Dobo, Landung voll daneben

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Judith Le Huray, geboren 1954 und aufgewachsen in Stuttgart, wohnt mit Mann und Hund in ländlicher Gegend am Fuß der Schwäbischen Alb. Die Erzieherin und Tanzpädagogin hat 2009 das Schreiben von Kinder- und Jugendbüchern zu ihrem Beruf gemacht. Wenn sie nicht im Garten oder am Schreibtisch an neuen Geschichten bastelt, ist sie vielleicht gerade bei einer Lesung oder geht mit ihrer Hündin Gassi. Von ihr ist ebenfalls im Allitera Verlag erschienen „Das Dreierpack und der böse Wolf“ (2012). Weitere Informationen zur Autorin und ihren Büchern unter www.judith-lehuray.de


Judith Le Huray

Dobo Landung voll daneben


Mehr über den Verlag und sein Programm unter www.allitera.de

Juni 2013 Allitera Verlag Ein Verlag der Buch&media GmbH, München © 2013 Buch&media GmbH, München Umschlaggestaltung: Friedrich Wall, Freienbrink Printed in Germany · ISBN 978-3-86906-542-7


Inhalt

1. Die Landung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 2. Gute Reise! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 3. Ein besonderer Morgen . . . . . . . . . . . . . . 24 4. Unterkunft und Verpflegung . . . . . . . . . . . 36 5. Spannendes Spiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 6. Schรถnes Theater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 7. Erster Schultag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 8. Sack und Pack . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 9. Versteckspiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 10. Weite Ferne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 11. Die groร e Schlacht . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 12. Noch ein Besuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119



1. Die Landung

E

s war kurz vor halb zehn, draußen war es beinahe dunkel. Timotheus stopfte sich eine Handvoll Chips in den Mund. Gespannt schaute er auf den Fernseher. Die Aliens auf der Mattscheibe waren gerade dabei, die Erde zu erobern, als Timotheus einen Knall auf dem Dach hörte. Erschrocken zuckte er zusammen. Sein Atem stockte. Was er danach hörte, klang wie ein Fluch. „Wattomutto schrings“, tönte eine raue Stimme von oben. Timotheus würgte entsetzt seine ungekauten Chips hinunter. Vor Schreck blieb ihm die Spucke weg. Die grünen Männchen in der Flimmerkiste überfielen gerade die Häuser der Menschen, als ein silberfarbenes Bein vor dem Wohnzimmerfenster baumelte. Wer um Himmels willen war das? Nichts wie weg! Aber wohin? Timotheus versteckte sein Gesicht hinter dem Sofakissen, als ob es ihn schützen könnte. Die Kirchturmuhr schlug zwei Mal. Halb zehn. Also noch längst keine Geisterstunde. Ein gefährlich klingendes Knarzen kam von der Dachrinne. Noch ein unverständlicher Fluch. Timotheus wurde blass. Ein schleifendes Geräusch auf dem Dach. Timotheus machte sich klein. Er bebte vor Angst. Trotzdem linste er neugierig mit einem Auge hinter dem Sofakissen hervor. Ein zweites Bein glitt auf den Fenstersims. Als die grünen Außerirdischen im Film ihre Laserpistolen zogen, kamen am Fenster der echten 7


Welt zwei Arme zum Vorschein. Merkwürdig sahen sie aus, irgendwie falsch. Doch was daran nicht stimmte, konnte Timotheus nicht mehr genau erkennen. Blitzschnell verschwand er hinter dem Sofa. „Schau dir nicht wieder solchen Kram im Fernsehen an“, hatte Mama gesagt, bevor sie zur Arbeit gegangen war. „Du weißt, dass du danach immer schlecht träumst.“ Seine Mutter arbeitete vormittags an der Kasse im Supermarkt. Weil das Geld nicht reichte, putzte sie seit der Trennung von Timotheus’ Vater zweimal die Woche abends in einem Büro, immer dienstags und freitags. Heute war Freitag. Samstags war keine Schule. Ausschlaftag. Freitagabend war perfekt für spannende Filme. So wie Aliens auf Menschenjagd. Oder doch nicht? Mucksmäuschenstill kauerte Timotheus hinter dem Sofa. Nur sein Herz hämmerte laut. Er wagte kaum zu atmen. Seine Lippen presste er fest zusammen, um nicht mit den Zähnen zu klappern. Als er noch einmal hervorblinzelte, sah er, wie die Gestalt sich nach unten beugte. Ein rundes Gesicht hing kopfüber am Fenster, beleuchtet durch das Licht im Wohnzimmer. Es hatte keine Menschenfarbe, es war auch nicht grün wie die Figuren im Film, sondern knallgelb! Die Nase war breit wie die eines Boxers, die Ohren klein und spitz. Und statt der zwei dünnen Antennen, welche die mörderischen Männchen auf dem grünen Schädel trugen, ragte ein etwa zehn Zentimeter langer, kräftiger Stab aus dem haarlosen Kopf nach oben. Oder besser gesagt nach unten, da das Wesen immer noch schräg am Fenster hing und ins Zimmer stierte. 8


