Schriften zur Kultur im Münchner Nordosten Herausgegeben vom Verein für Stadtteilkultur im Münchner Nordosten e. V. Band 1
Karin Bernst beschäftigt sich seit 1996 mit der Heimatgeschichte des Münchner Nordostens. Zu diesem Thema gestaltete sie bereits mehrere Ausstellungen und war als Mitverfasserin an verschiedenen Publikationen beteiligt, unter anderem »LehmZiegelStadt: Der Rohstoff Lehm in der Münchner Stadtgeschichte« (2008). Autorin von »Oberföhring. Das Dorf und seine Bewohner im 19. Jahrhundert« (2000).
Karin Bernst
Oberföhring Vom Zieglerdorf zum Münchner Stadtteil 1913–2013
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August 2013 Allitera Verlag Ein Verlag der Buch&media GmbH, München © 2013 Buch&media GmbH Printed in Europe · isbn 978-3-86906-543-4
Inhaltsverzeichnis
Vorwort von Roland Krack
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
I Geschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Erste schriftliche Zeugnisse ∙ Die politische Gemeinde Oberföhring
VII Die Zeit nach 1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
VIII Oberföhringer Bauten in der NS-Zeit . . . . . . . . . . . . . . . 50
II Oberföhring auf Gemälden und Ansichtskarten . . . . . . 11 Der »Föhringer Blick« ∙ Grüße aus Oberföhring
III Oberföhring vor der Eingemeindung . . . . . . . . . . . . . . . 14
Häuser und Einwohner von Oberföhring ∙ Altes Gewerbe in Oberföhring ∙ Ein Rundgang durch das Dorf mit Berta Mann-Riehl ∙ Der Bierpfennig – eine Gemeinde verschuldet sich ∙ Die Oberföhringer Wasserleitung ∙ Oberföhring wird elektrifiziert
IV Die Eingemeindung Oberföhrings nach München . . . . . 28 Fritz Meyer –Bürgermeister von Oberföhring ∙ Erste Eingemeindungsbestrebungen ∙ Die Eingemeindung am 1. Juli 1913 ∙ Die Vermögensauseinandersetzung zwischen dem Distrikt und München ∙ Veränderungen durch die Eingemeindung
V Von der Kinderbewahranstalt zum Kindergarten St. Lorenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 VI Aufbruch ins Industriezeitalter – auch in Oberföhring? . . . 38 Industrie und Gewerbe in Oberföhring ∙ Der Bau des Ober-
föhringer Stauwehrs ∙ Das politische Oberföhring ∙ Nach 1918 – die Zeit der Wirtschaftskrisen ∙ Die Aufwendungen der Stadt München für Oberföhring von 1913 bis 1929 ∙ Die Einführung einer Wohlfahrtsspeisung in Oberföhring
Die Gründung der Deutschen Arbeiterpartei in München ∙ Schneidern für die Nazis ∙ Die Machtübernahme der Nationalsozialisten ∙ Die Arno Fischer Forschungsstätte
Das Luftwaffenkrankenhaus ∙ Die Kaserne an der Cosima straße (»Lohengrin-Kaserne«) ∙ »Bundeswehr-Gelände weckt Begehrlichkeiten«
IX Zwangsarbeit in Oberföhring . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Ein Überblick für den Münchner Nordosten ∙
Zusammenleben der Einheimischen mit den »Fremdarbeitern«
X Die Kirche im Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
Ablieferung der Kirchenglocken von St. Lorenz
XI Kriegszeiten – schlechte Zeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 Aus der Chronik des Pfarrers Ludwig Attenberger 1939 bis 1945 ∙ Fliegeralarm und Bunkerbauten ∙ Luftangriffe und Zerstörungen in Oberföhring ∙ Aus dem Totenbuch – Opfer des Kriegs
XII Widerstand und Verfolgung in Oberföhring. . . . . . . . . . 65 Kommunisten in Oberföhring? ∙ Ernst Mehrer, Gastwirt der »Schloßwirtschaft« ∙ Aus den Erinnerungen von Frau Kluczewski, geborene Schermer ∙ Opfer der NS»Euthanasie« ∙ Enteignung jüdischer Bewohner – die Familie Ernst Bernheimer
XIII Die letzten Kriegstage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
»Die Amerikaner kommen!« ∙ Die Widerstandsbewegung »Freiheitsaktion Bayern« ∙ Flakstellungen bei Oberföhring ∙ Plünderungen nach Kriegsende ∙ Eine Plünderung mit Folgen
XIV Neuanfang – die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg . . . . . 74
