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Doris Fuchsberger & Albrecht Vorherr

Schloss Nymphenburg Bauwerke – Menschen – Geschichte

Mit Fotografien von Gredel Warbeck


Informationen über den Verlag und sein Programm unter www.allitera.de

Impressum Originalausgabe Oktober 2015 Allitera Verlag Ein Verlag der Buch&media GmbH © Buch&media GmbH, München Umschlaggestaltung unter Verwendung eines Fotos von Gredel Warbeck Redaktion: Dietlind Pedarnig Printed in Europe ISBN 978-3-86906-749-0


Inhalt Grußwort S. K. H. Herzog Franz von Bayern

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Vorwort Staatsminister Dr. Ludwig Spaenle MdL

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Einleitung

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Auftakt

Kosmische Bezüge und Inszenierung von Wasser Ein fürstliches Geschenk Erster Lustgarten

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Entfaltung

Mittelbau: Bühne der Macht Die vier Logierpavillons: Familienleben, Hofkirche und Eliteschule Südtrakte: Küche, Stallungen, Kaserne Nordtrakte: Klöster, Kübelpflanzen und Konzerte

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Parkburgen

Pagodenburg: Chinesenhimmel im August Badenburg: alla turca Magdalenenklause: Sein und Zeit Amalienburg: Traum aus Silber und Glas

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Wasser und Park

Der Barockgarten: Vorbild Versailles Kanalbauten und Schiffe Vom Glanz der Kunst zur Inszenierung der Natur Der englische Landschaftspark: begehbare Malerei


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Kleinarchitekturen

Hexenhäusl: Kinderglück im Prinzengärtchen Dörfchen: Brunnhaus und Biberteich Menagerie: Tierpark und Technik

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Gartenparadiese

Nutz- und Küchengarten: Kreittlwerch, Karfiol und Pomeranzen Ziergärten: Welt der Blüten und Exotik

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Vorhof der Pracht

Stadtplanung am Reißbrett: die »Carlstadt« Porzellanmanufaktur mit Weltruhm

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Kutschen und Porzellan

Marstallmuseum: höfischer Fuhrpark Sammlung Bäuml: erlesenes Porzellan

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Anmerkungen

Anhang

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Pläne Hohe Gäste, Dienstpersonal und ein Spaßmacher Glossar Herrscher und Genealogie Kurzporträts Literaturverzeichnis Personenregister Dank


GruSSwort S. K. H. Herzog Franz von Bayern Schloss Nymphenburg ist ein besonderer Ort. Er ist über Generationen meiner Familie zu der prachtvollen heutigen Anlage herangewachsen. Schon Kurfürst Max Emanuel begann vor 300 Jahren den Landsitz weiter auszubauen, den sein Vater Kurfürst Ferdinand Maria seiner Ehefrau Henriette Adelaide geschenkt hatte. Das Schloss mit seinem schönen, großen Park wurde bald zum beliebtesten Sommeraufenthalt meiner Familie und da­ rüber hinaus auch ein Ort der Erholung für einen großen Kreis von Freunden und Besuchern. Meine Großeltern Kronprinz Rupprecht und Kronprinzessin Marie Gabriele, um ein Beispiel zu nennen, bewohnten den sogenannten Königsbau. Dieses Buch ist dem Schloss, seinen Parkburgen und Nebengebäuden gewidmet. Es stellt einen der schönsten Landschaftsparks Europas vor und spürt der ursprünglich barocken Anlage nach. Besonders freut mich, dass nicht nur auf die Bau- und Kunstgeschichte, sondern auch auf seine Bewohner und ihre Arbeit eingegangen wird. Das Schloss und seine umgebenden Anlagen erwachen in der Phantasie des Lesers nicht nur als museale Bauwerke und Grünanlagen, sondern erhalten Leben durch die Beschreibung ihrer Nutzung. ln welchen Räumen wurde gespeist, gefeiert, wer kam hier auf die Welt und schied von ihr? Welche Erträge hatten die Gärtner, wo arbeiteten die Köche, wie wurde serviert und wo schliefen die Hofdamen und wo die Hausmädchen? Auf alle diese Fragen, die sich ein Besucher stellen mag, findet er hier Antworten. lch wünsche dieser schönen und heiteren Sommerresidenz auch in Zukunft die kunstverständigen und tatkräftigen Menschen, die sie für künftige Generationen lebendig erhalten.

