Bergeerleben - AVS-Magazin Dezember 2020

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Bergeerleben

Poste Italiane SpA · Versand in PA · ges. Dekr. 353/2003 (abgeändert in Ges.27/02/2004 Nr. 46) Art. 1, Komma 1, NE BOZEN – TASSA PAGATA – TAXE PERCUE · Bergeerleben Nr. 4/2020, erscheint 5 x jährlich

DAS MAGAZIN DES ALPENVEREINS SÜDTIROL 0 4 / 20 www.alpenverein.it

HOHE TÖNE

DAS FRIEDENSBIWAK

am Monte Castello 51

50 JAHRE REFERAT N&U

Natur- und Umweltschutz im AVS 54

COVID-19 & KLIMAWANDEL

Von kleinen und großen Wirkungen 64


alpenverein.it/kurse

Kursprogramm

Das AVS-Kursprog ramm gibt es nur noch online!*

Kurse und Touren für alle Mitglieder

Foto: Veit Bertagnolli

Aus- und Weiterbildungen für unsere Funktionäre

Winter – Frühjahr 2020/21 ndeln und technische * Weil nachhaltiges Ha ue Chancen bieten! Möglichkeiten auch ne


EINSTIEG

Titelbild eines ehemaligen AVS Rucksack-Liederbüchleins

Liebe Mitglieder,

Liebe Leser,

Wir haben die diesjährige Winteraus­ gabe unseres Magazins erneut einem Kulturthema, der Musik, gewidmet. Die alpine Naturlandschaft ist mit akustischen Reizen besonders sparsam und verschont ihre geräuschempfind­ lichen Bewohner mit Tönen und ­Geräuschen, bei denen die Natur nicht direkt miteingebunden ist. Es ist wieder einmal der Mensch, der seine Töne in die Höhe bringt und ­dabei bewusst oder unbewusst den Berg in Szene setzt. Sensible Musiker lassen den Berg zum Protagonisten werden, andere hingegen betrachten ihn als Bühne, die dem Zeitgeist ent­ sprechend bespielt werden muss. In dieser Naturlandschaft muss der Mensch dem Berg mit sehr viel Res­ pekt begegnen, damit „Großes ­geschehen kann“, um sich an die viel zitierten Zeilen von William Blake an­ zulehnen. Wenn im Zusammenspiel der Klänge eine Harmonie entsteht und die Instru­ mente in ihrem Dialog und Rhythmus die Bergluft zum Schwingen bringen, kann dies den Menschen erfreuen oder den Ruhesuchenden genauso ­stören. Musik ist schwingende Luft, die unsere Sinne belebt und die menschliche Seele berührt. Wir haben mit Musikern gesprochen und dabei versucht, einen Bogen zwi­ schen verschiedenen Musikrichtungen zu spannen, im Bewusstsein, dass wir nicht alle menschen- und natur­ gemachten Klänge im Wald und auf den Gipfeln einbeziehen konnten.

Berge erleben ist nicht nur Alpinismus. Es ist ein Vielerlei an Ereignissen, Ein­ drücken und Empfindungen. Die Faszi­ nation Berg inspiriert auch die Kunst – und die Musik ist die Königin, der es in höchstem Maße gelingt, Gefühle von ekstatischem Gipfelglück bis zu ab­ grundtiefen Seelenschluchten wieder­ zugeben.

Peter Righi

Ingrid Beikircher

designierter Referatsleiter für Kultur

Redaktionsleitung

Berge und Musik wurden seit je eng verknüpft: vom Wanderlied zum Alm­ jodler bis hin zu großartigen Tonge­ mälden wie „Eine Alpensinfonie“ von Richard Strauß 1915 oder dem Kon­ zeptalbum „Der Watzmann ruft“ von ­Ambros, Tauchen und Prokopetz 1974. Die Leidenschaft für Fingerübungen am Fels und an der Gitarre leben auch unsere jungen Kletterer von heute aus (Seite 38). Der Musikgeschmack je­ doch ist individuell verschieden. Was für den einen Klassikgeklimper oder Schnulzenkitsch ist, klingt für den ­anderen wie Ohrenbalsam. Deshalb beleuchten wir einen Reigen von Inter­ preten ohne zu werten. Sie alle haben den Namen unseres Landes, unserer Berge in die Welt hinausgetragen. Der Mensch ist ein singendes Tier, die Zivilisation jedoch hat ihm viele Lieder ausgetrieben, schreibt Stephan ­Graham 1926 in seinem Buch über die Kunst des stilvollen Wanderns. Ja, wir sollten wieder mehr singen am Berg: Freudenschreie. Hohe Töne. Frohe Weihnacht, Gesundheit und ein gutes 2021!

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Da beginnt leise die Schneeflockenreise Sie steigen wie Sterne aus Tiefen empor Und ihre BrĂźder sinken hernieder Und bringen wieder die Unschuld hervor Hubert von Goisern Aus dem Album Zeiten & Zeichen


Foto: Georg Kantioler – STRIX Naturfotografen Südtirol


Tod im Tiefschnee Eine unterschätzte Gefahr

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Foto: Werner Beikircher

Wettkampf­ klettern in Zeiten von Covid-19

König der Alpen

Winter bei den Steinböcken

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Foto: Klaus Bliem

Gedanken zum Jahreswechsel Von AVS-Präsident Georg Simeoni

Weg durch den weißen Basalt 44

Klettern im Winter Klettergarten Mühlen/Truden

82

Die stillen Wächter 51

AVS-Jugend Tramin Sommerlager trotz Corona

Erstbesteigung am Erzlahnturm/ Latemar

Lawinenkommission in Südtirol

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Stille und laute Orte 68

Südtiroler Flur- und Bergnamen

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Wandern im Rifgebirge Exotisches Reiseziel in Marokko

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Foto: Jan Schenk

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Titelfoto: Foto: Claudio Sferra – STRIX Naturfotografen Südtirol


INHALT TITELTHEMA KURZ & BÜNDIG 8

HOHE TÖNE

HOHE TÖNE Gustav Mahler und seine Berge 10 Manuela Kerers Beziehung zum Berg 14 Hubert von Goisern im Gespräch 16 Jodeln auf der Höh 20 Herbert Pixner im Gespräch 22 Mad Puppet rocken den Rosengarten 26 Der Liedermacher Dominik Plangger 28 40 Jahre Kastelruther Spatzen 30 Das Bozner Bergsteigerlied 34 Die Volksmusik in Südtirol 36 Fingerübungen 38 Naturkonzert mit Kindern 40 AVS-Singgemeinschaft Unterland 42

Berge & Musik

AVS-AKTUELL Georg Simeoni zum Jahreswechsel Meilensteine gesetzt Führungswechsel im ÖAV Wettkampfklettern in Covid-Zeiten AVS-Landeskader unterwegs Klettergarten Mühlen/Truden Friedensbiwak am Monte Castello

44 46 48 49 50 51 52

NATUR & UMWELT

Foto: visitrentino

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Skischlitten & Biwak­ sack-Verschnürung Behelfsmäßiger Abtransport bei Skitourenunfall

50 Jahre Natur & Umwelt Steinbock, König der Alpen Raufußhühner und Wintersportler Kampagne „Unsere Alpen“ Kommentar Covid & Klima

54 56 58 60 64

STRIX NATURFOTOGRAFEN Thema: Tiere im Winter

61

UNTERWEGS AVS-Jugend Tramin Hüttenlager Unterwegs mit alpenvereinaktiv Wandern im Rifgebirge Tiroler Wasser Montezumas Rache

68 70 72 76 78

ERSTBESTEIGUNGEN Sechs Erstbesteigungen Weg des weißen Basalt

81 82

TIPPS & INFOS Kursprogramm 2 Tod im Tiefschnee 84 Bergsteigertipp 88 Die Lawinenkommission 90 Impressum 98 Produktneuheiten 99

KULTUR Flur- und Bergnamen 93 AVS-Bücherecke 96 Kultbuch 98

Foto: Walter Obergolser

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Kurz & Bündig

kurz & bündig Fotoausstellung Alpimagia Zu ihrem 100. Geburtstag zeigt die CAI-Sektion Bozen eine Ausstellung von Bildern des Fotografen Stefano Torrione zum Brauchtum in den Alpen. Mit seinen Fotografien hält er Aus­ schnitte der Südtiroler Brauchtums­ landschaft fest, etwa die „Klöckler“ im Sarntal, die Traminer „Wudelen“, das „Kropfnbettln“ in Pfunders oder das

„Scheibnschlogn“ im Vinschgau. Der aus dem Aostatal stammende Torrione ist ein Meister der ethnografischen Dokumentation und hat im Laufe sei­ ner Karriere Bild­reportagen in vielen Ländern der Welt produziert. Die Aus­ stellung ist bis zum 25. April 2021 bei freiem Eintritt im Stadtmuseum in ­Bozen zu sehen.

Ausstellung zum 150-Jahre-Jubiläum der SAT Mit der Ausstellung „Sguardi sulla montagna: verso i 150 anni della SAT (1872 – 2022)“ leitet die Trientner Alpin­ vereinigung schon heuer die Feier­ lichkeiten rund um das Jubiläum zu den 150 Jahren ihres Bestehens ein. Das in Zusammenarbeit mit der Fonda­ zione Museo storico del Trentino initi­ ierte Projekt beleuchtet die lokale Alpin­geschichte von der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts bis in die heutige Zeit. Die Ausstellung neben der Piazza di Piedicastello in ­Trient ist von Di bis So von 10 bis 18 Uhr bis zum 7. Februar 2021 kostenlos zugänglich.

Tartscher Bichl Foto: Stefano Torrione

Foto: SAT

Die Klänge der ­Dolomiten Zwischen Ende Juni und Mitte Sep­ tember findet im Trentino jährlich das Musikfestival „Die Klänge der Dolo­ miten“ statt. Damit versuchen die Ver­

Foto: visitrentino

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anstalter und Musiker, auf behutsame Art ihre Kunst mit der Schönheit der Natur zu verbinden. Sie sensibilisieren mit i­hren „Klängen“ das Publikum und ­machen darauf aufmerksam, was die Bergwelt allein schon auszudrücken vermag. Das Programm umfasst Konzerte verschiedener Musikgenres wie Jazz, Klassik, World music oder Pop­musik. Bei einigen Projekten kamen Lesun­ gen, Theater und sogar die Oper in die Berge. Mit viel Herzblut tragen die Veranstalter und die Musiker seit Jahren zum guten Gelingen dieses ­Festivals bei und erfreuen ein treues ­Publikum, das den Bergen und ihrer Umwelt mit Respekt begegnet. Infos siehe: h ­ ttps://www.visittrentino. info/de/die-klange-der-dolomiten

Neue Pächter auf der AVS Meraner Hütte Auf der AVS Meraner Hütte am Rande des Skigebiets Meran 2000 ist ein Pächterwechsel erfolgt. Der AVS ­bedankt sich bei der bisherigen Pächterin Elena Iacono für die gute Bewirt­ schaftung. Die neuen Päch­ ter der AVS ­Meraner Hütte sind Heinrich Bertolini aus dem Sarntal mit Partnerin Anna ­Pafkovics aus ­Eppan. Wir wünschen e ­ inen guten E ­ instieg und viel Erfolg!


AVS Open Freeridedays 2021 – Neues Konzept Freeriden birgt Risiken I Du trägst Ver­ antwortung I Lass dich ausbilden – ­unter diesem Motto leistet die AVS-­ Jugend mit den Freeridekursen seit vielen Jahren bewährte Präventions­ arbeit. Junge Variantenfahrer im Alter von 13 – 25 Jahren befassen sich ge­ meinsam mit Südtiroler Bergführern in Theorie und Praxis mit der Thematik Lawine und anderen Gefahren im frei­ en alpinen Gelände. Durch die erst­ malige Einteilung in zwei Alterskate­ gorien (13 – 17 Jahre | 18 – 25 Jahre) sowie durch zusätzliche Abfragung des

Know-how-Levels bei der Anmeldung können homogenere Gruppen gebil­ det und dadurch die Qualität des Kurs­ angebotes noch einmal angehoben werden. Für AVS Jugendführer wird die Teilnahme künftig zudem als Weiter­bildung angerechnet. Kurster­ mine Winter 2021: Kurstage Alter 13 – 17 Jahre: 10.1. Skigebiet Schnals; 24.1. Skigebiet Klausberg; 31.1. Ski­ gebiet Ladurns; 7.2. Skigebiet Sulden. Kurstage Alter 18 – 25 Jahre: 17.1. Ski­ gebiet Schnals; 14.2. Skigebiet Klaus­ berg.

Spezialpreis Dolomiten UNESCO Welterbe 2020 Im November wurde in Südtirol zum zweiten Mal der „Spezialpreis Dolo­ miten UNESCO Welterbe“ vergeben. Der Preis wurde 2018 von der der Stif­ tung Dolo­miten UNESCO ins Leben gerufen und in wichtige kulturelle Veranstal­tungen im gesamten Welter­ begebiet integriert. In Südtirol wird er seit 2019 beim Bolzano Film Festivals ­Bozen an den Regisseur jenes Filmes vergeben, welcher am eindrucksvolls­ ten die Werte des Dolomiten UNESCO Welterbes darstellt. Der Sieger wird von einer Jury, ­bestehend aus Ingrid Beikircher (Vize­ präsidentin AVS), Claudio Sartori ­(Präsident CAI Alto Adige) und Roland Dellagiacoma (Mitglied Wissenschaft­ licher Beirat Stiftung Dolomiten ­UNESCO), ermittelt. In Südtirol wird der Preis von der Stiftung Dolomiten UNESCO und der Landesabteilung Natur, Landschaft und Raumentwick­ lung zusammen mit dem AVS und dem CAI Alto Adige vergeben. Von den drei 2020 nominierten Fil­ men: Sicherheit 123, Il passo dell‘acqua und Alpgeister ging der Streifen Alp­ geister von Walter Steffen als Sieger hervor. Der Siegerfilm wird beim Bolzano Film Festivals Bozen 2021 gezeigt.

Foto: Toni Obojes

#unserealpen ­zwischen zwei ­Buchdeckeln Das Alpenbuch vermittelt auf ver­ gnügliche Art ein tieferes Verständnis für die Alpen. 300 Seiten mit Hunder­ ten Infografiken und Illustrationen ­laden zum Stöbern und Entdecken ein. Über alle Grenzen hinweg the­ matisiert das Buch Geografie, Kuli­ narik, Skisport, Mythen, Fauna, Natur­ schutz und Alpinismus. Entstanden in Zusammenarbeit mit AVS, DAV, ÖAV und dem Verlag Marmota Maps. ISBN: 978 - 3-946719 - 31-1

Köche-Köchinnen ­gesucht Das Referat Jugend & Familie im AVS sucht auf Honorarbasis Köche/Köchin­ nen für die Jugend- und Familien­ kurse auf den Selbstversorgerhütten. Wenn du gerne für einige Tage für die kleinen und großen Bergsteiger des AVS den Kochlöffel schwingen möch­ test, melde dich bitte bei Andrea im Referat Jugend & Familie unter Tel. 0471 303201 oder per E-Mail: jugend@­alpenverein.it. Wir freuen uns auf ­deine Rückmeldung! Bergeerleben 04/20

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Hohe Töne

Gustav Mahler und ­seine Berge Eine Liebesgeschichte

Schon seit 40 Jahren erinnern uns die Gustav-Mahler-Musikwochen daran, dass der große Komponist, dessen Namen sie tragen und ­dessen Musik sie feiern, die letzten drei Sommer seines Lebens in ­Toblach verbrachte und dort auch seine letzten Werke komponier­ te: das Lied von der Erde, die ­Neunte und die unvollendete 10. ­Symphonie.

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nzwischen wird Toblach jeden Juli zum internationalen Treffpunkt, bei dem Mahlers Werke in eben­ jenem landschaftlichen Rahmen erklin­ gen, mit dem sie so viel zu tun haben. Die Kenner von Mahlers Musik wissen, dass sie – so wie im Grunde auch ­Mahler selbst – untrennbar mit der ­Natur verbunden ist.

Gustav Mahler bei einer Wanderung im Fischleintal in Sexten Foto: Médiathèque Musicale Mahler Paris

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Körperliche Bewegung – ­Inspiration für das Komponieren Ausgesprochen sportlich und voller Energie war der Komponist stunden­ lang in den Bergen und Wäldern unter­wegs, während seine Ohren alle Töne um ihn herum verarbeiteten, ohne dass ihm dies immer bewusst war. Sein Leben als Dirigent und Hof­ operndirektor war überaus hektisch und anstrengend: Er war nicht nur mit musikbezogenen Problemen konfron­ tiert, sondern auch mit organisatori­ schen Dingen. Und nicht zuletzt waren da auch noch antisemitische und wi­ derliche Angriffe der Presse gegen ihn und seine Musik. Der Alltags­ stress ließ nicht viel Raum für eige­ ne musikalische Meditationen, für die er seine freie Tage zwischen den Spielzeiten verbrauchte. Natürlich arbeitete er auch im Lauf der Saison an seiner Musik, aber nur während der Sommerferien konnte er wochenlang durchgehend komponieren. Ein inte­ graler Teil dieser Arbeit war für Mahler die intensive körperliche Bewegung, die für ihn ebenso notwendig war wie das tatsächliche Kom­ponieren. Sobald er es sich leisten konnte, fanden seine Ferien irgendwo in den Bergen statt.


„Ich marschiere tüchtig in den ­Bergen herum“ Die erste feste Sommerresidenz fand der damals noch in Hamburg tätige Gustav Mahler in Steinbach am Atter­ see, wo er vier Sommer blieb (1893 – 1896), sein erstes Komponierhäuschen bauen ließ und, umgeben vom Höllen­ gebirge, zwei großen Symphonien schrieb – die Zweite und die Dritte. Das Jahr 1897 brachte den Umzug nach Wien und den Job als Kapell­ meister in der Wiener Hofoper mit sich, was Mahler sich längst gewünscht hatte. Ein anderer Ort für die Ferien musste ausgesucht werden und die Auswahl fiel am Ende auf Kitzbühel. Die Freude war allerdings nur von kur­ zer Dauer: Kaum angekommen muss­ ten Mahler und seine Schwestern we­ gen einer Scharlachepidemie in der Region schnell wieder abreisen und der Urlaub wurde zu einer Tour durch Tirol. Einem kurzen Aufenthalt in Inns­ bruck folgten zwei Wochen in Steinach und Umgebung, die der Komponist mit Radfahren und Wandern verbrach­ te. Danach reiste die Gruppe gemein­ sam mit der Familienfreundin Natalie Bauer-Lechner weiter nach Gries, und nach einigen Tagen, noch weiter in den Süden. Sie landeten in der Ge­ gend von Sterzing bzw. im Ridnauntal, um sich für den Rest des Sommers 1897 in Vahrn anzusiedeln. Täglich gin­ gen sie wandern, und dort nun sah Mahler in der Ferne zum ersten Mal die Spitzen der Dolomiten, die ihn so faszinierten, dass er jeden Tag an den gleichen Ort zurückkehren wollte. Wenn man seinen Briefen Glauben schenken darf, unternahm er ziemlich anstrengende Touren in der Gegend. So seine Worte an die damalige Freun­ din, die Sängerin Anna von Mildenburg: „Ich marschiere tüchtig in den Bergen herum – vor einigen Tagen die Am­thor­ spitze (gegen 9.000 Fuß) erstiegen und

hoffe sehr gestärkt in Wien wieder an­ zukommen.“ In der zweiten Juli­hälfte machte Mahler mit Bauer-­Lechner eine Radtour ins Pustertal. Genau während dieser Tour erreichte Mahlers Residenz in Vahrn ein Telegramm aus Wien, in dem Mahler mitgeteilt wurde, dass er zum Vizedirektor der Hofoper ernannt wurde. Sobald er zurück nach Vahrn kam, musste er die Koffer packen und wieder retour ins Pustertal, diesmal bis Toblach, dann von dort in die Steier­ mark und weiter nach Wien. Im Juli 1897 also sah Gustav Mahler Toblach zum ersten Mal. Noch vor Ende des Jahres 1897 wur­ de Mahler zum Direktor der Hofoper ernannt, wodurch er an die Spitze des Musiklebens in Wien gelangte. Damit begann sein intensiver und stressiger

Ich geh', ich wandre in die Berge. Ich suche Ruhe für mein einsam Herz!" Gustav Mahler

Unweit des Trenkerhofes in Toblach, ­Mahlers Sommerresidenz von 1908 bis 1910, ließ dieser ein bescheidenes Komponierhäuschen bauen. Hier entstanden „Das Lied von der Erde“ und die 9. Sinfonie. Foto: Perwanger/Kulturzentrum Toblach

Aufstieg. Erholung fand er in den Sommer­ferien, die er 1898 wieder in Vahrn verbrachte, jedoch, in Folge ­eines chirurgischen Eingriffs, mit wenig körperlicher Anstrengung. Im Jahr da­ nach wechselte er nochmal seinen Ziel­ ort und versuchte es mit Altaussee in der Steiermark, aber dort gab es zu viele Menschen für seinen Geschmack. In diesen drei Wandersommern schrieb Mahler nur einige Lieder, keine Symphonien. Blitzausflüge Die Sehnsucht nach einem eigenen ­Zuhause für die Ferien trieb Mahler bis zum Kauf eines Stücks Land in Maier­ nigg am Wörthersee. Die Bauarbeiten seines dortigen Hauses gingen im Jahr 1900 gut voran, fertig war es aber noch nicht. Dies hielt Mahler allerdings nicht Bergeerleben 04/20

