Komponisten in Bayern – Band 64: Franz Grothe
Komponisten in Bayern Dokumente musikalischen Schaffens im 20. und 21. Jahrhundert begründet von Alexander L. Suder herausgegeben im Auftrag des Tonkünstlerverbandes Bayern e. V. im DTKV von Theresa Henkel und Franzpeter Messmer in Zusammenarbeit mit der Franz Grothe-Stiftung Band 64: Franz Grothe
H. Banter L. Fahrenkrog-Petersen M. Kühn M. v. Schoenebeck
J. Brandhorst A. H. Hess R. Mörchen K. Westermann
M. Braun M. Karbaum A. Schatte K. Wüsthoff
Franz Grothe
Kuratorium: Oswald Beaujean, Bayerischer Rundfunk Linde Dietl, Tonkünstlerverband Bayern e. V. Richard Heller, Tonkünstlerverband Bayern e. V. Theresa Henkel, Herausgeberin Dr. Dirk Hewig, Deutscher Tonkünstlerverband e. V. Herbert Hillig, Ministerialrat, beratendes Mitglied als Vertreter des Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst Arno Leicht, Hochschule für Musik Nürnberg Axel Linstädt, Deutscher Komponistenverband Dr. Franzpeter Messmer, Herausgeber Dr. Robert Münster, Herausgeber der Musica Bavarica Dr. Reiner Nägele, Musiksammlung der Bayerischen Staatsbibliothek Dr. Helga-Maria Palm-Beulich, Musikwissenschaftlerin Prof. Dr. Hartmut Schick, Universität München und Gesellschaft für Bayerische Musikgeschichte Dr. Bernhold Schmid, Bayerische Akademie der Wissenschaften Prof. Dr. Stephan Schmitt, Hochschule für Musik und Theater München Dr. Wolf-Dieter Seiffert, Verleger Alexander Strathern, Verleger Prof. Dr. Alexander L. Suder, Ehrenvorsitzender Vorstand des Tonkünstlerverbandes Bayern e. V. im DTKV: 1. Vorsitzender: Prof. Ulrich Nicolai, München 1. Stellvertretende Vorsitzende: Prof. Barbara Metzger, Würzburg 2. Stellvertretende Vorsitzende: Prof. Michaela Pühn, München Ehrenvorsitzende: Prof. Dr. Alexander L. Suder, Dr. Dirk Hewig, Linde Dietl, Dr. Franzpeter Messmer, München Schatzmeister: Philip Braunschweig, München Schriftführer: Prof. Eckhart Hermann, München Die Buchreihe »Komponisten in Bayern« wird vom Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst sowie von Rotary München 100 unterstützt und gefördert. Dieser Band wird von der Franz Grothe-Stiftung, München, unterstützt und gefördert.
Februar 2019 Allitera Verlag Ein Verlag der Buch&media GmbH © 2019 Buch&media GmbH © 2019 der Einzelbeiträge bei den AutorInnen Titelfoto: Franz Grothe bei einer TV-Portrait-Sendung von Günter Pape anlässlich Grothes 70. Geburtstags, 1978 (hr-Unternehmensarchiv, Foto: Kurt Bethke) Printed in Europe ISBN print 978-3-96233-115-3 ISBN epub 978-3-96233-116-0 ISBN PDF 978-3-96233-117-7
Inhalt Vorwort zum 64. Band . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Lutz Fahrenkrog-Petersen und Melanie Kühn
Franz Grothe – Auf den Flügeln bunter Träume1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Interviews und persönliche Erinnerungen
»Grothe war ein universeller Musiker« Jürgen Brandhorst im Gespräch mit dem Komponisten Harald Banter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 »Der ist und lebt einfach Musik« Jürgen Brandhorst im Gespräch mit dem Komponisten Klaus Wüsthoff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 Persönliche Erinnerungen an Franz Grothe von Michael Karbaum . . . . . . 37 Alexander Hess
Kirsten Heiberg – Muse und »Vamp wider willen« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 Jürgen Brandhorst
Die Franz Grothe-Stiftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 Alexander Schatte
Vermächtnis in Noten. Ein Streifzug durch das Archiv der Franz Grothe-Stiftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Bildteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Michael Braun
Franz Grothe als Filmkomponist in der Zeit des Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 Roland Mörchen
»Das große Ganze« Franz Grothes Filmschaffen nach 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 Kay Westermann
Das Wirtshaus im Spessart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Mechthild von Schoenebeck
»Wenn ein junger Mann kommt, der fühlt, worauf’s ankommt« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Register der erwähnten Werke sowie Filme, und Produktionen von und mit Musik von Franz Grothe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Vorwort zum 64. Band