Schloss Nymphenburg, im Juli 2015

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Vorwort Dr. Ludwig Spaenle MdL Schloss Nymphenburg war von Anfang an als Ort zur sommerlichen Erholung und Rekreation des kurfürstlichen Hofes gedacht − ein »locus amoenus« neben der Stadtresidenz der Herrscherfamilie. Nymphenburg wurde damit zum weltlichen Pendant der geistlichen Stiftung der Hofkirche St. Kajetan, der heutigen Theatinerkirche neben der Residenz. Der zunächst allein stehende heutige Mittelpavillon der Gesamtanlage wurde schnell zum Zentrum einer fürstlichen Sommerhofhaltung, die sich frei von allen baulichen Zwängen einer eng bebauten Residenz entfalten konnte. Seine herausragende Architektur und die hochrangige künstlerische Ausgestaltung seiner Anlage sicherte dem Schloss bereits im späteren 17. und im 18. Jahrhundert eine bedeutende Stellung im Konzert der damals führenden und stilprägenden Hofhaltungen Europas − Versailles und Schönbrunn. Zum Schloss selbst gehörte von Anfang an ein ausgedehnter Park, der dem damaligen Selbstverständnis entsprechend in seiner zunächst dem französischen Gartenideal entsprechenden Ausformulierung ein Abbild der wohlverstandenen Ordnung des gesamten Staatsgebildes sein wollte und die jeweiligen Herrscher als Vertreter des »guten Regiments« feierte. In Nymphenburg war dieser Park zur Stadtseite hin mit einer aufwendigen Anfahrt verbunden. Der Park selbst erhielt neben den Wasserspielen und der abschließenden Kaskade im Westen die kleinen Parkburgen, von denen vor allem die Pagodenburg und die Amalienburg das Rokoko in Bayern um herausragende Zeugnisse bereichert haben. Die Magdalenenklause ließ auch die Frömmigkeit der Regenten anklingen. Der heutige Botanische Garten pflegt mit wissenschaftlichem Anspruch die Wurzeln der ursprünglich fürstlichen Gartengestaltung. Schloss Nymphenburg ist durch seine vielfältige Entwicklung zu einem Brennglas der Geschichte und darüber hinaus mit seinem Park und dem Museum »Mensch und Natur« zum geschätzten Erholungs- und Bildungsort geworden. Die vorliegende Publikation erschließt diese vielfältigen Facetten in besonderer Weise und dokumentiert den gesellschaftlichen Wert, den Schloss Nymphenburg auch heute noch besitzt.

