KONSTANTIN KÖPPELMANN (†) UND DIETLIND PEDARNIG
MÜNCHNER PALAIS Mit Fotografien von Werner Ebnet
Leseprobe
INHALT VORBEMERKUNG 11 GELEITWORT 12 VORWORT 13 EINFÜHRUNG 14
MÜNCHNER PALAIS IM 17. JAHRHUNDERT Palais Au (Ow) 38 Palais Berchem I 42 Palais Maffei 50 Palais Neuhaus (Palais Perfall, Palais Preysing III) 56 Palais Perusa I 70 Palais Preysing I und Palais Hörwarth (Parcus-Haus) 76 Palais Rechberg I (Radspielerhaus) 80 Palais Rechberg II (Castell-Haus) 88 Palais Thürheim 94 Palais Törring-Seefeld 98 Palais Törring-Stein 102 Palais Wahl I (Palais Cetto) 108 Palais Waldkirch 118 Palais Wartenberg (Haslingerhaus) 122
MÜNCHNER PALAIS IM 18. JAHRHUNDERT Palais Fugger (Palais Portia) 136 Palais Lamberg 166 Palais Spreti (Palais Wahl II) 172 Palais Preysing II 188 Palais Piosasque de Non (Palais Eichthal I) 220 Palais Lerchenfeld 236
Palais Minucci 248 Palais Holnstein (Palais Königsfeld, Erzbischöfliches Palais) 256 Palais Morawitzky 282 Palais Fugger-Zinneberg (Alte Akademie, Königliches Palais, Palais Birkenfeld, Cotta-Haus) 288 Palais Törring-Jettenbach (Törring-Palais, Hauptpost/Residenzpost) 310 Palais Arco (Palais Gise) 332 Palais Seinsheim 342 Palais Rheinstein-Tattenbach 354
MÜNCHNER PALAIS AB DEM 19. JAHRHUNDERT Palais Salabert (Palais/Pavillon Royal, Prinz-Carl-Palais) 378 Palais Woronzow 406 Palais Asbeck (Palais Lotzbeck) 416 Palais Degenfeld (Nuntiatur, »Schwarzes Haus«) 434 Palais Montgelas I 442 Kronprinzenpalais (Palais Törring-Gutenzell, Törringpalais) 462 Palais Hompesch (Prinz-Georg-Palais) 480 Palais Leuchtenberg (Palais Prinz Luitpold) 500 Palais Moy 536 Palais Berchem II 556 Palais Montgelas II 564 Palais Oettingen-Wallerstein 570 Palais Bayrstorff (Palais Almeida, Palais Bayrstorff-Almeida) 576 Palais Méjan 592 Palais Eichthal II 600 Palais Arco-Zinneberg 612 Palais Ludwig Ferdinand (Palais Alfons) 630 Palais Tascher de la Pagerie 648 Herzog-Max-Palais (Carl-Theodor-Palais) 654 Palais Métivier (Palais Pallavicini, Palais Barlow, »Braunes Haus«) 688 Palais Dürckheim-Montmartin 710 Palais Schönborn-Wiesentheid 720 Palais Wittelsbach 730 Palais Leopold (Königin-Therese-Villa) 754 Palais Schrenck-Notzing 766
ANHANG Bayerische Herrscher und ihre Ehefrauen 776 Literaturverzeichnis 776 Abbildungsverzeichnis 789 Dank 791 Unterstützer 792
GELEITWORT Häuser erzählen Geschichte, sagt man landläufig. Für zwei Münchner Bürgerhäuser hat Richard Bauer, mein Vorgänger als Leiter des Stadtarchivs München, dies in seiner jüngst erschienenen Publikation eindrucksvoll nachgewiesen und diese Aussage schon im Titel zum Ausdruck gebracht: »Zwei Münchner Altstadthäuser erzählen Stadtgeschichte. Eine Chronik der Anwesen Dienerstraße 21 und Burgstraße 3«. Was für Bürgerhäuser gilt, muss umso mehr für die zahlreichen privaten Adelspalais in München in Anspruch genommen werden, die seit dem 16. Jahrhundert, verstärkt aber in den den drei folgenden Jahrhunderten, in München gebaut wurden und lange das Stadtbild prägten. Doch sind es tatsächlich die Häuser, die Geschichte erzählen? Es muss immer jemanden geben, der die Geschichte der Häuser und die sich darin widerspiegelnde Stadtgeschichte zum Sprechen bringt. Im nun endlich vorliegenden Münchner Palais-Buch, lange Zeit ein Desiderat der Forschung, gelingt dies den Autoren Konstantin Köppelmann und Dietlind Pedarnig in großartiger Weise. Sie schildern nicht nur aus kunsthistorischer Sicht die Baugeschichte der Palais, sie bringen auch die Biografien der Bauherrn, der Architekten und ihrer (oft wechselnden) Besitzer beziehungsweise Bewohner zum Vorschein. Das Phänomen der Adelspalais hängt hier eng mit der Tatsache zusammen, dass München erst Anfang des 16. Jahrhunderts unter Herzog Albrecht IV. zur Haupt- und Residenzstadt des wiedervereinigten Herzogtums Bayern und damit zum wichtigsten fürstlichen Zen tralort des Landes geworden ist. Der Ausbau der Residenz vor allem unter Herzog (seit 1623 Kurfürst) Maximilian I., damals neben dem Kaiser der mächtigste deutsche Fürst, ist sichtbares Zeichen dieser neuen Stellung Münchens, die seinen Besuchern demonstrierte, dass die Stadt neben Rom, Wien und Madrid inzwischen zu den Mittelpunkten der katholischen Welt gehörte. Die bis dahin fast allein vom Bürgertum geprägte Stadt beginnt sich nun auch von der soziologischen Zusammensetzung der Bevölkerung zu verändern. Viele der mächtigen Patrizier verlassen die bürgerliche Welt, erwerben Besitz auf dem Land und steigen zum Adel auf. Umgekehrt suchen von jetzt an alteingesessene bayerische Adelsfamilien die Nähe zum Fürsten und zum Hof in der Stadt. Ihre Palais errichten sie bevorzugt im Kreuzviertel, also zwischen der Herzog-Max-Burg und der neuen Residenz. Das Kreuzviertel wird zum Münchner Marais! 12
Und eine andere Tatsache ist mir in diesem Kontext noch wichtig, dass Münchner Stadtgeschichte immer auch ein Stück Migrationsgeschichte darstellt. Der Machtzuwachs des erstarkten bayerischen Fürsten zeigte sich nämlich auch in der Attraktivität für ausländische Prinzessinnen. Nur zwei Beispiele von vielen: Herzog Maximilian, der spätere Kurfürst, heiratete (in erster Ehe) am 6. Februar 1595 in Nancy die Prinzessin Elisabeth, Tochter von Herzog Karl III. von Lothringen und seiner Gattin Claudia von Frankreich, Tochter König Heinrichs II. Und Kurfürst Ferdinand Maria ehelichte 1652 Henriette Adelaide, die Tochter von Herzog Viktor Amadeus I. von Savoyen. Alle diese Bräute brachten jeweils ein kleines Gefolge aus ihrer Heimat mit nach München. Doch es kamen mit den Bräuten nicht nur adelige Hofdamen. Im Gefolge waren auch Priester oder Mönche (als Beichtväter), Musiker, Schneider, Köche und viele andere mehr. Zusätzlich versuchten weitere Adelige im Schlepptau der Bräute ihr Glück zu machen. Wenn es nicht möglich war, direkt am Hof eine Anstellung oder zumindest eine bezahlte Aufgabe zu finden, ließ man sich in der unmittelbaren Nachbarschaft zur Münchner Residenz nieder. Schaut man sich die Namen der Besitzer an, die dort im weiteren Verlauf des 17. und 18. Jahrhunderts eingezogen sind, könnte man vom Kreuzviertel auch flapsig als Münchens »Little Italy« sprechen: Arco, Simeoni, Minucci, Rambaldi, Porcia, Spreti, Piosasque, Nogarola, Pistorini, Capri, Vacchieri, Cetto, Guidobono-Cavalchini, Triva, Pocci und Maffei. Das Stadtarchiv München als das oft bemühte »Gedächtnis der Stadt« konnte für die vorliegende Publikation viele Hinweise geben, einige der archivalischen Quellen, seien es Fotos oder Baupläne, sind auch abgedruckt. Da es zu den satzungsgemäßen Aufgaben des Stadtarchivs gehört, die Erforschung der Stadtgeschichte zu fördern und stadtgeschichtliche Informationen einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen, wir dies aber (leider) nicht immer mit eigenen Veröffentlichungen leisten können, gebe ich gerne gerade dieser wichtigen Verlagspublikation diese Worte des Geleits mit auf den Weg und wünsche ihr viele Leser und die verdiente Resonanz. München, Juli 2016 Dr. Michael Stephan, Direktor des Stadtarchivs München
VORWORT Als der Zweite Weltkrieg am 8. Mai 1945 endete, hatte er 50 Millionen Menschen das Leben gekostet, unter ihnen 6,3 Millionen ermordete Juden. Zahlen, die bis heute grauenvoll und unfassbar sind. Deutschland lag in Trümmern und 4 Millionen Menschen waren wohnungslos geworden. Hinzu suchten 12 bis 14 Millionen von Flucht und Vertreibung Betroffene eine Unterkunft. München hatte insgesamt 45 Prozent seiner baulichen Substanz durch Bomben verloren, das heißt, nur 1270 Gebäude (2,5 Prozent) blieben gänzlich ohne Schaden. Die einzelnen Stadtviertel waren unterschiedlich betroffen, so standen zum Beispiel nur noch 30 bis 35 Prozent der Gebäude in der Altstadt und 26 Prozent in der Maxvorstadt. Insgesamt 66 Luftangriffe – darunter 30 Großangriffe – verzeichnen die Statistiken vom 5. Juni 1940 bis zum 25. Februar 1945, in denen 6500 Menschen ihr Leben lassen mussten. Der Verlust an Kulturbauten war immens: Die jahrhundertelange Herrschaft der Wittelsbacher hatte München in einer andauernden Bau- und Sammlertätigkeit zu einer blühenden Residenzstadt gemacht. Durch die Bombenteppiche und Flächenbombardierungen wurden Kirchen, Museen, Theater und Konzertsäle in einer Dichte vernichtet beziehungsweise schwer beschädigt wie nirgendwo sonst in Deutschland. 7,5 Millionen Quadratmeter Schutt wurden am Ende in einer der schnellsten Räumaktionen aller deutschen Großstädte beseitigt. Unter den baulichen Verlusten befanden sich auch viele Palais. Die dicht an dicht liegenden Stadtwohnungen des Adels im Kreuz-, Hackenviertel und Graggenauer Viertel sowie der Maxvorstadt gehörten zu den Juwelen der Architektur und ihr Verlust schmerzt bis heute. Von den 54 in diesem Band erfassten Palais sind lediglich 8 erhalten. Dies liegt zum einen an den genannten Kriegszerstörungen, zum anderen aber auch an den Folgen des Wiederaufbaus in den Nachkriegsjahren. Erwin Schleich, Architekt, Denkmalpfleger und Architekturhistoriker nannte es provokant die »zweite Zerstörung« Münchens: Palais, deren Fassaden noch standen und wiederaufbaubar gewesen wären, wurden im Rahmen der Schutträumung umgelegt und in den 1960er-Jahren fielen unter anderem auch die Profanbauten der Aristokratie Straßenschneisen und anderen städteplanerischen Neukonzeptionierungen zum Opfer. Aber auch die städtische Kommerzialisierung – die Innenstadt bot großzügige Grundstücke mit bis heute steigender wirtschaftlicher Rendite – förderte diese Zerstörungswelle historischer Bausub-
