeit noch als Jubelfeier eines russischen Sieges über die Schweden. Im

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„5. Erinnerungskultur im Wandel“

SUMMARY Changes in Culture of Remembrance: The Anniversaries of the Poltava Battle 1709–2009 By Petro Marchenko

How had the Commemoration of the Battle of Poltava Changed Between the Anniversaries? The essay investigates three hundred years of changing cultures of remembrance of the Battle of Poltava. In the course of time commemoration varied profoundly, depending most notably on the changing goals of the ruling political elites. In the Russian empire, official commemoration ceremonies started immediately after the event and reached an early peak in the first half of the 18th century: the day of the battle became a public holiday, a ship was named after it and first monuments were erected. The following years saw public attention fade away until 1909. But with his empire in decline, Russian Tsar Nicholas II faced the urgent need for symbolic ceremonies to resurrect Russian grandeur in public – and the battle’s bicentenary offered a perfect occasion to exploit. The bulk of memorials devoted to the Russian victory as well as the battlefield museum date back to this time. During the interwar period, commemoration culture shifted towards a complete neglect of the event. This changed again after World War II, when the Soviet rulers learnt to make use of the imperial legacy for their purposes and celebrated the 250th anniversary in well–known fashion. With Ukrainian independence in 1991, a new chapter opened. Commemoration culture, till then exclusively occupied with the Russian view of events, now shifted towards Ukrainian contributions to the battle. The role of Cossacks is stressed and new controversies evolve, centring on the enigmatic personality of Hetman Ivan Mazepa. As these developments show, cultures of remembrances are in constant flux.

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„5. Erinnerungskultur im Wandel“

Poltawa 1909 und 2009 Das Zusammenspiel von Erinnerungskultur und Politik

Die Jahrfeier der Schlacht von Poltawa im Jahr 1909 – ein russisches Instrument politisch wirksam zu werden?

Von Julian Völkle (Übersetzung: Sara Andersch)

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oltawa ist eine von Denkmälern übersäte Stadt. Die meisten Denkmäler sind in der Zeit der ukrainischen Nationalbewegung im frühen 20. Jahrhundert errichtet worden, vom russischen Staat initiiert. Inwieweit beeinflusst staatliche Denkmalpolitik die Erinnerungskultur? Und inwieweit können Gedenkfeiern politisch instrumentalisiert werden? Überlegungen zum Zusammenspiel von Politik und Erinnerungskultur.

Erinnerungskultur ist in einem ständigen Wandel. Wirklich auffallen tun uns aber erst große Brüche bzw. Richtungsänderungen in der Erinnerungskultur einer Nation, wenn etwa neue Denkmäler errichtet werden, neue Texte in Schulbüchern erscheinen, oder Gedenkzeremonien in neuem Stil begangen werden. Meist ist solch eine Neuausrichtung in der Erinnerungskultur eng mit einem politischen Ereignis verbunden. So auch in Poltawa in den Jahren 1909 und 2009, so dass sich hier Verbindung von Erinnerungskultur und politischer Intention gut veranschaulichen lässt.

Die ukrainische Nationalbewegung im frühen 20. Jahrhundert und die staatliche Reaktion darauf Mit der Gründung der Revolutionären Ukrainischen Partei (RUP) im Jahr 1900 erhielt die Frage um die nationalstaatliche Selbstständigkeit der Ukraine Eingang auf der politischen Bühne (Mark 1993: 85). Folge der ukrainischen Unabhängigkeitsbestrebungen war eine repressive Politik Russlands bis in das Jahr 1905. Das russische Imperium wollte eine politische Abtrennung der Ukraine mit allen Mitteln verhindern (Ebd.: 82; Kappeler 2003: 10). Das erklärt auch, weshalb es bis in das Jahr 1905 weder eine ukrainische Verfassung noch eine Garantie der bürgerlichen Rechte gab (Kappeler 2000a: 127). Erst infolge der Revolution von 1905, mit welcher Auflehnungen und Ausschreitungen im ganzen Zarenreich einhergingen, sah sich Nikolaus II. gezwungen einzulenken. Denn eine weitere Unterdrückung hätte womöglich auch ein weiteres Erstarken der Nationalbewegungen – im Sinne eines nationalen Selbstbehauptungswillens – nach sich gezogen (Mark 1993: 91). Es musste eine alternative Strategie gefunden werden, die Ukraine an sich zu binden. Mit diesen Vorüberlegungen wollen wir uns der 200–Jahrfeier im Jahr 1909 zuwenden.

Die 200–Jahrfeier wurde in sehr großem Stil begangen. Zar Nikolaus II. erschien persönlich in Poltawa und nahm an den Feierlichkeiten teil (Wortmann 2000: 421). Dies war zweifelsfrei eine besondere Ehre. Waren doch weder Zar Alexander I. zur 100–, noch Präsident Juschtschenko zur 300–Jahrfeier anwesend. Neben der politischen Führung war 1909 ebenso die kirchliche Elite anwesend. Pompöse Militärparaden, die Einweihung neuer Denkmäler, die Eröffnung des Museums und zahlreiche Festreden vermittelten den Eindruck einer außerordentlichen Bedeutung des gefeierten historischen Ereignisses (Wortmann 2000: 392, 421– 428).1 Die Dimension, mit der die 200. Jahrfeier begangen wurde, stand offensichtlich in direkter Verbindung mit der politischen Situation des Zarenreiches im frühen 20. Jahrhundert. Aber wie versuchte die Politik Einfluss auf die Erinnerungskultur zu nehmen?

Abb. 6

Es ist sicherlich kein Zufall, dass die Jubiläumsfeier 1909 zur Zeit der ukrainischen Nationalbewegung so groß zelebriert wurde. Hierbei ist die imposante Zeremonie nur ein Beispiel unter anderen, welche alle auf die politische Situation dieser Zeit verweisen. Das staatliche Kalkül, durch die übertriebene Darstellung von Macht und Ruhm ein Gefühl von Zugehörigkeit und Stolz auf das Zarenreich zu erreichen, kann als letzter verzweifelter Überlebenszug gesehen werden (Wortmann 2000: 421). Der Zar hoffte revolutionären Aktionen und Nationalbewegungen so entgegenwirken zu können. Die eindrucksvolle Art, mit der die Schlacht von Poltawa gefeiert wurde, hatte also ganz offensichtlich eine politische Intention. Das historische Ereignis von 1709 eignete sich hervorragend, um das Zarenreich als solches zu feiern. Schließlich gilt die Schlacht von Poltawa als der Sieg, dank dessen sich das Reich als imperiale Großmacht etablierte. Mit den großen Feierlichkeiten sollte die kollektive Erinnerung an die entscheidende Schlacht neu erweckt und die Identifikation mit dem Reich gestärkt werden. Damit einhergehend wurde den Ukrainern (sowie anderen Völkern des Großreiches) subtil suggeriert, dass sie ihrer minderwertigen Rolle nur entkommen können, indem sie sich als Teil des siegreichen, mächtigen russischen Staates verstehen (Mark 1993: 84). Zu den Feierlichkeiten der 200 Jahrfeier und die Ankunft des Zaren in Poltawa sei hier auf folgende Filmauf-

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nahme verwiesen: http://video.kylekeeton.com/2009/07/russian–video–tsar–nikolai–ii–in.html

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„5. Erinnerungskultur im Wandel“

Ukraine 1917–1920: Versuche von ukrainischer Staatsbildung Dass es Anfang des 20. Jahrhunderts nicht zu einer erfolgreichen ukrainischen Staatsbildung kam, lag allerdings weniger an der Identitätspolitik des Zaren, sondern eher an den gesamteuropäischen politischen Entwicklungen. Der Erste Weltkrieg wütete in ganz Europa und machte es dem Zaren unmöglich, das innenpolitische Chaos in seinem Reich unter Kontrolle zu bringen. Das Jahr 1917 (Februar– und Oktoberrevolution) markierte das Ende der zaristischen Monarchie und den Beginn der Herrschaft durch die Bolschewiki. In den Unruhen der Umbruchszeit (1917–1920) gab es gleich drei Versuche, einen ukrainischen Staat zu bilden (siehe weiterführend Mark 2001: 283–290). Einhergehend mit den versuchten Staatsbildungen begehrte die Ukraine auch gegen das Erbe zaristischer Erinnerungskultur auf. Symbole zaristischer Herrschaft wurden vielerorts entfernt. Auch in Poltawa wurden die Denkmäler vom Doppelkopfadler befreit sowie das Museum der Poltawaer Schlacht verwüstet (Website Stadtgeschichte Poltawa). Die zaristische Politik, die Völker des Reiches unter dem Schirm der Siegeskultur vereinen zu wollen, scheint also keine tiefgehende Wirkung auf das Identitätsgefühl des ukrainischen Volkes ausgeübt zu haben. Letztlich scheiterten alle drei Versuche von Staatsbildung an den Wirren der Zeit; die Ukraine befand sich 1917–1920 im Brennpunkt des russischen Bürgerkriegs und internationaler Machtpolitik; hinzu kamen innenpolitische Machtkämpfe und eine desillusionierte Bevölkerung (Kappeler 2000b: 183–187, Mark 2001: 283–290). Im Jahr 1919 wurde die Ukraine schließlich zu einer Sowjetrepublik, die 1922 offiziell in die neu gegründete Sowjetunion integriert wurde.

Sowjetische Erinnerungspolitik Die Sowjetmacht versuchte seit den 1930er Jahren in ähnlicher Weise wie das zaristische Reich die einzelnen Sowjetrepubliken unter einem gemeinsamen Identitätsdach zu vereinen: durch eine prorussische Geschichtsschreibung, eine russische Sprachenpolitik, Errichtung von Denkmalkomplexen in Gedenken an den Sieg der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg, Siegesparaden an Feiertagen u. ä.. Russland wurde dabei als Befreier und Beschützer der kleineren „Brüdervölker“ dargestellt. Dass es zu Sowjetzeiten immer wieder nationalstaatliche Bestrebungen gab und die Sowjetunion Anfang der 1990er Jahre schließlich auseinanderbrach, scheint zu zeigen, dass die sowjetische Erinnerungspolitik nicht die beabsichtigte Wirkung entfaltete. Lässt sich hieraus nun schließen, dass Politik keinen Einfluss auf Erinnerungskultur nehmen kann?

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Erinnerungskultur in der Ukraine Die heutige ukrainische Gesellschaft verteilt sich, grob betrachtet, zwischen zwei extremen Polen – den ukrainische Nationalisten und den sog. Russophilen. Beide Extreme lassen sich durchaus als Folge der zaristischen und sowjetischen Erinnerungspolitik, die das Land über 300 Jahre prägten, interpretieren. Während ein Teil der Bevölkerung mit (innerer und äußerer) Abwehr auf die Politik der Vereinheitlichung reagierte, hat der andere Teil sich integrieren lassen und beklagt die gescheiterte Föderation mit Russland. Die große Mehrheit der Ukrainer findet sich zwischen diesen Extremen. So ist nicht erstaunlich, dass bspw. der größte sowjetische Feiertag, der 9. Mai (Tag des Sieges über Nazi–Deutschland), auch in der Ukraine weiterhin gesetzlicher Feiertag ist und in vielen Teilen des Landes groß gefeiert wird. Genauso ist der 24. August (Unabhängigkeitstag) gesetzlicher Feiertag und wird landesweit zelebriert. Der eine Feiertag betont das Zugehörigkeitsgefühl zur ehemaligen Sowjetunion, der andere das eigenständige Nationalgefühl. Schon dass zwei so gegensätzliche Feiertage nebeneinander Bestand haben, spiegelt die schwierige Identitätssuche der Ukraine wider.

Poltawa 2009: Zusammenspiel von Politik und Erinnerungskultur Auch im Vorfeld des 300. Jahrestages der Schlacht bei Poltawa wurde der innergesellschaftliche Zwiespalt über die eigene Identität sichtbar. Sollte die Gedenkfeier nationalistisch geprägt oder in russlandfreundlicher Manier gestaltet werden? Erst nach langwierigen Zwistigkeiten auf den verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Ebenen einigte man sich letztlich darauf, die Gedenkfeier unter dem Motto „Versöhnung der Völker“ stattfinden zu lassen. Von dieser Phrase waren denn auch die Festreden erfüllt. Von mehreren neuen Denkmälern wurde der feierlichen Einweihung der Rotunde der Versöhnung besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Die politische Intention, die hinter dem Versöhnungsmotto steht, ist sicherlich zum einen außenpolitisch motiviert (Russland nicht zu provozieren), zum anderen aber auch innenpolitisch: Gerade mit Blick auf die bevorstehenden Wahlen wird versucht, den verschiedenen Erinnerungskulturen, die in der ukrainischen Gesellschaft koexistieren, gerecht zu werden. Unter dem Stichwort Versöhnung lassen sich verschiedene Geschichtsbilder gut subsumieren. Dass dem Wahlvolk am 27. Juni 2009 in Poltawa nicht eine politisch–offizielle Version von Geschichte präsentiert werden konnte, zeigt, dass sich Politik und Erinnerungskultur in einem komplizierten Wechselspiel beeinflussen. Die in einer Gesellschaft bestehende Erinnerungskultur kann nicht so einfach politisch instrumentalisiert werden, die Politik muss sich auch nach ihr richten.


„5. Erinnerungskultur im Wandel“

SUMMARY Poltava in the Year 1909 and 2009: The Interaction between Culture of Remembrance and Politics By Julian Völkle

Cultures of remembrance change over time. However, larger transformations can be noticed only when they are connected with political changes. An example for such a connection can be observed with the battle of Poltava in the years 1909 and 2009. At the beginning of the 20 th century, the Ukrainian national movement gained increased support, as the foundation of the Revolutionary Ukrainian Party (RUP) in 1900 demonstrates. The tsar reacted with repressive actions towards the Ukrainians. In 1909 the Russian state celebrated the 200 th anniversary of their victory in the Battle of Poltava in an exuberant way. This extravagant celebration didn’t happen accidently – it was a subtle instrument of repression, signifying Russia’s dominance over Ukraine. A similar approach of suppression can be seen in the following revolutionary years 1917–1920, when Ukrainians attempted to gain statehood. The Soviet Union showed similarities to a dictatorship and both, the tsarism and the Soviet Union, reacted with repressive actions against the Ukrainian struggle for autonomy and independent statehood. As the 300th anniversary of the Battle of Poltava approaches, what is the current political situation in Ukraine? There are two extreme positions in Ukraine: the Ukrainian nationalists and the Russophiles. The Ukrainian nationalists would oppose any new union with Russia, while many Russophiles would more than likely support unification. Similar political divisions can also be observed when one looks at the respective cultures of remembrance. For example, the “Day of Victory” on May 9th symbolizes the unity with Russia, and the Independence Day on August 24th symbolizes the independent national consciousness of Ukrainians. However, the official ceremony at the 300 th anniversary made two things rather clear: firstly, the ceremony attempted to unify Ukraine and to reconcile Ukraine’s political relationship with Russia. This is the symbolic meaning behind the new monument in Poltava, the “Rotunda of Reconciliation [of the people]”. Secondly, the wording “reconciliation” does not imply a pro–Russian or a pro–Ukrainian notion. The neutral wording “reconciliation” shows that there is a connection between culture of remembrance and politics. Because of the purposeful neutrality in the creation of this monument, it is possible to celebrate the culture of remembrance with relatively few political conflicts. Therefore, the lack of either pro–Ukrainian or pro–Russian wording demonstrates that there is a political change in progress, which shows that politics and culture of remembrance have a complicated and intertwined relationship.

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6. Masepa im Kreuzfeuer

Wer war Masepa? Welche Rolle spielte er in der Schlacht von Poltawa 1709? Wie wird er heute erinnert und warum ist er heute überhaupt noch von Bedeutung für viele Ukrainer? Wie in der ukrainischen Gesellschaft trafen auch in unserem Projektteam kontroverse Meinungen aufeinander. Mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen haben wir versucht, Masepa zu beleuchten…

Mazepa on Crossfire


„6. Masepa im Kreuzfeuer“

Masepa–Plädoyer einer jungen Ukrainerin Von Anna Zub (Übersetzung: Maria Martens)

„Masepa ist kein Verräter, sondern ein Verteidiger seines Landes. Es ist an der Zeit, die Lügenmärchen aufzudecken. Es ist Zeit damit aufzuhören, unsere Geschichte mit den Augen unserer Nachbarn zu betrachten. Das Imperium diffamierte Masepa mit einem einzigen Ziel – auch nur den Gedanken an eine unabhängige Ukraine zu unterdrücken, Die junge sie zu einem unterwürfigen Ukrainerin Anna Territorium, ohne Verganfordert von ihrer Regierung genheit und ohne Zukunft, und ihren Landsleuten eine umzugestalten.“ klare Position gegenüber der eigenen Geschichte, – und Dieses Zitat stammt aus einer Rede des ukrainispricht mit dieser Forderung schen Präsidenten Wiktor Juschtschenko, die er im für einen Großteil ihrer Sommer 2007 anlässlich der sogenannten „Masepa–Tage“, Generation. ein jährlich stattfindendes Rock–Festival, in Poltawa hielt. Nun, 2009, stehen die „Masepa–Tage“ erneut an, – aber nichts hat sich getan. Wir vertreten wie eh und je, statt der eigenen, die Seite Russlands.

des Denkmals wurde für den Tag der Unabhängigkeit versprochen. Auch die Eröffnung des „Saals der ruhmreichen Kosaken und ihrer Anführer“ wurde angekündigt. Diesen Worten folgten bisher bedauernswerter Weise keine Taten. Sieht das nicht danach aus, als würde man beginnen eine gewisse Person zu ignorieren? Und das, nachdem der Hetman die Unabhängigkeit für die geliebte Heimat wollte!? Wir haben noch immer kein authentisches Porträt Iwan Stepanowytschs gesehen! Man verschließt uns noch immer die Augen vor den wahren Begebenheiten dieser Schlacht. Man schweigt sich über die darauffolgenden Versuche der Ukrainer die Unabhängigkeit zu erreichen aus. Es ist, als ob uns etliche Kapitel eines Geschichtsbuches verschlossen wären. Man gibt uns keine wirklichen Antworten auf all die Fragen, die sich angesammelt haben. Diese traurige Tatsache betrifft uns alle, denn es hängt allein von uns ab, in welchem Licht das Ereignis und die mit ihm in Verbindung stehenden Persönlichkeiten betrachtet werden. Es wird höchste Zeit Stopp zu sagen. Wir müssen uns mit aller Kraft versammeln und unser wahres Gesicht, die kosakische Seele der Ukraine, zeigen, ansonsten drohen wir uns im Alltag der Politik zu verlieren!

Das 300–jährige Jubiläum der Schlacht bei Poltawa, so sagt man, sei der Gedenktag des Sieges des Russischen Imperiums über das Königreich Schweden. Aber wie wirkte sich dieser „Sieg“ auf die Ukraine aus? Sind die Teilhabe der Kosaken an der Schlacht und die Folgen für unser Land jemandem aufgefallen? Spielten die Kosaken auf der europäischen Bühne überhaupt irgendeine Rolle? Nein? Vielleicht aus dem Grund, da es zu jener Zeit keinen selbständigen ukrainischen Staat gab, sich das Land gar selbst als einen Teil des zaristischen Imperiums betrachtete. Aber warum sind die Auffassungen über Masepas Bedeutung in der heute unabhängigen Ukraine so kontrovers? Gründet sich denn sein ganzer Ruhm nur auf seinen Heroismus einerseits und seinen Verrat andererseits? Poltawa bereitet sich derzeit auf die Feierlichkeiten anlässlich der bedeutenden Schlacht vor. Denkmäler werden rekonstruiert, Straßen werden ausgebessert und neue historische Gedenkstätten erscheinen im Stadtbild. All das geschieht in Erwartung der Touristen und der Presse, die Poltawas geleistete Arbeit für das Jubiläum kritisch bewerten werden. Doch selbst die Einwohner Poltawas wundern sich, wo bei alledem das Denkmal Masepas, welches schon lange im Gespräch ist, bleibt. Das jährlich eigentlich im Juli stattfindende Masepa–Festival wurde in den Herbst verschoben, die Errichtung

Abb. 7

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„6. Masepa im Kreuzfeuer“

SUMMARY Speech of Defense for Mazepa by a young Ukrainian By Anna Zub

Anna Zub’s article deals with the meaning and importance of Ivan Mazepa, the Ukrainian Hetman in the Battle of Poltava, as a political issue nowadays. In summer 2007, on the rock festival “Mazepa” in Poltava, Ukrainian President Viktor Yushchenko extolled Mazepa as a heroic precursor of Ukraine’s independence and thereby contradicted the official Russian opinion of Mazepa as a traitor. In her article Anna complains that in spite of this speech by the Ukrainian president nothing seems to have changed about the pro–Russian thinking in Ukraine during the last two years. In spring 2009, Poltava prepares seriously for the celebration of the 300th anniversary of the battle. Monuments as well as streets are repaired, and new monuments are under construction. However, according to Anna, the citizens of her hometown wonder why the long expected and promised monument for Mazepa is still not being erected. Also, it has been promised to open a hall for the Ukrainian Cossacks in the Museum of the Battle of Poltava, but so far nothing has happened. And finally, the “Mazepa festival“, which takes place every year in summer, has been transferred to autumn, so Mazepa won´t get in the way of the celebrations of the 300th anniversary at the end of June. To Anna, it seems that the Ukrainian government all of the sudden ignores its promises. That is why she calls on her fellow citizens to hold together and to defend their own view on their history and to celebrate the 27th of June 2009 as more than the victory of the Russian Empire over the kingdom of Sweden, but also as a historical day for Ukraine, as a day that stands for the Ukrainian struggle for independence.

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„6. Masepa im Kreuzfeuer“

Masepas Platz im ukrainischen Gedächtnis

Von Tanja Komar, Anastasija Malijenko, Clara–Louise Sutterer und Sebastian Sparwasser (Übersetzung: Maria Martens)

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Streitmächte im Sommer 1709 bei Poltawa wurde die schwedische Armee inklusive der ca. 3000 Kosaken Masepas vernichtet. Iwan Masepa starb kurze Zeit später im Exil. Die Erinnerung an ihn war in den folgenden Jahrzehnten und Jahrhunderten von seinem Verrat an Peter geprägt (Kuzio 2009). Mögliche Gründe für den Seitenwechsel Masepas wurden (bzw. werden bis heute) in der russischen Geschichtsschreibung ausgeblendet.

Die Mazepisten

Umso eingehender diskutierten zu Beginn des 20. Jahrhunderts nationale Gruppen, die im Westen der Ukraine wurzelten, Masepas Seitenwechsel. Aus ihrer Sicht wollte Masepa die Kosakendemokratie vor Peters Plänen eines zentral regierten russischen Großreiches retten, – und damit nur das Beste für ihr Heimatland. Tatsächlich hatte der Zar die Privilegien der Kosaken immer weiter eingegrenzt. Ob Masepa aber durch die Koalition mit den Schweden wirklich auf einen freien, autonomen Kosakenstaat gehofft hatte bzw. zu den gegebenen Machtkostellationen jener Zeit überhaupt hätte hoffen können, ist dahin gestellt. Die ukrainischen Autonomisten jedenfalls sahen in Masepa in der prorussischen Erinnerung Masepa die Heldenfigur eines ukrainischen Unabhängigkeitskämpfers und nutzten diese Masepa–Interpretation, um den starken Geist der ukrainiWelchen Platz sollte In dem von Alexander Puschkin im Jahr 1828 verfassten Gedicht Polschen Kultur zu propagieren und für die Unabhängigkeit von SowjetrusMasepa, der für die einen tawa wird Masepa als Verräter dargestellt (Puschkin 1959–1962: III, 192ff.). sland einzutreten. Durch die Repressalien Stalins jedoch waren die so als Verräter, für die anderen als Dieses Gedicht vertritt die typisch prorussische Sichtweise über den genannten „Mazepisten“ – ein Wort, welches in der Sowjetunion zum Symbol der ukrainischen Kosakenführer. Während Zar Peter I. als Held und Genie porträtiert Synonym für den Begriff Verräter wurde (Kappeler 1997: 130) – zur Unabhängigkeit gilt, in der nationalen wird, welcher das Imperium vor der Fremdherrschaft gerettet hat, Unterbrechung ihrer Arbeit gezwungen. Gedenkkultur einnehmen? Bis auf den wird Masepa, der sich mit Karl XII. gegen Peter I. verbündete, als Feind heutigen Tag gehen die Meinungen der russischen Nation stigmatisiert. Puschkin verarbeitete in seinem zu dieser Frage im Land Gedicht die Geschehnisse des Vorjahres der Schlacht aus russischer Veränderungen im ukrainischen Nationalbewusstsein auseinander… Sicht (s. weiterführend Steiner 2009: 122). Die nationale Erinnerungskultur der Ukraine war bis ins Jahr 1991 und Belegt ist, dass Masepa 1687 insbesondere zu sowjetischer Zeit stark von der russischen Geschichtsmit Unterstützung des Zaren Hetschreibung beeinflusst. Die Vorstellung von Masepa als einem progressiven man wurde und sich lange als loyaler und Anführer wurde lediglich von oppositionellen Ukrainern, in der Regel junge Westuenger Bündnispartner Peters I. zeigte. Auch krainer, verteidigt (Kapim Nordischen Krieg kämpfte das ukrainische peler 2003: 70ff.). Hetmanat unter Masepa zunächst an der Seite Seit ihrer Eigenstaatdes Zarenreiches gegen die Schweden. Als lichkeit entdeckt die Masepa und ein Teil der ukrainischen KosaUkraine ihre nationale ken sich dann im Herbst 1708 auf schwedische Identität von neuem. Die Seite schlugen, wurde das von Peter, wohl auch Schaffung einer authenverständlicherweise, als Verrat empfunden. tisch ukrainischen IdenNach dem Bündnisbruch ließ der Zar Masepas tität dreht sich um TheBildnis an einen Galgen hängen, seine Resimen wie Sprache, Kultur, denz Baturin dem Erdboden gleich machen Beziehungen zu Russland und die orthodoxe Kirche exkommunizierte und zum Westen sowie, Abb. 8 Abb. 9 ihn. Im entscheidenden Zusammentreffen der eng damit verbunden, um er 300. Jahrestag der Schlacht von Poltawa steht in engem Zusammenhang mit der Frage, wie die Zukunft des noch jungen Staates aussehen wird. In diesem Kontext gewinnt die Person Masepas (* ca. 1644; † 1709) als Sinnbild der Unabhängigkeit der Ukraine von Russland an Bedeutung – insbesondere für jüngere Generationen. Wie lässt sich dieser Prozess erklären und welche Folgen bringt er mit sich?

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„6. Masepa im Kreuzfeuer“ eine eigene Darstellungsweise der nationalen Geschichte. Hierbei wird versucht, eine Linie staatlicher Kontinuität von der mittelalterlichen Kiewer Rus über das Kosakenhetmanat bis zur Ukrainischen Volksrepublik (UNR) und der heutigen, unabhängigen Ukraine zu ziehen. Besonderer Fokus wird auf das Kosakentum gelegt, da es sich, so scheint es, für die staatliche Symbolik der Ukraine in besonderem Maße eignet. So sind Kosaken in Literatur, Kunst, Werbung und politischen Reden allgegenwärtig. Im Zuge dieser Entwicklung wird Masepa als Nationalheld und zentrale Figur des ukrainischen Bewusstseins wiederbelebt (Geyer 2009, Neubert 2008). Nicht nur ist er auf der 10–Hrywnja–Note (ukrainische Währungseinheit) abgebildet und Namensgeber eines ukrainischen Verdienstordens. Er war auch Brennpunkt bei den nationalen Feierlichkeiten zum 300jährigen Gedenken der Schlacht bei Poltawa. Die übergeordnete Frage, die sich hieraus stellt, ist: Wie verhalten sich Gesellschaften, um sich von der sie ehemals beherrschenden Macht abzugrenzen? Das ukrainische Bestreben sich von der russischen Dominanz zu lösen, führt zu provozierenden Gesten in Richtung Moskau (Sysyn 1991: 845). Seit der Neugründung des Staates bemüht sich die Regierung, Nachweise zu erbringen, die den wahren Ursprung der ukrainischen Nation belegen. Museen, Schul – und Studienbücher passen sich den neuen Interpretationsweisen an und schreiben die Landesgeschichte neu.

November 1708. Dass viele Kosaken ihrem Hetman nicht folgten, sondern dem Zaren treu blieben, wird damit erklärt, dass Peter nach Masepas Bündnisbruch eine Armee unter Prinz Alexander Danilowitsch Menschikow nach Baturin, Masepas Hauptstadt, entsandte und dort ein Massaker anrichten ließ. Damit habe Peter die Kosaken in die Knie gezwungen. Diese Sichtweise ist sicherlich nicht ganz abwegig, aber dabei doch ebenso einseitig wie die russischen Darstellungen.

Masepa in der offiziellen ukrainischen Geschichtsschreibung Die heutige ukrainische Historiographie ist darauf bedacht, positive Assoziationen mit der historischen Persönlichkeit Masepa herzustellen. Sie stellt ihn als ersten westlich gesinnten Führer der Ukraine dar (siehe unter anderem bei: Ivanchenko 1993, Pavlenko 2005). Diesen Illustrationen nach war Masepas größtes Anliegen, sein Leitziel und Herzenswunsch, das Wohl der Ukraine durch eine Orientierung nach Westen. So wird hervorgehoben, dass er während seiner Regierungszeit (1687–1708) in Verbindung mit zahlreichen europäischen Gelehrten und Staatsmännern stand und viel in Bildung und Kultur investierte. Er ließ in vielen Ortschaften Schulen, Kirchen und Druckereien errichten und verhalf der Kiewer Mohyla–Akademie zu europäischem Niveau und Status. Seine Residenzstadt, Baturin, wurde zum Kultur – und Bildungszentrum der Ukraine. Auch die Religiösität Masepas wird betont, etwa seine großzügigen Spenden an die Orthodoxe Kirche und seine Unterstützung des Wiederaufbaus des Kiewer Höhlenklosters, der Petscherska Lawra. Für viele Ukrainer liefern diese positiven Darstellungen den Beweis, dass Masepa sein Leben der Wiedergeburt einer unabhängigen Ukraine widmete. Das Russische Imperium wie auch Sowjetrussland hingegen werden negativ dargestellt, nämlich als Besatzungsmacht, die die Ukraine politisch unterjochte und wirtschaftlich ausbeutete. Russland habe die Ukraine als Quelle der Bereicherung verstanden und sich über Jahrhunderte der natürlichen Ressourcen, der Arbeitskräfte und der klugen und talentierten Köpfe des Landes bedient. Insbesondere aber Peters verweigerte Hilfestellung an Masepa gegen die Polen sowie die Ereignisse des Jahres 1708, als die russische Armee im Zuge der Taktik der verbrannten Erde zahlreiche ukrainische Dörfer verwüstete, rechtfertigten in den Augen vieler Masepas Seitenwechsel zu den Schweden im

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Abb. 10


„6. Masepa im Kreuzfeuer“ Ukrainische Historiker beschäftigen sich allerdings auch durchaus kritisch mit dem Hetman, etwa indem sie sich Streitthemen im russisch–ukrainischen Geschichtsdiskurs wissenschaftlich widmen und auch Aspekte zu Masepa anführen, die nicht in das Bild eines Nationalhelden passen. Beispielsweise wird in der ukrainischen Historiographie nicht verschwiegen, dass Masepa die Revolten von der „Siroma“ (ukrainische Landbevölkerung, meistens Bauern) gegen Moskau im späten 17. Jahrhundert gnadenlos unterdrückte. In der ukrainischen Bevölkerung wird diese Tat Masepa allerdings von kaum jemandem zum Vorwurf gemacht, – handelte er doch zu jener Zeit unter russischem Befehl. Es scheint, als dass für viele Ukrainer nichts Masepas Verdienste schmälern könnte. Eine Aussage des ukrainischen Dichters Kondratiy Rileew über Masepa in seinem Gedicht Voynarovskiy (1825) scheint die heutige Sichtweise vieler Ukrainer widerzuspiegeln: „Masepa ist nichts heilig außer dem Ziel, welches er verfolgt: nicht der Respekt Peters I., nicht die Wohltätigkeiten Peters I., nichts hätte ihn von dem Verrat abhalten können. Gerissenheit und Arglist waren ebenfalls Werkzeuge auf dem Weg zum Ziel – einen unabhängigen ukrainischen Staat zu erlangen.“ (Website Библиотека Максима Мошкова). Kurz: Der Zweck heiligt, zumindest in den Augen vieler Ukrainer, die Mittel des Verrats.

Die Kontroverse um Masepa Derzeit existieren in der ukrainischen Bevölkerung beide oben geschilderten Masepa–Interpretationen. Die Historikerin Tatjana Tairowa–Jakowlewa führt dies auf die dichotome Struktur der ukrainischen Nationalgeschichte zurück (Tairova– Jakovleva 2007). Während die einen Masepa als Begründer der ukrainischen Unabhängigkeit betrachten, teilen die anderen die russische Ansicht und sehen in Masepa eine eigennützige Person, dessen Hauptinteresse darin bestand, die eigene politische Macht so weit wie möglich auszudehnen (Website R&B Group). Entlang dieser Linie, so wirkt es überspitzt ausgedrückt, scheidet sich die ukrainische Bevölkerung in stolze Landespatrioten und nostalgische Russophile. Letztendlich können wohl beide Sichtweisen – Masepa als nationale Befreiungsfigur ebenso wie Masepa als Verräter – als Missinterpretationen der historischen Umstände um die Person Masepas gewertet werden. Diente die einseitige Verräter–Darstellung Masepas in Zaren – und Sowjetzeiten dazu, ukrainische Unabhängigkeitsbestrebungen zu unterbinden, wird die gegenwärtige, offizielle Interpretation in der Ukraine nicht minder instrumentalisiert, nun zum Zweckes einer gestärkten Identifikation der Bürger mit dem jungen Staat. Anfang diesen Jahres, am 20. März 2009, rief der ukrainische Präsident Wiktor Juschtschenko zur Rehabilitierung des Ansehens des Kosakenführers auf und sprach sich dafür aus, dass man in Zusammenhang mit dem Gedenken an Masepa „mit dem Mythos des Verrates aufräumen sollte“ (DonbassUA 20.03.2009). Kurz darauf, am 26. März 2009, trat ein neues Dekret Juschtschenkos in Kraft: das Iwan–Masepa– Kreuz wurde als neue Auszeichnung eingeführt. Es soll Menschen verliehen werden, die

besondere Leistungen für die Unabhängigkeit des ukrainischen Staates erbracht haben (Ukaz Presidenta Ukraini № 189/2009). Zu den 300–Jahrfeiern der Schlacht bei Poltawa sollte ein Monument in Gedenken an Masepa vor dem Museum, direkt neben Peter I., errichtet werden (Ukaz Presidenta Ukraini № 955/2007). Auf Druck Russlands hin sah man aber schließlich davon ab und verschob die Errichtung des Masepa–Denkmals in Poltawa auf später (zunächst auf August, dann auf Oktober, dann auf Dezember und nun soll es nach neuestem Stand Anfang 2010 auf dem Domplatz im Stadtzentrum aufgestellt werden). Es ist nicht verwunderlich, dass die ukrainische Masepa–Euphorie das russisch–ukrainische Verhältnis zusätzlich strapaziert. So wurde Masepa zu einem weiteren Streitpunkt unter zahlreichen weiteren strittigen politischen Angelegenheiten, die das aktuelle Verhältnis zwischen Russland und der Ukraine zu charakterisieren scheinen: der Streit um die Gaslieferungen, die Interpretation des Holodomors, der großen Hungerkatastrophe 1932–1933, die Orientierung der führenden und herrschenden Elite der Ukraine, die NATO– Frage usw.

Folgen der neuen Interpretation Masepas für die ukrainische Identität Die historische Person Masepa spielt offensichtlich eine gewisse Rolle in der Entstehung der nationalen Identität der Ukraine. In den Augen zahlreicher Ukrainer zeigte Masepa durch seinen Bündnisbruch mit Peter I., dass die Ukraine in der Lage ist, eigene Entscheidungen zu treffen und pflanzte dadurch den Samen für eine unabhängige Ukraine – selbst wenn es von da an noch 250 Jahre dauern sollte, bis die Unabhängigkeit wahr wurde. Selbst wenn die Ukraine kein unmittelbarer Akteur in Abb. 11 der Schlacht von Poltawa war, damals wurde ein Prozess – ein eigener ukrainischer Weg – ins Rollen gebracht, der immer noch im Gange ist. Und bis dieser nicht beendet ist, werden die Debatten um die Rolle Masepas nicht abbrechen. Zweifellos gesteht die offizielle ukrainische Geschichtsschreibung Masepa bewusst eine prominente Position zu, – als Mittel der Abgrenzung von Russland. Für die ukrainische Politik dient Masepa als ein Ventil, um sich von dem anhaltenden russischen Einfluss zu distanzieren und loszusagen. Je mehr Russland versucht, seinen Einfluss in Angelegenheiten der Ukraine zu stärken und auszudehnen, umso mehr wird es vermutlich den Unwillen der Ukraine stärken auf diese Forderungen einzugehen. Die Konsequenzen, die von dieser politischen Inanspruchnahme der Historiographie herrühren, sind unausweichlich eine überhöhte subjektive Perspektive auf die Geschichte sowohl von Seiten der Ukraine als auch Russlands und damit sicherlich auch künftig Anlass für weitere Spannungen zwischen den beiden Ländern.

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„6. Masepa im Kreuzfeuer“

SUMMARY The Place of Mazepa in Ukrainian Memory

By Tanya Komar, Anastasiya Maliyenko, Clara–Louise Sutterer und Sebastian Sparwasser

Abb. 12

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Which place for national commemoration should be given to Mazepa, who was on the one hand for some a betrayer, especially for the Russians, on the other hand, a symbol of national independence for the Ukrainians? Up to this day the Ukrainian nation is split over this question. The 300 years celebration of the Poltava battle is closely connected with the question of the future course, the newly founded statehood will take. In this context the person Mazepa is often glorified as a symbol of national independence from Russia and it seems that this narrative is especially appealing to younger generations. The question arises, how this came about and to which consequences this will lead? Until 1991, especially during the Soviet era, national remembrance of the Ukraine was strongly influenced by Russian historiography. Under these circumstances the concept of Mazepa as a progressive leader towards Ukrainian independence was naturally supported only by oppositional Ukrainians, mostly the young generation from western Ukraine. Today the Ukrainian society discovers its national identity anew, in issues like language, culture and also a new narrative of national history. From this point of view, it seems like the Ukrainian historiography grants Mazepa a prominent position as an instrument to disassociate the Ukrainian identity from Russia. Resulting from this development, Mazepa became a national hero of the newly founded Ukraine. Early this year the Ukrainian president Victor Yushchenko called for the rehabilitation of the historic Cossack leader’s reputation and announced that, in reference to the commemoration of Mazepa, people should „pack up with the myth of treachery“. Eventually the construction of a new Cross of Mazepa and a monument dedicated to Mazepa in remembrance of the 300th anniversary of the Battle in Poltava resulted from this. Mazepa seems to serve as a vehicle to set provoking signs in the domestic sphere of Ukrainian politics in order to distance oneself from the enduring Russian influence. But what results from this selective treatment and handling of history? Unsurprisingly, these actions strained the relationship between Ukraine and Russia even further. In the long–run, the seemingly unavoidable consequences stemming from this political exploitation of history are an inflated and highly subjective outlook on history – in Ukraine as well as in Russia.


„6. Masepa im Kreuzfeuer“

Masepa in deutscher Erinnerungskultur

Beziehungen kam es in der Regel auch zu einer Änderung der deutschen Sicht auf die Ukraine. Damit einhergehend änderte sich auch die öffentliche Wahrnehmung Masepas in der deutschen Gesellschaft. So war die deutsche Sicht auf Masepa stets im Wandel begriffen.

Von Anastasija Maliyenko und Sebastian Sparwasser (Übersetzung: Sebastian Sparwasser)

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er ukrainische Hetman Iwan Masepa ist in Deutschland weitestgehend unbekannt. Trotzdem kam es auch hierzulande immer wieder zur Rezeption des ukrainischen Nationalhelden. Diese Ansätze waren meist eng verknüpft mit den Beziehungen Deutschlands zu Russland.

Vielfältigkeit kultureller Erinnerung Ein und dasselbe historische Ereignis wird in verschiedenen Ländern oft ganz unterschiedlich bewertet. Ebenso unterscheidet sich die Rezeption und Interpretation von historischen Persönlichkeiten in nationalen Sphären oft grundlegend. Denn jedes Land hat seine eigene „Kultur der Erinnerung“. Die Vorstellung etwa von dem, was ein Nationalheld ist, kann von Land zu Land erheblich variieren. So überrascht es nicht, dass auch das Bild von Iwan Masepa im kulturellen Denken hierzulande einen anderen Platz einnimmt als in der Ukraine. Während Masepa als historische Persönlichkeit in Deutschland weitestgehend unbekannt ist, gilt er für viele Ukrainer als Repräsentant der Unabhängigkeit des jungen Staates, eine Interpretation, die sich in der offiziellen ukrainischen Geschichtsschreibung seit 1991 widerspiegelt und Masepa zu einem Politikum zwischen der Ukraine und Russland macht. Insbesondere das Handeln Masepas während des Großen Nordischen Krieges ist in hohem Maße umstritten. Die politische Kontroverse um Masepa kann als wunder Punkt im russisch–ukrainischen Verhältnis gelten. In Deutschland wird der Wechsel Masepas von der russischen auf die schwedische Seite vor der Schlacht kaum erinnert. Doch auch in der deutschen Kultur kam es im Laufe der Geschichte immer wieder zu einer Annäherung an das Masepa–Thema. Im Fokus der deutschen Masepa–Rezeption stand allerdings selten die politische Person, sondern zumeist der Mythos Masepa in Kunst und Wissenschaft.

Dreiecksbeziehung Masepa fand in den letzten Jahrhunderten mal mehr, mal weniger Beachtung in Deutschland. Zu keiner Zeit aber war er fester Bestandteil deutscher Erinnerungskultur, weshalb er es auch nie zu einer bedeutenden Prominenz brachte. Es gab schlicht keine kulturelle Notwendigkeit sich intensiv mit Masepa zu beschäftigen. Gänzlich missachtet wurde er aber nicht. Die Intensität der Erinnerung und die wechselnde Bewertung des ukrainischen Hetmans waren hierbei in hohem Maße an das Verhältnis Deutschlands zu Russland gekoppelt. Man kann an dieser Stelle gar weitergreifen und feststellen, dass die deutsch–ukrainischen Beziehungen generell eine Art Zweckfunktion für das deutsch– russische Verhältnis hatten. Bei einer Neuausrichtung in den deutsch–russischen

Abb. 13

Perspektiven im Wandel Am Anfang der deutschen Rezeption Masepas stand wohl der Historiker Johann Wendel Bardili (1676–1740), der Masepa persönlich gekannt hatte. Er und andere Zeitzeugen, wie etwa der preußische Botschafter in Moskau, Georg Johann Freiherr von Kayserling, rechtfertigten Masepas Seitenwechsel im Großen Nordischen Krieg. Ihrer Meinung nach hatte Masepa zum Wohle des ukrainischen Volkes gehandelt (Bardili 1730: 106f.; Kayserlings Berichte wurden von Krupnyckyj veröffentlicht, Krupnyckyj 1939: 17ff.). Auch in anderen westeuropäischen Darstellungen jener Zeit wird Masepas Handeln als positives Beispiel für den Willen nach Selbstbestimmung gewertet (Mackiw 1995). In einem Brief an den Zaren vom 27. Oktober 1708 beschreibt der russische General Alexander Menschikow die Stimmung und Haltung zu Masepa in Westeuropa vor 1709: „…wenn er [Masepa] dieses tat, so tat er es nicht wegen seiner Person allein, sondern für das Wohl der ganzen Ukraine“ (Mackiw 1995: 9–10).

