Alceste Textbuchedition
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Opernlibretti – kritisch ediert Herausgegeben von Irmlind Capelle und Joachim Veit Bd. 2
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Alceste Ein Singspiel in f端nf Akten
Text von Christoph Martin Wieland Musik von Anton Schweitzer Text und Dokumentation
Herausgegeben von Bodo Plachta
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Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek
Dezember 2013 Allitera Verlag Ein Verlag der Buch & medi@ GmbH, München © 2013 Buch&media GmbH, München Umschlaggestaltung: Kay Fretwurst Herstellung: Books on Demand GmbH, Norderstedt Printed in Germany · ISBN 978-3-86906-601-1
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Inhalt Vorwort..................................................................................... 7 Abkürzungen, Siglen, Auszeichnungen ....................................... 9 Einleitung ................................................................................ 11 I. Text Alceste. Ein Singspiel in fünf Aufzügen ........................... 19 Überlieferung................................................................... 59 Textgrundlage................................................................. 65 Varianten ........................................................................ 67 II. Dokumentation Wieland in Weimar ......................................................... 85 Debatten über Oper und Singspiel................................... 91 Wielands Singspielkonzeption ......................................... 94 Alceste als Musterbeispiel für Wielands Singspielkonzeption und der Einfluss der Reformopern Christoph Willibald Glucks ..................... 101 Wieland und Schweitzer ................................................ 107 Entstehung und Drucklegung von Libretto und Particell .................................................... 111 Proben und Uraufführung ............................................. 127 Aufnahme bei Literatur- und Musikkritik ..................... 138 Alceste-Parodien und Goethes Götter, Helden und Wieland (1774) .............................. 146 Ausblick ........................................................................ 155 Literatur ................................................................................ 158 Register ................................................................................. 164
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Vorwort Im Jahr 2013 jährt sich der Todestag Christoph Martin Wielands zum zweihundertsten mal – zugleich ist die 240. Wiederkehr der Premiere von Wielands und Anton Schweitzers Singspiel Alceste im Weimarer Schlosstheater am 28. Mai 1773 zu feiern. Doch sind es nicht allein diese Jubiläen, die Anlass geben, das Libretto der Alceste in einer kommentierten kritischen Edition vorzulegen. Wieland ist ein Autor, der in vielfältiger Weise auf die benachbarte Kunst der Musik eingewirkt hat: Neben seinen eigenen Libretti (1780 folgte die ebenfalls von Schweitzer vertonte Rosamund) haben sein Versepos Oberon und seine Märchensammlung Dschinnistan viele Librettisten bzw. Musiker inspiriert. Seine Aufsätze über das Singspiel lösten eine lebhafte Debatte über eine eigene deutsche Opernkunst aus. Wielands Alceste, die als ernstes deutschsprachiges Bühnenwerk den Ausgangspunkt für eine ganze Reihe unterschiedlichster deutscher Singspiele und Opern im letzten Viertel des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts bildete, ist daher – wie der zeitlich am anderen Ende dieser Entwicklung stehende Freischütz als Startband der Reihe – eines der zentralen Werke für das Verständnis der Entwicklung der deutschsprachigen Operntradition und illustriert zugleich die literarhistorische und musikästhetische Position Wielands. Wie sehr Wieland und Schweitzer mit ihrer Alceste den Nerv der Zeitgenossen trafen, zeigt die rasche Verbreitung über die Bühnen bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Die vorliegende Reihe legt ausgewählte Operntextbücher auf der Grundlage ihrer authentischen Quellen in kommentierten