Dr. Ludwig Spaenle MdL München, im Juli 2015


Einleitung

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»… weit davon entfernt, je einen modernen Volkspark mit Spielund Sportplätzen ersetzen zu können, ist das Lustwandeln in dem Gewirr der Wege zu jeder Jahreszeit ein Labsal für Großstadtnervöse.« So beschrieb die »Münchner Post« in ihrer Ausgabe vom 26. / 27. September 1925 den Nymphenburger Park. Noch heute, nach 90 Jahren, sind diese Worte aktuell. Unbehelligt von Radfahrern genießen Spaziergänger die Ruhe und das einzigartige Flair des ehemaligen Schlossgartens. Um den Bestand an Rehen und unzähligen Wasservögeln nicht zu gefährden, ist das Führen von Hunden nur an der Leine erlaubt. Dies ermöglicht auch Joggern, ungestört ihre Bahnen zu ziehen. Die Bewohner des rasant wachsenden Großraums München lieben den Nymphenburger Park als Naherholungsgebiet. Schloss Nymphenburg steht im Tourismusranking Münchens an sechster Stelle. Im Jahr 2014 zogen das Schloss, das Marstallmuseum und die Parkburgen insgesamt 544 612 Besucher an. Ein weiterer Anziehungspunkt ist das Museum Mensch und Natur mit 191 793 Gästen im selben Jahr. Der Park selbst ist seit 1792 der Allgemeinheit zugänglich. Heute dient er jährlich etwa 2 000 000 Menschen zur Bewegung an frischer Luft. Vielleicht kennen Sie das Phänomen: nach einem Parkspaziergang kehrt man innerlich verwandelt zurück – selbst bei garstigem Wetter. Im Gegensatz zu den Schlössern König Ludwigs II., waren Nymphenburgs Bauten jahrhundertelang kontinuierlich belebt. Sie wurden durch menschliche Impulse gestaltet und wiederholt verändert. Fast 100 Jahre nach dem Ende der Monarchie ist der »menschliche Faktor« hinter den repräsentativen Fassaden immer noch spürbar. Kontinuität zeigt besonders die Porzellan Manufaktur Nymphenburg, die hier seit 1761 in reiner Handarbeit produziert. Sie setzt bewusst auf rein manuelle Herstellungsmethoden und hat diese zur Perfektion entwickelt. Neben historischen Vorlagen schaffen auch zeitgenössische Künstler herausragende Designobjekte von höchstem Anspruch. Seen, Bäche und Kanäle, alter Baumbestand und seit Jahrhunderten naturbelassene Wiesen bieten wertvollen Lebensraum

für Flora und Fauna. Eine reiche Vielfalt einheimischer Pflanzen wechselt mit Neophyten, die sich jedoch kaum negativ auf die Biodiversität auswirken. Dennoch ist rund um die Pagodenburg ein Verdrängungsprozess bei der Ausbreitung des Großblättrigen Kaukasus-Vergissmeinnichts (Brunnera macrophylla) zu beobachten, das zunehmend die Population der Leberblümchen (Anemone hepatica) ersetzt. Wissenschaftliches Fachpersonal innerhalb der Schlösserverwaltung ist sich des künstlerischen und botanischen Wertes des Schlossparks bewusst und trägt dieser historischen Einzigartigkeit Rechnung, indem versucht wird, den Garten im Sinn der Gartendenkmalpflege in seiner Originalsubstanz zu erhalten. Darüber hinaus ist der Park ein geschütztes Gebiet innerhalb des europäischen Natura2000-Netzwerks, dessen ökologisches System nach der FloraFauna-Habitat-Richtlinie gefördert wird. Vom Nymphenburger Park ausgehend existiert seit 2002 ein neues Verfahren der Gehölzpflege in historischen Parkanlagen, das derzeit in ganz Bayern eingeführt wird. Die Faszination dieses besonderen Ortes führte uns zur intensiven Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Themen: Bauwerke, Menschen, Geschichte. Dabei greifen wir auf Dokumentationen aus vier Jahrhunderten zurück. Als Glücksfall zeigte sich die Zusammenarbeit mit der Fotografin Gredel Warbeck, die vielfältige visuelle Eindrücke ermöglicht. Hier trafen drei Menschen aufeinander, die ähnlich empfinden. Nun wollen wir die vielen Facetten rund um Schloss Nymphenburg mit unseren Lesern teilen und sie zu Entdeckungen durch Räume und Zeiten hinweg einladen. Begleiten Sie uns beim Eintauchen in Stille und Schönheit, freuen Sie sich an Kunst und Natur!