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„6. Masepa im Kreuzfeuer“ Im 19. Jahrhundert findet die historische Person Masepa sehr wenig Beachtung in westeuropäischer Wissenschaft und Politik. Das Thema Masepa tritt vor allem in Form von literarischen und künstlerischen Aufarbeitungen auf. Die historische Figur Masepa wurde dabei mythologisiert, wie etwa in Lord Byrons Poem Mazeppa von 1819 (Byron/ McConnell 1978). Byron hat in seinem Poem die Schilderungen zu Masepa in Voltaires „Geschichte von Karl XII, König von Schweden“ (1731) künstlerisch umgesetzt. Das Mazeppa– Poem Byrons diente in der Folgezeit vielen weiteren Dichtern und Künstlern als Inspiration (s. u.). Zur selben Zeit wie Byron schafft auch der in Frankfurt geborene Schriftsteller Adolf Mützelburg einen Mythos um den Kosakenführer (zu Mützelburgs Werk Mazeppa von 1918 siehe Doroschenko 1994: 281). Allerdings bleibt sein Werk im Gegensatz zu Byrons weitgehend unbekannt. Im 20. Jahrhundert, insbesondere in der Zwischenkriegszeit, erhielt die deutsche Masepa–Rezeption neuen Auftrieb. Während der Versuche einer ukrainischen Nationsbildung nach dem Ersten Weltkrieg wurde Masepa in Deutschland zu einem ukrainischen Nationalhelden stilisiert. Dieser Ansatz war später, um 1930, eng mit dem Aufkommen des Faschismus in Europa verknüpft. Im deutschen kulturellen Leben erschien Masepa Anfang der 1930er Jahre in einigen Veröffentlichungen, welche ihn als ukrainischen Staatsgründer darstellten (Mackiw 1995, Kapitel 3). Insbesondere aber die zu dieser Zeit in deutschem Exil lebenden ukrainischen Wissenschaftler nutzten die historische Figur Masepa, um sich für die Bildung eines unabhängigen ukrainischen Staates einzusetzen (Kumke 1995; Wöll 2008; Kappeler 2009). In der Ukrainischen Freien Universität (private Exil–Universität, die 1921 in Wien gegründet wurde und seit 1945 ihren Sitz in München hat) sowie in dem 1926 in Berlin gegründeten Ukrainischen Wissenschaftlichen Institut wirkten ukrainische Historiker, wie etwa Dmytro Doroschenko und Boris Krupnycky. Beide arbeiteten an Gesamtdarstellungen der ukrainischen Geschichte. In seinem Werk Hetman Mazepa und seine Zeit aus dem Jahr 1942 schildert Krupnycky die Unzufriedenheit der Ukraine unter russischer Vormundschaft und rechtfertigt Masepas Seitenwechsel (Krupnycky 1942). Auch der ehemalige Hetman Pavlo Skoropadskiy, der sich als ukrainischer Unabhängigkeitskämpfer auf wissenschaftlichem Gebiet verstand, hat zur Masepa–Rezeption in Deutschland beigetragen (Skoropadskyj 1936). In den Nachkriegsjahren war die Ukraine selten Thema in deutschen öffentlichen und wissenschaftlichen Debatten (Kumke 1995: 218). Vermutlich wollte man in der Zeit des kalten Krieges das Verhältnis zur Sowjetunion nicht weiter belasten. Entsprechend sind zu Masepa aus dieser Zeit keine nennenswerten deutschen Publikationen zu finden, hätte doch gerade die Wiederaufnahme der Problematik um die kontroverse Figur des ukrainischen Hetmans als Provokation ausgelegt werden können (Neubert 2008: 46– 82). Erst in den 1980er Jahren kam das Thema Masepa wieder ins öffentliche deutsche Bewusstsein, zunächst in Form einer Wiederbelebung des Masepa–Mythos (s. u.), und ab den 90er Jahren wieder verstärkt in wissenschaftlichen Publikationen (siehe u.a. Neubert 2008).

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Masepa im kulturellen Leben Deutschlands heute Die breite Öffentlichkeit in Deutschland kennt die historische Person Masepa nicht. Wenn der Name Masepa bekannt ist, dann versteckt sich dahinter in der Regel die mythologische Gestalt des Hetmans. Dies ist vor allem auf ein Lied Konstantin Weckers von 1980 zurückzuführen, in welchem er den Masepa–Mythos hat neu aufleben lassen. Für sein Lied Ballade von Mazeppa nutzte Wecker das von Berthold Brecht 1925 geschriebene Gedicht Mazeppa als Songtext. Brechts Gedicht (und damit auch Weckers Lied) beschreiben den traumatischen Ritt des nackt auf ein wildes Pferd gefesselten Helden Masepa durch die ukrainische Steppe. Im deutschen kulturellen Leben war Weckers Ballade von Mazeppa die letzte öffentliche Rezeption Masepas mit Breitenwirkung.

Auszüge aus Brechts Gedicht Mazeppa (1925) Mit eigenem Strick verstrickt dem eigenen Pferde Sie schnürten ihn Rücken an Rücken dem Roß Das wild aufwiehernd über heimatliche Erde Gehetzt in den dunkelnden Abend hinschoß. Wohl trug ihn der Gaul vor der hetzenden Meute Blind und verzweifelnd und treu wie ein Weib Ihm riß er, je mehr seine Feinde er scheute Tiefer den Strick im blutwäßrigen Leib. Drei Tage immer gehetzter und schneller Drei Ewigkeiten lang war die Fahrt Wo der Himmel bald dunkler und wo er bald heller Doch immer unermeßlicher ward. Drei Tage lang ritt er durch Abend und Morgen Bis er alt genug war, daß er nicht mehr litt Als er gerettet ins große Geborgen Todmüd in die ewige Ruhe eintritt.

Abb. 14


„6. Masepa im Kreuzfeuer“

Masepa–Mythen in Westeuropa und Osteuropa Der in Brechts Gedicht geschilderte Todesritt Masepas basiert auf einer Legende über das frühe Leben des Hetmans, die wiederum auf Voltaires „Geschichte von Karl XII, König von Schweden“ von 1731 zurückgeht (Voltaire 1731: 258–262). Laut Voltaires Darstellung war der junge Masepa Diener am Hofe des polnischen König Kasimirs II, als er ein Liebesverhältnis mit einer verheirateten Adeligen einging. Als der Ehemann von der Affäre erfuhr, ließ er Masepa aus Rache rücklings auf den Rücken eines wilden Pferds binden, das im Galopp mit Masepa Richtung Ukraine davonritt. Dort wurde Masepa schließlich von Kosaken befreit, die ihn in ihren Reihen aufnahmen. Jahrzehnte später wurde Masepa schließlich ihr Anführer.

Mazeppa, 1859), Théodore Géricault (Gemälde Der Page Maseppa, 1820) und Horace Vernet (zwei Gemälde Mazeppa, 1826 und 1833) finden. Auch in der russischen Literatur und Musik hat der Masepa–Mythos Einzug erhalten und ist vor allem durch Puschkins Poem Poltawa (1828) vielen Osteuropäern vertraut (Puškin 1959–1962: III, 192ff.). Wie für die westeuropäischen Künstler, diente auch für Puschkin Voltaires Darstellung von Masepa als Inspiration. Während der westeuropäische Masepa–Mythos ein zwar tragisches, aber positives Heldenbild von Masepa zeichnet, wird die Legende bei Puschkin ins Negative verkehrt, beinhaltet dabei allerdings wahre Elemente aus dem Leben des Hetmans, wie etwa den Hinweis auf Masepas Freund Kotschubey und den Seitenwechsel im Vorfeld der Poltawaer Schlacht. Im Poem Poltawa ist der ukrainische Kosakenanführer Masepa ein bereits alter Mann, der sich in seine junge Patentochter Maria, noch dazu die Tochter seines besten Freundes Kotschubey, verliebt. Als Masepa Maria entführt, beschließt Kotschubey aus Wut Masepas geplanten Seitenwechsel zu den Schweden an den Zaren zu verraten. Peter I. jedoch vertraut auf Masepas Loyalität und verurteilt Kotschubey wegen dessen angeblichem Verrat an Masepa zu Tode. Puschkins Masepa–Darstellung schürt bis heute in Russland ein Bild des Verräters Masepa, der die Gutgläubigkeit Peter I. ausnutzte und wie in der Liebe, so in der Politik, scheinbar nur auf den eigenen Vorteil bedacht war. Angelehnt an Puschkin haben auch Faddei Bulgarin (Roman Masepa, 1834) und Pjotr Tschajkowskij (Oper Masepa, 1884) den Masepa–Mythos künstlerisch umgesetzt.

Masepa als Identitätsstifter für die Ukraine? Die heutige deutsche Sicht auf Masepa

Abb. 15

Diese Legende hat wenig mit der historischen Person Masepa zu tun, wurde aber zu einem beliebten Sujet in Literatur, Musik und Kunst. Zahlreiche Dichter, Komponisten und Künstler nutzen sie als Vorlage für eigene Masepa–Interpretationen. So lässt sich die mythologische Masepa–Figur in der westeuropäischen Literatur und Kunst unter anderem bei Lord Byron (Poem Mazeppa, 1819), Victor Hugo (Gedicht Mazeppa,1828), Franz Liszt (Sinfonische Dichtung Nr. 6 Mazeppa, 1839/1850), Rudolf Gottschall (Drama

Seit der Orangenen Revolution in 1991 widmet sich die deutsche Ukraine–Rezeption wieder vermehrt Masepa. Hierbei findet die Masepa–Kontroverse, die sich gegenwärtig zwischen der Ukraine und Russland sowie innerhalb der Ukraine entspinnt, besondere Beachtung. Die Streitfrage um Masepas Handeln im Großen Nordischen Krieg wird in Deutschland heute zumeist als Symbol für die Probleme der ukrainischen Staats– und Identitätsbildung herangezogen (Neubert 2008:83 – 91). Auch in unserer Projektgruppe hat Masepa Kontroversen ausgelöst, die Meinungen waren und sind geteilt. So vertraten einige von uns die Ansicht, dass Masepa als wieder auferstandener Nationalheld von Bedeutung für die sich neu formierende nationale Erinnerungskultur der Ukraine ist. Andere wiederum meinten, Masepa werde überbewertet und sei eben nicht als Identitätsstifter für die junge ukrainische Nation geeignet (s. auch das Interview mit Guido Hausmann in der MDZ 03.08.2009). Masepa–Diskussionen wie in unserer Gruppe finden in Deutschland allerdings sonst nur in Expertengruppen oder unter Historikern statt. Im gesellschaftlichen Bewusstsein Deutschlands spielt Masepa heutzutage keine Rolle.

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„6. Masepa im Kreuzfeuer“

SUMMARY Mazepa in German Culture of Remembrance By Anastasija Maliyenko and Sebastian Sparwasser

The essay “Mazepa in German Culture of Remembrance” deals with the historical figure of Mazepa, which has always been controversially discussed in various cultural and historical contexts. The essay explores his perception in German culture throughout the centuries. It illustrates that there have been various approaches towards the issue which usually were closely connected to the relationships between Germany and Russia. For example: In the age of German nationalism and early fascism the historical figure Mazepa was highly positively described and thereby used for presenting a justifiable image of an independent Ukrainian nation, whereas during the time of the Cold War almost no cultural traces of the Mazepa topic in German thinking could be discovered, because his positive treatment would have meant an act of provocation towards Russia. In contemporary Germany the figure of Mazepa symbolizes the quest for Ukrainian statehood and the struggle for its national identity. All in all, interpretations of Mazepa had been very rare at any time and he hardly played a role in German cultural consciousness. Better known than the historical person is the mythological figure Mazepa which became popular in Germany through Constantin Wecker`s “Ballade of Mazeppa” in the 1980ies. Wecker´s song is the latest work of art of many interpretations of Mazepa in Western European culture, which all originate in a legend of Mazepa that Voltaire had created in his book “History of Charles XII, King of Sweden” (1731).

Abb. 16

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7. Gedächtnis aus Stein Ein Stadtrundgang in Poltawa

Ein Stadtrundgang durch Poltawa legt viele Schichten der Erinnerung offen. Das Stadtbild ist von Denkmälern zur Schlacht von Poltawa geprägt. Den ukrainischen Projektteilnehmern sind die Denkmäler seit ihrer Kindheit vertraut. Bei ihren Recherchen haben sie entdeckt, dass die altbekannten Steine noch viel mehr zu erzählen haben, wenn man genau hinhört…

Von Julia Kalisch, Tetiana Komar, Anastasija Malijenko, Petro Martschenko, Julia Rybatschok, Anna Zub (Übersetzung: Clara–Louise Sutterer)

Memory in Stone – Monuments in Poltava


„7. Gedächtnis aus Stein – Ein Stadtrundgang in Poltawa“

Die Siegessäule Stell dir vor, Poltawa wäre eine kleine Sonne mit acht Strahlen. Diese Strahlen sind die Hauptstraßen von Poltawa. Und genau in der Mitte der Sonne, im Zentrum von Poltawa, steht die Siegessäule mit dem goldenen Adler. Genau an dieser Stelle haben sich vor 300 Jahren die Russische Armee Peter des Großen und die Garnison der Poltawaer Festung getroffen, weshalb hier zur 100jährigen Gedenkfeier im Jahr 1809 die Siegessäule zum Gedenken an die Schlacht errichtet wurde. Der erste Entwurf des Denkmals stammt von dem lokalen Architekten M. Amwrosimow. Über 135.000 Rubel wurden damals von Bürgern im ganzen Land für den Bau gesammelt. Der Sockel, auf dem die Siegessäule steht, ist ein quadratischer Granitblock, der die Gestalt der Festung nachbildet. Achtzehn Kanonen, von denen einige Originale darstellen, also tatsächlich in der Schlacht von Poltawa benutzt wurden, sind im Sockel befestigt. Das Denkmal ist umzäunt mit gusseisernen Schwertern, deren Spitzen in der Erde stecken – als Symbol des Friedens. Zar Alexander I. hatte damals den goldenen Adler und die bronzenen Dekorationen für die Säule gestiftet, die speziell für das Denkmal von dem Metall–Gießmeister Ekomow in St. Petersburg angefertigt wurden. Die offizielle Eröffnungszeremonie der Siegessäule fand am 27. Juni 1811 statt.

Monument of Glory Imagine that Poltava is a little sun, and that it has eight light rays. These rays are the main streets of Poltava. This monument is situated in the very centre of the sun, which means, in the centre of Poltava. This was the exact place where the Russian Army and the garrison of the Poltava Fortress met 300 years ago. The original design of the monument was prepared by M. Amvrosimov, a local architect. About 135,000 rubles were raised for this project from numerous citizens throughout the country. The square granite pedestal of the monument has the shape of a fortress and is surrounded by a fence of cast–iron swords pointing to the ground as a symbol of peace. Eighteen guns used during the battle are mounted into its foundation. Tsar Alexander I personally donated the eagle and the bronze decorations on the column, specially created for the monument in St. Petersburg by P. Ekimov, a master of metal casting. The official opening ceremony took place on June 27th 1811.

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„7. Gedächtnis aus Stein – Ein Stadtrundgang in Poltawa“

Denkmal „Petersruhe” Das Denkmal „Petersruhe“ wurde zu Ehren Peter I errichtet und zwar an der Stelle, an der sich ehemals die Wohnung von Oberst A.S. Kelin befand, in der sich Peter I. nach der Schlacht von Poltawa ausgeruht hatte. Daher wird das Denkmal heute von den Poltawaern „Petersruhe“ genannt. Die erste Version, ein Obelisk mit Kupferverzierungen, wurde im Jahr 1817 auf Befehl des Generalgouverneurs Fürst Repnin errichtet. Im Jahre 1847 befahl Zar Nikolaus I. an diese Stelle ein neues Denkmal zu setzen. Professor Brjullow, ein Petersburger Architekt, fertigte die Zeichnungen dafür an: Auf einem Sockel aus Granit steht eine massive rechteckige Säule; oben auf der Säule sind ein Lorbeerkranz, ein Schild und ein Schwert angebracht, über denen wiederum ein Helm thront. In der Helmkappe steckt ein zum Boden gerichteter Pfeil, – als Symbol für den ruhenden Krieger. Auf einer Bronzetafel steht folgende Inschrift: „Hier hat sich Peter I. nach seinem Werk ausgeruht. 27. Juni 1709“. Unter dieser Inschrift befinden sich, in Form von Flachreliefs, das Doppeladler–Wappen des Russischen Imperiums und ein sich ausruhender Löwe. Die acht Säulen der gusseisernen Umzäunung haben die Form von in der Erde verankerten Geschützen. Bis 1921 war noch eine weitere Inschrift am Denkmal angebracht: „Erbaut am 27. Juni 1849 während der Regierungszeit des Zaren Nikolaus I.“. Diese wurde allerdings nach der Machtübernahme durch die Bolschewiki demontiert, wie viele andere Inschriften an Denkmälern landesweit, die an der Romanow–Dynastie erinnerten. Während der deutschen Okkupation (1941–1943) wurden alle Bronzeteile des Denkmals nach Deutschland gebracht. Anfang der 1950er Jahre wurde das Denkmal gemäß seinem ursprünglichen Aussehen rekonstruiert, mit Ausnahme der erwähnten Bronzetafel.

Monument of the Resting Tsar The Monument of the Resting Tsar was erected in 1817 on the spot of the former house of Cossack Magdenko.Commandant Celin used to live in the house which was destroyed in 1804. It is said that Peter I visited Celin in 1709 and took a rest after the battle. That is why the monument is called Peter’s Resting Place. Governor–general Prince Repnin has initiated the monument and the first sketch showed a brick pyramid. The monument was dedicated to the first visit of Tsar Alexander I in Poltava. In 1847, Tsar Nicolas I ordered to rebuild the monument. It was cast in bronze in St. Petersburg by Hamburger, a master of artistic casting, based on drawings made by Professor Brule. It bore the National Emblem of the Russian Empire and a bronze plate with the inscription: “Erected on June 27th 1849 in the reign of Tsar Nicolas I.” The monument is surrounded by a cast–iron railing, made of eight connected pillars in the form of cannons. Soon after 1921, when the Bolsheviks had established their power, this plate was dismantled as were all other reminders of the Romanov dynasty. Other decorations, including a bronze helmet, sword, and shield, and a sleeping lion symbolizing the resting Tsar, remained untouched. During the German occupation of Poltava (1941 – 1943), all bronze decorations of the monument were taken down and brought to Germany. In the 1950s the monument was reconstructed in its original form, except of the bronze plate.

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„7. Gedächtnis aus Stein – Ein Stadtrundgang in Poltawa“

Die Weiße Rotunde Die „Weiße Rotunde“, oder auch „Weiße Laube“ genannt, wurde am 27. Juni 1909 zu Ehren des 200. Jahrestages der Schlacht bei Poltawa eingeweiht. Sie stand an der Stelle des früheren Podolsker Wachturm, nicht weit von der alten Poltawaer Bastion. Zur Zeit der Schlacht war die Bastion schlecht geschützt; ihre Palisaden bestanden aus einem einfachen Erdwall, der lediglich durch natürliche Hänge verstärkt worden war. Die deutschen Besatzer von Poltawa 1941–1943 zerstörten die „Weiße Laube“. Die Rekonstruktion wurde von dem Architekten Weingort unter sowjetischer Leitung vorgenommen und „Rotunde der Völkerfreundschaft“ getauft («Ротонда дружбы народов»). Die Wiedereröffnung des Denkmals 1954 fiel mit dem 300. Jahrestag des Abkommens von Perejaslaw zusammen. Das Abkommen wurde 1654 zwischen den Saporoger Kosaken und dem russischen Zar Alexej I. während der Chmelnytsky–Rebellion ausgehandelt. Die so genannten „März–Artikel“ des Abkommens hatten die ukrainische Autonomie geschützt, wobei der Kosakenstaat gleichzeitig unter das Protektorat des Zaren gestellt wurde. Im politischen Kontext der 1950er Jahre sollte die Rotunde die Freundschaft zwischen Ukrainern und Russen symbolisieren. Das „Dach“ des Denkmals ist wie ein Hufeisen geformt. Es symbolisiert Glück und Freude. Zudem ist das Denkmal mit schönen Säulen dekoriert. Im Jahr 2004 renovierte man die Rotunde. In diesem Zusammenhang gravierte man am oberen Rand des Denkmals die Worte des ukrainischen Schriftstellers Iwan Kotljarewski ein: „Nur wo ein jeder und alle frei und in Frieden leben, kann ein Volk glücklich und ihr Land gesegnet sein.“ Heute ist die „Weiße Laube“ abends beleuchtet und über Lautsprecher wird klassische Musik abgespielt. Unter den Poltawaer Bürgern gilt dieses Denkmal als einer der schönsten Plätze ihrer Stadt.

The White Arbor The White Arbor was first opened on the 27th of June in 1909 honoring the 200th anniversary of the Battle of Poltava. The monument was erected on the very spot where the Podolsky watchtower used to be located, not far from the area where the bastion of the former fortress once stood. Back then the bastion was poorly protected; its palisades were constructed out of plain earthworks and reinforced merely by the natural slopes of the hill on which it was built. The White Arbor was destroyed during the German occupation of Poltava in 1941–1943, when it was used as an artillery observation post. Its reconstruction was finally undertaken by the architect Vaingort under communist auspices. The reopening of the monument in 1954 coincided with the 300th anniversary of the Pereyaslav Treaty, which was negotiated between the Cossacks of the Zaporizhian Host and the Russian Tsar Alexey I during the Khmelnytsky rebellion in 1654 (Bohdan Khmelnytsky – Cossack Hetman of that time). The “March articles”, which were part of the Pereyaslav agreement, had proclaimed Ukrainian autonomy; but at the same time, the treaty declared protection of the Cossack state by the tsar. The reopened monument was called “The Rotunda of Peoples` Friendship”, because it symbolized in the political context of the 1950´s friendship between Ukrainians and Russians. The top of the arbor has the form of a horseshoe to symbolize good luck and happiness. Moreover the arbor is decorated with beautiful columns. In 2004 the monument was renovated and it received – in addition – the following inscription, written by the founding father of modern Ukrainian literature Ivan Kotlyarevsky: ”Only where people live in peace and harmony can they be happy and their land be blessed.”. Today the White Arbor is illuminated in the evenings and classical music is played via loudspeakers. To many citizens this monument is one of the most beautiful places in Poltava.

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Denkmal für die gefallenen schwedischen Soldaten, errichtet von Schweden Im Jahr 1890 wurde in der schwedischen Presse zum ersten Mal die Errichtung eines Denkmals im Andenken an die gefallenen schwedischen Soldaten in Poltawa diskutiert. Es war der Schwede Major Klaus Grill, der die Diskussion auslöste. Er hatte einen Artikel veröffentlicht, in dem er seine Landsleute aufrief, ein Denkmal auf dem Schlachtfeld, auf dem die Soldaten des Königs Karl XII. ihre letzte Ruhe gefunden hatten, zu errichten. Mit seinem Aufruf wollte er potenzielle Sponsoren motivieren. Aber nicht einmal die Unterstützung dieser Idee durch den schwedischen König Oskar II. konnte die große Diskrepanz innerhalb der schwedischen Gesellschaft über dieses Thema verhindern. Vielen erschien die Errichtung eines Denkmals schändlich, da doch Schweden die Schlacht verloren hatte; anderen schien es angebracht und notwendig, das Andenken an die gefallenen Soldaten mit einem Denkmal zu würdigen. Im Jahr 1902 schließlich legte der schwedische Bildhauer Professor Theodor Lundberg einen Entwurf vor, der eine trauernde Mutter darstellt, die ihren gefallenen Sohn mit einer schwedischen Flagge bedeckt, während der tote Sohn immer noch sein gebrochenes Schwert in der Hand hält. Ein Schild am Sockel des Denkmals sagt: „Für die gefallenen Söhne unseres Vaterlandes.“ Auf die erste öffentliche Präsentation von Lundbergs architektonischem Konzept folgte die Bewilligung des Baus der Statue, wobei allerdings beschlossen wurde, sie nicht auf dem historischen Schlachtfeld, sondern vor dem Schwedischen Armee Museum in Stockholm zu errichten (1904). Auf dem Poltawaer Schlachtfeld sollte dagegen ein bescheideneres Denkmal errichtet werden. Kurz nach der Einweihung von Lundbergs Statue wurden 5000 schwedische Kronen von Bürgern aus allen Teilen des Landes gesammelt. Mit diesem Geld bestellte man einen massiven Granitquader in Småland, der 1909 in Poltawa aufgestellt wurde. Der Stein hat die Form einer Pyramide, ist sechs Meter hoch und wiegt über 200 Tonnen. Das obere Ende der Pyramide ist nach Norden abgeschnitten, was in Skandinavien ein Zeichen großen Leids ist. Eine Reihe von kleinen Granitsteinen, die durch eine Kette verbunden sind, umgeben das Denkmal. Auf beiden Seiten des Quaders befinden sich Plaketten mit Inschriften. Auf diesen steht auf Schwedisch und auf Russisch: „Dieser Stein wurde 1909 in Gedenken an die 1709 gefallenen schwedischen Soldaten von ihren Landsmännern errichtet.“. Unter den Sponsoren dieses Denkmals war Emmanuel Nobel (Neffe von Alfred Nobel), der auch die Verantwortung für die Lieferung und die Aufstellung des Denkmals übernahm. Die offizielle Denkmalsenthüllung fand am 2. Juni 1909 in der Nähe des Dorfes Pobiwanka statt. In Schweden wurde dies nur in einem kleinen Artikel, der fünf Tage nach der Enthüllung in der schwedischen Zeitung „Stockholm News“ erschien, zur Kenntnis genommen.

Monument to the Fallen Swedish Warriors erected by Sweden In 1890 it was the Swedish Major Claus Grill who raised the call for a monument in commemoration of the fallen Swedish soldiers in Poltava for the first time. In order to mobilize potential donators he published an article in which he voiced his aim to erect a monument directly on the former battlefield, where the soldiers of Charles XII had found their last resting place. But even the subsequent support of the Swedish king Oskar II couldn’t forestall the wide gap the Swedish society experienced over this issue. For some the idea of a monument appeared to be shameful, considering that Sweden had lost the battle; for others the necessity for an adequate place to commemorate the fallen soldiers seemed paramount. In 1902, the Swedish sculptor Professor Theodor Lundberg designed a model of a moment. This monument represented a Swedish mother covering her fallen son with a Swedish flag whereas the son still holds on to his broken sword. A sign on the monument’s foundation states: “To our fallen sons from the motherland”. Following the first public presentation of Lundberg’s architectural concept the construction of the monument was readily approved, though it was decided to shift its location off the historic battlefield in Poltava. Instead the statue was erected in front of the Swedish Army Museum (in 1904). Soon after the inauguration of this first monument, 5000 crowns were collected from citizens throughout the country for a massive granite stone quarry, which was ordered in Smoland. The stone has the shape of a pyramid and is six meters high and weighs over 20 tons. The upper edge of the pyramid is cut down to the north. In Scandinavian this symbolizes big sorrow. A series of small granite curbstones connected by a chain surround the monument. Inscription plates are placed on two sides of the stone reading the following passage in Swedish as well as in Russian: “This stone was erected in 1909 in honor of the Swedes who perished in 1709 by their compatriots.” Among the sponsors of this monument was Emmanuel Nobel who also took responsibility for its delivery and installation. The official revelation of the monument took place on the 2nd of June 1909 near the village Pobyvanka. However, only a small article published five days later in the Swedish newspaper “Stockholm News” took notice of this event.

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„7. Gedächtnis aus Stein – Ein Stadtrundgang in Poltawa“

Das russische Denkmal für die gefallenen Schweden In der Schlacht von Poltawa kamen 6000 schwedische Soldaten ums Leben. Ihre sterblichen Überreste wurden hastig in zahlreichen sumpfigen Erdlöchern begraben. Zweihundert Jahre später, 1909, entschied die russische Regierung ein Denkmal für die gefallenen schwedischen Soldaten zu errichten. Es sollte ein Zeichen der Anerkennung ihrer militärischen Courage sein und wurde auf dem Teil des Schlachtfeldes errichtet, auf dem der rechte Flügel der schwedischen Armee positioniert war. Das neun Meter hohe Denkmal aus Granit wurde in Form einer abgestumpften Pyramide errichtet, die mit einem Kreuz gekrönt ist. Eine Bronzeplatte trägt folgende Inschrift: „Lasst die tapferen schwedischen Soldaten, die in der Schlacht von Poltawa am 27 Juni 1709 ihr Leben ließen, für immer erinnert werden.“ Das Denkmal ist umgeben von gusseisernen Pfeilern, die durch eine Kette verbunden sind.

Russian Monument to Commemorate the Fallen Swedes In the Battle of Poltava about 6,000 Swedish warriors were killed. Their remains were hurriedly buried in numerous marshy gullies. Two hundred years later, in 1909, the Russian government decided to erect a monument to the fallen Swedish warriors as a sign of recognition of their military courage. It was unveiled on June 27th 1909 on the site of the battlefield where the right flank of the Swedish Army had been positioned. The monument was created in the form of truncated granite pyramid crowned with a cross. A bronze plate bears the following inscription: “Let the brave Swedish warriors who perished in the Battle of Poltava on June 27th 1909 be remembered forever”. The monument is surrounded by cast–iron pillars connected with a chain.

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„7. Gedächtnis aus Stein – Ein Stadtrundgang in Poltawa“ des Massengrabes wurde nun eine kleine unterirdische Grabkirche, nach St. Peter und Paul benannt, gebaut und 1909 zum 200jährigen Jubiläum der Schlacht von Poltawa eingeweiht. In der Sowjetzeit symbolisierte das Denkmal für die Bürger die Macht der russischen Armee, indem es den gefallenen russischen Soldaten, die durch ihren Tod dem Vaterland zum Sieg verhalfen, Respekt zollte. Im Vorfeld des 300jährigen Jubiläums, im Mai 2008, wurde das Denkmal komplett restauriert. Das Massengrab der Russischen Soldaten ist bis heute eines der bekanntesten Denkmäler in Poltawa. Obwohl keine schwedischen Soldaten in diesem Grab beigesetzt wurden, bezeichnen örtliche Einwohner das Massengrab heute oft als das „Schwedische Grab“, vermutlich, weil das Wort „Massengrab“ unbewusst eher mit der Verliererseite in Verbindung gebracht wird.

Massengrab der russischen Soldaten 1345 russische Soldaten sind in der Schlacht von Poltawa gestorben. Diese Soldaten, für die Peter der Große eine Totenmesse lesen ließ, sind in einem Massengrab beigesetzt worden. Nach der Zeremonie wurde ein großer Hügel auf dem Massengrab errichtet, auf den man ein hölzernes Kreuz setzte. Eine Legende besagt, Peter der I. habe eigenhändig das Holzkreuz auf dem Hügel befestigt und die Inschrift angebracht, welche lautet: „Fromme Soldaten, die für ihre Gottesfurcht mit dem Heiligenschein aus Blut gesegnet sind, ließen ihr Blut hier am 27. Juni 1709, am Tag des Leibhaftigwerdens von Gottes Wort“. In der 300jährigen Geschichte des Denkmals gab es mehrere Rekonstruktionen. 1828 wurde das alte durch ein neues Holzkreuz ersetzt. Um den Hügel besteigen zu können, brachte man 1856 eine hölzerne Leiter an. Im selben Jahr wurde das hölzerne Kreuz durch eines aus Eisen ersetzt. Kurz darauf, 1894, wurde das Massengrab erneut vollkommen rekonstruiert. Das neue Denkmal erhielt ein großes Granitkreuz (Höhe: 7,5 Meter) und auch die hölzerne Leiter wurde durch eine Granitleiter ersetzt. Das neue Monument wurde am 11. September 1894 enthüllt. Auf zwei Beschilderungen wurden Inschriften angebracht: Auf der Ostseite des Podestes steht zu lesen: „Brigadier Felenheim, die Oberste Netschajew und Low, Oberstleutnant Koslov, die Majore Kropotow, Jerst und Gelt, sowie 45 Oberoffiziere, Korporale und 1.293 gemeine Soldaten, insgesamt 1.345 Menschen sind hier begraben.“ Die Inschrift auf dem Bogen der Treppe lautet: „Erbaut im Jahr 1894 während der Regierung des gottesfürchtigsten Herrschers Imperator Alexander III., durch die Entscheidung der heiligsten regierenden Synode und seiner Heiligkeit, des gesegneten Ilarion, Bischof von Poltawa und Perejaslawsk, unterstützt durch den Geheimrat Jossif Stepanowitsch Sudienko, der Geldkapital zur Verfügung stellte, damit die Ereignisse des rettenden Sieges bei Poltawa verewigt werden. Erstellt in Sankt Petersburg nach dem Projekt und unter der Aufsicht des Architekten N. Nikonow vom Künstler A. Barinow.“ Elf Jahre später stellte man fest, dass das Kreuz sich gesenkt hatte, da das Granitmodell zu schwer war, um vom Grabhügel abgestützt zu werden. Dies machte eine weitere Neukonstruktion notwendig. Das Grab wurde daher 1906 geöffnet und das Fundament des Denkmals verstärkt. Im Inneren

Common Grave of Russian Warriors 1345 Russian soldiers died in the Battle of Poltava. These soldiers were buried in a common grave and Peter the Great ordered a funeral service to be held for them. After the ceremony a big mound was erected over the common grave and on its top a large wooden cross was placed. It is said, that Peter I himself installed the cross upon the hill but historically this cannot be specified. Various reconstructions took place in the 300–year long history of the monument. In 1828 the old wooden cross was replaced by a new one. In 1856 a wooden ladder was installed that led to the top of the hill and the wooden cross was substituted by a new one made of iron. But not much time passed until the Common Grave of the Russian Warriors was fully reconstructed in 1894. The new monument was conceptualized by N. Nikonov and comprised a large granite cross (height: 7,5 m.). Moreover, the wooden ladder was replaced by a granite ladder. The new monument was finally unveiled on September 11th 1895. In 1906 it was first recognized that the cross started to sink. The granite model was simply too heavy to be supported by the burial mound. So, once more a reconstruction of the monument seemed necessary. Consequently the foundation of the memorial was reinforced. In the process of reconstruction a small sepulchral chapel was set up under the grave. Named after St. Peter and Paul the chapel was opened in 1909 honoring the 200–years anniversary of the Poltava battle. Two plates are placed on the monument, the first one bearing the inscription: “Brigadier Felengheim, Colonels Nechaev and Lov, Lieutenant Colonel Kozlov, and Majors Kropotov, Erst and Gelt, 45 officers, 1,293 privates and corporals, all in all 1,345 Russians are buried here”, the other one reading: “Pious warriors shed their blood here on June 27th 1709”. For the 300–year anniversary in 2009 reconstruction began anew in May, 2008. In the process of restoration the monument was decomposed into its parts and then carefully reassembled. The Communal Grave of Russian Soldiers is one of the most famous monuments of Poltava symbolizing the might of the Russian army and the deeply felt respect for the Russian soldiers killed on duty. Although no Swedish soldiers were buried in the grave, local inhabitants still refer to the common grave as the “Swedish Grave”.

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„7. Gedächtnis aus Stein – Ein Stadtrundgang in Poltawa“

Kelin–Denkmal Zum 200. Jahrestag der Schlacht von Poltawa wurde 1909 auf Initiative von Zar Nikolaus II. ein Denkmal für den Kommandanten Oberst Alexej Stepanowitsch Kelin, der an vielen Schlachten des Nordischen Krieges 1700–1721 teilgenommen hatte und 1709 Kommandant der Festung in Poltawa war, errichtet. Das Denkmal wurde nach einem Entwurf des Architekten Baron Alexander Bilderling gebaut und an der Stelle errichtet, an welcher Oberst Kelin und seine Garnison der Belagerung der schwedischen Armee unter dem Kommando Karls XII. wiederstanden hatte. Die feierliche Enthüllung des Denkmals fand am 27. Juni 1909 in Anwesenheit von Nikolaus II. statt. Das Denkmal besteht aus dem Denkmalsockel mit einem Bronze–Löwen, unter dem folgende Inschrift angebracht ist: „Dem heldenmütigen Kommandanten Poltawas, Oberst Kelin und den ruhmreichen Verteidigern der Stadt im Jahre 1709“. Auf der gegenüberliegenden Seite des Denkmals berichtet ein Text von den Ereignissen der Belagerung der Festung Poltawa durch die Schwedische Armee Karls XII. im April–Juni 1709. Das Denkmal war zudem ursprünglich von einem zweiköpfigen Adler gekrönt, der einen Lorbeerkranz mit seinen Krallen umfasst. Doch 1917, in Folge der revolutionären Ereignisse in Russland, beseitigte man den Adler, der als Zeichen des zaristischen Russland galt. Jahrzehnte später, unter der deutschen Besetzung 1941, wurden alle Inschriftentafeln sowie auch der Löwe entfernt. Schon 1949 wurde die Löwenskulptur aber nachgebildet und neu angebracht. Nach dem Sieg über Deutschland im Zweiten Weltkrieg sollte die militärische Macht des Russischen Reiches hervorgehoben werden. So symbolisiert der Löwe Macht und Herrschaft und steht traditionell auch als Sinnbild für Zar Peter I. Heutzutage kennt jeder Bürger von Poltawa dieses Monument. Der Aberglaube, dass der Schwanz des bronzenen Löwen Glück und Erfolg bringen, ist weit verbreitet, – nicht zuletzt daran zu erkennen, dass der Schwanz von der Abnutzung durch die Berührungen schon ganz hell gefärbt ist. Manche spekulieren, dass der Löwe auf Grund dieses Aberglaubens das Stadtsymbol Poltawas wurde.

Monument to Commandant Celin For the 200–year anniversary of the Poltava Battle the monument for Commander Alexey Stepanovich Celin was built in 1909 upon the initiative of Nicolas II. Designed by the architect Alex Bilderling the monument was erected on the place where Celin and his garrison withstood the siege of the Swedish army under the command of Charles XII. The monument was originally crowned by a double–headed eagle with a laurel wreath in his claws, though in 1917, due to the revolutionary events in Russia, the eagle was dismantled as symbol of Tsarist Russia. But the actual monument comprising the pedestal with a lion remained unchanged until 1941. Under German occupation taking place at this time all the plates with inscriptions as well as the lion were removed. In 1949 however the lion sculpture was reinstalled. Obviously this monument was meant to serve a distinct intention underlying its first construction. By honoring the glory of colonel Celin, the military might of the victorious Russian Empire was emphasized. Demonstrating this intention, the monument moreover contains material as well as emotional features. The Lion, materially a symbol of might, emotionally represents Peter I and lends a sense of victory, power and reign to the structure. Nowadays everybody in Poltava knows about this monument and it even has a special meaning to the townsmen of Poltava. The superstition shared by many of them suggests that touching the lion’s tail grants luck and success in almost anything. The relevance of this superstition is underscored by today´s appearance of the lion´s tail which through time has blackened from innumerous touches.

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„7. Gedächtnis aus Stein – Ein Stadtrundgang in Poltawa“

Das Kreuzaufrichtungskloster Während der Schlacht von Poltawa, im Mai 1709, errichtete der schwedische König Karl XII. sein Hauptquartier im Kreuzaufrichtungskloster. Um das Kloster herum wurde ein Hauptkontingent der schwedischen Infanterie stationiert. Die Lage des Klosters auf einem Berg hatte für Karl viele strategische Vorteile, so bot es etwa eine gute Sicht auf die umliegende Umgebung. Das Kloster kann sicherlich nicht als Denkmal im üblichen Sinne verstanden werden, aber da es Karl dem XII. als Hauptquartier diente, hat es heute durchaus den Charakter eines Gendenkortes der Schlacht von Poltawa. Das Kreuzaufrichtungskloster befindet sich an der südlichen Stadtgrenze von Poltawa, dem westlichen Ufer des Flusses Worskla zugewandt. Es kann von einem Aussichtspunkt, der nicht weit vom Stadtzentrum entfernt liegt, gut gesehen werden. 1650 wurde das Kloster von den Kommandanten des Poltawaer Kosakenregiments Iwan Iskra und Iwan Kramar gegründet. Mit dem Überfall der Tataren wurde das Kloster wiederholt ausgeraubt und mehrmals niedergerissen. In Folge der häufigen Zerstörung wurde das Kloster schließlich in Stein neu errichtet. Mit finanzieller Unterstützung von Hetman Masepa wurde die Hauptkirche „Chrestowozdwischenski“ Anfang 1709 erbaut. Das Steinkloster selbst konnte während des Nordischen Krieges (1700–1721) nicht vollständig fertiggestellt werden. Erst 1756 wurde die Arbeit an der Hauptkirche, die im ukrainischen Barock erbaut wurde, beendet. Während der Revolution 1917 wurde das Kloster erneut geplündert, auch wurden die Fresken und andere Ikonendarstellungen aus Holz zerstört. In den 1930er Jahren diente das Kloster als Waisenhaus, später als Unterkunft für das Poltawaer Lehrerinstitut. Während Stalins Kampf gegen die Kirche wurden viele Gotteshäuser abgerissen und ihre Priester rücksichtslos verfolgt, so auch die Priester des Poltawaer Kreuzaufrichtungsklosters. Während der deutschen Okkupation öffnete das Kloster zeitweise seine Pforten wieder als Frauenkloster. Im Jahr 1958 wurde das Kloster auf Beschluss des Poltawaer Exekutivkomitees endgültig geschlossen, die Nonnen wurden in andere Klöster vertrieben oder zur Rückkehr in ihre Familien gezwungen. Erst nach dem Zerfall der Sowjetunion nahm das Kreuzaufrichtungskloster seine Tätigkeit in Kooperation mit der orthodoxen Kirche des Patriarchats in Moskau wieder auf. Zur Erinnerung an die Zerstörungen der Vergangenheit wurde in der Nähe des Eingangs ein Gedenkstein gesetzt, der insbesondere an die Verwüstung des Friedhofes in den 1930er Jahren erinnern soll. Einige der erhaltenen Grabsteine wurden in das Monument integriert.

The Holy Cross Exaltation Monastery On the eve of the Poltava Battle, in May 1709, the Swedish King Charles XII had his headquarters set up inside the Holly Cross Exaltation Monastery. Consequently a major contingent of the Swedish infantry was deployed around the monastery. The location of the monastery held many strategic advantages for Charles XII considering its setting on top of a hill and the perfect view onto the surrounding area deriving from this location. As Charles XII headquarters, the monastery was later turned into a memorial site for the Poltava battle. The Holly Cross Exaltation Monastery is located on the Southern edge of Poltava, overlooking the Western bank of the Vorskla River. It can be seen from a well known outlook which is not far from the City´s Center. As commanders of the Poltava Cossacks regiment, Ivan Iskra and Ivan Kramar, founded the, initially wooden, monastery in 1650. During the times of Tatar raids the monastery was robbed repeatedly and even razed to the ground several times, the last time taking place in 1695. Due to these repeated raids plans were put forward to reconstruct the monastery in stone. Financially supported by the hetman Mazepa a main monasterial cathedral called the Khrestovozdvizhenskiy cathedral was built and finished in 1709. However the monastery itself could not be completed during the Great Northern War (1700–1721). In 1756

work on the main cathedral, created in Ukrainian baroque style, was finally finished. In the revolutionary era of 1917 the monastery was repeatedly plundered hence almost all the unique wall painted icons and wooden iconostases were destroyed. In the 1930s the monastery was used as an orphanage and homeless children shelter and later – as a hostel of the Poltava teachers training institute. During the time of Stalin’s anti–religious struggle many temples were razed to the ground and almost all priests were ruthlessly persecuted leading up to their frequent execution. During the German occupation the complex was temporarily reopened as a nunnery. Another attempt to resume its religious activities was made in 1950s, but in 1958 the nunnery was finally closed down by decision of the Executive Committee of the Poltava region. All the nuns were evicted to other nunneries or forced to return to their families. Moreover all the religious symbols were dismantled. Only after the disintegration of the Soviet Union did the Holy Cross Exaltation Monastery resume its activity as a parish of the Orthodox Church of the Moscow Patriarchy. Near the entrance a memorial stone was placed, which commemorates the destruction of a cemetery in the 1930s. Many famous city inhabitants used to be buried there and some of the remaining gravestones were assembled in this monument.

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„7. Gedächtnis aus Stein – Ein Stadtrundgang in Poltawa“

Denkmal der gefallenen Kosaken Das „Monument der gefallenen Kosaken“ wurde ein paar Jahre nach der Orangenen Revolution, im Jahr 1994, am Panjanski Boulevard Bilius zur Erinnerung an das Poltawaer Kosakenregiment eingeweiht. Der Entwurf geht auf den Skulpteur W. Bilous und den Künstler V. Baturin zurück. Das Monument soll ein symbolisches Grab für die Kosaken, die während der Schlacht von Poltawa gefallen sind, darstellen. Auf dem symbolischen Grab thront ein Kosakenkreuz von enormen Proportionen. Am Fuß des Denkmals ist eine knappe Inschrift angebracht: „Für die gefallenen ukrainischen Kosaken“. Das Monument befindet sich nordöstlich des Schownewi Parks, gegenüber dem Regionalmuseum.

The „Monument to the Fallen Cossacks“ The Monument to the fallen Cossacks was opened in 1994 on the Panyansky Boulevard Bilius in commemoration of the Cossack Regiment defending Poltava in 1709. The authors of the project are the sculptor V. Bilous and the artist W.Baturin. On the top of the symbolic barrow there is a Cossack cross of enormous proportions. At the foot of the monument a short inscription reads: “To the fallen Ukrainian Cossacks”. The monument overlooks the northeastern corner of Zhovnevy Park and is located in front of the Regional Museum.

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8. Alte Schlacht in neuem Gewand Das Museum der Schlacht bei Poltawa Von Anna Zyb, Laura Ritter, Kristina Offterdinger und Julia Kalisch

Wie wird der Schlacht von Poltawa offiziell gedacht? Anna, Laura, Kristina und Julia haben sich das Museum der Schlacht von Poltawa genauer angesehen und beschreiben Eindr端cke und Ansatzpunkte f端r eine Neukonzeption der Ausstellung.

The Museum of the Battle of Poltava

Proposals for a new Design


„8. Alte Schlacht in neuem Gewand – Das Museum der Schlacht bei Poltawa“

A

ngelehnt an Museumstheorien hat ein Museum die Aufgaben Kulturerzeugnisse zu sammeln, zu archivieren, zu schützen und zu pflegen; darüber hinaus soll es Forschungen ermöglichen und Wissen vermitteln. Ein Museum ist zuständig für die Verbindung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Es ist ein Ort der Reflexion und des Bewusstwerdens durch historisches Erinnern. Ein Museum soll nicht nur informieren, sondern auch die kritische Auseinandersetzung mit einem Thema fördern, Verständnis vermitteln und Möglichkeiten der Identifikation bieten (siehe weiterführend Ministerium für Wirtschaft und Kunst Baden – Württemberg 1986: 5; Bundesminister für Raumordnung 1987: 9 u. 21).

der neuen Exponate waren Spenden von Museen aus Moskau, St. Petersburg, Kiew, Charkiw und Lwiw. In den späten 1990er Jahren kamen viele Schenkungen von der Schwedischen Gesellschaft für Militärgeschichte hinzu (Website Stadtgeschichte Poltawa). Die heutige Sammlung besteht aus drei Teilen: Einem Abschnitt über die Vorgeschichte der Schlacht, einer Darstellung der Kriegsursachen und der Hauptschauplätze des Krieges und einem Teil, der den Ausgang der Schlacht darstellt.