stanz. Denkmalschutz? Den gab es in Bayern gesetzlich erst seit dem 1. Oktober 1973. Die Diskussion um den Wiederaufbau deutscher Städte nach 1945 dauert bis heute an und ist brisanter denn je. Was soll, was muss bewahrt werden, um gerade in Zeiten sich auflösender Grenzen und gesellschaftlicher Umwälzungen kulturelle Identität bewahren zu können? Und: In welcher Form soll dies geschehen? Die Rekonstruktion der Dresdner Frauenkirche oder des Berliner Schlosses, das lange Jahre als Mahnmal verstandene und dann doch wiederhergestellte Armeemuseum in München, die Frage nach dem weiteren Umgang mit dem Zeppelinfeld in Nürnberg … Die genannten Beispiele hatten und haben heftige und kontrovers geführte Diskussionen in der Öffentlichkeit zur Folge. Wie gehen wir mit unserer Vergangenheit um? Was wollen wir für die nachkommenden Generationen transparent erhalten? Was soll Neuem und Kreativem Platz machen, damit Städte ein charakteristisches Gesicht haben können und wir in ihnen mit modernen Ansprüchen emphatisch leben und arbeiten können? Welche Schönheitsideale haben wir dabei? Diese Fragen können nur beantwortet werden, wenn Historisches, und eben auch und gerade Architekturhistorisches, in einen kulturellen, sozialen und politischen Kontext gestellt wird. Dies ist der Ansatz der vorliegenden Dokumentation, die damit eine bislang nicht aufgearbeitete Lücke der Stadtgeschichte Münchens schließt. Im Gegensatz zu den Sakralbauten oder den Schlössern und Residenzen der Wittelsbacher wurden die Prachtbauten des Adels in München mit wenigen Ausnahmen wissenschaftlich bislang vernachlässigt. Sie spiegeln aber mit ihrer Bauhistorie rund 340 Jahre Leben der Stadt wider: die Metamorphose der mittelalterlichen Bürgerstadt zur prachtvollen höfischen Residenzstadt, die Erhebung zum Sitz der bayerischen Könige, den wirtschaftlichen Aufschwung während der »Belle Epoche« der Prinzregentenzeit, das Ende der Wittelsbacher Herrschaft nach Krieg und Revolution und die unheilvolle Zeit als »Hauptstadt der Bewegung«. Architektur, in welcher Gestalt auch immer, ist Teil unserer Erinnerungskultur und damit Teil unserer gegenwärtigen Identität und unserer Zukunft. München, Juli 2016
Prof. Dipl. Ing. Mathias Pfeil Generalkonservator Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege 13
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ünchen ist ein Dorf, in dem Paläste stehen, so spöttelte einst Heinrich Heine (1797–1856) über die Stadt, in der er von 1827 bis 1828 als Redakteur des Cotta Verlags seinen Wohnsitz hatte. Ein wenig sauertöpfisch hört sich dieser Satz an, zumal wenn man weiß, dass Heine gerade zu diesem Zeitpunkt die von ihm sehnlichst erhoffte Stelle als Privatdozent in der Residenzstadt schließlich doch nicht erhalten hatte. Seine spitze Bemerkung spiegelt allerdings treffend wider, in welchem architekturhistorischen Kontext München in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts zu sehen ist. Befreit vom Korsett der mittelalterlichen Festungsanlagen, die die Stadt lange Zeit tatsächlich zu einer Art engem »Dorfleben« gezwungen hatten, brach die Landeshauptstadt nun, unter der Ägide des von Visionen eines neues »Isar-Athens« geleiteten König Ludwigs I. (1786–1868), mit ungehemmter Baulust auf zu neuen städtebaulichen Ufern. Und den Palästen kam dabei eine tragende Rolle zu. Zu allen Zeiten ist Architektur der zu Stein gewordene Ausdruck ihres kulturellen, ökonomischen und politischen Umfelds – zeigt sie doch exemplarisch den Charakter einer Stadt und ihr Selbstverständnis. In diesem Sinne sind auch Palais weit mehr als nur profane Bauten des Adels mit einem funktionalen Zweck. Diesen Zusammenhang aufzuzeigen, mit einem Hauptaugenmerk auf den spezifischen Gegebenheiten Münchens, und dabei neben der Historie der Häuser auch die Biografien ihrer Auftraggeber, Architekten und Bewohner lebendig werden zu lassen, ist Anliegen dieses Buchs. Zum Begriff »Palais« Um Bauformen architekturhistorisch begrifflich einordnen zu können, müssen Lage, Funktion, Größe, Qualität der Ausstattung sowie Auftraggeber beziehungsweise Nutzer der Gebäude bestimmt werden. Dabei gibt es meist vielfältige Übergangsformen, die eine allgemeinverbindliche Definition erschweren. Auch die Benutzung des Begriffs in der heutigen Alltagssprache, losgelöst von seinem architekturhistorischen also auch sozialpolitischen und geschichtlichen Kontext, verhindert oft seine eindeutige Verwendung oder weist ihm gar eine völlig neue Bedeutung zu. Beachtet man diese Prämissen zur Klärung der Begrifflichkeit, so ist ein »Palais« zunächst ein unbefestigter Adelswohnsitz in einer Stadt. Damit ist die Abgrenzung gegenüber einer »Burg« gegeben, die immer mehr oder minder befestigt auf dem Land liegt, wenn es natürlich auch Stadtburgen gibt, wie es in München zum Beispiel die nicht mehr erhaltene Wilhelminische Neuveste (Herzog-Max-Burg) war. Als »Schlösser« hingegen werden in erster Linie Herrscher- beziehungsweise Adelswohnsitze bezeichnet, die zur Zeit ihrer Entstehung außerhalb der Stadtmauern lagen und von den räumlichen Dimensionen entschieden größer sind als ein »Palais« (Schloss Nymphenburg, Schloss Schleißheim). Das deutsche Wort »Palast« ordnet sich in der Bedeutung »schlossähnliches Anwesen« der Größenordnung nach zwischen den Begriffen »Schloss« und »Palais« ein. Der Kupferstecher Johann Stridbeck d. J. (gest. 1716), einer der wichtigsten Chronisten der Münchner Adelspaläste im 17. Jahrhundert, bezeichnete sie als Palatium. 16
Die »Residenz« hingegen als Regierungssitz weltlicher Herrscher konnte wie die Münchner Residenz sowohl innerhalb als auch außerhalb der Stadtgrenzen liegen. Abzugrenzen von den verschiedenen Formen adeliger Wohngebäude ist zum Schluss auch noch die »Villa«, die, in ihrer ursprünglichen Bedeutung als Pendant zum adeligen Stadtwohnsitz, ausschließlich ein kleineres Wohn- oder Lusthaus auf dem Lande gewesen ist. Das Schloss, die Residenz, das Palais, der Palast, die Villa – oft werden diese Begriffe synonym verwendet, in jedem Fall entsprechen sie immer den Vorstellungen einer gehobenen Wohnkultur und gerade Nicht-Adelige waren – wenn sie denn die materiellen Mittel dazu hatten – zu jeder Zeit gewillt, den »Originalen« nachzueifern. Aus genau diesem Grund kommt es dazu, dass das heutige Marketing ganz besonders in der Immobilienbranche diese Bezeichnungen gerne benutzt, um ein Bild von Luxus zu evozieren. Da werden Mehrfamilienhäuser in den Vororten der Städte klangvoll zu ganzen »Palais« erhoben und Baukastenfassaden von kommerziellen Konsumtempeln in Innenstädten mit dieser Bezeichnung aufgehübscht. Und wer kennt nicht das als »Seniorenresidenz« verklausulierte Altersheim? Betrachtet man den französischen Begriff »Palais«, so bezeichnet er ursprünglich ganz eindeutig ausschließlich Stadthäuser des 17. und 18. Jahrhunderts, die von Prinzen und anderen Personen von königlichem Geblüt – und mit wenigen Ausnahmen auch von hohen Geistlichen – bewohnt wurden beziehungsweise Institutionen als Sitz dienten, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Herrscherhaus standen. Als Beispiel hierfür mag die Bezeichnung »Palais de Justice« dienen. Der Begriff zeigt an, dass es sich um kein privates Wohn- oder gar ein Geschäftshaus, sondern um ein Staatsgebäude mit repräsentativem Zweck handelt. Ein nicht von Mitgliedern der Herrscherfamilie bewohntes oder deren Repräsentation dienendes Haus im Stadtbereich – soweit es sich um adelige Besitzer handelt – wird nach französischer Definition generell als »Hôtel particulier« und nicht als »Palais« bezeichnet. In Abgrenzung dazu fallen städtische Privatwohnhäuser des Dritten Standes, des Bürgertums, unter den Begriff »Maison particulière«. Der Begriff »Hôtel particulier« setzt sich zusammen aus dem altfranzösischen Wort »hostel« (aus dem Lateinischen »hospitalis« = »gastlich« kommend) und der französischen Bezeichnung für »privat« (= »particulier«). Damit umfasst diese Bezeichnung sehr präzise die architektonische Funktion dieser Gebäude: Sie mussten der Repräsentation innerhalb des öffentlichen Gesellschaftslebens dienen und gleichzeitig Rückzugsmöglichkeiten für die Familienmitglieder des Hauses bieten. Umgesetzt wurde dieser inhaltliche Anspruch über eine genau geregelte Anzahl, Größe und Anordnung der verschiedenen »Appartements«. Die Räume erhielten über ihre Disposition im Grundriss und über ihre – dieser Anordnung wiederum entsprechenden – Ausstattung eine hierarchische Gewichtung. Die Haupt- und Repräsentationsräume befanden sich gemäß diesem französischen Vorbild, das Mitte des 16. Jahrhunderts entstand und im 18. Jahrhundert das vornehme adelige Stadthaus in ganz Europa bestimmte, im sogenannten Corps de Logis, also dem Mittelteil eines u-förmig angelegten dreiteiligen Gebäudes. Dahinter schloss sich meist eine Gartenanlage an. Später wurde der durch diese Bauweise entstandene KONSTANTIN KÖPPELMANN & DIETLIND PEDARNIG
»Cour d’Entrée« – Eingangshof – des »Hôtel de Guénégaud« im Pariser Marais-Viertel, erbaut 1651 bis 1655 von François Mansart für Jean-François de Guénégaud des Brosses, den Sekretär des Königs.