Der vorliegende Band über Leben und Wirken von Franz Grothe ist in vielerlei Hinsicht ein Novum. Die Reihe Komponisten in Bayern möchte mit der Publikation nicht nur dem unschätzbaren Erfolg des »U-Musikers« Rechnung tragen, der Film und Fernsehen in Deutschland und weit darüber hinaus jahrzehntelang entscheidend beeinflusste. Sie fokussiert außerdem erstmals die Perspektive der Unterhaltungs- und ganz entscheidend der Film- und Fernsehwelt. Dies geht zurück auf einen vom Kuratorium getragenen Entscheidungsprozess, welches mit diesem Band die Reihe ganz grundsätzlich für Komponisten der Unterhaltungsmusik öffnen möchte. Zahlreiche neue Einblicke sowie bisher noch nicht veröffentlichte Fallstudien zu Grothes Werk und die Aufarbeitung seiner bislang wenig wissenschaftlich beleuchteten Biografie bilden den Kern dieses Bandes. Dabei war der Anspruch aller Autoren stets eine sachliche und objektive Herangehensweise, die nichts verschweigt oder beschönigt, genauso wenig aber vorschnell verurteilt. Der Weidener Stadtrat sprach sich auch deshalb im Jahr 2018 einstimmig dafür aus, dass die städtische Musikschule weiterhin »Franz-Grothe-Schule« heißen darf. Die Entscheidung folgte auf eine kontroverse Diskussion, in der Grothe ins politische Kreuzfeuer geriet, doch letztlich stufte man ihn als Opportunist ein. Auch das prägt diese Monografie. Auf dreierlei sonst obligatorische Komponenten der Monografien wurde in diesem Band verzichtet: Chronik, Werkverzeichnis und Diskografie. Umfangreiche Informationen zu allen drei Abteilungen bietet das bereits in zweiter Auflage erschienene Werkverzeichnis zu Franz Grothe1. Stattdessen wurde dem vorliegenden Band ein Register der erwähnten Werke Grothes beigefügt. Ich möchte im Namen des Tonkünstlerverbands den Beteiligten für ihren unermüdlichen Einsatz danken: den Autoren für ihre fundierten und erkenntnisreichen Artikel zum Leben, Werk und Wirken von Grothe, der Franz Gro the-Stiftung und namentlich Herrn Dr. Jürgen Brandhorst für die großzügige finanzielle Unterstützung, Alexander Schatte für zahlreiche erhellende Hinweise sowie die Bereitstellung der Dokumente und Partituren aus dem Franz Gro the-Archiv und nicht zuletzt dem familiären Umfeld Grothes, Karin Grothe und Jutta Freifrau von Uckermann, für die hilfreichen Informationen und Beschaffung der Bildvorlagen, sowie dem Allitera Verlag für Layout und Vertrieb. Theresa Henkel
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Franz Grothe-Stiftung (Hrsg.): Franz Grothe Werkverzeichnis, zusammengestellt von Ludowica von Berswordt, neu bearbeitet und erweitert von Wolfgang Schäfer, München ²2008.
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Lutz Fahrenkrog-Petersen und Melanie Kühn1
Franz Grothe - Auf den Flügeln bunter Träume1
Köln, 10.9.1982, das WDR-Rundfunkorchester spielt die Elegie. Nach den ersten Tönen des Konzerts bricht der Dirigent auf der Bühne zusammen, er wird zunächst wegen Verdachts auf Herzprobleme im Krankenhaus versorgt und erliegt nach langer Operation am 12.9.1982 einem Aortariss im Bauchraum; Franz Grothe, einer der erfolgreichsten deutschen Musiker des 20. Jahrhunderts ist tot, er wurde 73 Jahre alt. Auf der Bühne verstorben: Was wie ein »filmreifer Stoff« oder wie »der Traum« jedes Musikers anmuten mag, wird Franz Grothe, der gegenüber seiner zweiten Ehefrau Gerda zwar von einem erwünschten Tod bei der Arbeit gesprochen haben soll, so eben nicht gefallen haben. Er war ein fleißiger und geradezu fanatischer Arbeiter, er hätte, pflichtbewusst wie er war, lieber das Konzert zu Ende gebracht, sich vor seinem geneigten Publikum verbeugt, die Musiker des Orchesters gewürdigt, wäre von der Bühne abgegangen, um dann nach getaner, ordentlicher Arbeit zu versterben. Genius, Erfolg, Zuverlässigkeit und Fleiß sind Attribute, die insgesamt nicht auf viele bekannte Musiker des 20. Jahrhunderts zutreffen, zu oft verblieben nur der Genius oder der Erfolg. Franz Grothe war ein Kind der Kaiserzeit, erlebte zwei Weltkriege und das Wirtschaftswunder mit und war musikalischer Taufpate des bahnbrechenden Mediums Unterhaltungsfernsehen. Franz Johannes August Grothe wird am 17. September 1908 in Berlin-Treptow, Treptower Chaussee 9–9a, als einziges Kind der Eheleute Johannes Karl Christian Grothe (*1878 in Templin, †1928 Berlin-Lichterfelde) und Marie Bertha Agnes, geb. Hentschel (*1879 in Potsdam, †1963 Berlin) geboren. Seine Vornamen hat er zum einen von seinem Vater, vom Großvater väterlicherseits, Franz Heinrich Grothe, einem pensionierten Lehrer aus Templin in der Uckermark, sowie seinem Großvater mütterlicherseits, dem königlichen Eisenbahnsekretär August Emanuel Hentschel aus Alt Löst, Kreis Liegnitz. Franz wächst in einer Familie auf, die der Musik sehr verbunden ist. Nicht nur, dass sein 1
Die hier berücksichtigten Quellen beinhalten zum Teil widersprüchliche Angaben, wobei diese Biografie dabei den aktuellsten Forschungsstand darstellt. Um den Lesefluss nicht zu sehr zu beeinträchtigen, wurde an entsprechenden Stellen auf einen gesonderten Literaturhinweis verzichtet. Eine ergänzende Auflistung der für diesen Artikel verwendeten Literatur befindet sich im Anhang, S. 151f.