Detailreich, aber nicht umfassend Die aktuelle Ausstellung ist sehr detailliert: Sie enthält viele interessante und originelle Artefakte, allerdings sind die Hauptausstellungsstücke, vor allem die Gemälde, Kopien und ihre Präsentation, alles in allem, veraltet. Das Ausstellungskonzept scheint seit den 1950er Jahren unverändert. Bereits im ersten Raum fällt der starke Fokus auf Peter I. auf. Die meisten präsentierten Objekte verweisen auf das russische Großreich oder den Zaren. Das Museum ist insgesamt sehr russisch orientiert, Peter I. wird als Dreh – und Angelpunkt der Schlacht von Poltawa inszeniert. Zudem hat die Ausstellung einen sehr militärischen Charakter. Ein kultureller Kontext fehlt völlig. Es gibt keine Informationen über gesellschaftspolitische Zusammenhänge und Strukturen der Ukraine im 18. Jahrhundert oder über die Gründe für die Teilnahme am Krieg. Die einfachen, kurzen Bezeichnungen der Räume und Objekte, die zudem ausschließlich auf Russisch formuliert sind, stellen kaum ausreichende Information für den Besucher bereit. Im Ergebnis erschließt sich die Ausstellung erst durch eine Führung, die die Struktur und den Kontext der Ausstellung vermittelt.

Viele Fakten – wenig Kontext Ein neues Konzept für das Museum der Schlacht von Poltawa!? Das Museum der Schlacht von Poltawa ist ein kleines Museum mit neun Räumen. Es wurde 1909 anlässlich des 200. Jahrestages der Schlacht – auf dem Schlachtfeld, in der Nähe der Kirche des Heiligen Samsonij – gebaut, um den Sieg des russischen Großreiches zu glorifizieren. An der Eröffnungszeremonie am 26. Juni 1909 nahm der russische Zar Nikolaus II. persönlich teil. Die anfängliche Ausstellung war nicht sehr groß. Sie enthielt alte Stich – und Schusswaffen, Regimentsfahnen und Uniformen sowie Portraits von russischen und schwedischen Kommandanten. Die Exponate stammten aus dem Artilleriemuseum in Sankt Petersburg, aus dem Stockholmer Königsarchiv und von verschiedenen Privatpersonen aus der Poltawa–Region. Während des ukrainischen Bürgerkrieges 1918–1920 wurde das Museum mehrmals geplündert; 1921 wurde es schließlich geschlossen und erst 1950, nach dem Zweiten Weltkrieg, wieder eröffnet. Die meisten

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Tatsächlich bietet das Museum Führungen durch die Ausstellung an. Dieses Angebot richtet sich auch an ausländische Besucher, was angesichts der nur russischsprachigen Beschriftungen angemessen ist. Unsere Gruppe nahm an drei Führungen teil: Russisch, Ukrainisch und Deutsch. Jede Besichtigung dauerte eine Stunde. Aufgezählt wurden vor allem viele Fakten und Namen; Informationen zum Kontext und zum allgemeinen Verständnis der damaligen Entwicklungen fehlten leider weitgehend. Am Ende jeder Führung fühlten wir uns überladen mit Daten. Unser Fazit: Wir empfehlen

Abb. 17


„8. Alte Schlacht in neuem Gewand – Das Museum der Schlacht bei Poltawa“ eine Überarbeitung des Führungskonzeptes. Die Tour benötigt eine striktere logische Struktur. Uns fiel außerdem auf, wie unterschiedlich der Verlauf der Schlacht und die Ausstellungsstücke durch die einzelnen Museumsführer vermittelt und präsentiert wurden. Dies bemerkten wir vor allem bei einem Vergleich des russischen und ukrainischen Rundgangs. Während bei der russischen Tour Peter der Große durchgängig in positivem Licht glänzte, war das in der ukrainischen und deutschen Führung gezeichnete Bild Peters des Großen differenzierter – einerseits großer russischer Imperator, andererseits Despot. Bei der Darstellung der Kosaken und deren Anführer Masepa empfanden wir die Informationen in der russisch – sowie in der deutschsprachigen Führung sehr kurz und knapp formuliert. Dagegen lag beim ukrainischen Rundgang ein klarer Fokus auf der Rechtfertigung von Masepas Wechsel auf die schwedische Seite. Unsere Vermutung: Die Texte (die die Museumsführer normalerweise auswendig lernen, um ihre Führung vorzubereiten) sind speziell auf unterschiedliche Zielgruppen ausgerichtet: ukrainische und russische Touristen.

berücksichtigt. Vor dem Museum steht lediglich ein Denkmal von Peter I., keines von Karl XII. Wir finden, es sollte von beiden Monarchen eine Statue vor dem Museum stehen. Auch sollte den ukrainischen Kosaken, welche auf beiden Seiten kämpften, Raum gegeben werden, da das Museum heute auf ukrainischem Territorium steht. Tatsächlich ist der Bau einer Halle für die Kosakenausstellung innerhalb des Museums in Planung. Es könnte also auch eine Büste oder Statue des ukrainischen Hetmans Masepa vor dieser Halle platziert werden.

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Freiluft und Multimedia

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Nebenbei bemerkt fanden wir auch interessant, dass beim russisch – und ukrainischsprachigen Rundgang ein detailliertes Bild der Hauptpersonen Peter und Karl gegeben wurde (Beschreibung der Biografien und Charakterzüge), wohingegen bei der deutschsprachigen Führung viel Zeit darauf verwendet wurde, den Schlachtverlauf zu rekonstruieren und das strategische Vorgehen der Kriegsparteien zu erklären. Hier scheint es so, als ob je nach Herkunft der Besuchergruppe kulturelle Stereotypen auf Inhalt und Gestaltung der Führung wirken.

Was könnte besser sein? Derzeit ist die Sammlung des Museums sehr auf Russland fokussiert. Tatsächlich war Schweden in gleichem Maße am Krieg beteiligt. Diese Seite wird jedoch kaum

Im letzten Ausstellungsraum befinden sich diverse Fotoaufnahmen von Monumenten, die zum Gedenken an die Schlacht um Poltawa errichtet wurden. Anstatt der Fotos würden wir das „Schlachtfeld“ in das Museum integrieren, also das Museum zum Freiluft–Museum umgestalten. In diesem Fall müsste man die Beziehung der Denkmäler zur Schlacht klar zum Ausdruck bringen. Eine Karte des Territoriums und ein Denkmalspfad könnten die Besucher zu allen wichtigen Denkmälern auf dem Schlachtfeld führen. Um das Fehlen des kulturellen und gesellschaftlichen Kontextes zu beheben, schlagen wir vor, einen Abschnitt über die Stadt Poltawa zur Zeit der Schlacht in die Ausstellung zu integrieren. Hier könnte etwa ein kleines Modell der Festung von Poltawa sowie Zeichnungen und Ausstellungsstücke über das volkstümliche Leben zu damaliger Zeit Platz finden. Durch einen Einsatz von Multimediaelementen könnten die Lebensumstände der Menschen zu jener Zeit gut veranschaulicht werden. Die modernen Technologien würden zudem das Interesse an der Schlacht von Poltawa bei Jugendlichen wecken (für weiterführende Informationen zur Anwendung von Multimedia in Museen siehe Chielens 1999: 117 – 125). Unbedingt aber sollte versucht werden die einzelnen Räume innerhalb des Museums so zu gestalten, dass sich klare thematische Zuordnungen ergeben (siehe für Empfehlungen zur Raumgestaltung in Museen Bundesminister für Raumordnung 1987: 21). Die Textinformationen zu den Ausstellungsobjekten sollten mit detaillierten Informationen erweitert und vorzugsweise in Ukrainisch, Russisch und Englisch formuliert werden. Zu jedem Raum, inklusive der darin befindlichen Objekte, ist eine umfassende Beschreibung notwendig. Die Fülle des Materials könnte durch mediale Instrumente unterstützt und ergänzt werden, mit denen die Besucher einen besseren Blick auf die Quellen und/oder eine Zusatzinformation und Erklärung zum Kontext der Ausstellung bekommen.

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„8. Alte Schlacht in neuem Gewand – Das Museum der Schlacht bei Poltawa“ Einen weiteren Kritikpunkt sehen wir bei Falschdarstellungen und Ungenauigkeiten innerhalb der Ausstellung. Beispielsweise zeigt ein Portrait angeblich den Kosakenführer Masepa; tatsächlich aber ist darauf ein unbekannter polnischer Offizier abgebildet. Eine gewissenhafte Recherche fehlt. Bei den Führungen durch das Museum sollten alle Seiten der Schlacht gleichberechtigt beleuchtet und dargestellt werden – unabhängig von der Zielgruppe und der Sprache. Wir finden, die Ausstellung sollte den Anspruch haben, viele verschiedene Perspektiven auf die Schlacht und einen wertfreien Vergleich zu bieten. Mit Blick auf dieses Ziel empfehlen wir das Ausstellungskonzept entsprechend zu verändern und zu aktualisieren sowie es für internationale Besucher offener zu gestalten.

SUMMARY The Museum of the Battle of Poltava – Proposals for a New Design By Anna Zyb, Laura Ritter, Kristina Offterdinger and Julia Kalisch

The Museum of the Battle of Poltava is a small museum with nine rooms, which was built in 1909, on the occasion of the bicentenary of the battle, temporarily closed and reopened in 1950. The presentation of the collection can be divided in three different parts: the prehistory, the course and the outcome of the battle. This leads to the conclusion that the exhibition has a strict military order. There are many pros and cons of the exhibition, but actually more cons. First of all, the exhibition is too Russian orientated. There is hardly any space for the Swedish army or Charles XII., not to mention the participating Cossacks and their hetman Mazepa. Secondly, the exhibition is not very well presented: many objects are just copies or not correct. And finally there is hardly any information given, neither concerning what the rooms are about, nor about the objects. So you definitely have to take a guided tour to get the deeper meaning of the exhibition, but not every guided tour is the same. Especially the Russian and Ukrainian tours are very different from each other. It seems as if they want to address different target groups: Ukrainian and Russian tourists. So if you want to get the whole picture you would probably have to take at least two different tours. A new design for the exhibition should include a balance between the main participants of the battle: the Russian and the Swedish army. But there also should be more space for the participating Cossacks. The monuments on the battlefield and in the city of Poltava, which are presented in the last room, could be integrated in the museum, like an open–air–museum. There should be definitely more information given, preferably in Ukrainian, Russian and English. Finally, every good exhibition should try to be always up–to–date, which is easily done by using the new media. In sum, there is a lot we would change about the museum of the battle of Poltava, but the museum is moving forward by opening a hall for the attending Cossacks.

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Abb. 20


9. Oral History Poltawaer im Gespräch

Oral History wird häufig als Methode des Zeitzeugengesprächs erklärt. Was bedeutete Oral History in unserem Projekt? Zeitzeugen von 1709 konnten wir natürlich nicht befragen. Sondern uns lag daran, den Wandel in der Erinnerung von Poltawaern zu skizzieren. Hier die Ergebnisse unserer Gespräche…

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Oral History

Talks to the Poltavians


„9. Oral History – Poltawaer im Gespräch“

Was ist Oral History?

Von Gelinada Gritschenko (Übersetzung: Kristina Offterdinger)

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ei den Vorbereitungen unserer Interviews baten wir Gelinada Gritschenko, Präsidentin der Ukrainischen Oral History Gesellschaft, um Unterstützung. Sie versorgte uns nicht nur mit Literatur zum Thema, sondern lud uns auch ins Institut für Ukrainische Studien an der W.N. Karazin–Nationaluniversität Charkiw ein, wo wir in einem eintägigen Workshop viele Themen der Oral History erörterten: von der Vorbereitung eines Leitfadens und der Auswahl der Interviewpartner über die Regeln für die Durchführung der Interviews bis hin zu Evaluationsmethoden. Für unsere Projektbroschüre erklärte sich Frau Gritschenko bereit, folgende kurze Einführung in die Oral History – Methode zu verfassen.

Oral History als Methode Die Institutionalisierung der Oral History als eigenständige historische Forschungsmethode fand in der Mitte des letzten Jahrhunderts in den amerikanischen und westeuropäischen Ländern statt. Ihr Fortschritt und ihre akademische Anerkennung ziehen in der wissenschaftlichen Welt schon lange keinen Zweifel mehr auf sich. Seit etwa vierzig Jahren existieren Oral History–Gesellschaften in den USA, Kanada, Australien und Großbritannien. 2006 feierte die Internationale Oral History–Gesellschaft, der Forscher aus fünf Kontinenten angehören, ihr zehnjähriges Bestehen. Vor drei Jahren wurde bekannt gegeben, dass sich eine Ukrainische Gesellschaft für Oral History gründete. Ihre Mitglieder sind ukrainische Spezialisten verschiedener sozial–humanistischer Disziplinen, welche die Prinzipien und Herangehensweisen der Oral History teilen und entsprechende Methoden in ihrer Forschungstätigkeit anwenden. Über die Methode Oral History könnte man viele Seiten füllen. Man kann ihr eine umfassende Monographie widmen, in welcher man im Detail ihre Entwicklungsgeschichte und ihre Position in der aktuellen sozial–humanistischen Forschung darlegt, die Probleme der Oral History als Methode und Quelle der Forschung diskutiert, die durch die Analyse von Interviews aufgeworfenen Fragen und die Variabilität der Präsentationsform von Oral History–Projektergebnissen sowie viele weitere Aspekte beleuchtet. Der begrenzte Umfang zwingt mich die Frage „Was ist Oral History?“ sehr knapp zu beantworten. Ich hoffe, dass folgender „punktueller“ Abriss dennoch die wichtigsten Problemfelder der aktuellen Forschungsrichtungen verdeutlichen kann und hilft, die Aufmerksamkeit der Leser auf die wichtigen Komponenten und Spezifik der Oral History zu akzentuieren.

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„9. Oral History – Poltawaer im Gespräch“

Die wichtigsten Komponenten der Oral History Das gegenwärtige Verständnis von Oral History umfasst, wenn man sich auf die wesentlichen Charakteristiken beschränkt, die folgenden wichtigen Komponenten: • Der Prozess direkter Aufnahmen und Aufzeichnungen von Erinnerungen, Erzählungen oder autobiographischen Narrativen (mit Hilfe von Audio– und Videotechnik). • Die Schaffung neuer historischer Quellen, die man als Resultat aus diesem Prozess erhalten hat. • Die rekonstruktive oder narrative (textualisierte) Analyse dieser Quellen. • Die verschiedenen Formen der Veröffentlichung von Forschungsergebnissen aus Oral History–Projekten.

Die Berufsethik des Oral History–Forschers Jede dieser Komponenten besitzt ihre eigene Spezifik und ihre eigenen Regeln, welche sich vor allem auf die Berufsethik der Forschung beziehen – die wichtigste Norm jeglichen Oral History–Projektes. Ethik und Taktgefühl des Forschers berücksichtigen die sozialen, sprachlichen, Bildungs–, Gender – und Altersunterschiede mit den Gesprächspartnern. Das aufrichtige Interesse und die unvoreingenommene Haltung zu den Interviewpartnern bilden die Grundlage der praktischen Tätigkeit eines jeden Historikers, der mit der Methode Oral History arbeitet.

Vorbereitung des Interviews Zu einer der wichtigsten Merkmale der Quellen gehört ihr innerer Aufbau und damit ihre Entfaltung im Prozess der Interaktion zwischen dem Forscher und dem Erzähler. Deshalb hat die sorgfältige, wohlüberlegte und logisch aufgebaute Vorbereitung des Interviews große Bedeutung. Die Vorbereitung unmittelbar vor dem Interview umfasst folgende Etappen: 1. die Begründung der Notwendigkeit des Forschungsvorhabens und der Verwendung der Oral History; 2. die Auswahl und Suche von Interviewpartnern; 3. die Auswahl einer Interviewform, die entweder narrativ oder strukturiert, problematisiert oder biographisch, ein Einzel – oder ein Gruppeninterview sein kann; 4. die Ausarbeitung eines Interview–Leitfadens und die Erstellung eines Fragebogens; 5. die technische Vorbereitung des Interviews; 6. die Vorbereitung und Gestaltung eines Rasters für die begleitende Dokumentierung.

Das Transkript Das wichtigste Dokument der Oral History, welches als Grundlage für die weitere Analyse dient, ist das Transkript des Interviews, – das schriftliche Protokoll der erhaltenen, mündlichen Informationen, in welchem die Aussagen des Interviewpartners Wort für Wort sowie auch Kommentare des Interviewers zu den von ihm registrierten emotionalen Reaktionen und Intonationsveränderungen in der Stimme, Mimik und Gestik des Interviewpartners festgehalten werden. Die graphischen und alphabetischen Symbole, die der Forscher im Interviewtranskript verwendet, richten sich nach dem existierenden Notationssystems und/oder können eigenständig gewählt werden. Je nach Ziel des Forschungsvorhabens arbeitet der Historiker bei der Analyse des Interviews auch parallel mit dem Text– und Audioprotokoll.

Evaluationsmethoden Die Evaluationsmethoden der Oral History lassen sich in rekonstruktive und narrative Methoden unterscheiden. Rekonstruktive Methoden zielen auf die Wiedergabe oder die Rekonstruktion einer bestimmten Situation, der Ereignisse, des sozialen Kontextes und weiterer einzelner Elemente in der zu untersuchenden Zeit. Narrative Methoden richten das Augenmerk auf die Textanalyse und das zugrunde liegende Sujet, insbesondere auf die Analyse der verbindenden Elemente und derer Funktion. Hierbei ist der zentrale Untersuchungsgegenstand die Subjektivität des Erzählers, also seine Eigenpräsentation, seine Bewertungen und Erklärungen. Bei Interviews, die eine Erforschung des kollektiven Gedächtnisses zum Ziel haben, ist eine Kombination dieser beiden Methoden angebracht. Denn um eine kollektive Vorstellung zu einem Ereignis zu rekonstruieren, muss man die Besonderheiten der Erzählungen der Interviewpartner so analysieren, dass die Heterogenität der kollektiven Erinnerung und der kulturhistorischen Erfahrung im gegebenen Sozium ersichtlich werden.

Veröffentlichung der Forschungsergebnisse Die Veröffentlichung der Forschungsergebnisse gewährt auch anderen Zugang zu den Erkenntnissen und kann so einen wissenschaftlichen und/oder gesellschaftlichen Diskurs anregen. Anderen Wissenschaftlern sowie im besten Fall auch einer breiteren öffentlichen Leserschaft wird ermöglicht, sich mit den angestellten Analysen und Schlußfolgerungen sowie mit den verschriftlichten Quellen (Transkripten) kritisch auseinander zu setzen. Die Bandbreite an Präsentationsformen zu Oral History–Forschungsergebnissen umfassen Publikationen in Sammelbänden, Aufsätze in Zeitschriften, Monographien, Video– und Audiodateien, Ausstellungen und Websites.

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„9. Oral History – Poltawaer im Gespräch“

Vielschichtigkeit von Oral History Im Großen und Ganzen bietet die Methode Oral History eine Vielzahl an unterschiedlichen Forschungsmöglichkeiten, welche folgende wichtigen Charakteristika verbinden: Unparteilichkeit, Offenheit für die Anwendung und Kombination erprobter Methoden und Techniken und ein Bewusstsein für die Subjektivität, die jeder Interpretation innewohnt. Auch eröffnet die Methode ein weites Feld an interessanten Fragestellungen hinsichtlich der Wechselbeziehung von Geschichte und Erinnerung, Mensch und

Gesellschaft, Vergangenheit und Gegenwart, indem sie den Historiker, nach dem klassischen Ausspruch von Paul Tompson, zwingt „sich von den Höhen der historischen Theorie […] auf die Erde herabzulassen – hin zur Banalität der individuellen menschlichen Leben, die ihnen zu Grunde liegt.“ (Tompson 2003: 23).

SUMMARY What is Oral History? By Gelinada Grichenko

The institutionalization of Oral History as a separate method in the historical sciences began in the middle of the last century in Western Europe and America. It is long recognized as a method of science. Associations devoted to Oral History exist in many countries for over 40 years. In 2006, the 10th anniversary of the International Association of Oral History was celebrated. In the same year, a Ukrainian Association of Oral History was founded. This above article explains briefly what Oral History is and which methodical problems have to be tackled in this field. In short, the recent definition of Oral History contains the following points: • • • •

The process of direct delivery of memories, stories and autobiographic notes via audio or video techniques. The providing of new sources for modern history. The reconstructional and narrative analysis of these sources. The publication of the results, based on scientific methods.

Each of these points has its scientific and ethic rules. One of the most specific ideas of Oral History applies to the constructiveness of narratives. This is based on the intersubjective relationship between interviewer and interviewee. Therefore, the preparation of an interview contains the following steps: 1. The explanation of the reasons and the necessity of the use of the specific methods of Oral History. 2. The search for interviewees. 3. The choice of a type of interview: narrative or structured interview, thematic or biographic interview, group interview or an interview with a single person. 4. The combination of questions and an interview scheme. 5. The preparation of required technical devices. 6. The choice and preparation of documentation. The main document for the analysis of Oral History is the transcribed interview. The text has to contain not only the exact speech of the interviewee, but also detailed notes by the interviewer on emotions or oddities of the interviewee during the interview. Oral History uses reconstructive and narrative analysis methods. Reconstructive methods deal with the context of the answers. Narrative methods refer to the analysis of the text. Latter focus on the way the textual narrative is constructed and told in terms of subjective connotations and other special elements used by the interviewee. Both elements should be combined. Another important point is the publication of the results in order to make them accessible for everyone.

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„9. Oral History – Poltawaer im Gespräch“

Im Gespräch mit 15 Poltawaern Von Maria Martens und Kristina Offterdinger

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ie wertet man fünfzehn narrative Interviews aus? Ein schwieriges Unterfangen, dem sich Maria Martens und Kristina Offterdinger, mit Blick auf unser Erkenntnisinteresse, gestellt haben.

Erkenntnisziel und Auswertungsmethode Im Rahmen des Projektes „Wie ein Schwede bei Poltawa“ führten wir Interviews mit insgesamt 15 Personen durch. Im Fokus stand die Frage nach der Veränderung des Gedenkens an die Schlacht von Poltawa nach 1991. Insbesondere hat uns interessiert, ob sich zwischen der mittleren und der jüngeren Generation ein Bruch in der Erinnerung an die Schlacht und in dem Selbstverständnis als Ukrainer finden lässt. Mit diesem Erkenntnisziel haben wir einen Leitfaden, bestehend aus elf Fragenblöcken, erstellt. Im Folgenden versuchen wir, die Antworten der fünfzehn Interviewpartner zu analysieren, um dem Leser Einblick in die Gespräche und in unsere Erkenntnisse geben zu können. Um die Antworten vergleichbar zu machen, mussten wir sie typologisieren. Diese tabellarische Zusammenfassung der Interviews diente dann als Grundlage für die folgende quantitativ vorgenommene Auswertung. Hierbei ist zum einen zu beachten, dass sich durch die Reduzierung der Antworten auf eine Kernaussage eine Verzerrung des Erzählten kaum vermeiden lässt. Zum anderen sollte sich der Leser bewusst sein, dass diese Form der vergleichenden Auswertung unweigerlich immer auch eine Interpretation durch den Auswerter enthält. Und schließlich sei darauf hingewiesen, dass fünfzehn Interviews natürlich nicht den Anspruch auf Repräsentativität erheben, sondern unsere Erkenntnisse nur vereinzelte Einblicke in die Erinnerungskultur in Poltawa geben.

Auswahl der Gesprächspartner Anders als erwartet, waren die meisten Interviewpartner unter den 30 bis 59–jährigen zu finden. Insgesamt haben sich sechs Personen dieser Altersgruppe zu einem Gespräch bereit erklärt. Schwieriger gestaltete sich die Suche in der Generation der jüngeren Poltawaer. Die 18 bis 29–jährigen befürchteten scheinbar, sich in eine Prüfungssituation begeben zu müssen und verweigerten oft die Befragung mit der Begründung, nicht genügend Kenntnisse zum Thema „Schlacht von Poltawa“ und „Erinnerungskultur“ vorweisen zu können. Nur vier der Angesprochenen haben sich letztlich in ein Interview gewagt. Bei den älteren Bürgern stellte das Misstrauen gegenüber uns oder gegenüber Geheimdiensten eine Barriere dar. So wird diese Generation in den folgenden Ausführungen von lediglich einer 67 Jahre alten Dame vertreten.

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„9. Oral History – Poltawaer im Gespräch“ Die Aufschlüsselung unserer Auswertung nach Altersgruppen soll helfen, folgende Frage zu beantworten: Hat es zwischen den Generationen (bezogen auf die Gruppe der elf Interviewten) einen Bruch in Erinnerung und Auslegung der Schlacht einerseits, in Wahrnehmung der Vergangenheit und Gegenwart andererseits, gegeben? Diese Frage wollen wir beantworten, indem wir zunächst unsere Auswertungen, nach vier Themenfeldern sortiert (Die Schlacht bei Poltawa; Peter I., Karl XII. und Masepa; Erinnerungskultur – 1991 und heute; die Gedenkfeier zum 300. Jahrestag 2009), darstellen und dann zusammenfassend zu einem Fazit kommen.

Die Schlacht von Poltawa Während die Befragten der mittleren Altersgruppe und die Vertreterin der älteren Generation die Schlacht von Poltawa mit der Stadt selbst und dem Sieg Russlands verbinden, assoziieren die jüngeren Interviewpartner mit der Schlacht ziemlich neutral den Russisch–Schwedischen Krieg. Alle geben an, ihre Kenntnisse aus dem Schulunterricht und Schulbüchern erhalten zu haben. Insbesondere die der mittleren Generation zugeordneten Personen haben ihr Wissen außerdem aus anderen Büchern und den Medien bezogen. Die jüngere Generation kann zudem auf Informationen aus Gesprächen mit ausländischen Besuchern zurückgreifen. Sowohl die Vertreter der jüngeren als auch der älteren Generation beurteilen die Schlacht als für Poltawa und die Ukraine bedeutend. Zwar tut dies ebenfalls der Großteil der mittleren Altersgruppe, doch gibt es unter diesen mehrere Befragte, die dem Ereignis keine große oder eine negative Bedeutung für Stadt und Land zusprechen. Auf die Frage nach der Rolle der Ukrainer in der Schlacht wird am häufigsten genannt, dass die Schlacht auf ukrainischem Boden stattfand. Was die Rolle der an der Schlacht beteiligten Kosaken betrifft, gehen die Meinungen auseinander. In allen drei Altersgruppen gibt es sowohl Personen, die den Beitrag der Kosaken zum Ausgang der Schlacht als wichtig erachten, als auch solche, die deren Rolle als unbedeutend bewerten. Interessanterweise weigerten sich zwei Befragte der mittleren Generation auf diese Frage zu antworten.

Peter I., Karl XII. und Masepa Die Person des russischen Zaren Peter I. wird sehr unterschiedlich innerhalb der einzelnen Altersgruppen beurteilt. Während eine knappe Mehrheit der elf Interviewten ihn positiv bis äußerst positiv bewertet, gibt es beinahe ebenso viele Befragte, die ihn als einen Tyrannen bezeichnen. Ein Teilnehmer ging sogar soweit, eine Verbindung zwischen Stalin und Peter I. als dessen Vorgänger herzustellen. Bei der Beurteilung Karls XII. werden von den Befragten der mittleren Generation dessen militärischen Leistungen als Maßstab herangezogen. Doch fällt diese differenziert aus: die Meinung, er stelle einen großen militärischen Anführer dar, ist ebenso häufig vertreten wie die gegenteilige Einschätzung, er sei eine schwache Führungspersönlichkeit gewesen. In der jüngeren Generation hingegen sind kaum noch nennenswerte Kenntnisse zu Peters Kontrahenten in der Schlacht von Poltawa vorhanden.

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Die Vertreterin der Altersgruppe der über 60–Jährigen kreiert bezüglich Peter I. und Karl XII. ein pragmatischeres Bild: Während die Handlungen und der Charakter Peters I. eindeutig positiv von ihr bewertet werden, erfährt die Person Karls XII. eine durchweg negative Bewertung. Ein deutlicher Unterschied zwischen den Generationen tut sich in der Frage nach Masepa auf. Sowohl für die ältere Dame als auch für die Interviewten der jüngeren Generation stellt Masepa ein Held dar. Seine Person erfährt eine ausnahmslos positive Bewertung und ihm wird eine bedeutende Rolle in der Schlacht und für die Entwicklung der Ukraine zugesprochen. Gänzlich anders gestaltet sich die Situation innerhalb der mittleren Generation: lediglich eine Person betitelt den Hetman als Helden, wohingegen sechs weitere Befragte ein negatives Bild von ihm zeichnen. Drei von ihnen verwenden den Begriff Verräter für seine Charakterisierung. Insgesamt wird deutlich, dass in der Wahrnehmung und Auslegung der Schlacht bzw. der Einschätzung ihrer zentralen Personen ein erheblicher Unterschied besteht. Die Entstehung einer solchen Differenz lässt sich vermutlich auf die sich verändernde Geschichtsschreibung nach 1991 zurückführen. Insbesondere die Person Masepas erfährt seit der Unabhängigkeit der Ukraine eine neue Bewertung.

Erinnerungskultur – 1991 und heute Dass die Schlacht von Poltawa in der Schule als Thema behandelt wurde, gaben die Vertreterin der älteren Generation sowie mehrheitlich die Personen mittleren Alters an. Im Gegensatz hierzu scheint dem Ereignis in den Jahren um die Wende 1991 keine Bedeutung im Schulunterricht beigemessen worden zu sein. Mit einer Ausnahme antworteten alle jüngeren Befragten, es habe im Rahmen des Unterrichts kein Gedenken an die Schlacht stattgefunden. Die Antworten auf die Frage nach der Erinnerungskultur vor 1991 und deren Thematisierung in der Schule spiegeln erhebliche Unterschiede zwischen den Generationen wider. Diejenigen Befragten, die die Schule während und nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion besuchten, sind mehrheitlich der Ansicht, es habe ein Wechsel der Lehrinhalte weg von einer falschen hin zu einer richtigen Version gegeben. Einige sprechen auch von einem Wechsel von einer subjektiven hin zu einer neutralen Sichtweise. Diese Sichtweise deckt sich mit den Angaben der Mehrheit der mittleren Generation. Die Älteren in der Gruppe der 30–59jährigen (die Minderheit) vertritt die gegenteilige Meinung. In ihren Augen fand eine Verschiebung weg von der richtigen hin zur falschen Geschichtsversion statt. Die Frage, inwieweit sich die eigene Meinung in den letzten Jahren bzw. Jahrzehnten verändert habe, konnten die Vertreter der jüngeren Generation zumeist nicht beantworten. Sie gingen überwiegend nur auf ihre heutige Sicht zu der ukrainischen Erinnerung an die Schlacht bei Poltawa ein. Hierbei wurde die Haltung der eigenen Generation von zwei Personen bezeichnenderweise nicht als „pro–ukrainisch“ sondern als „anti–russisch“ beschrieben. Eine solche Radikalisierung ist in den Reihen der mittleren Altersgruppe nicht zu verzeichnen. Vielmehr halten sich unter den Befragten dieser


„9. Oral History – Poltawaer im Gespräch“ Gruppe die Entwicklungen hin zu einer stärker pro–ukrainischen bzw. pro–russischen Gesinnung die Waage, obwohl auch hier zwei Personen mit „ich weiß nicht“ geantwortet haben, d.h. keine bewusste Entwicklung ihrer persönlichen Haltung erfahren haben. Im Hinblick auf die gesamte Generation wird von den Befragten mehrheitlich der Standpunkt vertreten, die Einstellung ihrer Altersgenossen sei eher als pro–ukrainisch zu bezeichnen. Eine ambivalente Antwort erhielten die Interviewer von der Vertreterin der älteren Generation. Sie beschreibt sich selbst als „russlandfreundlich“ bzw. sei immer noch pro–russisch eingestellt. Gleichzeitig betont sie ihre positive Haltung Masepa gegenüber, und dass sich diese in den letzten Jahren kontinuierlich gefestigt habe. Sie liefert somit den Beweis, dass eine pro–ukrainische Einstellung nicht mit einer anti–russischen einhergehen muss.

Die Gedenkfeier zum 300. Jahrestag im Jahr 2009 Einigkeit zwischen den Generationen besteht in der Wahrnehmung des Gedenkens an die Schlacht von Poltawa. Unter allen Befragten erachtete nur eine Person die Gedenkfeiern als unwichtig. Alle anderen messen den Veranstaltungen eine große Bedeutung bei und hatten dementsprechend hohe Erwartungen an diese. Neben der Aussicht, die Feierlichkeiten würden ein großes Event werden und zu einer Steigerung des Wissenstandes zu der Schlacht sowie des kulturellen Niveaus der Stadt beitragen, war die Hoffnung auf einen konfliktfreien Verlauf (zwischen Russen und Ukrainern) ein wesentlicher Aspekt bei der Einschätzung der Gedenkfeiern. Die Vorbereitungen auf den Gedenktag wurden von den Befragten unterschiedlich eingeschätzt. Ein kleiner Teil der zur mittleren als auch zur jüngeren Generation zählenden Personen zeigten sich mit der Arbeit der Medien unzufrieden und kritisierten eine zu geringe Aufmerksamkeit auf das bevorstehende Jubiläum und zu wenige Informationen zu den geplanten Veranstaltungen. Der größere Teil der Befragten, inklusive der Repräsentantin der älteren Generation, fühlte sich hingegen ausreichend informiert. Ein weiterer Kritikpunkt, der innerhalb der mittleren Altersgruppe relativ häufig auftauchte, war der Vorwurf an die ukrainischen Politiker, dass sie die Feierlichkeiten für eigene Zwecke ausnutzen würden.

Fazit der Auswertung: Bruch oder Identitätssuche? Welche Schlüsse lassen die Antworten bezüglich der zu Beginn gestellten Leitfrage zu? Wie zu erwarten war, variieren die Meinungen zwischen den drei Altersgruppen zum Teil erheblich. Diese Tatsache allein stellt jedoch kein ukrainisches Spezifikum dar. Der „Generationenkonflikt“ an sich, d.h. die Infragestellung von Werten, Ansichts– und Handlungsweisen der älteren Generation durch die nachfolgende, ist ein Phänomen, welches sich beinahe in allen Gesellschaften dieser Erde finden lässt. Eine Besonderheit, die die meisten Transformationsländer Ost – und Ostmitteleuropas aufweisen, stellt der sehr gut eingrenzbare Zeitraum dar, in welchem die Weichen für einen weitreichenden Meinungsumschwung gestellt wurden. Es wird deutlich, dass die Ansichten der Befragten in Zusammenhang mit dem Zeitpunkt des Besuches einer Bildungseinrichtung,

insbesondere der Schule, stehen. Relativ deutliche Konturen der Meinungslage zeichnen sich innerhalb der jüngeren Generation ab, die den wesentlichen Teil ihrer schulischen Bildung bereits in der unabhängigen Ukraine erfahren hatte. Die Standpunkte der Interviewten, die ihre gesamte Ausbildung oder den Großteil ihrer Ausbildung vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion erhielten, sind hingegen äußerst differenziert. Unstrittig ist jedoch, dass die Ansichten der einzelnen Altersgruppen wesentlich einfacher innerhalb dieser Gruppen auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden können als zwischen ihnen. Die Ereignisse zu Beginn der 1990er Jahre stellen somit eine Art Abb. 24 Bruchlinie dar. Doch kann in diesem Fall tatsächlich von einem Bruch gesprochen werden? Ja und nein, meinen wir. Betrachtet man die Äußerugen der jungen Ukrainer, so wäre von einem „ja“ auszugehen. Hierbei stellt sich allerdings die Frage, ob eine Person, die sich zum Zeitpunkt des Kollapses des kommunistischen Ostblocks noch im Kindesalter befand, überhaupt genug Bewusstsein entwickelt hatte, um mit der Vergangenheit zu brechen. Für diejenigen Personen, die im Sozialismus aufwuchsen und ausgebildet worden waren, d.h. Personen, welche in den durchgeführten Interviews der mittleren und älteren Generation zugeordnet wurden, hat in den meisten Fällen keine Wendung stattgefunden, die in unserem Verständnis als Bruch bezeichnet werden würde. Vielmehr entsteht aus den Antworten heraus der Eindruck, dass vor allem ältere Befragte eine Gratwanderung versuchen, um die Ideologien beider Systeme miteinander zu vereinen bzw. keines der beiden als „das Falsche“ zu entlarven – schließlich verbrachten sie mehr als die Hälfte ihres Lebens unter sowjetischer Herrschaft. Ein eindeutiger „Umbruch“ lässt sich aus den Antworten trotzdem herauslesen: markante Änderungen müssen in erzieherischen Einrichtungen wie den ukrainischen Schulen und Hochschulen stattgefunden haben – insbesondere den Geschichtsunterricht betreffend. Nicht, dass die Schlacht von Poltawa einen bedeutenderen Stellenwert erlangt hätte. Doch irgendwo muss die enorme Popularität Masepas und der zunehmende Patriotismus in der jüngeren Generation begründet liegen. Äußerst bedauernswert ist allerdings der Umstand, dass das Umschreiben der ukrainischen Geschichte und das zunehmende Nationalgefühl der jungen Ukrainer einhergehen mit starken antirussischen Ressentiments. Während die ältere Generation versucht, beide „Welten“, in denen sie lebte und lebt, in Einklang zu bringen, scheint die – zum Teil aggressive – Abgrenzung von Russland für die jüngeren Jahrgänge die einzige Möglichkeit zu sein, eine ukrainische Identität zu schaffen.

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„9. Oral History – Poltawaer im Gespräch“

SUMMARY Interviews with Citizens of Poltava By Maria Martens and Kristina Offterdinger

Within the context of the project, the Ukrainian students conducted interviews with 15 citizens of Poltava. The interviewees were divided into three age groups: the young, the middle–aged and the older generation. The main goal of the questioning was to find out how cultural consciousness of Ukrainians has changed after 1991. In general, our findings showed that the battle of Poltava is perceived as an important event for the nation and for Poltava. A different opinion was articulated by some representatives of the middle–aged generation, who either do not attach importance to the battle or judge it negatively. For all age groups the main source of knowledge and information about the campaign was their schooling and school books. The answers showed differences of opinion about people involved in the battle. Opinions concerning Peter I were divided. Although the majority thought positively of him, several people portrayed him in a highly negative manner. While there was little knowledge of Charles XII in the younger generation, middle–aged respondents had positive as well as negative perceptions of him. The only representative of the older generation, a 67 year–old lady, painted a more pragmatic picture. While Peter the Great was judged entirely positively, his Swedish opponent was perceived as the opposite. Mazepa is another personality who was seen vastly differently by different age groups. A major part of the younger generation and the older lady characterised the man as a hero. There were also people with a positive opinion of Mazepa in the middle–aged group. But in general he was judged much more negatively and in some cases was even called a traitor. Differences between the generations became obvious when considering the answers relating to cultural consciousness. Older respondents acknowledged that commemoration had been practiced in school, even though it took place on only a small scale. Interviewees, who went to school in 1991 and later, no longer had made this kind of experience. When people were asked the question, if and how their personal opinion had changed during the last two decades, especially the younger respondents answered with “I don´t know”. They described the general attitude of their generation explicitly as anti–Russian, not pro–Ukrainian. The middle–aged generation had a different opinion. They were less dismissive and no one considered themselves as anti–Russian or anti–Ukrainian. The mood of this age group was predominantly pro–Ukrainian. The older lady’s point of view was an ambivalent one, but not atypical for this generation. On the one hand she described herself as pro–Russian, on the other hand she pointed out her positive opinion about Mazepa, which had become stronger during the last years. She proves that a pro–Ukrainian attitude does not go along with an anti–Russian one. With the exception of one person all the interviewees attached much importance to the commemoration of the battle and the upcoming 300th anniversary. The work of the media and public institutions was judged differently. While the majority thought that sufficient and reliable information was given to motivate people, some representatives of the young and middle–aged generation considered that too little attention was paid to the upcoming event. Politicians were also criticised. They were accused of using the celebrations for their own purposes. In summary, there were obvious differences between the three age groups. The different answers clearly showed that cultural consciousness and perception of historical characters have changed since the Ukraine became an independent state. While older people try to bring together both their past and present “worlds”, the younger generation tries to create a Ukrainian identity by means of patriotism and alienation from Russia.

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„9. Oral History – Poltawaer im Gespräch“

Mitgeschnitten – Exemplarische Auszüge aus unseren Oral History Interviews Die Auszüge wurden zusammengestellt von Julia Kalisch, Tetiana Komar und Petro Martschenko. (Übersetzung: Laura Ritter)

Kurzinfos zu den Interviews Im Rahmen unseres Projektes haben wir fünfzehn Oral History– Interviews mit Poltawaern durchgeführt. Uns hat interessiert, wie sie die Bedeutung der Poltawaer Schlacht bewerten und wie sie die Veränderung im Gedenken an die Schlacht erleben. Die Interviews haben uns gezeigt, wie individuell und facettenreich Erinnerung ist.

F

olgend stellen wir exemplarische Auszüge aus vier Interviews in Gegenüberstellung vor. Bei den Gesprächen nutzten wir elf Fragen als groben Leitfaden. Natürlich ergaben sich bei jedem Interview viele weitere interessante Fragen und Gesprächsthemen. Hier werden aber tatsächlich nur die elf Leitfragen dargestellt, die wir allen Interviewpartnern gestellt haben. Bei der Auswahl der Aussagen haben wir uns an diesen Leitfragen orientiert, also die Aussagen ausgewählt, die Antworten zu den Leitfragen geben und entsprechend einen Vergleich interessant machen. Die ausgewählten Interviews umfassen, stark vereinfacht gedeutet und bezeichnet, das Spektrum der Sichtweisen „prorussisch, anti– Masepa“ (Ludmila Nikolaewna*), „national–ukrainisch, pro–Masepa“ (Dmytro Mychajlowytsch*), „national– ukrainisch, anti–Masepa“ (Andriy Alexandrowytsch*) und „neutral“ (Witalij Grigorowitsch*).

ANDRIY A.: Andriy Alexandrowitsch*, 47, Beruf: Elektriker. Interview dauerte 1 Stunde 2 Minuten, Interviewer: Tanya Komar WITALIJ G.: Witalij Grigorowitsch*, 45, Beruf: Musiker, Interview dauerte 1 Stunde 15 Minuten, Interviewer: Petro Martschenko DMYTRO M.: Dmytro Mychajlowytsch*, 29, Beruf: Ökonom, Interview dauerte 55 Minuten, Interviewer: Petro Martschenko LUDMILA N.: Ludmila Nikolaewna*, 54, Beruf: Bibliothekarin, Interview dauerte 39 Minuten, Interviewer: Yulia Kalisch Anmerkung: Die Namen der Interviewpartner wurden von der Redaktion geändert. Die restlichen Angaben stimmen.