Timotheus schloss die Augen. Vielleicht hatte er sich alles nur eingebildet. In Gedanken zählte er bis zehn, drückte die Daumen und hoffte. Dann öffnete er die Augen wieder. Mist! Die Gestalt war immer noch da! Sekunden später landete das komplette gelbe Irgendwas im silbernen Anzug auf dem Fenstersims. Mit vier Armen hielt es sich an der Mauer fest. Die Menschen auf dem Bildschirm schrien verzweifelt. Timotheus erstickte einen Schrei im Sofakissen und duckte sich. Er presste die Augen zu und hoffte, bald aus dem schrecklichen Traum zu erwachen. Aliens im Fernsehen sind eine Sache, aber eine so erschreckende unbekannte Gestalt am eigenen Wohnzimmerfenster eine ganz andere! Ein lauter Schlag ließ Timotheus zusammenzucken. Glas klirrte. „Pupomoko kwakadings“, schimpfte die raue Stimme. Gleich danach sprang das Ding ins Wohnzimmer. Scherben knirschten unter den Schritten des Eindringlings. Endlich blieb das fremde Wesen stehen. Timotheus wagte noch einen vorsichtigen Blick. Das vierarmige Irgendwas war gerade so groß wie ein sechsjähriges Kind, allerdings wesentlich breiter, und sah verdammt kräftig aus. Wie angewurzelt stand es da und blickte auf den Fernseher. „Kwxtrxmxmx“, sagte es schließlich und schien auf die grünen Männchen einzureden. Doch die reagierten nicht und metzelten rücksichtslos die Menschen nieder. Das gelbe Wesen sprang erschrocken zur Seite, so als wolle es der Schusslinie entkommen. Dann kam Werbung. Die grünen Aliens waren erst mal verschwunden. Stattdessen aßen rosafarbene Menschen Brot mit Käse auf einer grünen Wiese. 9


Das gelbe Dingsda konnte sich nicht vom Fernseher losreißen, es starrte gebannt auf das Gemetzel. Nur das Teil auf dem Kopf, das beinahe wie ein Periskop von einem U-Boot aussah, bewegte sich unaufhörlich in alle Richtungen. Da erkannte Timotheus oben an dem Stab das dritte Auge. Stahlblau und durchdringend blickte es ihn an. Es schaute direkt in sein eigenes linkes Auge, das hinter dem Sofa hervorspähte. Das Irgendwas hatte ihn entdeckt! Timotheus’ Zähne begannen nun doch zu klappern, er konnte gar nichts dagegen tun. „Tu mir nichts“, wimmerte er leise und versuchte, unter das Sofa zu kriechen. Keine Chance. Obwohl er für sein Alter recht schmächtig war, dort war es eindeutig zu eng. Der Eindringling kam näher, direkt auf ihn zu. Der Junge machte sich winzig, kroch in den letzten Winkel. Am liebsten hätte er sich unsichtbar gemacht. Oder unter den Fußboden verkrümelt. Oder an einen anderen Ort gebeamt. Aber das kann kein Mensch. Er war ausgeliefert. Mutterseelenallein. Niemand konnte ihm helfen. Schweiß stand auf seiner Stirn, Tränen traten ihm in die Augen. Verschwommen sah er, wie das Wesen die beiden oberen Arme vor der Brust verkreuzte und den Oberkörper nach vorne beugte. „Lalososo“, sagte es. War das ein Ritual, bevor es sein Gegenüber vernichten würde? Oder – sollte es eine Begrüßung sein? Vielleicht wie beim Karate, bevor der Kampf begann? Die Gedanken in Timotheus’ Kopf rasten so schnell kreuz und quer, dass ihm ganz schwummrig wurde. Er brauchte eine Idee, so schnell wie möglich! Im Kampf mit dem Eindringling wäre er verloren, das war 10