»Cour d’Entrée« durch einen weiteren, vierten Gebäudeteil zur Straßenseite hin abgeriegelt, in dem dann die Stall- und Küchenräume untergebracht wurden. Im ersten Obergeschoss, der »Beletage« oder dem »Piano nobile«, lag im Zentrum des Gebäudes ein großer Salon. An diesen grenzte direkt das »Appartement de parade« an, das für offizielle Visiten und die Repräsentation des Hauses genutzt wurde. Hier befand sich auch das Paradeschlafzimmer mit einem eigenen Vorzimmer, dem »Antichambre«. Auf der anderen Seite des großen Salons lag das »Appartement de société«, das einen privaten Charakter hatte und der Geselligkeit diente. Die beiden seitlichen Flügel standen jeweils als private Wohnund Schlafräume den Eheleuten zur Verfügung. Diese »Appartements privèes« waren, durch den Innenhof getrennt, spiegelbildlich aufgebaut und verfügten jeweils über ein Schlafzimmer mit Ankleidezimmer sowie Kabinetten, in denen Besucher empfangen werden konnten. Vor jedem Appartement befanden sich ein oder mehrere »Antichambres« – Vorzimmer. Mit dieser Raumdistribution manifestierte sich auch die Auffassung von Ehe im Ancien Régime, der Einführung
Zeit vor der Französischen Revolution 1789 bis 1799. Oftmals hatten königliche oder hochadelige Ehepaare nur so viel Kontakt wie nötig zueinander und die räumliche Trennung von Mann und Frau in zwei separaten Flügeln des Hauses entsprach mit wenigen Ausnahmen den aus politischen, merkantilen oder dynastischen Gründen geschlossenen Verbindungen. Den Begriff der »Familie« hatte die Aristokratie zu diesem Zeitpunkt in der Regel dem Bürgertum überlassen. Erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde diese (Raum-)Ordnung bewusst allmählich aufgelöst und so zog der bayerische König Maximilian I. Joseph (1756–1825) nicht in die Beletage der Münchner Residenz, sondern in das – niedrigere – zweite Obergeschoss, direkt über den Wohnräumen seiner Frau Königin Karoline (1776–1841), um sie auf kurzem Weg über eine Treppe schnell und unkompliziert erreichen zu können. Auch die Wohnräume der Kinder lagen direkt neben denen des Vaters, was einen weiteren Bruch königlich-aristokratischen Wohnens bedeutete, ebenso wie die Tatsache, dass der König kein »Appartement de parade« mehr besaß, wie es das Hofzeremoniell des 18. Jahrhunderts noch unumstößlich vorgesehen hatte. 17
Nur Ludwig I. – auch hier gegen seinen Vater opponierend – kehrte als Einziger wieder zur alten höfischen Tradition des Wohnens im Königsbau der Residenz zurück. Im Folgenden werden gemäß dieser Definition des Begriffs »Palais« als »Hôtel particulier« Münchner Wohnbauten behandelt, die von adeligen Auftraggebern ab dem Ende des 17. Jahrhunderts innerhalb der damaligen Stadtgrenzen sowie im Rahmen der Stadterweiterung ab dem beginnenden 19. Jahrhundert errichtet worden sind und die ursprünglich keine institutionelle Funktion zum Beispiel als Regierungssitz, für Verwaltungsaufgaben oder für kommerzielle Belange innehatten. Dementsprechend findet eine ganze Reihe von Gebäuden keine Berücksichtigung, denen bisher in der Fachliteratur immer wieder der Begriff »Palais« zugewiesen worden ist. Als Beispiel dafür ist stellvertretend das für den Kaufmann Lehmann Bernheimer 1889 bis 1891 errichtete Wohn- und Geschäftshaus zu nennen. Zu Recht gilt das prunkvolle, am Lenbachplatz 3 gelegene sogenannte Palais Bernheimer als Vorläufer moderner Geschäftsgebäude oder Kaufhäuser – es war aber nie als Wohnhaus für einen Adeligen konzipiert und ist auch nicht als solches errichtet worden. Auch das sogenannte Palais Seyssel d’Aix in der Maxvorstadt wurde 1856 für den Kaufmann Carl Rechsreiter errichtet und erst knappe 20 Jahre später, 1874, vom königlichen Kämmerer Edwin Graf von Seyssel d’Aix erworben, der ihm seinen bis heute gebräuchlichen klangvollen Namen gab und damit gleichzeitig das Etikett »Palais«. Seine heutige am französischen Rokokopalais orientierte Gestalt erhielt es in den Jahren 1913 bis 1914 durch die Gebrüder Franz und Joseph Rank. Ein weiteres Beispiel für die nicht immer korrekte Verwendung des Begriffs »Palais« ist das nicht mehr existierende Gebäude an der Ecke der heutigen Perusa- und Theatinerstraße. Eine Tafel der Stadt München erinnert daran, dass sich hier das Palais Perusa befunden habe, in dem 1777 der große Wolfgang Amadeus Mozart musizierte. Um ein Palais im Sinne der getroffenen Definition hat es sich aber nie gehandelt, sondern vielmehr um ein seit dem 17. Jahrhundert öfter umgebautes, größeres Bürgerhaus. Das Gebäude, auf dem auch eine »Bräugerechtigkeit« lag, gehörte ursprünglich dem Kloster Scheyern und wurde 1661 an den kurfürstlichen Bräuverwalter Georg Allmanner verkauft. Im Besitz des kurfürstlichen Rates Carl-Felix Bertrand Comte de la Pérouse (1726–1784) – der Familienname wurde später in »Perusa« geändert – ist das Haus im Vergleich zu seiner langen Geschichte nur für die kurze Zeit von 1758 bis 1770 gewesen und es ist räumlich nie adelig-höfischen Repräsentationspflichten angepasst worden. Grund: Die Perusas besaßen zu diesem Zeitpunkt bereits ein prächtiges großes Familienpalais in der Prannerstraße 1, das den Ansprüchen dahingehend in jeder Hinsicht genügte. In dem bis 1944 erhaltenen Gebäude war nach wechselnden Besitzern von 1809 bis zu seiner Zerstörung im Zweiten Weltkrieg unter anderem die Apotheke der Englischen Fräulein – die sogenannte Englische Apotheke – untergebracht. Gerade Bauten, die an »Nahtstellen« kunsthistorischer (Stil-)Umbrüche beziehungsweise im Umfeld grundlegender politischer oder sozialer Umwälzungen entstehen und von einer bis dahin geltenden Norm oder einem architekturhistorischen Konsens ganz oder ansatz18
Ehemaliges Palais Seyssel d’Aix, Kaulbachstraße 13, heute Sitz des Institut français Munich.
weise abweichen, können helfen, Bautypen zu beleuchten. Um den Wandel der Münchner Palaisarchitektur besonders ab dem Beginn des 19. Jahrhunderts im Rahmen der Stadterweiterung und der damit einsetzenden Immobilienspekulation aufzeigen zu können, werden daher auch beispielhaft einige Wohnhäuser aufgeführt, die nicht oder nur teilweise unter den Begriff eines »Palais« als »Hôtel particulier« einzuordnen sind. Der Stellenwert, den diese Gebäude im Rahmen der Münchner Architekturgeschichte einnehmen, ist unbestreitbar, nicht zuletzt aufgrund ihrer äußeren und inneren Ausgestaltung, die sich dem »Originalvorbild« des Ancien Régime ja stets zu nähern wusste. Der Unterschied zwischen einem Palais im Sinne der getroffenen Definition und einem repräsentativen Stadtwohnhaus wird noch deutlicher, wenn man sich vor Augen führt, welch weitreichenden Umbauten die Gebäude des 17. und 18. Jahrhunderts in München unterzogen wurden, um aus – oftmals mehreren – Bürgerhäusern ein herrschaftliches Gebäude entstehen zu lassen. In verschiedenen Fällen unterblieb aber eine komplette Umwandlung – deren Voraussetzung eine Grundrissveränderung gewesen wäre – oft wohl aus Kostengründen und man gab sich »nur« mit einer dem Zeitgeschmack angepassten Fassade oder anderen entsprechenden prächtigen Dekorationen zufrieden, während in die Substanz des ursprünglichen Gebäudes wenig eingegriffen wurde. So entstanden in München zahlreiche Wohnhäuser im »Palaisgewand«. Gerade bei den kleineren und damit erschwinglicheren Immobilien, deren Besitzverhältnisse aus diesem Grund sehr oft wechselten, war eine eher dem Bürgertum als dem repräsentierenden Adel verpflichtete Grundrissgestaltung üblich KONSTANTIN KÖPPELMANN & DIETLIND PEDARNIG
Perusa-Haus (links) mit im 18. Jahrhundert umgestalteter Fassade. Kupferstich Anton Baumgartner, 1805.
Perusa-Haus mit im 19. Jahrhundert umgestalteter Fassade. 1979 durch einen Neubau ersetzt, heute Engel-Apotheke, Theatinerstraße 45. Fotografie, 1910.
und damit auch eine spätere kommerzielle Nutzung der kleinteiligen Gebäude in gewisser Weise schon vorprogrammiert. Nicht nur an der Raumdisposition, sondern auch an der Gestaltung der Innenhöfe lassen sich die Unterschiede der beiden genannten Gebäudetypen gut ablesen: Der bis zum Zweiten Weltkrieg erhaltene Innenhof des Palais Lerchenfeld entsprach mit seinen laubenartigen Balkonen dem Hof eines typischen Münchner Bürgerhauses und war auch von der Größe her nicht mit den repräsentativen Innenhöfen eines Palais Holnstein, Palais Piosasque de Non oder Palais TörringJettenbach zu vergleichen. Die Unvereinbarkeit eines Brauhauses, einer öffentlichen Apotheke und – wie zum Beispiel im Fall des »Palais« Lamberg – eines großen Papierwarenladens mit dem nach zeremoniellen Regeln angelegten Grundriss eines »echten« Palais liegt auf der Hand. Im späten 19. Jahrhundert tauchte zum ersten Mal die heute noch übliche Vorliebe auf, Gebäude als Palais zu titulieren, die mit dem ursprünglichen französischen Begriff »Hôtel« nichts mehr zu tun haben. Ein Beispiel dafür ist das in den Jahren 1895 bis 1896 von Emanuel von Seidl (1856–1919) erbaute frei stehende »Palais« Matuschka in der heutigen Brienner Straße 28. Hinter der palastartigen Fassade verbirgt sich ein Gebäude, dessen Raumanordnung so konzipiert worden war, sie wie bei allen größeren Privathäusern und Villen der damaligen Zeit, in denen ein großbürgerlicher Lebensstil gepflegt wurde, üblich war. Die Lage der Küche auf derselben Ebene direkt neben dem herrschaftlichen Speisezimmer wäre in einem »Hôtel« vollkommen undenkbar gewesen. Auch das ab 1908 errichtete »Arco-Palais« in der Theatinerstraße 7 – der Nachfolgebau des Palais Rheinstein-Tattenbach – hat mit der ursprünglichen Definition eines Palais nach französischem Typus nichts mehr zu tun. Noch weiter entfernt von der ursprünglichen Definition ist das »Carolinen-Palais« in der Brienner Straße 25. Das von Gabriel von Seidl bis 1905 nach dem Vorbild italienischer Palastbauten der Renaissance errichtete Geschäftshaus beherbergte unter anderem 20 Ausstellungs- und Verkaufsräume des 1895 von Kaiser
Wilhelm II. zum »Königlich-bayerischen Hofantiquar« ernannten Julius Böhler, der seine mit dem Titel verbundene Stellung als eine der besten Adressen des Münchner Kunsthandels auch durch ein entsprechendes Anwesen dokumentiert sehen wollte. Die heutige Bezeichnung des Gebäudes als »Palais« ist dabei ebenso falsch wie die des nachbarlichen Neubauklotzes – Brienner Straße 27 – als »Palais am Obelisken« an Stelle des nach dem Zweiten Weltkrieg eliminierten Palais Oettingen-Wallerstein. Zugunsten eines besseren Leseflusses werden im Weiteren die Namen aller Palais ohne Parenthesen wiedergegeben, auch wenn sie der hier getroffenen Definition eines »Palais« nicht oder nur in Teilen entsprechen.
