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Komponisten in Bayern – Band 60: Klaus Hinrich Stahmer


Komponisten in Bayern Dokumente musikalischen Schaffens im 20. und 21. Jahrhundert begrĂźndet von Alexander L. Suder herausgegeben im Auftrag des TonkĂźnstlerverbandes Bayern e. V. im DTKV von Theresa Henkel und Franzpeter Messmer Band 60: Klaus Hinrich Stahmer


E. Donoughue F. Messmer C. Taggatz

A. C. Lehmann K. Sprau C. Wünsch

H. Lück K. H. Stahmer

Klaus Hinrich Stahmer


Kuratorium: Oswald Beaujean, Bayerischer Rundfunk Linde Dietl, Tonkünstlerverband Bayern e. V. Richard Heller, Tonkünstlerverband Bayern e. V. Theresa Henkel, Herausgeberin Dr. Dirk Hewig, Deutscher Tonkünstlerverband e. V. Herbert Hillig, Ministerialrat, beratendes Mitglied als Vertreter des Bayerischen Staatsministeriums für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst Arno Leicht, Hochschule für Musik Nürnberg Axel Linstädt, Deutscher Komponistenverband Dr. Franzpeter Messmer, Herausgeber, Vorsitzender Dr. Robert Münster, Herausgeber der Musica Bavarica Dr. Reiner Nägele, Musiksammlung der Bayerischen Staatsbibliothek Dr. Helga-Maria Palm-Beulich, Musikwissenschaftlerin Prof. Dr. Hartmut Schick, Universität München und Gesellschaft für Bayerische Musik­ geschichte Dr. Bernhold Schmid, Bayerische Akademie der Wissenschaften Prof. Dr. Stephan Schmitt, Hochschule für Musik und Theater München Dr. Wolf-Dieter Seiffert, Verleger Alexander Strathern, Verleger Prof. Dr. Alexander L. Suder, Ehrenvorsitzender Vorstand des Tonkünstlerverbandes Bayern e. V. im DTKV: Vorsitzender: Dr. Franzpeter Messmer, München 1. Stellvertretender Vorsitzender: Steffen Zeller, Würzburg 2. Stellvertretende Vorsitzende: Prof. Michaela Pühn, München Ehrenvorsitzende: Prof. Dr. Alexander L. Suder, Dr. Dirk Hewig, München Schatzmeister: Dr. Wolfram Göbel, München Schriftführer: Matthias Edler von Pollak, Passau Die Buchreihe »Komponisten in Bayern« wird vom Bayerischen Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst, sowie der GEMA-Stiftung unterstützt und gefördert.

Juli 2016 Allitera Verlag Ein Verlag der Buch&media GmbH © 2016 Buch&media GmbH © 2016 der Einzelbeiträge bei den AutorInnen Herstellung: Friedrich Wall, Freienbrink Titelfoto: Klaus Hinrich Stahmer (Foto: Gleb Polovnykov) Printed in Germany · ISBN 978-3-86906-909-8


Inhalt

Vorwort zum 60. Band . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Christoph Taggatz

Klaus Hinrich Stahmer: Lebenslinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Christoph Wünsch

Das Umfeld immer im Blick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Klaus Hinrich Stahmer

Auf der Suche nach einer neuen Tonalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Bildteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 Hartmut Lück

Musik, Gewalt, Frieden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Kilian Sprau

»écoute-les s’ajouter les mots« – Zur sprachbezogenen Musik Klaus Hinrich Stahmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Elisabeth Donoughue

Fremd in der Heimat – verwurzelt in der Fremde. Der Komponist Klaus Hinrich Stahmer im Dialog mit außereuropäischen Klangwelten . . 83 Franzpeter Messmer

Eigene Tonsprache mit afrikanischen Elementen – »There is no Return« – eine Werkbeschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 Andreas C. Lehmann

Synästhetisches Komponieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Werkverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 Diskografie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 Über die Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 Werke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141