kritischen Editionen vor und will damit zu einer adäquateren Wahrnehmung dieser lange Zeit vernachlässigten Gattung beitragen. Operntextbücher stellen neben der Partitur (die in der Regel nicht den vollständigen Text enthält) eine spezifische Realisierung des Werks dar. Sie sind dabei nicht nur der (im Bearbeitungsprozess oft modizifizierte) Ausgangspunkt für die Komposition, sondern liefern im übertragenen Sinne jene Brille, durch die der Zuschauer vor (oder in) der Aufführung das Werk wahrnimmt. Sie erfüllen somit bestimmte Funktionen und unterliegen in diesem Kontext eigenen Gesetzlichkeiten – dabei werden sie in der Regel an das 7
jeweilige Aufführungsereignis angepasst, liefern also keinen feststehenden Werktext. In der vorliegenden Reihe steht jeweils die Wiedergabe der Texte in der vom Librettisten und Komponisten für die Premiere oder eine andere wichtige Aufführung vorgesehenen Fassung im Mittelpunkt. Vorformen, spätere Änderungen oder tiefergreifende Umarbeitungen werden ebenfalls dokumentiert. Ziel ist die Präsentation eines verlässlichen Textes und die Darstellung seiner Entstehungs- und Überlieferungsgeschichte. Bodo Plachta sei für die Anregung zur Aufnahme der Alceste in diese Libretto-Reihe und die höchst erfreuliche Zusammenarbeit bei der Vorbereitung dieses Bandes sehr herzlich gedankt. Detmold, im September 2013
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Irmlind Capelle, Joachim Veit
Abkürzungen, Siglen, Auszeichnungen Zeichen und typographische Auszeichnungen | oder |
Ein senkrechter Strich markiert einen Seitenwechsel in der Textvorlage (grau), bei bibliographischen Angaben einen Zeilenwechsel und in Zitaten einen Absatz. Alceste Rollennamen erscheinen im edierten Text in Kapitälchen. allein Szenenangaben und Spielanweisungen erscheinen im edierten Text in kleinerer Drucktype. Zorn Typographische Hervorhebungen (z.B. Fettdruck oder Schriftwechsel) werden im edierten Text durch Sperrung wiedergegeben. <darüber> Ergänzungen bzw. Erläuterungen des Herausgebers stehen in spitzen Klammern. [ ] Eckige Klammern kennzeichnen in Zitaten oder bibliographischen Angaben Auslassungen, Ergänzungen oder Hinweise. ] Im Variantenverzeichnis steht vor der Lemmaklammer der Bezugstext, dahinter folgt der abweichende Text mit der jeweiligen Sigle der Textträger.
Siglen D P, J
Autorisierter Druck; Hochzahlen kennzeichnen die chronologische Abfolge. ‚Sprechende‘ Siglen kennzeichnen autorisierten Text im Particell (P) bzw. in einer Zeitschrift (J).
Abgekürzt zitierte Quellen und Literatur Böttiger, Literarische Zustände Böttiger, Karl August: Literarische Zustände und Zeitgenossen. Begegnungen und Gespräche im klassischen Weimar, hg. von Klaus Gerlach und René Sternke, Berlin 2005. Goethes Werke Goethes Werke, hg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen, 133 in 143 Bde., Weimar 1877–1919. Starnes, Christoph Martin Wieland Starnes, Thomas C.: Christoph Martin Wieland. Leben und Werk. Aus zeitgenössischen Quellen chronologisch dargestellt, 3 Bde., Sigmaringen 1987.
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Wieland, Gesammelte Schriften Wieland, Christoph Martin: Gesammelte Schriften hg. von der Deutschen Kommission der Preußischen Akademie der Wissenschaften [seit 1954: hg. von der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin; seit 1969: hg. von der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin durch Hans Werner Seiffert], Berlin 1909ff. [nicht zu Ende geführt.] Wielands Briefwechsel Wielands Briefwechsel, hg. von der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Institut für deutsche Sprache und Literatur durch Hans Werner Seiffert [seit 1975: hg. von der Akademie der Wissenschaften der DDR, Zentralinstitut für Literaturgeschichte durch Hans Werner Seiffert; seit 1992: hg. von der Akademie der Wissenschaften, Berlin; seit 1993: hg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften durch Siegfried Scheibe], 20 Bde., Berlin 1963–2007. Wielands Werke Wielands Werke. Historisch-kritische Ausgabe [Oßmannstedter Ausgabe], hg. von Klaus Manger und Jan Philipp Reemtsma, Berlin, New York [seit 2011: Berlin, Boston] 2008ff.