Lebensmittelknappheit nach 1945 ∙ Hamstereien – Schwarzmarkt – Lebensmittelkarten – Währungsreform ∙ Deutsche Soldaten kehren heim ∙ Entlassungen und Entnazifizierung ∙ Zusammenleben mit den amerikanischen Besatzern
XXI Gaststätten und Vereine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120
XXII Vom Oberföhringer Krankenhaus zum Bürgerpark . . . . 132
Straßen in Oberföhring ∙ Der Verkehr »anno dazumal« ∙ Die Ortsverbindungen zwischen Oberföhring und der Gemeinde Daglfing ∙ Die Effnerstraße ∙ Brücken über die Isar
XVI Verkehrsanbindung – Verkehrsverbindungen . . . . . . . . . 86
Der »Streit« zwischen Ober- und Unterföhring um den Bau einer Fähre ∙ Die Drahtseilfähre im Grüntal ∙ Von der Tramcarverbindung zur Straßenbahn ∙ Die Motorpostlinie – erste Busverbindungen nach Oberföhring ∙ Die Busverbindungen nach 1945 ∙ Die Straßenbahn nach St. Emmeram
Das alte Schulhaus an der Muspillistraße ∙ Die Grundschule an der Oberföhringer Straße 224 ∙ Das Ende der BekenntnisSchule ∙ Die Grundschule an der Regina-Ullmann-Straße 6 ∙ Die Städtische Helen-Keller-Realschule, Fürkhofstraße 28
XVIII Sankt Lorenz und Sankt Thomas . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
Oberföhringer Pfarrer im letzten Jahrhundert ∙ Die Abtrennung der Filialgemeinden ∙ Die Pfarrei St. Thomas
XIX Die evangelische Gemeinde in Oberföhring . . . . . . . . . . 97
Die Entwicklung der evangelisch-lutherischen Pfarreien ∙ Die Vaterunserkirche am Fritz-Meyer-Weg
XX Die Geschichte der Ziegeleien in Oberföhring . . . . . . . . . 99
Die Errichtung einer Feldziegelei ∙ Italienische Gastarbeiter in Oberföhring ∙ Die italienische Zieglerfamilie Armellini ∙ Schulpflicht für die jugendlichen Italiener ∙ Bierausschank in den Ziegeleien und andere Missstände ∙ Vom Fremdarbeiter zum Zwangsarbeiter – Ziegeleiarbeiter im Zweiten Weltkrieg ∙ Die Oberföhringer Ziegeleien
Siedlungsentwicklung – ein Überblick ∙ Bautätigkeiten in und um Oberföhring ∙ Wohnbebauung zu Zeiten der Eingemeindung ∙ Wohnbebauung und Wohnungsnot vor 1945 ∙ Siedlungen in und um Oberföhring in den 1930erJahren ∙ Wohnen nach 1945 ∙ »Moderne« Wohnsiedlungen für Oberföhring ∙ Besonderer Bauten in und um Oberföhring ∙ Sozialeinrichtungen in Oberföhring
XXIV Berühmtheiten in und aus Oberföhring . . . . . . . . . . . . 151
Ein Rundgang über den Friedhof von St. Lorenz ∙ Weitere Oberföhringer Berühmtheiten
XXV Geschichte und Geschichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156
XVII Schulen in Oberföhring . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90
Das Krankenhaus im »Bernheimer Schloß« ∙ Das Ende des städtischen Krankenhauses Oberföhring
XXIII Neue Wohnungen für Oberföhring . . . . . . . . . . . . . . . . 134
XV Straßen und Brücken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
Zu Gast in Oberföhring ∙ Das Vereinsleben in Oberföhring
»Schwere Ausschreitungen in Oberföhring« ∙ Der Brand in der Aktienziegelei am 22. Juni 1935 ∙ Der Grenzstein am Rochus-Dedler-Weg
XXVI Altes und Neues . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158
Die Basispyramide und das Heizkraftwerk ∙ Wandel und Bestand einiger Oberföhringer Anwesen
Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162
Abschriften ∙ Abbildungsverzeichnis ∙ Archivmaterial ∙ Literaturverzeichnis
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Vorwort
