Judith Le Huray, geboren 1954 und aufgewachsen in Stuttgart, wohnt mit Mann und Hund in ländlicher Gegend am Fuß der Schwäbischen Alb. Die Erzieherin und Tanzpädagogin hat 2009 das Schreiben von Kinder- und Jugendbüchern zu ihrem Beruf gemacht. Wenn sie nicht im Garten oder am Schreibtisch an neuen Geschichten bastelt, ist sie vielleicht gerade bei einer Lesung oder geht mit ihrer Hündin Gassi. Weitere Informationen unter www.judith-lehuray.de
Judith Le Huray
Das Dreierpack und
der bĂśse Wolf oder
Wer Rotkäppchen in Wirklichkeit gerettet hat
Mit Illustrationen von Katrin Lachenmaier
Weitere Informationen über den Verlag und sein Programm unter www.allitera.de
September 2012 Allitera Verlag Ein Verlag der Buch&media GmbH, München © 2012 Buch&media GmbH, München Umschlaggestaltung: Kay Fretwurst unter Verwendung einer Illustration von Katrin Lachenmaier Printed in Germany · ISBN 978-3-86906-376-8
Inhalt 1. Das Dreierpack . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 2. Die Höhle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 3. Märchenstunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 4. Oma in Gefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 5. Waldlauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 6. Gefräßiges Großmaul . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 7. Die letzte Sekunde für das Dreierpack . . . . . . . . 39
1. Das Dreierpack
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ennst du das Dreierpack? Das sind drei Kinder. Sie sind in der dritten Klasse, in der 3b. Man sieht sie immer zu dritt. Sie sind aber nicht drei Jahre alt, sondern schon acht. Sonst wären sie ja nie und nimmer in der dritten Klasse. Frau Kleinmann ist ihre Klassenlehrerin. Eigentlich ist ihr Name falsch. Sie ist nämlich groß und eine Frau. Deshalb müsste sie richtig Großfrau heißen. Die Frau Kleinmann mit dem falschen Namen hat mal gesagt: „Euch gibt’s wohl nur im Dreierpack.“ Das fanden Ronja, Lukas und Emil echt cool. Seitdem nennen sie sich Dreierpack. Ronja ist ein Mädchen. Logisch, wo sie doch einen Mädchennamen hat. Man sieht es auch an ihren fuchsbraunen Zöpfen und dem grünen Kopftuch mit den weißen Punkten. Aber sie ist mutiger und stärker und frecher als die meisten Jungs aus der Klasse. Sogar noch 7
mutiger als ihre beiden großen Brüder. Ronja wird mal Kriminalkommissarin, das weiß sie schon ganz sicher. Lukas will Sportler werden, Fußballprofi oder so. Wenn das nicht klappt, dann geht er zum Zirkus. Vielleicht als Clown. Seine kleine Schwester lacht sich über seine Witze immer halb kaputt. Lukas geht fast nie ohne seine schwarze Kappe mit dem Totenkopf aus dem Haus. Wenn er sie mal vergisst, sieht er beinahe nichts. Weil ihm dann sein dunkelbrauner Pony über die Augen hängt. Emil sieht auch manchmal schlecht. Immer dann, wenn er seine Brille nicht aufhat. Er ist nicht so sportlich und mutig wie Ronja und Lukas. Trotzdem ist er kein Angsthase, nein, das wirklich nicht. Und er ist echt schlau. Emil ist nämlich eine Bücherratte und er will mal berühmter Wissenschaftler werden. Weil sein Papa so viel arbeiten muss, lebt er meistens bei Oma und Opa. Die sind ein bisschen altmodisch, aber sonst ganz nett. Das Dreierpack wohnt in einer kleinen Stadt. Von einem Ende der Stadt bis zum anderen braucht man mit dem Auto nur zehn Minuten. Oder eine Stunde zu Fuß. Aber nur, wenn man keine Schaufenster anschaut und nicht auf den Spielplatz geht. Ronja und Lukas wohnen im Hasenweg, Emil gleich um die Ecke im Fuchsweg. Mit dem Fahrrad ist man ruck, zuck im Wald. Dort kann man toll spielen und klettern und Spuren suchen und sich schmutzig machen. 8
Das mit dem vielen Dreck findet Emils Oma aber nicht so gut. Obwohl sie eine Waschmaschine hat. Heute sind die drei Kinder auch wieder im Wald und spielen Verstecken. Und gleich rutschen sie im Dreierpack mitten in ein gef채hrliches Abenteuer.