1. Was fällt Ihnen spontan ein, wenn Sie an die Schlacht von Poltawa denken? ANDRIY A.: „Nun, Poltawa ist eine Provinzstadt, aber alle Poltawaer sind mit dem Gedanken aufgewachsen, dass wir heldenhafte Vorfahren haben. Unsere Landsmänner haben an einem historisch wichtigen Ereignis teilgenommen und wir sind sehr stolz auf sie. Ich bin froh in dieser Stadt geboren worden zu sein, die mit einem historisch so bedeutenden Ereignis verbunden ist.“

WITALIJ G.: „Peter I, Peters Armee, Uniformen der Armee, Kommandeure, Schanzen … Peters Gesicht, das immer optimistisch ist. Der Glanz in seinen Augen, weil er den Genuss des Sieges empfindet.“ DMYTRO M.: „Eine große Tragödie. Die große Tragödie des ukrainischen Volkes. Das Problem ist, dass es in der ukrainischen Geschichte immer zwei Herrscher, zwei Ansichten und daher auch immer zwei Parteien innerhalb des Volkes gab. Das spiegelt sich auch bei der Schlacht von Poltawa wider. Einige Kosaken waren auf Masepas Seite, während andere auf Peters standen.“ LUDMILA N.: „Ich bin stolz auf den Sieg der russischen Waffen in diesem Krieg. Eine meiner liebsten Erinnerungen ist mein erster Besuch als Kind im Museum der Schlacht von Poltawa. Dieser hat einen großen Eindruck auf mich gemacht: die Monumente auf dem Schlachtfeld, die großen Räume des Museums, die Kanonen, der Kaftan von Peter I. und besonders das Diorama, welches mit Geräuschen unterlegt war. Während wir das Diorama, all die Pferde und Peter I. auf einem weißen Pferd in der Mitte, betrachteten, hörten wir durch Lautsprecher die Ansprache Peters I. an seine Soldaten vor dem Beginn der Schlacht. Ein unvergesslicher Eindruck! Es fühlte sich an, als wenn wir selbst an der Schlacht teilnehmen würden. Uns gefiel, dass Peter I., unser Held, hoch zu Ross ritt, während der Angreifer Karl XII. auf einer Bahre getragen wurde. Ich glaube, dass wir alle in irgendeiner Weise einen Bezug zu der Schlacht von Poltawa haben. Irgendwie waren wir alle ein Teil davon. Die Schlacht von Poltawa war die entscheidende Schlacht im Nordischen Krieg. Hier haben die Schweden ihre Lektion gelernt. In Bezug auf diese Schlacht kann ich an nichts anderes denken, als an die Worte, die einst ein bekannter Kriegsherr sagte: ‚Wer unseren Boden mit einem Schwert betritt, der wird zu Grunde gehen.‘“

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2. Woher haben Sie ihr Wissen über die Schlacht? ANDRIY A.: „Wenn man in Poltawa lebt, kommt man nicht umhin von dieser Schlacht zu wissen. Ich denke, dass das Museum der Schlacht von Poltawa sehr schön ist. Ich war noch ein kleines Kind, als ich es das erste Mal besuchte. Dort gibt es sehr viel schöne Waffen und Uniformen. Mir gefallen auch die Monumente in Poltawa, besonders das Denkmal, das Kommandant Kelin gewidmet ist und das Denkmal des Sieges. Die städtischen Denkmäler vermitteln eine Atmosphäre des Krieges und Ruhmes. Wenn meine Freunde zu Besuch nach Poltawa kommen, zeige ich ihnen immer die Denkmäler und Orte, die der Schlacht von Poltawa gedenken, und erzähle ihnen von dieser. Wenn ich darüber nachdenke, kann ich mir ein Leben ohne das alles gar nicht mehr vorstellen.“ WITALIJ G.: „Aus der Schule. Wir haben regelmäßig Exkursionen zum Schlachtfeld oder in das Museum gemacht. Es hat mir immer sehr gut gefallen, dort zu sein. Es war angenehm, die Schanzen, Uniformen usw. anzuschauen.“ DMYTRO M.: „Mit Sicherheit aus der Schule. Aber erst 1991 habe ich begonnen, etwas über die ukrainischen Kosaken zu lesen. Dieses Jahr markierte einen Wendepunkt in unserer Gesellschaft. Die Welt änderte sich radikal und endlich war die Wahrheit zu erkennen. Als ich in den USA war, habe ich Quellen und Bücher gesehen, die hier in der Ukraine unmöglich zu bekommen waren. In diesen Quellen waren angemessene Bewertungen der Schlacht von Poltawa und positive Darstellungen von Masepa zu finden. Es wäre undenkbar gewesen, diese Bücher in der Sowjetunion zu lesen.“ LUDMILA N.: „Die ersten Informationen zur Schlacht habe ich in der Schule erhalten sowie auch von meinen Eltern, die sich sehr für die Schlacht von Poltawa interessiert haben. Mein Vater hat sehr viel über die Schlacht von Poltawa gelesen und uns viel darüber erzählt. Meine Mutter hat als Assistentin des Museumsdirektors gearbeitet. Als wir kleine Kinder waren, betraten wir das Museum wie einen Tempel. Ich habe die Nachbildung der Schlacht geliebt, – die, wo die kleinen Soldaten beider Armeen aufgestellt sind. Sehr beeindruckend, sehr schön! Sehr interessant ist die geistliche Literatur über die Schlacht von Poltawa.

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Man kann sie in unseren Bibliotheken finden. Zuerst wurden sie nur in Russland gedruckt, aber nun sind sie auch in der Ukraine erhältlich.“

3. Welche Rolle spielt die Schlacht in der Geschichte der Ukraine und welche Rolle in einem europäischen Kontext? ANDRIY A.: „Meiner Meinung nach war der Ausgang der Schlacht negativ für die Ukraine. Russland hat begonnen, die Ukraine zu kontrollieren und unbeugsam zu machen. Als eine Konsequenz aus der Schlacht wurde das Hetmanat abgeschafft, die ukrainischen Kosaken wurden liquidiert und die Ukraine wurde ein Land von Leibeigenen für Russland. Die Ukrainer haben ihre Rechte und ihre Freiheiten verloren. Für Europa war diese Schlacht nicht wichtig, denke ich. Europa hatte und hat einen hohen Lebensstandard. Die Schlacht hat an der dominanten Position Europas nichts geändert.“ WITALIJ G.: „Dieses Ereignis fand auf ukrainischem Boden statt, daher ist es wichtig für die Ukraine. Und auf Grund der Schlacht hat die Ukraine heute eine enge Beziehung zu Schweden. Andererseits wiederum ist es nur Geschichte.“ DMYTRO M.: „Auf jeden Fall ist dieses Ereignis sehr wichtig für die Ukrainer. Unter allen Ereignissen auf ukrainischem Boden ist dieses das wichtigste. Nicht nur, weil in der Schlacht zwei starke Imperien zusammenstießen, sondern auch, weil die Situation innerhalb der ukrainischen Bevölkerung damals sehr schwierig war. In einem europäischen Kontext, hm … nun, ich bin kein Historiker. Ich kann nicht beurteilen, wie diese Schlacht den weiteren Verlauf der Ereignisse in diesem oder jenem Land beeinflusst hat. Aber meine Meinung ist … ja, es ist ein wichtiges Ereignis. Warum? Weil Russland nach dieser Schlacht das Russische Reich wurde. Es hat seine Stärke auf internationaler Ebene bewiesen. Ich persönlich bin aber nicht gänzlich mit dieser Ansicht einverstanden. Immerhin darf nicht vergessen werden, dass Karl XII. ein sehr junger König war und ihm die Erfahrung fehlte. Russlands Sieg ist eigentlich mehr ein Ergebnis von Schwedens strategischem Scheitern, als von Russlands militärischer Stärke.“

LUDMILA N.: „Das ukrainische Volk war in sich geteilt. Ein Teil der Kosaken kämpfte auf der Seite Peters I. und der andere Teil auf der Seite Masepas. In meinen Augen ist Masepa ein Verräter, weil er auf die Seite von Karl XII. übergelaufen ist. Außer Frage steht, dass der russische Sieg für die Ukraine ein zwiespältiger war. Peter I. ließ die Verräter hinrichten, und dies waren in erster Linie die Saporoger Kosaken, die sich von Masepa haben blenden lassen. Es wird erzählt, dass der Fluss Worskla bis zum Dnjepr rot gefärbt von all dem Blut war. Wie auch immer, nach der Schlacht wurde die Ukraine an Russland angegliedert und so wurden die Grenzen in der Geschichte neu festgelegt. Russen und Ukrainer haben seitdem eine Geschichte. Aus meiner Sicht hat der russische Sieg in der Schlacht von Poltawa der Ukraine Positives gebracht. Russland bekam einen Durchgang zum Meer und die ganze Welt hat begonnen Russland als eine europäische Großmacht anzusehen.“

4. Was, denken Sie, war der Beitrag der Ukrainer zur Schlacht von Poltawa? ANDRIY A.: „Nun, als ich ein kleiner Junge war, habe ich an die Heldenhaftigkeit der ukrainischen Kosaken geglaubt, aber heute sind sie wie Piraten für mich. Sicher, sie haben die Ukraine in einigen Abschnitten der Geschichte vor Feinden geschützt und als Krieger waren sie professionell, aber als sie Söldner in der Schlacht von Poltawa wurden, war ihr Hauptziel Ausbeutung und persönliche Bereicherung. Egal, auf welcher Seite sie standen. Sie haben keinen großen Beitrag zum Verlauf der Schlacht von Poltawa geleistet. Weder Russland noch Schweden hat ihnen vertraut, und daher war ihre Rolle bei der Schlacht unbedeutend.“ WITAL IJ G.: „Zu dieser Zeit gab es keine staatliche Trennung zwischen Russland und der Ukraine. Es gab nur ein Russisches Reich, das gegen Schweden gekämpft hat. Und diese Schlacht hat Peter I. gewonnen. Das ist alles.“ DMYTRO M.: „Es scheint mir, dass die Ukraine eine sehr kleine Rolle in der Schlacht gespielt hat. Zwei große Imperien haben an der Schlacht teilgenommen. Sicher waren die Kosaken eine große Hilfe für beide Armeen, aber man kann annehmen, dass diese Schlacht auch ohne die Ukrainer stattgefunden hätte und auch der Ausgang der gleiche gewesen wäre.“


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LUDMILA N.: „Nun, natürlich haben alle einen Beitrag geleistet, die auf der Seite Peters I. gekämpft haben. Sie haben gewonnen.“

5. Was denken Sie über Peter I. und Karl XII.? ANDRIY A.: „Peter I. hat das „Fenster nach Europa“ geöffnet. Er ist immer noch als großer Reformer bekannt. Er war ein unerbittlicher Herrscher, aber ich denke, dass das nötig für Russland und natürlich auch für die Ukraine war, denn wir waren ein Teil Russlands. Karl XII. war ein guter militärischer Führer, aber vielleicht war er einfach zu jung. Seine Armee war stark, aber klein. Was die Errichtung eines Denkmals für Karl XII. betrifft, nun, ich bin nicht dagegen. Ich denke, es könnte unsere schöne Stadt noch mehr verzieren.“ WITALIJ G.: „Ich kann nicht viel über Karl sagen. Ich kann wesentlich mehr über Peter sagen. Peter war ein Zar, der sein Bestes für Russland getan hat. In der Schlacht von Poltawa übernahm Peter nur den defensiven Part. Er hat alles beaufsichtigt. Das ist mit Stalins Rolle im Zweiten Weltkrieg vergleichbar. Und es hat zum Sieg geführt.“ DMYTRO M.: „Ich denke, dass Peter ein progressiver Monarch war, der viel für das Russische Reich getan hat. Peter war zu seiner Zeit eine Kultperson. Ich denke, dass er eine ziemlich strenge Persönlichkeit war. Das kann man an den Maßnahmen erkennen, die er in der Schlacht angewandt hat und auch an dem Verhältnis zu seinem Sohn. Über Karl kann ich sagen, dass er zu jung war, zu jung um König zu sein. Über die Person Karl kann ich nichts sagen, weil ich darüber nichts weiß und nichts gelesen habe.“

6. Was bedeutet Ihnen Masepa? ANDRIY A.: „Ich mag Masepa überhaupt nicht. Er hat seine Macht nur mit Hilfe von Intrigen, Verrat und Bestechung erlangt und er denunzierte einen anderen Hetman. Er hatte die Chance eine unsterbliche Persönlichkeit zu werden, aber er hat sie nicht ergriffen. Wenn er die Leibeigenschaft in der Ukraine abgeschafft hätte, hätte er viel Ruhm und Respekt geerntet. Ich sehe in ihm keine große historische Persönlichkeit. Er ist seinen persönlichen Idealen und Zielen gefolgt und hat so die Ukraine in einen Krieg verwickelt. Ich unterstütze die Idee eines Masepa– Denkmals in Poltawa auf keinen Fall.“

WITALIJ G.: „Es ist nur Geschichte. Masepa ist nur Geschichte. Jeder schaut auf die Geschichte, wie es ihm gefällt. Leute schreiben über Masepa, was sie wollen. Ich finde, es ist unmöglich, Masepa nur als Verräter zu sehen. Meiner Meinung nach können wir nicht über Masepas Ideen und Beweggründe sprechen, weil wir diese nicht von ihm gehört haben. Generell ist es schwierig eine historische Persönlichkeit zu beurteilen. Ich denke, dass jeder, der eine prominente Position in einem Land innehat, auch immer versucht, etwas Gutes für sein Land zu tun. In Bezug auf die Schlacht würde ich nicht sagen, dass Masepa sehr wichtig war.“

DMYTRO M.: „Ich kann ganz offen sagen, dass Masepa ein Held für mich ist. Ich bin ein ukrainischer Patriot. Masepa hat die nationale Idee in unserer Gesellschaft wieder aufleben lassen. Er wollte die Unabhängigkeit für unser Land. Es gab sicher schon vor wie ja auch nach der Schlacht die Idee der Unabhängigkeit, zum Beispiel in der Zeit von Chmelnytsky1 und der UPA2. Über 1

Anm. Red.: Bohdan Chmelnytsky (1595–1657), ukrainischer

die Person Masepa weiß ich, dass er gebildet war und dass er eine Menge für Bildung und Kultur in der Ukraine getan hat.“ LUDMILA N.: „Aus meiner Sicht bleibt ein Verräter ein Verräter. Viele glauben, dass Masepa für die Unabhängigkeit der Ukraine gekämpft hat. Aber man sollte nicht vergessen, dass er ein Kreuz geküsst hat, um seine Loyalität zu Peter I. zu beweisen. Peter hat Masepa vertraut. Peter hat sogar den Befehl gegeben, Kotschubey zu exekutieren, welcher ihn gewarnt hatte, dass Masepa ihn verraten wird. Aber es kam, wie es kommen musste. Kotschubey hatte die Wahrheit gesagt. Also ist es korrekt, dass viele Leute Masepa für einen Verräter halten. Nun, andere denken, dass er für die Ukraine gekämpft hat. Aber das waren andere Kämpfe. Vielleicht hat Masepa wirklich für die Ukraine gekämpft, aber trotzdem hat er Peter I. verraten.“

7. Wie wurde die Schlacht vor 1991 erinnert und was haben Sie darüber in der Schule gelernt? ANDRIY A.: „Das Wiedererstarken Russlands begann nach der Schlacht von Poltawa. Das ist die Quintessenz dessen, was wir in der Schule gelernt haben. Während Masepa heutzutage eine positive Persönlichkeit für die meisten Ukrainer ist, hat früher niemand über ihn nachgedacht. Ich persönlich sehe diese Entwicklung eher negativ. Ich bin kein Masepa–Fan, obwohl ich mich selbst als Ukrainer sehe. Wir sind ein hartarbeitendes und gastfreundliches Land, aber wir dürfen nicht vergessen, dass wir über einen langen Zeitraum in Knechtschaft gelebt haben. Ich habe lange geglaubt, dass sich nach der Orangenen Revolution etwas ändern würde, aber das war leider nur ein kurzfristiges Licht in der Dunkelheit. Ich denke, dass wir Ukrainer unsere Identität immer noch nicht entwickelt haben. Ich hoffe, dass die neue Generation einen neuen Staat erschaffen wird.“

Hetman und Gründer des ersten Kosakenstaates. Am 8. Januar 1654 kam

LUDMILA N.: „Ich halte Peter I. für einen großen Mann, einen großen Herrscher und einen großen Kriegsherren. Ich denke, Karl war ein ebenso guter Kriegsherr. Aber er hat eine expansive Politik verfolgt und dachte, dass seine Soldaten bis zum letzten kämpfen würden. Schließlich mussten ihn seine militärischen Berater davon überzeugen zurückzutreten. Es scheint mir, als ob er seine Fehler am Ende eingesehen hat.“

es in Perejaslaw zur Unterzeichnung eines Abkommens über die Unterordnung des Kosakenhetmanates unter die Herrschaft des Moskauer Zaren. 2

Anm. Red.: UPA – Ukrajinska Powstanska Armija; ukrainisch:

Українська Повстанська Армія. Die Ukrainische Aufstandsarmee ent-

stand 1942 und war der militärische Arm der „Organisation Ukrainischer

WITALIJ G.: „Die Sowjetunion war ein mächtiger Staat und wir waren ein Teil davon. Sicherlich hatte das einen großen Einfluss auf unsere Gesellschaft. Es ist unmöglich, dass wir in näherer Zukunft einen landesweiten ukrainischen Nationalismus oder eine Ukrainisierung erleben werden.“

Nationalisten“. Sie kämpfte während des Zweiten Weltkriegs vor allem in der Westukraine gegen sowjetische und deutsche Besatzer.

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„9. Oral History – Poltawaer im Gespräch“ DMYTRO M.: „Vor 1991 habe ich, wie jeder andere in diesem Land, strikt nach sowjetischem Lehrplan gelernt. Wisst ihr, schon damals, als ich die sowjetischen Bücher gelesen habe, dachte ich, dass da irgendwas nicht stimmen kann. Als nach 1991 erlaubt wurde, alle Bücher zu lesen, haben wir einiges besser verstanden. Das war die Zeit der „offenen Augen“. In der Schule jedoch kam es nach 1991 zu Uneinigkeiten unter den Lehrern, weshalb die Schüler Unterschiedliches gelernt haben. Einige lernten Masepa zu lieben, andere ihn zu hassen.“ LUDMILA N.: „Nun, erinnert ihr euch, was vor der Unabhängigkeit über die Schlacht gelehrt wurde? Uns wurde beigebracht, stolz zu sein! Diese Schlacht war unser ganzer Stolz. Diese Denkmäler waren in unseren Augen heilig. Und dann nach 1991 begann sich die Einstellung zu ändern. Einmal wurden sogar

Teile der Denkmäler geklaut. In unseren Schulbüchern wurde die Schlacht als nationaler Sieg dargestellt, vergleichbar mit dem Sieg im Großen Vaterländischen Krieg. Das waren äquivalente Ereignisse. Was denkt ihr über die heutigen Geschichtsbücher? Ich habe sie nicht gelesen, aber ich weiß, dass die Geschichtsschreibung sich geändert hat. Kein weiterer Kommentar.“

gestorben sind, aber sie sind auch in russischen gestorben. Russland eines Genozids an Ukrainern zu beschuldigen, wäre absolut dumm. Ich stimme zu, dass das Ein–Parteien–System schlecht war, aber ich mache die Russen nicht für den Holodomor verantwortlich. Die ukrainischen Offiziellen sind in gleichem Maße schuldig.“

8. Wie hat sich Ihre Meinung über die letzten Jahre geändert?

WITALIJ G.: „Sicherlich ist die Unabhängigkeit der Ukraine großartig. Aber es ist nun einmal so, dass wir in sowjetischen Zeiten nicht einmal den Begriff Inflation gekannt haben. Die Ukraine befindet sich zurzeit in einer Krise.“

ANDRIY A.: „Nun, heutzutage ist die generelle Geschichtswahrnehmung in der Ukraine eher anti–russisch gefärbt. Aber Geschichte sollte mehr oder weniger objektiv sein. Zum Beispiel der Holodomor. Es ist wahr, dass Leute in ukrainischen Dörfern

DMYTRO M.: „Direkt nach der Unabhängigkeit befanden wie uns in einem Stadium der Euphorie. Unter diesem Eindruck haben wir begonnen, alles zu idealisieren, was anti–russisch ist. Es ist traurig, aber wahr: Wir sind nicht pro–ukrainisch, sondern eigentlich anti–russisch.“ LUDMILA N.: „Sicher haben sich nach 1991 Dinge und Einstellungen geändert. Bis 1991 waren die Leute überzeugt, dass Masepa ein Verräter war. 1991 wurde er dann auf Geldscheine gedruckt. Für mich bleibt Masepa dennoch ein Verräter, so wie Karl der Angreifer und Peter I. der große Feldherr und Staatsmann bleiben wird.“

9. Was denken Sie über die heutige Erinnerung an die Schlacht? Sollte sich diese ändern? ANDRIY A.: „Ich denke, dass wir den 300. Jahrestag groß feiern sollten. Ich habe gehört, dass eine Menge Touristen kommen werden und ich denke, dass es unsere Pflicht ist, angemessene Feierlichkeiten zu organisieren. Meiner Meinung nach sollten wir alle Soldaten erinnern, sowohl die russischen als auch die schwedischen. Ich denke auch, dass es wichtig ist, den Historikern zuzuhören, die eventuell neue Aspekte der Schlacht erläutern können.“

Abb. 25

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WITALIJ G.: „Der anstehende Jahrestag ist ein wichtiges Datum. Wir sollten die Schlacht erinnern, auch wenn wir uns derzeit in der Finanzkrise befinden und sparen müssten. Die Medien sollten dem Ereignis maximale Aufmerksamkeit


„9. Oral History – Poltawaer im Gespräch“ zuwenden und es sollten Besucher aus Schweden und Russland kommen.“ DMYTRO M.: „Ich denke, dass es nichts zu „feiern“ gibt. Der Ausgang der Schlacht ist eine Tragödie für die Ukraine. Eine Tragödie! Das Wort „erinnern“ ist in der gegebenen Situation angebrachter.“ LUDMILA N.: „Ich denke, dass der 300. Jahrestag eine grandiose Darbietung sein wird. Man kann schon an den laufenden Vorbereitungen sehen, dass es ein grandioses Spektakel wird. Ich denke nicht, dass wir mehr Denkmäler brauchen. Die, die wir haben, reichen aus. Es wäre sinnvoller, das Geld in die Instandhaltung der vorhandenen Denkmäler zu investieren, statt neue zu bauen.“

10. Wie nehmen Sie die Vorbereitungen für den 300. Jahrestag in den Medien wahr? ANDRIY A.: „Ich denke, dass unsere Regierung nicht genug für die Gedenkfeier tut. Ich unterstützte die Idee gemeinsamer Feierlichkeiten mit Russland. Vielleicht wird das unsere Beziehung stärken. Immerhin ist diese Schlacht ein sehr wichtiges Ereignis für die Russen. Aber viele Ukrainer sind in einer anti–russischen Stimmung, weshalb gemeinsame Feierlichkeiten gefährlich werden könnten.“ WITALIJ G.: „Es ist nötig, das Museum, die Denkmäler und das Schlachtfeld zu restaurieren. Zusätzlich wird für eine schöne Feier Geld benötigt.“ DMYTRO M.: „Ich war während des amerikanischen Tages des Sieges im Zweiten Weltkrieg in den USA. Sie haben diesen auf ruhige Weise gefeiert. Dort kann man diesen Prunk, der typisch für uns ist, nicht finden.“

Schlacht ausreichend beleuchtet. Im Fernsehen gibt es jedoch nichts. Nun, wenn die Feierlichkeiten beginnen, wird es bestimmt mehr zu sehen geben.“

11. Was erwarten Sie von den Feierlichkeiten? Wie würden Sie diese organisieren, wenn sie dafür zuständig wären? ANDRIY A.: „Ich erwarte, dass eine Menge Touristen und Repräsentanten verschiedener Länder kommen. Ich denke, dass es toll wäre, einen neuen Film über die Schlacht von Poltawa zu zeigen, oder Theateraufführungen. Außerdem denke ich, dass es wichtig ist, Historiker einzuladen, die neue Aspekte der Schlacht erläutern können.“ WITALIJ G.: „Alle Besucher kommen aus zivilisierten Ländern. Daher denke ich, dass es ein friedliches Gedenken wird, trotz des Faktes, dass alle eine andere Sichtweise auf die Geschichte haben.“ DMYTRO M.: „Ich denke, dass alle laufenden Diskussionen an einem großen runden Tisch ein Ende finden werden. Es wird Historikerkonferenzen geben, wo jeder bei seiner eigenen Sichtweise bleibt, um zu zeigen, dass diese die einzig wahre ist.“ LUDMILA N.: „Ich erwarte viele Gäste, einen großen Feiertag und ein großes Spektakel. Wenn ich verantwortlich wäre, würde ich die Schlacht nachstellen lassen. Ich würde einen Teil der Schauspieler als Russen und einen Teil als Schweden verkleiden. Und es würde Sprengkörper und Explosionen geben. Am Ende der nachgestellten Schlacht würde Peter I. zu den Einwohnern von Poltawa sprechen. Ich würde diesen Moment in einer sehr hellen, schönen und farbenfrohen Weise darstellen.“

Abb. 26

LUDMILA N.: „Nun, besonders die Poltawaer Presse berichtet regelmäßig über den anstehenden 300. Jahrestag, aber auch die überregionale Presse schreibt eine Menge. Ich mag die Zeitung „Kraj“ besonders, weil man dort interessante Artikel zu jedem Thema findet. Und in der „Stimme der Ukraine“ findet man viele Fakten über die Schlacht. Alles in allem, wird die

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„9. Oral History – Poltawaer im Gespräch“

SUMMARY Get set, Go! Excerpts from our Interviews

The extracts were summarized by Yulia Kalish, Tetiana Komar and Petro Marchenko.

Within the scope of our project we conducted fifteen Oral History–Interviews with people from Poltava. We were interested how they assess the Battle of Poltava, as well as the changes that they experienced in commemoration of this battle. The interviews showed us how opinions concerning the subject of remembrance can vary from individual to individual. In the following, we evaluate four of the fifteen extracts in order to point out commonalities and differences between the interviewees’ responses. During the conversations, we used eleven questions as a rough guideline. We then compared and contrasted four of the fifteen extracts. In order to demonstrate the variation of responses, we chose statements that not only provided answers for our guideline but also made an interesting comparison. In this summary, the answers are illustrated in a short version. Information on the Interviews ANDRIY A.: Andriy Alexandrovitsch*, 47, profession: Electrician. Interview lasted for 1 hour 2 minutes. Interviewer: Tanya Komar WITALIJ G.: Witalij Grigorovitsch*, 45, profession: Musician, Interview lasted for 1 hour 15 minutes. Interviewer: Petro Marchenko DMYTRO M.: Dmytro Michajlovitsch*, 29, profession: Economist, Interview lasted for 55 minutes. Interviewer: Petro Marchenko

LUDMILA N.: Ludmila Nikolaevna*, 54, profession: Librarian, Interview lasted for 39 minutes. Interviewer: Yulia Kalish

Remark: The names of the interviewees were changed by the editorial team. The remaining information is correct.

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1. What comes to your mind thinking of the Battle of Poltava?

WITALIJ G.: At school. We frequently went to excursions on the battlefield and in the Museum. I liked very much to be there. It was pleasant to look at the redoubts, uniforms and so on.

ANDRIY A.: Well, Poltava is a provincial city, but all of us inhabitants grew up thinking that we have heroic ancestors. Our compatriots participated in such an important historical event, and we are proud of them. WITALIJ G.: Peter I, Peter’s armies, uniforms of his army, commanders, redoubts, Peter’s face which looks always optimistically, the shine in his eyes because he sees pleasure of the victory.

DMYTRO M.: At school, certainly. But only in 1991 I began to read more about the Ukrainian Cossacks. This time was marked by a turning–point in our society. The world was turned upside down and finally the truth became clear. When I was in the USA, I faced with sources and books which here, in Ukraine, were impossible to get. In these sources there was an adequate estimation of the Poltava battle and positive illustrations of Mazepa. It had been impossible to read these books in Soviet Union.

DMYTRO M.: A big tragedy. The big tragedy of the Ukrainian people. The problem is that in the Ukrainian history, there are always two lords, two points of view, and thus, conflicts in our society.

LUDMILA N.: I got the first information at school and from my parents who were very interested in the Poltava battle. When we were little children, we used to come to the museum as if we are about to enter a temple.

LUDMILA N.: I feel pride for the victory of the Russian weapon in this war. One of my dearest memories is my first visit to the museum of the Poltava battle when I was a child. It made an enormous impression on me, especially the diorama. We terribly liked that our hero, Peter I, our hero, was way–up on a horse, whereas the invader Charles XII was carried on stretchers.

3. What role does the Battle of Poltava play in the history of Ukraine and in a European context?

2. How did you get your knowledge about the battle?

ANDRIY A.: In my opinion, the results of the battle were negative for Ukraine. As a consequence of the battle, the Hetmanat and the Ukrainian Cossacks were liquidated and Ukraine became a country of serfs for Russia. For Europe, I think, this battle was not important. This battle didn´t put the dominant position of Europe at risk.

ANDRIY A.: Living in Poltava, you can´t but know about the battle. The city´s monuments deliver an atmosphere of the battle. I actually can’t imagine my life without all this.

WITALIJ G.: This event took place on Ukrainian ground, so it is important for Ukraine. Also, because of the battle, today


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Ukraine has a close relationship with Sweden. But from another point of view: It’s just history. DMYTRO M.: Among the events which took place in Ukraine this battle is the most important one. Not only, because there was a collision of two strong empires, but because of the difficult situation among people of Ukraine at that time. Concerning the European context… well, I’m not a historian, I can´t tell you anything about how the battle effected Europe. LUDMILA N.: Without any question, for Ukraine the Russian victory in the Poltava battle brought a twofold result. Peter I executed the betrayers, mostly Zaporozhian Cossacks, who had let themselves be talked around by Mazepa. However, after the battle Ukraine joined with the mighty empire Russia, which in my opinion was a good outcome for Ukraine.

4. What do you think was the contribution of Ukrainians to the Battle of Poltava? ANDRIY A.: Well, when I was a boy I believed in Ukrainian Cossacks’ heroism, but now they are like pirates for me. They were mercenaries in the Battle of Poltava, thus, their main aim was exploitation and personal benefit. No matter, on what side they fought. Neither Russia nor Sweden trusted them, so as a result their role in this battle was insignificant. WITALIJ G.: At that time there was no division of the states Russia and Ukraine. There was one Russian Empire fighting against Sweden. And this war was won by Peter. That´s it. DMYTRO M.: It seems to me, that Ukrainians played a very small role in the battle. It can be assumed that this battle would have taken place without Ukrainians, too, and also the outcome would have been the same. LUDMILA N.: Well, naturally there was made a contribution of all those, who battled on the side of Peter I. They won.

5. What do you think about Peter the Great and Charles XII? ANDRIY A.: Peter I has cut “a window to Europe”. He is still known as the great reformer. He was a rigid ruler, but I think this was necessary for Russia, and of course for Ukraine, too, because we were a part of it. Charles XII was a good military leader. But maybe he was too young. WITALIJ G.: I cannot tell you much about Charles. I can tell you only about Peter. He was a Tsar who did his best for Russia.

LUDMILA N.: From my point of view, a betrayer remains a betrayer. Many believe that he fought for Ukraine´s independence. But you shouldn´t forget that he kissed a cross to show his loyalty to Peter I. Maybe Mazepa really fought for Ukraine, but still, he betrayed Peter I.

7. How was the battle commemorated before 1991 and what did you learn about it in school?

DMYTRO M.: I think Peter was a progressive monarch who did a lot for the Russian empire. Peter was a cult person of that time. About Charles I can say that he was just too young, too young to be a monarch.

ANDRIY A.: The Revival of Russia as a powerful state started after the Battle of Poltava. That is the quintessence of what we learned in school. While today Mazepa is a positive figure for most Ukrainians, in earlier days nobody thought of him. I personally see this development rather negatively. I am not a Mazepa–Fan, although I consider myself a Ukrainian.

LUDMILA N.: I consider Peter I a great man, a great sovereign and a great warlord. I guess Charles also was quite a good warlord. But he conducted the policy of grab. He understood his mistakes at the end, it seems to me.

WITALIJ G.: The USSR was a powerful state, and we were part of it. Of course, this had a great impact on our society. It is impossible that in near future in Ukraine there could succeed a country–wide nationalization and ukrainization.

6. What does Mazepa mean to you? ANDRIY A.: I don’t like Mazepa at all. He achieved power with the help of intrigues, treachery and bribe, and he wrote denunciations about another hetman. He had his chance to become an immortal person, but he didn’t take it. WITALIJ G.: It’s just history. Everyone looks at history how it is favourably to him. In general it is difficult to judge a historical person. I do think that everyone who is in a prominent position in a country tries to do something good for the state.

DMYTRO M.: Before 1991 I, as everybody else in our country, studied strictly according to the Soviet curriculum. When after 1991 we were allowed to read other books, the time of “opened eyes” began. In schools however, there were disagreements among teachers, so children were taught differently. Some students learned to love Mazepa, others to hate him. LUDMILA N.: We were taught to be proud! This battle was our pride. These monuments were sacred in our eyes. In our schoolbooks the Poltava battle was described as our national victory, similarly to the victory in the Great Patriotic War. And then after 1991 the attitude somehow began to change slowly, the writing about history has changed. No further comment.

DMYTRO M.: I can openly say that to me Mazepa is a hero. I’m a patriot of Ukraine. Mazepa has resurrected the national idea in our society. He wanted to achieve independence for our country. About the person Mazepa I know that he was well educated and that he did a lot for education and culture in Ukraine.

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„9. Oral History – Poltawaer im Gespräch“

8. In what way has your opinion changed over the years? ANDRIY A.: Well, today the general perception of history in Ukraine is mostly anti–Russian. But history should be more or less objective. For example, the Holodomor. It is true, people died in our Ukrainian villages, but they also died in Russian ones. To blame Russia for committing genocide against Ukrainians is absolutely silly.

10. How do you experience the preparations for the 300th anniversary of the Battle of Poltava (media)?

WITALIJ G.: Of course, the independence of Ukraine is great. But it is also a matter of fact that in Soviet times we never had heard anything about inflation. Ukraine is in a condition of crisis.

ANDRIY A.: I think our government is not doing enough for the commemoration of this event. I support the idea of joined festivities with Russia. Maybe it will strengthen our relationship. But many people in Ukraine are in an anti–Russian mood. That is why joint festivities could be dangerous.

DMYTRO M.: Right after the independence we were in a state of euphoria. But under the influence of this euphoria we have started to idolize all which is anti–Russians. Sad but true: We are not pro–Ukrainians, but namely anti–Russians. LUDMILA N.: Of course things and attitudes have changed after 1991. Till 1991 people were convinced that Mazepa was a betrayer. 1991 Mazepa was printed on notes. However, for me Mazepa remains to be a betrayer.

9. What do you think about the commemoration of the Battle today? Should there be a change? ANDRIY A.: I think we should celebrate the 300 th anniversary in a big way. In my opinion we should commemorate all warriors, the Russians as well as the Swedish. WITALIJ G.: The up–coming anniversary is a very serious date. We should commemorate that day, even during the actual time of economic crisis. DMYTRO M.: I think there is nothing “to celebrate”. The result of the battle can be seen as tragedy for Ukrainians. The word “to commemorate” in the given situation comes much better.

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LUDMILA N.: I think that the 300 th anniversary will be a grandiose show. Already from the on–going preparations you can tell that it is going to be a magnificent spectacle.

WITALIJ G.: It is necessary to restore the museum, the monuments and the battlefield. Additionally, money is needed for a good celebration.

11. What do you expect from this event? How would you organize it if you were in charge of the preparations? ANDRIY A.: I expect a lot of tourists and representatives of different countries to come. I think it would be great to show a new film about the Poltava battle at the commemoration as well as a theatrical performance. WITALIJ G.: All visitors come from civilized countries. That´s why I think it will be a peaceful commemoration, in spite of the fact that everyone will have another point of view on history.

DMYTRO M.: I was present on the victory–day of the Americans at the Second World War. They celebrated in a silent way. There you can´t find this grandiosity which is typical for us.

DMYTRO M.: I think that all the discussions going on will end at one big table. There will be conferences of historians where everyone will stick to his/her own view in order to show that his/ her opinion is the only correct one.

LUDMILA N.: Well, especially in the Poltava press they write constantly about the up–coming 300th anniversary, but also the media at state level writes quite a lot. In the television, however, we see nothing. Well, when the celebrations will begin, we probably will see more.

LUDMILA N.: I expect the arrival of many guests, a big holiday, a great spectacle. If I were in charge, I would organize a reenactment of the battle. At the end of the reenactment, I would have Peter I addressing the inhabitants of Poltava. I would present this moment in a very bright, beautiful, colorful way.


„9. Oral History – Poltawaer im Gespräch“

„Nun, Mädels, was kann ich euch noch dazu erzählen?“ Ein Oral History – Interview Von Julia Rybatschok (Übersetzung: Madlene Bruder)

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in Interview ist keine leichte Aufgabe, insbesondere, wenn man sich das erste Mal daran versucht und kein Journalist ist. Vor dem Interview war Julia deshalb enorm aufgeregt… Bis sie Tamara Wladimirowna sah und sofort wusste: Das wird toll!

Die ganze Zeit bis zum Interview war ich unglaublich nervös und aufgeregt, schließlich muss man erstmal einen Zugang, obendrein den einzig richtigen, zu einem fremden Menschen finden, wenn man ihn in ein angenehmes, ungezwungenes Gespräch verwickeln möchte. Aber all meine Vorstellungen eines Scheiterns mit Pauken und Trompeten verflogen, als ich Tamara Wladimirowna sah… Sie lächelte liebenswürdig und sprach mit ihren Kollegen über irgendetwas, während sie ihrer Arbeit als Pförtnerin in einem Studentenwohnheim nachging. Noch vor unserem Treffen war Tamara Wladimirowna unsicher und lehnte es anfangs, trotz der Terminvereinbarung, sogar ab ein Interview zu geben, doch mir und meinen Journalistenkollegen gelang es sie umzustimmen und so begannen wir, auf einem gemütlichen kleinen Sofa Platz nehmend, gemächlich unsere Unterhaltung. Von der ersten Gesprächsminute an überraschte mich Tamara Wladimirowa mit ihrem einfachen Gemüt, ihrer Offenheit und ihrem Sinn für Humor. Mir kam es vor, als würde man sich mit seiner eigenen Großmutter und nicht mit einem wildfremden Menschen unterhalten. Es war sehr schön, dass eine gewöhnliche Pförtnerin, die kein einfaches Schicksal (früh die Mutter verlor, Krieg, Holodomor 1947 und die 1950er Jahre überlebte) und dazu nur eine mittlere Schulbildung (sie schloss die Schule Nr. 6 in Poltawa ab) hat, so viel über all das weiß, was ich in den letzten Monaten intensiv studiert habe. Tamara Wladimirowna beantwortete mir mit Leichtigkeit meine Fragen nach Iwan Masepa oder Peter dem Großen und wusste darüber hinaus auch wie die Erinnerung an die Schlacht bei Poltawa in der Sowjetunion unsterblich wurde und wie dieses Ereignis in der heutigen Zeit gefeiert werden sollte. Nur manchmal sagte sie, in Gedanken versunken und mit auf die Seite gleitendem Blick: „Nun, Mädels, was kann ich euch noch dazu erzählen?“, – aber nur wenige Sekunden später hatte sie unbedingt noch etwas hinzuzufügen. Sei es nur um ihrer Geschichte Willen, vielleicht kam sie damit sogar vom Gesprächsthema ab, aber ihr nicht zuzuhören wäre unmöglich gewesen. Die Augen, die Stimme, die Bewegungen der Hände Tamara Wladimirowas – alles zeugte davon, dass ihre Worte mit großer Aufrichtigkeit einhergingen und von ganzer Seele kamen.

Alles Unbekannte ist immer verlockend und anziehend, darum konnte ich nicht ablehnen, als sich mir die Chance bot mich in der Rolle einer ernsthaften, professionellen Journalistin auszuprobieren. Wer weiß, vielleicht habe ich Glück und alles läuft ausgezeichnet. Außerdem sagt man, probieren geht über studieren [russ.: „все что знаешь – за плечами не носишь“; dt.: alles was du weißt, trägst du nicht auf den Schultern].

In einer Stunde persönlichen Gesprächs erzählte sie uns so viel, dass es für zehn solche Interviews gereicht hätte. Es machte ganz den Eindruck, dass ein Mensch dir seine Seele öffnet ohne dabei für nur eine Minute sich selbst untreu zu werden. Meine gute Laune wurde jedoch ein wenig von technischen Störungen überschattet (aus irgendwelchen Gründen weigerte sich das Aufnahmegerät das Gespräch aufzuzeichnen) und von dem Ort, an dem wir das Interview machten. Unklugerweise führten wir

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„9. Oral History – Poltawaer im Gespräch“ es direkt an Tamara Wladimirowas Desk in der Eingangshalle des Studentenwohnheims Nr. 2 der Poltawaer Universität für Wirtschaft und Handel. Darum war es nicht verwunderlich, dass hin und herlaufende Studenten und diensthabende Lehrer meine Gesprächspartnerin immer wieder ablenkten. Aber sie, ganz vergessend, dass sie in eine ernste Angelegenheit verwickelt ist, teilte schnell ihr „Guten Tag“, „Auf Wiedersehen“, „kommen Sie – kommen Sie“, „ja, natürlich“, „Sie können das Fenster öffnen, aber kommen Sie nicht auf den Gedanken sich auf das Fensterbrett zu setzen“ und beliebige andere Floskeln aus, die eine Pförtnerin während ihrer Dienstpflicht eben sagen sollte. Ja und mir selbst, einer „Anfängerjournalistin“, unterliefen manchmal auch Fehler, was aber im Übrigen ruhig so sein sollte, denn schließlich bin ich keine Zauberin, ich bin Studentin…

Die Zeit verflog unbemerkt, dabei gab es noch so vieles, was ich gern gehört und erfahren hätte, aber leider geht alles einmal zu Ende. Wie dem auch sei, das Gespräch mit einer so lustigen, ehrlichen Frau wie Tamara Wladimirowa machte mir jede Menge Spaß. Ich erhielt die unschätzbare Möglichkeit, eine Unterhaltung mit einem Menschen aus einer anderen Generation zu führen, das bedeutet mit einer anderen Weltanschauung, Gedanken und Ideen, die Tamara Wladimirowa so großzügig mit mir teilte. Ich freue mich sehr, dass es auf der Welt noch Menschen gibt, die man so vieles fragen kann und die tatsächlich etwas darauf antworten können. Tamara Wladimirowa ist einer von ihnen! P.S. Mir gefiel die Rolle der Journalistin sehr und ich hoffe, dass mein nächstes Interview genauso interessant sein wird dieses!

SUMMARY “Well, Girls, what can I add to?” – An Oral History – Interview By Yulia Rybachok

Within the context of the Poltava–Project Yulia Rybachok got the chance to slip into the role of a journalist. She agreed to do the job of an interviewer, even though she was nervous and a little bit afraid. But all her fears and worries vanished when she had seen Tamara Vladimrovna. Tamara works as a janitor in a dormitory. It took a lot of convincing until she decided to give the interview. But the moment the conversation had started she forgot about her doubts. Tamara was well informed about the battle and had no problems to answer Yulias questions concerning Mazepa or Peter I. Furthermore, she knew a lot about commemoration in Soviet times and had a precise vision of how this event should be celebrated nowadays. The interview lasted an hour. During this period, Tamara switched to other, more personal topics from time to time. Nevertheless, Yulia was enthusiastic about her counterpart and the result of the conversation. As Yulia mentioned she got enough information to fill ten other interviews with it. A successful performance – in spite of the unfrugal circumstances. The interview was held in the entrance hall of a dormitory. Consequently, Tamara was frequently interrupted by students and teachers pacing around. Moreover, the voice recorder did not work. However, Yulia had fun to talk to an impressive woman such as Tamara – and is grateful for that experience.

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10. Das 300. Jubiläum in Poltawa Gedenken oder Feiern?

Petro, Elena und Neele berichten über ein Jubiläum im Kreuzfeuer zwischen widerstreitenden historischen Interpretationen, parteipolitischen Auseinandersetzungen und extremen Wetterbedingungen…

The 300th Anniversary Commemorate or Celebrate?


„10. Das 300. Jubiläum in Poltawa – Gedenken oder Feiern?“

Der 300. Jahrestag der Schlacht bei Poltawa – Im Zeichen der Versöhnung? Von Petro Martschenko (Übersetzung: Sara Andersch)

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in und dasselbe historische Ereignis wird von Russen und Ukrainern sowie auch innerhalb der Ukraine gegensätzlich interpretiert und bewertet. Die anhaltenden Kontroversen warfen einen Schatten auf das bevorstehende Jubiläum und machten die Arbeit der Organisatoren zweifellos zu einer Herausforderung. Ist es ihnen gelungen, mit ihrem Jubiläumsprogramm den beiden widerstreitenden historischen Auslegungen gerecht zu werden?

Ein Vorwort zu Geschichte und Gedenken Jede Epoche bringt neue Werte, eine neue Politik und auch ein neues geschichtliches Verständnis hervor. Zu verschiedenen Zeiten können somit verschiedene Interpretationen ein und desselben historischen Ereignisses bestehen. Hierbei orientiert sich die Art und Weise der Darstellung am Nutzen, die sie der jeweiligen Regierung und/oder Gesellschaft bringt. Daher sollte der Begriff „Geschichte“ subjektiv verstanden werden. Dies gilt auch für die Begriffe „Gedenken“ und „Erinnerung“. Zudem gibt es von vielen historischen Ereignissen keine Zeitzeugen mehr, die uns einen Bericht über die Geschehnisse liefern könnten. Und selbst wenn sie noch am Leben wären, so würde alles, was sie erzählten, ebenfalls lediglich ihre subjektiven Eindrücke der Ereignisse vermitteln. Es gibt so viele Erinnerungen und Meinungen wie es Menschen gibt. Neben Zeitzeugen können uns Quellen aus Archiven, Museen, Bibliotheken und Zeitungen Informationen zu vergangenen Ereignissen liefern, aber auch diese Quellen sind in der Regel nicht authentisch. So sind Bücher, Aufsätze und Artikel von Menschen geschrieben, die das Ereignis von ihrem persönlichen Standpunkt aus beschreiben und dabei bewerten. Sogar Museumsexponate können verschieden gedeutet werden. Kurz, es gibt nur ein objektives Konzept der Vergangenheit, nämlich die Vergangenheit selbst. Wir wissen, welche Ereignisse stattgefunden haben, aber das war`s dann auch schon. Alles Übrige bietet mehr oder weniger Anlass für Interpretation.

Ein historisches Ereignis – zwei Bewertungen Es gibt, was die Bewertung der Schlacht von Poltawa angeht, radikal unterschiedliche Standpunkte. Im Vorfeld des 300. Jahrestags der Schlacht wurde diese dramatische Kollision unterschiedlicher Bewertungen ein und desselben Ereignisses so deutlich, dass sogar die für den 27. Juni 2009 geplanten Feierlichkeiten auf der Kippe standen.