Oberföhring liegt nur eine Viertelstunde vor Bogenhausen. Die Münchner kamen früher »vergnügungshalber« hierher. Der Ausflug von der Stadt führt bis zum Südende des Dorfs Oberföhring in den hübschen Schankgarten mit Blick auf die Isarauen und die dahinter emporragenden Türme Münchens«. Gleich die erste Tour aus dem Büchlein »Ausflüge von München« der Lindauerschen Universitäts-Buchhandlung beschreibt den Weg durch den Englischen Garten auf das Isarhochufer bei Föhring. Von dort hatte der Wanderer einen weiten Blick bis zu den Bergen, mit der königlichen Haupt- und Residenzstadt zu seinen Füßen. Die Anhöhe oberhalb der Isar bei Föhring mit dem einzigartigen »Föhringer Blick« malten im 19. Jahrhundert zahlreiche Münchner Maler. Wilhelm von Kobell schuf 1827 ein Gemälde, das den Betrachter vom Biergarten eines Ausflugslokals über die Isar hin zur Silhouette der Stadt und der Alpenkette im Hintergrund blicken lässt. Die Gastlichkeit der Föhringer war schon lange ein Begriff für die Münchner. »Als der Kurfürst [Karl Theodor, 1724–1799] in den letzten Jahren seiner Regierung sogar das Verbot erlassen hatte, in München Zeitungen zu halten oder auch nur zu lesen, mußten die Münchner also in das nahe Oberföhring gehen, wenn sie Zeitungen lesen wollten. Dieser Ort gehörte nämlich zum Bisthum Freising und dort war die Censur viel milder«, verzeichnete die »Illustrierte Geschichte der Stadt München« 1903. Den Weg zurück in die Stadt fand der Zecher vor 100 Jahren mühelos, denn das Straßenpflaster war rot markiert vom Ziegelstaub der zahlreichen Ziegeleien im Münchner Nordosten – so konnte der Wanderer nicht in die Irre gehen. Längst muss der Besucher nicht mehr zu Fuß gehen, um nach Oberföhring zu gelangen. Seit 2011 verbindet sogar die Tram Oberföhring mit der City. Wer den Stadtteil am Rand der Lan-
deshauptstadt besucht, kommt selten »vergnügungshalber« wie vor 100 Jahren oder wegen des inzwischen verloren gegangenen, weil »privatisierten« Föhringer Blicks. Heute schätzen über 10 000 Münchner Oberföhring als angenehme Wohngegend, stadtnah, dicht an der Isar, unmittelbar am Englischen Garten, gleich draußen am flachen Land … Als Erster Vorsitzender des Vereins für Stadtteilkultur im Münchner Nordosten e. V. freue ich mich, den Bürgerinnen und Bürgern die Ausstellung »›Einverleibt!‹ Oberföhring – 100 Jahre Münchner Stadtteil, 1913–2013« und damit die Entwicklung des ältesten Stadtteils der Landeshauptstadt im vergangenen Jahrhundert zeigen zu können. Besonders gerne habe ich das Vorwort zu dem vorliegenden, wertvollen Buch über Oberföhrings Historie in den letzten 100 Jahren verfasst. Grundlage für Ausstellung und Buch waren Dokumente, Briefe, Unterlagen, Fotografien und Ähnliches, die Karin Bernst in mühevoller Kleinarbeit jahrelang zusammengetragen hat. Die unzähligen Archivbesuche, die zahlreichen Zeitzeugengespräche und die intensiv gepflegten Kontakte zu alteingesessenen Oberföhringern haben sich gelohnt, wie der vorliegende Band beweist. Das Buch als greifbares Zeugnis eines Teils von Karin Bernsts Lebenswerk stellt zugleich das erste Werk einer vom Allitera Verlag geplanten Publikationsreihe über die Ortsteile des 13. Stadtbezirks (Bogenhausen) dar. Ohne die finanzielle Unterstützung der Landeshauptstadt München, Kulturreferat und des Bezirksausschusses des 13. Stadtbezirks (Bogenhausen) hätte sich das vorliegende Buch nicht realisieren lassen. Herzlichen Dank für dieses Engagement! Oberföhring, Juli 2013
Roland Krack
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I Geschichtlicher Überblick
Erste schriftliche Zeugnisse Der 3. Juli 750 wird als das Datum für die Erstnennung von Oberföhring betrachtet. Dass sich der Name Föhring vom Beruf des Fergen (= Fährmann) ableitet, gilt als überholt. Es ist wahrscheinlicher, dass Föhring sich aus dem Namen der Sippe der Feringa gebildet hat. Die Feringa sind in einer der ältesten Freisinger Urkunden bezeugt: Am 3. Juli 750 schenkte der bayerische Stammesherzog Tassilo aus dem Geschlecht der Agilolfinger dem Freisinger Bischof Joseph I. eine erbetene Weidefläche nördlich von Ismaning. In dieser Urkunde steht: Im Namen Gottes! Seit ich, der Bischof Joseph, Hirt und Herrscher aller Untertanen und Seelsorgskinder bin, die zur Kirche der Muttergottes und der übrigen Heiligen des festen Platzes Freising gehören, und seit