Doris Fuchsberger Albrecht Vorherr München, im Juli 2015

Gredel Warbeck



Auftakt

Kosmische Bez端ge und Inszenierung von Wasser

Ein f端rstliches Geschenk

Erster Lustgarten


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kosmische Bezüge und Inszenierung von Wasser Schloss Nymphenburg war von Beginn an als Sommerresidenz der Wittelsbacher geplant. Es war der Wunsch der Kurfürstin Henriette Adelaide von Savoyen, hier die warme Jahreszeit in ländlicher Idylle zu verbringen. Die »Nymphenburger Campagne« begann mit dem Frühlingsbeginn und der Übersiedelung des gesamten Hofstaats aus der Münchner Residenz. Der Schlossbau ist auf diesen astronomischen Zeitpunkt ausgerichtet. Er nimmt Bezug auf die Frühjahrs-Äquinox,1 weshalb seine Hauptachse leicht aus der Ost-West-Richtung verschoben ist. So laufen zur Tag- und Nachtgleiche die Strahlen der aufgehenden Sonne durch das Zentrum des Schlosses, den Steinernen Saal, entlang des Kanals, um schließlich auf die Kaskade zu treffen. Dort findet der erste Auftritt des Wassers als gestalterisches Element im Schlossgarten statt. Damit gehört Nymphenburg in die Reihe jener monumentalen Kalenderbauten, die vielerorts und zu allen Zeiten rund um den Globus errichtet wurden. Vermählung bereits mit 14 Jahren: Ferdinand Maria (1636–1679) und ­Henriette Adelaide (1636–1676).

Ein fürstliches Geschenk Anlass für den Schlossbau war die langersehnte Geburt des Thronfolgers Max Emanuel im Jahre 1662 – dies bedeutete die Sicherung der Wittelsbacher Dynastie und Frieden für das Land. Aufgrund eines Gelübdes ließen die stolzen Eltern, Kurfürst Ferdinand Maria und Henriette Adelaide von Savoyen, in unmittelbarer Nähe ihrer Münchner Residenz die Theatinerkirche St. Kajetan errichten. Darüber hinaus wurde der jungen Mutter ein sehnlicher Wunsch erfüllt: Der Kurfürst schenkte ihr die Schwaige Kemnat. Sie lag eine knappe Stunde außerhalb der Münchner Stadtgrenze. Auf dem aus drei Höfen bestehenden Landgut konnte die Kurfürstin ganz nach ihren Vorstellungen ein neues Schloss erbauen und Landwirtschaft betreiben lassen. Der Besitz stammte aus dem Nachlass des kurfürstlichen Rates Johann Georg Gassner, der ihn noch im Dreißigjährigen Krieg erworben und nach dem Schwedeneinfall wiederaufgebaut hatte. Weil dessen Sohn noch minderjährig war, schloss der Kurfürst den Kaufvertrag am 1. Juli 1663 mit den Vormündern. Zur Abrundung des Besitzes schenkte Ferdinand Maria seiner Frau im Folgejahr das Gut Hartmannshofen und die Hofmark Menzing, zu der neben den Dörfern Pipping, Ober- und Untermenzing, auch Schloss Blutenburg gehörte (vgl. Plan S. 154 / 155). Für Bau, Ausstattung und Unterhalt

ihres Landsitzes hatte die Kurfürstin dann weitgehend selbst zu sorgen. Zur Finanzierung trug auch die Viehhaltung bei: Neben Rindern aus der Schweiz wurden noch vor der Grundsteinlegung »200 Mutterschafe und sechs Hammel«2 angekauft. Durch die Entvölkerung als Folge des Dreißigjährigen Krieges herrschte in Bayern ein Mangel an gut ausgebildeten Bauhandwerkern und Architekten. Die junge Kurfürstin berichtete ihrer Mutter nach Turin, dass sie für ihre Bauprojekte in München nur »più idioti«3 vorfinde. Deshalb bemühte sie sich erfolgreich um italienische Künstler und Kunsthandwerker, die in der Lage waren, ihre ambitionierten Neubauten zu errichten und auszuschmücken. So arbeiteten in Nymphenburg die Architekten Agostino Barelli, Antonio Viscardi und Henrico Zuccalli, die auch an der Theatinerkirche und bei diversen Privatbauten in Münchens Altstadt tätig waren. Nach Ansicht der temperamentvollen Kurfürstin Henriette Adelaide waren die bislang genutzten Schlösser in Dachau, Starnberg und Alt-Schleißheim für den Sommeraufenthalt in barocker Pracht ungeeignet. Deshalb nahm sie regen Anteil an Planung und Ausstattung ihrer »Villa suburbana« und gab ihr den Namen »Borgo delle Ninfe« in Anlehnung an Sagen aus ihrer Heimat Savoyen, wonach weibliche Naturgottheiten,


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Die früheste Darstellung von Schloss Nymphenburg ist ein Kupferstich von Michael Wening aus dem Jahr 1701.