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Im Oktober 2007 verfasste der ukrainische Präsident Wiktor Juschtschenko ein Dekret „Über die Feierlichkeiten anlässlich der militärisch–politischen Offensive des ukrainischen Hetmans Iwan Masepa und der Gründung einer ukrainisch–schwedischen Union vor 300 Jahren“ (Ukaz Presidenta Ukraini № 955/2007). Laut diesem Dokument wird die Schlacht bei Poltawa von den Ukrainern, zumindest von Seiten der Regierung, als der Beginn eines militärischen Bündnisses zwischen Schweden und der Ukraine gegen das Russische Reich interpretiert. Dieses Dekret ließ vermuten, dass der 300. Jahrestag in Poltawa von ukrainischer Seite in einem patriotischen Gebaren begangen werden würde: Als Würdigung des Bestrebens Masepas einen unabhängigen ukrainischen Staat zu errichten und (unter Berufung auf das ukrainisch–schwedische Bündnis von 1709) des Beginns einer europäischen Integration der Ukraine. Die russische Regierung reagierte, wenig verwunderlich, äußerst kritisch auf Juschtschenkos Dekret und auf die Pläne der Ukraine für den Gedenktag (Pavlenko 2009). Auf russischer Seite war geplant, diesen Tag als Siegestag der Russen über die schwedischen Invasoren zu begehen (Grigor’ev 2009). Dies macht deutlich, dass die beiden Länder ein und dasselbe historische Ereignis mit vollkommen gegensätzlichen Ideologien assoziieren.

Masepa – eine widersprüchliche Figur in der heutigen Ukraine In den Monaten vor den geplanten Feierlichkeiten prallten die unterschiedlichen Standpunkte wiederholt aufeinander und zwar nicht nur zwischen Russland und der Ukraine, sondern auch innerhalb der Ukraine. Vor allem Hetman Masepa ist und bleibt eine kontroverse Figur in der Ukraine. Diese Uneinigkeit innerhalb der ukrainischen Bevölkerung kann auch als das Aufeinanderprallen unterschiedlicher Erinnerungskulturen gesehen werden. Laut einer Umfrage eines unabhängigen ukrainischen Meinungsforschungsinstituts, der „Research&Branding Group“, vom April 2009 sieht ein Drittel der Ukrainer (vor allem die jüngere Generation) in Masepa einen Mann, der für die Unabhängigkeit der Ukraine gekämpft hat – analog zu den


„10. Das 300. Jubiläum in Poltawa – Gedenken oder Feiern?“ offiziellen Äußerungen von Präsident Juschtschenko und den Darstellungen in den Schulbüchern. Ein weiteres Drittel (vor allem die ältere Generation) sympathisiert mit Russland, indem sie Masepa für einen Verräter hält, der sich den feindlichen Truppen angeschlossen hat. Das letzte Drittel war unentschlossen oder gleichgültig gegenüber der Masepa–Thematik (Website R&B Group). Betrachtet man diese gegensätzlichen Meinungen, liegt ein Vergleich mit der Situation des Sommers 1709 nicht fern, als einige der Kosaken Masepa folgten, während die anderen auf der Seite Peters I. kämpften.

Die Vorbereitungen zur 300–Jahrfeier und ihre überraschende Wende Kurz vor dem Jahrestag erfuhren die Vorbereitungen in Poltawa eine überraschende Wende. Der Bürgermeister von Poltawa, Andrej Matkowskij, und das offizielle Organisationskomitee veröffentlichten eine Meldung, wonach es notwendig sei, die Ereignisse um den Jahrestag der Schlacht bei Poltawa zu entpolitisieren (Priven 2009). Damit wurde das Programm der Gedenkfeier am 27. Juni ins Zeichen der Versöhnung gestellt. Kurz vor der Veranstaltung wandte sich der Bürgermeister von Poltawa wiederholt über die Medien an die ukrainischen Nationalisten und bat sie, die rund 30.000 erwarteten russischen Gäste friedlich zu empfangen und Konflikte zu vermeiden (Cenzor.Net 29.05.2009). Auch die noch im Frühjahr 2009 lang diskutierte Errichtung einer dem Hetman gewidmeten Statue wurde vertagt. Erst Ende August, nach dem Trubel der Gedenkfeiern, beschloss der Poltawaer Stadtrat unauffällig den Bau des Denkmals, das 2010 auf dem Domplatz aufgestellt werden soll. Während der Zeit des 300. Jubiläums hätte dieser Beschluss eine internationale Öffentlichkeit erreicht und sicherlich zu weiteren Spannungen mit Russland beigetragen. Durch den Aufschub der Entscheidung über den Denkmalbau konnte dies vermieden werden.

Die 300–Jahrfeier: Im Zeichen der Versöhnung? Insgesamt rund 60.000 Menschen (darunter 30.000 Touristen aus verschiedenen Ländern, die am Nordischen Krieg beteiligt waren) besuchten die Veranstaltungen der 300– Jahrfeier in Poltawa am 27. Juni 2009. Die Feierlichkeiten begannen mit einer morgendlichen Andacht in allen Kirchen der Stadt. Danach wurden Kränze und Blumen an allen Gedenkstätten der Schlacht niedergelegt, gefolgt von einer Prozession entlang der Hauptstraßen von Poltawa. Als Höhepunkt des Programms wurde auf dem Schlachtfeld ein „Mahnmal der Versöhnung“ in Gedenken an die Soldaten aller Nationen, die in der Schlacht gefallen waren, eingeweiht. Die Einweihung wurde von offiziellen Ansprachen aus der Ukraine, Russland, Schweden und Polen begleitet (diese wurden entweder von Regierungsvertretern oder Vertretern der jeweiligen Botschaften gehalten). Die Programmpunkte des Nachmittags und Abends beinhalteten eine Nachstellung der Schlacht und eine Modenschau mit Kostümen des frühen 18. Jahrhunderts (neu im Jeanslook designt). Zusätzlich zu diesem Veranstaltungsprogramm des 27. Juni wurden im ganzen Juni und Juli wissenschaftliche Konferenzen im örtlichen Veranstaltungszentrum abgehalten und eine Vielzahl von Ausstellungen

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„10. Das 300. Jubiläum in Poltawa – Gedenken oder Feiern?“ und Dokumentationen gezeigt. Das Versöhnungsmotto, unter dem die Gedenkfeier zum 300. Jahrestag stand, spiegelt sicherlich das Bemühen der lokalen Regierung zu einem friedlichen Miteinander der Nationen, die seinerzeit in die Schlacht von 1709 involviert waren, wider. Trotz allem: Der Schein trügt. Tatsache ist, dass fast 1.000 Soldaten und Polizisten während der Veranstaltung präsent waren, um Ruhe und Ordnung zu gewährleisten. Der Streit um die Bedeutung der Schlacht von Poltawa wird sicherlich weitergehen – sowohl zwischen der Ukraine und Russland als auch innerhalb der Ukraine. In der Poltawaer „Schlacht“ von 2009 geht um das Recht auf eine eigene Geschichtsinterpretation. Es scheint, dass es noch lange dauern wird, bis alle Seiten akzeptieren, dass jede Münze zwei Seiten hat und jede Seite der anderen ihre eigene Sicht zugestehen wird.

SUMMARY The 300th Anniversary of the Battle of Poltava – Conflicting Historical Interpretations Reconciled? By Petro Marchenko

Russians and Ukrainians have radically opposing opinions about the same historic site, which made the work of the organizers of the anniversary program quite a challenge. The Ukrainian president Yushchenko interpreted the battle of Poltava as a beginning of a military alliance between Sweden and Ukraine against the Russian empire. From this could follow that the 300 th anniversary would be celebrated in a patriotic Ukrainian way: as a celebration for the hetman Mazepa’s aspiration to regain independence for Ukraine and the beginning of its European integration. Russia, however, planned to proudly celebrate the day of its military victory and the defeat of the Swedish invaders. In the months before the anniversary there was not only a discussion between Ukraine and Russia, but also within the Ukraine itself: Hetman Mazepa remains a controversial figure. You could also say that it is a clash of different cultures of remembrances, because there is one third of the population, mainly the younger part, who sees Mazepa as “a man who fought for the independence of Ukraine” – analogically to the official statements. Another third of Ukrainians, mostly the older generation, shows sympathies with Russia and a last third is just undecided. Shortly before the anniversary the mayor of Poltava issued a statement that the events need to be depoliticized. The commemoration program on the 27th of June was themed in the spirit of reconciliation. So among other things the main part of the anniversary was the opening of the “Rotunda of Reconciliation”. But even if the festivities were very peaceful, the wrangle on the meaning and significance of the battle of Poltava will certainly go on – between Ukraine and Russia as well as within the Ukraine.

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„10. Das 300. Jubiläum in Poltawa – Gedenken oder Feiern?“

Politische Kämpfe um die Schlacht bei Poltawa – 300 Jahre danach Von Olena Kobsar (Übersetzung: Sara Andersch)

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m Frühjahr 2009 fand sich die kleine ukrainische Stadt Poltawa im Zentrum der großen Politik wieder, und zwar im Zusammenhang mit dem 300– jährigen Jubiläum der Schlacht bei Poltawa. Wie konnte es dazu kommen? Vor allem dadurch, dass um die historische Schlacht politische Kämpfe auf verschiedensten Ebenen geführt wurden – auf internationaler (zwischen Russland und der Ukraine), auf nationaler (zwischen der West – und der Ostukraine), parteipolitischer (zwischen dem Block des Präsidenten Juschtschenko und dem Block von Premierministerin Julia Timoschenko) und auf verwaltungstechnischer Ebene (zwischen der Gebiets – und der städtischen Administration).

Abb. 27

Während sich Russland für den Sieger der Schlacht Die Jubiläen zur Zaren– und Sowjetzeit und damit auch für den Befreier der Ukraine hält, kommt die ukrainische Geschichtsschreibung zu einem anderen Schluss: Die ukrainischen KosaSchauen wir aber zunächst kurz ins Geschichtsbuch: Das 100–jährige Um das Jubiläum der ken wurden vom Zarenreich unterdrückt. Im Verlaufe des Großen NordiJubiläum der Schlacht wurde kaum gefeiert, weil in Russland weder morahistorischen Schlacht 1709 schen Krieges wandte die Armee Peters I. auf ukrainischem Territorium lische noch materielle Ressourcen dafür zur Verfügung standen – man entbrannten mehrere politische die Taktik der „verbrannten Erde“ an (Serhiyčuk 1999: 17). Als Zeichen des befand sich im Krieg, zunächst auf Seiten Napoleons, dann gegen ihn. Erst „Schlachten“ in 2009. Olena 1811 wurde im Zentrum der Stadt zu Ehren der siegreichen Poltawaer Kobsar hat sie verfolgt und Protestes gegen solch ein ungerechtfertigtes Verhalten gegenüber ihrem Schlacht ein Denkmal enthüllt, die Siegessäule mit dem goldenen Adler zeichnet sie hier nach… Volk liefen der Hetman Iwan Masepa und ein großer Teil seiner Kosaken (250 rokiv Poltavskoji bitvi 1959: 165). Dafür wurde das 200–jährige Jubiläum zu den Schweden über (ebd.: 18). Peter, der über diesen „Verrat“ Masepas in prächtig und groß begangen: Im Jahr 1909 wurden auf dem Schlachtfeld viele Wut geriet, machte die Residenz der Kosaken, Baturin, mitsamt Frauen und Denkmäler errichtet, die noch heute zu den bekanntesten in der Stadt zählen: Kindern dem Erdboden gleich (ebd.: 20). Außerdem exkommunizierte die Orthodas Denkmal für den Oberst Kelin (Denisovec/Loburec 1984: 47), die Peter–Statue (ebd.: doxe Kirche Masepa (ebd.: 21). In den folgenden Jahren und Jahrhunderten fiel der Het80) sowie die Denkmäler für die gefallenen Schweden, von dem eins von russischer und man in der russischen und sowjetischen Geschichtsschreibung dem Vergessen anheim. eins von schwedischer Seite erbaut wurde (250 rokiv Poltavskoji bitvi 1959: 165). AußerDeshalb war es auch nach 1991 für die Mitarbeiter des Poltawa–Museums so schwierig, dem wurde 1909 das Museum zur Schlacht eröffnet (Denisovec/Loburec 1984: 80). Solch ein Porträt des in Ungnade gefallenen Masepa zu finden und auszustellen (im ersten eine großangelegte und effektvolle Feier des russischen Sieges und der Stärke der rus„Masepa–Porträt“, das man aus Schweden bekam, erkannten Wissenschaftler einen litausischen Armee war zu der Zeit nötig, um den Kampfgeist der Soldaten zu erhöhen, ischen Fürsten). Im Zusammenhang mit der modernen ukrainischen Geschichtsschreidie noch müde von der Niederlage im russisch–japanischen Krieg waren. Selbst der bung ergab sich die Frage, was die Schlacht bei Poltawa für die Ukraine bedeutet: Sieg Zar reiste extra an. Und auch der 250. Jahrestag, der in die „Tauwetterperiode“ unter oder Niederlage, Triumph oder Tragödie? Diese Frage war insbesondere im Frühjahr Chruschtschow fiel, wurde mit Salutschüssen und einem Feuerwerk begangen (250 rokiv 2009 von Bedeutung, als beantwortet werden musste, wie das Festprogramm zum 300– Poltavskoji bitvi 1959: 122). Damals, zur Zarenzeit und in der Sowjetunion, war noch alles jährigen Jubiläum vorbereitet werden sollte. eindeutig – ein Land und ein Sieg, den es zu feiern galt.

Die Bedeutung der Schlacht für die unabhängige Ukraine Nach 1991 änderte sich die Situation, denn ein neuer Staat betrat die politische Arena: eine unabhängige Ukraine mit eigener nationaler Idee und einem eigenen Selbstbildnis.

Die Vorbereitungen zum Jubiläum Im Zuge dieser eher politischen denn historischen Debatten wurde die Entscheidung getroffen das Jubiläum nicht als Siegesfeier, sondern als Gedenkfeier für die Gefallenen zu begehen (Ukaz Presidenta 192/2007: 16). Man beschloss weiterhin, die Feiern auf

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„10. Das 300. Jubiläum in Poltawa – Gedenken oder Feiern?“ regionaler statt auf staatlicher Ebene auszurichten, weil der Partei des Präsidenten klar wurde, dass die Schlacht in der Ukraine selbst ein zu umstrittenes und heikles Thema ist und deshalb für staatliche Erinnerungspolitik – also das Schaffen von nationaler Identität – nicht geeignet wäre. Zwei Jahre zuvor allerdings, als eine staatliche Kommission zur Vorbereitung des Jubiläums einberufen wurde, plante man die Feiern noch groß und prachtvoll. Es wurde von Versöhnung gesprochen, von der Teilnahme des schwedischen Königs und der Präsidenten Russlands und der Ukraine an der Feier und die Errichtung von Denkmälern für Karl XII. und Iwan Masepa, die bisher von den Historikern übergangen wurden (Kosyčenko 2007: 7), wurde ins Auge gefasst. Es war desweiteren geplant gewesen, die Schlacht mithilfe von Gardetruppen zu rekonstruieren. Gegen dieses Vorhaben wandten sich allerdings russische nationalistische Organisationen, die damit drohten zur Feier anzureisen und die „historische Gerechtigkeit“ wiederherzustellen. Daraufhin wurden auch die ukrainischen Nationalisten aktiv, welche die Schlacht bei Poltawa als eine Tragödie des ukrainischen Volkes betrachten. Spätestens an dieser Stelle entbrannte nun eine Vielzahl von „Schlachten“. Innerhalb der folgenden zwei Jahre (2007–2009) verschlechterten sich die Beziehungen zwischen der Ukraine und Russland wegen der „Gasfrage“ und territorialer Ansprüche auf der Krim rapide. Was das Verhältnis zu Russland, zur EU und zur NATO angeht, kamen die westliche und die östliche Ukraine nicht zu einer gemeinsamen Position. Und der Abb. 28 Kampf zwischen den politischen Parteien verstärkte sich zusehends: die früheren Gefährten der Orangen Revolution schienen keine gemeinsame Stimme mehr zu finden und wurden zu Gegnern. In Anbetracht all dieser Faktoren also begann die Mannschaft des Präsidenten nicht mehr von einer großen Feier des anstehenden historischen Datums, sondern von einem festlichen Begehen im kleinen Rahmen zu sprechen. Deshalb waren dann auf dem Festakt auch keine Persönlichkeiten „ersten Ranges“ zugegen, sondern nur ihre Vertreter. Die Rekonstruktion der Schlacht wurde eilig vom örtlichen Theater vorbereitet. So gestaltete sich die „grandiose Feierlichkeit“ nicht national, sondern regional. Aber auch auf dieser regionalen Ebene kam es zu „Kämpfen“. So gab es zwischen der Stadt und der Gebietsregierung einige Meinungsverschiedenheiten verwaltungstechnischer Art; Einflusssphären und Zuständigkeiten konnten nicht untereinander aufgeteilt werden. Leuchtendes Beispiel dafür war die Episode mit der Büste Karls XII., einem Geschenk Schwedens zum Jubiläum. Die Gebietsadministration, welche die Büste als so genannte „humanitäre Geste“ erhielt, erlaubte der Stadt nicht, sie auf ihrem Territorium aufzustellen, zu dem auch das Schlachtfeld als historischer Denkmalkomplex

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gehört. Nach langwierigen Debatten in der Presse wurde die Büste dann „geräuschlos“ im örtlichen Heimatmuseum aufgestellt (Website der Stadt Poltawa).

Das Jubiläum – Gedenkfeier mit Gewinn Nichtsdestotrotz begingen die Bewohner von Poltawa das historische Ereignis würdig. Und ungeachtet dessen, dass 60.000 Menschen das historische Schlachtfeld besuchten und nationale Zugehörigkeiten und politische Positionen durch Kleidung und Accessoires offen zur Schau gestellt wurden, gab es keine größeren Konflikte. Sie waren auch gar nicht möglich – 878 Polizisten sorgten für Ordnung während der gesamten Veranstaltung, auf den Konzerten in der Stadt, bei der Eröffnung des Denkmal–Hains und bei der Inszenierung der Schlacht. Außerdem setzten die unzähligen Stände mit ukrainischen Speisen und Getränken die ausländischen Besucher ebenso in Erstaunen, wie die für sie unverständlichen Feinheiten der slawischen Sprachen. Wo letztlich der Unterschied zwischen „feiern“ und „begehen“ besteht, konnten sie nicht verstehen und sie fragten sich: Wenn man hier ein Fest schon in dieser Art „begeht“ – wie sieht es erst aus, wenn man „feiert“?! In all diesen politischen Kämpfen gewann letztlich die Stadt. In Erwartung der zahlreichen Jubiläumstouristen wurden in der Stadt neue Hotels und Restaurants eröffnet. Die Unternehmer verdienten am Jubiläum nach Berechnungen des Bürgermeisters A. W. Matkowskij 200 Millionen Hrywnja (ebd.). Und obendrein ergaben sich viele neue Eindrücke und Freundschaften nicht nur mit den Nachbarstaaten, sondern auch mit fernen Ländern. Insofern scheint die Versöhnung nach 300 Jahren zustande gekommen zu sein.


„10. Das 300. Jubiläum in Poltawa – Gedenken oder Feiern?“

SUMMARY The Political “Battles” of 2009 By Olena Kobsar

In connection with the 300–year–anniversary of the Battle of Poltava, the small Ukrainian town Poltava took centre stage in several political discussions. These political fights took place on at least four different levels – an international (between Russia and Ukraine), a national (between the Western and the Eastern part of Ukraine), a party political (between the group around the Ukrainian President Yushchenko and the supporters of Prime Minister Yulia Tymoshenko) and on an administrative level (between the regional and the municipal administration). Let`s have a look in the history book first: While the 100–year–anniversary did not attract a lot of interest and was commemorated on a small scale, the bicentenary was celebrated enthusiastic and gloriously, the same case in 1959 (250th anniversary). In late tsarist Russia and the Soviet Union the circumstances were well–defined – there was one country and one victory to be celebrated. The situation changed after 1991. The independent Ukraine practices another historiography than Russia does. Contrary to the Russian point of view many Ukrainians perceived the Russian rule as a repression. One of the most controversial issues in this discussion is the role of Ivan Mazepa. For many Ukrainians he represents a hero, the first man who claimed independence for his country and fought for this goal. In contrast the pro–Russian descriptions stigmatise Mazepa as a traitor. As a result, the organisers of the anniversary faced the question: How to reconcile these opinions? How to design the jubilee? Yet in 2007 the event was planned as a huge and glamorous party. But in the following two years the relationship between Russia and Ukraine changed for the worse, caused by the gas affair. How to behave towards Russia, the EU and the NATO? This is just one question that divided not only the Eastern and Western parts of Ukraine but also the former supporters of the Orange Revolution. Because of these incidents the Ukrainian President decided not “to celebrate” but “to commemorate” the 300 th jubilee of the battle and its victims. Also, the event was downgraded from a national to a regional level. The “battles” continued anyway. Henceforth the debates dealt with administrative subjects. Nevertheless the commemoration of the Battle of Poltava succeeded. There were no noteworthy conflicts though 60.000 people from different nations visited the city and the battlefield – a reason for this might be the ubiquitous presence of policemen (878 Officers). Especially foreign visitors were surprised in a positive way about the Ukrainian manner to “commemorate” – if this event was “just” commemorated, how would a celebration look like?

Abb. 29

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„10. Das 300. Jubiläum in Poltawa – Gedenken oder Feiern?“

Das Gedenkfeiern – Hitze, Gewitter, Emotionen

Emotionales Gedenken

Offensichtlich ist es schwer, Soldaten zu gedenken, die bereits 300 Jahre tot sind. Es ist eine unpersönliche Geschichte, ein unpersönliches Erinnern. „HistoriVon Neele Wulff sche Daten sind für uns keine neutralen Fakten, sondern wir verhalten uns dazu s ist heiß. Unerträglich heiß. Auf den überfüllten Straßen in Poltawa emotional und affektiv, in Entsprechung zu bewegt sich nichts mehr. Menschen springen aus ihren Gefährten unseren persönlichen Näheverhältnissen.“ und laufen zu Fuß weiter. Sie wirbeln Staub auf, der sich auf die ver(Gstettner 2000: 1). Aus diesem Grund schwitzte Haut legt, die angestrengten Lungen verklebt. Schnell weiwerden Gedenkfeiern begangen. Das Ziel ter! Der Donner der Kanonen beschleunigt den Schritt. Man muss aufpassen, nicht ist die „Vergegenwärtigung“ dessen, was hinzufallen. Eine klassische Szene der Flucht. Am 27. Juni 2009. nicht in zu weite Ferne rücken soll. Offizielles Gedenken War es so, vor genau 300 Jahren, als die Armeen Schwedens und RusDie ist darum auch staatliche Wertevermittlung, es hat pädagogische Eleslands vor den Toren der kleinen Stadt aufeinander trafen? Flohen die Gedenkfeiern zum 300. mente. Kann die Simulation von Krieg, ein verbreitetes Element von Leute in schlecht organisierter Panik und verstopften dabei die StraJubiläum der Poltawaer Schlacht Schlachtengedenken, diesen moralischen Ansprüchen genügen? Ist ßen, bis niemand mehr voran kam? War es ebenso heiß? Verschwenstanden im Zeichen brütender Hitze. es wirklich ein geeignetes Mittel um Empathie hervorzurufen? Gibt dete damals im Chaos jemand einen Gedanken an die Soldaten in Für die Autorin hatten die extremen es nicht eine andere, authentischere Verbindung zwischen uns und ihren schweren Uniformen? Temperaturen einen beachtlichen Einfluss auf den Soldaten vor 300 Jahren? Es gibt sie. Es ist die Politik. „Die 300 Jahre später versammelt sich die Stadt samt internationaden Charakter des Events. Die Hitze ließ die Politik behält sich vor, die geschichtlichen Ereignisse selektiv zu len Gästen zum Gedenken. Der schlecht organisierte MenschenEröffnung der Rotunda eine ganze Ewigkeit betrachten und für das Wahlvolk eine der möglichen Versionen strom bewegt sich auf das Schlachtfeld zu. Die Busse fahren nicht dauern, die Nachstellung der Schlacht wirkte als ‚unsere Vergangenheit’ öffentlich zu präsentieren.“ (Gstettner mehr, die Taxis kommen weder vor noch zurück. In freudiger weniger dramatisch als das verstaubte Chaos auf 2000: 2). Hier ist der verbindende Zusammenhang, die Brücke Erwartung bewegt sich alles Richtung Schlachtenlärm. Am histodem Weg zum Schlachtfeld und das heftige zwischen Vergangenheit und Gegenwart unmittelbar, doch nicht rischen Ort soll eine Brücke in die Vergangenheit geschlagen werHitzegewitter machte aus einer öden weniger problematisch. Erwartet uns bei diesen Gedenkfeiern eine den. Das Interesse, auf Zeitreise zu gehen und in einem KampfgeModenschau ein faszinierendes Instrumentalisierung der Geschichte, ein politisches Theater, für die schehen anzukommen, ist offensichtlich riesig. Als wir zu viert – der Spektakel. Zuschauer emotional aufbereitet? Rest der Gruppe ist im Verkehrschaos verschwunden – das Schlachtfeld Am Morgen vor der Schlachtensimulation wurde an gleichem Ort eine erreichen, drängeln sich die Zuschauer bereits in mehreren Reihen um Rotunde zum Gedenken der bei der Schlacht Gefallenen eingeweiht. Diese dem „Reenactment“ beizuwohnen. In historischen Uniformen stehen sich Ruserste und förmlichste Veranstaltung im Rahmen der Gedenkfeiern war die einzig genuin sen, Schweden und Kosaken gegenüber. Doch das Drama, das sich vor unseren Augen politische. Misstrauisch mischt sich unsere Projektgruppe mit den Umstehenden. Es entfalten soll, ist eher ein Trauerspiel. Statisch und langsam bewegen sich die Bataillone sind wieder Soldaten anwesend, dieses Mal sind es richtige. In lockeren Haufen stehen über das Feld. Minuten verstreichen – ein Schuss, wieder Stille. Einfühlung wird so nicht sie unter den Zuschauern, als trügen sie keine Uniform. Disziplinierter geht es bei der erzeugt und ein Held ist nirgendwo zu sehen. „Viel zu klein. Zu klein für 300 Jahre“ – orthodoxen Geistlichkeit zu. Gravitätisch schiebt sie sich unter der brennenden Sonne bestätigt mir ein Junge im Getümmel der Zuschauer. Tauben fliegen auf und nun darf die in einer langen Prozession durch die Zuschauer Richtung Rotunde. Langsam, mit von Menge endlich auf den Acker strömen. Peter, mein ukrainischer Kommilitone, trifft seider Hitze zäh gewordenen Bewegungen dreht sie eine endlose Runde um das Mahnnen Nachbarn, einen schwedischen Soldaten und ich habe Mitleid mit Peters Nachbarn, mal. Dann bewegt sich die erstarrte Luft und die Nationalhymnen der an der Schlacht dass er so schwitzen muss. beteiligten Nationen werden gespielt. Dass die russische Hymne vor der ukrainischen vom Band läuft, wird als Fauxpas empfunden. Als die Hymne gespielt wird, für die das Herz der Mehrheit hier schlägt, steht fast keiner mehr ohne Hand auf der Brust. Laut und stolz wird gesungen. Und tatsächlich; mir wird bewusst, einer fremden Nationalität anzugehören, die ukrainischen Zuschauer werden eine Gemeinschaft.

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„10. Das 300. Jubiläum in Poltawa – Gedenken oder Feiern?“

Ein friedliches Familienfest? Für mich überraschend, stellt sich die Gemeinschaft kollektiv auf die Zehenspitzen, als die politischen Ansprachen beginnen. Die Vertreter der Nationen, die Gesandte des Präsidenten und der Bürgermeister tauschen Höflichkeiten, versteckte und offene Nationalismen und vor allem Friedensbeschwörungen aus. Für Außenstehende ist dies der einzige Moment der gesamten Feierlichkeiten, wo sich erahnen lässt, dass es im Vorfeld einen Disput zwischen lokaler und Landesverwaltung gegeben hat. Die Frage war, wie nationalistisch oder russlandfreundlich die Feierlichkeiten gestaltet werden sollten. Über diese Auseinandersetzung wurden die Feiern immer unpolitischer. Auf der Eröffnungsveranstaltung halten die Vertreter der beiden Lager zwei Reden von gänzlich anderem Charakter. Zeugt dies nun einfach von einer Vielfalt der Meinungen oder offenbaren die Reden einen Riss in der ukrainischen Gesellschaft? Auf der Eröffnungsveranstaltung ist von Letzterem nicht viel zu spüren. Die Instrumente der Politik haben sich gegenseitig abgeschliffen. Einen offiziellen Kurs gibt es nicht, nur dass alles friedlich bleiben soll ist Konsens. „Die gesellschaftliche Stabilität wird gerade dadurch aufrechterhalten, dass es keine konsequente staatliche Denkmalpolitik gibt. Dieser Pluralismus entsteht aus der Wechselwirkung unterschiedlicher Geschichtsbilder, von denen jedes für sich genommen recht einseitig und autoritär ist.“ (Portnov 2008: 210). Die Soldaten treten unkonzentriert von einem Fuß auf den anderen. Die Nationalisten bleiben im Hintergrund. Während der Eröffnung der Rotunde redet ein Polizist so lange mit einem Nationalisten bis dieser seine Fahne wieder einrollt. Einen Tag später, bei offiziellen Kranzniederlegungen vor sämtlichen Denkmälern der Stadt, sieht man Nationalisten in stümperhaft zusammengestellten Uniformen stolpernd marschieren. Sie passen nicht zum Charakter der Veranstaltung, die eher wie ein Familienfest wirkt. Mädchen mit roten Backen und Trachten lächeln gänzlich unpolitisch. Höflich legt einer nach dem anderen Blumen nieder. Danach stellen sich alle zum Gruppenfoto auf und ziehen gutgelaunt von dannen.

Ein zeitloses Spektakel Dramatisch wurden die Feierlichkeiten an unerwarteter Stelle, mit der für die deutsche Gruppe rätselhaften Modenschau auf dem Platz vor dem Theater. Die vorgeführten Modelle waren den schwedischen und russischen Uniformen nachempfunden. Während „Conquest of Paradise“ in Dauerschleife die Säulen des Theaters erzittern ließ, trugen die Models brennende Fackeln über den Laufsteg. Doch das größte Schauspiel bot ein heranziehendes Gewitter. Für Minuten zucken riesige Blitze über dem Platz, über unseren Köpfen. Dies war zweifellos unterhaltsamer als es sich für ein Gedenken eigentlich gehört. Was für eine Show! Auch der Lebemann Mazepa wäre wohl nicht böse, dass er über diesem Spektakel vergessen wurde. Denn im Grunde geht es bei offiziellen Gedenkfeiern ja doch um das Hier und Jetzt. Um unsere Vergangenheit, um unsere Zeit, um uns. „By virtue of the fact that such collective action engages only the members of the group, the calendar [of annual commemoration] sets them apart from others by functioning as an intergroup boundary, uniquely marking time and salient moments in the group’s history” (Wanner 1998: 142).

Abb. 30

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„10. Das 300. Jubiläum in Poltawa – Gedenken oder Feiern?“

SUMMARY Commemorating – Heat, Thunderstorm, Emotions By Neele Wulff

The commemoration of Poltava Battle took place in the greatest heat. To the author the extreme temperature had a big impact on the character of the events. The heat slowed down the opening of the rotunda, the re–enactment of the battle was less dramatic than the dusty chaos on the way to the battlefield and a thunderstorm gave a harmless fashion show a spectacular turn. If the weather is a decisive factor in the perception of the events, one could argue, that the well–being of the spectator might be a secret focal–point of commemoration? Officially the commemoration of Poltava battle was all about the fallen soldiers. But during the jolly re–enactment it became obvious that it is not an easy task to mourn soldiers, who died 300 years ago. The link to the present and empathy with the past cannot be achieved through sympathy. Nevertheless an emotional approach to a historical event is an important part of commemoration. However, there had been a political dispute about how nationalistic the commemoration should be. It must have been due to this dispute, that in the end the commemoration turned out to be quite apolitical, but successful. Nationalists as well as “Russophiles” stayed in the background. What remained were a cheerful remembrance and a cosy feeling of togetherness.

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11. Europäische Schlachten im Vergleich

Während die Schlacht von Poltawa in diesem Jahr ihr 300. Jubiläum feierte und in aller Ukrainer Munde war, wurde die Schlacht von Varus ganze 2000 Jahre alt. Und nur die wenigsten Deutschen haben es mitbekommen. Etwa zur gleichen Zeit wie in Poltawa fanden in Höchstädt und Boyne Schlachten von gesamteuropäischem Ausmaß statt, die wie die Poltawaer Schlacht eine Neuordnung der Machtverhältnisse in Europa zur Folge hatten. Welche Erkenntnisse ergeben sich aus einem Vergleich dieser Schlachten mit der Poltwaer Schlacht zum Thema Erinnerungskultur? Malte, Kristina und Laura sind dieser Frage nachgegangen…

European Battles in Comparison


„11. Europäische Schlachten im Vergleich“

Entscheidungsschlachten im historischen Vergleich Schlachtenvergleich als Methode Von Guido Hausmann

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Zweitens ermöglichen Vergleiche, die Schlacht bei Poltawa und ihre Erinnerungskulturen in einen größeren europäischen kulturellen Kontext zu stellen. Das entspricht auch der Zielperspektive der Geschichtswerkstatt Europa. Zwar zählen wir die Ukraine und Russland zu Europa, aber zu seiner Peripherie. Lediglich das zeitgenössische Schweden nahm einen politisch zentralen Platz in Europa ein. Der Vergleich von Schlachten und seinen Erinnerungskulturen kann hier die historischen Ereignisse und Erinnerungskulturen sowohl an/mit unterschiedlichen europäischen Peripherien als auch mit dem/im geographischen Zentrum miteinander vergleichen.

ergleichbarkeit wird häufig mit Ähnlichkeit gleichVergleich von Poltawa 1709 mit anderen Schlachten gesetzt. Dabei fragt der historische Guido der europäischen Geschichte Vergleich doch sowohl nach Hausmann, Ähnlichkeiten als auch Projektleiter von Wir haben Vergleiche zwischen Poltawa 1709 und seinen Erinnerungskulnach Unterschieden. In der deutscher Seite, turen und anderen Schlachten in Europa auf unserem dritten Workshop in Regel werden bestimmte gibt eine Einführung in die Freiburg im Juli 2009 diskutiert. Um dabei nicht zu abstrakt und akademisch Teilaspekte von Ereigniskomparative Methode und vorzugehen – im bloßen Vortrags– und Diskussionsstil eines Universitätssesen, Prozessen o.ä. vergliihren Nutzen für unser minars – , sind wir an einem Tag mit einem Bus von Freiburg aus durch den chen, eher ausnahmsweise Projekt. Schwarzwald nach Höchstädt an die Donau gefahren, um uns dort vor Ort wird eine Art von Totalverder Aufgabe zu stellen. Die folgenden Essays fächern das Thema auf und spiegeln gleich angestrebt (Kaelble 1999, S. unsere Bemühungen wider. Was vergleichen die Essays? 12). Für unser Projekt hatte der Versuch, die Schlacht bei Poltawa und die sich Poltawa und Varus auf sie beziehenden unterschiedlichen Erinnerungskulturen in einen vergleiKristina Offterdinger vergleicht Poltawa 1709 und seine Aktualisierungen der Erinchenden Kontext zu stellen, eine wichnerungen mit der Varusschlacht von 9 n. Chr. Warum? Varus kämpfte gegen die Römer, tige Bedeutung. Russland gegen Schweden. Die Ukrainer waren die dritte Partei – und die Ukraine der

Poltawa 1709 und seine Erinnerungskulturen im europäischen Kontext Denn erstens zeigen aktuelle Instrumentalisierungen der Erinnerungen an Poltawa für unterschiedliche politische Ziele und Zwecke Züge eines immer wieder aufbrechenden Bruderzwistes zwischen der Ukraine und Russland, der in der Sowjetzeit nur „eingefroren“ war und den Außenstehende in all seinen Verzweigungen und Verwundungen kaum nachvollziehen und verstehen können. Dieser Zwist isolierte und isoliert das Ereignis und die beiden Zankhähne aber auch durch seine gegenseitige emotionale Aufeinanderbezogenheit. Im Unterschied zur Sowjetzeit tritt allerdings nach 1991 nicht nur die Ukraine als selbständiger Akteur auf, der lautstärker eine eigene Geschichte und kollektive Erinnerung beansprucht, sondern auch Schweden, dessen Geschichtskultur und kollektive Erinnerung die Sowjetunion noch weitgehend ausgegrenzte. Ein Vergleich kann bei einem alten Bruderzwist neue Perspektiven öffnen, die zu neuen Erklärungen und Interpretationen führen.

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Schauplatz. Beide Schlachten sind also in dieser Hinsicht sehr verschieden. Poltawa 1709 war eine Entscheidungsschlacht (Krumeich 2003) im Großen Nordischen Krieg zwischen Russland und Schweden, die Varusschlacht wohl kaum. Auch in dieser Hinsicht überwiegen die Unterschiede. Die Schlachten ereigneten sich auch in ganz unterschiedlichen historischen Zeiten, was sich auf die Erinnerungskulturen ausgewirkt haben wird. Ähnlich war dagegen, dass sie an der Peripherie von kulturellen Zentren stattfanden: die Varusschlacht an der Peripherie bzw. außerhalb des Römischen Reiches, die Schlacht von Poltawa an der Peripherie des frühneuzeitlichen Europa. Zwei Aspekte scheinen in diesem Fall zum Vergleich inspiriert zu haben: Zum einen ging es in beiden Fällen auch um den Gegensatz zwischen klein und groß bzw. zwischen schwach und stark oder mächtig. Unser kulturelles Gedächtnis hält dafür die Figuren David und Goliath sowie Asterix und die Römer bereit, und sicherlich noch manch anderes Personal. Masepa war allerdings kein underdog wie Varus, da er zur zeitgenössischen Machtelite in Osteuropa gehörte. Zweitens untersucht der Essay den Nutzen oder den Missbrauch von nationaler Identitätsstiftung durch die kollektive Erinnerung an Schlachten. Da zeigen die Jubiläen aus dem Jahre 2009 doch eher gegensätzliche Muster: im Fall


„11. Europäische Schlachten im Vergleich“ der Varusschlacht Historisierung, im Fall der Schlacht von Poltawa neben Historisierung auch politische Aktualisierungen. Man mag hier zusätzlich auf einen weiteren wichtigen Unterschied hinweisen: Niederlagen scheinen sich viel tiefer und anders in die kollektive und kulturelle Erinnerung „einzugraben“ als Siege.

Poltawa und Höchstädt / Blindheim Laura Ritter vergleicht Poltawa 1709 mit der Schlacht bei Höchstädt und Blindheim im Jahre 1704, einer entscheidenden Schlacht im Spanischen Erbfolgekrieg. Sie betont mit guten Gründen die Ähnlichkeiten: mit Verweis auf den Charakter der Schlacht als Entscheidungsschlacht, auf Masepa und den bayerischen Kurfürsten Maximilian Emanuel II. sowie auf die beiden Städte als mehr oder weniger zufällige Schauplätze. Dabei führte die zentralere geographische und politische Lage von Höchstädt aber auch dazu, dass mehr politische Parteien in die Schlacht von 1704 eingriffen. Gleichzeitig hatte der Ausgang der Schlacht von Poltawa mehr politische Implikationen als Hinweise auf die Verdrängung Schwedens von der Ostsee und die gewaltsame Ein– und Unterordnung der Kosakenukraine in das Russische Reich vermuten lassen. Immerhin floh Masepa ins Osmanische Reich, das somit auch ins Blickfeld rückt, Russland inkorporierte nach der Schlacht endgültig die baltischen Provinzen und auch sein Einfluss auf Polen nahm seit dieser Zeit erheblich zu. In den Kriegsjahren nach Poltawa 1709 nahm deshalb auch das Interesse der europäischen Großmächte, zumal Englands, zu, Russlands wachsenden Einfluss einzudämmen. Die Unterschiede in der Erinnerung sind auffällig: In Poltawa 2009 gab es keinen expliziten Europabezug wie er in Höchstädt bereits 1954 ausgedrückt wurde. In Gesprächen mit dem Museumspersonal in Höchstädt erfuhren wir, dass sie die Schlacht von Poltawa im Jahre 1709 gar nicht kannten. Lokaler Stolz darüber, Ort einer wichtigen Schlacht gewesen zu sein, wird Zusammenarbeit über Grenzen nicht einschränken. Wir könnten unsere Publikation an die Museen in Höchstädt und Poltawa schicken, damit beide Kontakt miteinander aufnehmen. Der Unterschied zwischen beiden Museen ist auffällig: in Poltawa fehlt weitgehend die regionale Perspektive, die Ausplünderung einer Region durch imperiale Mächte, obwohl es sich um ein wichtiges Thema handelt.

Poltawa und Boyne Malte Liewerscheidt stellt in seinem Vergleich zwischen der Schlacht bei Poltawa 1709 und der Schlacht am Boyne in Irland im Jahr 1690 als zentralen Unterschied heraus, dass die Schlacht am Boyne keine militärische Entscheidungsschlacht im so genannten neunjährigen Krieg gewesen ist. Angesichts dessen – und der peripheren geographischen Lage des Schlachtenortes in Europa – überrascht in seiner Darstellung der Verweis auf die Zahl und Herkunft der involvierten europäischen Akteure. Es scheint, als wäre der nordwestliche Teil Europas in dieser Zeit politisch stärker in Europa integriert gewesen als das östliche Europa. In beiden Fällen wurden regionale politische Eliten durch fremde Großmächte unterworfen, ein wichtiger Ausgangspunkt für die in beiden Fällen

bis heute erkennbare Erinnerungskonkurrenz. Doch die Zahl der militärischen Opfer war in der Schlacht am Boyne relativ gering, ein Unterschied zu Poltawa und ein wichtiger Unterschied für militärisch geprägte Erinnerungskulturen, die häufig beim Totengedenken ansetzen und einen Totenkult erschaffen. Ein weiterer Aspekt überrascht bei diesem Vergleich: Es gibt bis heute in beiden Fällen eine Aktualisierung und politische Instrumentalisierung eines früheren militärischen Konfliktes. Sie fällt in Irland (angesichts des nahe am Schlachtenort gelegenen Nordirlands) anders aus, aber ist vielleicht sogar stärker ausgeprägt als in der Ukraine. Wir können also in dieser Hinsicht von keinem einfachen Ost–West–Gefälle bei militärischen Erinnerungskulturen in Europa sprechen.

Kultur des Widerstandes Unser individualisierender historischer Vergleich (Kaelble 1999, S. 26) bezieht sich also sowohl auf den Vergleich der Ursachen und Kontexte der Schlacht von Poltawa 1709 mit anderen Schlachten als auch auf einen Vergleich aktueller Erinnerungskulturen im europäischen Kontext. Dabei können wir eine Reihe von wichtigen Ähnlichkeiten und Unterschieden feststellen. Für die aktuelle Erinnerungskultur in der Ukraine an Poltawa 1709 scheint mir vor allem wichtig zu sein, wie im europäischen Kontext eine militärische Niederlage erinnert werden kann bzw. welchen Platz eine Kultur der Niederlage (Schivelbusch 2003) hat. Wir sollten anstoßen, dass die Erinnerungsakteure in Poltawa in dieser Hinsicht Kontakte mit Museen und anderen Organisationen in Europa aufnehmen. Deutlich wird im Vergleich darüber hinaus, dass Poltawa 1709 aus ukrainischer Perspektive auch eine Kultur des Widerstandes begründete, vielleicht spricht man besser von anti–imperialer Selbstbehauptung. In dieser Hinsicht gibt es Ähnlichkeiten mit der Varusschlacht und der Schlacht am Boyne, und Widerstandskulturen bzw. –erinnerungen haben in Europa eine besondere Lebendigkeit.

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„11. Europäische Schlachten im Vergleich“

SUMMARY Historical Comparisons By Guido Hausmann

Historical comparisons explore similarities and differences between historical events, actors, processes a.o. topics. Most often certain aspects of these topics are the subject, not the entire topic as such. The historical comparison between the battle at Poltava and its cultures of remembrance and other major battles of the time period under consideration and their related cultures of remembrance were of crucial importance for our project. Firstly, the comparison offers an opportunity to put the struggle between Ukraine and Russia about the meaning of the event in a broader European context. Sweden has become a new actor in the public remembrance of the event in Ukraine and Russia. But the struggle between Ukraine and Russia resembles nevertheless isolated infighting and there is a need for new perspectives. Secondly, to put the battle and its commemorative culture in a broader European context reflects the agenda of the Geschichtswerkstatt Europa. A comparison allows either to compare early modern events and their related cultures of remembrance at European peripheries or to compare the Eastern periphery of Europe with events in Europe’s geographical centre. The following essays compare the battle at Poltava in 1709 with the battle of the Teutoburg forest in 9 AD, the battle at Blenheim upon the Danube in 1704 (we undertook a bus trip from Freiburg to the site during our third workshop), a major battle in the War of the Spanish Succession, and with the battle on the Boyne (1690) in Ireland. They compare above all political and military constellations and actors, but also related cultures of remembrance. Similarities and differences exist in all three cases. Interestingly no study on the topic or on a similar topic exists in historical scholarship. The battle museums of Poltava and Höchstädt (Blenheim) do not know each other and have not established any contact so far. If our publication could initiate a cooperation between the museums and could lead to a discussion across borders on the question how to present an early modern battle today and how to commemorate it, …

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„11. Europäische Schlachten im Vergleich“

2000 Jahre Varus und 300 Jahre Poltawa Gedächtniskultur in Von Kristina Offterdinger

für dieses Ziel ein Bündnis mit Schweden sinnvoller erschien (siehe die Umfrageergebnisse der ukrainischen Research and Branding Group, The Local 2009). War dem so?