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Hohe Töne

„Man ist sozusagen selbst nur ein ­Instrument, auf dem das Universum spielt.“ Gustav Mahler

davon ab, schon in der Nähe zu woh­ nen. Was bereits fertig war, war sein nagelneues Komponierhäuschen, zu dem ein steiler Weg hinauf durch den Wald führte. Der überglückliche Mahler fing dort an, seine 4. Sympho­ nie zu schreiben. Da es jedoch ­damit nicht seinen Wünschen entsprechend voranging, entschied er, für ein paar Tage aufzubrechen. Der Sommer 1900 wurde insofern zum Musterbeispiel der Dynamik, die Mahler für seine Arbeitsferien ent­ wickelte, da er sehr genau zeigt, wie Mahlers Kreativität funktionierte und wie wichtig die Rolle der einsamen Bergwanderungen für seine Musik war. Während der regulären Arbeitszeit im Häuschen konnte das Komponieren nicht immer auf Bestellung funktionie­ ren. Es konnte auch so intensiv wer­ den, dass Mahler eine Pause brauchte, die nicht durch Müdigkeit nötig wurde, sondern um zu allem etwas mentale Distanz zu gewinnen, um einen bes­ seren Überblick für die Fortsetzung zu haben. Mahlers Antwort auf alle diese Phasen und besonders kritischen

­ omente des Prozesses war ein „Blitz­ M ausflug“, wie er diese kurzen Reisen nannte. Dies bedeutete, drei bis vier Tage allein in den Bergen zu verbrin­ gen und möglichst viel zu wandern. Die Destination war immer klar – ­Toblach und Umgebung. Dank der Südbahn problemlos von Kärnten erreich­bar, war Toblach eine fast ­ideale Gegend für Mahlers Ausflüge. Nur fast, weil er dort halb Wien treffen konnte, was ihm heftig auf die Nerven ging. Die Kurgäste, die damals am häufigsten im Pustertal zu finden wa­ ren und deren Verhalten ihn irritierte, nannte Mahler spöttisch „Kuhgäste“. Er bemühte sich, so wenige Menschen wie möglich zu sehen. Der Rhythmus des Wanderns wie der Puls in der Musik Das erklärt auch, warum er nie eine Berg- oder Klettertour mit einem Berg­ führer unternahm. Er wollte allein sein. Seine Art des Berggehens war fast, was wir heute Speed Hiking nennen würden. Er strengte seinen Körper bis zu dem Punkt an, an dem er einen

mentalen Zustand erreichen konnte, der ihm erlaubte, den Körper zu ver­ gessen. In der Psychologie ist das als Flow bekannt. Für einen Musiker wirkt der Rhythmus der Schritte beim Wan­ dern (oder beim Treten der Fahrrad­ pedale, Laufen usw.) wie der Puls in der Musik und das trägt dazu bei, dass ge­ wisse Teile des Gehirns einfacher akti­ viert werden (z. B. Theta-Wellen), was dann in der Inkubationsphase des Krea­ tivitätsprozesses von großer Bedeu­ tung ist. Dies wirkt natürlich vor ­allem bei Menschen, die solche Aktivitäten mögen und gerne praktizieren. Dazu kommt auch die Gegend, in der alles stattfindet: Die ideale Landschaft für Mahler waren die Berge. Was genau in seinem Kopf während dieser Reisen passierte, werden wir nie wissen. Es wäre sicher auch für Mahler schwierig zu erklären gewesen, wieso er nach seinen Blitzausflügen ganze Sympho­ nien fertigschrieb. Das war eben die Schablone: Komponieren oder Blocka­ de, dann Blitzausflug, dann die Voll­ endung des Werkes. So wurden alle Werke Mahlers von der 4. bis zur 8. Symphonie geschrieben. Seine Kreati­ vität lebte von diesen kurzen R ­ eisen. Mahler kam üblicherweise mit sei­ nem Rad im Zug nach Toblach. Von dort ging es entweder per Rad oder im Omnibus weiter bis Landro oder Schluderbach, wo er übernachtete. Die nächste Station war Misurina, die Gegend, die ihn immer wieder be­ geisterte. Von dort fuhr er einmal mit dem Rad bis Cortina, dann wieder ­zurück über den Gemärkpass nach Schluderbach. Mit damaligen Fahr­ rädern sah das alles wohl anders aus als die Radfahrten, die wir heute ken­ nen. Auch die Drei Zinnen hat Mahler besucht und in der Drei-Zinnen-Hütte übernachtet, wo er von Landro aus durch Rienztal hinkam. Eine Postkarte sagt uns, dass er auch in Prags unter­ wegs war.

Gustav und Alma Mahler mit Tochter Anna (1.– 3. v. l.); links im Hintergrund Alma Mahlers Halbschwester Maria Moll; r.: ­Mahlers Schwiegereltern Anna und Carl Moll (Almas Stiefvater) Foto: Kaplan Foundation

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Alma und Gustav Mahler in Altschluderbach; Sommer 1909 Foto: Kaplan Foundation

Marsch (hauptsächlich bergan) gewi­ chen. – Nun soll ich jede Anstrengung meiden, mich beständig kontrollieren, nicht viel gehen. […] Und was meine Arbeit betrifft, so ist es eben etwas Depri­mierendes, da erst wieder umler­ nen zu müßen. Am Schreibtisch kann ich nicht arbeiten. Ich brauche für mei­ ne innere Bewegung die äußere.“ Dem Berg zuhören und dessen Sprache verstehen Der große Komponist, der Herden­ glocken in seinen Symphonien verwen­ dete, um tiefgehende Botschaften zu vermitteln, die nichts mit den Kühen zu tun hatten, der dem Berg zuhörte und seine Sprache verstand, der den Berg nie oberflächlich beschrieb, son­ dern seinen Kern komponierte, fand schließlich einen Weg zu seinem ­neuen Selbst und schrieb in Toblach 1908 „Das Lied von der Erde“, ein

„Der Ruf der Liebe klingt sehr hohl unter diesen unbeweglichen Felsen.“

Werk wie kein anderes in seinem Opus. Ein Werk, in dessen letztem Satz die Alt-Stimme tief berührend singt: ­„Wohin ich geh? Ich geh, ich wandre in die Berge, ich suche Ruhe für mein ein­ sam Herz.“ Gustav Mahler verließ die Dolomiten zum letzten Mal 1910 – sie ihn und seine Musik jedoch nie. Milijana Pavlović

Foto: Alex Springer

„Ich brauche für meine innere ­Bewegung die äußere“ Diese glücklichen Ausflüge und Jahre fanden 1907 ein abruptes Ende: Bin­ nen weniger Tage im Juli starb Mahlers erstgeborene Tochter Maria im Alter von sechs Jahren an Diphtherie, und bei Mahler selbst wurde ein Herzklappen­ defekt diagnostiziert und damit waren anstrengende Bergaktivitäten verbo­ ten. Der Aufenthalt im Haus in Maier­ nigg war nun unerträglich und Mahlers Antwort darauf war, die Familie nach Toblach zu bringen, einem vertrauten Ort, an dem er sich sicher fühlte. Sie blieben einige Wochen in Schluder­ bach, Misurina und Sexten. Aus dieser Zeit stammen die berühmten Fotos von Mahler mit dem Wanderstock im Fischleintal. In jenem Sommer schrieb Mahler keine Musik, entschied aber, mit der Familie den folgenden Som­ mer ganz in Toblach zu verbringen. Erst im Juni 1908 wurde endgültig deutlich, was die Lieblingstätigkeit Mahlers für sein Werk bedeutete. Wie ein Adler ohne Flügel saß er in seinem neu gebauten Komponierhäuschen beim Trenkerhof in Alt-Schluderbach und suchte einen Weg zu sich selbst, um jene Dimension beraubt, die ihn bis ins Jahr zuvor definiert hatte. In welch emotionalem Zustand er sich befand, erklärte er in Briefen an den Dirigenten Bruno Walter: „Ich hatte mich seit vielen Jahren an stete und kräftige Bewegung gewohnt. Auf Ber­ gen und in Wäldern herumzuschweifen und in einer Art keckem Raub meine Entwürfe davonzutragen. An den Schreibtisch trat ich nur, wie ein Bauer in die Scheune: um meine Skizzen in Form zu bringen. Sogar geistige Indis­ positionen sind nach einem tüchtigen

Milijana Pavlović ist Musikwissen­ schaftlerin an der Universität Inns­ bruck. Unter ihren Forschungs­ schwerpunkten hat Gustav Mahler einen besonderen Platz.

Gustav Mahler

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Hohe Töne

Die absolute Stille gibt es nicht Manuela Kerer über ­ihren experimentellen Zugang zur Neuen M ­ usik und ihre Beziehung zum Berg

Manuela Kerer liebt die Heraus­ forderungen der Neuen Kunst und die zeitgenössische Musik. Ihre akustischen Wahrnehmungen und Emotionen verwandelt die Brixner Komponistin, die auch promo­ vierte Juristin und Psychologin ist, in Klangfarben und spannende, außer­gewöhnliche Klänge.

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hre Kompositionen wurden in New York, Berlin, Wien, Rom, ­London oder sogar am Titicacasee mit dem Solistenensemble Kaleido­ skop Berlin oder Klangforum Wien ­aufgeführt. Die Klänge von belebten Plätzen, das Stimmengewirr in der Altstadt und das menschliche Räuspern in den Konzertsälen inspirieren sie. Am Berg findet sie neue Klänge, die sich im Gurgeln des Bächleins, im Säuseln des Windes und im Rauschen des Waldes entdeckt. Aber auch in der scheinbaren Stille, die sie am 14

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­ ipfel eines Berges erlebt, findet sie G Schaffenskraft. Manuela Kerer sprengt nicht selten musikalische Konventionen und erzählt uns, wie sie die Berge wahrnimmt. Manuela, wenn du eine Komposition den Bergen widmen würdest, wie wäre dann die Ouvertüre? Vermutlich würde ich sie klassisch mit den Höhen und Tiefen, der Enge der Täler und der Weite der Bergland­ schaften ausstatten. Aber genau kann ich dies spontan jetzt nicht sagen, ich müsste mich viel intensiver hineinfüh­ len und das verlangt Zeit und Muße. Sind die Berge deine Inspirations­ quelle? Kann der Kopf einer ­zeit­genössischen Komponistin ­eigentlich ruhen? Ich bin nicht in jeder freien Minute in den Bergen unterwegs, aber ich wan­ dere gerne mit meiner Familie und ­bekomme bei diesen Touren auch den

Kopf frei. Das Gehen trägt was Medita­ tives und Schönes in sich, obwohl ich im Grunde meines Herzens sehr faul bin. Nachdem ich meine Faulheit über­ wunden habe, erlebe ich einen wohl­ tuenden Rhythmus und entspanne mich. Ja, ich schöpfe auch kreative Kraft daraus, die ich in meine Werke einfließen lasse. Dies habe ich in die Komposi­tion, „Sussurament d la munt“, das Flüstern des Berges, eingebaut. Sind Stille und Ruhe für dich ein „luftleerer Raum“? Nein, die absolute Stille gibt es nicht. Ich stütze mich dabei an die Aussage des amerikanischen Komponisten John Cage, der entdeckte, dass die Stille nicht akustisch ist. Sie ist eine Be­ wusstseinsveränderung, eine Wand­ lung. Der coronabedingte Lockdown hat uns auch in der Stadt diese surrea­ le Stille nähergebracht. Wir konnten diese Stille, die dann durch „Nicht-­ Stille“ wie Lautsprecheransagen unter­


Musikfestival „Klänge der Dolomiten“ ­(siehe Seite 8) nahe dem Rifugio Rosetta in den Pale di San Martino Foto: Misha Maisky

CD-Cover

Selbstkritik an unserem Verhalten, zei­ ge aber auch unsere Ohnmacht auf. Durch meine Kunst kann ich unserem Egoismus in der heutigen Zeit den Spiegel vorhalten. Jeder von uns soll sich die Frage stellen, ob wir heute viel besser sind als in den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts. Weiters finde ich, dass wir wegen der aktuellen Ge­ gebenheiten nicht unser Leben auf den Kopf stellen sollen, aber mit mehr Bewusst­sein leben sollten.

liefern. Es war stimmig, denn das ­Rauschen der Flüsse war mit eingebun­ den. Das Wasser wurde zum Protagonis­ ten und das macht Sinn. Sinnlos ist es, wenn etwas inszeniert wird, was in einer Arena oder anderswo genauso stattfin­ den könnte. Die Natur sollte bei diesen Performances nicht in Mitleidenschaft gezogen werden. Was bedeutet für dich Freiheit? Ich bin frei und das ist ein unheimlich schönes Gefühl. Ich darf sein, wie ich bin, darf sagen und tun, was ich will. Dafür werde dafür nicht verfolgt. Das ist ein großes Glück. Ebenso kann ich mich durch meine Kunst ausdrücken, wie ich will, kenne aber auch meine Grenzen, die ich mir selber auferlege.

brochen worden ist, selbst erleben. Das menschliche Gehirn, das ich als ein absolutes Wunder betrachte, nimmt Klänge, Geräusche oder Stim­ men vom Nebentisch auf, auch wenn ich mit Menschen in ein Gespräch ­vertieft bin. Ein Vakuum des Klanges gibt es nicht. Ich drücke dies auch in einem Stück aus, bei dem acht Musiker im Rhythmus lautlos lächeln. In der Oper „Toteis“ unterstreichst du mit eindrucksvoller Lebendig­ keit das Genre Musiktheater. Du vermittelst, wie unheimlich uns die Heimat werden kann und mit welchen Mechanismen Menschen extremen Ideologien folgen. Ein ­Appell an unsere Gesellschaft und deren Eiseskälte? Toteis führt vor Augen, wie sich selbst­ betrügerischer Nationalismus und Hass im 20. Jahrhundert breitmachten, und schlägt dabei immer wieder Brü­ cken ins Heute. Ich übe auch ein wenig

Brauchen die Berge eine ­Inszenierung? Beim Wasser-Licht-Festival in Brixen war ich an einer Installation mitbe­ teiligt. An Eisack und Rienz wurden fünf Flügel aufgestellt und ich durfte am Morgengrauen eine Performance

Foto: Ingrid Heiss

Peter Righi

Was bedeutet für dich Heimat? Ich war viel unterwegs und bin immer gerne nach Brixen heimgekehrt. Wenn ich mit dem Zug ankomme, dann öffnet sich beim Anblick der Türme des ­Brixner Doms mein Herz. Hier ­fühle ich mich geborgen, weil ich kein Groß­ stadtmensch bin. Heimat ist für mich ein Gefühl, das sehr stark mit den Men­ schen verbunden ist, mit denen man in Beziehung steht. Heimat ist für mich aber auch die Landschaft mit i­hren Ber­ gen, in denen ich mich verwurzelt fühle.

Manuela Kerer studierte Violine und Komposition am Tiroler Landeskonser­ vatorium sowie Rechtswissenschaften und Psychologie an der Universität Innsbruck. Zu ihren Werken zählen Kompositionen für Orchester, wie κύκλος tίς κρίσις (2011), Chorwerke und Kammermusikkompositionen, etwa seelenblitz (2012) für Streichquar­ tett oder die Vertonung von 7 Geset­ zen des italienischen Strafgesetz­ buches für Streichsextett (SCH)LEX (2005). Einen weiteren Schwerpunkt nehmen musiktheatralische Werke und Opern ein (Whatever works, 2015, ­Plenissimo, 2015, Toteis, 2020) ­sowie die kompositorische Auseinander­setzung mit anderen Sparten wie Tanz, Schauspiel, Architektur oder Literatur.

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Hohe Töne

Zeiten & Zeichen Hubert von Goisern im Gespräch Wie aus einem Urknall explodierte Hubert von Goiserns Musik vor 30 Jahren. Heißer Gitarrenriff schlingt sich um Harmonikarausch und im euphorischen Beat ver­ schmelzen Jodelwellen zu einer ungewohn­ten Klanglawine. Es ist die Zeit der Alpinkatzen. Seitdem spannt der Urvater der Neuen Volksmusik mit einer Mischung aus Rock, Blues und Soul den Noten­bogen zwischen Traditionen und Ethnien dieser Welt. Hubert, wie fandest du den ­Notenschlüssel zu deiner Art von Musik? Ich glaub, Musik ist in meiner DNA ­verankert. Man muss sich mit seinem Talent aber beschäftigen, muss sich Mühe geben, etwas aus dem machen, was in einem angelegt ist. Als Musiker 16

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habe ich allerdings relativ spät begon­ nen, weil es in meiner Familie nicht un­ bedingt willkommen war. Ich habe ­lange gezögert und zugewartet, bis ich die Entscheidung traf. Der Anfang als Musiker war für mich nicht leicht, ich lebte von der Hand in den Mund und war auch sehr leidensbereit. Trotzdem fand ich dieses Leben viel besser als in den Jahren zuvor, als ich einen Nineto-five-Job hatte. Dein bahnbrechender Erfolg war mit den Alpinkatzen, woraus man eine Affinität zu den Bergen ableiten könnte. Sind Berge für dich wichtig? Ja, ich fühle mich sehr wohl, wenn ich von Bergen umgeben bin, und ich empfinde es als ganz großes Ge­ schenk, sie in der Nähe zu haben. Ich mag aber auch das Meer, ich mag

die große Natur. Und auch die Wüste finde ich sehr inspirierend – eigentlich ­alles Wilde, Ungezähmte, wo der Mensch noch nicht seinen Stempel hinterlassen hat. Diese Räume werden eh immer weniger und kleiner. Und plötzlich machtest du Schluss mit den Alpinkatzen, auf dem ­absoluten Höhepunkt deiner ­damaligen Karriere. Warum? Ich wollte es so, denn es wäre mir viel schwerer gefallen, diesen Weg fort­ zuführen. Es ging mir einfach auf den Geist. Alle redeten auf mich ein wie auf ein krankes Tier, welche Schritte ich zu tun hätte. Mit dem Erfolg kamen die „guten“ Ratschläge; vorher riet mir niemand was. Ich wollte diese Musik nicht immer wieder aufwärmen, des­ halb fiel es mir viel leicht, das Projekt aufzulösen.


Foto vom Musikfestival „Klänge der Dolomiten“ (siehe Seite 8) nahe dem Rifugio Roda da Vaèl. Die Abbildung zeigt nicht ­Hubert von Goisern Foto: G Cavulli

Hubert von Goisern Foto: Fersterer

Im Album Inexil befasst du dich mit der Musik Tibets. Inwiefern spielten hier die hohen Berge eine Rolle? Als Bergmensch interessiert man sich natürlich für den Himalaya, und auch die Erkundungsexpedition zum Nanga Parbat mit Heinrich Harrer und Peter Aufschnaiter sowie deren Flucht nach Tibet war mir bekannt. Die Idee zum Album entstand anlässlich einer Tournee, welche tibetische Künstler 1996 in Österreich machten. Ich be­ gleitete sie zwei Wochen lang und er­ hielt so einen Zugang zur tibetischen Kultur. Im Umgang mit diesen Men­ schen verspürte ich ihre unglaubliche Wärme, ihre Anteilnahme am Anderen, am Du. Ihr Lächeln bringt alles zum Schmelzen. Sie erklärten mir die poli­ tische Unterdrückung, in der Tibet seit der Besetzung durch Maos Truppen lebt. Ich konnte es kaum glauben, dass es so schlimm sei. Und da diese

Musiker im Exil geboren und eigentlich selbst noch nie in Tibet gewesen wa­ ren, dachte ich, dass ihre Aussagen wohl übertrieben seien. Deshalb wollte ich mich selbst davon überzeugen und ­begab mich ­einen Monat lang nach Tibet. Das, was ich sah, war für mich noch schlimmer als alle Geschich­ ten, die mir über d ­ ieses Land erzählt wurden. All die Repressa­lien, die diese sanftmütigen Menschen ertragen müs­ sen, machten mich fassungslos. Meine Gefühle d ­ arüber wollte ich mit Musik ausdrücken. In Dharamsala kontaktier­ te ich Künstler und so entstand das ­Album mit zeitgenössischer tibetischer ­Musik. Die Musik sollte das Hier und Jetzt ausdrücken und nicht irgend­ eine Meditations­musik oder eine Antho­logie von alten tibetischen Lie­ dern sein. Generell entstehen meine kulturel­ len Projekte durch Menschen, weil mich deren Schicksale interessieren. Dazu brauche ich keine Berge, aber am Beispiel Tibet sind es Menschen, die in diesem Milieu aufgewachsen sind und einen gemeinsamen Draht haben. Zu Menschen, die in den Ber­ gen aufgewachsen sind, habe ich ein anderes Lebensgefühl, da kann ich leichter andocken.