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Vater später als angestellter Kaufmann für die Groß-Berliner Blüthner-Piano-Alleinvertretung Berthold Neumann arbeitet, er begleitet auch seine Frau Bertha, die auf ihrer Heiratsurkunde vom 9.10.19052 noch »Putzmacherin« als Beruf angibt und eine professionelle Gesangsausbildung erhalten hat, gerne bei Vorführungen im semi-privaten Kreis am Klavier. Zuhause, ab 1910 in der Peschkestraße 21, Berlin-Steglitz, wird dank geschäftlicher Kontakte des Vaters oft mit bekannten, befreundeten Musikern wie Leonid Kreutzer, Josef Weiss, Karol Szreter, Gregor Piatigorsky, Nikolaus Lambinion, dem Konzertmeister im Blüthner-Orchester, oder Franz von Vecsey, dem Konzertmeister der Berliner Philharmoniker, musiziert.3 Seine ersten Schritte am Instrument macht der fünfjährige Franz Grothe unter der Direktive seines Großvaters August, der direkt um die Ecke in der Fregestraße 34a wohnt und ihm den ersten Geigenunterricht auf einer 1/2-Geige erteilt. Das Erlernen des Geigenspiels ist gerade für kleine Kinder besonders schwierig, da die Koordination des Bogens und der Finger, gepaart mit dem korrekten Halten des Instruments, sehr viel abverlangt und oft zu Verdruss und Frustration führt. Franz hat sich durchgebissen und verdankt dem königlich preußisch strengen Regiment des Eisenbahnsekretärs »Opa August« vielleicht sogar seine Beharrlichkeit und den strengen Fleiß. In jedem Fall erhöht die Übung an der Violine auch die Handhabung von Melodien, die im späteren Schaffen des jungen Franz von großem Nutzen war. Der Vater unterrichtet ihn zunächst am hauseigenen Flügel. Nachdem er mit 10 Jahren eine erste Komposition zu Papier gebracht hat, erhält Franz die Einweisung in Musiktheorie und Kontrapunkt vom Leiter des Blüthner-Orchesters, Theodor Müngersdorf. Es folgen Instrumentationsstunden bei Prof. Walter Gmeindl von der Hochschule für Musik in Berlin. Seine zwei Studienjahre an der Hochschule bringen ihn auch in die Dirigenten-Klasse von Prof. Clemens Schmalstich und zum Pianisten Leonid Kreutzer.4 Zur gleichen Zeit besucht er noch das Humanistische Gymnasium Steglitz, das er allerdings nach zweimaligem Sitzenbleiben nicht abschließen wird. Es sind keine Anzeichen ersichtlich, dass Franz von seinen Eltern, wie bei so vielen hochbegabten Musikern der Geschichte, zum Üben und damit zur hohen Kunst genötigt oder getrieben wurde. Er wurde zum Stubenhocker aus eigener Entscheidung. Während andere Kinder im Hof spielten, saß Franz am Tisch und erfand Melodien, übte seinen Kontrapunkt und instrumentierte. Obwohl er in späteren Jahren immer über ein Klavier oder einen Flügel verfügte, brauchte er die Klaviatur nicht, um seine Kompositionen oder Arrangements zu erstellen, er konnte seine Ideen für das ganze Orchester und die Singstimmen direkt auf Papier niederschreiben. 4 2 3
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Berlin, Heiratsregister 1874–1920, Standesamt Berlin V6, 1905. So schön wie heut – Franz Grothe erzählt aus seinem Leben, NDR , 25.12.1982. Film-Revue 1 / 1957, Utz Utermann.
Aus heutiger Sicht wird gerne übersehen, wie sehr zu Zeiten des jungen Franz die Kunst im theoretischen Erlernen der Skalen, des barocken bis klassischen Tonsatzes und der überlieferten Ästhetik der Instrumentierung verankert war. Er begann noch vor Beginn des Ersten Weltkriegs Geige zu lernen und nahm kurz nach Ende desselbigen bereits Stunden an der Musikhochschule. Es war die Kaiserzeit, die Straßenbahn war das neueste Verkehrsmittel und Pferdedroschken prägten das moderne Berliner Stadtbild. Zwar war zu seiner Geburt schon die Überwindung des romantischen Tonsatzes durch Richard Wagner und Arnold Schönberg eingeleitet, doch wird dies wohl kaum eine Auswirkung auf dessen erste Lehrer oder deren Curriculum gehabt haben. So ist Franz Grothe die ähnliche Ausbildung zuteil geworden, die schon Generationen vor ihm in der Tonkunst Unterrichtete erhielten. Doch scheint es Impulse gegeben zu haben, die Franz von seinem Werdegang zum klassischen Komponisten oder Dirigenten haben abschweifen lassen. Nachdem er mit 13 Jahren noch als Violinen-Wunderkind gilt, widmet er sich immer mehr dem Piano. Als er mit Freunden bei einem Fünf-Uhr-Tee im Berliner Barberina-Palais mit der Jazzmusik ersten Kontakt hat, ist er von dieser neuen Musik begeistert. Die Lebensumstände seiner Eltern waren eher instabil, sein Vater verdiente im Jahr 1925 lediglich 11 Mark pro Tag,5 sodass ihm wohl früh ein Leben