Einführung
Das Münchner Palais im Kontext der Stadtentwicklung Die älteste Ansicht der Stadt München bietet ein Holzschnitt aus der 1493 in Nürnberg gedruckten Weltchronik »Liber chronicarum opus de temporibus mundi« von Hartmann Schedel. Man sieht deutlich den doppelten, insgesamt circa 4 Kilometer langen Mauerring, der – verstärkt durch einen bis zu 30 Meter breiten und 4 Meter tiefen Wassergraben – die Stadt umschloss. Bis 1787 würde diese gewaltige, mehrmals erweiterte Festungsanlage zum Schutz ihrer Einwohner Bestand haben und gleichzeitig maßgeblich die Nutzung und Bebauung der darin befindlichen Flächen beeinflussen. Obwohl München bereits 1328 kaiserliche Residenzstadt geworden war, bestimmte bis ins späte 15. Jahrhundert nicht etwa der Landesfürst die städtebauliche Entwicklung, sondern das Münchner Patriziat. Selbstbewusst organisierte es sein blühendes Gemeinwesen selbst und verlieh mit einer regen Bautätigkeit dem wirtschaftlichen Reichtum ein Gesicht. Höhepunkt dieser kommunalen Macht waren sicherlich, neben den vielen stattlichen Wohnhäusern der Bürger, der vom Rat der Stadt in Auftrag gegebene gewaltige Neubau der Frauenkirche (1494 eingeweiht) und das 1470 / 80 errichtete Tanz- und Rathaus. Für die Zeit vor 1550 lassen sich im gesamten Stadtgebiet lediglich ganze zwei adelige Hausbesitzer nachweisen. 19
Erster und Zweiter Weltkrieg Der Boom des gründerzeitlichen Münchens ging mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 zu Ende. Wirtschaftliche Rezession und eine Umwälzung der politischen Verhältnisse waren seine Folgen. »Der Adel ist abgeschafft« heißt es lapidar in der Verfassungsurkunde des Freistaates Bayern vom 14. August 1919 und 738 Jahre Wittelsbacher Herrschaft waren damit zu Ende. Bezeichnenderweise sollte dabei einem der größten damaligen Münchner Palais, dem Wittelsbacher Palais, eine entscheidende Rolle zukommen, was nicht verwundert, war es doch markantes und unübersehbares Symbol einer überkommenen Zeit. Das Ende der Monarchie bedeutete auch das Ende der Palaisarchitektur in München. Den alten »Herren« folgten bald neue und es setzte das ein, was der Architekt und Denkmalpfleger Erwin Schleich 1978 provokant als das Vorspiel zur Zweiten Zerstörung Münchens bezeichnete. Mit ihrer Machtergreifung begannen die Nationalsozialisten ab 1933 systematisch die Kunstmetropole an der Isar an ihre ästhetischen und machtpolitischen Ansprüche anzupassen. Der Abriss des Herzog-Max-Palais an der Ludwigstraße im Jahr 1937 zugunsten eines monströsen Bankneubaus, der Abriss des Seitenflügels des Prinz-Carl-Palais, die Sprengung der Synagoge in der Herzog-Max-Straße 7 im Juni 1938 und der Abriss der Matthäuskirche in der Sonnenstraße im gleichen Jahr seien hier als exemplarische Beispiele für die Vernichtung historischer Bausubstanz genannt, die dem »neuen« München als »Hauptstadt der Bewegung« architektonisch beziehungsweise ideologisch im Wege standen. Dass die Pläne Adolf Hitlers für einen großflächigen Umbau der Stadt mit monumentalen Prachtbauten und Denkmälern im Sinne einer »germanischen Tektonik« nicht verwirklicht wurden, verhinderte nur das Ende des Zweiten Weltkriegs. Als die Amerikaner 1945 in München einmarschierten, waren 6000 Menschen durch alliierte Bombenangriffe ums Leben gekommen und von den 9000 jüdischen Bürgerinnen und Bürgern, die noch im Jahr 1936 in München wohnten, 84 am Leben. 300 000 Menschen waren ohne Obdach, denn von neun Stadtbezirken waren mehr als die Hälfte komplett vernichtet, die Altstadt zu 60 und Schwabing zu 70 Prozent. Lediglich 2,5 Prozent aller Wohnungen blieben unbeschädigt, beinahe alle historisch und kunsthistorisch bedeutenden Altstadtkirchen waren Ruinen, ebenso die Residenz, das Nationaltheater, die Herzog-Max-Burg und nahezu alle der bis dahin noch erhaltenen Palais im Kreuzviertel. Es ist schon eine bittere Ironie der Geschichte, dass gerade die unter Tarnnetzen verborgenen »Ehrentempel« der Nationalsozialisten am Königsplatz die Angriffe unbeschadet überstanden hatten, während die Maxvorstadt von der Zerstörung schwer betroffen war. Die zweite Welle der Vernichtung von historischer Bausubstanz erfolgte in den Wiederaufbaujahren nach dem Zweiten Weltkrieg, als bei der Enttrümmerung nicht nur der Schutt beseitigt wurde, sondern auch viele durchaus wiederherstellbare Ruinen wertvollster Münchner Baudenkmäler rigoros abgeräumt wurden. Von den zahllosen Münchner Palais geben heute nur noch wenige Reste Zeugnis. Bis weit in die Zeit des Stadtumbaus der 1960er- bis 1970er-Jahre reichte dieser zerstörerische Umgang mit der Historie aus Stein. Erst Einführung
Hitlers »neues München«: die geplante Ost-West-Achse zwischen Karlsplatz und neuem Hauptbahnhof bei Laim (am Ende der Achse), flankiert von den Turmbauten des KDF-Hotels und des Eher Verlags. Holzmodell Hermann Giesler, 1939 / 40.
ein langsam erwachendes, breites Bewusstsein der Öffentlichkeit dafür verhinderte schlimmeren Kahlschlag, wie etwa den Abbruch des Karlstors am Stachus. Allerdings ist dieses aus heutiger kunsthistorischer Sicht und gemäß den Ansprüchen des Denkmalschutzes oftmals nicht nachvollziehbare radikale Vernichten von historisch wertvoller, erhaltbarer Substanz differenzierter zu beleuchten. Der Abstand von mehr als 70 Jahren kann die katastrophalen (Lebens-) Umstände der »Stunde null« neu reflektieren und die Folgen für den Städtebau der Nachkriegsjahre dementsprechend neu bewerten. Die erlittenen architektonischen Verluste sind nach wie vor ein entsetzlicher, unwiederbringlicher Kulturverlust, aber auf keinen Fall sind Trümmerbeseitigung, Wiederaufbau und modernes Bauen in einen Topf zu werfen. Dennoch sind Stimmen wie die von Erwin Schleich zu würdigen, die sich als Architekten in der Verantwortung für historisch Gewachsenes gesehen haben und gleichzeitig den Wohnansprüchen einer modernen Zeit gerecht zu werden versuchten. »München wird schöner« Von den furchtbaren Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs ist heute nichts mehr zu sehen, aber die Debatte um die architektonische Zukunft Münchens und das Ringen um das Selbstverständnis und die Identität der Stadt halten auch nach 71 Jahren noch an. Sichtbeton, Stahl und Glas gegen Erker und Giebel? Moderne gegen Konservativismus? In den 1950er-Jahren gelang es wohl am ehesten Sep Ruf, diesen unproduktiven Dualismus der Begriffe aufzubrechen und trotz des in München herrschenden konservativen Lokalgeistes neue Wege in der Architektur zu gehen. Bestes Beispiel dafür ist seine Interpretation der bis auf einen Turm völlig zerstörten Herzog-Max-Burg mit einem Neubau 1954 bis 1957 an gleicher Stelle, der Entscheidendes tut: Nach der Zeit nationalsozialistischer Willkürherrschaft macht er politisches Geschehen im wahrsten Sinne des Wortes über Architektur wieder »öffentlich« und setzt die vom Boden bis zur Decke geöffneten Gerichtssäle der Neuen Maxburg in ihrer gläsernen, lichtdurchfluteten Leichtigkeit und Transparenz dem monumentalen, in Sichtweite gelegenen gründerzeitlichen Justizpalast entgegen. 25
Die Bombentreffer des Zweiten Weltkriegs haben das Areal um die beinahe unversehrt gebliebene Theatinerkirche schwer getroffen. Fotografie, nach 1944.
Bis heute kommt dem Gebäude nicht die Bedeutung zu, die es verdient. Architektur schaffte es hier, mit der ihr eigenen Sprache ein historisches und ein modernes Gebäude in einen lebendigen Dialog zueinander zu setzen, ohne Gewachsenes zu verdrängen oder gar zu zerstören. In Bayern trat ein Denkmalschutzgesetz erst sehr spät in Kraft. So konnte seit den 1960er-Jahren bis 1973 ein Prozess in Gang gesetzt werden, der rücksichtslos alte Bausubstanz vernichtete und Erhaltenswertes beseitigte – obwohl die Beschädigungen der Gebäude nicht gravierend waren oder ein Abriss aus statischen Gründen nicht nötig gewesen wäre. Exemplarisch für diese Vorgehensweise sei hier das Wittelsbacher Palais genannt, das nach Kriegsende dem Erdboden gleich gemacht wurde, obwohl der Westteil durch Bomben nur wenig beschädigt worden war. Eine »Diktatur des Unverstandes« nannte dies empört Erwin Schleich, ein Architekt, dem München viel verdankt, wenn es um behutsame und gelungene Restaurierung und Revitalisierung von historischer Bausubstanz geht. Das Palais Preysing II gegenüber der Residenz gäbe es nicht mehr und die Fassade des im Krieg schwer zerstörten Palais Neuhaus in der Prannerstraße wäre ohne ihn auch verschwunden. In diesem Zusammenhang wird gerade und insbesondere auf die nationalsozialistische Vergangenheit vieler Palais hinzuweisen sein und welche Art von »Erinnerungskultur« Nachkriegsmünchen mit diesen Gebäuden gepflegt beziehungsweise nicht gepflegt hat. Das vorliegende Buch wird auch diesen Teil der Münchner Stadtgeschichte aufzeigen. »München wird schöner« – diesen Slogan sah man in München nach 1945 oft auf Bautafeln und wenn man heute vor dem ehemaligen Palais Törring-Jettenbach an der Ecke Max-Joseph-Platz / Residenzstraße vor dem 2013 dort errichteten »Palais an der Oper« steht, mag man vielleicht an dieser Zukunftsprognose (ver-)zweifeln. Es sollen aber nicht die Beispiele für gelungene »Rettungsmaßnahmen« von historischer Bausubstanz fehlen und so werden Palaisrenovierungen, die den Spagat zwischen Denkmalschutz und Nutzeranliegen geschafft haben, ebenfalls ihre Würdigung finden.
Die Herzog-Max-Burg vom Lenbachplatz aus gesehen vor ihrer Zerstörung im Zweiten Weltkrieg. Ansichtskarte, o. J.