In den beiden Alben Trad befasst du dich mit echter, traditioneller Volksmusik. Wolltest du mit deiner Interpretation diese Musik fürs Morgen bewahren? Live gespielt oder gesungen, fand ich die traditionelle Volksmusik gut. Aber die Aufnahmen davon, die ich aus dem Radio kannte, fand ich – wie soll ich ­sagen – peinliche Interpretationen. Keiner von den jungen Leuten wollte sich das anhören. Darum wollte ich diese Musik in einer entstaubten Form und in einer Zeitlosigkeit neu interpre­ tieren. Die Alben stießen auf ein gro­ ßes Echo. Heute, 20 Jahre später, sehe ich das Ganze nicht als zeitlos und in einer anderen Ästhetik. Damals aber lag es förmlich in der Luft, mit der Ziehharmonika einen neuen Zugang zum Instrument zu finden und die tra­ ditionelle Musik neu zu denken. Bereits früher und auch in deinem aktuellen Album Zeiten & Zeichen vermittelst du politische Aussagen. Wie wichtig sind dir politische ­Botschaften? Es ist nicht so, dass ich mich hin­ setze und mir sage, ich will heute ein Lied über dies oder jenes Ereignis schreiben. Die Dinge kommen aus mir Bergeerleben 04/20

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„Ich fühle mich sehr wohl, wenn ich von Felsen umgeben bin“, Hubert von Goisern Foto: Fersterer

„Wenn Berge da sind, weiß ich, dass ich da hinaufgehen kann, um mir von oben eine neue Perspektive vom ­Leben zu holen.“ Hubert von Goisern

heraus. Sie beschäftigen mich und fin­ den ein Ventil in einem Lied, in Musik oder in einem Text. Im neuen Album Zeichen & Zeiten kommen viele Tiere vor. Ist das Stück Eisbär ein mahnender Hin­ weis auf den Klimawandel? Ich war ein paar Mal in Grönland, habe dort Konzerte gespielt und Freunde gewonnen. Die Natur in Grönland ist entrückend, der Mensch spielt eine sehr untergeordnete, demütige Rolle. Ein guter Freund sagte zu einem Ein­ heimischen: „Ich würde so gern einmal ein Eisbär sein!“. „Diese scheiß Eis­ bären!“, schimpfte der Grönländer, 18

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„ich brauch sie nicht, sie können über­ all auftauchen. Du musst immer ein Gewehr mithaben, wenn du dich vom Dorf entfernst, sie sind eine Bedro­ hung.“ Mein Freund, ganz betreten von dieser Anti-Eisbär-Stimmung, versuch­ te nachzuhaken mit der Bedrohung der Tiere durch den Klimawandel. „Erd­ erwärmung?“, sagte der Grönländer, „ich warte darauf, dann kann ich end­ lich Gemüse anbauen.“ Dieser Mei­ nung sind natürlich nicht alle Grönlän­ der, aber die Geschichte zeigt, wie relativ und komplex Themen wie der Klimawandel sind. Deshalb gibt es im Stück auch dieses karibische Feeling, obwohl es um Eisbären geht. Die Welt

dreht und verändert sich. Darüber nachzudenken, überlasse ich dem ­Zuhörer. Bei deinem neuen Album wirken auch viele Südtiroler mit. Wie kam es dazu? Es gibt schon sehr lange eine Süd­ tirol-Connection. Anfang der 1980er-­ Jahre lernte ich in Wien Irene Troi aus Brixen kennen, die großartige Geige­ rin und Orchesterleiterin. Diese Bin­ dung riss nie ab. Marlene Schuen, die später mit ihrer Schwester Elisa­ beth und mit Maria Moling in mein Team kam, war eine Geigenschülerin von I­rene. Als Spieler der diatonischen Ziehharmonika kommt man um ­Herbert Pixner nicht herum, ihn lernte ich im Rahmen eines Konzertes näher kennen. Herbert und ich möchten schon seit Jahren zusammen was Grö­ ßeres machen, aber jeder ist mit sei­ nen eigenen Projekten so beschäftigt, dass es bisher nicht geklappt hat. In


„Kennst di aus, woaßt, wos i moan? A Berg is nix anders wia a mords Trum Stoan. Aba drob’n auf’m Gipfel, des sog i allemoi, is’ vui schena wie drunt’n im Toi!“ Hubert von Goisern

diesem Album haben wir ein kleines Zusammenspiel, ebenso mit Manuel Randi. Für die Produktion zeichnet u. a. Alex Trebo.

plett anders. Wenn man sich selber bemüht und in sich selber hinein­ schaut, kann man den ­anderen gut ­verstehen.

Neben der Musik willst du dich schreibend verwirklichen … Beim Buch Stromlinien, einem Log­ buch der Reise auf dem Konzertschiff entlang der Donau, war es mir ein Be­ dürfnis, meine Erfahrungen zu teilen, die Schwierigkeiten, die es zu überwin­ den galt. Es war ein großes Mäandern und in erster Linie ein riesengroßer Willensakt. Ich dachte mir, es könnte einige Leute interessieren, wie man an Dinge herangehen kann. Ich schrieb immer schon Tagebücher und so war es naheliegend, die Erlebnisse auf dem Schiff in ein Buch zu bringen. Nachdem es geschrieben war, war ich irgendwie vom Ehrgeiz befreit, ein Buch zu schreiben. Mit dem neuen Buch flüchtig hingegen wollte ich mir beweisen, ob ich einen Roman schrei­ ben könne.

Wieviel „Eigenleben“ ist in dem ­Roman? In einem Roman kann man, auch wenn es eine fiktive Geschichte ist, nur aus dem eigenen Beobachten schöpfen; von einem selbst und von der Außen­ welt. Im Roman erwecke ich Personen zum Leben, es ist wie beim Golem, wenn aus einem Patzen Lehm eine ­Figur g ­ eformt wird. Wenn diese dann ein Eigen­leben entwickeln und wenn ich in deren Schuhe schlüpfe und wir ein Stück gemeinsam gehen, ist es et­ was Magisches. Ich bringe aber nicht nur die eigenen Gedanken in eine ­Figur, sondern es ist schon auch ein ­Dialog, ein Sich-Hineinversetzen. Aber es fließen natürlich Gedanken mit in die Geschichte, welche man sich im Laufe des Lebens zu allen möglichen Situationen gemacht hat – aber nicht in dem Sinne von: Das möchte ich jetzt anbringen.

Im neuen Buch flüchtig schreibst du aus dem Blickwinkel einer Frau … Das Skelett zum Buch war: Eine Frau verlässt ohne Kommentar ihren Mann, ihre ganze Umgebung und keiner weiß, warum. Ich erzähle die Geschich­ te aus dem Blick der Frau und ­derer, die zurückgelassen wurden. Sich in die Rolle einer Frau zu versetzen, ist nicht so schwierig, wie man denkt, wir liegen nicht so weit auseinander. Wir sind uns sehr ähnlich, es gibt nur einen kleinen, aber sehr wichtigen und auch schönen Unterschied zwischen Mann und Frau. Aber wir denken gleich, wir empfinden gleich. Es ist eine große Mär und Ausrede, wenn behauptet wird, das andere Geschlecht sei kom­

Du hast einen Kulturpreis für junge Künstler ins Leben gerufen … Durch meine Erfolge habe ich gut ver­ dient, aber ich bin nicht einer, der ei­ nem luxuriösen Leben etwas abgewin­ nen kann. Dann kam Südtirol auf den Plan in der Person von Irene Troi, die ob ihres Jugend-Streichorchesters Capriccio verzweifelt war, weil man sie seitens der Südtiroler Kulturförderung recht stiefmütterlich behandelte und sie zur Fortführung des Projektes drin­ gend Geldmittel benötigte. Ich fand das ein so großartiges Projekt und ­Irenes Einsatz so aufopfernd, dass ich es als Anlass nahm, etwas zu unter­ nehmen, um Künstler zu unterstützen.

Cover des neuesten Albums von Hubert von Goisern Foto: BlankoMusik.de

Mit dem Kulturpreis zeichne ich jedes Jahr Leute aus und unterstütze sie finan­ziell, damit sie das machen kön­ nen, wovon sie träumen. Es wäre aber eine falsche Überlegung zu meinen, mit Geld gelänge alles. Mit dem Kultur­preis soll aber der Scheinwerfer auf talentierte Personen gerichtet und mediale Anerkennung erreicht werden. Im Stück Dunkelrot singst du: Ich bin nicht der, der ich gerne wäre. Wer wärst du denn gern? Na ja, ich wäre gerne fehlerlos. Das bin ich nicht und ich werde meinen eige­ nen Ansprüchen sehr oft nicht gerecht. „Und all die Berge, die ganze Erde, und mit ihr all die träumenden Pferde, sie werden versinken, im Weiß ertrinken. Dann kommen ­Poeten und Träumer, sie neu erfin­ den“, dein Text aus November­ pferde. Lebst du deinen Traum? Das Stück habe ich vor Corona ge­ schrieben und als ich es im Lockdown einspielte, dachte ich mir, das ist das Bild für das Jetzt. Wir müssen unsere Welt neu erfinden. Träumer und ­Poeten müssen sie erfinden. Und ­Leute, die über den Tellerrand hinaus eine Fantasie entwickeln – und nicht immer nur wiederholen, was man ­bereits kennt. Ingrid Beikircher

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Ju-hu-hu-hui-o Jodeln auf der Höh

Jodeln ist seit einigen Jahren ­w ieder in vieler Munde, es erlebt derzeit eine Renaissance. Gejodelt wird heutzutage, wie in vergange­ nen Zeiten, vielerorts, am Land, auf den Bergen, und neuerdings hört man Jodeltöne auch in den Häuser­ schluchten der Großstädte.

V

iele Menschen entdecken beim gemeinsamen Jodeln, bei Jodel­wanderungen, -semi­ naren, -stammtischen und Jodel­ treffen, wie sehr die Melodien und die dabei entstehenden Harmonien ins Herz gehen und berühren. Lange Zeit jedoch war es in einigen Regionen des Alpenraumes still ge­ worden ums Jodeln, war es doch auch politisch vereinnahmt worden und in der Folge auch gesellschaftlich ver­ pönt. Jodeln in aller Munde Das Jodeln ist im gesamten Alpen­ raum zu Hause, doch wer weiß schon, 20

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dass dies auch die Menschen im ­Kaukasus oder die Pygmäen in Afrika und andere an vielen Orten der Erde seit Urzeiten tun? Das ursprüngliche alpenländische Jodeln hat wenig mit den Bravourjod­ lern oder den Schlagerjodlern der Hit­ paraden zu tun, die uns in jüngerer Zeit aus dem Radio entgegenschallen. Der Musikethnologe Raymond Amman weist in seiner Publikation „Tirolerei in der Schweiz“ darauf hin, dass aus­ gehend von der Neuen Volksmusik der 1980er- und 1990er-Jahre – hier seien z. B. Wilfried oder Hubert von Goisern erwähnt –, durch ihren Heimatbezug und ihre musikalische Intensität bei den Zuhörern Gemütsbewegungen auslöste. Diese Analyse Ammans er­ klärt das Aufflammen des Interesses für das ursprüngliche Jodeln in den vergangenen Jahren. Das Jodeln wird nunmehr zwischen den Menschen ­verbindend und nicht als patriotische Abgrenzung empfunden, sondern als eine Möglichkeit, um neue persönli­

che, musische Erfahrungen – sowohl alleine, als auch in einer Gruppe – zu sammeln. Was ist wirklich gemeint mit ­Jodeln? Jodeln bedeutet singen auf Silben, die keinen Wortsinn ergeben und da­ her viel Freiheit für Spontaneität im musikalischen Ausdruck zulassen. Das reicht vom spontanen Juchzen bis zum mehrstimmigen Jodeln in der Gruppe. Die Wurzeln dieser über Jahrhunderte tradierten Art zu singen lassen sich in der gelebten Bergwelt finden. Der Volksliedsammler Anton Werle (1803 – 1893) beschreibt dies 1884 in seinem Buch „Almrausch“ folgender­ maßen: „Die Jodler, Almer, Ludler, ­Wulatzer ­(regionale Bezeichnungen für den Jodler, genauso wie Johler, Dud­ ler, Juhiza; Anm. d. Red.) sind Natur­ gesänge – die nicht in der Stube am Schreibtische mit Hilfe des General­ baßes componirt, sondern von Sen­ nern, Schwaigerinnen, Mägden,


Jodelwanderung in der Sesvennagruppe Juchizen am Miesbodensee / Steiermark Fotos: C. Zwischenbrugger / W. Mayer

Halter­buben, Jägern und Bauern auf der Alpe in Wald und Feld, im Stalle, im Wirthshaus, auf dem Tanz­boden, bei Kirchweih- und Hochzeitsfesten frei gesungen werden.“ Davon zeugen auch einige Namen von traditionellen Jodlern, wie Mahderjodler, Glocken­ jodler, Brotjohler, Küahmelcher, Lab­ heuger, Goassuacher, Schafhalter, Küahtreiber. Hier kommt zum Aus­ druck, dass bei jeder Gelegenheit des täglichen Lebens, zu jeder Tageszeit, zu jeder Jahreszeit sowie bei wichtigen Ereignissen im Leben der Menschen seit jeher gesungen und in den ge­ nannten Fällen auch gejodelt wurde. Sehr oft wurden die Melodien der im Reigen gehörten Tanzmusik und auch getragene Melodien von Bläsern und anderen Instrumentalisten über­ nommen und frei nach Silben zu Jod­ lern umgeformt. Jodler erzählen Geschichten Die archaische Seite der Jodler und Juchizer stammt vermutlich von den Verständigungs-, Viehtrieb- und Vieh­ lockrufen sowie der Beschwörung des Dämonischen. Diese Rufe, die oft in Jodlern integriert sind, werden beson­ ders markant in allen Registern der menschlichen Stimme, vom Brust- bis zum hohen Kopfregister, erzeugt.

Jodler erzählen Geschichten, wie jene des Almlebens von anno dazumal, und es schwingt so vieles dabei mit. Viele Jodler haben die Endung: … auf der Ålm, über die Ålm, fix auf der Ålm, her über d’Ålm. „Die Alpe ist der ­wahre neutrale Boden für aller Stände, denn dort herrscht die echte Freiheit […], das Hirtenleben gleicht sich über­ all, wo es Alpen mit Viehweide gibt, auf den Alpen Europas, wie auf dem Hochlande Südamerikas, dort oben schallt überall der gellende Zuruf, der Jauchzer, ein Jubellaut, den nur der ungebundenste Frohsinn und das Be­ wusstsein der vollen Freiheit hervor­ bringt.“ (Werle 1884). Und genau diese starken Gefühle, eben Frohsinn und ungebundene Freiheit, erleben heute Menschen beim Jodeln, und nochmal mehr, wenn sie sich auf den Bergen, Gipfeln, auf der Schneid oder auf den weiten Almen befinden und dort die Jodler zum Erklingen bringen. Grup­ pen von Jodelbegeisterten in Beglei­ tung von Jodelvermittlern sind heutzu­ tage unterwegs und erleben bewusst die wunderbare Bergwelt als Gegen­ pol zum Alltagstrott, erzeugen und

­ enießen mit Freude die hohen Töne, g jene der Juchizer und der mehrstim­ migen Jodler aus vergangenen Zeiten sowie zeitgenössischer neu entstan­ dener Jodler. Claudia Zwischenbrugger, Will Mayer Quellen: Werle, Anton (1884): Almrausch: Almliada aus Steiermark / Amman, Raymond (2020): Tirolerei in der Schweiz

Claudia Zwischenbrugger ist Erzie­ hungswissenschaftlerin, Jodlerin und Jodelvermittlerin aus Hafling. Willi Mayer ist Musiker, Jodler und ­Jodelvermittler aus Wien

Jodeln mit Herta und Willi in Ramsau am Dachstein Dreistimmiges Jodeln

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Fernab von Watschentanz und Touristenholladio Herbert Pixner im ­Gespräch Feinste handgemachte Musik aus den Alpen – ein Synonym für ­Herbert Pixner. Heute treffe ich Herbert in Innsbruck zu einem ­Interview. Zuletzt durfte ich seine Musik am Fleckner See am Jaufen­ pass genießen. Sind die Berge Inspiration für ­deine Musik? Die Berge haben viel Einfluss. Viele Stücke sind wirklich vor Ort entstan­ den, auf der Alm. Entweder in der Schweiz oder auf den Almen in Süd­ tirol. Vieles entsteht aber auch jetzt noch aus dieser Zeit heraus, weil es einfach nachklingt. 22

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„Morgenrot“ ist mein Lieblings­ stück. Wenn ich es höre, spüre ich förmlich die Stimmung, sitze ­plötzlich am Berg und sehe, wie der Morgen geboren wird. Ist die Melodie so entstanden? Ja, auf der Alm, wo ich schon sehr früh aufstehen musste. Erst ist alles noch finster. Dann fängt es an, hinten herauf blau zu werden. Und dann wird es langsam hell. Es fängt an einzufärben. Auf einmal bekommt es alle möglichen Schattierungen und Stimmungen. Bis die Sonne dann kommt. Das ist dann der Schluss vom Stück. Obwohl wir es schon ewig spielen, ist es immer noch mein Lieblingsstück. Es dauert fast acht Minuten und ist eines der schwie­ rigsten. Es braucht eine große Span­ nung, die du auch körperlich halten musst.

Und das Stück „Alps“? Da habe ich immer so einen Bergkes­ sel vor Augen. Kurz vor ein Unwetter kommt. Wenn es schon so elektrisch wird, wenn es zu „pitzeln“ anfängt. Dann zieht es dir hinten so komisch den Rücken herauf. Du merkst an der Luft: Jetzt kommt etwas. Jetzt musst du das Weite suchen. Auf dem Cover Ihres jüngsten ­Albums „Lost Elysion“ („Verlorenes Paradies“) sind die Drei Zinnen ­umgeben von Meereswasser ab­ gebildet. Ist das eine Metapher? Es hat schon eine Mehrdeutigkeit. Die Drei Zinnen sind das Wahrzeichen Südtirols, wenn nicht sogar der ganzen Alpen neben dem Matterhorn. Dann diese Ironie, dass die Drei Zinnen einst aus dem Meer entstanden sind, aber,


Turbokapitalismus, der einfach die gan­ ze Gesellschaft, die ganze Welt zerstört. Auf einem eurer Plakate stand: ­„finest handcrafted Music from the alps“ (feinste handgemachte Musik aus den Alpen). Wie erklärst du das? Wir machen mit dem Herbert Pixner Projekt eine relativ intime Musik. Das funktioniert bei uns, solange man uns noch beim Spielen sieht, die Inter­ aktion zwischen uns Musikern wahr­ nimmt. Es gibt Ausnahmen, wo wir auch bei einem Festival spielen und über Videowände gezeigt werden. Aber das möchte ich nicht bei jedem Konzert haben. Es ist nicht unser Ziel, irgendwelche Olympiastadien zu ­füllen. Das Publikum soll heimgehen und sagen: Man sieht, wie die auf der Bühne arbeiten.

Symphonic Alps Tour 2019 mit den Berliner Symphonikern im Konzerthaus Dortmund Foto: Frank Wiesen

wenn es so weitergeht, irgendwann ­wieder im Meer stehen werden. Was tun wir mit den Alpen? Machen wir ein Disneyland daraus oder lassen wir sie so, wie sie sind? Ich glaube, wir haben genug Liftstationen gebaut. Es müsste eigentlich reichen, so wie es jetzt ist. Das verlorene Paradies steht auch für die gesellschaftspolitische Stimmung der letzten Jahre, diese fast schon Welt­ untergangsstimmung. Alleine was die Flüchtlingsthematik betrifft. Wehe, es kommt irgendein Fremder her. Wir müs­ sen Zäune aufstellen und Mauern bau­ en. Lassen wir sie alle ertrinken, Haupt­ sache, uns geht es gut. Und dann der

Für dich steht die Musik im ­Vordergrund, das Handwerk, nicht die Inszenierung … Auf jeden Fall. Du kannst heute mit ganz wenigen Mitteln schon etwas ­inszenieren. Alleine wenn du mit drei Kerzen auf der Bühne spielst, dann ist das auch eine Inszenierung. Aber ganz eine minimalistische und bewusste. Hingegen das Übertünchen ist ein Blödsinn. Zu uns sagen die Leute oft: Ihr braucht ja eigentlich gar nix. Am Berg ist es dasselbe. Wenn jetzt nichts wäre und du brauchst dringend etwas, dann kann man darüber diskutieren. Aber wenn es nur darum geht, etwas hinzubauen, damit du die nächste ­Attraktion hast, was ist dann das Nächste? Der Berg selbst hat so viel Kraft. Er ist ein fertiges Kunstwerk. Den brauchst du nicht mehr verschönern. Der Berg ist für mich ein Ort der Ruhe, der Abgeschiedenheit. Geh h ­ inauf, setz dich einfach mal hin und genieße es. Ich finde nichts schlimmer als Leute, die auf den Bergen herumschreien. Das ist für mich respektlos. Das ist das Gleiche, wie wenn ich in die Kirche hin­ eingehe. Da schreie ich auch nicht ­drinnen herum. Das hat für mich auch etwas Heiliges am Berg. Es ist ja auch schon ein Widerspruch, wenn ich oben am Fleckner See ein Konzert m ­ ache.