ihm klar. Gegen dieses meterbreite Monster hatte er null Chance. Aber vielleicht konnte er das Wesen mit Freundlichkeit mild stimmen. „Hallo“, kiekste er mit leiser, zitternder Stimme, während er das Kissen an die Brust drückte. Die großen Füße des Gelben machten noch weitere Schritte auf ihn zu, bis sie dicht neben den seinen standen. Viel zu dicht. Der lippenlose, breite Mund sprach unverständliche Worte. Dabei konnte Timotheus die kurzen, spitzen Zähne erkennen. Wie von Piranhas, den gefräßigen Mörderfischen, sahen sie aus. Alle drei Augen musterten den am Boden kauernden Jungen, als wollten sie ihn durchdringen. Dann reckte sich eine der Hände des Wesens von rechts oben in seine Richtung. Timotheus erkannte sechs Finger. Einer der mittleren ragte besonders lang hervor. Der Unbekannte kam näher und näher. Stöhnend drehte Timotheus sich zum Boden und vergrub seinen Kopf im Kissen. Er fühlte sein Ende nahen. Warum er? Schwach spürte er ein warmes Kitzeln am Hinterkopf. Danach wurde ihm schwindlig. Jetzt war es so weit! Ihm wurde schwarz vor Augen. Als Timotheus erwachte und ihm bewusst wurde, dass er noch am Leben war, hoffte er, der schreckliche Traum sei vorbei. Er wollte künftig auf seine Mutter hören. Sie hatte recht, solche Filme waren wirklich nichts für ihn. Langsam rappelte er sich auf. Da hörte er hinter sich wieder die raue Stimme. „Omopa?“, fragte sie. Vorsichtig drehte Timotheus sich um. Hatte der Albtraum noch kein Ende?! Der Gelbe verkreuzte wieder die oberen Arme und 11


verbeugte sich. „Hallo Omopa. Ich bin Barodobo42036zet-vau.“ Entgeistert starrte der Junge das Wesen mit dem unaussprechlichen Namen an, das anscheinend plötzlich seine Sprache konnte. War es vielleicht doch nicht so gefährlich? „Ich … ich … ich bin Timotheus“, stammelte er. Abhauen konnte er nicht. Also musste er versuchen, das Beste aus seiner Lage zu machen. „Timotheus? Nicht mein Omopa Barodobo­ 42034pe-te?“ „N-n-n-nein“, stotterte der Junge kopfschüttelnd. „Den … den kenn ich nicht.“ Enttäuscht ließ Barodobodingsda seine vier Arme sinken und plumpste aufs Sofa. Das nun jämmerlich dreinblickende Wesen sah überhaupt nicht wie die gefährlichen grünen Aliens aus. Eigentlich wirkte es beinahe bemitleidenswert. Eine große hellblaue Träne rann von dem Hauptauge über die Stirn. Langsam krabbelte Timotheus aus seinem Versteck hervor, nahm aber vorsichtshalber das Sofakissen mit. „Und jetzt geht’s weiter“, tönte ein Sprecher aus dem Fernseher. Timotheus hatte für heute genug von dem Gemetzel. Mit zitternder Hand griff er zur Fernbedienung und schaltete den Kasten aus. Auch der Gelbe schien erleichtert, als die grünen Männchen verschwunden waren. „Gut, die …“ Er zögerte. Dann fiel es ihm ein: „Die Kwx sind weg“, atmete er auf. „Ich wusste gar nicht, dass sie so kriegerisch sind.“ „Was sind Kwx?“, fragte Timotheus erstaunt. 12


Seine Stimme quäkte wie ein erkältetes Froschbaby, aber seine Neugier war stärker als die Angst. „Kwx sind die grünen Zweiarmer“, antwortete der gelbe Vierarmige. „Wie finde ich Omopa?“ „Wer ist Omopa?“ Timotheus’ Beine schlotterten nur noch ein bisschen. „Das Elter von Mapapa natürlich.“ „Ach so, logisch“, antwortete Timotheus und tat so, als wenn er alles verstanden hätte. So langsam kehrte das Blut in seine Adern zurück. Er wagte sogar, das Sofakissen von der Brust zu nehmen. „Ich wusste doch, dass mit dem, dem …“, Barodobo42036zet-vau stockte wieder, „dem UltraMikro-Atomi-Transpuster etwas schiefläuft.“ „Dem was?“ Timotheus verstand nur Bahnhof. „Na, dem UMAT“, erklärte der Gelbe. „Ah ja, klar.“ Der Junge kapierte immer noch null und nix, aber das wollte er sich nicht anmerken lassen. „Woher kommst du eigentlich?“, erkundigte er sich und wurde sogar so mutig, dass er sich auf die Sofalehne setzte. Seine Zähne hörten beinahe auf zu klappern. „Vom Planeten Blub.“ „Von wo?“, wunderte sich Timotheus. „Davon habe ich noch nie gehört. Ich kenne Mars, Venus, Jupiter, aber keinen Blub.“ Erst jetzt klingelte es in Timotheus’ Kopf und ihm wurde die Bedeutung der Antwort klar. Ungläubig starrte er den Fremden an. „Nee, ich glaub’s nicht! Dann bist du ein echter Alien?“ Die Neugier hatte endlich gesiegt, die Angst lag nur noch mickrig klein in einem Eckchen in Timotheus’ Magen versteckt. Barodobo42036zet-vau dagegen bekam grüne 13