In Ergänzung der vorliegenden Buchpublikation ist eine CD erschienen, auf der folgende Kompositionen von Klaus Hinrich Stahmer veröffentlicht sind: 1. À EUGÈNE IONESCO (Momentaufnahmen Nr.1) Mitglieder des RSO Berlin, Klaus Bernbacher (Ltg.); Aufnahme: Kammermusiksaal der Philharmonie Berlin 1.10.88, Aufnahme des SFB. 2. RHINOSZENEN Bernd Konrad (Saxofon), Klaus Hinrich Stahmer (Klavier, Cello), Bernd Kremling (Schlagzeug); Originalaufnahmen (1983/Hochschule für Musik Würzburg, Tonmeister: Werner Berndsen), Endabmischung November 2015, Tonmeister: Jürgen Rummel. 3. FENG YU Wolfgang Wendel (Dizi), Klaus Hinrich Stahmer (Zuspielungen unter Verwendung der »Horchrohre« von Edmund Kieselbach); Aufnahme: Atelier des Künstlers Edmund Kieselbach in Bochum sowie Hochschule für Musik Würzburg 11.7.2008, Tonmeister: Jürgen Rummel. 4. TAQASIM Florian Meierott (Violine), Thomas Bruder (Cello), Gilbert Yammine (Qanun); Aufnahme: Reitstadel Neumarkt/Opf. 8./9. April 2011, Aufnahme des BR. 5. REDLAND Thomas Bruder (Cello); Aufnahme: Reitstadel Neumarkt/Opf. 8./9. April 2011, Aufnahme des BR. 6. OUR MUSIC IS SO SWEET Florian Meierott (Violine); Aufnahme: Hochschule für Musik Würzburg 2003, Tonmeister: Jürgen Rummel. 7. MUSIK FÜR DIE WEISSEN NÄCHTE (1. Satz) Wolfgang Weigel (Gitarre), eSBé-Quartett; Aufnahme: Hochschule für Musik Würzburg Oktober 2000, Aufnahme des BR, Tonmeister: Jürgen Rummel. 8. DER FRÜHLING KOMMT Wolfgang Wendel (Dizi); Aufnahme: Hochschule für Musik Würzburg 11.7.2008, Tonmeister: Jürgen Rummel. Die Veröffentlichung erfolgte mit freundlicher Genehmigung von RBB (track 1) und BRmedia GmbH (track 4, 5, 7), alle übrigen Rechte: Klaus Hinrich Stahmer Die CD zum Buch »Komponisten in Bayern« Band 60 (Klaus Hinrich Stahmer)­ ist erhältlich über die Geschäftsstelle des Deutschen Tonkünstlerverbands Bayern­, Sandstraße 31, 80335 München (info@dtkvbayern.de).


Vorwort zum 60. Band Klaus Hinrich Stahmer zählt zu der Komponistengeneration, die in ihrer Jugend von der Zwölftonmusik, der Musikästhetik Theodor W. Adornos und der musikalischen Avantgarde der sechziger und siebziger Jahre zwar geprägt wurde, aber dann einen eigenen Weg suchte und fand. Dabei erweist sich Klaus Hinrich Stahmer als ein Grenzgänger, der den Schritt zur elektronischen Musik, zur Improvisation, in seinen Klangskulpturen und musikalischen Grafiken zur Bildenden Kunst und in seinen Arbeiten für japanische, arabische und afrikanische Instrumente zur außereuropäischen Musik wagte. Mit seiner Hinwendung zur Musik Asiens und Afrikas eröffnet er der Kompositionskunst neue Horizonte, reagiert in seiner Musik seismografisch auf die Entwicklung einer globalen Kultur und engagiert sich für ein tieferes Verständnis außereuro­ päischer Musik und einen gleichberechtigten Dialog mit Musikern Afrikas und Asiens. Fundiert ist dieses Grenzgängertum in einer äußerst vielseitigen Wirksamkeit als Musikwissenschaftler, Hochschullehrer, Violoncellist, Organisator von Konzertreihen und Festivals und vielem mehr. Klaus Hinrich Stahmer gab zahlreiche Impulse, nicht nur für das Musikleben in Würzburg, sondern in ganz Deutschland und weltweit. Seine Offenheit, Neugier, die Klarheit seines Denkens und Gestaltens, die Konsequenz, mit der er seine Ideen verwirklicht und vor allem die erhellende Schönheit, vielschichtige Tiefe und fesselnde Emotionalität seiner Musik spiegeln die Entwicklung unserer globalen Kultur im 21. Jahrhundert. Doch seine Musik ist nicht nur ein Spiegel unserer Zeit, sondern auch ein Aufruf zu einem Grenzen überwindenden Dialog. Theresa Henkel Franzpeter Messmer Herausgeber