die Weiden dort nicht mehr ausreichen, habe ich angestrebt, einen Ort namens Erching zu eigenem Erbe in Besitz zu nehmen und ebendort nach Notwendigkeit Häuser gebaut, nachdem dies schon zu früheren Zeiten unbebautes und verlassenes Land war. Alle Besitzer dieses Ortes übergeben dieses Land bereitwillig zum Heile ihrer Seele, insbesonders der erlauchte Herzog Tassilo alles, was immer zu den Feringas gehörte gleichfalls auch Alfried mit seinen Brüdern und deren Mitinhabern und ihren Frauen. Die übrigen Teile aber, die der Sippe der Fagana gehörten, übergaben diese selbst: Ragino, Anulo, Wetti, Wurmhart und deren sämtliche Mitteilhaber als Schenker und Übertrager. Der Ort »Föhring« wird erstmals in der 251. Urkunde der Traditionen des Hochstifts Freising aus dem Jahr 807 genannt, acht Jahre später erfolgte die Erstbeurkundung einer Kirche der Urpfarrei Föhring. Mit dieser ersten Kirche war höchstwahrscheinlich St. Johann Baptist in Johanneskirchen gemeint. 1305 zählte man zum bischöflichen »Amt Föhring« die Dörfer Ober- und Unterföhring, Ismaning, Englschalking, Daglfing, Freimann, Bogenhausen, Trudering, Hohenbrunn, Unterhaching und Besitzungen am Starnberger See. Hierbei handelte es sich um einzelne Bauernhöfe, die den Bischof als Grundherrn hatten. Im September 1319 gewährte Kaiser Ludwig der Bayer dem Frei-
singer Bischof Konrad III. gegen eine Geldentschädigung von 100 Mark Silbers die ersehnte Grafen- und Landesgerichtsbarkeit. Der Bischof besaß nun für seine Grafschaft Ismaning, die aus den Dörfern Ober- und Unterföhring, Englschalking, Daglfing und Ismaning bestand, außer der niedrigen Dorfgerichtsbarkeit auch die Hoch- oder Blutsgerichtbarkeit.
Die politische Gemeinde Oberföhring Mit der Säkularisation 1803 wurde Oberföhring bayrisch und unterstand bis 1831 dem Landgericht München als Aufsichtsbehörde. Von 1831 bis 1854 gehörte Oberföhring zum Landgericht Au, danach war das Landgericht München I rechts der Isar für die Bewohner von Oberföhring zuständig. Neue politische Gemeinden entstanden durch die von Graf von Montgelas (Minister unter König Max I.) geschaffenen Steuerdistrikte. Im provisorischen Kataster von 1809 gehörten zum Steuerdistrikt Oberföhring die Ortschaften Oberföhring mit St. Emmeram, Unterföhring, Daglfing, Englschalking, die Hofmark Johanneskirchen und die Einöde Priel. Mit dem definitiven Kataster von 1812 teilte man diese große Gemeinde in drei neue Gemeinden auf: Oberföhring (mit St. Emmeram), Unterföhring und Daglfing (mit Englschalking und Johanneskirchen). Die Einöde Priel kam zu Bogenhausen. Seit dem 1. Juli 1913 gehört Oberföhring zur Stadtgemeinde München. Anlässlich dieser Einverleibung der Gemeinde Oberföhring in die Residenzstadt gab der Verlag Hans Pernat ein Ansichtskartenheftchen mit zehn Abbildungen des Dorfs Oberföhring heraus. Neben Werbetexten für verschiedene Gaststätten gibt es auch einen kurzen Abriss über die Geschichte Oberföhrings aus damaliger Sicht: Föhring – das alte Feringa, von den Fergen (Schiffern) abgeleitet, die eine Fähre betrieben, ehe die Freisinger Bischöfe jene Brücke erbauten, die Heinrich der Löwe im Jahre 1156 zerstörte – hat eine
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I
Geschichtlicher Überblick
reiche historische Vergangenheit und landschaftliche Schönheiten, daher dessen Name auch einen guten Klang unter den Vororten der Hauptstadt – gab doch Föhring den Grundstein zur Entstehung der Stadt München. Die Chronik schreibt hierüber: Der deutsche König »Ludwig das Kind« hatte am 30. September 903 dem Bischofe Walto den königlichen Weiler Vöhring an der Isar als Beisteuer zum Wiederaufbau des erst kurz zuvor durch Brand zerstörten Domes zu Freising geschenkt. Dahin nun setzte Bischof Otto im Jahre 1140 Salzniederlage und Zoll, um sich alle Frachten des inneren Handels