als brotloser Künstler nicht erstrebenswert erschien. Immerhin hat er nicht erst nach dem Tod seines Vaters 19286 für die Mutter sorgen müssen, indem er sich, so früh es nur ging, bereits als Kopist und Arrangeur (erste Aufträge erhält er durch Vermittlung seines Vaters im Pianohaus Neumann) oder in Kneipen als Pianist verdingte. Später berichtet Grothe, wie wichtig ihm das Musizieren mit Vorbildern wie Eric Borchard und seiner »Atlantic Jazzband« (hier kann er eingehend Edgar Adelers Jazzpianokünste studieren, bevor er selber für kurze Zeit Mitglied der Band wird),7 dem Saxofonisten Danny Polo und später Billy Bartholemew war und wie ihn diese Musiker prägten und inspirierten. Sein großes Glück ist, dass er durch den Kontakt zu vielen englischen und amerikanischen Jazz-Musikern, die damals in Berlin spielen, viel beigebracht bekommt und schon als 16-Jähriger auch in ihren Bands engagiert wird. Er spielt, wo er kann: in Kneipen zur Untermalung oder zu Tanzveranstaltungen. Seine musikalische Energie brachte ihn bereits im Sommer 1925 zur Zusammenarbeit mit dem Erfolgskomponisten und damaligen Operettenkönig von Berlin,
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Brief Johannes Grothe an Franz Grothe vom 15.07.1925, Privatbesitz Karin Schodde- Grothe. archion.de, Landeskirchliches Archiv in Berlin, Berlin Steglitz, Lukas, Bestattungen 1927–1934, Bild 25 2578 bzw. Landesarchiv Berlin, EMK v. 1875–1960, Bestand B Rep. 021, Standesamt Lichterfelde Nr. 498. Theodor Rosenberg: »Franz Grothe«, in: Musik-Echo, Berlin, 4 / 1932.
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Hugo Hirsch,8 für den Grothe ein Jahr später die Revue Wieder Metropol für ein 38-Mann-Orchester arrangierte, eine eigene Jazz-Suite beiträgt und bei der Uraufführung am 16.9.1926, einen Tag vor seinem 18. Geburtstag, am Klavier sitzt. In der Generalprobe hört ihn Dajos Béla (1897–1978) und nimmt ihn – zunächst einen Monat lang als zweiten Pianisten und Harmoniumspieler neben Mischa Spoliansky, danach als ersten Pianisten – in sein Schallplatten-Orchester auf, das exklusiv auf der Lindström-Marke Odeon veröffentlicht. Darüber hinaus ist Grothe vollkommen infiziert vom Virus des »Symphonischen Jazz«, den er bei einem Konzert von Paul Whiteman im Sommer 1926 im Berliner Schauspielhaus, zu dem ihn sein Vater mitnahm, entdecken kann.9 Was ist dieser »Symphonische Jazz«? Eigentlich unterscheidet er sich kaum von der Salon-Tanzmusik der Kaiserzeit oder von den beschwingten neuen Tanzmusiken der aufkommenden Grammofon-Schlager. Es ist schlichtweg die Adaptation der neuen Rhythmen und Harmonik aus den USA durch das Instrumentarium eines Symphonieorchesters. Hinzu kommt die Einarbeitung harmonischer und melodiöser Exotika, die dem Blues oder auch anderen ethnischen Strömungen entstammen können. Von Whiteman oder Gershwin noch als uramerikanische Art der Musik vermarktet, stellt der »Symphonische Jazz« die konsequente Verschmelzung der vornehmlich zum Tanzen brauchbaren neuen Musiken der Welt dar, die je nach Provenienz angepasst werden möchten. Von Oktober 1927 bis Ende April 1928 gastiert Grothe neben der Arbeit für Béla als Mitglied von Billy Bartholemews »Eden Five« im Berliner Hotel Eden und spielt mit der auf Bigband-Stärke vergrößerten »Billy Bartholemews Delphians Jazz Band« von Mai bis Mitte Juni 1928 im neueröffneten Delphi-Palast. Es schlägt die Geburtsstunde der modernen Unterhaltungsmusik, die zwar von der großen Kunst noch belächelt wird und doch ihre kommende Übermacht in wirtschaftlicher Hinsicht durch die Begeisterung des Publikums verspricht. Franz schlägt sich auf die Seite des Neuen und damit des Erfolgs, was sich wie ein roter Faden durch sein Leben ziehen wird. Wobei der Erfolg eines neuen Mediums oder einer Musikrichtung nicht immer vorab auf der Hand liegt, er scheint meist das richtige Gespür zu haben oder eben nur bodenständig und einfach genug, neue Tendenzen bewerten zu können. Zu bedenken hierbei ist, dass es zur Teenagerzeit von Franz zwar schon den einen oder anderen Phonographen oder Grammofon gab, auf dem es u. U. Neuheiten der Musik zu hören Ebd. Anm.: Zu dieser Zeit sorgte sich Grothes Vater gegenüber dem Journalisten Hans Martin Cremer noch um die Zukunft seines Sohnes, »weil er, der doch Musik studiert hat, sehr der leichten Muse zuneigt, ja sogar einige Tänze komponiert hat. Sie haben zwar Erfolg, aber ein richtiger Komponist solle doch Sinfonien und Opern schreiben.« In: Film-Kurier, 09.07.1940.