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2. Die Höhle
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ierzig, einundvierzig …“, zählt Ronja. Sie steht mit dem Gesicht zu einer großen Eiche und hält die Augen geschlossen. Bei fünfzig darf sie suchen. Emil hat noch kein gutes Versteck gefunden. Er schlittert zwischen den Bäumen einen Hang hinunter. Plötzlich rutscht die Erde unter seinen Füßen weg. Ein riesiger Stein löst sich und poltert bergab. Emil kullert hinterher. „… neunundvierzig, fünfzig“, zählt Ronja. „Ich komme!“, schallt ihre Stimme durch den Wald. „Aauuaaa!“, hallt das Echo zurück. Moment mal, mit dem Echo stimmt doch was nicht. Das klingt wie ein Schrei! Ronja hat das Wehgeschrei gehört und sofort Emils Stimme erkannt. Aber woher ist sie gekommen? Von irgendwo dort unten. „Emil? Wo bist du?“, ruft Ronja aufgeregt. „Was ist passiert? Lukas, hilf mal schnell!“ Sie
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rast den Hang hinunter. Die rutschige Stelle erkennt sie gleich, um die macht sie einen Bogen. Da kommt auch Lukas angerannt. „Och Mann“, grummelt er. „Ich hab gerade ein super Versteck gehabt. Da hättest du mich nie im Leben gefunden.“ Als er aber Emil sieht, hört er sofort auf zu motzen. Verheult, verkratzt und verdreckt liegt sein Freund auf dem Boden und reibt sich den Kopf. Er ist nämlich durch jede Menge Brennnesseln gerollt und voll auf einen Baum geknallt. Ronja ist zuerst bei Emil. „Auweia, du siehst ja übel aus. Hast du dich verletzt?“, fragt sie. Emil zuckt mit den Schultern. „Glaub nicht. Nur eine Beule“, schnieft er. „Das wird bestimmt ein riesiges Horn.“ „Emil das Einhorn“, lacht Lukas. Da muss auch Emil grinsen. Er zieht die Nase hoch und wischt mit dem Ärmel über die Augen. Danach fällt sein Blick zu der Stelle, wo sich der Steinbrocken gelöst hat. Was ist das? „Da, da, da“, zeigt er stotternd. „Ja, ja, ja“, antwortet Lukas. Sein Blick folgt Emils Hand. „Hey, stark, ein Spalt im Fels.“ Ronja springt auf, um sich die Sache genauer anzuschauen. „Kommt mal, da ist eine Höhle.“ Lukas hilft Emil auf die Beine. „Krankentransport ist unterwegs“, sagt er. Emils Hose hat ein Loch. Da wird Oma schimpfen! 11
Sein Gesicht und die Hände sind total verkratzt. Von den Brennnesseln beißt es wie tausend kleine Flammen. Einen Schuh hat er auch noch verloren, aber Lukas findet ihn in einer Matschpfütze. „Hier, Moorbad ist gesund“, sagt er und hilft Emil beim Anziehen. Zum Glück ist Emil anscheinend sonst nichts passiert. „Du humpelst schon fast so gut wie ein hundertsiebenjähriger Opa“, grinst Lukas. Der Eingang zur Höhle ist sehr schmal. Ronja hat immer eine kleine Taschenlampe in der Hosentasche. Und ein Vergrößerungsglas. Für alle Fälle. Damit untersucht sie zuerst den Eingang und forscht nach Spuren. „Da war schon mindestens hundert Jahre keiner mehr drin“, stellt sie fachmännisch fest. Dann leuchtet sie in das dunkle Loch. „Und? Hast du was entdeckt?“, fragt Emil. „Vielleicht ist es ein Tierbau.“ „Nein, kein Tier.“ Ronja schüttelt den Kopf. „Da ist nur irgendwelches Gerümpel.“ „Lass mal sehen.“ Lukas schiebt sie zur Seite. „Eine Flasche und ein Korb. Den Rest kann ich nicht erkennen.“ „Ich versuch mal, hineinzukriechen“, sagt Ronja. Emil wundert sich. „Echt?“ Er wäre da eher vorsichtig. Wer weiß, wer oder was in dem dunklen Loch haust. Ronja zwängt sich zwischen den Felsen hindurch. Sie reicht Lukas den Korb und die Flasche. Etwas Rundes, 12