Nimmt man historische Quellen zur Rate, scheint es sehr wahrscheinlich, dass es zum einen erhebliche Missverständnisse und Konflikte zwischen Russland und dem Deutschland und der Ukraine Hetmanat gab (Subtelny 1978: 158–183). Zum anderen war Russland bis zu der Schlacht von Poltawa nicht siegreich im Nordischen Krieg, sondern In diesem Jahr das Kriegsglück lag bis 1709 auf schwedischer Seite. Diese Argumente gibt es zwei runde Jubiläen bzw. scheinen Masepa zu einem Bündnis mit dem Schwedenkönig Karl XII. Gedenktage an Schlachten der ragt man in Deutschland bewogen zu haben. Welche genauen Ziele er aber mit dem Seiteneuropäischen Geschichte. In Russland, Jugendliche und junge wechsel verfolgte, ist den Quellen nicht zu entnehmen. Schweden und der Ukraine ist es die Erwachsene nach der Schlacht von Poltawa, die sich zum 300sten Varusschlacht, kommt Nichtsdestotrotz steht das Masepa–Thema bzw. das Kosaken– Mal jährt. In Deutschland werden 2000 Jahre oft nur ein „Hä?“ heraus. Oder Thema im Allgemeinen in der heutigen Ukraine im Zentrum einer Varusschlacht begangen. Wie wird die es werden alte Traumata an den gesellschaftlichen Kontroverse, die eng verbunden mit der natioPoltawa–Schlacht in der Ukraine, wie die längst vergangenen oder ignoriernalen Identitätsfrage ist. Nach Jahrhunderten von Fremdherrschaft Varusschlacht in Deutschland erinnert? ten Lateinunterricht ausgepackt. versucht der junge ukrainische Staat sich seine eigene Geschichte Ein Vergleich von zwei Das Interesse und Wissen ist außerzu rekonstruieren. Hierbei werden die historischen Momente, die Gedächtniskulturen. dem regional unterschiedlich ausgeeine Abgrenzung zur russischen Geschichte ermöglichen, besonders prägt: Natürlich wissen diejenigen, die hervorgehoben. aus der Nähe des Ortes des Ereignisses

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kommen, oft eher Bescheid als Jugendliche anderer Regionen. In der Ukraine besitzt die Schlacht von Poltawa eine andere Resonanz. Sofort fallen Stichworte wie Masepa oder Peter I.; sofort wird die Wichtigkeit der Schlacht für die eigene Geschichte hervorgehoben. Nein, es ist keine Schlacht, die zufällig auf ukrainischem Boden ausgefochten wurde, da steckt ein größeres Konzept hinter.

Die Rolle der Schlacht von Poltawa für die ukrainische Identität Poltawa war sozusagen die Entscheidungsschlacht des Nordischen Krieges, in dem Schweden und Russland um ihre Einflussgebiete im heutigen Osteuropa kämpften. Die Abb. 31 russisch–schwedische Schlacht fand am 27. Juni 1709 in Poltawa, heutige Ukraine, statt. Neben Russen und Schweden kämpften in der Poltawaer Schlacht auch Kosaken. Das Hetmanat der Kosaken hatte lange Zeit für das Russische Reich gedient, bis im Jahr 1708 Hetman Masepa die Seiten wechselte und sich mit dem schwedischen König Karl gegen Russland verbündete. Das „Warum“ des Seitenwechsels ist eine entscheidende Frage für viele Ukrainer. Viele sind überzeugt, dass Masepa die Seiten wechselte, weil er einen unabhängigen ukrainischen Staat im Visier hatte und ihm

Die Rolle der Varusschlacht für die deutsche Identität Die Varusschlacht von 9 n. Chr. ist bis heute umstritten: Man kann weder den genauen Ort lokalisieren, noch das genaue Ausmaß (Berke 2009: 133–138). Durch den Quellenmangel fällt auch ein objektives Bild schwer. Fest steht: Es handelte sich um einen Angriff germanischer Krieger mit Arminius/Hermann als Hauptmann auf drei von Publius Quinctilius Varus geleitete Legionen. Die römischen Legionen waren aus dem Kastell Haltern losgezogen, um einen germanischen Aufstand in der Nähe niederzuschlagen. Daher wird die Region um den Teutoburger Wald als Schlachtort vermutet. Der Angriff selbst war ein vernichtender Hinterhalt. Ein kleines germanisches Heer vernichtete ein Achtel des römischen Gesamtheeres. Der Sieg in der Varusschlacht war das Ergebnis einer geschickten Planung von Arminius/ Hermann, dem es gelang, eine feste Koalition aus mindestens elf germanischen Stämmen zu bilden (Märtin 2008: 166–222). Vom 16. bis Mitte des 20. Jahrhunderts wurde die Varusschlacht nicht selten herangezogen, um die Frage nach der Identität der Deutschen zu ergründen. Hierbei wurden die Schriften des römischen Historikers Tacitus (1455 Die Germania, 1507 Die Annalen) von den deutschen Gelehrten des Humanismus so interpretiert, dass die deutsche Nation sich zu Zeiten der Varusschlacht formierte. Beispielsweise bezeichnet Ulrich von Hutten bereits 1529 den Cheruskerfürsten Arminius als ersten Vaterlandsverteidiger und vergleicht ihn in seiner Bedeutung mit Alexander den Großen, Hannibal und Scipio den Älteren (Bautz 1990, Sp. 1222–1226).

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„11. Europäische Schlachten im Vergleich“ Die drei Ausstellungen zur Varusschlacht sind räumlich und thematisch voneinander getrennt. Durch diese Trennung sollen die verschiedenen Aspekte der Schlacht thematisiert und das Blickfeld über das eigentliche Ereignis hinaus erweitert werden. Archäologisch ist der Ort der Schlacht wahrscheinlich in Kalkriese zu finden. Die Ausstellung dort thematisiert deshalb das Ereignis der Schlacht und bietet verschiedene Herangehensweisen, unter anderem eine archäologische. Im Umfeld kann man das Gelände auf verschiedenen Pfaden erkunden. Die Ausstellung im Lippischen Landesmuseum Detmold widmet sich dem Mythos der Schlacht, vor allem dem Hermannsmythos und seiner Rezeption in der deutschen Geschichte. Das Thema bietet sich für Detmold wegen des nahe gelegenen Hermannsdenkmals an. Dieses wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Zuge des eigenen Nationsmythos mit drohender Geste gegenüber Frankreich errichtet (s. weiterführend das Projekt der Universität Gießen, Das Hermannsdenkmal 2009). Das Römermuseum Haltern beschäftigt sich mit der römischen Gesellschaft, dem Leben und der Herrschaftsverwaltung in den Provinzen in der Zeit von Augustus.

Wie werden die Jubiläen in den beiden Ländern inszeniert und gefeiert? Wie reagieren die Medien? Abb. 32

Wurde die Varusschlacht bis vor etwa 70 Jahren in Deutschland noch zur Vermittlung der Herkunft der eigenen Nation herangezogen, ist diese Haltung spätestens mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges aus der Öffentlichkeit verschwunden. Seit Ende des Nationalsozialismus bemüht sich Deutschland, sich nicht mehr über Wörter wie „Sieg“, „Held“, „Germanen“ oder auch „DIE deutsche Nation“ zu definieren. Die deutsche Geschichte vom frühen Germanentum bis 1945 wird von der Mehrheit der Deutschen nicht mit einem Gefühl von Nationalstolz in Zusammenhang gebracht, ist also nicht identitätsstiftend (s. Studie Identity Foundation 2009: 19).

Wie spiegeln sich die beiden Jubiläen 2009 in den Ausstellungskonzeptionen wider? Der aktuelle Stand der Ausstellung in Poltawa spiegelt den Stand der 1950er Jahre und die entsprechende sowjetisch–russische Sichtweise des Ereignisses wider: Das Museum ist militärhistorisch aufgebaut. Der Fokus des relativ klein gehaltenen Museums (neun Räume) liegt stark auf den Hauptakteuren Peter I. und Karl XII. Neben militärischen Artefakten finden sich im zentralen Saal ein Schlachtpanorama und ein riesiges Gemälde der Schlacht. Über kulturelle Aspekte, die Rolle der heutigen Ukraine oder Hetman Masepa findet man so gut wie nichts. Doch sind jetzt, im Jubiläumsjahr, Umbauarbeiten geplant, so zum Beispiel die Einrichtung eines Besucherzentrums und eines Saals zum Gedenken an Masepa und die Kosaken (Organisationskomitee für die Gedenkfeier zur Schlacht bei Poltawa 2009).

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In Deutschland war die letzten Monate viel über die Varusschlacht zu lesen; vor allem in den westfälischen Regionalblättern und auch im überregionalen Rahmen wurde begeistert über den Erfolg der Ausstellungen berichtet (Die Tagesschau 2009, Die Welt 2009). Hinzu kommt eine damit verbundene Werbekampagne in der Nähe der Ausstellungsorte: An den Autobahnausfahrten stehen Werbeschilder der Ausstellungen. Eine skurrile Kampagne findet man in der Detmolder Innenstadt: Plastiknachbildungen des Hermannsdenkmals stehen in minimierter und bunt angemalter Form vor jedem Geschäft. In der Ukraine wurde viel in der lokalen und regionalen Presse über die Vorbereitungen des 300. Jubiläums berichtet. Das Organisationskomitee zur Vorbereitung der Gedenkfeier stellt der interessierten Öffentlichkeit eine Sammlung an Informationen und Dokumenten auf einer eigens eingerichteten Seite in ukrainischer und russischer Sprache zur Verfügung (s. Website Organisationskomitee). Im Stadtzentrum und auf dem Schlachtfeld wurden bestehende Denkmäler restauriert und neue Denkmäler (wie etwa die Rotunde der Versöhnung) gebaut. Werbeplakate des Museums im Stadtzentrum laden zu einem Besuch ein. Bezeichnend an der Poltawaer Gedenkfeier waren die Streitigkeiten im Vorfeld. Bei diesen ging es um die Frage, ob man die Schlacht in einen national–ukrainischen oder in einen überstaatlichen Fokus stellen soll. Es hat Monate gedauert, bis sich die Organisatoren auf letzteres Veranstaltungskonzept geeinigt hatten.


„11. Europäische Schlachten im Vergleich“

Resümee: Wie sehr unterscheiden sich die ukrainische und deutsche Erinnerungskultur wirklich? Dass die Erinnerungskulturen in Deutschland und in der Ukraine sich unterscheiden, zeigen die oben vorgenommenen Vergleiche zwischen Geschichtsbild, Museumskonzeption und Gedenkfeier–Inszenierung der Varusschlacht und der Schlacht bei Poltawa. Während etwa die Museen über die Varusschlacht auf eine Beleuchtung aller Seiten abzielen, findet sich im Poltawaer Museum die Vermittlung einer russisch geprägten Siegeskultur. Gerade dieses Bewusstsein einer Siegeskultur könnte den Schlüssel für die Unterschiede in der Erinnerungskultur bieten. Die Ukraine ist aufgrund der historischen Prägung noch stark im sowjetischen Bild des Siegers befangen und löst sich daraus erst langsam, aber merkbar. Seit ihrer Unabhängigkeit von 1991 steht die Ukraine vor der Herausforderung des so genannten nation building. Damit einhergehend ist auch das ukrainische Selbstverständnis in einem Formierungsprozess. Die Ukraine sucht quasi nach der eigenen Geschichte und schwankt dabei zwischen Anlehnung und Abgrenzung gegenüber der russischen Geschichte. In diesem Sinne wurde auch das 300. Jubiläum der Schlacht von Poltawa in der Ukraine zu einem Identifikationspunkt. Die deutsche Erinnerungskultur erlebte einen klaren und in Europa einzigartigen Bruch nach dem Zweiten Weltkrieg. Die moderne deutsche Erinnerungskultur ist eher regional und weniger von einem nationalen Selbstbild geprägt. Es scheint fast so, als ob sich die nationale Identitätsfrage (abseits von Fußball) nicht mehr stellt. In einer aktuellen Studie der Identity Foundation wird festgestellt, dass die Deutschen kein gemeinsames Nationalgefühl hätten, was sie aber auch nicht weiter störe (s. Studie Identity Foundation 2009: 11). Diese Feststellung wirkt allerdings trügerisch, bedenkt man allein die anhaltenden Diskussionen um die deutsche Identität (auf welche im Übrigen auch die Studie selbst hinweist, Identity Foundation 2009: 15), die ja letztlich das Bedürfnis nach einem nationalen Zugehörigkeitsgefühl offenlegen. Aus den Unterschieden in den Erinnerungskulturen lässt sich aber durchaus auch eine Parallele ziehen: Sowohl die Ukraine als auch Deutschland sehen sich mit einer Art Geschichtsverlust konfrontiert und sind, damit einhergehend, auf der Suche nach einer nationalen Identität. Hinzu kommt in beiden Ländern die Herausforderung, Erinnerungskulturen in Ost und West in einer gesamtnationalen Identität zu vereinen. Lediglich Weg und Ort der Suche unterscheiden sich: Während die Ukraine seit 1991 beginnt, sich eine eigene Geschichte zu schreiben und sich über diese zu definieren, bedeutet Geschichtsbewusstsein in der deutschen Erinnerungskultur in erster Linie Vergangenheitsbewältigung und Verantwortung gegenüber der Weltgemeinschaft (s. Studie Identity Foundation 2009: 33). Die eigentliche identitätsstiftende Erinnerung der Deutschen fokussiert sich auf ihre Geschichte nach 1945, insbesondere auf die deutsch–deutsche Geschichte nach 1989.

Abb. 33

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„11. Europäische Schlachten im Vergleich“

SUMMARY Poltava and Varus. Two Battles in Comparison By Kristina Offterdinger

This year there are two anniversaries of major battles in the European history. Russia, Sweden and Ukraine celebrate the 300th anniversary of the Battle of Poltava. Germany celebrates the 2000th anniversary of the Battle of the Teutoburg Forest. This article analyses the different cultures of remembrance in Germany and Ukraine. The main difference in the pattern of remembrance can be found in the political connotation of the events in both countries. In Ukraine, historical remembrance has more of a political significance than in Germany. The main issue is the importance of the events for the national history. Cultural remembrance is closely connected with group, e.g. national, remembrance. The Battle of Poltava was mainly a Russian–Swedish battle in the Northern War in 1709. It took place in Poltava because of the important role of Hetman Ivan Mazepa and the Ukrainian Hetmanate. Mazepa switched sides from Peter I. to Charles XII., the Swedish king. It is difficult to say, whether he was a traitor or aimed at Ukrainian independence from Russia. This open question is the main point of the present debate. This social controversy is closely connected to the question of national identity for many Ukrainians, who define themselves in dissociation from Russia. The meaning of the Battle of the Teutoburg Forest, which took place in 9 A.D., changed in the course of German history. In fact, it was a battle, in which a few Germanic tribes, united under Arminius/ Hermann, managed to beat three Roman legions, which were under control of Publius Quinctilius Varus. From the 16th century to the end of the Second World War this event was often used to strengthen German national identity. How are these different approaches reflected in the exhibitions? The exhibition in Poltava presents mainly military facts and artefacts. It focuses on the main rivals Peter I. and Charles XII., whereas Mazepa or the Ukrainian Hetmanate remains almost unnoticed. In contrast, the exhibition of the Battle of the Teutoburg Forest is divided into three different locations, each of which focuses on different aspects of the battle: The exhibition in Haltern is about the Roman Empire, the one in Detmold about the myth of Hermann and the one in Kalkriese about the battle and its traces itself. How are the two battles commemorated and celebrated? How are they represented in the media? In Germany the newspapers mainly talk about the successes of the exhibitions, including the different advertisement campaigns. In Poltava, and the whole Ukraine, the celebration is an issue of public discussion. Old monuments are repaired and new ones constructed. A concrete plan for the celebration, however, could not be fixed until the very last minute. The main differences between the German and Ukrainian culture of remembrance could be found in the process of nation building: Ukraine is in the middle of this process since 1991, whereas Germany has been an established nation for quite a long time and has no need for discussions about nationhood and dissociation from other countries. Also, definitions of national identity based on patriotism and through military victories are discredited in Germany since 1945. If there is such a cultural awareness in Germany, it is mainly regionally based.

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„11. Europäische Schlachten im Vergleich“

Die Europäische Dimension: Der Neunjährige Krieg

Boyne 1690 und Poltawa 1709 – vergleichbar? Von Malte Liewerscheidt

Auf europäischer Ebene ordnet sich die Schlacht in Irland ein in den Kontext des Neunjährigen Krieges von 1688 bis 1697, in Deutschland besser bekannt als Pfälzischer Erbfolgekrieg. Gegen die forcierten Expansionsbestrebungen Ludwig XIV. hatte sich mit der Augsburger Allianz 1686 über Konfessionsgrenzen hinweg ein Bündnis europäischer Herrscher formiert, das den territorialen Gelüsten des französischen Königs in den Spanischen Niederlanden (dem heutigen Belgien), Südwestdeutschland und Norditalien Einhalt gebieten sollte. Von den militärisch bedeutsamen Mächten in Europa zögerte einzig England, sich offen einem der beiden Lager anzuschließen. Aus Sicht der Koalition war es jedoch nur eine Frage der Zeit, bis sich Jakob II., Cousin Ludwigs XIV. und seit 1685 englischer König, mit seinen militärischen und finanziellen Ressourcen offen auf die Seite Frankreichs schlagen würde (Lenihan 2003: 10).

Die anglo–irische Dimension: Die „Glorreiche Revolution“

Am 12. Juli 1690 standen sich bei der Ortschaft Drogheda, rund 50 KiloIn dieser Situation machte sich Wilhelm von Oranien, Statthalter der meter nördlich von Dublin an den Niederlande und eine der treibenden Kräfte hinter der anti–französiDie Schlacht am Ufern des Boyne die größten schen Allianz, innenpolitiBoyne gehört zu den Truppenansammlungen der irische Turbulenzen in England bekanntesten in der neueren irisch– schen Geschichte gegenüber. zunutze. Innerhalb des engbritischen Geschichte. Dabei beruht Zu beiden Seiten des Fluslischen Adels regte sich früh die Bekanntheit der Schlacht mehr auf ses hatten sich Armeen forMisstrauen gegen die Regentihrer symbolischen und politischen miert, deren kosmopolitische schaft des katholischen Jakob, Bedeutung als auf ihrer Relevanz im Zusammensetzung die internaden man – nicht ohne Grund – militärischen Sinne. Inwiefern ist der tionale Dimension des Konflikverdächtigte, die Übernahme Kampf am Boyne daher mit der Abb. 34 tes widerspiegelte. Unter dem absolutistischer RegierungsSchlacht von Poltawa Abb. 35 Befehl des von Norden auf die irische Hauptstadt vorrückenden Wilhelm praktiken und eine Wiedervergleichbar? III. von Oranien, Statthalter der Niederlande und seit dem Vorjahr mit den einführung des Katholizismus in England betreiben zu wollen (Childs 2007: Königskronen von England, Schottland und Irland betraut, kämpften Soldaten 1 f.). Ende 1688 – der Krieg gegen Frankreich war auf dem Festland bereits in aus den Niederlanden und Dänemark, Deutsche und Engländer, französische Kathovollem Gange – landete Wilhelm daher mit Billigung führender Teile des englischen liken und Hugenotten, irische Protestanten, Presbyterianer und Katholiken, Schweden Oberhauses ein Expeditionskorps in England, um Jakob II. die Königswürde zu entreißen und Schweizer. Demgegenüber standen die zahlenmäßig deutlich unterlegenen Kräfte und England in das Lager der anti–französischen Koalition zu führen. Der Coup gelang: des nach Irland geflohenen englischen Königs Jakob II., der sich im Wesentlichen auf Jakob, ohne Rückhalt im eigenen Land, flüchtete nahezu kampflos in das benachbarte eine Streitmacht aus kurz zuvor ausgehobenen irischen Bauern und ein französisches Irland. Das englische Parlament offerierte in der Folge Wilhelm und seiner Gemahlin Expeditionskorps stützte. Insgesamt standen sich an diesem Tag rund 60 000 Soldaten die Königswürde, nicht ohne sich dabei seine Rechte in der „Bill of Rights“ verbriefen verschiedenster Nationen und Konfessionen gegenüber (McGurk 1990: 25 f.). zu lassen. Das Ereignis ging als „Glorreiche Revolution“ in die englische Geschichte ein. Was war geschehen? Warum trafen mitten in der irischen Provinz, an Europas nordDoch Jakob II. war noch nicht besiegt. Im Gegensatz zu seinem englischen Königreich westlicher Peripherie, zwei Heere mit Soldaten aus aller Herren Länder aufeinander? konnte er in Irland auf die Loyalität des irisch–katholischen Adels zählen. Die irischen Um diese Frage zu beantworten, muss man sowohl die europäische, als auch die irisch– Adligen verbanden mit der Unterstützung des geflüchteten Königs die Hoffnung, ihre englische Dimension des Konfliktes in den Blick nehmen. politischen, ökonomischen und religiösen Rechte wieder zu erlangen, die ihnen im Zuge des englischen Bürgerkrieges und der Rückeroberung Irlands durch Oliver Cromwell rund vierzig Jahre zuvor genommen worden waren (Lenihan 2003: 21 f.). Für Wilhelm III. ergab sich daraus die Notwendigkeit, Jakob in Irland zu schlagen, um die Ergebnisse der

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„11. Europäische Schlachten im Vergleich“ „Glorreichen Revolution“ abzusichern und Irland nicht zu einem potentiellen Sprungbrett für eine französische Invasion Englands werden zu lassen – denn Ludwig XIV. unterstützte die Ansprüche des abgesetzten englischen Königs nun offen. So kam es, dass am 12. Juli 1690 am Boyne die Heere der europäischen Koalition und Jakob II. aufeinander trafen. Gegen die numerisch überlegenen, gut ausgerüsteten und im Kriegshandwerk geschulten Truppen unter Wilhelms Kommando war das irische Heer – trotz Unterstützung durch ein französisches Expeditionskorps – freilich ohne Chance. Umso bemerkenswerter ist es, dass den Jakobiten ein geordneter Rückzug gelang und die eigenen Verluste für eine Schlacht dieser Größenordnung gering ausfielen. Der Weg nach Dublin lag nun offen, da Jakob II. sich unmittelbar nach der Schlacht fluchtartig nach Frankreich absetzte, und der irische Adel – verbittert über diesen als Verrat empfundenen Abgang des Königs – sich mit den verbliebenen Truppen hinter den Shannon, nach Limerick, zurückzog (McGurk 1990: 26).

Militärisch belanglos, jedoch von politischer Tragweite Die Bedeutung der Schlacht am Boyne ist sowohl auf regionaler als auch auf europäischer Ebene nicht in ihrer rein militärischen Dimension zu suchen. Unter militärischen Aspekten war die Schlacht geradezu bedeutungslos: Erst mit der Schlacht von Aughrim, in der die Iren heftige Verluste erlitten, und der finalen Belagerung Limericks gelang es Wilhelm im folgenden Jahr, das Rückgrat des irischen Widerstandes zu brechen und seine Gegner zur Unterzeichnung des Vertrages von Limerick zu zwingen. Die Hauptschauplätze des Neunjährigen Krieges, der noch sieben Jahre andauern sollte, lagen ohnehin auf dem europäischen Festland (McGurk 1990: 25).

Dennoch kommt der Schlacht am Boyne besondere politische und symbolische Bedeutung zu: Mit der Flucht von Jakob II. nach Frankreich war dieser nun endgültig aus dem Kampf um die englische Königskrone ausgeschieden und das Ergebnis der „Glorreichen Revolution“ somit gesichert. Zugleich stellte der Sieg am Boyne den ersten prestigeträchtigen Sieg der europäischen Koalition dar, die auf dem Kontinent zuvor einige empfindliche Niederlagen hatte einstecken müssen.

Der Vergleich mit Poltawa, damals und heute Vergleichen wir den Kampf am Boyne mit der knapp zwanzig Jahre später stattfindenden Schlacht bei Poltawa, so fallen zwei bemerkenswerte Parallelen ins Auge: In beiden Fällen treffen fremde Großmächte in der europäischen Peripherie aufeinander, ist die Schlacht Teil eines Konfliktes mit europäischen Ausmaßen und –wirkungen. Gleichzeitig sind beide Schlachten von regionaler Bedeutung: vor allem die Unterwerfung lokaler Machteliten in Folge des Geschehens bildet heute einen zentralen Bestandteil der mit beiden Orten verbundenen Erinnerungskulturen. An diesem Punkt offenbaren sich jedoch auch deutliche Unterschiede im Umgang mit der Vergangenheit: während die jährlichen Parademärsche zur Feier der Schlacht ein zentrales Element der protestantisch–unionistischen Folklore in Nordirland darstellen – dagegen in der Republik Irland weitgehend ignoriert werden – wird der Jahrestag in Poltawa nur zu besonderen Jubiläen nennenswert zelebriert. Bei den Feierlichkeiten anlässlich des 300. Jahrestages stand in der ukrainischen Betrachtungsweise dabei die Figur des Kosakenhetmans Masepa im Vordergrund. Eine ähnlich schillernde Figur, mit der sich die irischen Verlierer der Schlacht identifizieren könnten, sucht man am Boyne dagegen vergebens. In einer um tragische Heldenfiguren selten verlegenen irischen Geschichtsschreibung kann dies auch als Beleg für die geringe militärische Bedeutung des Ereignisses gedeutet werden.

SUMMARY The Battle of the Boyne, Ireland, 12 July 1690 By Malte Liewerscheidt

The Battle of the Boyne is one of the most well–known events in modern Irish history. However, as this essay is essentially to argue, it gains its prominence neither from its military nor its political importance. It is rather its symbolic use, then as now, which secures its enduring place in the public consciousness. The battle takes place in the broader context of the Nine Years’ War (1688–97) – a European conflict with an Irish dimension. A grand European coalition sided against expansionist plans of France’s king Louis XIV., whose only ally James II., king of England, was eventually forced to withdraw to Ireland. When the coalition troops moved after him, they fought the Battle of the Boyne on their advance to Dublin. In the course of the war, the battle is not a decisive event: it took one more year to break the Irish resistance, and the conflict on the continent went on for another seven. However, the battle was celebrated as a major victory by the European coalition. Nowadays, the event is commemorated by Northern Irish Protestants, who interpret its outcome as a decisive victory of Protestantism over Catholicism in Ireland – against any historical validity. Compared with the Battle of Poltava, there are at least three striking similarities: in both cases, foreign powers meet in a peripheral European region to settle their military disputes, in both cases there is an important regional dimension added to the conflict and in both cases the event gets used for today’s political purposes.

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„11. Europäische Schlachten im Vergleich“

Bedeutung der Schlacht von Höchstädt im europäischen Kontext Welche gesamteuropäischen Folgen zog die Schlacht von Höchstädt nach sich? Die Franzosen verloren erstmals den Nimbus ihrer Unbesiegbarkeit; und Bayern, das nach Weltmachtstatus gestrebt hatte, wurde von Österreich besetzt. Der Duke of Marlborough legte mit diesem Sieg den Grundstein für den Aufstieg Großbritanniens zur Weltmacht, womit das Prinzip des „Europäischen Gleichgewichts“ Einzug in die europäische Politik erfuhr. Der eigentliche Auslöser des Konflikts, – der Streit um die spanische Erbfolge, kam erst mit dem Frieden von Utrecht 1713 und dem Frieden von Rastatt 1714 zu einem Ende.

Parallelen zur Schlacht von Poltawa Abb. 36

Wenn man die Schlacht von Höchstädt 1704 und die Schlacht von Poltawa 1709 betrachtet, kann man eine Reihe von Gemeinsamkeiten feststellen. Erstens: Beide Städte erlangten nur durch diese Schlachten historische Berühmtheit. Zweitens: Die Rolle des Kurfürsten Maximilian II. Emanuel lässt sich mit der Rolle des Hetman Masepa Zwei europäische Schlachten vergleichen. Beide wandten sich von ihren traditionellen Verbündeten ab, um sich auf die Seite zu stellen, die Ihnen mehr zu versprechen schien: So träumte Maximilian im Erinnerungsvergleich II. Emanuel von einem bayerischen Königreich und Masepa von einer souveVon Laura Ritter ränen Ukraine. Drittens lassen beide Schlachten eine gesamteuropäische Die Stadt Poltawa in Bedeutung erkennen: Mit der Schlacht von Poltawa 1709 stieg Russland der Ukraine und Höchstädt in zur europäischen Großmacht auf, während Schweden mit seiner NieDeutschland haben eines Die Schlacht von Höchstädt – Historischer Abriss derlage seinen Großmachtstatus in Europa verlor. Mit der Schlacht gemeinsam – ihre Bekanntheit rührt von Höchstädt erlangte Großbritannien erstmals Großmachtstatus von einer Schlacht im 18. Jahrhundert her 1704 fand bei den schwäbischen Städten Höchstädt und Blindheim die erste größere Auseinandersetzung im spanischen Erbfolge- und beide Städte feierten zu Beginn des 21. und der Nimbus der Unbesiegbarkeit des Königreichs Frankreich schwand. Auch wenn man im Falle Frankreichs nicht von einem VerJahrhunderts den 300. Jahrestag dieser krieg statt. Ein alliiertes Heer aus Kaiserlichen Truppen, Österreilust des Großmachtstatus sprechen kann, ist eine Parallele dennoch Schlachten. Welche Unterschiede und chern unter Prinz Eugen von Savoyen sowie Engländern unter John zu erkennen. Gemeinsamkeiten prägen die Churchill I., dem Duke of Marlborough, schlug die Franzosen unter Erinnerung an 1704 in Höchstädt Marschall Tallard und die Bayern unter Kurfürst Maximilian II. Emaund an 1709 in Poltawa? nuel. Wie konnte es zu dieser Schlacht kommen? Ausschlaggebend war Gedenken oder Feiern? – Zwei Erinnerungen im Vergleich der Tod König Karls II., der der letzte Habsburger auf dem spanischen Thron war und keinen Erben hinterließ. König Ludwig XIV. von Frankreich Die Erinnerung an die Schlacht von Poltawa an ihrem 300. Jahrestag war bekundete Thronansprüche und erklärte seinen Enkel, Philipp von Anjou, zum eine Mischung aus Gedenken und Feiern. In Poltawa wurden viele neue Denkspanischen König. Damit drohte eine Machtverschiebung zu Gunsten Frankreichs und es mäler errichtet, wobei hier insbesondere die Rotunda der Freundschaft der Völker (auch bildete sich die genannte Koalition dagegen. Der bayerische Kurfürst erhoffte sich die Rotunda der Versöhnung genannt) zu nennen ist. Diese Rotunda ist das erste Denkmal in Königswürde und eine Gebietserweiterung und schlug sich somit auf Frankreichs Seite. Poltawa, das die Gefallenen aller Nationen gedenkt: Russen, Schweden und Kosaken. Am 20. September 1703 konnte die französisch–bayerische Armee in einer ersten Die Eröffnung war durch feierliche Reden der Vertreter der verschiedenen Nationen Schlacht in der Nähe von Höchstädt einen Sieg über die kaiserlichern Truppen erringen. geprägt. Neben dem offiziellen Gedenken war der 300. Jahrestag der Poltawaer Schlacht Doch am 13. August 1704 kam es zur finalen Schlacht, die die alliierte Armee unter der auch von Feierlichkeiten geprägt: Eine Modeschau mit verschiedenen Uniformen sowie Leitung von Duke Marlborough und Prinz Eugen für sich entscheiden konnte. Die franzöein Reenactment der Schlacht auf dem historischen Schlachtfeld fanden statt. In der sisch–bayerische Armee wurde bei dieser Niederlage nahezu vernichtet (Spencer 2004). Stadtmitte sowie auf dem Schlachtfeld waren festlich geschmückte Buden und Souvenirstände aufgebaut. Schließlich ist auch das jährlich stattfindende Masepa–Festival zu erwähnen, das sowohl traditionelle ukrainische Volksmusik als auch aktuellere Rock–,

Höchstädt 1704 und Poltawa 1709

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„11. Europäische Schlachten im Vergleich“ Pop– u.ä. Musik präsentiert und dieses Jahr zeitlich mit den Gedenkfeiern zusammengelegt wurde. Ebenso wie in Poltawa kann man in Höchstädt von einer gemischten Erinnerung sprechen. So gab es am 300. Jahrestag 2004 sowohl offizielles Gedenken als auch feierliche Events. Auf dem Marktplatz in Blindheim wurde ein neues Denkmal errichtet, welches den Namen Buch der Geschichte trägt. Das Denkmal stellt ein aufgeschlagenes Buch aus Stein dar, welches die Geschehnisse von 1703/1704 beinhaltet und zu Frieden, Versöhnung und Partnerschaft mit den europäischen Nachbarländern aufruft. Allerdings markiert dieses Denkmal in Blindheim/Höchstädt keine Neuausrichtung der Denkmalkultur, wie das in Poltawa mit der Rotunda der Versöhnung der Fall ist. Bereits 1954 zur 250. Jahrsfeier wurde in Höchstädt ein Mahnmal errichtet, welches ein fest in den Boden gerammtes Schwert darstellt. Auf dem Griff ist eine Waage eingemeiAbb. 37 ßelt, oberhalb derer „Amor–Pax–Vita“ und unterhalb derer „Odium–Bellum–Mors“ zu lesen ist. Diese Inschrift will auf die Überwindung des Hasses und die Suche nach Frieden hinweisen. Eine weitere Inschrift auf der Vorderseite besagt: „Errichtet im Gedenken an die Gefallenen aller beteiligten Völker“. An diesem Denkmal fand anlässlich der 300. Jahrsfeier eine zeremonielle Kranzniederlegung statt, die von vielen Reden der teilnehmenden Politiker, deutschen oder englischen Soldaten begleitet wurde. Im Mittelpunkt der Reden standen Friedensaufrufe und die Forderung nach europäischer Zusammenarbeit. Ähnliche politische Reden und Blumenniederlegungen konnten wir am 27. Juni 2009 auch in Poltawa beobachten. Allerdings wäre in Poltawa zur 250. Jahrfeier 1959 an Denkmäler und Reden im Zeichen von Frieden und Völkerverständigung noch nicht zu denken gewesen. Bisher ist die 2009 neueröffnete Rotunda das einzige Denkmal, dass ausdrücklich den Gefallenen aller Nationen gedenkt und somit als Mahnmal zur Versöhnung der Völker verstanden werden kann. Ansonsten ist das Poltawaer Stadtbild von Denkmälern geprägt, die zu Zaren – und Sowjetzeiten errichteten wurden Abb. 38 und in erster Linie den russischen Sieg glorifizieren. Neben dem offiziellen Gedenken an die Schlacht von Höchstädt, wurde der 300. Jahrestag auch ausgiebig zelebriert. Bereits im Vorfeld der Festlichkeiten wurden viele neue Nähstuben eröffnet, die historische Kostüme für jeden Bewohner Höchstädts produzierten. Und ähnlich wie in Poltawa wurde auch in Höchstädt das Lagerleben der Soldaten und die Schlacht an sich nachgestellt.

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Im Schloss Höchstädt wurde im Rahmen der Gedenkfeiern die Ausstellung „Brennpunkt Europa 1704“ eröffnet. Diese stellt die Ereignisse der Schlacht, ihr politisches Umfeld sowie ihre regionale Bedeutung sehr didaktisch dar. Hierbei stehen nicht die Herrscher und die politische Bedeutung der Schlacht im Vordergrund, sondern das Schicksal der einfachen Soldaten und der Bevölkerung in Schwaben und Bayern. Dieser Regionalbezug ist im Museum der Schlacht von Poltawa nicht zu finden, auch die didaktische Aufarbeitung lässt dort noch zu wünschen übrig (siehe hierzu den Artikel Alte Schlacht in neuem Gewand – Ein neues Konzept für das Museum der Schlacht von Poltawa!? unserer Projektgruppe).

Abb. 39

Ebenfalls im Rahmen der 300. Jahrsfeier wurde in Höchstädt der Denkmalweg Auf den Spuren der Schlacht von 1704 angelegt, der auf etwa 23 km Strecke alle Denkmäler und die historischen Gegebenheiten mittels Informationstafeln und Hinweisschildern verbindet und erläutert. Der Denkmalweg soll den Besuchern die Möglichkeit geben, sich die Ereignisse von 1704 zu vergegenwärtigen. Auch dies ist ein leider fehlendes Element in Poltawa, wo die Denkmäler sowohl in der Stadt als auch auf dem Schlachtfeld für sich allein stehen (www.blindheim.de). Zusammenfassend kann man feststellen, dass die Schlacht von Höchstädt 1704 und die Schlacht von Poltawa 1709 Ereignisse vergleichbarer Bedeutung waren und auch die 300. Jubiläen in einem ähnlichen Rahmen, das heißt in einer Mischung aus Gedenken und Feiern, stattgefunden haben. Dennoch ist zu erkennen, dass die Erinnerung an die Schlacht von Höchstädt bereits seit 1954 durch den europäischen Kontext und Friedensappelle geprägt ist, wohingegen die Erinnerung in Poltawa erst seit der 300. Jahresfeier in einen internationaleren Kontext gesetzt wurde.


„11. Europäische Schlachten im Vergleich“

SUMMARY The Comparison of the Culture of Remembrance of two European Battles: Blenheim 1704 und Poltava 1709 By Laura Ritter

What have a city in Swabia and a city in the central Ukraine in common? Both are famous for their battles, which took place in 1704 and 1709. And they both organized huge 300th anniversary festivities. The battle of Blenheim 1704 was the first conflict in the War of the Spanish Succession. An allied army under the rule of Prince Eugene of Savoy and Duke of Marlborough captured a victory over the united army of France (Tallard) and Bavaria (Maximilian II. Emanuel). So what is special about this battle? France lost in this battle its nimbus of invincibility, Bavaria, ambitious to become a great power, became now part of Austria and it was the first step for Great Britain to become a world power. Are there any parallels? Maximilian II. Emanuel and Ukranian Hetman Mazepa have a lot in common: Both of them changed sides to get ahead. And there is a pan–European meaning of the battles: Poltava caused the rise of Russia and the descent of Sweden. Blenheim bred the growth of Britain’s power and the defeat of France. But more important is the similarity in the commemoration. Poltava and Blenheim organized huge festivities and in both cases it was mix of commemoration and celebration. In both cities you can find a lot of memorials for the wars and their victims. Just their function differs. The monuments in Poltava glorify the Russian victory, unlike in Blenheim, where they commemorate Europe’s peace. In both cities the highlight of the anniversaries was an opening of a new monument: The “Rotunda of Reconciliation” in Poltava and the “Book of History” in Blenheim. There were wreaths of flowers in Poltava as well as in Blenheim and there were speeches held by politicians or military leaders. Both cities have a museum, which tries to show the background and the battle itself. At the anniversary they do reenactments – in Poltava we saw a fashion show where the actors dressed in 18th century dresses. In Blenheim all the inhabitants were dressed in clothes from the 18th century. All of this shows that a city in central Ukraine and Swabia have a lot in common – those similarities are based on their common experience of a battle in the 18th century.

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12. Mit Blick auf Russland und Europa

Die Schlacht von Poltawa hat die europäische politische Landkarte grundlegend verändert. Doch das Gedenken an sie scheint bisher eher regional stattzufinden. Gibt es eine europäische Perspektive in der Gedenkkultur und internationalen Politik der Ukraine? Und wie wirkt das Verhältnis der Ukraine zu seinen europäischen Nachbarn auf die nationale und europäische Erinnerungskultur des Landes?

Abb. 40

Poltava in Connection with Europe and Russia


„12. Mit Blick auf Russland und Europa“

In der Zwickmühle Die Haltung der EU zur Ukraine Von Malte Liewerscheidt

S

eit der „Orangenen Revolution“ bemüht sich die Ukraine verstärkt um einen Beitritt zur Europäischen Union. Doch in Brüssel ist das Interesse verhalten.

Die Ukraine befindet sich seit ihrer Unabhängigkeit im Jahre 1991 in einer geopolitisch nicht sonderlich beneidenswerten Situation. Einerseits bemüht sie sich um Emanzipation von Russland, das sich mit dem Verlust der Ukraine nie so recht abfinden konnte. Das wirtschaftliche Gewicht des großen Bruders im Osten ist jedoch zu bedeutend, als dass man bei diesen Manövern allzu viel Spielraum besäße (Pleines 2008: 45). Die Europäische Union, der erklärte Wunschpartner im Westen, ziert sich hingegen, dem ukrainischen Werben in dem erhofften Maße entgegen zu kommen (Schulze 2008: 172). Waren diese Tendenzen zu Beginn der neunziger Jahre nur in Ansätzen erkennbar und von schwierig zu deutenden internen Entwicklungen bei allen Akteuren begleitet, so hat sich die Problematik seit dem Ende des Jahrzehnts voll entwickelt (Wolczuk 2004: 3 f). Ein unter Putin wieder erstarktes und mit neuem–altem Selbstbewusstsein auftretendes Russland forciert den wirtschaftlichen Druck auf eine Ukraine, die seit der „Orangen Revolution“ entschieden die europäische Integration anstrebt und dabei auf eine Europäische Union trifft, die nach der jüngsten Beitrittswelle erweiterungsmüde und mit sich selbst beschäftigt dem ukrainischen Verlangen wenig Interesse entgegen bringt (Schulze 2008: 171 f.; Böttger 2008: 13). Was ist unter diesen Bedingungen für das zukünftige Verhältnis zwischen Ukraine und EU zu erwarten?

Die jüngsten Ereignisse reihen sich jedenfalls nahtlos ein in die bisherige Entwicklung der Beziehungen, deren erster großer Schritt 1994 der Abschluss eines Partnerschafts – und Kooperationsabkommens darstellte. Schon damals ging es um die Umsetzung rechtsstaatlicher Reformen und eine Intensivierung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Eine Beitrittsperspektive war ausdrücklich nicht Teil der Vereinbarungen (Böttger 2008: 14). Im Zuge der Osterweiterung entwickelte die Union 2004 dann die „Europäische Nachbarschaftspolitik“ (ENP), die den Umgang mit den Nachbarländern regeln sollte und auch die Ukraine betraf. Dies wurde aus Kiew stets kritisiert, fühlte man sich doch mit den Mittelmeeranrainern zu Unrecht in einen Topf geworfen und um die Beitrittsperspektive gebracht (Fischer 2008: 9 f.). Dennoch war die Ukraine das erste Land, mit dem im Rahmen der ENP ein so genannter „Aktionsplan“ vereinbart wurde, der wiederum interne Reformen und eine verstärkte wirtschaftliche Kooperation vorsah. Der ukrainische Beitritt zur „Östlichen Partnerschaft“ – der neben der Ukraine noch fünf weitere ehemalige Sowjetrepubliken angehören – im Mai dieses Jahres, sowie der angestrebte Abschluss eines erweiterten bilateralen Assoziierungsabkommens bis Ende 2009 stellen somit die Fortsetzung dieses schrittweisen Annäherungskurses zwischen der EU und der Ukraine dar. Die Vollmitgliedschaft ist nach wie vor kein Thema, was in der Ukraine kritisch gewertet wird. Das behutsame Vorgehen der EU zu diesem Zeitpunkt ist pragmatisch und geprägt von einem kurzfristigen Zeithorizont. Derzeit sprechen schlicht zu viele Faktoren gegen einen Beitritt der Ukraine zur Europäischen Union: Da ist zum einen der Zustand der Union selbst, die in ihrer augenblicklichen Lage – einer grundlegenden Reform im Schwebezustand – sicherlich nicht erweiterungsfähig ist. Abzuwarten bleibt aber, ob und wie schnell sich an der angesprochenen grundsätzlichen Erweiterungsmüdigkeit nach vollendeter Reform etwas ändern wird. Auch hier ist speziell aus ukrainischer Sicht Skepsis angebracht: Bei einer Umfrage des Eurobarometer aus dem Jahr 2007 lag die Zustimmung der europäischen Bevölkerung zu einem EU–Beitritt der Ukraine bei circa 10 % (Langbein 2008: 21). Da ist zum zweiten die Ukraine, welche die in den bisherigen Verträgen angemahnten rechtsstaatlichen Reformen nicht in dem geforderten Umfang umgesetzt hat, wirtschaftlich nach wie vor nicht für den gemeinsamen Markt gerüstet wäre und derzeit heftige innenpolitische Verwerfungen erlebt (Wolczuk 2008: 101 f.). Und da ist drittens Russland, das schon die „Europäische Nachbarschaftspolitik“ als Eingriff in die eigene Interessensphäre empfand und nun die im Kontext der „Östlichen Partnerschaft“ vereinbarte Modernisierung des ukrainischen Gastransitnetzes unter Nichtbeteiligung russischer Firmen zum Anlass nahm, mit einer grundsätzlichen Überprüfung der Beziehungen zur EU zu drohen (Schneider–Deters 2008: 363; Stewart 2009: 3 f.).

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„12. Mit Blick auf Russland und Europa“ Bei allem Verständnis also für den bisherigen Kurs der EU birgt diese Strategie mittelfristig auch Gefahren. Will die Union den westlich orientierten Reformkurs der Ukraine weiter fördern, so muss sie der Regierung in Kiew auch in Bereichen entgegenkommen, welche diese symbolpolitisch der eigenen Bevölkerung verkaufen kann. Dies lassen die bisherigen Verträge kaum zu, bei allem langfristigen Fortschritt, der auf diesem Weg auch erreicht werden mag. Die EU befindet sich in der Zwickmühle: Einerseits möchte sie die Ukraine zumindest wirtschaftlich möglichst eng an die Union binden, andererseits riskiert sie mit ihrem schrittweisen Vorgehen und der Vorenthaltung symbolisch verwertbarer Anreize die Schwächung gerade derjenigen Kräfte innerhalb der ukrainischen Gesellschaft, die bereit sind den pro–westlichen Kurs mitzutragen. Die geopolitische Situation der Ukraine bleibt unter diesen Umständen nicht beneidenswert.