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geben konnte, doch war das Radio erst in seiner Testphase, der Tonfilm noch nicht verbreitet und Notenausgaben oder Gastspiele waren die einzige Möglichkeit, moderne Impulse kennenzulernen. Dennoch zeigt sich gerade Gro the in seinem Leben den technischen Innovationen, sofern sie der Verbreitung der Musik dienen, immer aufgeschlossen und bestimmt diese auch mit. Ohne jedoch den Geschmack der Masse dabei aus den Augen zu verlieren. Wenn es nicht gefällt, wird es nicht gekauft, das werden ihn auch auf den internationalen Tourneen mit Dajos Béla die Abendkasse und die Stimmung im Saal gelehrt haben. Im Alter von 18 Jahren spielt Franz Grothe in dessen Orchester, das als Tanz- und Jazzorchester in ganz Europa beliebt und bekannt wird, zunächst für Schallplattenaufnahmen, später ab 1928 aus seinem Stammhaus, dem berühmten Hotel Adlon, auch auf Tourneen durch ganz Europa. Franz Grothe ist in der Unterhaltung angekommen, der er sein Leben lang treu bleiben sollte. Schnell kann Franz seine Fertigkeiten in die Arrangements des Orchesters einbringen und auch seine eigenen Kompositionen aufführen. Ein Meilenstein ist die Aufnahme des Grothe-Titels Rosen und Frau’n des Orchesters Dajos Béla 1928 mit dem Tenor Richard Tauber. Franz Grothe ist nun 20 Jahre alt und wird zunehmend als Komponist und Arrangeur wahrgenommen. Der Titel entstammt ursprünglich Grothes mit 17 verfasster erster unveröffentlichter Operette Ehe auf Zeit. Er arrangiert und instrumentiert nun für berühmte Musiker wie Emmerich Kálmán, Franz Lehár und Robert Stolz. Es folgen weitere Aufnahmen mit Richard Tauber, der als einer der erfolgreichsten Sänger seiner Zeit auch Grothes Bekanntheitsgrad beflügelt. So berichtet die BZ am Mittag anlässlich des Konzerts des Orchester Dajos Béla in der Berliner Philharmonie mit seinen 40 Jazz-Musikern: »Das Erscheinen Dajos Bélas, einem der Jazzkönige von Berlin, kann in die Zukunft weisend sein, mindestens ist es kennzeichnend für die Zeit, von der man noch nicht weiß, wohin sie geht. Wo Bülow, Nikisch, Richard Strauss gestanden haben, wo heute noch Furtwängler steht, wiegt sich in den Hüften, hüpft, promeniert dieser kleine, elegante, liebenswürdige Herr. Mit den bloßen Händen pflückt er Töne aus der Luft […] Vier Flügel, also, sind da, an deren ersten Franz Grothe, der Klavier-Meister des Dajos-Béla-Orchester, sitzt.«10 Urban erwähnt die Maritana-Ouvertüre von Wallace, die »dadurch nicht besser wird, daß Franz Grothe ihr ein mondänes Jazz-Gewand angezogen hat […]« sowie die Uraufführung von Grothes Suite Arabesque. Irgendwie scheint Franz immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, er kann in einem der ersten deutschen Tonfilme Die Nacht gehört uns einen 10
Erich Urban: »Wieder Metropol!«, in: BZ am Mittag, erstes Beiblatt, 17.09.1926.
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Schlager platzieren und wird u. a. als Komponist für den Film Tingel-Tangel engagiert, eine Produktion der Erich-Engels-Film, musikalisch eingespielt vom Orchester Dajos Béla. Die Liedtexte stammen von Dr. Karl Wilczynski, dem Pressechef des ersten deutschen Radioprogramms Berliner Funkstunde. Neben seinem festen Engagement beim Orchester stürzt sich der junge Komponist mit Elan in das neue Medium Tonfilm. Obwohl sein symphonisches Jazzwerk Olympia bei einem Wettbewerb in den USA mit immerhin 5000 Dollar prämiert wird, konzentriert sich die Arbeit für den Tonfilm eher auf romantische Liebesschnulzen und einige wenige Tanznummern, die gern ein Tango oder Foxtrott sein wollen. Der Tonfilm ist ein völlig neues Medium. Es verlangt nicht nur nach neuen Gesichtern, deren Stimmen in den Lichtspielstätten überzeugen, es verlangt auch nach entsprechender Musik. Zum Glück von Franz Grothe setzt der Tonfilm gerne auf Lieder, die die Szenen illustrieren, oder gänzlich auf Musik, hier meist für Tanzszenen, was der junge Komponist frisch und unbelastet, frei von Althergebrachtem, wunderbar bedienen kann. Darüber hinaus stellt Grothe neben aller Prämierung seiner Kunst schnell auf das um, was gefragt ist: Unterhaltung. In einem Interview aus den 70er-Jahren erwähnt er, dass er nicht der Künstler mit wallendem Haar und Schal sein möchte, sondern gerne im Hintergrund bliebe und sich an der erfolgreichen Darbietung seiner Melodien durch namhafte Künstler erfreue.11 Das scheint der junge Franz schon am Anfang seiner Karriere gelernt zu haben: Ein Lied ist nur so gut wie der, der es vorträgt. Die Veränderungen der Zeit erstreckten sich auch auf die wirtschaftliche Verwertung der neuen Medien. Waren früher nur Noten in gedruckter Form, Kompositionsaufträge und Konzerte als Einkommen für Musiker relevant, so kamen nun Schallplattenaufnahmen und Auftragskompositionen für den Tonfilm hinzu. Im Zuge der aufkeimenden Entgeltung von Urheberrechten bei Schallplattenverkäufen und Aufführungen kam es zu einer großen Zahl an Gründungen von Verlagen, die die Rechte der Musiker gegenüber den neuen Medien wahrnehmen oder fördern sollten. Franz Grothe ist sich der wirtschaftlichen Vorteile eines Verlags bewusst und gründet zum 10.10.1931 die Edition Franz Grothe GmbH. Geschäftsräume sind zunächst am Kurfürstendamm 216 in Berlin. Die Geschäftsführung hat Abraham Gorlinsky (1898–1982), Prokura dessen Bruder Alexander »Sascha« Gorlinsky (1908–1990), die auch das Management vom Orchester Dajos Béla im gleichen Hause betreiben, später tritt Hans Bethge als Geschäftsführer hinzu.12 Obwohl Grothe seine Werke,
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»Franz Grothe – Alle singen meine Lieder«, aufgezeichnet von Ingeborg Glupp, 16-teilige Serie in: Frau im Spiegel, 1970 / 1971. Adressbuch des deutschen Buchhandels, 1933, S. 147.