Die Stimmungen auf den Bergen sind ­Inspiration für Pixners Musik. Foto: Herbert Pixner

Ein Konzert bei einem Natur­ denkmal. Warum? Wir wollten im Passeiertal etwas Be­ sonderes machen. Aber an einem Ort, wo du nichts verändern musst. Da ist uns der Fleckner See eingefallen. Zum See habe ich auch einen persönlichen Bezug. Darunter sind unsere Mahder. Im Frühjahr und Herbst haben wir das Vieh neben dem See vorbeigetrieben. Außer der Holzbühne im See, die im­ mer wieder abgebaut wird, mussten wir nicht viel verändern. Er liegt neben der Jaufenpassstraße, daneben ist eine Almhütte, und man geht über be­ stehende Almwege. Ob da jetzt das Vieh darüberläuft oder einmal im Jahr 2.000 Leute darüberlaufen, das sehe ich jetzt nicht so schlimm. Ich organi­ siere das Konzert mit der Waltner Musik­kapelle gemeinsam. Nach dem Konzert hinterlassen wir alles, wie es vorher war. Wenn du extra einen Hub­ schrauber organisieren musst, der dir alles hinauffliegt, nur damit du auf dem Berg oben ein Konzert spielen kannst, so etwas fände ich furchtbar. Beim Konzert am Fleckner See 2019 hast du einen ganz besonde­ ren Gast auf die Bühne gebeten, deinen Vater. Hat er dich zur Musik gebracht? Soweit ich mich zurückerinnern kann, sehe ich das Bild von meinem Vater vor mir, wie er auf der Couch sitzt und Zieh­orgel spielt. Es war bei uns daheim ganz selbstverständlich, ein Instrument Bergeerleben 04/20

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Hohe Töne zu lernen. Es gehörte einfach dazu, Musik zu spielen und der Musikkapelle beizutreten. Da hatte ich dann ein ­soziales Umfeld, gleichaltrige Kolle­ gen. Wir sind am Samstagabend ins Probelokal gegangen, haben ein paar Bier aufgemacht, die ersten Zigaretten geraucht und miteinander Musik ge­ macht. Das hat uns über die wildesten Zeiten hinübergerettet. Das Musik­ spielen hatte für mich immer einen beson­deren Wert. Es war für mich ­immer ein Wunsch, ein Traum, Musiker zu sein. Vom Musiklehrer zum Volksmusik­ star. Wie hast du deine Karriere bisher erlebt? Am Anfang war es sehr mühsam. Ich habe in Klagenfurt studiert, nebenbei unterrichtet. Irgendwann habe ich das Studium abgebrochen, habe Ver­ schiedenes ausprobiert. Dann hatte ich meine eigenen Stücke. Ich fühle mich wohl, wenn ich mit meiner Musik eine Geschichte erzählen kann. Musik zum Zuhören, nicht einfach nur zum Feiern. Wir wurden am Anfang auch ausgelacht: Was wollt ihr mit eurer „Kekslmusik“ da? Macht doch so et­ was wie die Zillertaler, hieß es. Das war für mich die Motivation, mich zu be­ weisen. 2009 fiel die Entscheidung, nur mehr von Konzerttätigkeit zu leben. Dafür organisierten wir uns anfangs selbst eine Tour. Dann sind die Leute auf uns aufmerksam geworden. Heute dürfen wir in den schönsten Konzert­ häusern im deutschsprachigen Raum unterwegs sein. Und das Schönste ist: mit der eigenen Musik. Später habe ich mein eigenes Label gegründet. Ich muss keiner Plattenfirma gerecht werden, darf immer unberechenbar bleiben. Das Herbert Pixner Projekt ist eine der angesagtesten Gruppen der „neuen“ Volksmusik-Szene. Wie viele Auftritte spielt ihr im Jahr? Zwischen 2011 – 2016 haben wir bis zu 200 Konzerte im Jahr gespielt. Das war sehr anstrengend. Zuletzt waren es 70 – 8 0 Konzerte. Nun nehmen wir uns immer wieder ein Zeitfenster her­ 24

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aus, wo sich jeder Musiker mit den ei­ genen Projekten beschäftigen kann. Ich brauche die Zeit, wieder mal zu schreiben, die Vorbereitung für das neue Programm oder die neue Tour zu machen. Wenn ich dich auf der Bühne ­gesehen habe, fragte ich mich: So viel Energie, wie schaffst du das? Bist du ein Perfektionist? Ja, das musst du schon sein. Ich bin jetzt nicht in allen Sachen Perfektio­ nist. Bei allem, was Papiere betrifft, aber bin ich ein unglaublicher Schlamp­­ haufen. Die Bühne ist für mich fast wie ein heiliger Ort. Da oben muss für mich alles passen. Da möchte ich, dass jedes Kabel aufgeräumt ist. Und so­ bald wir die Bühne betreten, geht es nur noch darum, dass wir vier uns auf uns fokussieren und einfach Musik spielen. Fast alle unsere Stücke haben einen Improvisationsteil oder etwas, das wir nie gleich spielen. Damit bleibt

es j­eden Abend spannend, das hält die Konzentration hoch. Und da hast du auch die Energie. Du hast viele Sommer auf der Alm gearbeitet. Vermisst du heute, wenn es stressig ist, das Leben auf der Alm? Ich war 15 Sommer lang auf der Alm, von 1995 – 2010. Damit habe ich mir auch mein Studium in Klagenfurt mit­ finanziert. Es waren Almen ohne flie­ ßendes Wasser, ohne Strom, richtig urig. Du bist jeden Tag der Natur aus­ gesetzt. Man erinnert sich immer an die schönen Momente zurück. An ­einen Herbsttag zum Beispiel, wo du über die Weiden gehst und das Vieh schön daliegt. Du bist fit. Brauchst

Das Herbert Pixner Projekt: Heidi Pixner, Herbert Pixner, Werner Unterlercher und Manuel Randi. 2021 auf Jubiläumstour. Foto: Sepp Pixner


Herbert Pixner fokussiert auf seine Musik, Rudolstadt-Festival 2019 Foto: Bernd Scholkemper

k­ eine Uhr. Bist geerdet. Ich habe es aber auch verteufelt, weil es hart war, im Schnee das Vieh zusammenzutrei­ ben. Ich denke mir oft, es wäre schön, wieder einen Sommer lang oben zu sein. Vielleicht mit den Kindern. Ich würde ihnen gerne das Almleben näher­bringen, ohne jeglichen Luxus, ohne alles auf Knopfdruck zu haben. Bist du auch mal auf einen Gipfel hinauf? Ganz viel. Wo andere im Sommer ins Schwimmbad sind, sind wir eigentlich jeden Sonntag von daheim aus auf ­einen Berg in der Umgebung gegan­ gen. Es hat gewisse Gipfel gegeben, die ich einfach gerne gegangen bin. Zum Beispiel bei uns drin die „Reate“,

die Hochwart im Passeiertal, durch das Sailertal. Eine Tour mit einer unglaub­ lich schönen Aussicht. Ich habe immer wieder etwas Neues entdeckt, habe mich dort einfach wohl gefühlt. Ich er­ innere mich an ein besonderes Erleb­ nis auf dem Großvenediger von der Kürsingerhütte aus. Mit einem Freund aus dem Pinzgau. Er lachte mich aus, weil ich meine alten Bergschuhe und einen Sarner-Janker anhatte. Er mein­ te zu mir: „Wie bist du denn ausge­ rüstet?“ „Wieso?“, antwortete ich, „es ist doch Schönwetter angesagt.“ (lacht) Was bedeuten die Alpen für dich? Die Alpen sind für mich der Über­begriff für meine Heimat. Sie sind inter­national bekannt und mit vielen K ­ lischees be­ haftet. So wie die Volksmusik, wo die Leute glauben, dass e ­ iner auf der Alm­ hütte mit Leder­hosen jodelt. Ich spiele mit diesen Klischees, breche sie aber,

indem ich eben nicht in Lederhosen und mit irgendeinem Watschentanz und Touristenholladio auf die Bühne gehe, sondern die Einflüsse aus den Bergen in meiner Musik umsetze. 2020 hat das Corona-Virus den Ton angegeben? Ja. Die geplante Jubiläumstour 2020 musste abgesagt werden. Insgesamt an die 60 Konzerte. Das ist ziemlich bitter. Den Lockdown verbrachte ich in Gnadenwald. Großteils im Büro, um die Tour abzusagen, neue Termine für die Konzerte 2021 zu organisieren und am Album mit den Berliner Sympho­ nikern zu arbeiten. Ich arbeite zurzeit viel im Studio. An zwei neuen Alben und an einer DVD vom Konzert auf dem Fleckner See 2019. Nach sechs Monaten intensivster Arbeit im Studio ist es nun fertig. Symphonic Alps heißt das neue Baby. Anna Pichler

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Die verrückten Puppen ­rocken den Rosengarten Mad Puppet – zeitlos hochwertige Pop-­ Musik seit 40 Jahren Mad Puppet – die verrückte Puppe feiert dieses Jahr ihr 40-jähriges Bestehen und darf sich, wenn man den Bezug zum Berg sucht, durch­ wegs als Fossil bezeichnen. ­Ange­bracht wäre aber auch der Vergleich mit einem Kristall, denn Strahlkraft haben die Südtiroler Altrocker nicht verloren und die Ideenvielfalt der Vollblutmusiker ist seit jeher verspielt, lieblich ­bizarr und bunt. Geradeso wie der sagenumwobene Rosengarten, dem die Band ein ­Album und ge­ meinsam mit der Bürgerkapelle Gries ein unvergess­liches Musik­ projekt gewidmet haben. 26

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ktuell besteht die Band aus den drei Ur-Mitgliedern ­Manfred „Fred“ Schweigkofler (Stimme), Manni Kaufmann (Key­ boards), ­Christoph „Sane“ Senoner (Gitarre) und Tom Pichler (Bass) sowie Michael Mock (Schlagzeug), die seit vielen ­Jahren der „verrückten Puppe“ ­ihren junggebliebenen Herzschlag ­verleiht. Kürzlich erschien ihr fünftes Studio­ album mit dem Titel „Between“. Zum zeitlosen „Mad-Puppet-Stil“ gehört selbstverständlich die Stimme von Schweigkofler, der mit „Masque“ (1982, Vinyl-LP) nicht nur das Debütal­ bum eingesungen hat, sondern das sagen­hafte Album, „King Laurin And His Rosegarden“ (1994) maßgeblich mitgeprägt hat. Im Sommer 2010 sind die Mad-­ Puppet-Musiker für drei Konzerte

Konzert von Mad Puppet und der Bürger­ kapelle Gries am Karerpass Foto: Thomas Rainer

­ emeinsam mit der Bürgerkapelle g Gries auf die Bühne gestiegen, um ein für Rockband und Blaskapelle ei­ gens angefertigtes Arrangement des Konzept­albums „King Laurin and his Rosegarden“ aufzuführen. Ein Höhe­ punkt der gemeinsamen Klein-Tournee war das Live-Konzert am Karerpass mit Blick auf den glühenden Rosen­ garten, der sich am Höhepunkt des Musikspektakels mit Donner, Blitz und Regen als Protagonist in Szene gesetzt hat. Wir sprechen mit Thomas Pichler, der bei der Bürgerkapelle Gries und seit Jahren als Bassist bei Mad Puppet mitwirkt:


Tom, du bist seit 31 Jahren Bassist der Kultband Mad Puppet und seit 40 Jahren Klarinettist in der Bürgerkapelle Gries. Durch diese „Doppel­rolle“ konntest du das spannende Musikprojekt „King Laurin and his Rosegarden“ initiie­ ren. Wie verträgt sich „Progressive Rock“ mit dem Sound einer der rund 200 Musikkapellen Südtirols? Ein Kulturschock? Kulturschock nein, überhaupt nicht. Die Zeit war reif für etwas Besonderes und Einzigartiges. Der harmonische Bläserklang vermischt sich sehr gut mit den rockigen Gitarren und Keyboards. Die Songs haben auch sehr viele lyri­ sche, getragene Stellen, die sich auch besonders gut für Soloinstrumente wie z. B. Oboe, Flöte oder Trompete eignen. Am Ende geht es immer um dieselben Regeln: Musik. Verfolgt ihr in euren Songs ­bestimmte Themeninhalte oder überwiegen Klänge, Harmonien und Klangfarben? Bei „King Laurin“ war es ein Thema mit einem Gesamtkonzept für die Produk­ tion. Aber generell wird beim Arran­ gieren nach Harmonie, Klangfarben und Rhythmus gesucht. Was veranlasste euch, euer Album „King Laurin and his Rosegarden“, gemeinsam mit der Bürgerkapelle Gries neu zu arrangieren? Es waren die 30 Jahre Bandgeschichte, die uns bewogen, etwas Neues zu ­machen. Anfangs war die Idee mit Streichorchester, was wohl ­unseren

finan­ziellen Rahmen gesprengt hätte. Dann kam von mir der Vorschlag, die Bürgerkapelle Gries, bei der ich seit vielen Jahren mit dabei bin, einzube­ ziehen. Meine Kollegen waren gleich neugierig, konnten sich aber nicht wirklich was darunter vorstellen. Somit haben wir den kühnen Spreizschritt gewagt und haben ­beide Welten zu­ sammengebracht. Die Bürgerkapelle Gries und auch Mad Puppet konnten aus diesem P ­ rojekt viel Neues und ­Positives mit­nehmen.

Manni Kaufmann, Michael Mock, Christoph Senoner, Tom Pichler und Manfred ­Schweigkofler (v.l.) sind Mad Puppet Foto: Arno Dejaco

im Proberaum gemeinsam unseren ­Alltag zurücklassen und unsere Instru­ mente klingen lassen. Peter Righi

Inspirieren die Berge dich und ­deine Bandmitglieder für eure ­Musik? Bei „King Laurin“ war dies absolut der Fall, vor allem bei den Arrangements für die Bläser wurden in dem Kontext Klangbilder eingefangen. Sind die Berge fad? Brauchen sie eine Inszenierung? Die Berge sind imposant und verlan­ gen Respekt. Sie lösen bei jedem von uns andere Gefühle und ein anderes Verlangen aus. Sie selber aber brau­ chen keine Inszenierung. Was bedeutet für dich Freiheit, auch künstlerische Freiheit? Wo findest du sie? Freiheit bedeutet für mich, mich zu öff­ nen und uneingeschränkt die positive Energie aufnehmen zu können. Ich ­finde sie in den Bergen und überall, wo die Natur von selbst spricht. Auch in der Musik, beim Schreiben von ­neuen Songs und beim Proben. Es ist ein schönes Freiheitsgefühl, wenn wir

Mad Puppet ist eine viel beachtete und diskutierte musikalische Realität. Die „verrückten Puppen“ erkennt man an ihren Progressive Rock/Pop-Eigen­ kompositionen und sie begeistern mit ihren Bühnenshows. Nach ihrer ersten Vinyl-Scheibe „masque“ (1982), er­ schien „not only mad“ (1991), „king ­laurin and his rosegarden“ (1994) und „live at Carambolage“ (1997), „Cube“ (2000) und „between“ (2020). Mad ­Puppet verweist mit Melodie und ­Stimmung immer wieder in die Zeit der Synthpop-­ Bands der 1980er-Jahre. Zum Musikstück:

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Musik mit Weltoffenheit und traditionellen Werten Der Liedermacher Dominik Plangger Der Liedermacher Dominik Plangger wurde 1980 im Vinschgau geboren und entdeckte seine Liebe zur ­Musik sehr früh. Als Elfjähriger stand er bereits auf einer Bühne und zog später als Straßenmusi­ kant unter anderem durch Kanada und Irland. Die Erfahrungen aus ­jener Zeit sind bei seinen Liveauf­ tritten immer noch herauszuhören.

D

ominik Plangger ist ein Cha­ rakterkopf, der keine Klischees bedient und stets authentisch ist. Mit seinen Songs berührt er die Herzen und bewegt die Seelen seines Publikums. Plangger ist ein Künstler, der etwas zu sagen hat. Ob es sich um die Ge­ sellschaft, um Politik oder einfach um Probleme des alltäglichen Lebens ­handelt, stets gelingt es ihm, seine Themen auf den Punkt zu bringen. In seinen politisch sehr engagierten Liedern thematisiert er den Rassismus, Faschismus, die emotionale Kälte und 28

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Diskriminierung. Er singt in deutscher Sprache und im Südtiroler Dialekt, öf­ ters auch auf Englisch und Italienisch. Für ein paar Monate im Jahr zieht es den Wahl-Wiener dann aber dann doch immer wieder weg von den Büh­ nen, hin zu seinen Wurzeln. Jedes Jahr verbringt er den Sommer auf einer Alm in der Schweiz und arbeitet dort als Hirte. Neben seiner kraftvollen Stimme, seinen aussagekräftigen Tex­ ten und den schönen Melodien macht besonders seine Bodenhaftung einen wichtigen Teil seines Erfolges aus. Dominik, deine Liedertexte rüt­ teln wach und regen zum Nach­ denken an. Mir fällt jetzt dein Song „Namenlose“ ein, der das Elend der Menschen auf der Flucht und Heimat­losen schildert. Ist „Heimat“ ein zentrales Thema in deinen ­Liedern? Nein, eigentlich nicht, ich denke aber, dass man sich die Frage „Wer bin ich und wo komme ich her?“ im Leben oft

stellt. Das Land, oder viel mehr der Ort, an dem man aufwächst, prägt ­einen fürs Leben, ob man will oder nicht. Das ist vielleicht die einzige ­Heimat, die man hat, die Erinnerung an die Kindheit. Die Zukunft kennt ­keine Heimat. In deinem Song „Heimatland“ nimmst du dir kein Blatt vor dem Mund und besingst die Hassliebe zu deiner Heimat. Ja sicherlich, auch bewusst überspitzt, metaphorisch und provokativ. Dazu stehe ich, mit einem Augenzwinkern für die Brüller. Bereits vor mehreren Jahren hast du im Song „Südtirol“ die soziale Kälte in deiner Heimat themati­ siert. Sind es die Berge, die uns den Horizont versperren und uns die Weltoffenheit verwehren? Das weiß ich beim besten Willen nicht, ich glaube, dass einige Südtiroler ei­ nen Minderwertigkeitskomplex haben


Dominik Plangger verbringt die Sommer­monate auf einer Alm in der Schweiz und ist dort als Hirte tätig Foto: Dominik Plangger

und seit Jahrzehnten an Identitätsver­ lust leiden, was natürlich geschichtlich bedingt ist. Die müssen sich einreden, der Mittelpunkt der Welt zu sein, um dann nördlich vom Brenner und süd­ lich von Salurn für ihre Überheblichkeit abgewatscht zu werden, und sich dar­ aufhin wieder zurück nach Hause ver­ kriechen, um unter sich zu bleiben. Berge und Heimat stehen sehr oft eng zueinander. Wie siehst du das? Ja, für uns Südtiroler sicher, wir sind so aufgewachsen und der Begriff ­Heimat ist für uns eng mit den Bergen verbunden. Menschen aus dem Missis­ sippi-Delta werden ihre Heimat anders sehen. Sind die Berge und die alpine ­L andschaft untrennbar mit der Volksmusik verbunden? Die alpenländische Volksmusik ist si­ cherlich auch davon geprägt, dass die Menschen auf den Bergen leben und

mit ihnen umgehen mussten. Das ist Teil jeder „echten“ Volksmusik, dass sie von den Schönheiten und den Ge­ fahren und Nöten ihrer Umgebung ­erzählt. Bei uns sind es eben die Ber­ ge. Was freilich heute als Volksmusik verkauft wird, ist für mich nur Marke­ tingstrategie für ein austauschbares kommer­zielles Produkt.

Was bedeutet für dich Freiheit? Freiheit ist ein hohes Gut unserer Ge­ sellschaft, nur durch diese demokra­ tisch abgesicherte Freiheit können wir auch unsere individuelle Freiheit ge­ stalten. Wir dürfen das hier in unseren privilegierten Ländern nie vergessen, wie viel Freiheit wir tatsächlich haben und wie hart sie erkämpft wurde. Peter Righi

Sind die Berge, nicht nur die ­Südtiroler Berge, für dich ein ­Rückzugsort und eine Kraftquelle? Erlebst du die Berge „zu ruhig“? Ja sicherlich, ich bin ja schon seit Jah­ ren im Sommer in der Schweiz auf ­einer Alm, dort gibt es kaum Touris­ mus und es ist sehr ruhig, und genau das suche ich auf den Bergen, meinen ­Frieden. Dies halten wir auch ganz ­bewusst so und führen den Betrieb als Almwirtschaft, nicht als Bergrestau­ rant. Brauchen die Berge eine ­Inszenierung? Es wird viel kaputtgemacht in unseren Bergen, sie werden bis aufs Letzte ­ausgeschlachtet. Grad in Zeiten wie diesen sollte man wieder zum gemä­ ßigten Tourismus übergehen. Die ­Berge sprechen für sich selbst.