Hartes liegt noch am Boden, das nimmt sie mit hinaus. Alles ist total staubig. Lukas betrachtet die Flasche. „Komisch. Sie ist noch voll“, stellt er fest. „Könnte Wein sein. Vielleicht hat jemand den Korkenzieher vergessen.“ Emil nimmt ihm die Flasche ab und schaut sie von allen Seiten an. „Die Flasche sieht uralt aus“, meint er. „Mein Vater sagt, alter Wein sei sehr wertvoll.“ Vorsichtig legt er sie in den Korb. „Super“, freut sich Lukas. „Dann versteigern wir ihn bei eBay.“ Ronja prüft das steinharte runde Irgendwas. „Ich glaube, das war mal ein Kuchen“, sagt sie. „Mmm, lecker“, grinst Lukas. „Hart wie ein Felsbrocken und schmutziger als meine Fußballschuhe. Der wäre perfekt für meine Mutter. Die schimpft nämlich immer, dass sie so gerne Kuchen isst und davon so dick wird. An dem würde sie sich höchstens die Zähne ausbeißen.“ „Wem könnten die Sachen mal gehört haben?“, rätselt Ronja. Emil überlegt: „Ein Korb, Wein und Kuchen. Irgendwie kommt mir das bekannt vor.“ Woher, das wird er gleich erfahren. Ronja legt den Kuchen zur Flasche in den Korb. Und dann geschieht etwas Unglaubliches …
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3. Märchenstunde
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mil reibt seinen Kopf. „Auweia!“, stöhnt er. „Ich hab wohl doch eine Gehirnerschütterung.“ Eben war er noch mitten im Wald. Jetzt meint er, um sich herum eine Wiese mit bunten Blumen zu sehen. Wieso sieht er Bilder, die gar nicht da sein können? Sein Kopf muss wirklich heftig durchgeschüttelt worden sein! „Hey, was ist jetzt los?“ Vor Schreck knallt Lukas ins Gras. Vorhin war an der Stelle Waldboden, hundert Prozent. Das ist doch unmöglich! „Wie? Was? Wo?“ Ronja reibt sich die Augen. Das nützt aber nichts. Sie sieht immer noch eine Blumenwiese. Genau dort, wo vor zehn Sekunden der Wald gestanden hat, mit der Höhle und der Eiche und den Brennnesseln. „Sagt mal, seht ihr auch, was ich sehe?“, fragt Ronja vorsichtig. „Falls du einen Wald siehst, dann nicht“, antwortet Lukas. 15
„Falls du eine Wiese siehst, dann schon“, antwortet Emil. „Ich glaub, mein Schwein pfeift“, sagt Lukas, obwohl nirgendwo ein Schwein zu sehen ist. „Ich glaub, mich laust der Affe“, sagt Ronja, obwohl es in der Nähe garantiert keine Affen gibt. „Ich glaub, mich tritt ein Pferd“, sagt Emil, obwohl man weit und breit keine Pferde erblicken kann. „Wie kommen wir hierher?“, wundert sich Ronja. „Da stimmt doch was nicht!“ Ein gutes Stück entfernt pflückt ein Mädchen einen Strauß Blumen. Die Kleine ist total altmodisch angezogen. Sie trägt ein Kleid mit weitem Rock und einer Schürze. Auf dem Kopf hat sie eine Haube aus rotem Samt. Ronja rappelt sich auf und geht auf das Mädchen zu. „Hey Kleine“, ruft sie. „Weißt du, was hier abgeht?“ Das Mädchen schrickt zusammen. „Oh, einen guten Morgen! Ich habe dich gar nicht gesehen. Du hast meinen Korb gefunden, das ist schön.“ „Ach, das ist deiner?“, wundert sich Ronja. „Okay, du kannst ihn wiederhaben“, sagt sie und gibt dem Mädchen den Korb mit der Weinflasche und dem steinharten runden Ding. Ronja überlegt. Das Ganze scheint ein verzwickter Fall zu sein. Den Korb haben sie im Wald gefunden, in einer versteckten Höhle. Wie kann er dann der Kleinen 16