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Christoph Taggatz

Klaus Hinrich Stahmer: Lebenslinien

Kindheit und Jugend im Schatten des Zweiten Weltkriegs Klaus Hinrich Stahmer wurde am 25. Juni 1941 in Stettin geboren, der heute polnischen Stadt Szczecin. Die ersten erinnerten Lebenseindrücke – Bombenangriffe, Flucht und Vertreibung – gehören bis heute zu seinen zentralen Erfahrungen und haben unüberhörbar ihre Spuren in seinem Werk hinterlassen. Klaus Hinrich war das erste Kind einer Mutter von 23 Jahren, Marianne, geborene Renner, die mit 21 geheiratet und infolge des Krieges ihren Mann Edgar seit ihrer Hochzeit selten zu sehen bekommen hatte. Seine früheste Kindheit ist von ständigem Ortswechsel geprägt: Mal lebten er und seine Mutter bei deren Eltern in einem Vorort im Norden von Stettin, mal lebten sie im Elternhaus des Vaters Edgar in Marburg, einige Wochen nannten seine Eltern eine Mietswohnung in Berlin ihr Zuhause, ständig aber hieß es Bombenalarm, Fliegerangriff. Besonders die Ängste bei der Fahrt ins Ungewisse in einem Viehwaggon, der die Flüchtlinge vom Stettiner Haff in den Westen bringen sollte, dann aber auch Bilder der im Frühjahr 1945 zerbombten Marburger Wohnung, das drohende Brummen der Bomber und das Dröhnen der Explosionen, all das hat sich dem Kleinkind unauslöschlich eingeprägt. Kurz vor Kriegsende in ein kleines Dorf im Marburger Umland geflüchtet, lernten seine Mutter, seine Schwester Antje (*1944) und er kennen, was Hartherzigkeit und Ablehnung heißt. Hier musste die Familie sich nach Kriegs­ende irgendwie einrichten. Zwar war der Vater im Juli 1945 aus amerikanischer Gefangenschaft entlassen worden, wurde aber nicht, wie erhofft, in den Schuldienst übernommen und trat eine Stelle als Tischlerlehrling an. 1946 wurde der jüngere Bruder Hanns geboren, und Klaus Hinrich Stahmer fragt sich im Nachhinein: Wie haben meine Eltern das bloß fertiggebracht, uns durchzubringen?1 Er erinnert sich an die emotionale Kälte, die den Flüchtlingen entgegengebracht wurde, an das Gefühl des Ausgeschlossenseins: Zuweilen habe ich heute noch das Lebensgefühl, ich müsste mir durch Wohlverhalten und Anpassung Sympathien erwerben. Ich fühle mich weniger als ein aus der Heimat Vertriebener, sondern eher als Heimatloser. Durch das ewige Hin und Her wäh1

Klaus Hinrich Stahmer in einem Gespräch am 13. November 2015 mit dem Autor. Soweit nicht anders angegeben, stammen Informationen und Zitate aus diesem Gespräch.

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rend meiner frühesten Kindheit habe ich nirgendwo die kleinen Würzelchen in die Erde gesenkt, deren es zur echten Verwurzelung bedarf. Und noch ein Neuanfang: 1947 hatte der Vater nach Ablegen der Gesellenprüfung im Tischlerhandwerk überraschend einen Ruf an die Pädagogische Hochschule Lüneburg erhalten und konnte in seinem eigentlichen Beruf als Musikdozent in der Lehrerbildung arbeiten. Für Klaus Hinrich hieß dies: Einschulung mit fünf Jahren, neue Freunde und (klein-)städtisches Leben; vor allem aber hieß es: Musik! Schon vor Schuleintritt hatte er Noten lesen gelernt und bald wurde sein Blockflötenspiel um den Klavierunterricht ergänzt, den er bei seiner Mutter, einer im Bereich der Jugend- und Volksmusik ausgebildeten Pädagogin, erhielt. Schließlich entdeckte er mit zwölf Jahren das Cello als »sein« Instrument und wuchs in die Welt gemeinsamen Musizierens hinein. Mal mit seinen Geschwistern, die ebenfalls frühzeitig mit dem Instrumentalspiel begonnen hatten, mal in der Schule, vor allem aber in Freizeitgruppen und mit Gleichaltrigen eroberte er sich die Kammermusik der Klassik und des Barock und im Kirchenchor lernte er große Werke wie die Passionen von Bach kennen. Das Gehörte ahmte er in kleinen Kompositionsversuchen rasch nach, und so war es durchaus naheliegend, dass er möglichst bald mit dem Musikstudium beginnen sollte.

Musikstudium in Dartington, Trossingen, Hamburg und Kiel Das Musikstudium fing mit einem Sommersemester 1959 am Dartington College of Arts in England an – hier wurden ihm die Ohren geöffnet, wie sich der Komponist erinnert. Jazz war in seinem Elternhaus als Nigger-Musik diffamiert worden, Werke der zweiten Wiener Schule und anderer Komponisten der frühen Moderne als entartete Musik. Jetzt lernte er Musik kennen, die keinen Platz in einem Käfigdenken hatte: Er hörte Luigi Nonos Analysen Webern’scher Musik, Mitstudenten ließen ihn die radikal neue Musik von Pierre Boulez erleben, er hörte Kompositionen von Edgar Varèse und Luciano Berio, und ganz besonders hat sich mir eingeprägt, wie eine indische Vihna-Spielerin uns einen ganzen Abend lang ihre Ragas erleben ließ. Das Dartington College of Arts ist ein spartenübergreifendes Institut, und so ergaben sich durch den Kontakt zu bildenden Künstlern und Schauspielern auch Querverbindungen zwischen den Künsten, die bis heute für Klaus Hinrich Stahmers Schaffen richtungsweisend sind. Am liebsten wäre ich für immer in England geblieben, sagt er. Doch er sollte seine Studien im Wintersemester 1959/60 am Trossinger Hochschulinstitut fortsetzen, wo Rudolf von Tobel, ein Assistent von Pablo Casals, sein Lehrer wurde. Hier vertiefte er im Tonsatzunterricht bei Helmut Degen auch seine handwerklichen Fähigkeiten als Komponist, doch stand damals ein gezielt auf den Beruf des Komponisten gerichtetes Studium nicht zur Debatte. Auch bei dem anschließend an der Hamburger Hochschule für Musik absol10