Der 40-jährige Dominik Plangger ist nicht nur in Südtirol, sondern auch im deutschsprachigen Ausland bekannt und auf den großen Lieder­macherBühnen zu Hause. Vor 15 Jahren ist Plangger nach Wien gezogen. „Dort ist es für einen Künstler einfacher, das Netzwerk ist größer“, sagt er. Heimat ist für ihn trotzdem immer noch wichtig. „Ich fühle mich wohl in Südtirol, wenn ich meine Familie und meine Freunde besuche.“ In seinem aktuellen Song „Heimatland“ plädiert er aber auch für ein offeneres Südtirol: „Ich will kein Heimatland der alten Werte, ich will kein Heimatland der Tradition, ich will ein Heimatland der tausend Sprachen, ich will ein Heimatland mit Verstand“, heißt es darin. Zum Musikstück:

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Volksmusik ist Herzmusik Die Kastelruther Spatzen – 40 Jahre Erfolgsgeschichte 13 Mal gewannen die Kastelruther Spatzen den Echo-Musikpreis in der Kategorie Schlager/Volks­ musik, davon 7 Mal in Folge. Sie ­liegen mit dieser Auszeichnung im absoluten Spitzenfeld, vergleichbar mit den Berliner Philharmonikern (Kat. Klassik). Mit über 15 Millionen verkauften Tonträgern sind die Spatzen europaweit eine der er­ folgreichsten Musikgruppen. Frontmann Norbert Rier erzählt von 40 Jahren Erfolgsgeschichte. Norbert, ist für dich ein Kind­ heitstraum in Erfüllung gegangen? Schon in der Schule macht mir das ­Singen große Freude. Als Jugendlicher

schaute ich gerne die TV-Hitparade – und klar träumst du davon, einmal auf einer Bühne zu stehen. Ich habe aber nicht bewusst auf eine Karriere hin­ gearbeitet, sondern es hat sich so er­ geben. Die Kastelruther Spatzen tra­ ten schon vor meiner Zeit im kleineren Rahmen auf, und als sie einen Schlag­ zeugspieler suchten, probierte ich es. Das war zu Silvester vor 40 Jahren – mein erster Auftritt. Mit der Zeit ent­ wickelte sich die Gruppe musikalisch weiter und ich wurde Leadsänger. 1983 veröffentlichten wir unser erstes Album. Es war ein schlagartiger Erfolg und öffnete uns die Konzerthallen im In- und Ausland. 1990 gewannen wir den Grand Prix der Volksmusik,

„Überhaupt müssten wir mehr mit der Natur leben und nicht die Natur mit uns.“ Norbert Rier

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Wie eine goldne Sehnsucht, die tief in uns erklingt - Musik ist eine Brücke, die ­Träume näher bringt; Liedtext aus „Volksmusik ist Herzmusik“ Fotos: Kastelruther Spatzen

was noch einmal eine Steigerung im Bekanntheitsgrad bedeutete. Euer Sound ist unverkennbar und deine Stimme das Markenzeichen der Gruppe … Als Sänger ist man vielleicht im Vorder­ grund, aber ich bin nicht der Chef der Gruppe. Wir hatten das Glück, uns ­gemeinsam einen Wiedererkennungs­ wert zu erarbeiten. Eine Traumkarriere allemal … Wenn ich zurückdenke an unsere erste Goldene Schallplatte – keiner von uns hätte je daran geglaubt, dass wir so lange so erfolgreich blieben. Es ist aber nicht so, dass uns der Erfolg in den Schoß gefallen ist, sondern es


Seit 40 Jahren ein Erfolgsteam

steckt sehr viel Arbeit dahinter! Und es ist auch nicht alles Gold, was glänzt. Das Showgeschäft hat seine Tücken und ich bin froh, dass ich das Privatle­ ben relativ gut von der Arbeit trennen konnte. Es ist auch nicht immer ganz einfach, da man im Rampenlicht für ­einige Leute eine Art Vorbild ist. Viele Fans wollen mich daheim ­besuchen und schauen, wie ich lebe, wollen ­Fotos und Autogramme – manchmal ist es wie an einem Wallfahrtsort. „Wallfahrtsort“. (schmunzelt) Ich erhal­ te auch A ­ nrufe von Menschen, die mir ihre Sorgen und Probleme ausschütten und sich von mir einen Rat erwarten. Ich bemühe mich ernsthaft um die Fans, aber manchmal wird es halt auch etwas viel und man muss eine persön­ liche Grenze ziehen. Aber ich nehme mir gerne die Zeit für ein nettes Ge­ spräch und kann so Menschen oft eine

Freude bereiten. Denn ein Stargehabe, wie es manche Kollegen der Branche haben, mag ich überhaupt nicht. Wir Spatzen sind da ganz unkompliziert. Unsere Musik soll sein wie eine Thera­ pie: Der Zuhörer soll genießen, vom Alltagstress abschalten und die Welt um sich vergessen. Was bedeuten für dich die Berge und warum sind sie in euren ­Liedern ein zentrales Thema? Die Berge faszinieren mich seit meiner Kindheit. Ich wuchs auf einem Bauern­ hof auf und als kleiner Bub verbrachte ich den Sommer auf den Almen, am Fuße des Schlerns und des Lang- und Plattkofels und hütete das Vieh. Später war ich in der Freizeit mit Kollegen wandernd oder auf Klettersteigen in unserer Bergwelt unterwegs. Berge sind für mich beruhigend. Auch heute noch verbringe ich meine Zeit gerne auf den Almen. Ich denke mir oft, man kann nicht dankbar genug sein, in ei­ ner so wunderbaren Gegend wie den

Dolomiten leben zu dürfen. Es gibt nichts Schöneres, als einen Sonnen­aufoder -untergang in den Bergen zu ­erleben! Man muss für diese beson­ deren Momente aber auch bereit sein. Leider sind die Dolomiten heute tou­ ristisch sehr überlaufen und es gibt nur mehr wenige Orte, wo man sich zurück­ziehen und die Stille genießen kann. In vielen unserer Lieder geht es um Berge und wir binden sie auch auf unseren Fotos und in den DVDs als Kulisse mit ein.

„Drei Zinnen streben hoch hinauf Wohl bis zum Himmelszelt Sie wachen über Südtirol Und grüßen die ganze Welt.“ Liedtext aus „Drei Zinnen“

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Hohe Töne Die Kastelruther Spatzen tragen mit ihrer Musik den Namen unseres Landes weit über die Grenzen und sind Südtirols erfolgreichstes, musikalisches Aushängeschild

liche Zugang zu Gott ist aber indivi­ duell und unterschiedlich, das muss respek ­tiert werden. Euer Markenzeichen ist die Tracht. Was wollt ihr damit vermitteln? Seit Beginn treten wir in der leicht ab­ geänderten Form der Kastelruther Junggesellentracht auf. Die Schallplat­ tenfirma und auch TV-Anstalten legten uns mehrmals nahe, in anderer Garde­ robe aufzutreten. Aber wir ließen uns nie davon abbringen. Die Tracht ist für uns ein äußeres Zeichen der Boden­ ständigkeit und der Verbundenheit zur Heimat. Wir machen Musik, die vom Herzen kommt und glaubwürdig ist. Die Tracht unterstreicht das.

Eure Texte sind teils mit Klischees beladen: Liebe, schöne, heile Welt … Mag sein, dass so mancher gewisse Lieder kitschig findet. Volksmusik ist Herzmusik. Liebe ist etwas vom Wich­ tigsten im Leben, damit sprechen wir viele Menschen an. Die Reaktionen ­unserer Fans zeigen, dass sie sich in unseren Texten wiederfinden. Wir ­wollen in unsere Lieder das Alltags­ leben mit einbinden, und da gehört Freude wie Leid dazu, aber es ist uns vor allem wichtig, gerade das Positive zu vermitteln. Jedenfalls sind wir bei den Texten recht kritisch, wollen viel­ 32

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seitig sein, immer wieder aktuelle ­Themen ansprechen und feilen oft an jedem Satz; speziell unser Albin Gross hat immer wieder tolle Ideen für Texte. Interessanterweise weißt du im Vor­ hinein nie, ob ein Lied ein Hit wird, das entscheidet allein das Publikum. Wie wichtig ist für dich der Glaube, der in euren Liedern immer wieder vorkommt? Der Glaube ist mir sehr wichtig, er gibt mir Halt, ich gehe sonntags zur Messe. Besonders bei Schicksalsschlägen hilft der Glaube vielen Menschen über schwierige Zeiten hinweg. Der persön­

Was bedeutet für dich, auf der ­Bühne vor Tausenden Fans zu ­stehen? Es gibt nichts Schöneres, wenn wir durch unsere Musik Menschen eine große Freude bereiten können. Wenn bei einem Konzert so viele Leute unse­ re Lieder mitsingen und wir Ältere ­genauso wie Junge bei unseren Kon­ zerten begeistern können, ist das schon ein unbeschreiblich tolles Ge­ fühl und entschädigt für Vieles. Die Gruppe hat uns all die Jahrzehnte zusammen­geschweißt. Wir sind viel gemeinsam unterwegs, das Kollegiale ist uns wichtig, aber keiner ist vertrag­ lich gebunden. Wichtig war uns immer, die Probleme unter uns auszumachen und alle anderen außen vor zu halten. Ich hoffe, dass es weiterhin noch lange so bleibt. Die Kastelruther Spatzen sind die musikalischen Botschafter ­Südtirols … Ich erinnere mich an einen Anruf eines norddeutschen Journalisten, der frag­ te: „Wo liegt eigentlich Südtirol, liegt das in Kastelruth?“ In unseren Anfän­ gen erhielten wir etwas Unterstützung seitens des Landes, aber der Prophet


Norbert Rier ist „die Stimme“ der ­Kastelruther Spatzen. Pferde sind neben der Musik seine große Leidenschaft

im eigenen Land zählte nicht viel. Zu Beginn taten mir abschätzige Kom­ mentare von Einheimischen schon weh, denn egal ob die Musik gefällt, aber der Werbeeffekt durch uns für das Land war enorm, vor allem der Tourismus profitierte davon. Durch ­unsere TV-Aufnahmen kam Südtirol in die Wohnzimmer von ganz Mittel­ europa, eine Werbung, die unbezahl­ bar ist und durch den Musikmarkt und durch Zeitungsberichte noch gestei­ gert wird. Das sehen wir am Spatzen­ fest, das 2019 zum 35. Mal stattfand und jährlich Tausende Fans hierher lockt. „Es ist kein Wunder, dass euch bei diesen schönen Bergen so schöne Lieder einfallen“, höre ich immer wie­ der, „da wollen wir auch mal hin.“ ­Heute wertschätzt man in Südtirol un­ sere Arbeit schon. Ich fühlte mich auch sehr geehrt, mit 48 Jahren das Ver­ dienstkreuz des Landes Tirol erhalten zu haben. Durch Covid-19 mussten heuer das Spatzenfest und eure Konzerte abgesagt werden … Es ist für mich etwas ganz Neues und Ungewohntes, aber ich genieße es auch mal, die Zeit gemütlich daheim zu verbringen. Meine Frau freut sich, dass ich viel zu Hause bin. Ich kann mich so auch mehr um die Arbeit am Hof kümmern. Dort habe ich zwar ei­ nen Mitarbeiter, ich packe aber gerne selbst an, wenn es zeitlich irgendwie geht. Unsere Wiesen und Felder sind steil, die Arbeit ist mühsam. Ich sehe es als positiven Stress. Mit dieser Ar­ beit bleibt man mit den Füßen auf dem Boden und lebt das „normale“ Leben, fern von allem Glimmer. Diese Zeiten sind mir wichtig. Unsere Auftrit­ te allerdings stehen still. Ich fühle mich wie 50 Jahre zurückversetzt. Man muss halt abwarten und geduldig sein. Stattdessen verbrachten wir viel Zeit im Studio für das neue Album „Liebe für die Ewigkeit“, das im Oktober ­erschien.

Du bist Vizepräsident des Welt­ verbandes der Haflingerpferde­ zucht und warst Vizeobmann des Vereins für Haflingerpferdezucht in Südtirol … Pferde sind seit 30 Jahren meine gro­ ße Leidenschaft, ich habe mich auf die Haflingerzucht spezialisiert. Wäh­ rend des Sommers sind die Tiere auf meinen Almen am Puflatsch und am Fuße des Schlerns. Ich mähe auch selbst auf der Alm und bin so oft als möglich dort. Ein Hochgenuss! Werden deine Kinder in deine ­Fußstapfen treten? Zu unserem 25. Spatzenjubiläum über­ raschten mich meine vier Kinder mit ei­ nem eigenen Lied. Es stieß auf großen Anklang, sodass meine Söhne Andreas und Alexander Interesse zeigten, in meine Fußstapfen zu treten. Ich sang auch einige Lieder mit ihnen im Duett. Alexander zieht es mehr in die Schla­ gerbranche, es ist für ihn aber nicht leicht, weil er ständig mit der Vater­ figur verglichen wird. Ich bin jedenfalls stolz – und hätte halt noch die größere Freude, wenn er den Hof übernehmen

würde. Das muss er aber selbst ent­ scheiden und man wird sehen, wie es sich entwickelt. Was sind deine Lebensgrundsätze? Da gibt es einige: Ehrlich währt am längsten. Genieße den Augenblick und sei dankbar für die gute Zeit in deinem Leben. Wir sollten versuchen, mehr mit der und nicht gegen die ­Natur zu leben. Vor der Pandemie ­erlebten wir eine Spirale, die sich mit einem ständigen Druck nach mehr ­zuspitzte. Wir lernen daraus, auch mit weniger zufrieden zu sein, den Lebens­ stil zu ändern und auch regionale ­Produkte mehr wertzuschätzen. Ich wünsche mir, in Gesundheit zu altern, sowie den Zusammenhalt in der ­Fa­milie. Solange uns das Spielen in der Gruppe immer noch sehr viel Spaß macht und wir ein großes Fanpublikum haben, werden wir es so schnell nicht enttäuschen. Meinerseits blicke ich ­jedenfalls auf ein bisher schönes und erfülltes Leben zurück. Eines unserer Stücke heißt „Ich würde es wieder tun“. Ingrid Beikircher

„Wenn morgens die junge Sonne Vom Osten die Berge grüßt, Dann gib mir die Hand, ich führe dich, Damit du ein Wunder siehst.“ Liedtext aus „Drei Zinnen“

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„Wohl ist die Welt so groß und weit“ Das Bozner Bergsteigerlied

„Wohl ist die Welt so groß und weit …“, mit diesen Worten beginnt das „Bozner Bergsteigerlied“. ­Bekannt ist es auch als Südtiroler Heimatlied und wird heute noch als inoffizielle Hymne Südtirols ­bezeichnet. Bei ­manchem wird ­bereits beim Lesen dieser ­Zeilen die Melodie in Gedanken mitschwingen.

D

och wer war der Autor dieses Liedes, das heute noch von Jung und Alt mit solcher In­ brunst und Begeisterung an so manch schönem Abend in geselliger Runde aus voller Kehle geschmettert wird? Es war Karl Felderer – Bergsteiger, Heimat­kundler, Fotograf, Vereins­ mensch und Schriftsteller. Am 17. Mai 1895 erblickte Karl ­Felderer in Margreid das Licht der Welt. Bereits als kleiner Junge wurde Karl von seinem Vater oft zu gemein­

samen Bergtouren mitgenommen, wo er die heimische Bergwelt schätzen und lieben lernte. Als Jugendlicher entdeckte er seine Leidenschaft für die Fotografie. „Zog so mit dem Foto­ kasten durch der Heimat schöne Welt, trage nur zu meinen Lasten immer das, was mir gefällt“, notierte Karl ­Felderer in seinem Lebenslauf. Die Lichtbild­foto­grafie wird noch über ­viele Jahre hinweg eine seiner Leiden­ schaften bleiben, genauso wie für das Bergsteigen. 1919 trat F ­ elderer der Sek­tion Bozen des Alpenvereins bei, deren Auf­blühen er jedoch nur wenige Jahre miterleben durfte. Der Faschismus in Südtirol Der Machtübernahme der Faschisten im Jahre 1922 folgten Schritt für Schritt Angriffe auf die Grundfesten der Südtiroler Kultur und Identität. Die deutsche Sprache wurde in Wort und Schrift verboten, deutsche Fami­ lie- und Ortsnamen durch italie­nische ersetzt. Selbstredend wurde auch das deutsche Liedgut verboten. Bei Verstoß drohten drakonische Strafen. Die deutschsprachigen alpinen Verei­ ne in Südtirol wurden aufgelöst, de­ ren Vereinseigentum beschlagnahmt. So wurde auch das von der Sektion Bozen im AVS erbaute und geliebte Schlernhaus dem Club Alpino Italiano CAI zugewiesen. Die weitbekannten, schmackhaften Knödel der „alten Wirtschafterin Kathi“ wurden in den

AVS Mitgliedskarte von Karl Felderer

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Karl Felderer, der Schöpfer des Bozner Bergsteigerliedes Foto: AVS-Archiv

ersten Oktobertagen 1923 ein letztes Mal gekocht. Karl Felderer war in dieser prägen­ den Zeit in seinen Zwanzigern. Wie ­viele andere seiner Bergsteigerkame­ raden suchte und fand er in den Süd­ tiroler Bergen die abhanden gekom­ mene Freiheit. Die Berge fungierten für ihn von nun an als Rückzugsort. Hoch droben entfloh man immerhin zeitweise der Unterdrückung: Dort war es noch möglich, deutsche Lieder zu singen und sich ungehindert auszu­ tauschen. Die Verbundenheit mit der heimischen Bergwelt spiegelt sich auch immer wieder in den Gedichten Felderers wider:

„Drum Brüder auf, das Glas erhebt, zum Preis der Zauberlanden, es haben doch nur halb gelebt, die niemals oben standen.“

Die Bedeutung der Musik für das Bergsteigen Für Karl Felderer und seine Kamera­ den waren Singen und Bergsteigen untrenn­bar miteinander verknüpft. Das gemeinsame Singen in geselliger Runde auf den Bergeshöhen schweiß­ te die verschworene Gemeinschaft noch w ­ eiter zusammen. Das alte Schreiner Wanderlied wurde während einer Wande­rung oft ein halbes ­Dutzend Mal gesungen, um die m ­ üden­


Lied-Titel von 1946 Noten aus "Kommt zum Singen", Athesia Verlag 1986

Beine im Gleichschritt zu halten. Es ­erklang häufig auch am Feierabend in der alten Stube beim Gasthof ­Weber in Moos am Ritten, wo schließlich zu ebenjener Melodie der Urtext des ­Bozner Bergsteigerliedes von Karl ­Felderer gedichtet wurde. Zur feier­ lichen Abendstunde, als der Rosen­ garten glühte, ertönte das Bozner Bergsteigerlied schließlich zum ers­ ten Mal. Hierzu Felderer: „Als wir das Lied im Freundeskreis zum ersten Mal san­ gen, war ich glücklich, wie sonst nur oben auf den Bergen. Bald war das Lied in unserer engen Heimat in aller Munde. Es dauerte nicht lange, bis es dann über die Grenzen drang und die Herzen der Bergsteigerjugend aller Alpen­länder eroberte.“ Wie das Bergsteigerlied zum ­Heimatlied wurde Und so erklang das Bozner Bergstei­ gerlied, vom Ritten ausgehend, bald in ganz Südtirol und weit darüber hin­ aus. Einerseits im gesamten deutsch­ sprachigen Raum aus Solidarität mit den Südtirolern, andererseits aus der Kehle von Südtirolern selbst, die im Zweiten Weltkrieg an mehreren Fronten verstreut eingesetzt wurden. Zu erwähnen sei aber auch der ambi­valente Einschlag des Liedes: Zu ­Zeiten der Option besangen Karl Felderer und andere überzeugte Optanten damit die „Treue zu Deutsch­

land“, die stärker sei. Die Dableiber hingegen sangen von der „Treue zur Heimat“. In der Nachkriegszeit änderte sich an der kulturellen Bedeutung des Musizie­rens auf den Bergen ­freilich wenig, weshalb die Tradition die folgenden Jahrzehnte über­ dauerte. Heute noch erklingt das Bozner Bergsteigerlied häufig auf Festen und diversen Veranstaltungen. Immer noch erfreut es sich großer Beliebtheit bei Jung und Alt. Wenngleich in den gan­ zen sieben Strophen die Bezeichnung

„Südtirol“ nicht einmal erwähnt wird, so war das Singen des Bozner Berg­ steigerliedes schon bei der Entste­ hung ein Bekenntnis und Ausdruck der Liebe zur Heimat und ist es auch heute noch. Karl Felderer selbst blieb dem AVS bis zu seinem Lebensende im Jahr 1989 treu und übte das Ehrenamt vor allem im Jugendbereich jahrzehnte­ lang aus. Für seine langjährige Tätig­ keit bekam Felderer schließlich am 6. März 1981 die Ehrenmitgliedschaft der Sektion Bozen verliehen. Manuel Maringgele, Ivan Stecher

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Aufn Berg und im Tål Die Volksmusik in Südtirol

Im Glieshof im hinteren Matschertal ­f indet das Seminar „Skitouren und Winter­wanderungen mit Musik“ großen Anklang. Erfahrene Ski- und Bergführer und bewährte Musikreferenten gewährleisten erlebnisreiche Tage. Der nächste Termin ist vom 25. bis 28. Februar 2021

Es gibt zahlreiche Lieder, die das Bergleben besingen und unweiger­ lich wird wohl jedem singenden Bergfreund „In die Berg bin i gern“ in den Sinn kommen.

W

eiters finden sich vor allem Lieder zum Leben auf der Alm: das sommerliche Be­ wirtschaften der Almwiesen „Von der hohen Ålm auf die Niederålm“, die Freude an der Natur und das Erleben der Berge vom Sonnenaufgang bis zur

Abenddämmerung „Wann i in der ­Fruah vor Tågs auf die Ålmen geah“, die Arbeit der attraktiven und fleißi­ gen Sennerin und ihrer Mitarbeiter in den Almhütten „Grüaß di Gott du scheane Sennerin“, die teils abenteu­ erlichen Geschichten der Jäger und Wildschützen „An einem Sonntagmor­ gen, gånz zeitig in der Fruah“, das ­Jodeln als Ausdruck der Lebensfreude „Juche, Tirolerbua, holaradio, hola­ radio, juchaz i der Ålmen zua, holara­ dio-di-o“ und natürlich wie immer und überall: die Liebe „… bei meiner Sennerin håb i mei Freid!“. Vom singenden Glück in den Bergen Wer in den Bergen unterwegs ist, hat schon selbst gespürt und erfahren, dass man auf dem Weg zum Gipfel ­eines Berges oder auch zum Gipfel des beruflichen oder persönlichen Er­ folges vieles hinter sich lassen muss. Alles hat nicht Platz im eigenen Ruck­ sack, jeder muss es ja selbst mittragen. Vieles „Überflüssige“ bleibt auf der

Fröhliches Tänzchen nach einer z­ ünftigen Skitour Fotos: Lisi Friesenbichler

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Strecke und belastet nicht mehr das ­eigentlich Wichtige. Da schwingen die Worte von Bischof Reinhold Stecher mit: „Viele Wege führen zu Gott, einer geht über die Berge.“ Volksmusik ist ein sehr persönliches Mittel der Kommunikation und ver­ langt einen direkten Kontakt zwischen Menschen und ihrem Umfeld. Dazu hat die Volksmusik alle Voraussetzungen zu bieten: zuhören und mitmachen, unmittel­bar und direkt reagieren, den Blick auf wertvolle Begegnungen fo­ kussieren, aktiv und kreativ mitgestal­ ten, die Lebensfreude hör- und spür­ bar zum Klingen bringen. Besonders in den Bergen sind die vielen Volkslieder ein wertvoller und unmittelbarer Be­ gleiter Es kann auch „nur“ ein sponta­ ner Juchzer, Ruf oder Schrei sein oder ein Jodler aus purer Freude. Wer dies­ bezüglich selbst Erfahrungen gemacht hat, „kann ein Lied davon singen“. Volksmusikangebote in Südtirol Der Südtiroler Volksmusikkreis organi­ siert zahlreiche musikalische Anlässe auf Almen und Berghütten. Jahrelang war Anfang August das Sängertreffen „Der Schlern ruft“ ein beliebter Treff­ punkt am Schlernhaus bei Familie


­ iroler Volksmusikvereins ist 2019 T das Singheft „Steig’ ma’s auffi!“ im hand­lichen A6-Format erschienen. Es kann kostenlos beim Südtiroler Volks­ musikkreis (info@volksmusikkreis.org, T. 0471 970555) oder bei der AVSLandes­geschäftsstelle bestellt oder abgeholt werden. Ein Kranz von Bergen Etliche Blasmusikmärsche von Tiroler Komponisten haben die Schönheit der ­Natur und der Berge zum Inhalt. Die bekanntesten sind „Wohl ist die Welt so groß und weit“ und der Marsch

„Dem Land Tirol die Treue“ von ­Florian Pedarnig. Im Text seines Bruders Josef Pedarnig heißt es bezeichnend „Ein Kranz von Bergen stolz und hocherho­ ben, umringt die Heimat mein Tiroler­ land. Die Gipfel strahlen hell in ihrem Glanze und leuchten weit von steiler Felsenwand.“ Der AVS-Marsch „Hoch hinaus“, welcher anlässlich des Jubi­ läums 150 Jahre Alpenverein in Süd­ tirol von AVS-Vizepräsidentin Ingrid Beikircher 2019 dem AVS „geschenkt“ wurde, ist die jüngste Komposition in diesem Sinne. Gernot Niederfriniger

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­ asser. Und jahrelang hat sich die ehe­ G malige AVS-Vizepräsidentin Margareth Ploner seitens des AVS darum bemüht. Aktuell wird diese Veranstaltung beim „Almerisch g’sungen und g’spielt“ im Bergrestaurant Mont Sëuc auf der Seiser Alm Anfang Juni fort­gesetzt. Der „Almhoangart“ auf der Oberen Stilfser Alm am Rochus-­Tag (16. August) ist ein weiteres Beispiel von vielen im ganzen Land. Der Almtanz der Arge Volkstanz wird seit 1963 jedes Jahr auf einer anderen Südtiroler Alm organi­ siert. Seit einigen Jahren findet im Alm­ hotel Glieshof im hinteren Matschertal das Seminar „Skitouren und Winter­ wanderungen mit Musik“ großen Anklang. Erfahrene Ski- und Bergfüh­ rer und bewährte Musikreferenten aus dem Alpenraum gewährleisten erleb­ nisreiche Tage. Der nächste Termin ist vom 25. bis 28. Februar 2021, siehe www.volksmusikkreis.org. In der Liederheft-Aktion des Süd­ tiroler Volksmusikkreises und des

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Sport und Musik auf hohem Niveau haben einiges gemeinsam: Passion, Training und T ­ alent. Wir sprachen mit jungen Kletterern, die am Fels wie am Instru­ment eine emotionale Klimax erfahren und maximale Energiedichte.