Abb. 41

SUMMARY The EU’s Dilemma By Malte Liewerscheidt

This essay deals with the complex bilateral relationship between the European Union (EU) and Ukraine from the time of Ukrainian independence in 1991 till today. It is argued that – speaking in geopolitical terms – Ukraine is caught in an uncomfortable situation between two major powers in east and west. On the one hand, the country is exposed to economic pressures from Russia, which has reemerged as a powerful actor in the region during Vladimir Putin’s presidency. The EU on the other hand, Ukraine’s partner of choice in the west, is reluctant to grant valuable concessions to the Ukrainian leadership in order to bind the country towards the west. Particularly the perspective for political integration into the Union, the official goal of the Ukrainian government since the ‘Orange Revolution’ in late 2004, has been constantly denied by European negotiators till today. European reluctance is due to three major reasons: the unfinished reform process of the Union itself, a growing trend against further enlargements in the near future among the European populace and a general reluctance by EU governments to interfere too offensive with Russian interests in the region. Although this strategy is understandable in the short run, it is counterproductive in a long–term perspective: by denying tangible concessions, the EU alienates and weakens the pro–western parts among the Ukrainian elite. Thus, eighteen years after independence, the relationship between the EU and Ukraine is still in limbo.

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„12. Mit Blick auf Russland und Europa“ Koalition aus Dänemark, Sachsen/ Polen und Russland im Jahr 1700 gegen den jungen Monarchen in den Krieg zog. Allerdings unterschätzten sie die Fähigkeiten ihres Von Malte Liewerscheidt Gegners. Mit Unterstützung der britischen Marine und finanzieller m Juni 2009 wurde der 300. Jahrestag der Schlacht bei Poltawa begangen. Hilfe aus Frankreich besiegte Karl Aber wer und was wurde bei dieser Gelegenheit eigentlich erinnert? Ein Dänemark im ersten Kriegsjahr. Gang um das Schlachtfeld und die Erinnerungsstätten in Poltawa erweckt Kurze Zeit später, im November den Eindruck, dass die Schlacht in erster Linie ein Ereignis von nur regio1700, erlitt die Armee Peters I. naler Bedeutung war. Dabei handelt es sich um ein europäisches Ereignis par excelwährend der Schlacht von lence. Wie aber lässst sich eine europäische Sichtweise in das Gedenken an Abb. 42 Narwa eine schwere die Schlacht integrieren? Mit dieser Frage im Hintergrund, will vorlieNiederlage. gender Artikel den europäischen Kontext, in welchem die Schlacht Die Schlacht von Die Tatsache, dass Karl nach diesem Sieg nicht weiter gegen Russstattfand, darlegen und Möglichkeiten aufzeigen, wie diese europäPoltawa markiert den land zog, wird gemeinhin als sein erster, entscheidender strategischer ische Perspektive in die heutige Erinnerung der Schlacht integriert entscheidenden Wendepunkt in Fehler gesehen (Kennedy 1987: 178). Stattdessen wandte er sich gegen werden kann. einem Krieg, der für viele Sachsen und Polen. An dieser Front gelang ihm jedoch vor 1706 kein Umwälzungen in der politischen Sieg; eine kritische Zeit, die Zar Peter dazu nutzte, um seine Armee Landschaft Europas verantwortlich war. Ein europäisches Ereignis durch und durch wieder aufzubauen und militärische Operationen in der OstseereAber wie e kann es gelingen, das gion durchzuführen. Im Jahr 1707 schließlich, wandte sich Karl seinem Gedenken an Poltawa in eine größere Traditionell ist die Gedenkkultur in Poltawa russisch geprägt, denn letzten noch verbliebenen Feind zu. Trotz anfänglicher Siege misslang europäische Perspektive bis 1991 war das Gedenken an die Schlacht eindeutig von der russider Vorstoß Richtung Moskau, vor allem aufgrund der russischen Strateeinzubinden? schen Geschichtsschreibung dominiert. Hierbei wurden jedwede abweigie der verbrannten Erde (Meier 2003: 7). Eine geschwächte schwedische chenden Geschichtsinterpretationen untergraben (Wanner 1998: 148). Armee stieß daher Richtung Süden vor und verbündete sich mit den Kosaken Erst in jüngster Zeit ist diese einseitige Sichtweise etwas in den Hintergrund Masepas. getreten und hat Platz gemacht für eine neue “Schicht” in der Erinnerung an die Ende Juni 1709 kam es bei Poltawa zum lang erwarteten Kampf zwischen den feindliSchlacht bei Poltawa. Der neue Fokus liegt auf einer national–ukrainischen Geschichtschen Parteien, der das wohlbekannte Ende fand. Die Neuigkeiten der schwedischen Niewahrnehmung der Schlacht, die sich primär auf die umstrittene Rolle des Kosakenderlage führten zu einem Wiedereintritt Dänemarks und Polen/Sachsens in den Konflikt. hauptmanns jener Zeit, Iwan Masepa, konzentriert. Aber mindestens noch eine weitere Der Hauptschauplatz des Krieges verlagerte sich dadurch erneut nach Norddeutschland, wesentliche Schicht im Gedenken an die Schlacht fehlt bisher, nämlich das Gedenken an wo die Koalition der Alliierten – inzwischen waren ihr auch einige deutsche Fürstentüdie Bedeutung der Schlacht für die europäische Geschichte. mer beigetreten, unter ihnen auch Preußen – die Gelegenheit nutzte, um die schwediDie Schlacht von Poltawa gilt gemeinhin als Wendepunkt im „Großen Nordischen sche Vormachtstellung über die Südseite der Ostsee zu beenden. Krieg“ (siehe u. a. Duchhardt 1997: 243) und kann folglich durchaus als Ereignis von herausragender europäischer Bedeutung gesehen werden. Ein Blick auf Auslöser, Verlauf und Folgen dieser Schlacht zeigt den zutiefst europäischen Charakter des Ereignisses Das Vermächtnis des Krieges: Machtverlagerung in Europa von 1709. Trotz dieser Entwicklung dauerten der Nordische Krieg und der Niedergang Schwedens noch 13 Jahre an, bis eine Reihe von Verträgen zwischen der Vielzahl der beteiligten Ein Rückblick: Ursprung, Verlauf und Konsequenzen von 1709 Partner – von denen der Friedensvertrag von Nystad zwischen Schweden und Russland in 1721 der entscheidende war – ein Ende der Feindseligkeiten brachte. Das sichtbarste Als der 15 Jahre alte Karl XII. 1697 den schwedischen Thron bestieg, sahen einige Ergebnis dieses Konflikts: Russland ersetzte Schweden als Hegemonialmacht in der Ostder Nachbarländer endlich die Zeit gekommen, die schwedische Vormachtstellung zu seeregion (Parker 2005: 155). zerschlagen und ein neues Kapitel im Kampf um das Dominium Maris Baltici, um die Vormachtstellung an der Ostsee, aufzuschlagen (Meier 2003: 4f.). So kam es, dass eine

Poltawa aus europäischer Perspektive

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„12. Mit Blick auf Russland und Europa“ Der Krieg zog damit langfristige Veränderungen nach sich: Russland tauchte als politische und militärische Großmacht auf der europäischen Bühne auf und die Machtverhältnisse der europäischen Diplomatie begannen sich zugunsten eines Systems der Pentarchie (griechisch: Fünfherrschaft) zu verschieben: Frankreich, Großbritannien und Österreichs als bereits etablierte Mächte und Preußen und Russland als neu aufsteigende Mächte im Osten. Dieses System sollte die europäische Politik während des 18. und 19. Jahrhunderts formen.

Taucht eine neue Erinnerungsschicht auf? Wie aufgezeigt wurde, markiert die Schlacht von Poltawa den entscheidenden Wendepunkt in einem Krieg, der für viele Umwälzungen in der politischen Landschaft Europas verantwortlich war. Man kann die Schlacht folglich durchaus als Ereignis von herausragender europäischer Bedeutung sehen. Aber wie kann man das Gedenken an Poltawa in eine größere europäische Perspektive einbinden? tBislang hat die Schlacht von Poltawa in Westeuropa jedenfalls keine besondere Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Sie ist bestenfalls unter Historikern, die sich auf Osteuropäische Geschichte spezialisiert haben, ein bekanntes Ereignis, jedoch von der breiten Öffentlichkeit meist völlig unbeachtet geblieben. Dies rührt möglicherweise daher, dass sowohl die Geschichtsschreibung als auch ihre Vermittlung in Schulen und Universitäten,

bis noch vor kurzer Zeit, stark national geprägt waren. Daraus ergibt sich, dass die Schlacht von Poltawa eher Menschen in Ländern wie Russland, der Ukraine, Schweden und Polen, die seinerzeit direkt involviert waren, geläufig ist, jedoch in den westlichen Ländern größtenteils unbekannt ist. Es gibt allerdings einige Anzeichen, dass dieser nationale Fokus im Wandel begriffen ist und neue Schichten der Erinnerung an die Oberfläche gelangen. Die Gründung der Europäischen Union im Jahr 1992 begünstigte einen europäischen Blick auf die Geschichte. Durch diesen Prozess gerieten nationale Geschichtsschreibungen unter Druck. So wurden zum Beispiel in einem kürzlich veröffentlichten deutsch–französischen Geschichtsbuch die historischen Perspektiven beider Länder zusammengeführt, die bislang über Jahrhunderte getrennt voneinander behandelt wurden (LeQuintrec/Geiss 2006). Die gleiche Entwicklung kann auch im universitären Bereich beobachtet werden, wo Vorlesungen zur Europäischen Geschichte und Kurse, die eine vergleichende Betrachtung historischer Ereignisse vornehmen, große Beachtung finden. In diesem Zusammenhang ist die Schlacht von Poltawa prädestiniert, eine wichtige Stellung in dem sich immer noch entwickelnden Feld einer gemeinsamen europäischen Geschichtsschreibung einzunehmen. Die Schlacht ist, wie dargelegt wurde, ein zutiefst europäisches Ereignis. Nicht zuletzt versteht sich auch dieses Projekt (gemeint ist unsere ukrainisch–deutsche Geschichtswerkstatt, Anm. der Redaktion) als ein Beitrag dazu, dem Gedenken an die Schlacht von Poltawa eine Erinnerungsschicht aus europäischer Sicht hinzuzufügen.

SUMMARY Poltava from the European Perspective By Malte Liewerscheidt

How could the commemoration of Poltava be integrated into a broader European perspective? Traditionally, commemoration culture of the Battle of Poltava was clearly dominated by a Russian perspective. This has changed significantly since Ukrainian independence in 1991. On the occasion of the event’s tercentenary this year, heated discussions arose over the role of Cossack Hetman Ivan Mazepa and other perceived ‘Ukrainian’ contributions to the battle. Noting this interesting development, this essay argues that a European layer of remembrance is still missing in commemorating the battle. As the article explains, the battle is placed in the context of a European conflict and had tremendous impact on the continent’s further history. Poltava marks a decisive turning point in a conflict which can be described as a struggle for supremacy over the Baltic Sea between Sweden and riparian northern European states. The first main theater of the war was the Baltic coast, afterwards struggles turned towards Poland. When the Swedish army made its thrust towards Russia, it brought the conflict deep into Ukraine. After Swedish defeat at Poltava, some German principalities – most notably Prussia – joined the anti–Swedish coalition and the main theater of the war shifted again to northern Germany. When the war eventually came to an end in 1721, the political landscape in northeastern Europe had profoundly changed. Russia replaced Sweden as the hegemon in the Baltic region and grounds were laid for the rise of Prussia in the 18th century. Although these European aspects of the Battle of Poltava have been neglected in Western European public so far, the founding of the European Union accelerated a new interest in European history. This project (Editor’s note: The author refers to our Ukrainian–German History Project) thus might serve as a contribution to add a new, European perspective on the Battle of Poltava.

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„12. Mit Blick auf Russland und Europa“

Die russisch–ukrainischen Beziehungen in der postsowjetischen Zeit Ein gleichberechtigtes Verhältnis? Von Clara–Luise Sutterer und Julian Völkle

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n der postsowjetischen Zeit kommt das Verhältnis Russlands zu den anderen ehemaligen Sowjetrepubliken immer wieder in die Schlagzeilen der Medien. Diese sind zumeist nicht von positiver Natur, besonders nicht, wenn es um das russisch–ukrainische Verhältnis geht. Dennoch wird auf der 300–Jahrfeier in Poltawa von Abb. 43 Annäherung und Versöhnung zwischen der Ukraine und Russland gesprochen. Wie ist diese Ambivalenz zu verstehen? Ist das Verhältnis zwischen Russland und der Ukraine nach dem Kollaps der Sowjetunion durch eine größere Gleichberechtigung gekennzeichnet als in den Jahrzehnten und Jahrhunderten zuvor? Julian Völkle und Clara Sutterer zeichnen ein eher pessimistisches Bild. Es gab keine Gleichberechtigung in der Vergangenheit und auch die gegenwärtigen Verhältnisse sind weit davon entfernt.

Großrussland und Kleinrussland Im Jahr 1762 beschreibt der Ukrainer Semen Diwowytsch in seinem Gedicht Ein Gespräch zwischen Großrussland und Kleinrussland einen Dialog zwischen der Ukraine bzw. den Kosaken und Russland, der dem Leser ein gleichberechtigtes Verhältnis zwischen beiden suggeriert. Doch dieses Bild spiegelt kaum das tatsächliche Verhältnis zwischen den beiden Staaten wider, weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart (Kappeler 2003b: 8). Spätestens mit der Regierungszeit Katharinas II. im 18. Jahrhundert ist eine expansionistische Integrationspolitik verknüpft, die später – im Zuge eines aufflammenden Nationalismus im 19. Jahrhundert – durch eine Russifizierungspolitik ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte. Die Ukrainer, die im 18. Jahrhundert ihre politische Autonomie verloren hatten und deren Gebiete als so genanntes „Kleinrussland“ Teil des russischen Staates geworden waren, sollten sich nun als Teil eines russischen Volkes bzw. einer werdenden russischen Nation verstehen. Auf den ukrainischen Drang nach

Unabhängigkeit oder zumindest nach Anerkennung einer eigenen ukrainischen Nationalität reagierte Russland durch ein hartes Vorgehen. Sie lehnte eine solche Anerkennung ab, und die Ukrainer verloren in den folgenden Jahrzehnten vieler ihrer traditionellen Rechte, wie die Kosakenautonomie und das Recht auf den offiziellen Gebrauch der ukrainischen Sprache.

Streit um das Erbe der Kiewer Rus` Das spannungsreiche Verhältnis zwischen der Ukraine und Russland war allerdings nicht nur ein Phänomen politischer Beziehungen im 18. und 19. Jahrhundert sowie dann der sowjetischen Herrschaft im 20. Jahrhundert. Die Idee einer politischen Unabhängigkeit oder Autonomie in der Ukraine bezog sich im nationalen Denken im 19. und frühen 20. Jahrhundert auch auf die ältere Geschichte. So bezogen sich unterschiedliche historische Sichtweisen auch auf die mittelalterliche Kiewer Rus`, also die politischen Anfänge der Ostslawen. Denn die Kiewer Rus` ging als Gründungsmythos sowohl in die Geschichtsschreibung Russlands als auch der Ukraine ein. Russische Historiker wie Nikolaj Karamazin Anfang des 19. Jahrhunderts verstanden die Kiewer Rus’ als die Wiege einer gemeinsamen „ur–russischen“ Kultur und folgerten, dass eine kulturelle und ethnische Einheit der ostslawischen Völker bestanden hätte. Das Moskauer und Petersburger Reich sowie die Sowjetunion wurden entsprechend dieser Interpretation als politische Folgeordnungen der Rus’ dargestellt, um so die russische Vormundschaft zu legitimieren. Die heutige ukrainische Historiographie hingegen interpretiert die Kiewer Rus´ selbstbewusst als den exklusiven Beginn ihres tausendjährigen eigenen Geschichtsverlaufs. Diese Inanspruchnahme ein– und desselben „Erbes“ durch zwei Nationen ist natürlich nicht unproblematisch und schafft insbesondere seit den Staatsbildungen Russlands und der Ukraine 1991 ein zusätzliches Konfliktpotential für politische Auseinandersetzungen.

Die GUS und Russlands imperialer Anspruch Ein Großteil der politischen und kulturellen Elite Russlands lehnt die Vereinnahmung der Kiewer Rus’ durch die Ukraine vehement ab (Mackow 2003: 33). Es scheint, dass der Zerfall der Sowjetunion für Russland nicht das Ende des imperialen Anspruches bedeutete. Der imperiale Anspruch Russlands wird mit der Gründung der GUS 1991 auf das postsowjetische Russland übertragen. Durch die Schaffung eines neuen institutionellen Rahmens, welcher zum Beispiel die führende Rolle Russlands in der „Ökonomischen Union“ der GUS festlegte, hielt Russland seinen Machtanspruch aufrecht. Ein weiteres Beispiel für Russlands fortdauerndes Großmachtdenken sind die im Jahr 1993 festgelegten „Außenpolitischen Richtlinien der Russländischen Föderation“, welche zum einen den Weltmachtstatus der Russischen Föderation als auch die Integration des postsowjetischen Raumes beinhalten sollten. In diesem Zusammenhang ist auch die von dem damaligen russischen Außenminister Kosyrew im Jahr 1994 vorgeschlagene Doktrin erwähnenswert, die das Ziel eines „Gurtes der guten Nachbarschaft“ verfolgte (Mackow 2003: 34).

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„12. Mit Blick auf Russland und Europa“ Die also weiterhin imperial anmutende Politik Russlands spricht eindeutig gegen eine politische Gleichberechtigung der Ukraine. Das gleiche gilt natürlich auf für andere Folgestaaten der Sowjetunion, man denke etwa an den russisch–georgischen Konflikt. Daher ist es ist kaum verwunderlich, dass sowohl Georgien als auch die Ukraine ihren Austritt aus der „von Russland dominierte[n] Gemeinschaft“ erklärten (Saakaschwili, M. am 14.08.2008, Tiflis; zitiert nach RIA Novosti). Während Georgien offiziell seit dem 18. August 2009 kein Mitglied der GUS mehr ist, ist der Mitgliedsstatus der Ukraine vorerst nur in Frage gestellt.

Freundschaftsvertrag oder NATO? Doch würde eine offiziell vollzogene Ablösung aus der GUS der Ukraine tatsächlich eine gleichberechtigte Beziehung zu Russland einbringen? Der für das beiderseitige Verhältnis grundlegende „Vertrag über Freundschaft, Kooperation und Partnerschaft“ aus dem Jahr 1997 wurde im Oktober 2008 um weitere zehn Jahre verlängert. Das könnte als Hinweis in diese Richtung gedeutet werden. Allerdings ist auch hier Skepsis angebracht. Denn bislang wurde der Freundschaftsvertrag wiederholt von beiden Seiten als manipulatives Mittel missbraucht: Russland etwa drohte offen mit einer einseitigen Kündigung des Vertrags und „adäquaten Maßnahmen“ (Russisches Außenministerium, zitiert nach Spiegel online 30.03.2008), falls die Ukraine sich noch stärker an die NATO binde. Die Ukraine nutzte im Gegenzug die angebliche Bedrohung durch Russland zur politischen Mobilisierung der Bevölkerung für die NATO (junge Welt, 23.09.2008). Bislang ist die Ukraine kein NATO–Mitglied, erhielt aber auf dem NATO Gipfel in Bukarest im April 2008 eine grundsätzliche Beitrittsperspektive (Auswärtiges Amt). Der NATO–Beitritt der Ukraine per Volksabstimmung sowie Russlands Reaktion darauf bleiben noch abzuwarten. Wäre eine EU–Beitrittsperspektive eine Alternative (die allerdings im Moment von der EU nicht angeboten wird)? Was hätte die Ukraine zu befürchten, wenn sie einen selbstbestimmten außenpolitischen Weg einschlägt? Welche Druckmittel hat Russland zur Verfügung? Hier ist an erster Stelle die energiewirtschaftliche Abhängigkeit der Ukraine zu nennen, die Russland bei Bedarf dazu nutzt, um Einfluss auf die ukrainische Politik zu nehmen.

Die Energieabhängigkeit als politisches Instrument Die Ukraine ist wirtschaftlich nach wie vor eng mit Russland verflochten und hängt von Energieimporten aus Russland ab. Mit ihren einheimischen Öl– und Gasressourcen kann die Ukraine lediglich 15% bzw. 25% des Eigenbedarfs decken, der Rest wird aus Russland sowie auch aus Turkmenistan importiert (Pleines 2008: 45). Da die Ukraine aber auch das wichtigste Transitland für russische Öl– und Gasexporte nach Westeuropa ist, hatte es bei den Preisverhandlungen für Gaslieferungen und –transit über lange Zeit eine gute Verhandlungsbasis. So führten bis Mitte der 1990er Jahre noch 95% der russischen Gasexporte in Nicht–GUS–Länder durch die Ukraine (Pleines 2008: 45). Diesem Zustand weicht Russland immer weiter aus, indem es neue Pipelinerouten und

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damit neue Transitwege nach Westeuropa einrichtet, die nicht durch die Ukraine führen. Schon in den vergangenen Jahren hat sich abgezeichnet, dass die Ukraine ihre Energiekosten nicht mehr, wie bisher, über Transit– oder Leasinggebühren der Schwarzmeerflotte auf der Krim ausgleichen kann. Als Folge wächst die Verschuldung der Ukraine gegenüber Russland Monat für Monat und das Land gerät immer mehr in eine Abhängigkeit, die das Land nicht nur in energiewirtschaftlicher Hinsicht in eine missliche Lage bringt. Erst Anfang dieses Jahres, im Frühjahr 2009, hat der Gasstreit zwischen der Ukraine und Russland deutlich gezeigt, dass Russland den Energiekonflikt nutzt, um politischen Einfluss auszuüben und die Ukraine zu kontrollieren (Fischer 2008b: 39). Nicht die energiewirtschaftliche Abhängigkeit der Ukraine, sondern deren politische Nutzung, zeigt erneut, dass sich Russland seiner Überlegenheit wohl bewusst ist und von einem gleichberechtigten Verhältnis keineswegs gesprochen werden kann.

Ukrainische Schaukelpolitik Das Überlegenheitsgefühl und Machtgebaren von Russland gegenüber der Ukraine erwächst nicht zuletzt auch aus der mangelnden Entschlossenheit der ukrainischen Politik. Hierbei ist marginal, ob die Politik in Kiew nun Balancepolitik (Mackow 2003: 36), Multivektorenpolitik (Fischer 2008b: 40) oder Schaukelpolitik (Härtel 2008: 52) genannt wird. Tatsache ist, dass die ukrainische Politik bisher nicht klar in eine Richtung – Europa oder Russland – zielt, sondern versucht, auch in zentralen Fragen (wie etwa einem NATO–Beitritt) zu manövrieren, um es sich ja mit Keinem zu verscherzen. Gerade mit dieser politischen Strategie aber hält die Ukraine weiterhin freiwillig Türen für eine Einflussnahme von außen offen (Fischer 2008b: 41). Denn wo jemand nicht eindeutig Stellung bezieht, ist er in der Regel beeinflussbar.

Resümee Die diskutierten gegenwärtigen Probleme zeigen, dass das russisch–ukrainische Verhältnis angespannt ist. Zu Zaren– und Sowjetzeiten verstand sich Russland noch als großer Bruder der kleineren ostslawischen Völker und übte direkt und selbstverständlich politischen Einfluss auf diese aus. Heute könnte man fast von einem stiefbrüderlichen Verhältnis sprechen: Obwohl Russland und die Ukraine mit ihren Unabhängigkeitserklärungen quasi die Bruderschaft aufkündigten, versucht Russland weiterhin die Ukraine mit indirekten Mitteln an sich zu binden. Die Ukraine selbst kann sich noch nicht von dem Einfluss durch ihren großen „Stiefbruder“ befreien. Fest steht: Das gegenseitige Verhältnis ist für die beiden Nachbarstaaten von zentraler Bedeutung. Von einem gleichberechtigten Verhältnis kann allerdings bisher nicht die Rede sein. Fast wirken Russlands Reaktionen auf eine ukrainische Hinwendung gen Westen so, als würde sich „Großrussland“ noch heute wie im am Anfang erwähnten Gedicht darüber empören, wenn es zu „Kleinrussland“ sagt „Warum respektierst du mich nicht? Als würdest du zu einem anderen Russland gehören und nicht zu mir!“


„12. Mit Blick auf Russland und Europa“

Abb. 25

SUMMARY

The Russian–Ukrainian Relationship since 1991 – A Relation between Equals? By Clara–Luise Sutterer and Julian Völkle

The Russian–Ukrainian relations have attracted much public attention since 1991. Newspaper headlines speak about a problematic and ambiguous relationship between the two countries. But on the occasion of the tercentenary of the battle of Poltava commentators noticed a rapprochement between the two countries. How is it possible to interpret this ambivalent picture? And is it possible to term the bilateral relations today as one on equal terms? The idea of Ukrainian independence has emerged long before the turn of the 20th century. The call for autonomy can be traced back to the early modern times. With the expansive policy of Catherine II., however, Ukraine definitively became a part of the Russian empire. The picture didn’t change for long in and after 1917. After that, Russian domination prevailed during most of the Soviet era and still it shapes today’s economic relations in the CIS. In 1993 the „Foreign Political Guidelines of the Russian Federation“ further proclaimed the Russian Federation’s global power status as well as the integration of the post Soviet territory. The continuation of a kind of imperial politics by Russia contrasts starkly with the proclaimed equality of the Ukraine. Yet, treaties like the 1997 „Treaty of friendship, cooperation and partnership” or the recent event of the tercentenary of the battle of Poltava, where the word reconciliation was frequently used, suggest occasionally a shift towards a more equal relationship between the two neighboring countries. Recently however, the enduring dispute over energy, which already lasts since four years, created again great restraints for the Ukrainian nation. The Ukraine still relies to a large extent on Russian exports and the statistics show a sharp increase in debts to Russia. At first it seems obvious that Russian–Ukrainian relations must have eased since the collapse of the Soviet Union, compared to the tremendous influence Russia exerted on its Ukrainian satellite in the past. But even in this shifting context Russia retained ways to project its power into the Ukraine and to achieve through this continuing dependence.

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„12. Mit Blick auf Russland und Europa“

Die Schlacht bei Poltawa als Beginn einer schwedisch– ukrainischen Union? Von Kristina Offterdinger

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ie Ukraine vereinnahmt die Schlacht bei Poltawa für ihren Nationalmythos, – als Symbol für ihren Wunsch nach Autonomie, nach Abtrennung von Russland und nach einer europäischen Orientierung, in diesem Fall einer schwedisch–ukrainischen Union. Hier stellt sich unweigerlich die Frage, ob und wie sich Schweden an die Schlacht erinnert. Trauern die Schweden dem in der Schlacht verloren gegangenen Imperium nach? Spielt die Niederlage von damals noch eine Rolle im heutigen nationalen Bewusstsein der Schweden?

Die Bedeutung der Schlacht für die schwedische Politik Die Schlacht bei Poltawa stellte den Wendepunkt des Nordischen Krieges dar. Mit dem russischen Sieg begann auf der einen Seite der Aufstieg Russlands zu einer europäischen Großmacht und einem Imperium. Auf der anderen Seite führte die schwedische Niederlage von 1709 zu einer Wende in der schwedischen Politik: Anstelle einer aggressiven Außenpolitik trat eine neutrale Haltung in europäischen Belangen, die auch noch heute kennzeichnend für Schweden ist (Öhlén / Ullman 2009).

Wie begegnen die Schweden dem 300.–jährigen Jubiläum? Auffallend ist, dass die Berichterstattung der schwedischen Presse zum Jubiläum der Schlacht sich vor allem um das Politikum zwischen Russland und der Ukraine dreht; es finden sich kaum Berichte über die Bedeutung der Schlacht für die schwedische Erinnerungskultur (The Local, 2009). Das Jubiläum und die dazugehörigen Feierlichkeiten in Poltawa selbst werden von schwedischen Teilnehmern als ernüchternd und sogar enttäuschend beschrieben. Zwei schwedische Jubiläums–Teilnehmer schildern in ihrem Artikel verwundert, dass die Feierlichkeiten wider Erwarten ukrainezentriert und nicht russlandzentriert wirkten, obwohl doch die Russen die Sieger der Schlacht waren. Hierbei verweisen sie auf die große Anzahl ukrainischer Flaggen, auf die starke Betonung der Kosaken und ihres Feldherrn Iwan Abb. 45 Masepa bei den Festreden und auf das neu eingeweihte

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Versöhnungsdenkmal, dessen drei Säulen für drei Kriegspartien stehen, also den Eindruck vermitteln, dass die Ukraine als gleichwertiger Partner in dieser Schlacht teilnahm (Öhlén / Ullman 2009).

Wie wichtig ist die Schlacht für das schwedische Nationalbewusstsein? Die Russen sehen ihren Sieg in der Schlacht von Poltawa als den Beginn ihres Großmachtstatus. Die Ukrainer deuten Masepas Seitenwechsel vor der Schlacht als Beginn ihrer Nationalbewegung. Und Schweden? Ist die Schlacht von Poltawa für das schwedische Nationalbewusstsein von vergleichbarer Bedeutung? Nimmt man die geringe schwedische Berichterstattung im Vorfeld des Jubiläums als Maßstab, ist die Schlacht von Poltawa in Schweden ganz offensichtlich kein Politikum, – ganz im Gegensatz zur Situation in Russland und in der Ukraine. Auch bei den Feierlichkeiten in Poltawa fiel auf, dass sehr wenige schwedische Flaggen zu sehen waren. Es gab zwar eine Ansprache des schwedischen Botschafters, aber neben den vielen ukrainischen und russischen Besuchern fanden sich nur sehr wenige schwedische Jubiläumstouristen (Öhlén / Ullman 2009). Das Interesse der Schweden an der Schlacht scheint also eher verhalten. Vielmehr kritisieren die schwedischen Medien, dass sowohl Russland als auch die Ukraine die Feierlichkeiten aufbauschen und als Anlass für politische Auseinandersetzungen instrumentalisieren (Öhlén / Ullman 2009). Auch die Worte des schwedischen Botschafters in seiner Gedenkrede in Poltawa klangen durchaus missbilligend in Richtung Russland, als er urteilte, Schweden habe dank der Niederlage bei Poltawa zu einer Neutralitätspolitik finden können, die dem Staat heute ein hohes Ansehen in Europa einbringe und glücklicherweise ein Großmachtgebaren wie das anderer Staaten nicht mehr nötig mache. Für die nationalukrainische Inanspruchnahme der Schlacht bringt Schweden in Grenzen Verständnis auf: Einerseits werden die Abgrenzungsversuche der jungen Nation gegenüber Russland als ein logischer Schritt in der Identitätsbildung als Nation gesehen (Öhlén / Ullman 2009), andererseits aber geht dies für die Schweden in Momenten zu weit, in denen sie selbst allzu selbstverständlich als „Unionspartner“ von der Ukraine reklamiert werden. So etwa geschehen in dem Dekret Nr. 955 (Oktober 2007) des ukrainischen Präsidenten Viktor Juschtschenko, in welchem Masepas Seitenwechsel als Beginn einer bis heute fortdauernden Ukrainisch–Schwedischen Union interpretiert wurde (Ukaz Presidenta Ukraini № 955/2007). Stockholm reagierte in gewisser Art und Weise diplomatisch, nämlich gar nicht (Priven 2009). Es scheint bei diesen Betrachtungen insgesamt so, als dass die Schweden ihre Niederlage seit langem verdaut haben und ihr keine essentielle identitätsstiftende Bedeutung beimessen. Wenn Schweden an die Schlacht erinnert, dann in einem kleinen unauffälligen Rahmen, in welchem die damalige Niederlage positiv als Beginn der schwedischen Neutralitätspolitik verstanden wird.


„12. Mit Blick auf Russland und Europa“

SUMMARY How Sweden sees the Battle at Poltava By Kristina Offterdinger

Thinking about the different interpretations of the Battle of Poltava in contemporary Russia and Ukraine, it is also worthwhile to look at the Swedish opinion and interpretation of the battle. How do the Swedes remember the battle? What impact had the defeat in the battle on the Swedish national consciousness? How do the Swedes see the 300 th anniversary and to what degree do they still think of the bygone Swedish empire? The Battle at Poltava itself was the turning point in the Northern War. Russia became the Russian Empire and won influence in Europe, whereas Sweden lost almost all of it. Today, most Swedes think of this development in a rather positive way: Sweden turned away from an aggressive foreign policy towards a neutral position in Europe, which determines Swedish foreign policy even today. Swedish newspaper articles on the anniversary, however, mostly focus on its current political use by Russia and Ukraine. There are no reports about the importance of the battle for the current Swedish national identity. In one article, two Swedish participants in the anniversary ceremonies in Poltava write that they are quite disappointed with the ways Ukrainians dealt with it. They criticize that the anniversary on the battlefield focused on Ukraine and that it neglected the Russian victory. This could be seen, according to the article, e.g. by the high number of Ukrainian flags during the ceremonies on the battlefield and by the strong focus on the Cossacks and their leader Ivan Mazepa. Also, it is criticized that the new Monument of Reconciliation on the battlefield addresses Russia, Sweden and(!) Ukraine suggesting Ukraine was an equal participant of the battle. The Swedish opinion about the Ukrainian way of celebration is, that Ukraine, as a young nation, is stuck in the process of “nation building” at the moment. According to the Swedish press, this can be seen in the attempt of Ukraine to distinguish itself from Russia by all means and, for that purpose, to use history to constitute a separate cultural identity as a nation. On the contrary, in Sweden this side of their national history has lost importance and thus history is less used as an instrument for identity politics. Hence, it is not surprising that only a few Swedes attended the anniversary ceremonies at Poltava. Taking this observation as an indicator (one has to acknowledge however that Sweden is not located nearby) one can argue that the battle is of a rather limited importance for Swedes today. At least it apparently has no political importance in a degree comparable to Russia and Ukraine. There was of course an official address by the Swedish ambassador at Poltava. But the public in Sweden left the anniversary almost unnoticed.

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13. Backstage

Ein binationales Forschungsprojekt ist immer auch ein Austauschprojekt. Wie hat sich unsere Zusammenarbeit gestaltet? Welche Erfahrungen und Erkenntnisse haben wir miteinander abseits der Projektinhalte gemacht? Ein Blick hinter die Kulisse der deutsch–ukrainischen Geschichtswerkstatt.

Backstage


„13. Backstage“

„Let it roll…“ Viele Fragen und die Antworten der Projektteilnehmer Von Neele Wulff und Sebastian Sparwasser (Übersetzung: Sara Andersch)

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elche Motivation haben die deutschen und ukrainischen Studenten für ihre Teilnahme am Projekt? Wie bewerten sie ihre bisherige gemeinsame Arbeit? Was hat ihnen besonders gefallen? Viele Fragen und interessante Antworten.

An die deutschen Studenten: Die Schlacht bei Poltawa hat vor nunmehr dreihundert Jahren stattgefunden. Warum interessierst Du Dich als deutscher Student für eine Schlacht des Großen Nordischen Kriegs? War Dir die Bedeutung der Schlacht bei Poltawa bewusst?

Wissenschaftlicher Austausch ist immer auch kulturelle Begegnung. Welchen Eindruck hast du vom ersten Treffen? Hat Dich etwas überrascht?

Clara (DE): Von dem Großen Nordischen Krieg habe ich im Rahmen meines Studiums

Sebastian (DE): Nein, nichts wirklich Überraschendes, was die kulturelle Begegnung betrifft – uns war das Thema nur ein wenig fremd, obwohl wir zuvor viele Aufsätze gelesen hatten.

An die ukrainischen Studenten: Die Schlacht bei Poltawa wurde in der Geschichtsschreibung verschieden bewertet. Welche Bedeutung hat die Schlacht für Dich?

natürlich schon gehört. Die Schlacht als solche ist in Deutschland eher unbekannt. Mich interessiert aber besonders das Verhältnis der nun unabhängigen Ukraine zu seinem ehemals „großen Bruder“ Russland. Dabei spielt die Petro (UA): Meine Teilnahme an dem Projekt “Wie ein Schwede in Der Weg zum Schlacht bei Poltawa eine bedeutende Rolle. Außerdem war mir wichtig, Poltawa” ist ein wichtiger Abschnitt meines bisherigen Lebens. Im Gruppeninterview: einen unmittelbareren Zugang zur Geschichte der Ukraine zu bekomGanzen ist dieses Projekt eine tolle Chance für mich, mich weiter zu Das Gruppeninterview entstand men – einen Eindruck außerhalb der Medien, in Zusammenarbeit mit entwickeln, insbesondere in Hinblick auf solche Kompetenzen wie durch eine schriftliche Befragung der Studenten aus der Ukraine und das in der Stadt Poltawa. Teamwork, Flexibilität und Teilnehmer. Neele und Sebastian haben unabhängiges Denken. Und daraus ein Gruppeninterview sicherlich will ich auch viel zusammengestellt. Die schriftlichen Kristina (DE): Ich schreibe gerade meine Bachelorarbeit in Spaß mit meinen Freun- Antworten der Teilnehmer wurden dabei in Geschichte. In dieser argumentiere ich, dass es schon immer enge den aus der Ukraine und eine mündliche Ausdrucksform gebracht kulturelle und politische Beziehungen zwischen Ost und West gab. Deutschland haben. Die Freiund leicht abgewandelt. Die Wenn man sich mit Historiographie auseinandersetzt sind die Leitfraburger Studenten waren sehr Aussagen an sich sind jedoch gen immer: Wie wird etwas erinnert und was für verschiedene Erinnenett. Mich hat aber überrascht unverändert. rungsschichten und Veränderungen lassen sich erkennen? Hier kann die wie zurückhaltend sie in den DisSchlacht bei Poltawa mit der Erinnerung und Erinnerungspräsentation ein kussionen waren. Vielleicht waren sie Fallbeispiel sein. nicht so gut vorbereitet wie wir. (lacht)

Malte (DE): Ich war von den hervorragenden Englischkenntnissen der ukrainischen Studenten sehr beeindruckt. Um so mehr, als ich erfuhr, dass kaum jemand von Ihnen je im Ausland war.

Julia (UA): Ich kann es nicht genau sagen. Ich sehe die Schlacht in einem größeren Kontext. Ich freue mich darauf, Neues über die Schlacht bei Poltawa und über die Art und Weise, wie sie erinnert wird, in Erfahrung zu bringen. Denn in den Formen unserer Erinnerungskultur und Tradierung liegt aus meiner Sicht der Schlüssel zur weiteren Entwicklung der Ukraine. Tanja (UA): Ich nehme an dem Projekt teil, weil ich die verschiedenen Blickwinkel auf die Schlacht von Poltawa kennen lernen möchte. Das ist nicht zuletzt deshalb interessant

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„13. Backstage“ für mich, da dieses historische Ereignis in meiner Heimatstadt stattgefunden hat und wir dieses Jahr des 300. Jahrestages der Poltawaer Schlacht gedenken.

Anastasia (UA): In der Schule, in den Medien, in Gesprächen mit Eltern und Großeltern haben wir von diesem Ereignis gehört. Nun bin ich interessiert daran, die Konsequenzen des Ereignisses zu analysieren, also seine Einflüsse auf die gegenwärtige Entwicklung unseres Landes sowie auf die internationalen Beziehungen zwischen den europäischen Ländern und Russland zu untersuchen. Hattest du schon Kontakte in die Ukraine / nach Deutschland?

Malte (DE): Nein, aber ich habe dennoch so was wie einen persönlichen Bezug zur Ukraine. Meine Großeltern waren so genannte Schwarzmeerdeutsche, die in der Südukraine siedelten. Dieses Projekt ist eine tolle Möglichkeit, in Kontakt mit dem Land meiner Vorfahren zu kommen. Yulia (UA): Kaum jemand von uns [ukrainischen Projektteilnehmer] hat vor dem Projekt direkte Kontakte nach Deutschland gehabt. Anna war als Kleinkind mal in Deutschland. Aber keiner von uns kennt Deutschland wirklich. Dabei lernen wir alle seit geraumer Zeit die deutsche Sprache und auch unsere Deutschdozentin Romea, die auch die Leitung dieses Projekts innehat, hat uns viel über Deutschland erzählt. Und uns auch mit deutscher Musik bekannt gemacht: Kennt ihr zum Beispiel das Lied „Bochum“ von Herbert Grönemeyer? (raunen)

Wie habt Ihr Euch während des Projekts mit dem Thema auseinandergesetzt?

Julian (DE): Puhh, wir haben soviel gemacht. Wir haben uns Denkmäler angesehen, die an die Schlacht erinnern. Die Poltawaer Studenten haben dazu Vorträge gehalten. Außerdem waren wir in dem Museum, das sich in der Nähe des eigentlichen Schlachtfelds befindet. 112

Laura (DE): Ja – und vor allem haben wir diskutiert. Wir haben die Fragebögen für die Oral History Interviews zusammen erstellt und uns überlegt, wie wir die Befragungen am besten durchführen können. Wir wollen nämlich herausfinden, wie die Schlacht bei Poltawa in verschiedenen Generationen erinnert wird. Welche Ergebnisse waren für Dich besonders interessant? Was hast Du gelernt?

Sebastian (DE): Mir zumindest war vor dem Projekt nicht wirklich bewusst, dass die Schlacht bei Poltawa in der Erinnerungskultur der Ukraine eine derart kontroverse und umstrittene Rolle spielt. Neele (DE): Ich habe mich vorher noch nie mit Oral–History auseinander gesetzt. Die Schwierigkeiten, aber auch die Möglichkeiten, die dieser methodische Ansatz mit sich bringt, fand ich außerordentlich interessant. Nastja (UA): Hmmm, schwierig sich festzulegen. Wir hören so viele neue Meinungen, verschiedene Ansichten zu unserem Projektthema. Das ist interessant. Und dann haben wir die vielen interessanten Projektaufgaben wie die Analyse von Denkmälern, dem Museum, der Gedenkfeier, plus die spannenden Oral–History–Interviews. Und quasi nebenbei lernen wir dabei viel über wissenschaftliches Arbeiten und Projektmanagement. Also, ich denke, für mich persönlich waren die Oral–History–Interviews bisher das allerinteressanteste Erlebnis in diesem Projekt. – Neben dem kulturellen Austausch mit den deutschen Studenten! Was versprechen Sie sich als Initiatoren und Leiter von dem Projekt „Wie ein Schwede bei Poltawa?“

Guido Hausmann: Natürlich freue ich mich, wenn ich deutsche Studenten an das Thema Ukraine heran führen kann. Besonders reizvoll finde ich bei unserem Thema den Aspekt der Erinnerungskultur. Durch diesen Schwerpunkt wird ein lange zurückliegendes Ereignis geradezu aktualisiert. Ich bin sehr gespannt auf unsere Ergebnisse. Romea Kliewer: Für mich steht, neben dem wissenschaftlichen Aspekt, der kulturelle und persönliche Austausch der Studenten beider Länder im Fokus. Mir geht es in erster Linie darum, dass die Studenten ihre jeweils unterschiedlichen Erfahrungen und Sichtweisen in einem gemeinsamen Dialog austauschen und reflektieren lernen. Liebe Projektteilnehmer, wir danken für das Interview.


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SUMMARY „Let it roll…“ – Many Questions and the Answers of the Project Participants By Neele Wulff and Sebastian Sparwasser

The participants of the German–Ukrainian project “Like a Swede at Poltava” had different backgrounds. Their perspectives on the Mazepa project were different in many ways and therefore the approaches towards the issue of Mazepa were different as well. In the fictitious interview, which is based on reproduced individual statements, those differences are confronted. Each of the participants has their say and gives insight into their experiences during the time of the project. The essay shows in a somewhat playful way how the project made history a tangible experience for the participants.