von Bayern, besonders die Salzfuhren, die von Reichenhall nach Franken, Schwaben und Burgund gingen, zinsbar zu machen. Herzog Heinrich der Löwe aber, welcher in Folge des mit dem Herzoge Heinrich Jasomirgott im Jahre 1156 abgeschlossenen Vergleichs am 8. September desselben Jahres von Kaiser Friedrich dem Rotbart mit dem Herzogtum Bayern belehnt worden war, war nicht gewillt, sich durch diese Beschränkung von Seite des Bischofs Otto in seinem eigenen Gebiete beengen zu lassen und überfiel im Anfang d. J. 1157 den reichen und blühenden Markt Vöhring und zerstörte dort das bischöfliche Schloß, die Münzstätte und die Isarbrücke. Da lag eine Stunde oberhalb Vöhring an der Isar eine waldige Gegend, in der Nähe einer später unter dem Namen »Konradshof« vorkommenden Besitzung des Klosters Schäftlarn. Hierher nun verlegte Herzog Heinrich der Löwe noch in demselben Jahre 1157 die neue Salzniederlage samt Münzstätte und Zoll und baute eine Brücke über die Isar. Der Beschwerden und Einwendungen des Bischofs Otto ungeachtet bestätigte Kaiser Friedrich Barbarossa durch Urkunde vom 14. Juni 1158 die Gewalttat des Löwen und diese Urkunde ist es, in welcher zuerst der Name »Munichen« erscheint.
Zwei Ansichtskarten aus der im Verlag Hans Pernat aus Anlass der »Einverleibung« Oberföhrings nach München im Jahr 1913 herausgegebenen Ansichtskartenserie.
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II Oberföhring auf Gemälden und Ansichtskarten
Der »Föhringer Blick« Anfang des 19. Jahrhunderts entdeckten die Münchner die Schönheit Oberföhrings – die wunderbare Aussicht auf München mit der Alpenkette im Hintergrund. Man sprach vom »berühmten Föhringer Blick«, den Künstler wie Wilhelm von Kobell in ihren Gemälden verewigten. Aber nicht nur der Blick von Oberföhring in Richtung Landeshauptstadt mit dem noch unbebauten Herzogpark war ein oft gemaltes Motiv, auch der Blick von München in Richtung Norden mit den Kirchtürmen von Oberföhring und Unterföhring und den Isarauen fand Gefallen. Einige Künstler wagten sich auch an die Kreppen (Hohlwege), die nach oben ins Dorf führten. So zu sehen auf Bildern von Johann Georg von Dillis, Johann Jakob Dorner d. J. und Anton Doll. Ein unbekannter Chronist erzählt 1816 von den romantischen Tagen in Oberföhring: Die Geschichte eines Vehringer oder Hesseloher Tags oder Abends würde Stoff genug zu einem Dutzend Romanen liefern, die sich freilich – die Namen ausgenommen – ihrer inneren Natur nach so ähnlich sehen müssten, wie ein Ei dem anderen. Hier ist Amors große Messe, der Marktplatz der freundlichsten und bereitwilligsten Reize. Hier knüpft sich der größte Teil jener flüchtigen Verhältnisse an, von denen ich oben im Abschnitt über die Frauen sprach. Hier ist es auch, wo sie sich schmerzlos lösen, um neuen Verschlingungen Zeit und Raum zu geben. Ein oder paar Tänze bewirken Wunderdinge zwischen vorher Unbekannten, und oft drückt schon die abendliche Rückkehr nach der Stadt im bescheidenen Mondlichte dem neuen Bande den geeigneten Charakter auf. Hier bewegt sich die Frivolität der schönen und jungen Weiblichkeit in den niederen Kreisen des Bürgerstandes in den sprechendsten Formen, und der gute Wille der jungen Männer ist mit sich selbst in Verlegenheit, welche Blüte er fassen und für dieses Mal festhalten soll. […] Wenn die Isar seicht ist, tragen die Herren ihre Damen – gewöhnlich eine süße Last – durch das fast trockene Isarbett an das jenseitige Ufer. Aquarell von Wilhelm von Kobell: »Terrasse bei Föhring«, 1827. Zu sehen ist der Biergarten beim »Tafernwirt« in Föhring. Im Hintergrund Spaziergänger aus der Stadt, ein »Millimadl« und Münchner Bürger am Tisch. Bei den Kellnerinnen im Vordergrund handelt es sich der Kleidung nach um Münchner Kellnerinnen. Gemälde von Ernst Kaiser: »Blick von Oberföhring auf München«, 1835 / 1840.