vierten Musikstudium (1961–65) war das Fach Komposition nicht zentral. Klaus Hinrich Stahmer studierte Musiktheorie, Violoncello (Privatmusiklehrer) sowie Schulmusik (Lehramt Gymnasium) und gleichzeitig Musikwissenschaft bei Georg von Dadelsen, Constantin Floros, Hans Hickmann und Heinz Becker, und Kunstgeschichte und Anglistik an der Universität Hamburg. Constantin Floros stellte die Musik von Gustav Mahler, Alban Berg und Arnold Schönberg in den Mittelpunkt seiner Lehrveranstaltungen. Eine wissenschaftliche Zulassungsarbeit über die späten Streichquartette von Beethoven bei Fritz Feldmann gab einen weiteren Akzent, der für Klaus Hinrich Stahmers zukünftige Arbeiten richtungweisend werden sollte. Allerdings entstanden, angeregt durch den Unterricht bei Gernot Klussmann, Diether de la Motte und Werner Krützfeldt, kompositorisch erste praxisorientierte Arbeiten, die ziemlich zeitnah sogar den Weg in die Verlage fanden. Erste Anerkennungserfolge als Komponist erhielt er durch Aufführungen von Stücken wie »Threnos in memoriam Paul Hindemith« für Viola und Klavier. Bereits während des Studiums konnte Klaus Hinrich Stahmer erste Lehrerfahrungen sammeln: Die Hochschule hatte ihn als Assistenten für das Fach Violoncello eingestellt. Eine rege Tätigkeit als Cellist kam hinzu, er konzertierte mit verschiedenen Kammerensembles und war nicht zuletzt auch Interpret seiner eigenen Werke. Neben der praktischen Ausübung von Musik war für Klaus Hinrich Stahmer stets die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Geschichte und den strukturellen Gegebenheiten der Werke von zentraler Bedeutung, und so wechselte er nach Abschluss seiner Hamburger Hochschulstudien (Erstes Staats­ examen, Künstlerische Reifeprüfung und Privatmusiklehrerexamen 1965) an die Universität Kiel zu Walter Salmen. Dort von ihm und Kurt Gudewill wissenschaftlich betreut, konnte er sich ganz dem finanziell von der Stiftung Volkswagenwerk geförderten Promotionsstudium widmen und eigene, soziologisch orientierte Forschungsmethoden entwickeln. Regelmäßige Teilnahme an Kongressen in Brünn brachte eine Präzisierung seines wissenschaftlichen Ansatzes durch eher sozialistisch geschulte Kollegen wie Jiří Fukač. Als Nebenfächer belegte er im Hinblick auf die Promotion (1968) jetzt Soziologie und Pädagogik. Bereits während des Promotionsstudiums mit Lehraufgaben an der Universität betraut, übernahm er nach dem Studienabschluss eine Assistentenstelle am Musikwissenschaftlichen Institut der Universität Kiel.

Vielseitiges Wirken als Hochschullehrer in Würzburg Doch es zog ihn an ein praxisorientiertes Ausbildungsinstitut, und so nahm er 1969 eine Stelle als Musikwissenschaftler am Bayerischen Staatskonservatorium Würzburg (seit 1973 Hochschule für Musik) an, um Fächer wie Formanalyse, Musikgeschichte, Instrumentenkunde und vergleichende Musikwis11