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ena Santoni ist erfolgreiche Sportkletterathletin im Team des AVS Passeier, Alex Walpoth und Andy Niederstätter sind Spitzenklette­ rer und Alpinisten. Alle drei verbindet die Liebe zum Klettern und zur Musik. Lena Santoni Lea singt in der Band „Santoni Family“, spielt Keyboard und Ukulele und lernt seit diesem Jahr Schlagzeug als Wahl­ fach am Pädagogischen Gymnasium, wo sie aber in der Fachrichtung Sport eingeschrieben ist. „Die Wahl der Fachrichtung am Gymnasium, Sport Lena Santoni auf musikalischer und ­s portlicher Bühne Foto: Peter Santoni

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oder Musik, fiel mir nicht ganz leicht. Heute bin ich glücklich, die Sportrich­ tung gewählt zu haben. Denn zusätz­ lich zum Sport hatte ich die Möglich­ keit, als Wahlfach ein Musikinstrument zu wählen, und Schlagzeug hat mich schon immer interessiert. Gegen drei Uhr nachmittags komme ich heim und um fünf geht’s zum Training in die Kletter­halle. Musiziert wird am Abend oder am Wochenende. Es ist ein Vor­

teil, dass ich gemeinsam mit meiner Familie zu Hause probe und wir es uns einteilen können. Und zum Glück geht mir das Einlernen neuer Lieder sehr leicht von der Hand. Für mich sind ­Musik und Sport der ideale Ausgleich. Beide faszinieren mich. Auf der Bühne tauche ich ein in eine andere Welt. Es fällt mir überhaupt nicht schwer, vor Publikum aufzutreten, obwohl ich ansonsten eher schüchtern bin. Beim


Andy Niederstätter beim Musizieren (oben) und beim Klettern im Ötztal (rechts). Foto: Fotos: Susanne Rafolt, Noemi Coser

Für ein tolles Bergerlebnis gehört für Alex Waldboth neben der Bergausrüstung auch die Gitarre dazu Foto: Martin Dejori

Klettern gefällt mir die körperliche Anstren­gung und das gemeinsame Trainieren mit meinen Freunden in der Mannschaft. Ich könnte mir das eine nicht ohne das andere vorstellen.“ Andy Niederstätter Andy kam über die Musikschule Klau­ sen zur Musik und erst später zum Klettersport. Lange Zeit spielte er Trom­pete in verschiedenen Ensembles und Bands. Als er die Liebe für das Klettern entdeckte und die Konzert­ termine damit unvereinbar wurden, hängte er die Trompete an den Nagel und lernte Gitarre. Mit diesem Instru­ ment waren Musik und Klettern für ihn wieder leichter vereinbar. „Auf Konzer­ ten bin ich seitdem lieber als Gast da­ bei, aber das überaus fleißig. Wie auch das Klettern ist für mich die Musik ein Vehikel für die Auseinandersetzung mit mir selber. Egal, ob in einer anspruchs­ vollen Alpin­tour oder in einer schwe­ ren Sportkletterroute – am besten ge­ fällt mir, wenn sich die Bewegungen wie von alleine aneinanderfügen. ­Dieser Zustand ist nicht erzwingbar, sondern gelingt nur, wenn ich mit mir selbst im Reinen bin und ich mich voll auf die Sache konzentrieren kann. ­Ähnlich ist es in der Musik: Am besten klingt es für mich, wenn Musik direkt vom Herzen kommt. Dem puren Kön­

nen kann ich im Klettersport mehr ab­ gewinnen. Mehr Training ermöglicht das Klettern von mehr und oft auch cooleren Routen. Es macht mir Spaß, mich an schweren Routen zu versuchen und mich an einen Durchstieg immer mehr heranzutasten. In der Musik spie­ le ich aufgrund purer Lust und Laune, aber nicht, um schneller oder virtuoser zu werden. Die für mich eindrücklichs­ ten musikalischen Erinnerungen sind nicht jene, die von großer Virtuo­sität geprägt sind, sondern in denen die Musik perfekt zum Moment gepasst hat, und die wie ein Soundtrack den Augenblick verstärken. Die Musik ist eine wichtige Säule in meinem Leben. Aus diesem Grund bin ich auch froh, mich nicht zwischen einem meiner zwei Hobbys entschieden zu haben, sondern immer beiden Leidenschaften treu geblieben zu sein.“ Alex Walpoth Alex kam als AVS Landeskaderathlet über das Sport- und Wettkampf­ klettern zum extremen Felsklettern und zum Alpinismus. Er spielt seit vie­ len Jahren Bassgitarre in der Band „Madax“. „Musik und Klettern verbin­ den für mich die starken Emotionen, die ich beim Ausüben beider Tätig­kei­ ten verspüre, und die Tatsache, dass beides gemeinsam mit Freunden viel

mehr Spaß macht. Es gibt viele Erinne­ rungen, in denen Klettern und Musik untrennbar miteinander verknüpft sind. Das Lied ‚Unchained melody‘ von U2 bringt unbewusst die erste zag­ hafte Annäherung an das alpine Klet­ tern an den Cinque Torri in Erinnerung. Bei Bonos flehentlichem ‚I need your love‘ befinde ich mich wieder unter je­ nen Wänden, die damals für mich noch höher und geheimnisvoller waren. Das Proben und die Konzerte waren immer ein anregender Ausgleich zum Klet­ tern. Es war manchmal schwierig, sich bei bestem Wetter im dunklen Probe­ keller zu verschanzen oder nach einem lauten Konzertabend am nächsten Tag vor Sonnenaufgang aufzustehen, um in eine stille Felswand einzutauchen. Was die Fingermotorik betrifft, denke ich, dass Gitarrespielen gut fürs Klettern ist, weil man sich eine gute Beweglich­ keit bewahrt. Umgekehrt ist es weni­ ger vorteilhaft. Das habe ich bemerkt, als meine Gitarrenlehrerin wollte, dass ich mir längere Fingernägel wachsen lasse, oder ich die schnellen Stücke nach einem zehrenden Klettertag nicht hinbekam. Doch um mit den Band­ kollegen leidenschaftlich Musik zu spielen, waren meine Finger nie zu müde – eventuell verwandelt man Sech­zehntel- halt in Achtelnoten.“ Ulla Walder

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Hohe Töne

Naturkonzert MIT

KINDERN

Naturmaterialien zum Klingen bringen Wenn ich mit meiner Familie durch den Wald streife, ist das immer auch ein besonders Klangerlebnis. Zum Vogelgezwitscher, dem Schwirren der Insekten und dem Rascheln der Blätter in den Baum­ kronen gesellen sich dann nämlich fortlaufend Klopf- und Häm­ mer-Geräusche dazu.

U

nsere dreijährige Tochter hat zwei Stöcke gefunden. Einen etwas längeren Ast eines Laub­ baumes und ein etwas kürzeres, aber umso dickeres Stück Nadelholz, die unterschiedlich helle und dumpfere Töne erzeugen, wenn sie damit gegen Baumstämme oder auf Steine am Wegesrand trommelt. Dabei trällert sie ein Kinderlied, ein wenig laut zuge­ gebenermaßen, zumal ich ihr immer wieder beibringe, sich im Wald mög­ lichst leise zu verhalten. Doch ich will dieses Konzert nicht unterbrechen, denn ich darf in der ersten Reihe ste­ hen und meiner Tochter zuhören, wie sie musiziert – mit Dingen, die die ­Natur für sie bereithält. Ich schlage ihr vor, gemeinsam noch nach Natur­ gegenständen zu suchen, mit denen wir zu Hause konkrete Instrumente ­bauen können. Schon die Suche nach geeigneten Materialien ist spannend, denn hinter ­jedem Baum, hinter jedem Strauch könnte das perfekte Stück Holz für ei­ 40

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nen Trommelstock oder für ein Natur­ xylophon lauern. Dem Basteln von Natur­instrumenten und damit zu musi­ zieren, sind im Grunde keine Grenzen gesetzt. Es vereint wichtige Lernfelder für Kinder, indem es wertvolle Erfah­ rungen in und mit der Natur, aber auch die Kreativität, das sich Entfalten und Ausdrücken im musikalischen und ­motorischen Sinn fördert. Ein paar Ideen zum Inspirieren-­ Lassen möchten wir euch vorstellen: Klangstäbe Aus möglichst geraden Aststücken verschiedener Bäume und Gewächse, vielleicht auch einem hohlen Schilfrohr, schneiden wir gleich große Stücke ab. Mit Schleifpapier runden wir die Klangstäbe noch ab. Spannend, wel­ che Bandbreite an Tönen beim ­Aneinander-Klopfen der unterschied­ lichen Holzarten dabei entsteht. Zum rhythmischen Begleiten ein ebenso simples wie ideales Holzinstrument. Maipfeife Die Maipfeife, die wir aus einem gera­ den Aststück einer Weide, eines Hasel­ nussstrauches oder einer Esche schnit­ zen können, ist ein Paradebeispiel für ein selbst bastelbares Instrument aus Naturmaterial. Eine detaillierte Schnitz­ anleitung findet ihr auf der AVS-Web­ site unter Kinder & Jugendliche/Tipps & Tricks/Frühling.

Kleine und große Waldxylophone Holzstücke ungleicher Länge und ver­ schiedener Bäume erzeugen ganz unter­schiedlicher Töne, die zusätzlich noch variieren, wenn wir verschieden­ artige Schlagstäbe verwenden – ob als große Version beispielsweise zwi­ schen zwei Bäumen aufgehängt oder

Egal ob ganz klassisch oder als Hänge-­ Xylophon – das Bauen von Xylophonen ­verspricht ein großes Klang- und Bastel­ erlebnis. Fotos: Ralf Pechlaner


als kleines, handtaugliches Instrument. Besonders gut eignen sich hierfür auch hohle Schilf- oder Bambusrohre. Ein überdimensional großes Wald­ xylophon bilden übrigens auch Baum­ stapel mit ihren übereinanderliegen­ den Baumstämmen unterschiedlicher Struktur. Hier gilt es aber aufzupassen, dass wir nicht einen oder mehrere Stämme ins Rollen und uns somit in Gefahr bringen! Holz Reco-reco Für dieses Instrument, das wir sehr schnell und einfach herstellen können, fertigen wir uns ein etwa 5 cm dickes und rund 30 cm langes Aststück, in das wir mehrere parallel verlaufende, säge­ zahnartige Rillen oder Kerben schnei­ den. Dazu schnitzen wir uns einen et­

was dünneren Holzstab, mit dem wir leichter oder fester über die Kerben streichen. Regenstab Dafür brauchen wir ein etwas längli­ ches, hohles Stück Holz. Manchmal fin­ den wir im Wald einen alten Ast, der innen bereits morsch ist und den wir selbst noch weiter aushöhlen können. Wir füllen den Stab mit Sand oder ­Kieselsteinen und verschließen die offe­nen Enden mehrlagig mit großen Blättern, indem wir diese mit starken Grashalmen oder Spagat um den Stab binden. Durch Drehen des Regenstabs fließen die Kieselsteine schneller oder langsamer im Hohlraum hin und her und erzeugen einen rauschenden, re­ genähnlichen Klang. Rasseln In Walnussschalen, Muscheln vom letz­ ten Meerurlaub oder in kleine Holz­ scheiben von Ästen bohren wir ein kleines Loch. Wir befestigen die Mate­ rialien einzeln mit einem Faden am Ende eines Holzstabs, den wir als Ras­ selgriff zuerst zurechtschnitzen. Indem wir nun die Rassel schütteln oder zwi­

Das Reco-reco erzeugt eine rhythmische Untermalung und eignet sich besonders zum Begleiten anderer Instrumente.

Zwei Möglichkeiten, wie wir uns recht ­einfach flotte Rasseln bauen

schen beiden Händen drehen, erzeu­ gen die am Faden hängenden Natur­ gegenstände durch gegenseitiges Anstoßen unterschiedlichste Klänge. Kastagnetten Wir schneiden aus einem dünnen Kar­ ton einen etwa 15 cm langen und 4 cm breiten Streifen, falten diesen einmal in der Mitte und kleben an die beiden Enden zwei Hälften einer Walnussscha­ le. Indem wir den Karton nun mit Dau­ men, Zeige- und Mittelfinger zusam­ menklappen, klopfen wir die Walnussschalen gegeneinander. Ralf Pechlaner

• Beim Basteln grundsätzlich bitte ­Tot­holz verwenden und nicht frische Äste absägen. • Kinder beim Werkeln mit gefähr­ lichem Werkzeug (Spitzbohrer, Säge, Taschenmesser) nicht unbeaufsich­ tigt lassen. • Schnitzregeln einhalten: Schnitzen nur im Sitzen! • Unsere selbstgebauten Instrumente können wir noch nach Belieben ­bemalen oder mit Schnitzmustern verzieren.

Fotos: Ralf Pechlaner

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Hohe Töne

Volksmusikabend Bürgerhaus Tramin 2019 Foto: Manfred Huber

„Singen isch insre Freid“ Die AVS-Singgemeinschaft Unterland „Singen isch insre Freid“ – dieses Lied könnte zugleich das Motto der AVS-Singgemeinschaft Unterland sein, die mit viel Leidenschaft und Herz seit 33 Jahren das echte, histo­ risch gewachsene Volkslied pflegt. as tägliche, manchmal harte, aber auch schöne Leben in den Bergen wird in den Volks­ liedern einfach und authentisch ­erzählt. Die Rede ist von Liebe und Trauer, von der Sehnsucht nach den Bergen, vom Wechsel der Jahreszei­ ten, aber auch von ganz konkreten Dingen wie „heit geahts mit mein ­Deandl zum Tanz­boden auf“ oder der Mühe beim Fensterlen: „Übers Loaterl, da steig i’s nit aufi, der Gangsteig, der is ma z’hoch drobn“.

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Alte Sangeslust Die Deutschen waren schon immer ein sangeslustiges und liederreiches Volk. Den Stoff ihrer Lieder nahmen sie zu­ 42

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meist aus den Götter- und Helden­ sagen. Der heutige Volksgesang hat nur noch in den Alpen eine lebendige Quelle. Per definitionem ist das „Volks­ lied“ ein Lied, das im Volk entstanden ist, das heißt: Dessen Dichter Dichter und ­Komponist nicht mehr bekannt sind, oder ein Lied, das „volksmäßig“, d. h. schlicht und einfach in Text und Melodie verfasst und komponiert ist. Historisches Liedgut Diesem Liedgut hat sich die AVS-Sing­ gemeinschaft von Anfang an ver­ schrieben. Es ist wohl der Vision und Hartnäckigkeit von Marlene Zwerger Matzneller zu verdanken, dass es die Singgemeinschaft heute noch gibt. Seit der Gründung leitet sie den Chor ehrenamtlich und erinnert sich an die schwierigen Anfangsjahre zurück: „Als die AVS-Sing­gemeinschaft 1987 aus der Taufe gehoben wurde, war es für mich als junge Chorleiterin von Anfang an klar, dass ausschließlich das

Singen des historisch gewachsenen, überlieferten alpenländischen Volks­ liedes im vierstimmigen gemischten Satz zielführend sein kann. Das war da­ mals bei Weitem keine Selbstverständ­ lichkeit.“ Auszeichnung Mit diesem besonderen Anspruch hat sich die AVS-Singgemeinschaft landes­ weit einen Namen gemacht und auch außerhalb der Landesgrenzen Ach­ tungserfolge erzielt, wie beim Ober­ österreichischen Volksliedwettbewerb in Bad Ischl im Oktober 2015, wo der Chor für seine Darbietungen die Best­ note erhielt. Heute gehören der Sing­ gemeinschaft über 50 Sänger aus zehn Gemeinden im Südtiroler Unterland und Überetsch an. Sie alle verbindet die Liebe zum Gesang und zu den Ber­ gen. So ist und bleibt die Hymne des Chores das Lied „In die Berg bin i gern“. Renate Mayr


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AVS-Aktuell

Gedanken zum Jahreswechsel von AVS-Präsident Georg Simeoni Ein besonderes Jahr neigt sich dem Ende zu; ein Jahr, welches zum großen Teil ganz im Zeichen von ­Covid-19 stand und uns allen bis heute einiges an Verzicht und ­Umdenken abverlangt.

I

n den Monaten März bis Mai schien es, als ob die Welt innehalten ­würde. Die Hektik in unserem Tun erhielt einen Dämpfer, viele von uns blieben in der Zeit der Ausgangs­ sperre zu Hause, und wir riefen unsere Mitglieder auf, auf Ski- und Bergtou­ ren zu verzichten. Das Vereinsleben ging aber trotzdem weiter, und im Sommer waren unsere Berge so stark besucht wie selten ­einmal.

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Telearbeit Wir mussten uns umorientieren, umler­ nen und teilweise auch neu erfinden. In der Geschäftsstelle wurde die Tele­ arbeit (Homeworking) eingeführt und viele Sitzungen wurden per Video­ konferenz abgehalten. Die Hauptver­ sammlung wurde vom 16. Mai auf 17. Oktober verschoben und musste schließlich wegen eines akuten Auf­ flam­mens der Pandemie abgesagt werden. Der per Gesetz bilanzmäßige Jahresabschluss erfolgte am 30. Okto­ ber per Videokonferenz einstimmig, alle weiteren Tagesordnungspunkte werden auf die HV 2021 verschoben. Mein Dank gilt der Sektion Meran und der Ortsstelle Schenna für Ihren Ein­ satz zur Vorbereitung beider leider ­abgesagten Veranstaltungen.

Wir alle bemühten uns jedenfalls aufs Äußerste, unseren Verpflichtun­ gen nachzukommen und so gut es ging die Arbeit zu organisieren. Was so manche referatsbezogene Heraus­ forderung betrifft, ist es uns im Herbst gelungen, dass wir mit Zuversicht in die Zukunft schauen können. Auch unseren internationalen Ver­ pflichtungen sind wir nachgekommen und haben auf Club-Arc-Alpin-Ebene unseren Beitrag geleistet. Maßnahmen für die Schutzhütten Sehr zu spüren bekamen unsere Hüt­ tenwirte die Situation. In Zusammen­ arbeit mit Landeshauptmann Arno Kompatscher und den Experten des Gesundheitswesens verfassten wir für die Schutzhütten eigene Verhaltens­


Vereinstätigkeit und geplante Berg­ fahrten – wenn auch notgedrungen mit geringerer Beteiligung – durchzufüh­ ren. Der Drang nach draußen war nach der langen Ausgangssperre groß und so haben sich spontan Gruppen gebil­ det, welche unter Einhaltung der ge­ setzlich vorgeschriebenen Vorsichts­ maßnahmen gemeinsam die Bergwelt erleben konnten. Genau in solchen Situa­tionen bestätigt sich der enorme gesellschaftliche Wert unseres Alpen­ vereins. Im Namen des Gesamtvereines bedanke ich mich bei allen Sek­tions­ vorständen und Ortsstellenleitern, ­unseren Touren- und Wanderführern, denn ohne ihren Einsatz wäre heuer Vieles nicht möglich gewesen! Mit einer Sonderregelung für unse­ re Selbstversorgerhütten und Jugend­ heime konnten auch die Jugend- und Familienlager abgehalten werden. Beson­dere Vorsichtsmaßnahmen er­ möglichten es, dass Familien- und Jugend­gruppen sorglose Tage in der Gemeinschaft verbringen konnten. Es hat sich gezeigt, dass die Jugendund Familienarbeit in den Sektionen gut läuft und dafür sei allen Beteiligten vielmals gedankt.