Feen oder Nymphen, die Hoheit über das Land ausüben und es beleben. Der blockhafte Charakter des Mittelgebäudes wurde auf der Stadt- und Schauseite durch die Würdeformen einer Freitreppe und eines Prunkportales akzentuiert. Im unbebauten Gelände weideten Schafe und Rinder.

erster Lustgarten Als das vierte Geschoss 1671 aufgemauert war, begannen 26 Tagwerker und eine Kompanie Soldaten mit den Erdarbeiten für den Schlossgarten vor der Westfassade. Im Jahr da­rauf entstand die Allee nach St. Wolfgang in Pipping als sogenannter Point de vue. Der überschaubare Garten war geometrisch strukturiert und von einer hohen Mauer umgrenzt. Ihn schmückten Broderien mit Buchsbaumeinfassungen, die das bayerische und das savoyische Wappen darstellten. Außerdem gab es vier Springbrunnen und einen zentralen Gartentempel. Ein weiterer Brunnen sprudelte in einer Grotte, die der Hofmaler Kaspar Amort entworfen hatte. Sie war mit 469 bunt bemalten blechernen Blumen dekoriert. Amort, ein noch während des Dreißigjährigen Krieges in Italien an Caravaggio geschulter Künstler, war am Münchner Hof für die Inszenierung von Feuerwerken, Opern und Schäferspielen engagiert. Weil das Schloss lange nicht fertiggestellt wurde, spielten sich alle Feste im Freien ab. Für den Aufenthalt im Schatten und zum Schutz vor unvorhergesehenen Regengüssen war eine

Kindheit in stolzer Staatsrobe: Max Emanuel (1662–1726) und Maria Anna Christina (1660–1690).

»Laubhütte« vorhanden. Die Errichtung dieses Holzbaus kostete immerhin 865 Gulden und wurde von einer gemauerten Gloriette ergänzt. Geschirr und Mobiliar für die ländlichen Vergnügungen wurden zunächst aus der Stadtresidenz herbeigeschafft, später wurde »das goldene Besteck und das kostbare Geschirr aus der Zeit Adelaides«4 für die gehobenen Picknicks beim Verwalter der Schwaige aufbewahrt. Zur Unterhaltung und Belehrung der kurfürstlichen Kinder standen ab 1674 eigene kleine Gartenbezirke zur Verfügung. In Nymphenburg konnten der bayerische Kurprinz und die spätere Dauphine von Frankreich einen Hauch von Kindheit ohne höfisches Korsett erleben. Ihre Spielgefährten waren Kinder savoyischer Adeliger. Die kunstsinnige Mutter verstand es, kulturelle Impulse aus Italien und Frankreich in München zu etablieren.





Entfaltung

Mittelbau: Bühne der Macht

Die vier Logierpavillons: Familienleben, Hofkirche und Eliteschule

Südtrakte: Küche, Stallungen und Kaserne

Nordtrakte: Klöster, Kübelpflanzen und Konzerte


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Von einer Villa mit zwei Nebenpavillons entwickelte sich Henriette Adelaides Landsitz zum Zentrum einer Barockanlage, deren Spannweite von 685 Metern selbst Versailles in den Schatten stellt. Der ausgedehnte Schlosskomplex entstand unter Kurfürst Max Emanuel (1662–1726) in mehreren Bauphasen und wurde unter seinen Nachfolgern Karl Albrecht (1697–1745) und Max III. Joseph (1727–1777) ausgeformt. Um die Exklusivität des barocken Parks der Hofgesellschaft vorzubehalten, ließ Kurfürst Karl Albrecht ab 1733 eine drei Meter hohe und fünf Kilometer lange Schlossmauer rund um den Park errichten. Als vollendet konnte Nymphenburg etwa 100 Jahre nach seiner Grundsteinlegung gelten, wie es die Veduten von Canaletto im Jahre 1761 zeigen. Das architektonische Erscheinungsbild Nymphenburgs prägte Max Emanuels Hofbaumeister Joseph Effner (1687–1745). War das Arrangement der einzelnen Bauglieder auch italieni-

schen und niederländischen Vorbildern verpflichtet, so nahm Effner in der Fassadengestaltung ab 1715 modernste französische Strömungen auf.