senschaft zu unterrichten. Die Ernennung zum Professor erfolgte im Jahr 1977. Eigene Forschungsschwerpunkte wie beispielsweise die Musik der Gegenwart sowie die Musik außereuropäischer Kulturkreise konnte er ebenso in den Kanon der abzuprüfenden Lehrgegenstände integrieren wie Fragen der analysebezogenen Aufführungspraxis. Auch in seiner künstlerischen Arbeit war die wissenschaftliche Durchdringung der Materie immer vertreten; überhaupt sind Reflexion und das Infrage-Stellen ein Merkmal seines Komponierens. Seit 1989 leitete Klaus Hinrich Stahmer das »Studio für Neue Musik«, eine vom Würzburger Tonkünstlerverband veranstaltete monatliche Konzertreihe, sowie von 1977 bis 2001 das von ihm gegründete Festival »Tage der Neuen Musik«. Aufgrund seiner Interessen kamen in den frühen 70er-Jahren in Würzburg auch erste Geräte für elektronische Musik zum Einsatz. Neben seiner Tätigkeit als Hochschullehrer war er immer auch kulturpolitisch tätig, sei es als Mitglied des Musikrates oder als Präsident der deutschen Sektion der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik (1983 bis 1987 und 2000 bis 2002). In dieser Funktion richtete er unter anderem die Weltmusiktage in Köln/Bonn/ Frankfurt aus. Und auch diese organisatorische Arbeit sollte Einfluss auf die Entwicklung seines kompositorischen Werdegangs nehmen: Sie führte zur Konfrontation mit nichteuropäischen Vorbildern und zur Begegnung mit Kollegen aus der internationalen »Neue-Musik-Szene«. Uraufführungen in Zagreb (Ballett »espace de la solitude«), in Italien, Frankreich und anderen Ländern belegen die zunehmende Internationalisierung seiner Arbeit. Neben seiner Tätigkeit als Komponist, Hochschullehrer sowie als Festival- und Konzertorganisator veröffentlichte er etliche Bücher, Lexikonartikel, Schallplattenbegleittexte und Zeitschriftenaufsätze; er wurde ständiger Mitarbeiter der Musikzeitschrift »MELOS«, publizierte in der »Neuen Zeitschrift für Musik« und in »Das Orchester« und war freier Mitarbeiter öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten. Dabei verlagerte sich der Schwerpunkt seiner Arbeiten von zunächst musiksoziologischen und sozialgeschichtlichen Themen immer mehr auf die Musik des 20. Jahrhunderts. Große Verlage (unter anderem Schott, Breitkopf & Härtel, Simrock, Zimmermann) hatten die Kompositionen Klaus Hinrich Stahmers mittlerweile in ihre Programme aufgenommen, Schallplatten- und Rundfunkproduktionen ergänzten dieses Spektrum einer zunehmend auf Internationalität angelegten Öffentlichkeit. Klaus Hinrich Stahmer erhielt mehrere Kompositionspreise: den 1. Preis im Wettbewerb für zeitgenössische Gitarrenmusik, Tokio 1984, den Johann-Wenzel-Stamitz-Preis der Künstlergilde Esslingen 1986 für sein Gesamtschaffen, den Kulturpreis der Stadt Würzburg 1994, den 1. Preis im Georg-FriedrichHändel-Wettbewerb der Stadt Halle 2001 sowie den Ehrenpreis im Tsang-HoueiHsu-Wettbewerb, Taipeh 2006. Für sein gesellschaftliches Wirken wurde er 1996 mit dem Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik 12


Deutschland geehrt. 2013 wurde er zum Mitglied der Freien Akademie der Künste Hamburg gewählt. Nach 35 Jahren Lehrtätigkeit in Würzburg wurde Stahmer 2004 emeritiert und widmet sich seither hauptsächlich seinem kompositorischen Schaffen und der Entwicklung neuer Ausdrucks- und Gestaltungsmöglichkeiten in der Musik.

Stilistische Vielfalt: Entwicklung als Komponist Stilistisch ist die Musik von Klaus Hinrich Stahmer alles andere als einheitlich2. Ausgehend von der klassischen Moderne suchte er immer wieder nach neuen tonsprachlichen Mitteln, und so spannt sich in der Rückschau ein Bogen von den Frühwerken – etwa dem 1963 entstandenen »Threnos in memoriam Paul Hindemith« oder den an Béla Bartók orientierten »Dedications« für Viola, Harfe und Streichorchester von 1964 – zu den in jüngster Zeit entstandenen, oft außereuropäische Traditionen und Techniken integrierenden Werken. Gab es anfänglich noch traditionelle Werktitel wie »Sonatine für Violine und Viola« und »Rapsodía piccola« für Saxofon und Klavier, signalisieren bereits die 1972 in enger Zusammenarbeit mit Malern und Bildhauern entwickelten »Transformationen« für Violoncello, Schlagzeug, Synthesizer und Tonband den Aufbruch zu neuen Ufern. Seitdem entstanden Werke, die ihr außermusikalisches Ambiente miteinbezogen: Musik für Klang­skulpturen, Konzerte in Galerien und Ausstellungen, Werke, in denen die ausgestellten Skulpturen und Plastiken akustisch nachgezeichnet wurden, Musik mit Dia- und Filmprojektionen, grafisch notierte Werke. Prägend war für ihn die Begegnung mit dem Komponisten und Begründer der Bremer Festivalbiennale »pro musica nova«, Hans Otte, der ihm die Tür zu Amerika öffnete. Neben aleatorischen Techniken lernte Klaus Hinrich Stahmer, improvisatorische Elemente in seine Werke einzubinden und wurde so mit einer eher antiakademischen Musizierhaltung konfrontiert, wie sie sich etwa auch im Werk John Cages zeigt. Wichtig war zu dieser Zeit auch die Auseinandersetzung mit dem Komponisten Konrad Böhmer, der diese Haltung in seiner Dissertation »Zur Theorie der offenen Form in der neuen Musik« beschrieb. Über seine Begeisterung für bildende Kunst lernte Klaus Hinrich Stahmer die grafischen Partituren unter anderem von Anestis Logothetis, Earl Brown und Roman Haubenstock-Ramati kennen und suchte neben dem Verfassen 2

Zu Musik und Personalstil Klaus Hinrich Stahmers liefern die weiteren Aufsätze in diesem Band Detaillierteres, die stilistische – und immerhin auch biografisch beeinflusste – Entwicklung soll aber bereits hier kurz beschrieben werden.