Foto: Benjamin Pfitscher – IDM Südtirol

regeln, die ein Arbeiten auf den Hüt­ ten erst ermöglichten. An dieser Stelle möchte ich allen Verantwortlichen ei­ nen herzlichen Dank für das Verständ­ nis aussprechen, das sie uns und unse­ ren Hüttenwirten entgegenbrachten. Aber auch den Hüttenwirten und den Gästen sei herzlich gedankt, sie haben sehr diszipliniert und verantwortungs­ bewusst die Hütten bewirtet und be­ sucht und es kam zu keinen Zwischen­ fällen sei es sanitärer wie rechtlicher Natur. Arbeit in den Sektionen Trotz aller Einschränkungen, die teil­ weise sehr einschneidend und fürs Vereins­leben nicht gerade förderlich waren und sind, ist es den Sektionen und Ortsstellen gelungen, die normale

Kletterhallen Ein besonderes Augenmerk verdienen im Zeichen von Covid-19 auch die Klet­ terhallen: Durch die starken Einschrän­ kungen erlitten gerade sie einen rund 50 % -igen Einbruch in ihrer Tätigkeit, und wie es sich abzeichnet, wird dies auch noch einige Zeit so bleiben, da unter anderem ein Teil des Schulsports anscheinend nicht mehr in den Kletter­ hallen stattfinden darf. Dies ist für die Kletteranlagen auch mit einem finan­ ziellen Aderlass verbunden. Natur & Umwelt In der ruhigen Zeit des Lockdowns hat so mancher im Stillen gehofft, dass es ein Umdenken vom Streben nach im­ mer mehr geben würde. Dies hat sich aber als Trugschluss erwiesen: Der Ver­ kehr ist derart angestiegen, dass es auf der Autobahn fast täglich Staus gibt, die Wirtschaft ist noch hektischer geworden, als ob alles aufgeholt und neue Rekorde aufgestellt werden

müssten, und einige der sinnlosen na­ turzerstörenden Projekte werden mit gleicher Vehemenz weiterbetrieben, ganz so als gäbe es eine zweite Welt in Reserve. In gewissen Kreisen scheint es sich noch nicht herumgesprochen zu haben, dass wir drauf und dran sind, auch das bisschen intakte Natur, die wir noch haben, zu zerstören. Dem Ein­ halt zu gebieten, ist unsere Aufgabe! Der Alpenverein hat den satzungs­ gemäßen Auftrag, die Schönheit und Ursprüng­lichkeit der Alpen zu erhal­ ten. Dementsprechend sind wir ver­ pflichtet, unser Engagement für unver­

baute und intakte Natur, Klimaschutz und Biodiversität weiter zu verstärken. Auch wenn wir heuer beim Kleinen Gitsch und in Sexten Niederlagen ein­ stecken mussten – wir machen weiter! Mit dem Projekt „Mein Hausberg“ hat der AVS den Denkanstoß zu einem klimafreundlicheren Verhalten bei den Vereinstouren gegeben; damit sollen viele unnütz gefahrene Kilometer ver­ mieden werden. Ebenso soll auch das schon seit Langem bewährte Modell „Wandern ohne Auto“ dazu beitragen. Zum bevorstehenden Weihnachts­ fest und Jahreswechsel darf ich allen Mitgliedern, Mitarbeitern und Funktio­ nären alles Beste und vor allem viel Gesundheit wünschen: Das Jahr 2021 kann nur besser werden! Georg Simeoni

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AVS-Aktuell

Meilensteine gesetzt Neues bei Ausbildung und Tourenleitern Das Vereinsjahr wurde durch die schwierige Situation um Covid-19 auch bei der Austragung von Aus­ bildungskursen und Sitzungen beein­flusst. Trotzdem ist es gelun­ gen, wichtige Meilensteine zu set­ zen: So hat das Referat Tourenleiter nun mit Michael Grünfelder eine neue Führung und auch der Fach­ ausschuss Ausbildung stellt Wei­ chen für die Zukunft. Tourenleiter wieder on Route Bei der Tourenleiterversammlung am 16. November letzten Jahres stellte sich niemand mehr für die Arbeit im Referat Tourenleiter zur Verfügung. Die Diskussion über die zusätzlichen Gruppenleiter in Fels, Schnee und Eis, die allein diese Bereiche betreuen, stand diesem Verhalten Pate. Seit Län­ gerem war man bemüht, auf Wunsch der Sektionen auch Gruppenleiter 46

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­ uszubilden, die für die verschiedenen a Bereiche als Unterstützung der Tou­ ren­leiter – die nach wie vor die voll­ kommene Ausbildung in allen Berei­ chen erfahren – in den Sektionen tätig sein sollten. Oft und lange berieten wir in der Landesleitung, im Präsidium und bei den Bezirkstreffen zu Beginn des Jahres über die erforderlichen Maßnahmen. Albert Platter, Präsidiumsmitglied und Bezirksvertreter des Vinschgaus, begann eine Motivationskampagne mit seinen Kollegen in den Bezirken, um nach neuen, tatkräftigen Mitar­ beitern in der Führung der Touren­ leiter zu suchen. Seinem steten Bemü­ hen war Erfolg beschieden. Helmut Dorfmann organisierte demzufolge am 9. Oktober 2020 in Feldthurns eine ­Zusammenkunft aller Tourenleiter. Nach der Einführung über die Struktur unseres Vereins bildeten die Teilneh­

Ein Hoch auf die Ausbildung im AVS Foto: Johann Pardeller

mer sechs Gruppen und arbeiteten die verschiedenen Bedürfnisse der Tourenleiter für das zukünftige Betäti­ gungsfeld der Tourenleiterführung aus. Die allgemeine Vorstellung der ­Ergebnisse wiesen sehr interessante Aspekte auf, die in Hinkunft abge­ arbeitet werden sollen. Nach diesem Block der Ideensammlung wurden acht Tourenleiter in das neue Führungs­ gremium gewählt. Bei der ersten Besprechung der frisch Gewählten am 30. Oktober wur­ de Michael Grünfelder von der Ort­ stelle Lüsen als Referatsleiter nomi­ niert. Sein Stellvertreter ist Simon Mittelberger von der Sektion Etschtal. Im Führungsgremium wirken weiters mit: Markus Lercher, Stephan Masoner,


Matthias Pichler, Stephan Pichler, ­Hanni Riegler und Peter Warasin. ­Somit sind die Tourenleiter wieder in allen Gremien des AVS vertreten. Die Erfahrung der Tourenleiter wird im zu gründenden Referat Alpine Füh­ rungskräfte eine große Rolle spielen. Als Erfahrenste unter den Gruppen­ leitern liegt es in ihrer Hand, sich den neuen Entwicklungen zu stellen und die tollen Herausforderungen richtig zu meistern. Allen, die sich einbringen, und be­ sonders dem Team um Michael viel Freude und Erfolg bei der Arbeit! Zentrales Thema Ausbildung Der nun seit einiger Zeit tagende Fach­ ausschuss für Ausbildung setzt sich aus Vertretern aller Bereiche im Alpen­ verein zusammen, in denen Ausbildun­ gen durchgeführt werden. Das reicht von der Jugend über den Naturschutz und die Sportkletterer bis zu den Gruppenleitern. Der Fachausschuss wurde von der Landesleitung als Fach­ gre­mium eingesetzt, um die Themen der Aus- und Weiterbildung einheitlich für alle zu bearbeiten. Ziel ist es, das Angebot laufend den Bedürfnissen anzu­passen, Korrektiven anzubringen und der Landesleitung über die Tätig­ keit zu berichten, die dann die Ent­ scheidung über die vorgelegten Maß­ nahmen trifft. So werden in diesem Gre­mium auch die Verbesserungsvor­ schläge der verschiedenen Referate und der Sektionen eingearbeitet.

arbeitern konnten wir aber die erfor­ derliche Entscheidungskompetenz bieten, mit deren Stütze sie die Orga­ nisation gestalten konnten.

Neue Grundausbildung Die Grundausbildung ist seit Herbst 2020 für alle neu. Zum Kurs Erste Seil­ länge und Erste Hilfe hat sich das ­Modul Orientierung, Tourenplanung und Wetterkunde gesellt, ein Wissens­ block, der von allen Führungskräften benötigt wird. Die Tourenleiteraus­ bildung wurde dank der Impulse der ­Sektion Brixen besser gestaltet. Dies zwei Beispiele der umfassenden ­Tätigkeit. In der durch Covid-19 bedingten ­Einschränkung war der Fachausschuss mit den Absagen, Verlagerungen und Neuaufnahmen der Kurse besonders gefragt. Unseren hauptamtlichen Mit­

Der Ausbildungswart Unsere Kurse sind nun online und fin­ den großen Anklang. Dem ist nicht ­genug, wir gehen noch einen Schritt weiter: Mit Februar 2021 werden ­unsere Aus- und Weiterbildungskurse mit dem Online-Gang der neuen AVS-Website noch besser dargestellt ­werden. Die Freigabe der Anmeldungen zu den Funktionärsausbildungen obliegt künftig den Sektionen, damit Kompe­ tenz und Verrechnung a priori geklärt sind. Hierzu sollte sich in jeder Sektion ein Ausbildungswart finden, der in ­diese Tätigkeit eingeführt wird. Ob eine Sektion alles zentral angeht oder

Die Ausbildung im AVS: ein stetes Lernen und Sammeln von neuen Erkenntnissen Foto: Lukas Auer

auch an die Ortsstellen delegiert, bleibt ihr überlassen. Wir empfehlen, alles über den Ausbildungswart der Sektion abzuwickeln, denn er wird es auch sein, der die neuen Angebote früh genug kennt und immer über alle Neuigkeiten informiert wird. Wie z. B. bei den Wegen durch den Wegewart, kann durch den Ausbildungswart der Sektionsleiter entlastet werden. Wer rastet, der rostet – nach diesem Motto hoffen wir, für das Wissen unse­ rer Führungskräfte viel auf den Weg zu bringen und in ihrem Sinne das Lernen und Wiederholen so interessant wie möglich zu gestalten. Elmar Knoll

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AVS-Aktuell Robert Renzler als Festredner bei der ­Jubiläumsfeier in Toblach „150 Jahre ­Alpenverein in Südtirol“ Foto: Walter Hackhofer

Renzler übergibt Seilschaftsführung beim ÖAV Beim ÖAV erfolgte kürzlich ein Führungs­wechsel: Robert Renzler, zuerst 17 Jahre Leiter des Alpin­ referats und seit 2003 General­ sekretär geht in Pension.

F

ür Robert Renzler war die Rolle des Generalsekretärs weit mehr als jene eines Verwaltungsleiter und seinen Handlungsspielraum füllte er kompetent und bodenständig mit weit mehr Inhalten aus. Schon als Profiund Spitzenalpinist gelang Renzler und seinem Team 1985 als bisher Einzigen, den 7.821 Meter hohen Masherbrum über die Nordwand zu besteigen und auch am Gasherbrum war Renzler er­ folgreich. Wen wundert’s, wenn das Mitarbeiterteam Renzler nicht nur als herausragenden Alpinisten, sondern auch als Chef mit ganzheitlichem Weit­ blick und ausgestattet mit einem ­„gerüttelten Maß“ an pragmatischem 48

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Hausverstand bezeichnet, der für ­jedes Problem zu haben ist. Imagepolitur und Wertehaltung In seinen 35 Jahren in Führungsfunk­ tion hat Renzler beim Österreichischen Alpenverein eine Reihe von Meilen­ steinen gesetzt. Insbesondere gilt es hier das Engagement um den Kletter­ sport hervorzuheben, wodurch es ge­ lang, die Jugend einzubinden und das jugendliche Image des Alpenvereins zu stärken. Dies sei auch einer der Gründe für den enormen Anstieg der Mitgliederzahlen auf knapp 600.000, so Renzler. Als Gründungsmitglied des Kletter­ weltcups war der scheidende General­ sekretär wesentlich daran beteiligt, den Klettersport international zu ent­ wickeln. Er selbst bezeichnet es als ­Geschenk der Zeit, dass er das Sport­ klettern mitgestalten, am Regelwerk

mitschreiben und den ersten Weltcup in der Wiener Stadthalle organisieren konnte. Mit Fingerspitzengefühl und per­ sönlichem Engagement vertrat Renzler den Alpenverein immer dann, wenn dieser als „Anwalt der Alpen“ gefor­ dert war. So beim Transitverkehr oder wenn unberührte Natur neuen Ski­ anlagen geopfert wird. Grenzüber­ schreitend konnte auch der AVS auf seinen wirkungsvollen Rückhalt zählen, so bei der Liftverbindung Kauner­talLangtaufers oder bei den Windrädern am Sattelberg. Kulturell interessiert, war Renzler die wissenschaftliche Aufbereitung der Rolle des ÖAV in der Zeit des National­ sozialismus ein besonderes Anliegen oder die Unterbringung des Museums­ bestandes in einem hochmodernen Archiv im Zuge der Übersiedelung in das neue Alpenvereinshaus. Über den Brenner Robert Renzler, der in Gries am Brenner wohnt, stand dem Alpenverein Südtirol nicht nur beruflich nahe. Gerne zieht es ihn zu den Skitouren ins nahe Pfler­ schertal, zu den Kletterrouten in die Dolomiten oder auf Radtouren und kulturelle Ausflüge nach Süden. Die Zusammenarbeit der Alpen­ vereine hat Renzler stets als Prämisse betrachtet und und wir dürfen uns als sein Herzensanliegen betrachten. ­Danke Robert, für deine Gemeinschaft und das Zueinanderstehen, wenn es galt die Natur und die Werte des Berg­ steigens zu verteidigen! Mit Clemens Matt, einem passio­ nierten Mitglied des Alpinteams der Sektion Innsbruck, geht die Seil­ schaftsführung im ÖAV-Haus wieder an einen Tiroler. Wir wünschen dem neuen Generalsekretär eine gute Routen­wahl und viel Freude für eine weiterhin fruchtbringende Zusammen­ arbeit zwischen ÖAV und AVS! Gislar Sulzenbacher


Wettkampfklettern in Zeiten von C ­ ovid-19 Südtiroler und Italien­ meisterschaft Unter strengen Covid-19-Vorsichts­ maßnahmen fand im September im Kletterzentrum Bruneck die Italien­meisterschaft 2020 im Sportklettern statt. Es war dies der erste offizielle Kletterwettbewerb in Italien seit dem Lockdown. Im Oktober wurden in der Kletterhalle Vertikale in Brixen die Südtiroler Meisterschaft im Bouldern aus­ getragen. Italienmeisterschaft in Bruneck Ein großer Vorteil an beiden Austra­ gungsorten war, dass sich die Kletter­ wände fast zur Gänze im Freien ­befinden. Die Corona-Vorsichtsmaß­ nahmen wurden penibel eingehalten. Alle Beteiligten waren froh, in Zeiten wie diesen wieder einen Wettbewerb organisieren oder daran teilnehmen zu dürfen. In Bruneck holten sich die Favori­ ten Laura Rogora und Stefano Ghisolfi, beide Athleten der Polizeisport­ gruppe Fiamme Oro, den begehrten ­Titel. ­Filip Schenk (5. Platz), Elisabeth

Südtiroler Meisterschaft: Preisverteilung der Buben U12; r.: Ernst Scarperi Maja Gritsch – Bewegungskünstlerin im technischen Plattenboulder Fotos: Jan Schenk

L­ ardschneider (7. Platz) und Michael Piccolruaz (7. Platz) kletterten ins ­Finale. Südtiroler Meisterschaft in Brixen In Brixen wurden die Südtiroler Meister 2020 in der Disziplin Boulder ermittelt. Endlich konnten sich auch die jungen Athleten in einem Wettbewerb wieder beweisen, welcher sozusagen als Ab­ schluss in der Disziplin Boulder für die letztjährige unterbrochene Saison galt und eine Probe für die kommende ­Saison ist. Die Südtiroler Meister 2020 im Bouldern sind: Daniela Augscheller (AVS Passeier), Pier Giulio Paglierini (AVS Meran), Matilda Moar (AVS Brixen), Lukas Pixner (AVS Passeier), ­Vanessa Kofler (AVS Passeier), Maximilian Hofer (AVS Gherdeina), Evi Niederwolfs­ gruber (AVS Bruneck), Elija Nitz Thaler (AVS St. Pauls), Jana Sanin (AVS Meran), Julian Kostner (AVS St. Pauls). Ulla Walder

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AVS-Aktuell

Impressionen aus den Sommercamps mit dem AVS Landeskader Fotos: Alexandra Ladurner

Der AVS-Landeskader u ­ nterwegs Trainingslager im Zeichen von Corona Die traditionellen Trainingslager des AVS-Landeskaders konnten zum Glück auch in diesem Jahr 2020 durchgeführt werden. Das U14-Team kletterte in Arco und ­Umgebung, die Athleten der U20 boulderten an den Granitblöcken im Val di Mello in der Lombardei.

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s war eine große Herausforde­ rung, unter Einhaltung der Covid-19-­Vorsichtsmaßnahmen etwas Gemeinsames zu organisieren“, sagt die Koordinatorin und Trainerin ­Alexandra Ladurner. „Alle Teilnehmer und Betreuer wurden kurz vor der ­Abfahrt getestet und die Sicherheits­ bestimmungen eingehalten. Dass ­alles so gut über die Bühne ging, ver­

AVS-Sportklettern und der AVS-Landes­ kader werden unterstützt von

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danken wir der guten Zusammenarbeit mit den Eltern und den Athleten. Es ist eine große Bereicherung für sie, am Felsen zu klettern. Die Dankbarkeit für die ­gemeinsamen Klettertage ist die ­Belohnung für die oft mühevolle Vor­ arbeit.“ Ulla Walder


Klettern auch im Winter Der Gemeindeklettergarten Mühlen

Mühlen ist eine Fraktion der Ge­ meinde Truden im Südtiroler Unter­ land und für seine südseitig expo­ nierten Felswände bei Kletterern bekannt und beliebt. Der Kletter­ garten liegt im Naturpark Truden.

Leichter bis mittlerer ­Schwierigkeitsbereich In den plattigen und senkrechten ­Routen in Kalkgestein, findet man vor allem Leistenkletterei; die Schwierig­ keitsgrade sind im leichten bis mitt­ leren Bereich. Das Gebiet ist wegen seiner Familienfreundlichkeit bekannt. Aufgrund einiger brüchiger Stellen wird ein Steinschlaghelm unbedingt empfohlen. Eine Besonderheit ist der sandige Untergrund am Wandfuß, weshalb ein Seilsack zu empfehlen ist;

Herrliches Klettern im leichten bis mittleren Schwierigkeitsbereich

dieser schützt das persönliche Seil, aber auch die Standkarabiner, welche wegen der großen Abnutzung durch den Sand in den Seilen regelmäßig ausgetauscht werden müssen.

Foto: Thomas Monsorno

Zufahrt In Montan Richtung Glen abbiegen und bei Glen vorbei Richtung Truden fahren. Noch vor Truden kommt man zum Gasthaus/Pizzeria „Zur Mühle“. Der dazugehörige Parkplatz wird von Kletterern genutzt, die den unteren Sektor besuchen. Wir ersuchen, sich bei den Grundbesitzern erkenntlich zu zeigen und im Gasthaus nach oder vor „getaner Arbeit“ einzukehren. Für den oberen Sektor fährt man Richtung Truden weiter und parkt in der Rechts­ ↖ Kurtatsch kehre bei den ausge­ wiesenen Parkplätzen. Die AVS-Sektion NEUMARKT Unterland bittet alle ↙ Trient Auffälligkeiten wie ↙ Salurn Bruchstellen in der Wand oder Abnutzungs­ erscheinungen zu melden an: Oberer MÜHLEN Sektor ­unterland@ A alpenverein.it. B

für 1 Jahr Kostenloses Topo

Mühlen

Struppi

code:

↗ Bozen AUER

A22

U

m den Besucherfluss zu lenken, hat die Gemeinde Truden im letzten Jahr verschiedene Ar­ beiten durchgeführt. Michael Epp, der Bürgermeister der Gemeinde Truden, unterstreicht die Attraktivität eines Klettergartens für eine Gemeinde: „Unser Klettergarten ist sicherlich ein Mehrwert für das Dorf. Er wird regel­ mäßig von Kletterern zu Trainingszwe­ cken oder für Ausbildungskurse be­ nutzt und besonders am Wochenende gerne von Familien besucht. Um das Parkplatzproblem im Griff zu behalten, wurden neue Parkplätze errichtet. Mittlerweile ist das Gebiet bestens ­saniert. Die gute Zusammenarbeit mit der AVS-Sektion Unterland, mit der Bergrettung sowie der Forstbehörde ermöglicht es, das Gebiet instand zu halten. Wir haben durch den Kletter­ garten eine Sportstätte mehr im Dorf.“

Ulla Walder

MONTAN

TRUDEN

GLEN MÜHLEN

→ Truden

MÜHLEN

Unterer Sektor

← Glen ← Montan

Gasthaus Zur Mühle

↙ Gschnon

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AVS-Aktuell

Das Friedensbiwak Geschichtsträchtige Notunterkunft in herrlicher Umgebung Das Friedensbiwak befindet sich ­direkt am Wandfuß des markanten und weithin sichtbaren Monte Castello (2.758 m) in der Fanes­ gruppe in den nordwestlichen Dolo­miten. Es handelt sich hierbei um einzigartigen Logenplatz mit beeindruckender Aussicht auf die darunterliegende Fanes-Hoch­ fläche und die umliegenden Fels­ wände der Sellagruppe, Marmolata und Tofane.