Mittelbau: Bühne der Macht »Sage mir, wo du wohnst und ich sage dir, wer du bist!« Nach diesem Motto konnte in der Ständegesellschaft Wohnen und Macht aufeinander bezogen werden. Was zählte, war die Nähe zum Herrscher. Und wer war einflussreicher, als jemand, der sein Leben ganz nah beim Fürsten verbringen konnte? Galt der zentrale Bau als Machtpol Bayerns, so waren dessen Räume besonders kostbar – auch im sozialen Sinn. Die Beletage, das erste Obergeschoss mit seinen hohen Sälen und Salons, kann durchaus als Chefetage bezeichnet werden. In allen Schlössern Europas lagen in diesem Stockwerk die Räume der Herrschenden.

Gartenseite Schloss Nymphenburg, Gemälde von Bernardo Bellotto, genannt Canaletto, 1761.


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Drei Generationen prägten das barocke Nymphenburg: (v. li. n. re.) Max Emanuel (1662–1726), Karl Albrecht (1697–1745) und Max III. Joseph (1727–1777).

Im Parterre dagegen befanden sich neben der Kutschendurchfahrt ausschließlich Funktionsräume: der Aufenthaltsraum für die ständig präsente Leibwache, die Schreibstube für den Sommelier direkt über seinem Weinkeller und die Silberkammer. Zwei Silberdiener hatten die Aufgabe, die Fluktuation des kostbaren Geschirrs der kurfürstlichen Tafel zu überwachen. Über dieses »ruhende Kapital« wurde genauestens Buch geführt. Neben der Inventarführung waren sie für die Pflege und Bewachung der silbernen Weinkühler, Kannen, Teller, Saucieren, Platten und Bestecke verantwortlich. Um die Sicherheit des bayerischen Tafelsilbers zu gewährleisten, wohnten sie direkt an ihrem vergitterten Arbeitsplatz. In nächster Nähe zu ihrer Herrschaft lebte das adelige Gefolge. So wohnten in den oberen Stockwerken die Hofdamen, die wiederum über eigenes Dienstpersonal verfügten. Die et-

was verschachtelten Quartiere der Kammerzofen waren durch Holzverschläge innerhalb der Appartements abgetrennt. Schlafplätze für »Putzweiber« gab es unter der westlichen Freitreppe. Weit oben schließlich, ganz unter dem Dach, wurden zahlreiche Dienstboten untergebracht wie Lakaien und Einheizer. Auch Karl Azor (1772–1827), der letzte bayerische Hofmohr, wohnte dort mit seiner Frau. Im Gegensatz zu ihm war es dem vermögenslosen Gesinde meist unmöglich, eine Heiratserlaubnis zu erlangen. Die ständige Anwesenheit von Bediensteten hinter den Kulissen war in der Ständegesellschaft eine Selbstverständlichkeit. Mittelpunkt des Nymphenburger Schlosses ist der lichtdurchflutete Festsaal, wegen seines Marmorbodens Steinerner Saal genannt. 1756 durch Johann Baptist Zimmermann mit Stuck und Fresken dekoriert, ist er gleichsam das weltliche Gegenstück zur Wieskirche, ein letzter Höhepunkt des bayerischen Rokoko. Vom zentralen Schlossbau ausgehend, entwickelte Joseph Effner für die Hofhaltung Max Emanuels vier Logierpavillons: symmetrisch gestaffelte würfelförmige Baukörper, nach Norden wie nach Süden hin jeweils einen Inneren und einen Äußeren Pavillon. Die Bauweise ermöglichte, das Schloss von einem Ende zum anderen zu durchqueren.


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Im Steinernen Saal vermitteln Rocaillen aus Stuck zwischen Wänden und Fresken. Stets hat der über drei Geschosse reichende Festsaal den Rahmen für Konzerte, Galatafeln und Empfänge gebildet. König Ludwig II. wurde am 26. August 1845 hier getauft.


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