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eigener grafisch notierter Werke wie etwa »Die Landschaft in meiner Stimme« seinen persönlichen Weg einer Synthese von bildender Kunst und Musik. Schließlich spielte auch die Arbeit mit elektronisch erzeugten Klängen in dieser Schaffensphase eine wesentliche Rolle. An der Verwendung von Live-Elektronik, Zuspielbändern und an der Farbigkeit etlicher zum Einsatz gebrachter Schlaginstrumente zeigt sich, welcher Idee Klaus Hinrich Stahmer seine Werke in dieser Periode verpflichtet sah: Hier steht nicht mehr die melodisch-lineare motivische Arbeit im Zentrum des Interesses, sondern der von den Restriktionen motivisch-thematischen Denkens befreite Klang. Nicht zu unterschätzen ist die Rolle der eigenen Mitwirkung bei solchen Auftritten: Häufig am Mischpult bzw. mit seinem Violoncello mitten unter den Interpreten sitzend und agierend, konnte er, ohne den Umweg über eine Partitur gehen zu müssen, sein akustisches Material unmittelbar erspüren und direkt formen, und nicht selten verwischten sich dabei die Grenzen zwischen Komponiertem und Improvisiertem. Ähnlich wie die bildende Kunst sollte für ihn auch die Literatur zur ständig in Anspruch genommenen Inspirationsquelle werden. Waren die Mitte der 60er-Jahre entstandenen liedähnlichen Vertonungen noch eindeutig an Vorbildern wie Alban Berg und Anton von Webern orientiert, sollte Klaus Hinrich Stahmer seit dem auf Texten von Henry Miller basierenden »Quasi un requiem« für Sprecher und Streichquartett von 1974 immer wieder neue Formen der musikalischen Textdarstellung entwickeln. Die Liste der von ihm vertonten Autoren umfasst hauptsächlich zeitgenössische Dichter und es tauchen Namen auf wie Hans Magnus Enzensberger, Erich Fried oder Hans Arp, daneben aber auch Cesare Pavese, Giuseppe Ungaretti, Edward Estlin Cummings, Samuel Beckett und viele andere mehr. Selbst Stücke, die von ihrer Besetzung her rein instrumental konzipiert sind, haben einen literarischen Kern. Sie sind wie etwa das auf Eugène Ionesco zurückgehende Ballett »Die Nashörner« von 1983 latent als Vertonungen von literarischen Vorlagen aufzufassen. Anfang der 90er-Jahre zeichnet sich in der Stilistik erneut ein Wechsel ab. Vieles, was zuvor noch experimentell und zuweilen auch originell geklungen hatte (zum Beispiel das 1990 in einer alten Drahtfabrik aufgeführte Ritual »Ariadnes Faden« für Kontrabassflöte und computergesteuerte Gefäßklänge), wurde nun einem geschärften kompositorischen Kalkül unterworfen. Systematisch ging Klaus Hinrich Stahmer daran, neue Methoden der Akkordbildung zu entwickeln, die sich von den atonalen Strukturen seiner früheren Vorbilder entfernten und absetzten. Seit Mitte der 90er-Jahre war er vielfach als Gastdozent in Südafrika, in den USA sowie in Taiwan tätig; während dieser Reisen begann er sein bereits früh angelegtes Interesse an nichteuropäischen Musizierformen zu vertiefen, diese Musiktraditionen systematisch zu erforschen (etwa schwarzafrikanische Tra14