Pickelchen und schien fürchterlich aufgeregt. „Wie, was, warum, wo bin ich gelandet?“, keuchte seine raue Stimme. „Wo wohl? Auf der Erde natürlich. In Plingstadt, Eichenweg 7“, erklärte Timotheus. Die grünen Pickelchen schienen schlimmer zu jucken als Mückenstiche und Juckpulver zusammen, denn der Gelbe kratzte nervös daran herum. „Erde? Wo ist die Erde? Omopa wohnt auf Plop.“ Verwirrt betrachtete der Alien den Erdianer: Dieser war ziemlich groß, beinahe zwei Köpfe größer als er selbst (wenn man das Hauptauge nicht einrechnete), sehr schmal, und er hatte helle, leicht rosige Haut. Auf dem Kopf wuchs kurzes, braunes Fell. Vor den einzigen beiden grünbraunen Augen trug er ein silbernes Gestell, das auf der Nase aufsaß und hinter die Ohren reichte. Auf der schmalen Nase waren einige kleine braune Punkte. Und er hatte nur zwei Arme. „Ich will nicht zur Erde. Warum bin ich hier?“, krächzte der Alien verzweifelt. Au Backe, da war wohl was verdammt schiefgelaufen! Timotheus konnte sich gut vorstellen, wie es dem Außerirdischen ging. Er selbst war mal, als er Paps besuchen wollte, in den falschen Zug gestiegen und in einer fremden Stadt gelandet. Da hatte er sich verloren und verlassen gefühlt und schreckliche Angst gehabt. Allerdings konnte er von dort telefonieren, und Paps hatte ihn dann mit dem Auto abgeholt. „Kannst du nicht irgendwie zu Hause anrufen?“, fragte er. „Nein“, stöhnte der Gelbe. „Das funktioniert nur im Bereich von AlphaGamma17und4.“ 14


„Wie? Was ist das?“, wunderte sich Timotheus. „Ein neues Kartenspiel?“ „Nein, unser Sonnensystem.“ „Oh“, antwortete Timotheus nur. Beide schwiegen ratlos. Ein kleiner Windstoß raschelte an der Fernsehzeitschrift. Timotheus’ Blick landete am kaputten Fenster. „Oh, Mist! Ich muss schnell die Glassplitter aufkehren, bevor Mama kommt“, sagte er und verschwand aus dem Zimmer. Barodobo42036zet-vau schaute sich in dem fremdartigen Raum um. Außer dem viereckigen Gerät, in dem vorhin die Kwx den Kampf ausgefochten hatten, gab es noch andere Kästen, in denen ihm unbekannte Dinge aufbewahrt wurden. Neben dem kaputten Einstieg, der von den Menschen „Fenster“ genannt wurde, lag ein … War das möglich? Da lag tatsächlich ein kleiner Baum zwischen den Scherben! Voll Ehrfurcht betrachtete er das seltene Exemplar. Timotheus kam mit Schaufel und Besen zurück. „Da liegt ein Baum!“ Der Außerirdische zeigte mit einem der langen mittleren Finger auf die grüne Pflanze am Boden. „Ja, der Gummibaum. Zum Glück ist er noch ganz. Nur der Übertopf hat einen Sprung.“ Mama würde schon wegen des Fensters stinksauer sein, da war es wohl besser, dass immerhin der Gummibaum noch lebte. Barodobo42036zet-vau überlegte. Vermutlich war dies ein reiches Haus, wenn es einen echten Baum gab. Überrascht sah er, wie der Junge selbst die Glasscherben zusammenkehrte, ohne einen Helfer 15