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„13. Backstage“ uns gegenseitig über das Studium, die gegenseitigen Interessen und Hobbys und über Deutschland und die Ukraine aus. Nun erfuhren wir auch die Namen der deutschen Studenten. Sie klangen für uns ziemlich seltsam und ungewöhnlich: Malte, Clara, Laura, Von Julia Rybatschok (Übersetzung: Nico Roggmann) Julian, Kristina, Sebastian (der aus bestimmten Gründen erst einen Tag später ankam) und natürlich Herr Dr. Guido Hausmann. Nachdem wir uns nun etwas näher kennengeFeste Freundschaft zerbricht nicht, wird nicht aufgeweicht von Regen und lernt hatten, boten wir unseren Gästen typisches Poltawaer Gebäck zum Probieren Schneesturm…“ – kommen mir ein paar Zeilen aus einem Kinderlied an. Sie waren mit Freuden einverstanden und so setzen wir, leckere Kekse und in den Sinn. Erinnern wir uns an den schönen Frühlingstag, als die Pralinen essend, unsere Gespräche fort. Die Deutschen waren offenherzig Freundschaft zwischen ukrainischen und deutschen Studenten und lustig. Sie verstanden alle recht schnell den ukrainischen Humor und begann, die zusammen an einem Projekt zur Schlacht bei Poltawa teilwir übernahmen von ihnen ihre deutschen Späße und alle möglichen internahmen. Drei Tage lang dauerte unsere erste Begegnung, in denen wir Was macht ein gutes essanten Wörtchen, die einem im Unterricht leider nicht beigebracht abtauchten in eine Welt, in der die Legenden über Peter den Großen, Projekt aus? Vieles! Und werden. Es war großartig, dass unser Projekt richtig international wurde, Karl XII und Iwan Masepa, über ihre tapferen Armeen und blutigen insbesondere Freundschaft! denn einige von den Deutschen konnten Russisch und so merkten wir Gefechte, wieder auflebten. Wir verbrachten nur drei Tage zusammen, Über unsere ukrainisch– überhaupt nichts von einer Sprachbarriere. Wir unterhielten uns mal auf aber es schien, als ob wir uns schon eine ganze Ewigkeit kannten – so deutsche Begegnung… Deutsch, mal auf Russisch, mal auf Englisch und brachten auch unsere Mutleicht fiel es uns, gemeinsam zu arbeiten, miteinander zu reden, zu tersprache Ukrainisch mit ein. Schon gegen Ende des ersten Abends konnten singen und viel Spaß zu haben. unsere neuen Freunde „Привіт “, „На добраніч“ und „ Дякую“ sagen und auch das von uns während des Abendessens so häufig benutzte „Будьмо!“. Schon lange vor der Ankunft der deutschen Studenten verausgabte sich die ganze ukrainische Gruppe – bestehend aus fünf ausgelassenen jungen Damen (2 mal Julia, Tanja, Anja und Nastja), dem talentierten Musiker Petja und den wunderbaren Projektleitern Romea Kliewer und Olena Kobsar – mit Spekulationen darüber, was für Leute diese deutschen Studenten und ihr Professor sein könnten, wie sie wohl aussähen, wie sie sich beim ersten Treffen mit uns benehmen würden und ob ihnen die Ukraine gefallen wird. Und glaubt mir, diese Fragen waren für uns von äußerster Wichtigkeit, war es doch für alle ukrainischen Studenten die allererste internationale Begegnung. Alles was wir wussten, war, dass die Deutschen älter als wir sind und nicht Wirtschaft wie wir, sondern Geschichte studieren. Unsere Vorstellungen sahen in etwa so aus: Da sie Historiker sind, lesen und wissen sie bestimmt viel und folglich werden sie uns „belehren“ wollen. Als Historiker sind sie wahrscheinlich auch ziemlich ernsthaft, also wird es langweilig mit ihnen sein und außer über Geschichte wird man mit ihnen über nichts reden können. Schließlich kam dann unsere deutsche Lektorin Romea dazu und beruhigte uns: Sowohl wir, als auch sie seien fröhliche junge Leute, die eine tolle Zeit verbringen wollen, und dabei viel mit – und voneinander lernen werden.

Der goldene Faden Freundschaft

Die ersten Minuten unserer Begegnung Die Zeit bis zum ersten Treffen verflog rasch. Im Nu zeigte der Kalender den 21. Mai 2009, den Tag, an dem wir, zwei Gruppen junger Forscher, uns zum ersten Mal auf ukrainischem Boden trafen. In den ersten Minuten waren wir so aufgeregt, dass wir uns gegenseitig nur mit einem neugierigen, noch etwas steifen Lächeln musterten, fast so, als ob wir von unterschiedlichen Planeten kämen. In diesen ersten zwei Minuten sagten wir kein Wort, aber die Augen sprachen für sich: Sie waren voll Vorfreude und Interesse. Erst die Kennenlernrunde brach das Schweigen, – im Spiel Speed Dating fragten wir

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Der Freundschaftsfaden wird gesponnen In unserer deutsch–ukrainischen Euphorie bemerkten wir gar nicht, wie schnell die Tage vergingen, hatten wir doch neben unserem fröhlichen Beisammensein, dem Austausch von Eindrücken, dem Erzählen von lustigen Geschichten und dem Fotografieren auch noch sehr viel zu arbeiten. Wir hörten Referate und diskutierten viel, machten eine Exkursion durch die Stadt und auf das Schlachtfeld, bei der wir alle Denkmäler zeigten, die mit der Schlacht von Poltawa zu tun haben und besichtigten das Museum. Alles in allem haben wir wirklich viel und gut gearbeitet. Erstaunlich war dabei, dass wir überhaupt keine Erschöpfung verspürten, sondern genug Energie hatten, um dann auch noch abends gemeinsam bis tief in die Nacht beisammenzusitzen, zu plaudern, herumzualbern, zu tanzen und Lieder in allen uns bekannten Sprachen zu singen. Einfach schade, dass ein Tag nur 24 Stunden hat und unser erstes Treffen so schnell verging.

Mir scheint, dass wir alle vor allem eines gelernt haben; nämlich dass die Voraussetzungen für den Erfolg einer jeden Sache wie auch unseres Projektes gegenseitiges Verständnis, Respekt, Kompromisse und insbesondere viel gemeinsames Lachen sind. Freundschaft unterteilt die Menschen nicht in Deutsche und Ukrainer, Schweden und Russen. Sie ist nicht abhängig von Alter und Status. Sie verbindet einfach mit ihrem feinen goldenen Faden diejenigen, die offenherzig aufeinander zugehen und sich gemeinsam für eine Sache einsetzen. Ich hoffe, dass weder die ukrainischen noch die deutschen Studenten unseres Projektteams ihren Faden verlieren, sondern sich immer gerne daran erinnern werden, dass irgendwo am anderen Ende des Fadens Menschen sind, die sie ihre Freunde nennen können.

SUMMARY Golden Bond of Friendship By Yulia Rybachok

Yulia Rybachok writes about the first encounter of the project participants and the building of their friendship. Long before the arrival of the German students, the Ukrainian students worried and were anxious about the first encounter. After all, it was their first international project. They wondered what kind of people were this German professor and his students, and if they would like or dislike Ukraine. All they knew was that the German students would be older than them and that they do not study economics like they do, but history. Finally, it was the 21st of May, the day of their first meeting in Ukraine. The very first two minutes were moments of awkward silence. Still, one could see that both sides were glad to meet and interested in the project. Then they played the game “Speed Dating” and talked about their studies, interests and opinions about Ukraine and Germany. Talking was very easy, because all project members were very open and cheerful. Also, there was no real language barrier, since some of the Germans could speak Russian. So they spoke alternately in Russian, German, English and Ukrainian. The Germans learned main Ukrainian phrases like “privit”, “na dobranich”, “djakuju” and “bud’mo” quickly, and the Ukrainians learned German phrases and words they normally don´t get taught in their German classes. Although the days were full of work (lots of group discussions, an excursion around the town showing the main monuments erected in commemoration of the Battle of Poltava and the visitation of the battlefield), they didn´t feel tired. At night they sat together till late, talking, singing songs, laughing and having tons of fun together. To Yulia, this project shows that friendship does not divide people in Germans and Ukrainians, in Russians and Swedes. Friendship is not restricted to people of the same nation, age or status. It connects those people with its golden strands who are open and welcoming to each other and who are committed to a shared goal. Yulia hopes that neither the Ukrainian nor the German students will lose their bond of friendship, that they will not forget that there are people on the other side of the strand, whom they can call friends. «A strong friendship does not break, does not stop bonding because of rainstorms or snow storms…» are the lines of a poem for children which Yulia gives her new German friends to take along.

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Wir mögen euch, aber mögt ihr uns auch? Von Julia Rybatschok (Übersetzung: Sara Andersch)

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ewaffnet mit Papier und Stift bat Julia ihre neuen deutschen Freunde zu erzählen, wie sie die ersten Minuten auf ukrainischem Boden erlebten. Denn es ist unglaublich interessant, sich mit den Augen anderer zu betrachten.

genommen wurde, war das Fremde sehr schnell gar nicht mehr so fremd. Wir waren in einem Restaurant und haben den ganzen Abend getanzt und gesungen. Trotzdem waren die ersten Stunden in der Ukraine für mich schon so etwas wie ein kleines Abenteuer.“ (Sebastian)

Die ukrainischen Studenten sind sehr herzlich und offen „Als wir uns das erste Mal trafen, war ich tief beeindruckt. Die ukrainischen Studierenden empfingen uns sehr herzlich und ihnen fiel sofort auf, dass Sebastian fehlte, den sie doch eigentlich noch gar nicht kannten. Um uns besser kennen zu lernen, spielten wir das Spiel Speed– Dating. Alle ukrainischen Studierenden waren sehr offen und wollten uns besser kennenlernen. Die Stimmung war bei uns allen gut, sogar als wir über deutsche und ukrainische Stereotypen sprachen.“ (Laura)

Weitläufigkeit und neue Gebäude „Mir ist als erstes die sowjetische Architektur ins Auge gestochen. Die Weitläufigkeit und die vielen neuen Gebäude haben mir in Städten schon immer gefallen. Außerdem war alles sehr sauber. Als wir am Morgen die Ukrainer trafen, sahen sie viel ordentlicher aus als wir. Beide Seiten waren zunächst etwas schüchtern, doch die Neugier hat uns schnell zusammen gebracht.“ (Neele)

Fröhlich, lächelnd und mit einer umwerfenden Gastfreundschaft „‚Beeindruckt‘ ist wahrscheinlich das Wort, das meine Eindrücke von Poltawa am besten beschreibt: die schönen Bauten und sauberen Straßen, die wunderschönen, schlanken ukrainischen Mädchen, die Umgangsweise der Bevölkerung mit den nicht einfachen Lebensumständen, die umwerfende Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Ukrainer und schließlich vor allem die sehr guten Englischkenntnisse, der unglaubliche Fleiß und die Disziplin der ukrainischen Studenten, die trotz der ganzen Arbeit, die sie im Alltag leisten müssen (Universität plus Nebenjobs), uns stets fröhlich und lächelnd mit einer umwerfenden Gastfreundschaft begegneten.“ (Maria)

Die ersten Stunden waren ein kleines Abenteuer „Wenn man von den Zollbeamten absieht, die einen recht ruppig an den Reisepass erinnern, war mein erster Eindruck von der Ukraine sehr positiv. Die Ankunft in Kiew war ein bisschen, wie in einer neuen Welt gelandet zu sein. Vor allem, wenn man weder Ukrainisch oder Russisch spricht noch Kyrillisch lesen kann. Ich bin einen Tag später angereist und musste mich alleine von Kiew nach Poltawa durchschlagen. Die Fahrt in der Marschrutka war mein erstes ukrainisches Erlebnis: Die Mitreisenden waren anders gekleidet, sprachen anders, verhielten sich anders. Alles war ungewohnt und noch fremd. Als ich dann in Poltawa herzlich in Empfang

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Für die Jungs war das Studentenwohnheim gewöhnungsbedürftig „Ich erinnere mich gut an unsere erste Begegnung. Wir kamen in den Hörsaal und ihr habt uns lächelnd empfangen. Ihr habt uns sogleich an den Buffettisch gebeten, auf dem Kaffee, Wasser, Saft und kleine Snacks standen. Danach gab es interessante Diskussionen. Es ist großartig, dass ihr so viel über die Schlacht von Poltawa wisst, denn wir wussten viel weniger. Als wir im Studentenwohnheim ankamen, erlitten die Jungen einen kleinen Kulturschock. Für sie waren die Wächterinnen an der Pforte und die Zimmer, in welchen sie untergebracht waren, sehr gewöhnungsbedürftig. Ich hingegen habe mich sehr gefreut, dass ich hier so ein super Zimmer mit zwei Balkonen hatte. In Deutschland habe ich so etwas nicht.“ (Kristina)


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Ihr seid viel jünger und sprecht so gut Englisch „Ich war noch nie in Poltawa. Ich hatte keine Vorstellung von dieser Stadt. Als wir uns das erste Mal trafen, war ich sehr erstaunt, dass ihr so viel jünger seid als wir, und dass ihr so ein gutes Englisch sprecht. Ich erinnere mich, dass ihr als erstes gefragt habt, warum Sebastian nicht mitgekommen ist, obwohl ihr ihn noch gar nicht kanntet. Für mich war es komisch, dass im Studentenwohnheim jeder Ausländer seinen Zimmerschlüssel abgeben musste. In Deutschland gibt es keine solche ‚Tradition‘“. (Malte)

Ich erwartete mehr Sowjetisches „Als ich in Poltawa ankam, war ich sehr überrascht, im positiven Sinn des Wortes. Ich hatte wohl mehr Sowjetisches von dieser Stadt erwartet. Nachdem ich im Studentenwohnheim ausgepackt hatte, spazierte ich noch ein wenig durch die Stadt und begriff, dass die Ukraine kein sehr reiches Land ist. Für mich ist das eigentlich kein Problem, denn für mich zählen andere Werte als Geld. Zum Beispiel die Gastfreundschaft, mit welcher uns die ukrainischen Studenten empfingen.“ (Julian)

Keine Kleinstadt wie in Deutschland „Nach einer langen Reise kamen wir zwar müde, aber gut gelaunt in Poltawa an. Die Eindrücke waren zahlreich, obwohl Poltawa eine eher kleine Stadt ist, dabei deutschen Kleinstädten allerdings sehr unähnlich. Am ersten Arbeitstag trafen wir die ukrainischen Studenten. Sie empfingen uns sehr herzlich. Noch am selben Tag zeigten sie uns alle Sehenswürdigkeiten der Stadt und erzählten uns von der Schlacht bei Poltawa.“ (Clara)

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SUMMARY We like you, but do you like us? By Yulia Rybachok

Yulia Rybachok interviewed the German students about their first impressions of Ukraine and the Ukrainians. Here are their answers. Kristina: I remember our first encounter. We went into the class room, where you welcomed us in a very friendly way: you offered us drinks and food in a hospitable way. This encounter was followed by a very interesting discussion. Your broad knowledge about the Battle of Poltava was impressive, because we did not have such knowledge. At our arrival in the dormitory, our male students had a «cultural shock», as the roads and the furniture in the dormitory were odd for them. Instead, I was simply astonished of the size of our room: two balconies; I do not have this in Freiburg. Malte: I have never been in Poltava before. And so I did not have any idea of the city itself. When we first met, I was very astonished that the Ukrainian students were so much younger than we German students. But they speak English very well. I remember that they first asked why Sebastian did not arrive yet, although they did not know him. For me, it was strange, that every German student had to leave the key for the dormitory at the reception when he left the building. In Germany you do not have this «tradition». Julian: When I arrived in Poltava, I was very astonished in a positive way, because I expected a «Soviet» city. When I went into the dormitory or strolled in the city, I realized that Ukraine is not a rich country. But this is no problem for me, because there are other riches than money: For example, the hospitality, especially in the way the Ukrainian students greeted us. Clara: When we arrived in Poltava after a long journey, we were pretty tired, but in a good mood. There were lots of impressions, for example, that Poltava is a small town and not like German towns. On our first day of work we met the Ukrainian students, who gave us a warm welcome. This was the day they showed us their monuments, which are related to the battle. Laura: On our first meeting I was very astonished about the warm welcome. The Ukrainians often worried about Sebastian, who missed the first day. In order to get to know each other better we played «speed dating». The Ukrainian students were very open and really wanted to get to know us better. Our mood was perfect, even when we spoke about German and Ukrainian stereotypes. Sebastian: With the exception of the customs officers, who reminded you about your passport constantly, my first impression of Ukraine was a positive one. The arrival in Kiev made me feel, as if I was stranded in a new world: especially if you cannot speak Russian or Ukrainian and if you cannot read Cyrillic letters. I arrived in Poltava one day late, so I had to make the journey from Kiev to Poltava on my own. The Marshrutka was my first real Ukrainian impression: the people were dressed in a different way, spoke another language and behaved in a different manner. Everything was unfamiliar and alienating. Still, when I arrived in Poltava, the feeling of alienation went away because of the warm welcome. The whole evening, we were in a restaurant, danced, sang and laughed. Nevertheless, the first hours in Ukraine were some kind of a little adventure. Neele: The first thing I recognized was the Soviet architecture of the city: the broad and long roads and the new buildings were the things I liked. Furthermore, everything was so clean. When we first met the Ukrainian students in the morning, I realized that they were dressed more neatly than us. I think both sides were a little bit shy in the beginning, but the curiosity changed this. Maria: «Astonished» seems to be the right word to describe most of the impressions I collected in Poltava: the beautiful buildings, the clean streets, the beautiful and thin Ukrainian girls, the way of coping with the hard living conditions, the kindness and the helpfulness of the Ukrainians. And especially I was astonished by the amazing knowledge of the English language of the students, their discipline of managing their everyday life (university plus jobs) and their great hospitality.

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„13. Backstage“ sind wir in einem großen, sehr komfortablen Zug weiter nach Berlin gefahren, allerdings mit einer unschönen Unterbrechung. Aufgrund eines Unfalls stand der Zugverkehr in Hannover still, und unser Zug musste lange auf die Erlaubnis zur Weiterfahrt warten. Wir nutzten die Standpause und schauten uns auf dem Hannover Bahnhof ein wenig um. Ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus – so viele Geschäfte Von Petro Martschenko (Übersetzung: Nico Roggmann) und Sauberkeit. Als ich in den Waggon zurückkehrte, hatten wir noch zehn Minuten bis zur über Lautsprecher angeeit seiner Kindheit hat Petro davon geträumt einmal nach Deutschkündigten Abfahrt. Doch auf einmal setzte sich der land zu fahren. Und plötzlich findet Petro sich am Alex in Berlin Zug in Bewegung – und uns überkam ein Schreck: wieder, bestaunt die Straßenmusiker und Punker und fühlt die Bis zum Nastja und Julia waren noch nicht im Waggon! Berliner Luft… Ein persönliches Märchen. letzten Moment war Sie waren in Hannover zurückgeblieben! Oh es für mich praktisch nicht Herrjee! Wie sollten sie mit dieser Situation zu glauben. Aber dann hatte Ich habe so sehr davon geträumt einmal nach Deutschland zu kommen. fertig werden? Wie würden sie mit ihren paar ich schon mein Visum im Pass, Schon in meiner Kindheit sammelte ich Fotos von deutschen Städten und Sätzen Deutsch erklären, dass der Zug ohne die Flugtickets waren gekauft hörte einige Jahre lang Rammstein – ohne die Texte zu verstehen. Ich sie losfuhr? Romea ging direkt zum Schaffund die Koffer gepackt … habe die Worte einfach Til Lindemann nachgesprochen und träumte von ner, schimpfte laut, griff dann zum Handy und Also doch kein Traum!? Deutschland. Und auf einmal ist das Unmögliche dank der deutschen Stiftelefonierte mit dem Bahnhof in Hannover. Von tungen und unserer Lektorin aus Deutschland möglich geworden. In unserer dort erfuhren wir, dass unsere klugen Mädels sich Universität in Poltawa hatten noch nie irgendwelche Deutsche gearbeitet. Und bereits am Informationsschalter gemeldet haben und dann kam Romea Kliewer, eine Lektorin der Robert Bosch Stiftung, nach Poltawa uns wurde versprochen, dass die beiden mit dem nächsten und wir lernten Deutschland näher kennen. Wir unterhielten uns viel, schauten deutZug nach Berlin hinterhergeschickt werden. Ich kann mir sche Filme und sangen deutsche Lieder. Durch die Teilnahme am Projekt mit den deutlebhaft vorstellen, was Nastja und Julia empfunden haben schen Studenten kam es schließlich gar zu einer Reise nach Deutschland. Bis zum letzten mussten, als der Zug ohne sie abfuhr und sie sich, auf sich Moment war es für mich praktisch selbst gestellt, zurechtfinden mussten. Das muss ein Riesennicht zu glauben. Aber dann hatte ich schock gewesen sein! Ein echter Kulturschock! schon mein Visum im Pass, die Flugtickets waren gekauft und die Koffer Als wir in Berlin aus dem Zug stiegen, fiel unser erster gepackt … Also doch kein Traum! Blick auf die Punker, die es sich bequem am Eingang zum Wir flogen nach Deutschland und Bahnhof, geradewegs auf dem Asphalt, eingerichtet hatRomea zeigte uns Dortmund, Berlin, ten. Wir waren verblüfft!, – umso mehr, als dass sie, außer Freiburg und sogar Frankreich und von uns, von niemandem beachtet wurden. Wir verweilten die Schweiz. Kaum vorzustellen, dass einige Zeit am eindrucksvollen Berliner Bahnhof und warteich morgens in Poltawa aufgewacht ten auf den Zug aus Hannover mit Nastja und Julia. Endlich war, tagsüber durch Kiew lief, abends nahmen wir sie in Empfang und begaben uns erschöpft von in Dortmund ankam und mich nachts der Reise in unser Hostel. Dort sprachen wir denn doch in Berlin wiederfand. noch bis tief in die Nacht über unsere Eindrücke und unsere „Verlorengegangenen“ erzählten mit Tränen in den Augen von ihren Erlebnissen. Da ist man das erste Mal in DeutschKulturschock – so viele Geschäfte, Sauberkeit, land, überhaupt das erste Mal im Ausland, und dann so was! Punker und zwei Verschollene Das wichtigste aber ist, dass sie sich zu Recht gefunden und es selbstständig nach Berlin geschafft haben. Bravo! Kurz Auf dem Dortmunder Flughafen trafen uns Bekannte von Romea mit Sekt und den gesagt, Landeskunde und Sprachpraxis in einem. Und zwar Worten „Herzlich willkommen!“. Für mich eröffnete sich eine neue Welt, die Welt der „live“ und nicht im Unterricht. Sprache, die ich lerne und die ich so gerne beherrschen möchte. Noch am gleichen Tag

Hurra! Wir fahren nach Deutschland!

S

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„13. Backstage“

Das ist sie also, die deutsche Hauptstadt … Der erste Tag in Berlin begann mit dem Alex – dem berühmten Fernsehturm am Alexanderplatz, den ich schon viele Male auf Fotos gesehen hatte. Und nun der Live–Anblick! Wahnsinn! Wie viel hatten wir schon im Sprachunterricht an der Universität über Berlin gelernt; und nun stand das, was ich mir nur in meiner Phantasie vorstellen konnte, direkt vor meinen Augen. Ich konnte es kaum glauben! Romea war besser als jeder Fremdenführer, sie zeigte uns interessante Orte und Sehenswürdigkeiten der Stadt. Besonders beeindruckt hat mich das „Stelenfeld“, das berühmte Denkmal für die Opfer des Holocaust. Auf einem riesigen Areal, so groß wie zwei Fußballfelder, stehen 2711 „Beton–Dominos“ verschiedener Höhe, von 0,2 bis 4,7 Meter. Ich fand mich inmitten eines steinernen Labyrinths wieder, aus dem es gar nicht so leicht ist wieder heraus zu finden. Auch die Fahrt auf der Spree war sehr beeindruckend. Eine ganze Stunde sind wir auf dem Fluss unterwegs gewesen und bewunderten die malerischen Ausblicke. Aus den Lautsprechern tönte dazu die Stimme des Stadtführers. Er erzählte über Berlin und ich dachte mir stolz: „Ich verstehe, wovon er spricht, vielleicht nicht alle Details, aber ich verstehe ihn“. Was für ein tolles Gefühl, eine Fremdsprache zu verstehen! Wie viele Kilometer wir letztlich durch Berlin gelaufen sind, weiß ich nicht. Aber im Gedächtnis haben wir großartige Schlösser, Paläste und Kathedralen behalten. Für mich als Musiker war es ein unvergessliches Erlebnis, direkt auf der Straße professionellen Musikern zuhören zu können. Bis dahin war es für mich unvorstellbar gewesen, dass so gute Künstler in solch großer Zahl auf der Straße auftreten und ihr Können zeigen. Sie spielten auf den verschiedensten Instrumenten und das so beeindruckend, dass es schwer war weiterzugehen. Ich stand wie angewurzelt da und genoss die Musik und die Atmosphäre der Stadt. Die Mädchen waren mehr angetan von den Artisten auf dem Platz neben dem Berliner Dom, die Kunststücke zeigten, tanzten und Statuen imitierten.

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Natürlich haben wir auch den Berliner Zoo besucht. Nie zuvor habe ich so eine Vielfalt an exotischen Tieren gesehen. Wir haben mindestens hundert Fotos geschossen! Und im historischen Museum waren wir. Ein Bekannter unserer Bosch–Lektorin Romea, Herr Schnepel, hat uns durch das Museum geführt. Ich war beeindruckt, dass er auf alle unsere Fragen Antwort wusste. Es stellte sich heraus, dass er vor seiner Pension Geschichtslehrer an einem Berliner Gymnasium gewesen war. Dank ihm lernten wir viele Seiten aus der Geschichte Berlins und Deutschland kennen. Das erstaunlichste war, dass er uns die Seiten der deutschen Geschichte im fließenden Russisch „entblätterte“. Das hat mir so sehr imponiert, dass ich mich in Zukunft unbedingt noch intensiver mit der deutschen Sprache beschäftigen will. Schließlich haben wir noch den Berliner Dom besichtigt, und zwar im Keller angefangen, wo sich die Gräber der Hohenzoller befinden, bis zur Kuppel, wo wir die fantastische Aussicht auf die Stadt genossen. In die Reichstagskuppel haben wir es leider nicht geschafft. Wir hatten uns um drei Minuten verspätet. Die Touristen vor uns wurden noch eingelassen und dann, direkt vor unserer Nase, fielen die Türen in Schloss. Und trotz aller Bitten und charmanten Augenaufschlägen der Mädchen blieben sie verschlossen. Es zeigt sich also, dass die deutsche Pünktlichkeit und das deutsche Pflichtbewusstsein einem nicht nur in Deutsch–Lehrwerken begegnen. Nun ja, was soll´s, auch das gehört zur erlebten Landeskunde! Zum Ende des zweiten (und damit leider auch letzten) Tages schien es mir, als hätte ich schon ganz Berlin gesehen. Das Brandenburger Tor, der Gendarmenmarkt, Unter den Linden und die gemütlichen Cafés mit dem leckeren italienischen Eis werden mir für immer in Erinnerung bleiben. Und wie Romea sagte: „Ich wollte, dass ihr fühlt, wie das Leben in Berlin pulsiert.“ Natürlich haben wir die „Berliner Luft“ gefühlt und ich finde, dieser Stadt gegenüber kann man einfach nicht gleichgültig sein. Eine erstaunliche Stadt! Ich bin einfach nur überglücklich, dass sich mein Traum erfüllt hat und dass ich nun auch ein wenig ein Berliner bin.


„13. Backstage“ wir uns feierlich, dass wir uns nicht nur einmal wiedertreffen werden. In der Ukraine, in Deutschland oder wo auch immer. Ungeachtet des Projektendes erwartete uns ukrainische Studenten allerdings noch einiges! Tagestouren nach Basel und nach Straßburg, die Fahrt nach Köln zum Flughafen und die Rückkehr in die Ukraine. Besonders Straßburg gefiel mir sehr gut. Nur ein paar kurze Stunden von Freiburg entfernt und so eine andere Welt! Faszinierend! Als letzte Station vor der Heimreise wartete Köln mit einem Rundgang durch die Altstadt und einer Exkursion ins Schokoladenmuseum. Aber wir konnten diesen letzten Vormittag in Deutschland gar nicht so richtig auskosten, denn in Gedanken waren wir schon beim bevorstehenden Rückflug in die Heimat. Wie Romea vorausgesagt hatte, haben wir auf dieser Reise tatsächlich verschiedene „Deutschlands“ und verschiedene deutsche Kulturen kennengelernt.

Deutschland in seiner Vielfalt Auf dem Weg nach Süddeutschland sah ich ihn – diesen berühmten „schwarzen“ Wald. Die deutschen Studenten hatten uns bei ihrem Besuch in Poltawa vom Schwarzwald erzählt und seitdem konnten wir unsere Reise nach Freiburg kaum abwarten. In Freiburg angekommen, unternahmen wir sofort einen Spaziergang durch die Stadt. Auf einem kleinen Platz mit vielen Cafés erklangen zauberhafte Saxophon–Töne. Diese Melodie spiegelte genau die Romantik Freiburgs wieder, die ich dann noch die ganzen folgenden Tage verspürte. Sechs Tage haben wir in Freiburg verbracht und von morgens bis abends intensiv mit den deutschen Studenten an unserem Projekt über die Schlacht bei Poltawa gearbeitet. Abends luden uns unsere deutschen Freunde entweder in die Disko, den Biergarten oder zu einem Studentenabend ein. Oder wir spielten alle zusammen Frisbee auf einem Platz, den wir deshalb auch einfach den „Frisbee–Platz“ nannten. Am besten gefiel mir, dass wir in Freiburg dank der Bemühungen der deutschen Studenten das richtige Studentenleben erfahren, bzw. regelrecht erfühlen, konnten. Sie hatten uns Fahrräder besorgt und so fuhren wir, genauso wie sie, morgens mit dem Fahrrad in die Universität und kehrten abends auf dem Rad ins Hostel zurück. Das war einfach toll! Wir wollten uns gar nicht mehr von unseren Fahrrädern trennen. Schließlich kam der letzte Abend, und damit auch der Abschluss des Projekts. Abschied nehmend, versprachen

Am Abend erwartete uns wieder ein rosafarbenes Flugzeug. Es brachte uns nach Hause zu unseren Bekannten, Verwandten, Freunden und den von uns geliebten Menschen. Aber gleichzeitig riss es uns auch heraus aus diesem Märchen, aus diesen wundervollen zehn Tagen.

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„13. Backstage“

SUMMARY Hurray! We are going to Germany! By Petro Marchenko

In summer 2009 the time finally had come for us, the Ukrainian students, to visit Germany in order to attend a workshop in Freiburg as part of our project on the battle at Poltava. The journey went from Dortmund and Berlin to Freiburg, and it included trips to neighboring Switzerland and France. In the article Peter Marchenko speaks about his dream of visiting Germany and he gives a picture of his experiences and impressions during the trip to and through Germany. His great wish of travelling to Germany became true thanks to German foundations and the German lector of the Robert Bosch foundation, Romea Kliewer. Arrived at Dortmund, they went to Berlin by train, via Hannover. A little “cultural shock” occurred to them in Hannover, when some members of the Ukrainian group missed the train and had to take the next one to Berlin on their own. Everybody was very relieved when they finally arrived in Berlin. What stayed in mind of Berlin were the great buildings and palaces. They saw all the main interesting touristic places, like the Holocaust monument, the Berlin Zoo, the Museum of History, the Government District along the Spree River and of course the Brandenburg Gate, Gendarmenmarkt and Unter den Linden. After two days in Berlin they left for Freiburg. Travelling to southern Germany, they saw the Black Forest, which the German students had mentioned already earlier on and which they had been eager to see since then. They stayed in Freiburg for six days. These days were full of work for the project. In the evenings, however, the German students showed them other locations: They went to a students’ barbecue, to German clubs and to a „Biergarten“. What Peter liked most, was that thanks to the German students they had the possibility to get a glimpse on usual „students’ life“, – namely going to University by bike like many German students. During their stay the Ukrainian students also visited Strasbourg (France) and Basel (Switzerland). Their last stop before flying back to Ukraine was Cologne, where they strolled in the medieval parts of the city. All in all, their trip to Germany made a great impression on the Ukrainian students: They learned much about the different parts and cultures of Germany, which is by the way, why they have started to refer to Germany as to „Germanies“.

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Literaturverzeichnis

Bibliography


„Literaturverzeichnis“

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Bilderverzeichnis

List of Images


„Bilderverzeichnis“

• Abb. 1 (Seite 27): Karte der Schlacht bei Poltawa (mit Ordre de Bataille); Militärarchiv von Schweden, Stockholm. Quelle: http://www.battle.poltava.ua/ (letzter Aufruf am 22.10.09) • Abb. 2 (Seite 28): Karte der Schlacht bei Poltawa, mit französischem Kommentar; Militärarchiv von Schweden, Stockholm. Quelle: http://www.battle.poltava.ua/ (letzter Aufruf am 22.10.09) • Abb. 3 (Seite 29): Karte der Schlacht bei Poltawa. Militärarchiv von Schweden, Stockholm. Quelle: http://www.battle.poltava.ua/ (letzter Aufruf am 22.10.09) • Abb. 4 (Seite 29): Fotoausschnitt von Panoramagemälde zur Schlacht bei Poltawa. Museum der Poltawaer Schlacht, Poltawa. Foto: Romea Kliewer. • Abb. 5 (Seite 30): Kopie einer Karte der Schlacht bei Poltawa, gezeichnet von S. Kvinnerstädt. Militärarchiv von Schweden, Stockholm. Quelle: http://www.battle.poltava.ua/ (letzter Aufruf am 22.10.09) • Abb. 6 (Seite 37): Portrait von Zar Nikolaus II, gemalt von Earnest Lipgart (1847–1932). Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Februarrevolution_1917 (letzter Aufruf am 13.03.10) • Abb. 7 (Seite 42): Der ukrainische Präsident Viktor Juschtschenko, Rede im November 2009 im Poltawaer Gebiet. Quelle: Offizielle Website des ukrainischen Präsidenten. Fotogalerie. http://www.president.gov.ua/en/gallery/ (letzter Aufruf am 28.12.09) • Abb. 8 (Seite 44): Mazepa–Orden. Quelle: http://dic.academic.ru/dic.nsf/ruwiki/629413 (letzter Aufruf am 07.01.10) • Abb. 9 (Seite 44): 10–Griwna–Geldschein. Quelle: http://de.academic.ru/dic.nsf/dewiki/630667 (letzter Aufruf am 05.10.09) • Abb. 10 (Seite 45): Portrait von Ivan Mazepa, gemalt von Jean–Pierre Norblin im Jahre 1775. Auckland Art Gallery Toi o Tamaki. Quelle: http://collection.aucklandartgallery.govt.nz (letzter Aufruf am 16.02.10) • Abb. 11 (Seite 46): Portrait von Ivan Mazepa. Unbekannter Künstler. Quelle: http://www.personal.psu.edu (letzter Aufruf am 25.10.09) • Abb. 12 (Seite 47): Abbildung zeigt Ivan Mazepa. Unbekannter Künstler. Quelle: http://news.peoples.ru/2009/08/28/38829.shtml (letzter Aufruf am 06.11.09) • Abb. 13 (Seite 48): Gemälde der Poltawaer Schlacht. Quelle: http://www.battle.poltava.ua/ (letzter Aufruf am 22.10.09) • Abb. 14 (Seite 49): Gemälde „Mazeppa“ von Emile Jean Horace Vernet, 1833. Privatsammlung Lauros / Giraudon. Quelle: http://www.1st–art–gallery.com/thumbnail/185872/1/Mazeppa.jpg • Abb. 15 (Seite 50): Gemälde “Mazeppa und die Wölfe” von Emile Jean Horace Vernet, 1826. Musée des Beaux–Arts, Avignon. Quelle: http://www.wga.hu/art/v/vernet/horace/mazeppa.jpg (letzter Aufruf am 20.02.10) • Abb. 16 (Seite 51): Gemälde „Der Page Mazeppa“ von Théodore Géricault, 1820. Quelle: http://www.reproarte.com/files/images/G/gericault_theodore/der_page_mazeppa.jpg (letzter Aufruf am 20.02.10) • Abb. 17 (Seite 66): Büste Peter I., Museum der Poltawaer Schlacht. Foto: Romea Kliewer. • Abb. 18 (Seite 67): Fotoausschnitt von Gemälde zur Schlacht bei Poltawa. Museum der Poltawaer Schlacht, Poltawa. Foto: Romea Kliewer. • Abb. 19 (Seite 67): Portrait von einem unbekannten polnischen Offizier, das fälschlicherweise für ein Portrait Ivan Mazepas gehalten wurde, Museum der Poltawaer Schlacht. Foto: Romea Kliewer • Abb. 20 (Seite 68): Statue des Zaren Peter I. in Lebensgröße (2,03 Meter) vor dem Museum der Poltawaer Schlacht. Foto: Romea Kliewer. • Abb. 21 (Seite 71): Workshop zu Oral History. Das Foto zeigt Gelinada Gritschenko, Präsidentin der Ukrainischen Oral History Gesellschaft, und Projektteilnehmer. Foto: Romea Kliewer. • Abb. 22 (Seite 72): Gelinada Gritschenko, Präsidentin der Ukrainischen Oral History Gesellschaft. Foto: Romea Kliewer. • Abb. 23 (Seite 75): Besucher der 300. Gedenkfeier. Großvater und Enkelin. Foto: Malte Liewerscheidt. • Abb. 24 (Seite 77): Maidan. Platz der ukrainischen Unabhängigkeit in Kiew. Foto: Romea Kliewer. • Abb. 25 (Seite 82): Kinder bei einer Tanzaufführung in Poltawa. Foto: Romea Kliewer. • Abb. 26 (Seite 83): Ältere Bewohner Poltawas, beim Tanzen im Stadtpark. Foto: Romea Kliewer. • Abb. 27 (Seite 95): Rede von Andrij Matkowskij, Bürgermeister von Poltawa, anlässlich der 300. Gedenkfeier. Foto: Malte Liewerscheidt. • Abb. 28 (Seite 96): Karlsbüste auf dem Weg nach Poltawa. Photo: Henrik Montgomery. Quelle: http://www.scanpix.se (letzter Aufruf am 10.12.09) • Abb. 29 (Seite 97): Imbissbuden mit Kosaken–Motiven anlässlich der 300. Gedenkfeier in Poltawa. Foto: Romea Kliewer. • Abb. 30 (Seite 99): Modenschau anlässlich der 300. Gedenkfeier in Poltawa. Foto: Malte Liewerscheidt. • Abb. 31 (Seite 107): Plastiknachbildung des Hermannsdenkmals. Foto: Kristina Offterdinger. • Abb. 32 (Seite 108): Hermannsdenkmal im Teutoburger Wald, nahe dem Lippischen Landesmuseum in Detmold, 1875 eingeweiht, 53 Meter hoch Foto: Landesverband Lippe. Quelle: http://zeitzeichen.net/uploads/tx_templavoila/Mag_Hermannsdenkmal.jpg (letzter Aufruf am 27.02.10) • Abb. 33 (Seite 109): Hermannsdenkmal im Teutoburger Wald, nahe dem Lippischen Landesmuseum in Detmold, 1875 eingeweiht, 53 Meter hoch. Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Arminius1.jpg (letzter Aufruf am 27.02.10) • Abb. 34 (Seite 111): Blick ins Boyne–Tal Grabhügel von Knowth. Quelle: http://de.academic.ru/pictures/dewiki/66/Boyne–Tal.jpg (letzter Aufruf am 02.12.09) • Abb. 35 (Seite 111): Gemälde „Battle of the Boyne between James II and William III, 11 June 1690”, gemalt von Jan van Huchtenburg, ca. 1690–1733. Rijksmuseum Amsterdam. Quelle: http://www.rijksmuseum.nl (letzter Aufruf am 05.04.10) • Abb. 36 (Seite 113): Gemälde „Die Schlacht von Höchstädt“, gemalt von Jan van Huchtenburg. Bayerisches Armeemuseum, Ingolstadt. Foto: Christian Stoye. Quelle: http://www.schloss–hoechstaedt.de/bilder/ausstellung/ausst00.jpg (letzter Aufruf am 05.04.10) • Abb. 37 (Seite 114): Denkmal „Buch der Geschichte“, auf dem Marktplatz in Blindheim. • Abb. 38 (Seite 114): Mahnmal in Höchstädt, errichtet 1954.

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„Bilderverzeichnis“ • Abb. 39 (Seite 114): Blick über das ehemalige Schlachtfeld von Höchstädt. • Abb. 40 (Seite 117): Karl XII. und Hetman Masepa nach der Schlacht bei Poltawa. Zeichnung von Gustaf Cederström (1845–1933). Quelle: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/9/93/Mazepa2.JPG/180px–Mazepa2.JPG (letzter Aufruf am 15.01.10) • Abb. 41 (Seite 119): Flaggen von Ukraine und EU. Quelle: http://www.info–news.com.ua/wp–content/uploads/2010/01/ukraine–eu_b.jpg (letzter Aufruf am 17.02.10) • Abb. 42 (Seite 120): Karte von der Ukraine in Europa. Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Ukraine (letzter Aufruf am 17.04.10) • Abb. 43 (Seite 122): Collage mit Flaggen Russlands und Ukraine. Russische Rundfunkgesellschaft „Stimme Russlands“. Quelle: http://german.ruvr.ru/data/2010/04/16/1240839120/45657.jpg (letzter Aufruf am 20.04.10) • Abb. 44 (Seite 124): Der russische Ministerpräsident Wladimir Putin mit der ukrainischen Ministerpräsidentin Julia Timoschenko nach Verhandlungen zur Beilegung des Gasstreits zwischen der Ukraine und Russland in Moskau, 18.01.2009. Foto: ullstein bild. Bayrisches Kultusministerium. Quelle: http://www.km.bayern.de/blz/eup/04_09/images/large/800904_69_01_large.jpg (letzter Aufruf am 22.11.09) • Abb. 45 (Seite 125): Denkmal für Karl XII. und Mazepa im Dorf Digtyarivka, eingeweiht im September 2008, in Andenken an das Treffen der beiden zu geheimen Verhandlungen im Oktober 1708. Foto: Oleg Bezverkhnii. Quelle: http://www.smb.nu/poltavabloggen/uploaded_images/final–756480.jpg (letzter Aufruf am 18.10.09)

Anmerkung zum Bilderverzeichnis Der Großteil der Abbildungen in vorliegender Broschüre sind eigene Aufnahmen, die Projektteilnehmer und Projektpartner zeigen und daher nicht gesondert gekennzeichnet sind. Ebenfalls nicht gesondert gekennzeichnet sind eigene Aufnahmen von den Denkmälern in Poltawa und Höchstädt sowie eigene Aufnahmen aus dem Museum der Poltawaer Schlacht. Hier wurde uns eine Veröffentlichung durch die Stadt und Museumsleitung gestattet – Vielen Dank! Ein herzlicher Dank gilt ferner den Gestaltern der Webpage zur Stadtgeschichte Poltawas http://www.battle.poltava.ua, die auf ihrer Webpage viele Materialien wie etwa Karten zur Schlacht und Fotos zu den Denkmälern zur freien Verwendung zur Verfügung stellen. Von diesen Abbildungen haben wir im Bilderverzeichnis nur die gekennzeichnet, wo wir Bedarf zur inhaltlichen Erläuterung sahen.

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Impressum Herausgabe, Redaktion und Lektorat Editing, Editorial and Correction Romea Kliewer, Guido Hausmann

Autoren

Authors Gelinada Gritschenko, Guido Hausmann, Julia Kalisch, Romea Kliewer, Olena Kobzar, Tetiana Komar, Malte Liewerscheidt, Anastasija Maliyenko, Maria Martens, Petro Martschenko, Kristina Offterdinger, Laura Ritter, Julia Rybatschok, Sebastian Sparwasser, Clara–Luise Sutterer, Julian Völkle, Neele Wulff, Anna Zub

Projektförderer

Project Facilitation Das Projekt und vorliegende Publikation wurden maßgeblich gefördert durch die Geschichtswerkstatt Europa, ein Programm der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“, das von dem Institut für angewandte Geschichte an der Europa–Universität Viadrina betreut wird. http://www.geschichtswerkstatt-europa.org/ Als Co–Förderer tritt das Lektorenprogramm der Robert Bosch Stiftung auf. http://www.lektoren.net The Publication has been facilitated by a grant from the Geschichtswerkstatt Europa of the Stiftung “Erinnerung, Verantwortung und Zukunft” (Remembrance, Responsibility and Future) and the Robert Bosch Foundation.

Titelbild

Cover Das Denkmal zum Andenken an die ukrainischen Kosaken, die in der Schlacht von Poltawa kämpften (errichtet 1994 im Stadtzentrum von Poltawa). Foto: Romea Kliewer Monument to the fallen Cossacks, fighting the battle of Poltava (built 1994 in the centre of Poltava). Photo: Romea Kliewer

Fotos

Photographs Soweit nicht anders gekennzeichnet Urheberrecht bei den Autoren Romea Kliewer, Malte Liewerscheidt, Anna Zub, Julia Kalisch Copyright with Romea Kliewer, Malte Liewerscheidt, Anna Zub, Julia Kalisch if not stated differently

Design und Layout

Design and Layout Bülowdesign Amsterdam http://www.buelowdesign.com

Druck

Print Chroma, Żary

Stand

Juni 2010

Verlag

Publisher edition eins Felsberg, 2010 ISBN: 978-3-933184-67-2

© Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch von Auszügen, nur mit Genehmigung des Herausgebers. © All rights reserved. Reproduction, including excerpts, is only permitted with the consent of the Editor.


Ukraine – Erinnerungskultur im Wandel Sommer 2009 – Die Schlacht bei Poltawa ist 300 geworden. In welchem Zusammenhang steht dieses Ereignis mit aktuellen Entwicklungen der Erinnerungskultur in der noch jungen Ukraine? Anlässlich des Jubiläums haben Studenten aus Freiburg und Poltawa in einer gemeinsamen Geschichtswerkstatt den Wandel der ukrainischen Erinnerungskultur nach 1991 erforscht. Das binationale Projektteam hat Texte und Dokumente zur Schlacht bei Poltawa kritisch analysiert, Denkmal – und Museumsanalysen vorgenommen, Oral History Interviews durchgeführt, die Berichterstattung der Medien im Vorfeld des Jubiläums untersucht und die Gedenkkultur zur Schlacht bei Poltawa mit Gedenkkulturen zu anderen europäischen Schlachten verglichen. Diese Broschüre bietet eine Sammlung der Forschungsergebnisse in Form essayistischer Beiträge sowie eine Zusammenstellung persönlicher Reflektionen der Projektteilnehmer.

Ukraine – Culture of Remembrance in Flux: Summer 2009 – The Battle at Poltava has turned 300. How does this event relate to current processes in the Ukraine’s cultural consciousness? On the occasion of the anniversary in summer 2009 students from Freiburg and Poltava explored the changes in Ukrainian culture(s) of remembrance since 1991. The binational project team has tried to find answers by comparing Ukrainian, Russian, Soviet and Western European documents, by analysing the museum and monuments dedicated to the battle, by conducting Oral History interviews and by examining the media coverage in the run–up to the anniversary. This brochure gives you a collection of essays providing the research findings as well as personal reflections of the project participants.


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