auch unter dem Pseudonym »Enrico Martello«, nicht ausschließlich dort veröffentlicht und sein Verlag exklusiv über den Alrobi-Verlag, Rankestraße 34 in Berlin, ausliefern lässt, belegt der eigene Verlag des gerade 23-Jährigen erneut sein Gespür für den Puls der Zeit und das nötige Kleingeld. Die ersten eigenen Werke sind auch recht erfolgreich, wie der Automaten-Tango oder Keine Feier ohne Meier. Auch fremde Werke wie die Komposition Ich weiß, du bist keine Heilige von Robert Stolz und Armin Lackenbach Robinson werden bei Grothe verlegt. Seine Wohnadresse ändert sich über den Kurfürstendamm 161 hin zur Wielandstraße 27. Seine Lebensgefährtin ist Anna »Niuta« Joffe (*25.2.1911 Moskau, †30.1.1993 Orange CA), die Stieftochter des aus Kiew stammenden Filmproduzenten Gregor Rabinovitch (1889–1953), der seit den 20er-Jahren große Erfolge in Frankreich und Deutschland feierte. So unaufhaltsam der Tonfilm und die symphonisch-orchestrale Unterhaltungsmusik sich ihren Weg bahnten, tat das auch der Nationalsozialismus und veränderte die Welt des Films und der Musik tiefgreifend. Im Jahr 1933 hat Grothe einen schweren Autounfall, der ihn zwingt, seine Arbeit an dem Film Walzerkrieg (bei diesem Film wurde erstmals in Deutschland das Playback-Verfahren angewendet, nämlich die Inszenierung des Films auf die bereits im Tonstudio aufgenommene Musik)13 zu unterbrechen und an Alois Melichar abzugeben. Nach der Machtergreifung 1933 begann man, die Musikformationen, Musikverlage und Produktionsfirmen zu »arisieren«, sprich die jüdischen Teilhaber aus den Geschäften zum Ausscheiden zu zwingen. Das betraf in hohem Maß Grothes Umfeld. Seine beiden wichtigsten Textdichter Karl Wilczynski und Fritz Rotter (1900–1984), Dajos Béla, Alrobi-Verlagsinhaber Armin Lackenbach Robinson (1900–1985)14 und auch die Brüder Gorlinsky wurden zunächst in ihrer Wirkung eingeschränkt und retteten sich in die Emigration. Sie waren gezwungen, ihr Überleben in der Fremde zu suchen. Abraham Gorlinsky15 sowie Dajos Béla gingen nach Argentinien, ohne jemals wieder an ihre Erfolge anknüpfen zu können, ebenso wie Karl Wilczynski, der gleich 1933 fliehen musste und den Krieg in verschiedenen Lagern überlebte.16 Sascha Gorlinsky, international als Sander Gorlinsky bekannt, hatte mehr Glück: Er, der bereits in den 20er-Jahren Jack Hyltons Band in Berlin promotete, wurde nach dem Krieg in 13
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Franz Grothe: »Die Musik im Unterhaltungsfilm«, in: Film-Kurier, 19.04.1934. Marie-Theres Arnbom: Die Villen von Bad Ischl: Wenn Häuser Geschichten erzählen, Wien 2017; Claudia Maurer Zenck, Peter Petersen, Sophie Fetthauer et al.: Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS -Zeit, Universität Hamburg seit 2005 (www. lexm.uni-hamburg.de). Silvia Glocer: Diccionario biográfico. Músicos judíos exillados e Argentina durante el nazismo, 1933–1945, Buenos Aires 2016. Entschädigungsamt Berlin, LABO , Abt. I, Entschädigungsbehörde, Opfer des Nationalsozialismus, Akte: 50.792 Leon Golzmann (Dajos Béla), Akte: 76.175 Dr. Karl Wil czynski.