Einführung
Not macht erfinderisch: regionale Besonderheiten der Münchner Palaisarchitektur Die Beengtheit der städtebaulichen Situation in München durch die Festungsanlagen verhinderte bis zum ausgehenden 18. Jahrhundert, dass die richtungsweisende französische Architekturtheorie dieser Zeit einfach übernommen werden konnte. In Paris hatte man bereits ein Jahrhundert zuvor, unter Louis XIV., die als anachronistisch empfundenen Stadtbefestigungen entfernt. An ihrer Stelle waren breite Straßen mit dekorativen Triumphbögen getreten, die mit den einstigen martialischen Festungstoren nichts mehr gemein hatten. So wurde schon früh eine großzügige Stadtentwicklung ermöglicht, die weit über die damaligen Stadtgrenzen der französischen Metropole hinausging. Innerhalb der mittelalterlichen Mauern Münchens herrschte bis 1796 drangvolle Enge. Folglich waren die Palais nicht freistehend und besaßen alle bis auf wenige Ausnahmen keine Gartenanlage – ganz im Gegensatz zu den französischen Vorbildern. Selbst Herzog Maximilian I. musste 1613 für die Anlage des »Hofgartens« seiner Münchner Residenz über die vorhandene Befestigung hinausgehen. Im Gegensatz zu vielen anderen deutschen Residenzstädten wie Rastatt, Mannheim oder Karlsruhe handelte es sich in München auch nicht um eine auf dem Reißbrett entworfene Stadtanlage, sondern eben um ein – ähnlich wie Paris – über viele Jahrhunderte gewachsenes und wegen des mittelalterlichen Ursprungs sehr beengtes Gefüge, das größere und regelmäßig geplante Neubauten aufgrund der engen Grenzen der Stadtbefestigungen praktisch nicht zuließ. Das Palais unterschied sich daher in München vom Bürgerhaus eigentlich nur dadurch, dass es die zwei- bis dreifache Grundfläche von ihm benötigte, um an der Hauptfassade über eine etwas stattlichere Anzahl von Fensterachsen zu verfügen und sich auf diese Weise wenigstens optisch von der bürgerlichen Konkurrenz abgrenzen zu können. Neue Gebäude konnten in der Regel immer nur auf den vorhandenen, oft extrem unregelmäßigen Parzellen errichtet werden. Wollte man darüber hinaus bauen, mussten dazu die Nachbargrundstücke erworben werden.
Die Neue Maxburg von Sep Ruf und Theo Pabst. Der erhaltene Renaissanceturm des Vorgängerbaus ist freistehend integriert. Ansichtskarte, um 1960.
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PALAIS FUGGER (PALAIS PORTIA) Kardinal-Faulhaber-Straße 12, Kreuzviertel, Fassade erhalten erbaut 1694–95 Philipp Zwerger nach Plänen von Henrico Zuccalli 1731–37 Umgestaltung der Fassade und Neudekoration von mehreren Innenräumen (François de Cuvilliés d. Ä.) 1819–20 Einbau eines Konzertsaals im zweiten Stock des Rückgebäudes (Jean Baptiste Métivier / Leo von Klenze) 1900–02 Umgestaltung des Konzertsaals und umfassende Innenrenovierung ab 1934 im Besitz der Bayerischen Vereinsbank 24. / 25.4.1944 Luftangriff; bis auf die Fassade weitgehend zerstört 1950–52 Wiederherstellung der Fassade, dahinter Neubau (Carl Sattler) 2009 Fassadenpreis der Stadt München
Frauenpower Die einzige erhaltene Fassade, die eine halbwegs greifbare Vorstellung vom Aussehen der Münchner Palais wiedergeben kann, wie sie im Frühbarock, an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert, entstanden sind und prägend für die weitere Entwicklung dieses Gebäudetypus in der Residenzstadt waren, ist die des Palais Fugger in der Kardinal-Faulhaber-Straße 12, ehemals Promenadestraße 10. Die Bombenangriffe des Zweiten Weltkriegs haben fast die gesamte Gebäudesubstanz vernichtet und auch der Hauptfront schwere Schäden zugefügt. Im Gegensatz zu vielen anderen Münchner Palais wurde diese aber in den Jahren nach 1945 nicht planiert, sondern sorgfältig wiederhergestellt.
Erstaunlich gut dokumentiert ist im Unterschied zu den meisten anderen Münchner Palais des 17. Jahrhunderts auch seine Entstehungsund Baugeschichte und ermöglicht daher – unter anderem aufgrund erhaltener Pläne Zuccallis – einen Einblick in eine ganze Reihe von orts- und zeittypischen Besonderheiten, die wesentlich sind für den Bautypus des Palais in seiner Münchner Ausprägung. Als der Adel – auch im Sog der in den Jahren zwischen 1593 und 1596 errichteten Herzog-Max-Burg – zu Beginn des 17. Jahrhunderts allmählich begann, sich für das Kreuzviertel zu interessieren, entdeckte man die Chance, hier nicht nur selbst residenznah und damit karrierefördernd wohnen, sondern gewinnbringend investieren
Herrn Oberst Hof-Meisters Hrn Gr[af]: Fuggers Palatium (ganz links) in der Pranger Gassen. Noch ist die blockhaft-geschlossene Gestaltung der Fassade ganz dem Formenkanon der Spätrenaissance verpflichtet. Kupferstich Johann Stridbeck d. J., um 1700.
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Grundriss Erdgeschoss des unmittelbaren Vorgängerbaus des Palais Fugger mit den in verschiedenen Farben eingezeichneten ehemaligen Einzelhäusern. Umzeichnung Konstantin Köppelmann, 2014, nach einem Grundriss von Henrico Zuccalli, 1693.
zu können. Nach dem Aufkauf von nebeneinanderliegenden kleineren Anwesen und deren Zusammenlegung konnte man relativ sicher sein, später einen finanzkräftigen Abnehmer zu finden, der bereit war, einen guten Preis für diese Immobilien zu zahlen. Solche Anund Verkäufe sind akribisch in den auf der Grundlage von originalen Kataster- und Grundbucheinträgen 1966 bis 1977 vom Stadtarchiv München herausgegebenen sogenannten Häuserbüchern festgehalten. Sie bilden eine unschätzbare Hilfestellung bei der doch oft äußerst komplizierten Zuordnung der Gebäude zu ihren wechselnden Besitzern. In der ehemaligen Vorderen Prandas-, Pranger- oder Prandersgasse – später Kapplerbräugasse, bis 1952 Promenadestraße, heute Kardinal-Faulhaber-Straße – befanden sich ursprünglich drei eher schmale und niedrige Traufhäuser, die man auf dem Stadtmodell Münchens von Jakob Sandtner aus der Zeit um 1570 gut erkennen kann. 1622 wurden diese zusammen aufgekauft und drei Jahre später zu einem einzigen Gebäude vereint. 1629 erwarb es der kurfürstliche Truchsess Hanns Sigmund Graf Ahaim – wobei man vermutlich davon ausgehen kann, dass es auch dem Grafen eher weniger um das im Kern sicher noch spätgotische und ziemlich amorphe Konglomerat von Gebäudeteilen ging, sondern vorrangig erst einmal um die äußerst begehrte Lage des Grundstücks. Ein Grundriss des Erdgeschosses von Henrico Zuccalli, der im Zusammenhang mit einem Palastneubau an dieser Stelle Anfang des Jahres 1694 entstanden ist, erlaubt einen guten Einblick in die ursprüngliche Struktur der mittelalterlichen Vorgängergebäude. Noch klar zu erkennen sind die drei einzelnen, ehemals nebeneinander liegenden Palais Fugger
Häuser, die durch dicke Brandmauern getrennt waren. Bei der Zusammenlegung um 1625 sind diese vermutlich einfach mit verschiedenen Türdurchbrüchen versehen worden, wobei in die innere Struktur der einzelnen Gebäudeteile, die noch ganz der eines Bürgerhauses entsprach, vermutlich wenig eingegriffen wurde. Die einzige Ausnahme bildete dabei der offensichtlich von einer umlaufenden Galerie gesäumte Innenhof, der die beiden nördlicheren Gebäude verband. Die eigentliche Geschichte des Hauses beginnt im Oktober 1693, als Anna Maria Katharina Gräfin von Fugger zu Kirchberg und Weißenhorn der Witwe des Grafen Ahaim das gesamte Anwesen abkaufte und sich noch im gleichen Jahr dazu entschloss, hier für sich und ihren Mann aus eigenen Mitteln einen großzügigen Neubau zu errichten. Und natürlich sollte es ihr Landsmann, der aus dem welschen Graubünden stammende Henrico Zuccalli sein, der als angesehener kurbayerischer Oberhofbaumeister dieses ambitionierte Vorhaben umsetzen sollte. Gräfin Fugger hatte gerade einer in diesem Jahr geborenen Tochter Zuccallis Patin gestanden … Die Bauführung wurde dessen Schüler und langjährigen Mitarbeiter und Palier, Philipp Zwerger, übertragen, der wohl weitgehend selbstständig arbeitete, da sein Meister 1695 eine weite Reise nach Brüssel unternahm, von der er erst Ende des Jahres zurückkehrte. Die als Giovanna Anna Maria Caterina Marchesa di San Germano Franca San Martino d’Agliè in Turin geborene neue Besitzerin stammte aus altem savoyischen Adelsgeschlecht und war als eines von elf Kindern schon mit 14 Jahren zum Cammer Freylein der ebenfalls aus Savoyen stammenden Kurfürstin Henriette Adelaide aufgestiegen. In einem der wenigen noch erhaltenen Innenräume der Münchner Resi137
denz aus der Zeit von Kurfürstin Henriette Adelaide ist ein hübsches Bildnis im Fries unterhalb der Decke erhalten, dass die Marquise de Saint Germain – wie sie sich der italienisch-französischen Tradition ihrer Heimat Savoyens geschuldet auch nannte – zusammen mit zwei weiteren Damen aus dem Hofstaat der Kurfürstin porträtiert. Auch die Marquesa nutzte den Hofdienst als Heiratsmarkt und ihre 1667 geschlossene Ehe mit dem 19 Jahre älteren Maximilian Ferdinand Graf von Törring-Seefeld ließ sie zum Mitglied einer der führenden Familien Bayerns werden. Sie gebar in Folge acht Kinder, von denen vier das Erwachsenenalter erreichten. Ihr Ehemann gehörte später ebenso wie Louis Bertrand Comte de la Pérouse, der Eigentümer des nahe gelegenen Palais Perusa I in der Kardinal-Faulhaber-Straße 1, zu den engsten Vertrauten des gut eine Generation jüngeren Kurfürsten Max Emanuel, dem Sohn Kurfürstin Henriette Adelaides, und begleitete diesen als Oberhofmarschall auch auf dem zweiten Feldzug gegen die Türken von 1683. Wie Comte de la Pérouse kehrte er von diesem aber nicht mehr zurück. Unmittelbar nach dem Tod des Grafen schrieb der Kurfürst eigenhändig an die Witwe, das er heund in der Fruehe nach zuegestandtenem Schlagfluß, den doch der Medicus für so gefehrlich nit gehalten, zeitlichen Tods verblichen. Posthum hat ihn Jacopo Amigoni (1675–1752) auf einem Ölgemälde verewigt, das er 1723 unter dem Titel »Max Emanuel empfängt die türkische Gesandtschaft im Lager von Belgrad im Jahre 1688« ausgeführt hat. Es zeigt den jungen Kurfürsten und Oberbefehlshabers auf einem Thronsessel, in dem für ihn charakteristischen blauen bayerischen Rock, stolz als Besieger der osmanischen Truppen posierend. Im Hintergrund die Umrisse des eroberten Belgrad, ihm zu Füßen der weißbärtige türkische Botschafter des Sultans Süleyman II. und sein Dolmetscher. Hinter dem Kurfürsten stehen die Vertreter des bayerischen Hochadels, von links nach rechts Georg Peter Franz Freiherr von Sandizell, Franz Joseph Graf von Törring-Jettenbach (Vater des Palais Törring-Jettenbach-Erbauers), Maximilian Ferdinand Graf von Törring-Seefeld, der zum Zeitpunkt der Schlacht bei Belgrad bereits fünf Jahre verstorben war, Johann Maximilian III. Ferdinand Felix Graf von Preysing (Vater des Palais Preysing II-Erbauers) und Feldmarschall Johann Baptist Graf von Arco, im auffälligen roten Rock, der sich beim Sturm auf Belgrad mit dem Anführen eines Heeresflügels militärisch ausgezeichnet hatte. Dieses rare Dokument charakterlicher Porträtkunst zeigt damit quasi die Vätergeneration der Bauherrn der prachtvollen barocken Palaisarchitektur in München. Gut zwei Jahre nach dem Ableben ihres ersten Gatten heiratete die Gräfin 1685 ein zweites Mal. Der Auserwählte war Paul Fugger Reichsgraf von und zu Kirchberg und Weißenhorn. Er stammte über eine Nebenlinie in fünfter Generation vom Bruder des berühmten Jakob Fugger – dem reichsten Mann der Weltgeschichte – ab. Er war, wie alle Fugger zu diesem Zeitpunkt, fest im deutschen Reichsadel integriert, obwohl seine durch ihre außergewöhnlichen monetären Verhältnisse hoch aufgestiegene Familie im Vergleich zu den d’Agliè als Emporkömmlinge angesehen wurde. Wie auch die Gräfin verwitwet, brachte Paul Fugger insgesamt elf Kinder mit in die Ehe, von denen allerdings zwei Töchter schon im Kloster untergebracht worden Palais Fugger
Anna Maria Gräfin von Törring-Seefeld. Rechts oben ihre Familienwappen, das der Törrings mit den charakteristischen drei roten Rosen (links) und das der d’Agliè.