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Einleitung Die Uraufführung von Christoph Martin Wielands (1733–1813) Singspiel Alceste mit der Musik Anton Schweitzers (1735–1787) am 28. Mai 1773 im Schlosstheater von Weimar war ein bedeutendes Ereignis in der Operngeschichte, ja sogar ein für die damalige Zeit außerordentliches Medienereignis. Zahlreiche auswärtige Besucher waren angereist, denn Wieland hatte bei Freunden und Bekannten, aber auch publizistisch wirksam für die Alceste-Aufführung geworben und das Singspiel als deutschsprachige Reformoper und als „kulturpolitisches Unternehmen“1 angekündigt. Dementsprechend groß waren die Erwartungen. Die Resonanz in den Zeitschriften, die über die Aufführung sowie über die Publikation von Libretto (1773) und Partitur (1774) berichteten, war überraschend positiv. Aber Artikel erschienen nicht nur in Blättern, deren Herausgeber Wieland nahestanden, sondern auch Kritiker meldeten sich zu Wort. Der Uraufführungserfolg wurde dadurch jedoch nicht geschmälert. Er blieb nicht lokal auf Weimar beschränkt und fand schnell eine Fortsetzung auf den Bühnen in Leipzig (1775), Dresden (1775, 1776), Schwetzingen (1775), Mannheim (1776, 1781), Gotha (1777), Köln (1777), Danzig (1777), Frankfurt/Main (1777), München (1777, 1779), Berlin (1780), Hamburg (1780), Prag (1782), Neustrelitz (1783), Kassel (1785) und Dessau (1797)2. Noch 1790, also fast zwei Jahrzehnte nach der Uraufführung, heißt es in Ernst Ludwig Gerbers Historisch=Biographisches Lexicon der Tonkünstler3, die Alceste habe sich „mit immer gleichem en thusiastischen Lobe und Beyfalle der Liebhaber auf Deutschlands Bühnen erhalten“. Einzelne Arien – darunter die Arie Parthenias „O! der ist nicht vom Schicksal ganz verlassen“ im vierten Aufzug (S. 43) – fanden auch den Weg ins Konzertrepertoire. Wie populär 1
Jan Philipp Reemtsma, „Auf der Suche nach der schönen Leiche. Wielands Singspiel Alceste“, in: Beatrix Borchard, Claudia Maurer Zenck (Hg.), Alkestis: Opfertod und Wiederkehr. Interpretationen, Frankfurt/Main, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien 2007, S. 55–71, hier S. 55.
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Angaben nach: Julius Maurer, Anton Schweitzer als dramatischer Komponist, Leipzig 1912, S. 22f.; Jörg Krämer, Deutschsprachiges Musiktheater im später 18. Jahrhundert. Typologie, Dramaturgie und Anthropologie einer populären Gattung, 2 Tle., Tübingen 1998, T. 2, S. 860.