ditionen während seiner Reisen nach Südafrika seit 1996) und in seine eigene Musiksprache zu integrieren: Ich habe schon während meiner Studienzeit gerne ganz bestimmte Musiken anderer Kulturkreise gehört, vorzugsweise aus Japan. Die japanische Kultur übte in meiner Schulzeit eine besondere Faszination auf mich aus. Später kam dann das Interesse für komplexe Rhythmusstrukturen in afrikanischer Trommelmusik und für die Ursprünglichkeit des Didgeridoo hinzu, und peu à peu wurde aus dem Interesse echte Forscherneugier.3 Aus diesem Interesse heraus entstanden exemplarische Werke für außereuropäische In­strumente (unter anderem »Pulip Sori« für Violoncello, Kayagum und Changgu, »Ning Shi« für Sheng und Akkordeon, »Silence is the only Music« für Sheng und Guzheng, »Ima« für Shakuhachi und Bass-Koto). Dabei zeichnete sich die zunehmende integrative Verschmelzung eines zentraleuropäischen Avantgardedenkens mit außereuropäischer Musik ab. Zum einen ist es die Suche nach Ursprünglichkeit, die ihn auf Instrumente wie Didgeridoo und Rahmentrommel zurückgreifen ließ, zum anderen das Gefühl einer inneren Übereinstimmung mit fernöstlichem Gedankengut. Politische Ideen führten zu Stücken wie »There is no Return« für Flöte, zwei Schlagzeuger und Klavier oder »Tchaka« für vier Schlagzeuger. Dass seine Musik den Konzertsaal verlässt und nach rituellen Aufführungsformen verlangt, zeigt beispielsweise sein Zyklus »Sacred Site« für Klavier. Auch die Auswahl der vertonten Texte ändert sich mit diesem musikalischen Sprachwechsel: In jüngster Zeit vertonte Klaus Hinrich Stahmer Texte u. a. von Jean-Félix Belinga Belinga (Kamerun), Sandile Dikeni (Südafrika), Edward Kamau Brathwaite (Barbados) und Fuad Rifka (Libanon). Mit diesen Werken schließt sich der Kreis auch aus der Perspektive persönlichen Erlebens: In seinen seit 2000 entstandenen Stücken thematisiert er mit immer eindrücklicher werdender Deutlichkeit die Frage des Nicht-Dazugehörens und der Ausgrenzung. Er engagiert sich für die Opfer der südafrikanischen Anti-Apartheidpolitik ebenso wie für die vom Aussterben bedrohten Ureinwohner Amerikas (Indianer), Australiens (Aborigines) und Afrikas (Buschmänner und Pygmäen). Seine Partituren werben um Verständnis und damit letztlich auch um Frieden. Wie ein solcher »Frieden« klingen könnte, zeigen visionäre Stücke aus letzter Zeit wie »Wu«, »Ming« und »You Qing«. Klaus Hinrich Stahmer: Hier habe ich mich in eine Klangwelt hineingehört, die äußere Bedrängnisse hinter sich und etwas vom Frieden des Herzens ahnen lässt.

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Klaus Hinrich Stahmer 2011 in einem Gespräch mit dem Autor.

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Christoph Wünsch

Das Umfeld immer im Blick

Ein Kollegengespräch Der Komponist und Pianist Prof. Dr. Christoph Wünsch übernahm 2004 von Klaus Hinrich Stahmer nach dessen Ausscheiden aus dem Lehrberuf auch die Leitung des Studios für Neue Musik. Gemeinsame Aktivitäten kamen zur Sprache, als er am 4. Januar 2016 ein Gespräch mit seinem ehemaligen Lehrer führte. Im folgenden Text werden Auszüge aus diesem Gespräch veröffentlicht.

Vielseitiges Studium: Ist Musik nicht immer etwas Ganzheitliches? Christoph Wünsch: Ich habe mich im Vorfeld unseres heutigen Gesprächs mit deiner Biografie beschäftigt. Dabei ist mir aufgefallen, dass du innerhalb der Musik recht verschiedene Interessen hast: Violoncello, Komposition, Musikwissenschaft – sind das nicht Gebiete, die jedes für sich zum beruflichen Schwerpunkt hätte werden können? Klaus Hinrich Stahmer: Ja, das stimmt, aber ist Musik nicht immer etwas Ganzheitliches? Und ich habe immer versucht, ihr sowohl auf analytischem als auch auf praktischem Wege näherzukommen. Mit Begeisterung habe ich die Partituren von Beethovens Streichquartetten studiert und vieles entdeckt, was ich für mein eigenes kompositorisches Denken übernehmen konnte. Und im Selberspielen anspruchsvoller Kammermusik von Bach bis Webern bin ich gefühlsmäßig und technisch in das Wesen dieser Musik eingedrungen. Mein musikwissenschaftliches Studium beendete ich mit einer Dissertation über die Kammermusik von Brahms. Was sich mir dabei alles erschlossen hat, wirkte auf mich so stark, dass ich mich anfänglich nur zögernd an das eigene Komponieren herangetraut habe. Doch für meinen späteren Beruf als Hochschullehrer war genau diese Mischung aus gedanklicher und praktischer Beschäftigung das Richtige. CW: War das von Anfang an so geplant? Oder anders gefragt: Wie hast du dein Studium angelegt? KHS: Meine Eltern haben mich 16 Semester studieren lassen, was nicht etwa einer Bummeligkeit geschuldet war, sondern der Vielfalt meiner Interessen. Ich war in Hamburg gleichzeitig an der Uni und an der Musikhochschule eingeschrieben und habe an beiden Instituten sehr engagiert studiert. Das entsprach 16