waren. Die beiden ältesten Söhne bereiteten ihrem Vater offensichtlich keine große Freude, denn im Testament von 1699 gehen beide Erbberechtigten leer aus – der eine wegen Verschwendungssucht und der andere wegen lüderlichen Lebenswandels. Die zweimal verheiratete Gräfin – die zweite Ehe blieb kinderlos – scheint vielleicht auch gerade wegen ihrer vielschichtigen Familienverhältnisse ihre eigenen Finanzen fest in der Hand gehabt zu haben und muss wohl eine recht resolute und umsichtige Geschäftsfrau gewesen sein, der man so leicht nichts vormachen konnte. So bestand nach dem Tod ihres zweiten Mannes im März 1701 noch immer eine offene Forderung über 10 000 Gulden an den Verblichenen, die schließlich, nach komplizierten Erbauseinandersetzungen, 1702 mit der Übereignung der noch vom Ehemann gekauften Hofmark Haidhausen beglichen wurde. Als sie das ump ihr paares Gelt erworbene – und sogleich von Henrico Zuccalli völlig umgebaute – Anwesen des Grafen Ahaim 1710 an ihr achtes Kind aus erster Ehe, Philipp Joseph von Törring-Seefeld übertragen ließ, stellte sich anlässlich der erst 1721 erfolgten Beurkundung eine Überraschung heraus: Das Haus war fälschlicherweise in den Grundbüchern auf den Namen ihres verstorbenen zweiten Gatten eingetragen worden. Energisch verlangte die inzwischen schon 70-jährige Gräfin daraufhin die sofortige Korrektur der Eintragung, da sie schließlich nachweislich das dermahlen stehente neue Gebeu und Haus von ihren aignen Mitlen aufgefiehrt und erbauet habe! Eine am Palais Fugger angebrachte Tafel zeigt den nach über 300 Jahren immer noch nicht korrigierten »Fehler« dieser Grundbucheintragung. 139
»Das Krumme mach grad« – Italienischer Erfindungsreichtum Als Henrico Zuccalli 1693 unmittelbar nach dem Erwerb des Grundstücks von Gräfin Fugger beauftragt wurde, mit der Planung einer neuen Vierflügelanlage an Stelle des verschachtelten Altbestandes zu beginnen, stellte sich ihm eine ganze Reihe von Problemen. Das Grundstück war – wie eigentlich alle Grundstücke in der Münchner Altstadt – nicht rechtwinklig, sondern glich eher einem unregelmäßigen Trapez. Erschwerend kam hinzu, dass die beiden auch noch unterschiedlich schrägen Seiten ausgerechnet an der Vorder- und Rückseite des Baugrunds lagen. An der geplanten westlichen Hauptfront betrug die Abweichung hier auf einer Länge von 24 Metern immerhin fast 5 Meter und hatte zur Folge, dass kein einziger Raum dahinter rechtwinklig war. Auch die Tatsache, dass die Architekten von den Bauherrn der damaligen Zeit sehr oft dazu angehalten wurden, den Altbestand nicht einfach abzureißen, sondern aus finanziellen Gründen versuchen sollten, möglichst viel in einen Neubau zu übernehmen, legte einer ungehemmten künstlerischen Kreativität dann doch deutlich Zügel an. Die gesamte große Münchner Architektenriege des 18. Jahrhunderts hatte mit diesem Problem immer wieder ihre liebe Not … Der Grundriss, den Henrico Zuccalli schließlich aufgrund der beschriebenen Gegebenheiten entwickelte, weist eine Reihe von verblüffenden und ebenso pragmatischen Einfällen auf, mit denen er
die vorhandenen Schwierigkeiten äußerst elegant in den Griff bekam. Zuccalli übernahm zunächst die im Inneren immer noch vorhandene Dreiteilung der Vorgängerbauten und konnte dadurch tragende Wände und Fundamente wiederverwenden – was die Kosten für nötige Arbeiten und Baumaterial erheblich reduzierte. Beim Vergleich von Zuccallis 1693 angefertigtem Grundrissentwurf für das Erdgeschoss mit der wohl kurz davor entstandenen Bauaufnahme des Vorgängerbaus fällt sogleich die ganz ähnliche dreiteilige Disposition auf, die in großen Zügen die Dimensionen des westlichen Teils vom Vorgängerbau übernimmt. An der schief verlaufenden Hauptfassade, hinter der in den oberen Stockwerken die Repräsentationsräume des neuen Palais vorgesehen waren, wurde die unschöne Schräge elegant durch unterschiedliche Mauerstärken ausgeglichen. Zwar hatten nun im Erdgeschoss die Portalöffnung und alle Fenster auf dieser Seite des Gebäudes unterschiedlich tiefe Laibungen, dafür wiesen aber auf diese Weise die dahinterliegenden Haupträume absolut regelmäßige Raumformen auf. Dem rechten Winkel war also Genüge getan. Im Inneren des Gebäudes gab es praktisch keine Auffälligkeiten mehr und nur ein von der Hauptfassade her eintretender aufmerksamer Besucher bemerkte vielleicht noch, dass die hinter dem Hauptportal liegende rechtwinklige Eingangshalle im Bezug zur Fassade deutlich »nach links abknickte«. In Wirklichkeit war es allerdings genau andersherum: Die Fassade verlief schräg und das gesamte Gebäude dahinter war wenigstens im Inneren soweit wie
Grundriss Erdgeschoss Palais Fugger. Umzeichnung Konstantin Köppelmann, 2014, nach einem Entwurf von Henrico Zuccalli.
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Westliche Seite des Innenhofs des Palais Fugger mit dem Zugang zur Eingangshalle. Fotografie Georg Pettendorfer, 26. September 1919.
möglich begradigt worden. Um diesen Schönheitsfehler weiter zu verschleiern wurden daher als letzter Kunstgriff die beiden rahmenden Portalsäulen mit ihren Postamenten und auch die Portalrahmung selbst schräg gestellt und entsprechend an die Fluchtlinie der dahinterliegenden Eingangshalle angeglichen. Das neue Rückgebäude verschob Zuccalli bis fast ganz an die östliche Grundstücksgrenze und reduzierte die ehemals hier liegende unregelmäßige Freifläche auf einen winzigen schmalen Streifen. Dafür gewann er aber einen sehr respektablen, nahezu quadratischen Innenhof zwischen den fast gleich großen Vorder- und Rückgebäuden des Palais, die durch zwei deutlich weniger tiefe Seitentrakte verbunden wurden. Nach dem Betreten des Gebäudes gelangte man zunächst in die sehr geräumige einschiffige Eingangshalle, die die gesamte Tiefe des Vordergebäudes einnahm und ursprünglich nach Osten zum Innenhof hin offen gewesen ist. Die Seitenteile des in Form einer gedrückten Serliana mit paarweise gekoppelten Säulen angelegten Hofausgangs wurden später geschlossen und dem Mittelteil wurde ein Portal eingefügt – das Münchner Klima hatte sich vielleicht als eben doch
Palais Fugger
nicht so ganz kompatibel mit einer eher luftigen italienischen Bauweise erwiesen … Um den Hof herum waren im Erdgeschoss, dem Piano terreno des Rückgebäudes, wie es Zuccalli bezeichnete, alle wichtigen Wirtschafts- und Verwaltungsräume angelegt, die für den Betrieb eines großen herrschaftlichen Hauses nötig waren. In der nördlichen Hälfte des durch einen schmalen Durchgang in zwei Hälften geteilten Rückgebäudes befand sich die große Cocina, also die Küche, mit den entsprechenden Nebenräumen. Auf der anderen Seite lagen die für immerhin 14 Pferde ausgelegten Stallungen. Die im Erdgeschoss zum Hof hin offenen Arkaden des nördlichen Seitenflügels waren vermutlich als Remisen für Kutschen und Wagen vorgesehen, während im südlichen Seitenflügel ein Laubengang angelegt wurde, über den gleichzeitig auch die Stallungen erreicht werden konnten. Am östlichen Ende des Durchgangs in der Mitte des Rückgebäudes war in der das Grundstück abschließenden Rückwand eine elegante Brunnennische vorgesehen, die als Blickpunkt vom Eingang aus diente und das Gebäude dadurch optisch erweiterte.
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Längsschnitt Palais Fugger mit Blick nach Süden. Neben den offenen Arkaden der Verbindungsflügel und dem offenen Hofausgang der Eingangshalle ist auch der im zweiten Stockwerk noch zweigeschossig geplante große Festsaal im Vordergebäude (rechts) zu erkennen. Entwurf Henrico Zuccalli, 1693.