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Ernst Ludwig Gerber, Historisch=Biographisches Lexicon der Tonkünstler, Th. 1, Leipzig 1790, Sp. 484. 11
Einleitung
das Singspiel selbst außerhalb des Opernbetriebs war, illustrieren Alceste-Verweise oder Zitate in zeitgenössischen Romanen und die Darstellung der Wiederbegegnung von Alceste und Admet als Porzellanfiguren-Ensemble der Frankenthaler Manufaktur4. Der Erfolg brachte Wieland und Schweitzer weitere Aufträge für das Musiktheater ein. Im Januar 1780 wurde als neues Werk ihrer Zusammenarbeit das ebenfalls deutschsprachige Singspiel Rosamund in Mannheim uraufgeführt, das aber trotz freundlicher Publikumsreaktion nicht mehr an den Erfolg der Alceste herankam. Um 1800 schließlich geriet das Singspiel Alceste in Vergessenheit. Einzelne „Wiederbelebungsversuche“5 im 19. und frühen 20. Jahrhundert scheiterten, das Singspiel war allenfalls noch Gegenstand einer akademischen Auseinandersetzung mit der Oper des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Erst 1999 und 2007 kehrte Alceste – wiederum in Weimar – auf die Bühne zurück, wovon jeweils eine viel beachtete Einspielung bzw. eine Videoaufzeichnung der Aufführung Zeugnis ablegen6. Was aber waren die Gründe für den ursprünglichen Erfolg der Alceste, obwohl Librettist und Komponist kaum zur ersten Garde der damaligen Opernproduzenten zählten? Wieland war zwar ein prominenter und vielgelesener Autor, doch Schweitzer hatte sich bis dahin nur marginal als Komponist mit begrenzter Wirkung hervorgetan und galt eher als versierter Kapellmeister. Beide hatten Neuland betreten, als sie auf dem Gebiet der ernsten Oper zusammenarbeiteten. Wolfgang Amadeus Mozart führte den Erfolg auf die „neüheit“ zurück, dass Alceste „daß erste teütsche singspiell war“, wie er seinem Vater Leopold Mozart am 3. Dezember 1777 schrieb7. Er hatte sich nicht getäuscht, denn bis auf den 4
Klaus Hortschansky, „Musiktheater in Mannheim als gestelltes Bild“, in: Mozart und Mannheim [...], hg. von Ludwig Finscher, Bärbel Pelker und Jochen Reutter, Frankfurt/Main, Berlin, Bern, New York, Paris, Wien 1994, S. 65–80, hier S. 70–73; Barbara Beaucamp-Markowsky, Frankenthaler Porzellan, Bd. 1: Die Plastik, München 2008, S. 456–460.
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Krämer, Deutschsprachiges Musiktheater (wie Anm. 2), T. 1, S. 202.
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CD 2002 bei Naxos; DVD 2008 bei Berlin Classics.
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Wolfgang Amadeus Mozart, Briefe und Aufzeichnungen. Gesamtausgabe, hg. von der Internationalen Stiftung Mozarteum Salzburg, gesammelt und erläutert von Wilhelm A. Bauer und Otto Erich Deutsch, 7 Bde., Kassel, Basel, Paris, London, New York 1962–1975, Bd. 2, S. 161f.
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Einleitung
heutigen Tag wird der Beginn der ernsten deutschsprachigen Oper gern auf den Tag der Uraufführung der Alceste datiert. Darin spiegelt sich auch der Erfolg von Wielands publizistischer Strategie, durch begleitende theoretische Aufsätze Alceste ausdrücklich als deutsche Oper zu propagieren. Wielands Singspielaufsätze zählen seitdem zu den Gründungsdokumenten einer deutschsprachigen Oper, die sich nicht nur von der italienischen seria-Tradition abhob, sondern sich auch von den populären, etwa von Christian Felix Weiße und Johann Adam Hiller geschaffenen komischen Singspielen abzugrenzen versuchte: Ernsthaftigkeit stand gegen populäre Unterhaltung. Erkennbar ist aber auch der Einfluss der Reformopern Christoph Willibald Glucks, die Wieland als Vorbild und Modell für sein Librettoschaffen