gehören? Die Flasche sieht nicht mehr staubig aus und der Kuchen riecht frisch und lecker. Wie ist das möglich? „Ich bringe meiner lieben Großmutter Wein und Kuchen“, plappert das Mädchen los. „Aber vorher werde ich ihr noch einen großen Strauß dieser hübschen Blumen pflücken. Sieh nur, wie schön sie ringsumher blühen. Und hörst du, wie herrlich die Vöglein singen?“ „Äh, ja“, sagt Ronja nur. „Ist ganz okay.“ Dabei denkt sie: Die quatscht sogar geschwollener als die nervige Tante Klara. Die verpestet immer das Haus mit dem Gestank von Parfüm. Dazu verteilt sie eklige feuchte Küsse mit rotem Lippenstift. Tante Klara hat auch lauter so liebliche Sprüche drauf. Aber kein Kind der Welt redet so! Die Kleine betrachtet Ronja mit großen Augen. „Du bist ein Mädchen. Warum hast du eine Hose an?“ Ronja versteht nicht, was daran nicht in Ordnung sein soll. Sie hat immer Hosen an. „Damit ich besser klettern kann“, erklärt sie. „Und warum trägst du solch merkwürdige Schuhe?“, fragt das Mädchen mit dem roten Samtding auf dem Kopf. Ronja blickt auf ihre Turnschuhe. „Damit ich besser rennen kann“, antwortet sie. „Und was ist das in deiner Hand?“, fragt die Kleine. „Äh, das ist eine Taschenlampe. Damit ich im Dunkeln besser sehen kann.“ 17
Ronja muss an die Höhle denken. Gerade eben ist sie dort hineingekrochen. Deshalb hat sie noch die Taschenlampe in der Hand. Und jetzt ist sie plötzlich in einer anderen Welt. Emils Sturz war vor ein paar Minuten. Ihr kommt es vor wie eine Ewigkeit. „Ich muss mal kurz zu meinen Freunden“, fällt ihr ein. „Komme gleich wieder.“ Ronja rennt zu den anderen zurück. Verwirrt lässt sie sich neben Emil und Lukas ins Gras fallen. „Ich kapier das alles nicht“, murmelt sie. „Da geht’s dir wie mir. Ich hab keine Ahnung, wo wir sind“, stellt Lukas fest. „Hier war ich im Leben nicht.“ „Ich auch nicht“, sagt Emil. „Und wie sind wir hierhergekommen?“ Lukas überlegt: „Vielleicht hat uns irgendein Fiesling bewusstlos geschlagen und verschleppt.“ „Möglich.“ Emil schaut über die Wiese. Nachdenklich sagt er: „Die Kleine erinnert mich an jemanden. Weiß nur nicht, an wen.“ „So geht’s mir auch“, meint Ronja. „Wie das Mädchen aussieht, mit dem roten Ding auf dem Kopf. Und dann hat sie erzählt, sie will zu ihrer Großmutter. Und die vielen Fragen, die sie mir gestellt hat. Das kommt mir alles irgendwie bekannt vor.“ Aus der Ferne hören sie eine tiefe, raue Stimme. „So, liebes Kind, ich habe mich eben noch am Bach gelabt. Nun werde ich mich auf den Weg machen.“ 19
Kurz darauf sieht das Dreierpack, zu wem die Stimme gehört. „Ein Hund“, flüstert Lukas. Vor Schreck ist sein Gesicht so weiß geworden, als wäre es in eine Schüssel Mehl gefallen. „Ein Hund, der redet wie ein Mensch.“ „Nein.“ Emil schüttelt den Kopf. Er ist genauso blass wie sein Freund. Seine Stimme zittert. „Das ist ein Wolf!“ Die drei bleiben eine Weile sitzen und starren mit Angst in den Augen dem sprechenden Tier hinterher. Eilig und lautlos verschwindet der Wolf im Wald. Ronja findet als Erste die Worte wieder. „Ein sprechender Wolf!“, staunt sie. „Sowas gibt’s doch gar nicht. Höchstens in Büchern und Geschichten.“ „Stimmt“, murmelt Emil nachdenklich. „Ich glaube, wir stecken mitten in einem Märchen.“ „Haha“, sagt Lukas. „Und gleich kommt die Hexe oder der böse Wolf …“ Er stutzt. Erschrocken schaut er zu der Stelle, an der das Tier verschwunden ist. „Der Wolf!“, flüstert Ronja aufgeregt. „Und der Korb mit Wein und Kuchen. Und die Großmutter. Und das Mädchen mit der komischen roten Haube.“ „Rotkäppchen!“, rufen alle drei gleichzeitig. Emil nickt. Jetzt ist er so blass wie Buttermilch. „Wir sind im Märchen gelandet. Mitten in der Geschichte von Rotkäppchen.“
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