die Arbeit machen zu lassen. Es gab einen Baum, aber keinen Haushaltsroboter? Hier war alles sehr merkwürdig. „Ich habe deinen Namen vergessen. Wie heißt du?“, fragte Timotheus, während er den Rollladen am kaputten Fenster herunterließ. „Barodobo42036zet-vau.“ „Äh, ja.“ Timotheus kratzte sich am Kopf. „Das ist mir zu lang. Hmm … Ich werde dich einfach Dobo nennen.“ „Dobo?“ Der Gelbe überlegte kurz. „Okay, einverstanden. Dann nenne ich dich Tim.“ Timotheus wurde oft wegen seines Namens verspottet, den man ihm als Andenken an seinen Uropa verpasst hatte. Er hasste den Namen. „Tim“, murmelte er, um zu spüren, wie sich der Name anfühlte. „Ja, Tim, das klingt cool!“, strahlte er jetzt und fragte sich, warum bisher niemand auf die Idee gekommen war. Im nächsten Moment hörte er Schritte vor dem Haus. Kurz nach zehn Uhr. Seine Mutter kam von der Arbeit heim. Verflixt, was würde sie wohl sagen, wenn sie einen vierarmigen, maisgelben Alien im Wohnzimmer sehen würde? „Schnell, komm“, flüsterte er, schnappte Dobo an einem seiner Arme, zerrte ihn aus der Wohnstube und schubste ihn ins Kinderzimmer. „Sei leise, meine Mutter kommt! Sie soll dich besser nicht sehen.“ Während Tim die Zimmertür zuzog, hörte er, wie die Haustür aufgeschlossen wurde. Blitzschnell verschwand er im Badezimmer. „Hallo Mama“, rief er mit Zahnbürste in der einen und Zahncreme in der anderen Hand. „Hallo Timotheus. Du solltest doch schon längst 16


im Bett sein. Ein zehnjähriger Junge braucht seinen Schlaf. Hast du etwa wieder einen dieser grässlichen Filme angesehen?“ „Nur ein bisschen“, antwortete Tim, was ja nicht gelogen war. „Bin gleich im Bett.“ „Um Himmels willen, was ist hier passiert?“, rief Mama schockiert aus dem Wohnzimmer. Klar, sie hatte das kaputte Fenster entdeckt. Mit schäumendem Mund erklärte Tim: „N’ Vogo." „Wie?“ Tims Mutter schüttelte den Kopf. „Versteh kein Wort. Was hast du angestellt?“ Tim spuckte den Zahnpastaschaum ins Waschbecken. „Ein riesengroßer Vogel ist gegen das Fenster geflogen“, schwindelte er und spülte den Mund aus. „Du meine Güte!“, stöhnte seine Mutter. Anscheinend glaubte sie die Geschichte. „Hoffentlich zahlt das die Versicherung.“ Tim wusch noch kurz sein Gesicht, diesmal war es gerade mal eine Katzenwäsche. „Gute Nacht, Mama“, sagte er und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. „Gute Nacht, mein Schatz. Jetzt wird aber nicht mehr gelesen.“ „Versprochen“, antwortete Tim und verschwand in seinem Zimmer. Heute gab es viel Wichtigeres für ihn als zu lesen. Schnell machte er die Tür hinter sich zu. Erst dann knipste er das Licht an. Das Zimmer war leer. „Dobo? Dobo, wo bist du?“, wisperte er. Keine Antwort. Tim sah im Bett nach. Leer. Unter dem Bett fand er nur eine schmutzige Socke. Unter dem Schreibtisch war auch niemand. Kein gelbes Wesen mit silbernem Anzug war zu finden. Endlich fiel sein Blick auf den leicht geöffneten Klei17


derschrank. Er riss die Tür auf. Steif wie ein Brett stand Dobo zwischen den aufgehängten Hosen und Jacken. „Du kannst jetzt rauskommen“, flüsterte Tim, als er sich von seiner Überraschung erholt hatte. „Nein. Müüde.“ „Willst du etwa da drin schlafen?“ „Ja. Müüde.“ „Im Stehen?“ „Klar. Müüde.“ „Sag mal, woher kannst du eigentlich unsere Sprache?“ „Morgen. Müüde.“ Tim schob kopfschüttelnd die Schranktür wieder ein Stück zu. Zwar war er total aufgekratzt, aber jetzt stülpte sich die Müdigkeit über ihn wie ein schwerer schwarzer Sack. Der Abend war äußerst anstrengend und aufreibend gewesen. Schlaftrunken kletterte er in seinen Schlafanzug und krabbelte ins Bett. Obwohl ihm die Augen zufielen, rasten Gedanken durch seinen Kopf. War Dobo ein Freund? Oder war er womöglich ein schrecklicher Alien, der die Menschen vernichten wollte? Oder war es doch nur ein Traum? Oder seine Fantasie? Tim konnte nicht weiter nachdenken. Der Schlaf holte ihn ein und schickte ihm einen Traum mit grünen und gelben Männchen. Die grünen stürmten schwer bewaffnet auf sein Haus zu, wurden dann aber von den gelben in die Flucht gejagt. Tim war gerettet. Danach fiel er endlich in einen ruhigen, traumlosen Schlaf.

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