und für seine Vorstellung von einem deutschen Singspiel dienten. Die Bedeutung der Alceste als eines der ersten deutschsprachigen Singspiele reichte weit über die Opern- und Theatergeschichte hinaus und hatte kulturpolitische Implikationen, die Wieland ebenfalls bewusst lanciert hatte. Die Weimarer Uraufführung der Alceste war gewissermaßen die Initialzündung für den kulturellen Aufbruch eines kleinen Hofes in der mitteldeutschen Provinz. So notierte der am Hof einflussreiche Prinzenerzieher Johann Eustachius von Görtz am 27. Mai 1773:8 „L’Alceste rend Weimar brillant“. Opernaufführungen waren in Weimar nicht mehr wie bislang üblich exklusiver Teil der höfischen Repräsentation, sondern galten als kulturelle Ereignisse, mit denen sich die Welt des Hofes programmatisch der städtischen Öffentlichkeit zuwandte, um mit einer neuen Geselligkeitskultur soziale Schranken zu überwinden. Diese Überwindung sozialer Schranken am Beispiel des elitären Kunstprodukts Oper, das immer auch eine Domäne des Adels war, gelang Wieland mit einem Libretto, das zwar vom Sujet her höfischen Erwartungen entsprach, sich aber in der Darstellung des dramatischen Konflikts und in den Handlungsweisen der Figuren an der bürgerlichen Empfindsamkeitskultur der Zeit orientierte. Gleichzeitig brachte Wieland die Mythologie der griechischen und römischen Antike als Stoffkreis auf die Bühnen zu-
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Zit. nach: Joachim Berger, Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach (1739–1807). Denk- und Handlungsräume einer ‚aufgeklärten‘ Herzogin, Heidelberg 2003, S. 476. 13
Einleitung
rück, die das Singspiel pflegten9. Die sich derart manifestierende Öffnung und Neuausrichtung des Hoflebens während der Regentschaft der musik- und kunstbegeisterten Herzogin Anna Amalia legten die Grundlagen für den legendären „Weimarer Musenhof“, der bald eine große Anziehungskraft auf Künstler, Intellektuelle und Gelehrte im ganzen Land ausübte. Diese kulturelle Blüte gab schließlich einer ganzen Epoche – der „Weimarer Klassik“ – ihren Namen. Die „Weimarer Klassik“ mit ih- Porträt der Herzogin Anna Amalia ren beeindruckenden kulturellen von Georg Melchior Kraus, 1775 Visionen und dem Entwurf neuer Lebenskonzepte, besonders aber mit ihren literarischen Protagonisten Wieland, Herder, Goethe und Schiller, gilt heute unbestritten als einsamer Höhepunkt der deutschen Kulturgeschichte. Es war die Musik, und vor allem die Opernpflege, die diese Entwicklung in Gang setzte und in Erfolg versprechende Bahnen lenkte, weil von Anfang an die Zusammenarbeit der verschiedenen Künste als grundlegend und richtungsweisend angesehen wurde10, womit der Oper als ‚Gesamtkunstwerk‘ automatisch eine anspruchsvolle Führungsrolle zukam. Wielands Libretto für das Singspiel Alceste gilt als Schlüsseltext in der Debatte des 18. Jahrhunderts über Form und Gestaltung eines deutschsprachigen Operntextes, ja sogar in der damals heftig geführten Opernreformdiskussion überhaupt. In Alceste 9
Reinhart Meyer, „Das Musiktheater am Weimarer Hof bis zu Goethes Theaterdirektion 1791“, in: Der theatralische Neoklassizismus um 1800. Ein europäisches Phänomen? hg. von Roger Bauer in Verbindung mit Michael de Graat und Jürgen Wertheimer, Bern, Frankfurt/Main, New York, Paris 1986, S. 127–167, hier S. 139.
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Vgl. Wolfram Huschke, Musik im klassischen und nachklassischen Weimar 1756–1861, Weimar 1982; Gabriele Busch-Salmen, Walter Salmen, Christoph Michel, Der Weimarer Musenhof. Dichtung, Musik und Tanz, Gartenkunst, Geselligkeit, Malerei, Stuttgart, Weimar 1998.