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London erfolgreicher Impresario u. a. von Maria Callas oder später von Montserrat Caballé. Viele der betroffenen Verlage und Firmen wurden zusammengefasst, an »arische« Konkurrenten übergeben oder in den Kanon der regierungsnahen Großfirmen eingegliedert.17 Gregor Rabinovitch wurde 1935 von der Reichsfilmkammer so weit bedrängt, dass er es für notwendig erachtete, Berlin zu verlassen und seine Firma Cine-Allianz internationaler aufzustellen. Er ging über Wien nach Paris, später in die USA . Um die anstehende räumliche Trennung von Franz und Anna zu verhindern, setzte Rabinovitch alle Hebel in Bewegung, seinen »Schwiegersohn in spé«18 Franz Grothe, der exzellente Referenzen als Komponist für den Tonfilm aufweisen kann, auch in der neuen Welt einzuführen. Gerade sein letzter Cine-Allianz-Film mit Marta Eggerth, Die blonde Carmen, schien geeignet zu sein, ihn ebenso wie bereits Eggerth und deren Partner Jan Kiepura in den USA bekanntzumachen. Gregor Rabinovitch, der seine Abreise in die USA wegen Anna und Franz immer wieder verschieben musste, spannte dafür Paul Kohner (1902–1988), der zeitweilig die Deutsche Universal leitete und später den German Film Fund ins Leben rief, und sogar Carl Laemmle, den Chef der Universal Studios selbst, ein.19 Das Angebot für Franz sind 500$ pro Woche, was unter seinem Marktwert liegt, doch er willigt ein. So schifft sich Franz, direkt nach der Fertigstellung der Filmmusik zu Das Schloß in Flandern, am 22.5.1936 mit der SS Bremen von Deutschland nach New York ein.20 Durch die guten Kontakte Rabinovitchs bekommt Grothe so die Chance, für die amerikanische Filmindustrie zu arbeiten. Doch Laemmle war kurz zuvor gezwungen, seine finanziell angeschlagene Firma zu verkaufen, und so lösen sich die Strukturen, die Grothe in Hollywood durchsetzen sollten, bei dessen Ankunft direkt in Luft auf.21 Durch den gültigen Vertrag wird er zwar eingesetzt, doch sein Englisch ist trotz der Kontakte zu englischsprachigen Musikern in seiner Jugend schlecht und er scheitert recht schnell. Die schnelle Komödie My Man Godfrey wird von ihm im Wortwitz einfach nicht verstanden, und darüber hinaus bringt auch die Auswahl seiner Projekte seine Stärken nicht zur Geltung. Three Smart Girls wird ohne Grothe ein großer Erfolg, ebenso wie der zunächst für ihn vorgesehene Film My Man Godfrey, ohne einen Ende April 1933 wird die nunmehr am Kurfürstendamm 13 ansässige Edition Franz Grothe GmbH aufgelöst, vgl. Edition Franz Grothe, Zeugnis f. Paul Hirschsohn, 29.04.1993, Archiv M. Paysan, Berlin. 18 www.portal.dnb.de (Sammlung Exilpresse Digital, darin: PEM s Privat-Berichte, Bd. 15, Nr. 1936, 13. August 1936). 19 Stiftung Deutsche Kinemathek, Paul-Kohner-Archiv, 4.3.-88/14-6 (11/14), Rabinovitch, Gregor (darin: Telegramm v. 7 / 1935, Briefe v. 25.09. u. 12.10.1935 von GR an PK). 20 Vgl. libertyellisfoundation.org.passenger-details bzw. www.ellisland.org sowie Film- Kurier, 22.05.1936. 21 Vgl. Universal Weekly (22.02.1936, 25.04.1936, 21.05.1936), Motion Picture Herald (13.06.1936, S. 105), Motion Picture Daily (17.6.1936), Variety (01.07.1936, S. 52). 17
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einzigen Song von Grothe. In seiner Zeit in Hollywood verlegte die Universal lediglich seinen Fox-trot no. 422 für den Film Yellowstone. Die Universal stand schon vor Grothes Ankunft mit dem Rücken zur Wand. Laemmle Sen. musste bereits seinen Junior wegen zahlreicher Misserfolge von der Geschäftsführung abberufen. Die Firma hatte die Entwicklung zum Tonfilm verschlafen, und das, obwohl Universal früher für Innovationen und progressive Projekte bekannt war. Zwar brachten die bereits in Produktion befindlichen Three Smart Girls und My Man Godfrey Millionen in die Kassen, doch Laemmle hatte bereits seine Anteile an der Firma verkaufen müssen. Als Grothe drei Monate nach den Rabinovitchs in Hollywood eintrifft, hatte Rabinovitch bereits seinen Vertrag mit der Universal gelöst, Paul Kohner war entlassen23 und mit Charles Previn erstmals ein Music Supervisor angestellt worden. So gesehen war Franz Grothe nicht nur zu blauäugig, mit seinen schlechten Englischkenntnissen direkt mit der Arbeit in Hollywood starten zu wollen. Er war einfach zum falschen Zeitpunkt angereist, da die Universal so stark zum Erfolg verdammt war, dass man sich einen umständlich zu handhabenden Deutschen einfach nicht leisten konnte. Ursprünglich sollte Grothe auch die