meinen Neigungen, wobei mich insbesondere Constantin Floros, Werner Krützfeldt und Diether de la Motte begleitet und fordernd geprägt haben. Mit dem Endresultat – Künstlerische Reifeprüfung, Privatmusiklehrerexamen, 1. Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien und schließlich noch die Promotion – standen mir am Ende verschiedenste Berufswege offen, und im Grunde bin ich bis heute mehrgleisig gefahren, habe immer verschiedene Dinge gemacht. CW: Und wofür hast du dich damals entschieden? KHS: Ich hatte während der letzten Semester am musikwissenschaftlichen Institut der Universität Kiel studiert und dort als Doktorand eine Assistentenstelle inne. Da habe ich den Unibetrieb so richtig kennengelernt und gemerkt, dass mir die Art der ausschließlich wissenschaftlichen Beschäftigung mit Musik nicht liegt.

Hochschule für Musik Würzburg: Impulse für das Kulturleben CW: Und dann bist du 1969 nach Würzburg gekommen … KHS: Ja, das war ein Glücksfall für mich! CW: Inwiefern? KHS: Ich kam in ein praxisnahes Ausbildungsinstitut, wo ich alle meine Fähigkeiten miteinander verbinden und einsetzen konnte. So hatte ich während meines Studiums regelmäßig als Cellist in Kammer-, Kirchen- und Orchesterkonzerten mitgewirkt und fand mich nun in einer Umgebung wieder, in der ich Anschluss an ausübende Musiker hatte, Kollegen wie Studierende. Dazu kam, dass ich im Rahmen des weit gefassten Lehrplans alle Freiheiten hatte, solche Fächer wie Musikgeschichte, Formanalyse, Tonsatz, Instrumentenkunde mit Inhalt zu füllen. Ich konnte die Dinge von der Papierseite her angehen, habe aber auch immer Wert auf die Umsetzung in die Praxis gelegt. CW: Das habe ich ja selbst als Student an der Würzburger Hochschule am eigenen Leib erfahren können. Schätzen gelernt habe ich durch den Unterricht bei dir vor allem, musikalische Vorgänge, Formen, ja die Musik überhaupt nicht losgelöst von historischen, philosophischen und gesellschaftlichen Fragen zu sehen. Besonders intensiv wurde unsere damalige Lehrer-Schüler-Beziehung dann, als ich auch in den Diplomstudiengang Musiktheorie einstieg und bei dir den Schwerpunkt Analyse im Einzelunterricht besuchte. Wie kam es damals zu diesem Studienangebot und wie beurteilst du das aus heutiger Sicht? War nicht Würzburg eine der ersten Hochschulen in Deutschland, die so etwas anboten? KHS: Stimmt! Ich glaube, dass sich allmählich die Erkenntnis durchsetzte, dass man große Kunstwerke nur in großen Zusammenhängen »begreifen« kann und dass es nicht ausreicht, die Partituren nach den Gesetzmäßigkeiten der Harmonielehre und des Kontrapunkts aufzudröseln. Und in diesem Sinne wollten wir nun auch die Hochschullehrer ausbilden und vorbereiten. Ich 17


selbst hatte mich während des Studiums auch mit den Theorien von Heinrich Schenker befasst und in meiner Dissertation die musikimmanente Logik der Kammermusik von Brahms aufgeschlüsselt und das Ganze in einen weiten historischen Kontext gerückt. Das waren gute Voraussetzungen für ein weit gefasstes Konzept der musikalischen Analyse … CW: … wovon ich, wie gesagt, selbst profitiert habe. Aber hast du daneben den Hochschulalltag nicht auch noch mit ganz anderen Dingen belebt, ich denke hier vor allem an das Festival mit den Klangskulpturen, die waren nicht nur in der Hochschule platziert, da hast du die ganze Stadt mit einbezogen? KHS: Das war 1985; ja, ich glaube, das war ein Höhepunkt meiner Arbeit in puncto moderne Musik in Würzburg; da ging von der Hochschule ein starker Impuls auf das Kulturleben der Stadt aus. Das gehörte auch zu meinen Zielen, mit ungewöhnlichen Angeboten den Hochschulrahmen zu sprengen: raus aus dem Konzertsaal, neue Hörformen entdecken, in Galerien und Museen …

Christoph Wünsch und Klaus Hinrich Stahmer bei der Improvisation auf der »Klangstraße« von Gerlinde Beck (Foto: Privat).

… Ich sagte schon, dass für mich meine Lehrtätigkeit in Würzburg ein Glücksfall war, weil ich alle Freiheiten hatte. Moderne Musik war schon während des Studiums und ist bis heute für mich ein Lebenselixier. Ich sehe sie gleichrangig neben der klassischen Musik (was übrigens nicht von allen Hochschullehrern 18


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