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Einleitung
hat Wieland wesentliche Elemente dieser Debatte, aber auch seine eigenen Vorstellungen „gebündelt und synthetisiert“11. Obwohl Wieland viel Zustimmung für seine Position erhielt, polarisierte er gleichzeitig mit seiner Kompromisslosigkeit und provozierte ebensoviel Widerspruch. Goethes Parodie Götter, Helden und Wieland (1774) ist das prominenteste Beispiel für die Ablehnung von Wielands literarischen und kulturellen Auffassungen, wie sie im Singspiel Alceste zum Ausdruck kommen. Goethes polemische Abgrenzung von Wielands Singspielschaffen markiert darüberhinaus literaturgeschichtlich den Übergang von der Empfindsamkeit, für die Alceste paradigmatisch steht, zum Sturm und Drang, wie ihn Goethes Parodie propagiert. Gleichzeitig wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass Wielands Antikenbegeisterung in der Nachfolge Winckelmanns und das humane Ethos der Alceste auf Goethes Schauspiel Iphigenie auf Tauris (1787) vorausweisen12, in dem das Humanitätsideal der „Weimarer Klassik“ seine wirkungsmächtigste Ausprägung erfahren hat. Die Edition von Wielands Libretto für das Singspiel Alceste will den Text vor seinem hier kurz skizzierten kultur-, musik- und literaturgeschichtlichen Hintergrund dokumentieren und seine große Wirkung erläutern. Sie nimmt ihren Ausgang bei dem Textbüchlein, das für das Publikum der Uraufführung gedruckt worden ist. In einem Variantenverzeichnis (S. 67-82) werden die Abweichungen aller weiteren, von Wieland (mit-)betreuten Drucke verzeichnet, denn Wieland verstand sein Libretto nicht nur als Gebrauchstext für eine Oper und deren Aufführung, sondern auch als eigenständiges Lesedrama, das ohne Musik zu rezipieren sei. Hinzugezogen wird außerdem das vom Komponisten Schweitzer verantwortete Particell, das erheblich zur Verbreitung und Popularisierung des Singspiels beitrug und nicht zuletzt mit dem Titelkupfer ikonografisch das rührende ‚Bild‘ der Alceste in der Öffentlichkeit prägte.
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Jutta Heinz (Hg.), Wieland-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, Stuttgart, Weimar 2008, S. 172.
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Vgl. Friedrich Sengle, Wieland, Stuttgart 1949, S. 286f. 15
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I. Text
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Libretto f端r die Urauff端hrung in Weimar, 1773, Titelblatt
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Alceste. Ein Singspiel in f端nf Aufz端gen.
1773.
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Personen: Alceste. Mad. Koch. Admet. Hr. Hellmuth. Parthenia.
Mad. Hellmuth.
Herkules. Hr. G端nther. |
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Alceste. Erster Aufzug. Das Zimmer der Alceste.
Alceste allein. Er ist gekommen Der Bote, der die Antwort mir des Gottes Von Delphi bringt. Ich wagt’ es nicht Ihn anzuhören, ach! – ich wagt’ es nicht Die Augen zu ihm aufzuheben. An seinen Lippen hängt Dein Schicksal, mein Admet, – das Schicksal deiner Gattin! O! gute Götter, habt ihr jemals Der frommen Liebe Flehn euch rühren lassen, So hört mich, Götter! rettet, rettet ihn; Wo nicht, so lasset mich mit ihm erblassen!
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Zwischen Angst und zwischen Hoffen Schwankt mein Leben, wie im Rachen Der empörten Fluth ein Nachen Aengstlich zwischen Klippen treibt. Der Donner rollt, die Winde brausen, Die aufgewühlten Wogen kochen; Rings um mich her ist Nacht und Grausen! Dies Herz, ein Herz das nichts verbrochen, Ist alles was mir übrig bleibt! |
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Zwischen Angst und zwischen Hoffen Schwankt mein Leben, wie im Rachen Der empörten Fluth ein Nachen Aengstlich zwischen Klippen treibt.
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Alceste. Parthenia. Alceste.
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Parthenia! – wag ichs – Ah! Wie blaß ist ihre Wange! 21
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