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II
Oberföhring auf Gemälden und Ansichtskarten
Grüße aus Oberföhring Auch auf Ansichtskarten, die sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts immer größerer Beliebtheit erfreuten, ist das idyllische Dorf Oberföhring ein gern abgebildetes Motiv. Die Oberföhringerin Berta Mann-Riehl erinnert sich in ihren Aufzeichnungen an das Dorf vor dem Ersten Weltkrieg: Die Kirche noch mit dem alten Turm, neuerbaut 1892. Im Pfarrgarten die jungen Obstbäume. Dorfbild: das hochgiebelige Haus der Fürk. Der Anfang der heutigen Mauerkircherstraße, der »Weberberg«, hieß früher die Fürkenkreppe. Die Dorflinde verdeckt einen Teil der Kirche. Rechts davon, sehr schwach gezeichnet das Dach des Wohnhauses vom Pflegerhof (Welsch). Zwischen Pflegerhof und dem Gelmbauern (Haid) ist deutlich die alte Schmiede zu erkennen. Gasthof zur Post, Besitzer Lorenz Spitzweg. Zu beiden Seiten der Haustüre die üblichen Holzbalken zum Anbinden für die Rösser, meist standen einige Futterkrippen davor. Der Krämer, Spezereiwarenhandlung, Kolonialwaren von Max Schüßler, Schneidermeister. Das Haus wurde abgebrochen. Der Anfang von Geschäft und Handwerk unter gleichem Namen stand vordem als einstöckiges Haus südlich des Bichlbauern-Anwesens. Der Schloßwirt, die Abbildung wirkt etwas klein, niedlich im Vergleich, wie die Gebäulichkeiten wirklich einmal dastanden. Im Wirtsgarten eine alte hohe Linde, dahinter ein Karussell; der bekannte biedermeierliche Tanzpavillon lag weiter zurück, schon nächst dem Steilhang.
Zu sehen ist hier der Hof mit der alten, weit ausladenden Linde unter deren Schatten mit Tisch und Bänken sich ein gemütliches Platzerl für die Einheimischen fand. Der Eisplatz, angelegt ca. 1911 war von kurzer Dauer. Zu sehen ist ein Bub im Matrosenanzug und junge »Damen« mit großen garnierten Hüten wie sie diese für die Kirche trugen. Jeder trug am Sonntag Nachmittag was er sein Eigen nannte. Auswahl hatte niemand. Von Sportkleidung – wenig oder keine Reklame – war nicht viel die Rede und Gebrauch. Die Damenfriseuse wurde für Hochzeiten bemüht sonst hatte dieses Handwerk auf dem Lande äußerst wenig Aussicht auf Einnahmen. Die Menschen waren natürlich, mussten sehr sparen und noch lange Zeit stand nicht an jedem Eck und End: »Pflege Deine Schönheiten!«
Wintersport-Ansichtskarte der »Schloßwirtschaft«, um 1899. Mehrbild-Ansichtskarte um 1900. Links oben St. Lorenz, Mitte: südliche Dorfpartie, Gasthof »Zur Post«, links unten: Spezereihandlung Max Schüssler, rechts unten: Gaststätte »Schloßwirtschaft«.