geplanten Filme von Marta Eggerth in den USA mit Hits versorgen, doch dazu kam es nicht, nicht für ihn und nicht für Eggerth. Doch er hakt die Niederlage ab und widmet sich, pragmatisch wie er ist, der Arbeit, die ansteht. Sein US -Visum gilt zunächst für ein halbes Jahr und wird nochmal für vier Monate verlängert. Er reist aber noch im Dezember 1936 vermutlich mit den Rabinovitchs nach Paris, die dort am 7.1.1937 gemeldet sind. Grothe ist zu Jahresbeginn 1937 auch in Paris und besucht u. a. den emigrierten Filmproduzenten Simon Salkind und wahrscheinlich auch den emigrierten Verleger des Wiener-Bohème-Verlags Otto Hein. Im Februar wohnt er dann in Breslau der Premiere seiner Operette Die unsterbliche Sehnsucht am 7.2.1937 bei. Im Frühjahr sowie Ende des Jahres 1937 ist Grothe in Wien, er wohnt vom 13.10. bis 24.12.1937 am Kärntner Ring 12 / 10 und ist aus Berlin, Wilhelmshöher Straße 2, der Wohnadresse seiner Mutter, angereist. Seine Lebensgefährtin Anna Joffe steigt im selben Jahr zusammen mit Mutter Helene und Gregor Rabinovitch vom 17. bis 24.12. gleich nebenan im Hotel Bristol zum letzten Mal ab.24 Hier trennen sich für immer ihre Wege. Anna Joffe lebte in Paris, reiste
Catalogue of copyright entries, Part 3, Musical Compositions 1936 und 1937, USA . Vgl. Helmut G. Asper: Filmexil in Hollywood »Etwas besseres als den Tod …«, Marburg 2002. 24 Auskunft des Wiener Stadt- und Landesarchiv, Wiener Meldeunterlagen, MA 8; B-MEW-395434–2018 u. B-MEW-395468–2018.
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über Lissabon 1941 mit den Rabinovitchs in die USA 25 und heiratete dort 194326 den Filmproduzenten Lester Welch, der später Filme mit Elvis Presley und Mario Lanza produzierte. Sie starb am 30.1.1993 in Kalifornien. Franz komponiert in Wien wieder für die aus den USA kurzfristig zurückgekehrte Marta Eggerth, die in dem Film Immer wenn ich glücklich bin mit Gro thes Musik ihren letzten großen Erfolg hat, bevor sie mit Jan Kiepura endgültig in die USA emigriert. Bereits im November 1937 lernt Grothe in Wien seine zukünftige Frau, die Norwegerin Kirsten Heiberg (*25. April 1907 in Kragerø, Norwegen; †2. März 1976 in Oslo), bei einem Theaterbesuch zusammen mit dem Regisseur Fedor Ozep, einem entfernten Verwandten der Rabinovitchs, kennen, die in PamPam im Theater an der Wien Erfolge feiert. Sie heiraten am 30.5.1938 in Oslo, Heiberg wird hierdurch deutsche Staatsbürgerin und sie ziehen nach Berlin, wo sie in der Schlüterstraße 31 im obersten Stockwerk wohnen.27 Die Charlottenburger Wohnung in einer Seitenstraße des Kurfürstendamm ist nicht nur eine noble Berliner Adresse, sie liegt fünf Jahre später auch in direkter Laufnähe zum Reichskulturkammer-Büro von Hans Hinkel, der zunächst für Personalfragen im Bereich der Kultur des NS -Regimes im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda als Sonderbeauftragter für Kulturpersonalien zuständig war, Grothe zum Leiter des Deutschen Tanzund Unterhaltungsorchesters (DTUO) berief, im Juli 1941 Generalsekretär der Reichskulturkammer und später Reichsfilmintendant wurde. Grothe wird seit dem 1.5.1933 als Mitglied Nr. 2.580.427 der NSDAP geführt. Dieser Umstand würde erst nach dem Kriegsende eine größere Bedeutung gewinnen. Wie sehr ihm dieser Beitritt zur Zeit des NS -Regimes bei seiner Karriere half, ist nicht klar, denn sein Verhalten in der Öffentlichkeit und privat ist dem eines überzeugten Parteigenossen nicht ähnlich. Es ging soweit, dass sein ehemaliger Steglitzer Nachbar Fritz Brand, der selbstberufene NSDAP-Blockwart und Vortragskünstler – laut Eigenwerbung im Handbuch des Reichsrundfunks von 1937 / 38 »Der Mann aus dem Volke« – ihn brieflich bei Julius Streicher in Nürnberg anschwärzte und seine Freundschaft zu jüdischen Kollegen, Nachbarn, seiner ehemaligen Lebensgefährtin Anna »Niuta« Joffe und Grothes jüdischen Ärzten denunzierte28 (siehe Abbildungen).
ancestry.com; New York, Passagierlisten, 1820–1957 (database on-line), Provo, UT, USA : Ancestry.com Operations, Inc., 2 Ancestry.com Operations, Inc., 2014 darin: declaration of Intention Nr. 507435; ancestry.com, records book 2031, S. 150, 21.10.1943. 26 Ebd. 27 Vgl. Artikel von Alexander Hess in diesem Band. 28 BA rch R 9361/V Archiv-Nr. 79413, Schreiben an Julius Streicher. Dieses Dokument, ursprünglich aus den Streicher-Akten, ist laut handschriftlichem Vermerk erst am 03.08.1955 der Grothe-Akte beigefügt worden. 25
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