Zusammen mit den offenen Erdgeschossarkaden der Seitenflügel und der ebenfalls zum Hof hin offenen Eingangshalle muss die gesamte Anlage ehemals einen sehr italienischen Flair verströmt haben – entsprach sie doch in mancher Hinsicht den typischen Eigenheiten vieler italienischer Stadtpaläste mit ihren durch offene Bogengänge gesäumten Innenhöfen, Loggien und säulengerahmten Wandbrunnen. Auch die Behandlung der Fensterverdachungen im ersten Stockwerk der Fassaden des Innenhofs, bei der Dreiecks- und Segmentgiebel einander abwechseln, waren ganz offensichtlich von der Architektur der italienischen Heimat Henrico Zuccallis und seiner Auftraggeberin inspiriert. Von der Eingangshalle im westlichen Hauptgebäude aus, die der Grundfläche des mittleren der drei ursprünglich auf dem Grundstück stehenden Häuser entsprach, erreichte man rechter Hand durch einen offenen Torbogen das um einen Schacht herum angelegte, auf kräftigen Pfeilern ruhende große Haupttreppenhaus. Die einläufige Anlage mit jeweils zwei Wendepodesten zwischen den Etagen lief durch alle Stockwerke und hatte am oberen Ende einen direkten Zugang zu dem im zweiten Stock liegenden Empfangs- und Festsaal des Gebäudes. In der ursprünglich geplanten Form wäre dieser Hauptraum des Gebäudes zweigeschossig ausgeführt worden. Damit hätte der Hauptfassade noch ein dreiachsiger Dachstock aufgesetzt werden müssen, um die Höhendifferenz zu allen anderen Räumen dieses Stockwerks auszugleichen. Vermutlich aus Kostengründen beschränkte man sich allerdings in der Ausführung auf die viel simplere eingeschossige Version des Saales. Aus dem selben Grund war an der Hauptfassade auch der von einem Giebel gekröne Dachstuhl samt den beiden spielerisch rahmenden Zwerchhäusern hinfällig.
Die Grundrisse des Piano nobile (erste Etage) und des Piano de mezzanilli (zweite Etage) waren ursprünglich weitgehend identisch geplant worden und wurden erst später verändert. Streng genommen kann man dabei Vorder- und Rückgebäude als zwei getrennte, und nur durch Galerien verbundene Bauteile sehen, denn auch das Rückgebäude verfügte über ein zwar deutlich kleineres, aber dennoch das gesamte Gebäude erschließende Treppenhaus und war daher vom Vordergebäude völlig unabhängig. Um den Mittelsaal des Vordergebäudes herum, der die gleiche Grundfläche wie die im Erdgeschoss liegende Eingangshalle aufwies, lagen mehrere Zimmer, über deren genaue Funktion heute keine Aussagen mehr gemacht werden können. Bemerkenswert ist das lockere Nebeneinander der Räume, das damit in keinster Weise einem ansonsten tonangebenden französischen Vorbild für den Palaisbau entsprach. Lediglich im Rückgebäude wäre in den beiden Obergeschossen die Folge von Antichambre, Chambre, Cabinet und Garderobe möglich gewesen. Erst bei der ab 1731 von François de Cuvilliés d. Ä. ausgeführten Neudekoration der Räume im ersten Stockwerk dieses Gebäudeteils entstand dann nachweislich die Folge von Vorzimmer, Salon, Schlafzimmer und Cabinet. Zu diesem Zweck musste allerdings wegen der Vergrößerung des Schlafzimmers und der Verlegung des anschließenden Cabinets die bis zu diesem Zeitpunkt auf der Hofseite der Gebäudemitte liegende und durch zwei Stockwerke reichende Hauskapelle beseitigt werden. Über den ursprünglichen Charakter der Innenräume des Palais Fugger lässt sich heute keine Aussage machen, denn die erhaltenen bildlichen Dokumente aus der Zeit vor der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg zeigen das Gebäude so, wie es sich nach zahlreichen Umbauten und Neudekorationen vom 18. bis hinein in das 20. Jahrhundert präsentierte.
Grundriss erstes Stockwerk Palais Fugger. Umzeichnung Konstantin Köppelmann, 2014, nach einem Entwurf von Henrico Zuccalli, 1693.
Palais Fugger
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Der von Gian Lorenzo Bernini umgebaute Palazzo Chigi-Odescalchi in Rom. Kupferstich Alessandro Specchi, 1699.
Henrico Zuccalli hatte mit seinem »Großen Fuggerischen Haus« – die Bezeichnung Palais taucht erst im 19. Jahrhundert auf – ein in italienischer Formensprache gehaltenes, äußerst repräsentatives Wohngebäude geschaffen. Es stand zwar mit seiner Innendisposition vielleicht nicht unbedingt auf der Höhe seiner Zeit, prägte aber dennoch durch die Einführung neuer Bauformen den Bautyp des Münchner Palais entscheidend mit. Die unmittelbare Bedeutung der in dieser Epoche entstandenen Neubauten des Adels lag allerdings in der Gestaltung der Fassaden. Durch deren symmetrische Achsenanordnung, den die Horizontale betonenden Fensterverdachungen und den säulengerahmten Portalen unterschieden sie sich sehr deutlich von den sie umgebenden älteren Gebäuden. In immer neuen Abwandlungen eines festen Formenkanons entwickelte sich schließlich eine Vereinheitlichung der Profanarchitektur. Die Fassade des Palais Fugger ist heute, nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs und dem erbarmungslosen Abriss ganzer Häuserblöcke in den Nachkriegsjahren, in München ein wertvolles Unikat. Es war ursprünglich nur eines von zahllosen anderen Palais, die den mittelalterlichen Charakter des Stadtbilds bis zum Ende des 18. Jahrhunderts grundlegend verändert haben. Allerdings wiesen die italienischen Architekturvorbilder, denen in München noch bis in das beginnende 18. Jahrhundert hinein kräftig nachgeeifert wurde, fast immer ein entscheidendes Manko auf: Sie ließen sich aufgrund ihrer weitaus größeren Dimensionen nicht ein-
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fach in das äußerst beengte Münchner Stadtgefüge übertragen. Man musste sich damit begnügen zu verkleinern und Architekturformen quasi nur zu »zitieren«, um ein entsprechend herrschaftlich anmutendes Pathos zu erreichen. Auch bei der Ausgestaltung der Fassade des Palais Fugger folgte man – wie auch beim Palais Wahl I – diesem Prinzip der Adaption. Streng genommen stellt die Fassade des Palais Fugger die Weiterentwicklung und die abermalige Adaption eines älteren Projekts für das Palais Kaunitz-Liechtenstein in Wien dar, mit dessen Fassade sich Zuccalli schon 1688 beschäftigt hatte. Die letztendlich von anderen Baumeistern stark verändert ausgeführte Hauptfront des Palais Fugger basierte in den ursprünglichen Entwürfen Zuccallis ganz offensichtlich auf der Fassade des Palazzo Chigi-Odescalchi in Rom, die zwischen 1664 und 1667 im Rahmen eines Totalumbaus des Gebäudes von Gian Lorenzo Bernini (1598–1680) entstand. Zwar war das alle Fensterachsen umfassende »Würdemotiv« der kolossalen korinthischen Pilasterordnung im Mittelteil des römischen Vorbildpalastes an der ebenfalls siebenachsigen Fassade des Palais Fugger aus Platzgründen nicht umsetzbar und man musste sich daher bescheiden auf vier statt acht Pilaster beschränken, aber die Gestaltung der Portalzone, die Gliederung des Erdgeschosses und das schwere Konsolgesims weisen eine nicht zu übersehende Ähnlichkeit in der Formensprache auf. Die durch diese Pilasteranordnung entstandene Dreiteilung der Fassade war der Vorreiter für viele weitere Prachtbauten in München.
MÜNCHNER PALAIS IM 18. JAHRHUNDERT
Morgengabe mit Wertsteigerung Während der zehn Exiljahre von Kurfürst Max Emanuel und seiner Frau Therese Kunigunde in den Spanischen Niederlanden und Frankreich stand der junge Philipp Joseph Graf von Törring-Seefeld als Hofmeister und damit Erzieher und enger Vertrauter derer Söhne offen auf der Seite seines Landesherrn. Nach der Besetzung Münchens durch die Österreicher 1705 und dem von ihnen angeordneten »Austausch« des gesamten Hofstaats der Kurprinzen konnte der Graf daher nur auf ausdrücklichen Wunsch seines damals erst siebenjährigen Zöglings Karl Albrecht in seinem Amt bleiben. Aber als Karl Albrecht und seine Brüder 1706 auf Anweisung des Habsburger Kaisers Joseph I. als Faustpfand nach Klagenfurt gebracht wurden, wo sie ohne den verhassten bayerischen Einfluss standesgemäß erzogen und unterrichtet werden sollten, verlor Graf Törring-Seefeld seine Stellung am Hof endgültig. Wie gut, dass er wohl das geliebte Nesthäkchen seiner Mutter gewesen sein musste, denn die Marquesa vermachte ihrem jüngsten Sohn aus erster Ehe per Donation 1710 das opulente Zuccalli-Palais in der damaligen Prangergasse – kein schlechtes Geschenk in diesen wirren und unsicheren Zeiten. Aus diesem Anlass wurde das Gebäude dann auch gleich generalüberholt. Philipps älterer Bruder Maximilian Cajetan hatte bereits 1687 die Herrschaft Seefeld übertragen bekommen und die militärische Laufbahn eingeschlagen. Für ihn hatte Zuccalli um 1692 das wuchtige Palais im Münchner Ro-
sental, zwischen Rossschwemme und Stadtmauer, errichtet. Im April 1715 kehrte die gesamte kurfürstliche Familie nach München zurück und Törring-Seefeld wurde wieder in Amt und Würden eingesetzt. Max Emanuel schielte immer noch nach der Kaiserwürde und setzte in der Folgezeit alles daran, seinen Sohn Karl Albrecht geschickt zu verheiraten, um diesem Ziel näherzukommen. Am 5. Oktober 1722 war es dann so weit. In Wien vermählte sich aus politischem Kalkül der 25 Jahre alte Karl Albrecht mit Erzherzogin Maria Amalia Josepha Anna von Österreich (1701–1756), der jüngsten Tochter Kaiser Josephs I. Zwar hatten sowohl Bräutigam wie auch Braut zunächst formell auf jegliche Ansprüche gegenüber den Habsburgern verzichten müssen, um diese Heirat überhaupt zu ermöglichen – gefeiert wurde aber trotzdem ausgiebig. Vater Max Emanuel ließ sich nicht lumpen und spendierte schon allein für die Hochzeitsreise des Sohnes von München nach Wien 100 000 Gulden, denn schließlich und endlich mussten die fürstliche Gesellschaft ja auf den zurückzulegenden Tagesetappen von 20 bis 40 Kilometern angemessen verköstigt werden. Und selbstverständlich empfing auch München die frisch Getrauten mit mehrwöchigen Festivitäten, die mit Kosten in Millionenhöhe die bestehenden Schulden des Brautvaters zu toppen wussten.
Fassade des Palais Fugger noch ohne die späteren Änderungen von François de Cuvilliés. Von Zuccalli ursprünglich geplante Dachaufbauten wurden nie realisiert. Rekonstruktionszeichnung Konstantin Köppelmann, 2014.
Palais Fugger
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Klein aber fein – Münchens fast vergessener erster Konzertsaal Während sich das einfache französische Volk 1789 schließlich auf sehr drastische Art und Weise überhaupt erst einmal Gehör verschaffen musste und damit eine Welle von politischen Umwälzungen entfachte, deren blutige Folgen am Ende ganz Europa zu spüren bekam, konnte das kulturbewusste Bürgertum im deutschsprachigen Raum noch fernab von derartigen Katastrophen ungestört schöngeistige Lesegesellschaften gründen. Hauptsächliche Aufgabe dieser rasch entstehenden privaten Zirkel war, Zeitschriften und Bücher mit literarischem und wissenschaftlichem, aber auch durchaus mit politischem Anspruch einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Eingebunden in ein Regierungssystem, das eisern an überkommenen Machtstrukturen festhielt, konnte man sich hier mit der allgemeinen Entwicklung auch auf einem etwas weniger gefährlichen Weg auseinandersetzen. Die Aufgabe dieser sich meistens »Museum« – also eine den Musen geweihte Versammlung – nennenden Gesellschaften bestand dabei allerdings vorrangig in der Förderung von kultureller Bildung im Allgemeinen, wobei Literatur und Musik einen ganz besonderen Stellenwert einnahmen. In München bestand die Gesellschaft »Museum« bereits seit dem 4. November 1802 und weniger als zwei Wochen nach der Gründung lud man am 13. November bereits zum ersten Konzert mit Instrumentalvirtuosen des berühmten Mannheimer Orchesters. Nach 1804 wurden schließlich regelmäßig jeden Montag Kammermusikabende veranstaltet, deren Programme vom Hofmusikdirektor Carl Cannabich arrangiert wurden. Neben dem Auftritt von professionellen Künstlern waren dabei aber auch Mitglieder, welche Ausbildung im musikalischen Vortrage besitzen eingeladen, in Conzerten und Declamationen zur Unterhaltung der Gesellschaft durch ihre Kunst beizutragen. Die zunächst nur aus Männern bestehende Mitgliederschaft musste allerdings relativ bald feststellen, dass man der ärmlichen Einseitigkeit auch auf einer viel prosaischeren Ebene entgegenwirken konnte: Der Erfolg der Gesellschaft ließ sich deutlich vergrößern, als man ab 1806 / 07 auch Frauen zuließ – nicht zuletzt, weil dadurch die Veranstaltung von Bällen ermöglicht wurde. In der etwas jüngeren Konkurrenzgesellschaft »Harmonie« waren Damen übrigens von Anfang an zugelassen gewesen. In den Mitgliederlisten des Museums sind vor allem der Hochadel, höhere Beamte und Offiziere, vornehme Kaufleute und Künstler sowie Gelehrte vertreten. Zum exklusiven Zirkel gehörten unter anderem die Grafen Lerchenfeld, Oettingen-Wallerstein,
Palais Fugger
Montgelas, Rechberg, Thürheim, aber auch Künstler wie Leo von Klenze, Karl Theodor von Piloty oder Carl Spitzweg. Als Veranstaltungsort des »Museums« fungierten zunächst angemietete Räume im Redoutenhaus in der Prannerstraße 20. Als das Gebäude 1818 jedoch zum Ständehaus – dem Vorgänger des Bayerischen Landtags – umgebaut wurde, musste man sich auf die Suche nach neuen geeigneten Räumen machen. Als Interimslösung diente dabei, wiederum zur Miete, zunächst das damals im Besitz von Josef Sebastian Reichsfreiherr von Castell befindliche ehemalige Palais Rechberg II an der südöstlichen Ecke der heutigen Kardinal-Faulhaber-Straße zum Promenadeplatz. Schon 1819 bot sich jedoch die willkommene Gelegenheit, mit dem Kauf des nur wenige Schritte weiter nördlich liegenden Hauses von Aloys Franz Xaver Graf von Rechberg und Rothenlöwen zu Hohenrechberg ein eigenes Gebäude zu erwerben – das ehemalige Palais Fugger. Zwei große Haken hatte dieses Unterfangen allerdings trotzdem: Zum einen war der vorhandene Saal an der Straßenfront im zweiten Stockwerk eigentlich zu klein und zum anderen brachte der gewaltige Kaufpreis von 70 000 Gulden die Gesellschaft in derartige Schwierigkeiten, dass die erforderliche Summe nur durch Anleihen und freiwillige Sonderbeiträge der Mitglieder aufgebracht werden konnte. Großzügigste finanzielle Förderer des »Museums«, das unter dem besonderen Schutz des bayerischen Königs stand, waren dabei auch Prinz Carl von Bayern (1795–1875) und der kunstsinnige Herzog Eugène von Leuchtenberg. Nahezu zeitgleich mit dem Erwerb des neuen Hauses kümmerte man sich auch schon um die dringliche Lösung der Raumpro blematik. Bereits im Frühsommer 1819 konnten Hofbaumeister Leo Klenze und Hofdekorateur Jean Baptiste Métivier die Entwürfe von Hofmaurermeister Joseph Scherm abzeichnen und es wurde mit dem Umbau begonnen. Für den Einbau eines nötigen neuen großen Saals wurde das zweite Stockwerk vom Rückgebäude des ehemaligen Palais zunächst vollständig entkernt und das ehemals alle Stockwerke durchlaufende Treppenhaus im Rückgebäude endete jetzt im ersten Stockwerk. Da der Raum das gesamte Geschoss einnehmen sollte, musste dieser Teil des Gebäudes aus Gründen der Proportion und und aufgrund der mäßigen Belichtung um ein halbes Geschoss aufgestockt werden. Auf diese Weise verschwand die gesamte Raumaufteilung, wie auch das mit dem Hauptgebäude ursprünglich harmonisch korrespondierende Satteldach. Als eleganter Vorraum für den großen Saal diente die in klassizistischen Formen neu ausgestattete Verbindungsgalerie zum Hauptgebäude, deren Fläche der im Stockwerk darunterliegenden, von Cuvilliés dekorierten Galerie entsprach. Von hier aus war über eine versteckte Nebentreppe auch die zwar nicht besonders tiefe, aber für Tanzveranstaltungen unabdingbare Musikergalerie an der südlichen Schmalwand des Saals zu erreichen. Den neuen Anforderungen wurde zwar einiges geopfert, das Cuvilliés-Appartement im Stockwerk direkt unter dem neuen Saal und der von Zimmermann dekorierte kleine Saal im zweiten Stock des Hauptgebäudes blieben allerdings unangetastet. 157
Vorraum zum Konzert- und Ballsaal im zweiten Stockwerk. Fotografie, 1901.
Blick nach Süden in den 1819 / 20 eingebauten Konzert- und Ballsaal nach dem Umbau im Jahr 1901.
In den vorhandenen historischen Räumen des ehemaligen Palais konnte die über 2000 Bände umfassende Bibliothek der Gesellschaft untergebracht werden und man richtete Lese- und Gesellschaftszimmer sowie einen Raum für das Billardspiel ein. Der eher zurückhaltend ausgestattete neue Saal, an dessen Dekoration Métivier noch bis 1820 arbeitete – in seinem eigenhändigen Werkverzeichnis erwähnt er für dieses Jahr die Construction d’une salle de bal au Musée –, muss sich schließlich durchaus harmonisch in das barocke Gebäude eingefügt haben. Die ursprünglich nicht plastisch ausgeführte, sondern nur in hellen und eher zart gehaltenen Farben gemalte Deckendekoration hat dem Raum dabei sicherlich, ebenso wie die sparsame Wandgliederung und die vielen Fenster, eine weite und luftige Atmosphäre verliehen. Als ein Brand am 14. Januar 1823 das von Carl von Fischer geplante und erst 1818 eingeweihte neue Königliche Hof- und Nationaltheater bis auf die Grundmauern zerstörte, weil fatalerweise das Löschwasser eingefroren war, diente der neue große Saal im Palais Fugger vorübergehend auch als Probebühne. 80 Jahren später, nach intensivster Nutzung, wurde dringend eine Renovierung des Palais nötig. Der Saal erhielt dabei eine plastische Stuckdecke sowie ein kräftig umlaufendes Puttenfries in Neo-Renaissanceformen als Tribut Droschkenparade vor dem zwischen zwei gründerzeitlichen Bankpalästen eingekeilten Palais Fugger. an den Zeitgeschmack der Prinzregentenzeit. Fotografie Georg Pettendorfer, 17. März 1908. Außerdem wurden nun die ursprünglichen Fensteröffnungen auf der Ostseite geschlossen und durch davor angebrachte großformatige Spiegel ersetzt, die denen an der Wand gegenüber entsprachen. Ta- Obwohl im »Museum« in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in geslicht bekam der Saal von da an nur noch schräg von oben durch den noch recht bunt gemischten Virtuosen-Programmen immer wieder Orchesterwerke erklangen, war es ganz besonders die Kammerdie Fenster des Halbgeschosses. Aus der Zeit dieser 1900 bis 1902 erfolgten Generalüberholung des musik, die sich hier entwickeln konnte, und den Münchnern schließGebäudes, bei der sogar eine moderne Zentralheizung, elektrische lich die ersten reinen Klavier- oder Liederabende präsentierte – so Beleuchtung und eine Belüftungsanlage eingebaut wurden, haben wie wir sie heute noch kennen. Maßgeblich beteiligt daran war Hans von Bülow, den Richard sich auch die wenigen fotografischen Zeugnisse der Innenräume des Wagner 1864 bei König Ludwig II. als »Vorspieler seiner Majestät des ehemaligen Palais erhalten. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gehörten die musika- Königs« untergebracht hatte, und der hier bei einer ganzen Reihe von lischen Darbietungen des »Museums« neben den immer wieder ab- Konzerten für wohltätige Zwecke den Münchnern ohne Rücksicht gehaltenen großen Bällen schließlich mit zu den renommiertesten auf den Zeitgeschmack der Masse »sogar« die Musik von Bach und Veranstaltungen dieser Art, die München damals zu bieten hatte. Der Händel vorsetzte. Untrennbar verbunden ist der Name »Museum« mit großen Komauch wegen seiner hervorragenden Akustik überaus geschätzte Saal stand zu dieser Zeit bereits allen Musikfreunden offen, genauso wie ponisten, die ihre eigenen Werke hier selbst spielten, sowie mit bedas von 1826 bis 1828 von Leo von Klenze als bürgerlicher Konzert- rühmten Interpreten der Zeit, die heute eher Vergessenes zu Gehör und Ballsaal erbaute »Odeon« gegenüber dem Palais Leuchtenberg. brachten. Palais Fugger
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V. l. n. r.: Ehemaliges Palais Rheinstein-Tattenbach, sogenanntes Gablerhaus (Theatinerstraße 8), Gebäudekomplex »Fünf Höfe« mit neuem Eingangsbereich (Bronzelamellen) und dem Bankgebäude von Abel / Waas mit erhöhtem Mittelrisalt an Stelle von Mielich-Haus (Theatinerstraße 10), Palais Fugger-Zinneberg (Theatinerstraße 11), weiteren Bürgerhäusern und Palais Piosasque de Non (Theatinerstraße 16).
Marmorsaal mit Kronleuchter (links und oben) und Blauer Salon – heutiges Ministerpräsidentenzimmer – im Prinz-Carl-Palais.
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MÜNCHNER PALAIS AB DEM 19. JAHRHUNDERT
Vestib端l (links), T端r im Marmor足 saal (oben) und Gr端ner Salon.