I

n der direkten Umgebung des Bi­ waks lassen sich noch Relikte öster­ reichisch-ungarischer Stellungen und Schützengräben aus dem Ersten Weltkrieg erkunden. Der Gipfel des Monte Castello selbst bleibt allerdings Kletterern vorbehalten. Von der Weltkriegs-Baracke zum Biwak Im Zuge des Ersten Weltkriegs verlief die Hauptwiderstandslinie zeitweise entlang der Bergkette der Fanisspit­ zen – Monte Castello – Monte Valon Bianco, also im unmittelbaren Umfeld des heutigen Biwaks. Dabei wurden 52

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von österreichisch-ungarischer Seite mehrere militärische Einrichtungen und Baracken gebaut, für die Versor­ gung der Artilleriegeschütze hat man sogar eine eigene Seilbahnverbindung bis knapp unter den Monte Castello errichtet. Nach Kriegsende verfielen die Strukturen zusehends, bis der dama­ lige Hüttenwirt der Faneshütte die Initia­tive ergriff. Er renovierte eine der Baracken und schuf so eine kleine Unter­kunft für Bergsteiger und Wan­ derer, die Capanna Monte Castello. Zu einem herben Rückschlag kam es dann 1962, als das Bauwerk durch Brandstiftung zerstört wurde. Ab 1973 begann der Verein Dolo­ miten­freunde löblicherweise, die ­ehemals für militärische Zwecke ein­ gerichteten Wege besser instand zu setzen und als Friedensweg/Via della Pace zu reaktivieren. Es fehlte aller­ dings noch an einem geeigneten alpi­ nen Stützpunkt, um für eventuelle ­Notfälle und Wetterumschwünge ge­ wappnet zu sein. Also hat man sich dazu entschieden, ein Biwak in einfa­ cher Holzbauweise zu errichten. Das

Bauwerk wurde 1975 fertig gestellt, passenderweise gab man ihm den ­Namen Friedens­biwak/Bivacco della Pace. Später ver­lagerten die Dolomi­ tenfreunde ihr Arbeits­gebiet und die Instandhaltung des Biwaks war nicht mehr gewährleistet. Der Zahn der Zeit nagte zusehends an der ausgesetzten Struktur, vor allem der Zustand des ­Daches verschlechterte sich. Im Jahre 2015 beschloss schließlich die AVS-Ortsstelle Mareo, gemeinsam mit freiwilligen Helfern die General­ sanierung des Friedensbiwaks anzu­ gehen. Mit tatkräftiger Unterstützung der Beteiligten und nach umfang­

Ausgestattet ist die Notunterkunft mit acht Schlafplätzen.


reichen Vorbereitungen konnten die Arbeiten rasch abgeschlossen und auch ein neuer Windfang errichtet wer­ den. Die Notunterkunft präsentiert sich seitdem wieder in einem brauch­ baren Zustand. Die Betreuung des Friedensbiwaks wird erfreulicherweise auch weiterhin vom AVS Mareo über­ nommen. Ausstattung und Zustieg Das Friedensbiwak ist mit acht Matrat­ zen-Schlafplätzen, einem Tisch mit Bänken sowie Decken ausgestattet. Eine Koch- oder Heizmöglichkeit ist nicht vorhanden. Während der Zustieg in den Som­ mermonaten auch gerne von Süden her über die Capanna Alpina (1.726 m) erfolgt, bietet sich im Winter in erster Linie das Berggasthaus Pederü im ­Rautal als Ausgangspunkt für Touren­ geher und Schneeschuhwanderer an. Von Pederü (1.548 m) aus gelangt man in rund 1,5 Stunden Fußmarsch zunächst zur Faneshütte (2.060 m). Weiter geht es zum Limojoch (2.172 m), dann in südwestliche Richtung zu­ nächst flach und später absteigend zur

Das Friedensbiwak am Fuße des ­Monte Castello in der Fanesgruppe Im Winter ist das Friedensbiwak ein willkommener Rastplatz für Skitouren­geher. Fotos: Martin Niedrist

Groß-Fanes-Alm (2.104 m) in rund ei­ ner Stunde Gehzeit. Das letzte Teil­ stück führt in das Valùn Blanch, vorbei an den Wänden des Campestrin, und schließlich auf immer steiler werden­ dem Gelände in rund zwei Stunden zum Friedensbiwak. Martin Niedrist

HINWEIS ZU BIWAKS, WINTER­R ÄUMEN & ­SCHUTZRÄUMEN Vom AVS betreute Biwaks, Winter­ räume und Schutzräume bleiben aus Gründen der Sicherheit am Berg auch in Corona-Zeiten unverschlossen, sind jedoch ausschließlich dem ­alpinen Notfall vorbehalten!

FRIEDENSBIWAK AVS Mareo Webseite www.alpenverein.it Schlafplätze 8 Notlager; keine Koch-/Heiz­ gelegenheit Anreise Von St. Lorenzen nach St. Vigil in ­Enneberg weiter durch das Rautal zum Berggasthof Pederü (1.548 m) Normalzustieg Vom Berggasthof Pederü zur ­Fanes­hütte (2.060 m), über das Limo­ joch (2.172 m) und die Groß-FanesAlm (2.104 m) weiter zum Friedens­ biwak (2.758 m) am Monte Castello, Aufstiegszeit ca. 4,5 h Tourenmöglichkeiten Dolomiten-Höhenweg Nr. 1 (Variante, nur im Sommer) Nachbarhütten Faneshütte (2.060 m), ­ Lavarellahütte (2.045 m), Scotonihütte (1.985 m)

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Natur & Umwelt

Jubiläum 50 Jahre Referat Natur & Umwelt Von der Vision, den Natur­schutz im Alpen­ verein auf eine breite Basis zu stellen Nach seiner Wiedergründung 1946 widmet sich der Alpenverein in Südtirol vermehrt dem Naturschutz. Zunächst etwas entkoppelt zwi­ schen Basis und Vereinsspitze, wurde der Naturschutz im AVS bald zu einer echten Bewegung.

D

ie 1970er-Jahre waren die gol­ denen Zeiten der Erschließer. Die Naturschutzkommission ­reagierte mit Stellungnahmen gegen die geplanten Skigebiets-Erschlie­ ßungsprojekte Ortler-Skiarena, Rieser­ fernergruppe und Villnösser Talschluss, gegen Straßenbauprojekte wie MeBo und Alemagna oder die Aufsplitterung des Nationalparks Stilfser Joch. Lang­ sam entwickelte sich in der Südtiroler Bevölkerung ein Nachdenken über 54

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diese Art der Entwicklung, der Ruf nach großen Schutzgebieten wurde laut. 1974 wurden Teile der Seiser Alm mit dem Schlern als erster Naturpark in Südtirol ausgewiesen. Dieses Um­ denken auch innerhalb der Mitglieder des AVS war nicht allen genehm, auch viele Vereinsfunktionäre hatten damit Probleme. Das Naturschutzreferat wird ­gegründet In diese Zeit fiel die Gründung des AVS-Naturschutzreferates in der Hauptleitung im Jahr 1971 mit der ­Ernennung des ersten Naturschutz­ referenten Prof. Viktor Welponer. Der Franziskanerpater und Lehrer Prof. Welponer hat das Referat aufgebaut und gemeinsam mit seinen Wegge­ fährten die Naturschutzarbeit im AVS geprägt. In einem Rundschreiben an alle Sektionsvorstände und Ortsstel­ lenleiter rief die Hauptleitung im April 1976 dazu auf, auch in den Sektionen und Ortsstellen Naturschutzreferenten zu ernennen, auch um den bisher allei­

Der Schlern in magischem Licht Foto: Clemens Obkircher

ne agierenden Naturschutzreferenten der Hauptleitung zu unterstützen und die Naturschutzarbeit im Alpenverein auf eine breitere Basis zu stellen. Dazu fand erstmals am 22. Mai 1976 in Bozen eine landesweite Arbeitstagung über Naturschutz- und Umweltfragen statt. Von den anwesenden 16 Sektionen und 14 Ortsstellen hatten bereits 10 ei­ nen Referenten für Naturschutz er­ nannt. Die Tätigkeitsberichte der Sek­ tionen und Ortsstellen zeichneten das Bild einer bereits vielseitigen Natur­ schutzarbeit vor Ort. Beliebt waren Dorfreinigungsaktionen, die zusam­ men mit anderen Vereinen durchge­ führt wurden. Die Sektion Bruneck en­ gagierte sich gegen die skitechnische Erschließung der Rieserfernergruppe und versuchte über eine Werbeaktion Mitglieder zu gewinnen, die sich an der Ausarbeitung von Alternativen


Mit dem Erwerb der Naturschutzbeitragsmarke sollten Mitglieder sich zum Naturschutz bekennen. Positiver Nebeneffekt: ­f inanzielle Mittel für die Naturschutzarbeit.

und eines Entwicklungskonzeptes für Antholz beteiligten. Die Sektion Brixen und ihre Ortsstellen engagierten sich gegen den Bau einer Straße in die ­Valser Schlucht. Sensibilisierung be­ trieben die Sektion Hochpustertal mit ­naturkundlichen Quizausflügen für Schüler, die Sektionen Sterzing und Welschnofen mit der Abhaltung einer Naturschutzwoche, die Sektion Meran mit der „Aktion saubere Bergwelt“ und der Organisation eines internatio­ nalen Fotowettbewerbes, um für die Ausweisung des Naturparks Texel­ gruppe zu werben. Der AVS-Naturschutz wird ­organisiert Eines der wichtigsten Ergebnisse der Arbeitstagung war der Beschluss, inner­halb des Vereins eine Struktur für den Naturschutz aufzubauen: Natur­ schutzreferenten in den Sektionen und Ortsstellen oder gar eigene Natur­ schutzgruppen, die mehr oder weniger unabhängig ihre Tätigkeiten durch­ führten. Bei der Arbeitstagung wurden folgende Aufgaben des Naturschutz­ referenten formuliert: • Information und Aufklärung in Bezug auf Natur- und Landschaftsschutz vereinsintern und nach außen • Koordination von Aktionen und Zu­ sammenarbeit mit anderen Verei­ nen, Schulen und Behörden • Aufzeigen von Missständen und eventuelle Anzeige bei den zustän­ digen Behörden • Mobilisierung der AVS-Mitglieder zu selbstständigen Aktionen auch in Form einer Naturschutzgruppe in­ nerhalb der Sektion oder Ortsstelle

Zur besseren Kommunikation, Koordi­ nation und zum Erfahrungsaustausch wurden Bezirksausschüsse gegründet, welche Bezirksvertreter in den Natur­ schutzausschuss der Hauptleitung ent­ sandten. Die Naturschutzreferen­ ten-Vollversammlung wurde oberstes Organ des AVS-Naturschutzrefera­ tes. Die Müllsammelaktion „Saubere Berge – Sauberes Land“ 1977 war die erste gemein­same landesweite Aktion des AVS-Naturschutzreferats. Die ­Sektionen und Ortsstellen säuberten Berggipfel in ihrem Arbeitsgebiet und veröffentlichten Erfolgsberichte. Um die Tätigkeit des Referats zu finanzie­ ren, wurden ab 1976 dreieckig gestal­ tete Naturschutzmarken als Ergänzung der AVS-Jahresmarke für einen Min­ destbeitrag von 1.000 Lire verkauft. Viktor Welponer war überzeugt, dass es eine Ehrensache für jedes AVS-Mit­ glied sei, durch Ankauf der Beitrags­ marke die Naturschutzarbeit zu unter­ stützen. Erstarktes Selbstbewusstsein Bis zur ersten Jahresversammlung der Naturschutzreferenten am 27. Novem­ ber 1977 in Kohlern hatten die Bemü­ hungen bereits Früchte getragen. Über die Naturschutzarbeit im AVS wurde auf breiter Basis gesprochen und zahlreiche Mitglieder hatten sich direkt an Aktionen beteiligt. Nach

Aufkleber mit dem Leitspruch der Naturschutzgruppe im AVS, illustriert von Heiner Gschwendt 1978

­ inem Jahr Aufbauarbeit gab es in e 56 Sektionen und Ortsstellen einen eige­nen Naturschutzreferenten. Ende des Jahres 1976 wurde als erste Natur­ schutzgruppe jene der Sektion Bozen gegründet, 1979 die Naturschutzgrup­ pe der Sektion Brixen, weitere folgten. 1979 konnte das Referat für Natur und Umwelt gemeinsam mit Vertretern der Sektion Unterland einen ersten großen Erfolg einfahren: Dank des Einsatzes des damaligen Landesrates Alfons ­Benedikter beschloss der Landesaus­ schuss, das neuzuerschließende Ski­ gebiet Radein aus dem Bauleitplan zu streichen. Selbstbewusst stellte das Naturschutzreferat das Jahr 1978 unter das Motto „Ich bin für Naturschutz!“. Passend dazu fertigte der neu gewähl­ te Naturschutzreferent und Klausner Künstler Heiner Gschwendt dem AVS einen Holzschnitt an, wovon Aufkleber angefertigt und landesweit verteilt wurden. Spätestens ab diesem Zeit­ punkt ist der AVS nicht mehr aus dem Natur- und Umweltschutz in Südtirol wegzudenken. Weiterführende Berichte sind im Buch „150 Jahre Alpenverein in Südtirol“ enthalten. Anna Pichler

Die Naturschutzgruppe gab ihre eigenen Mitgliedskarten heraus.

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Natur & Umwelt

Könige der Alpen Winter bei den Steinböcken Der Steinbock ist das Symbol des Hochgebirges und gilt als der beste Kletterer unter den heimischen Huftieren. Die Eleganz, mit der er sich in seinem felsigen Lebensraum zu bewegen vermag, ist einzigartig.

M

itte des 19. Jahrhunderts war das Steinwild aufgrund über­ mäßiger Bejagung praktisch aus dem gesamten Alpenraum ver­ schwunden. Grund für die Bejagung war neben der Beschaffung von Fleisch auch der Umstand, dass der Steinbock als „wandelnde Apotheke“ angesehen wurde: Blut, Hörner, Kno­ chen oder Magensteine wurden in der traditionellen Volksmedizin verwendet. Nur im Aostatal, im Gebiet des heu­ tigen Nationalparks Gran Paradiso, überlebte ein kleiner Restbestand von etwa 50, 60 Stück Steinwild die jahr­ hundertelange intensive Bejagung. Als dieses Gebiet 1836 zum königlichen Jagdrevier wurde, wurden die Tiere vollständig unter Schutz gestellt und von Wildhütern bewacht. Wilderer aus Aosta brachten einige Steinkitze in die 56

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Schweiz und machten damit gute Ge­ schäfte. Die Tiere wurden im Tierpark aufgezogen und schließlich ausgewil­ dert. Aus dieser kleinen Restpopula­ tion stammen alle Tiere ab, welche im Laufe mehrerer Jahrzehnte an geeigne­ ten Orten wieder angesiedelt wurden. Die heutigen Steinbockkolonien in Südtirol gehen auf Wiederansiedlungs­ projekte seit den 1950er-Jahren zurück. Symbol der Alpen Der Alpensteinbock gehört zur Familie der Hornträger. Er ist enger mit der Hausziege als der Gämse verwandt. Beide Geschlechter tragen Hörner, die zeitlebens von der Basis aus weiter­ wachsen. Durch die Unterbrechung des Hornwachstums im Winter ent­ stehen Jahresfurchen. Sie dienen der Altersbestimmung bei den Böcken. Ihre Hörner können über einen Meter lang und bis zu fünf Kilogramm schwer werden. Ab dem zweiten Lebensjahr werden auf der Vorderseite der Hörner pro Jahr ein bis drei auffällige Schmuck­ knoten ausgebildet. Geißen haben ­hingegen kürzere, nur 18 – 35 cm lange,

Foto: Gottfried Seeber, Strix Naturfotografen

knotenlose Hörner. Die Hörner spielen eine wichtige Rolle beim Imponierver­ halten und sind wohl das auffälligste Statussymbol der Böcke. Sie machen den Steinbock zum Symboltier der ­Alpen, das in vielen Wappen abge­ bildet ist. Mit Kletterschuhen unterwegs Steinböcke haben einen gedrungenen, massigen Körperbau, relativ kurze, stämmige Beine und einen muskulö­ sen Kopf. Trotz ihres massig wirkenden Körpers bewegen sie sich äußerst ge­ schickt im steilen, felsigen Gelände. Ihre Kletterfähigkeit verdanken sie der speziellen Ausbildung der Hufe. Die beiden Schalenhälften sind weit spreiz­ bar, haben außen einen verhärteten Rand und innen weiche, gut haftende Ballen (ähnlich wie bei Kletterschuhen), welche selbst auf kleinsten Absätzen noch den nötigen Halt finden. Im felsi­ gen Gelände ist der Steinbock damit selbst den flinken Gämsen weit über­ legen. Die Fortbewegung im Schnee fällt ihm hingegen aufgrund seines ­Gewichts wesentlich schwerer.


Steinböcke nutzen die ersten morgend­ lichen Sonnenstrahlen zum Aufwärmen und sparen dadurch Energie. Foto: Klaus Bliem

Überleben im Winter Steinböcke stellen an ihre Winter­ein­ stände hohe Ansprüche. Ihr Vor­kom­ men ist an das Vorhandensein von ­geeigneten Winterlebensräumen ge­ bunden. Reich strukturierte Berg­ flanken mit Felsbereichen als Rück­ zugsgebieten werden bevorzugt: Wind­exponierte, apere Bergrücken bieten außerdem das ganze Jahr über Zugang zu Nahrung. Die Größe des Winterlebensraums ist mehr als bei an­ deren Wildtieren entscheidender Fak­ tor für die Populationsdichte. In Süd­

tirol finden wir den Steinbock daher nirgends flächendeckend verbreitet. Das kurze hellbraune Sommerhaar wird im Herbst nicht gewechselt, son­ dern nur vom längeren und bei den Böcken dunklen Winterhaar überwach­ sen. Im Laufe des Winters bleicht das Fell zusehends aus und fällt schließlich im Frühjahr büschelweise ab. Der Steinbock gehört wie Reh, Rot­ hirsch und Gämse zu den Wieder­ käuern. Der Großteil der Nahrung be­ steht aus alpinen Gräsern, den Rest machen Kräuter, Knospen und Früchte von Strauchgewächsen, Moose und Flechten aus. Diese karge und energie­ arme Nahrung macht das Energiespa­ ren unerläss­lich. Den Winter verbringt der Steinbock im felsigen, schneear­ men Gelände und ernährt sich von Na­ deln und Trieben von holzigen Pflan­ zen, wobei sein Energiehaushalt auf Sparflamme läuft. Viele Lebensfunktio­ nen werden daher in der kalten Jahres­ zeit heruntergefahren. Forscher fanden ­heraus, dass das regelrechte „Sonnen­ baden“ der Steinböcke in den Morgen­ stunden dem Aufwärmen dient und eine energiesparende Methode zur Er­ höhung der Körpertemperatur ist.

Die Fortbewegung im Schnee ist mühsam, deshalb suchen Steinböcke schneearme ­Gebiete auf. Foto: Klaus Bliem

Sozialverhalten Steinböcke sind sehr gesellige Tiere und leben in Rudeln. Die Geißen leben mit den Kitzen und Jungtieren zusam­ men, während sich die Böcke zu rei­ nen Bockrudeln zusammenschließen. Die Brunft findet Mitte Dezember bis Anfang Jänner statt und verläuft ohne große Kämpfe, da die Rangordnungen bereits während des Sommers fest­ gelegt werden. Steinböcke in Südtirol Mehrere Steinbock-Kolonien Südtirols leben teils grenzüberschreitend: Die Kolonien Weißkugel, Texel, Tribulaun und Tauern bewegen sich bis nach Öster­reich, die Kolonie Sesvenna bis in die Schweiz. Das Südtiroler Berg­ steigerdorf Matsch bietet nicht nur ambitionierten Bergsteigern viele Ent­ faltungsmöglichkeiten, sondern mit seinen steilen son­nen­exponierten Bergflanken auch dem Steinbock gu­ ten Lebensraum. Weitere Kolonien ­finden wir im Bereich Eisbruggspitze und Durreck. Im vergangenen Jahr­ zehnt wurden Auswilderungsaktionen im G ­ ebiet Seekofel, im Ultental und in den Sarntaler Alpen durchgeführt. Heute leben rund 1.500 Stück Stein­ wild in Südtirol. Der glück­liche Berg­ steiger kann unseren Kletterkönig ­daher wieder in einigen Gebieten­ Südtirols ­beobachten. Judith Egger

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Natur & Umwelt

Raufußhühner und Wintersportler Überleben und erholen im Einklang Winter. Viele Freizeitsportler zieht es jetzt in die einsamen, verschnei­ ten Berge. Doch die Einsamkeit trügt. Wald und Wiesen sind Le­ bensraum vieler Wildtiere, darun­ ter auch der Raufußhühner. Die winterliche Witterung und das ge­ ringe Nahrungsangebot fordern den Wildtieren alles ab. Sie leben auf Sparflamme.

J

ede Unruhe und jede Flucht be­ deutet Stress und kostet wertvolle Energie. Durch häufige Störungen werden die Tiere geschwächt und ­können sogar verhungern. Vor allem Skitourengeher und Schneeschuh­ wanderer sollten sich der besonderen Situa­tion bewusst sein und Rücksicht nehmen, wenn sie durch das vermeint­ lich einsame Wohnzimmer der Wild­ tiere spazieren. Raufußhühner – perfekt an den Winter angepasst In Südtirol gibt es vier Raufußhühner: Auerhuhn, Birkhuhn, Schneehuhn und Haselhuhn. Sie alle haben sich hervor­ ragend an den Winter angepasst. Die ursprünglich aus der Taiga und Tundra 58

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stammenden Tiere leben bei uns in unterschiedlichen Höhenlagen. Haselund Auerhuhn besiedeln die Wälder in den tieferen Lagen, Birkhühner sind vor allem an der Waldgrenze heimisch und das Schneehuhn bevorzugt die ­offenen Flächen über der Waldgrenze. Die Vögel haben ein besonders dich­ tes Gefieder. Selbst ihre Füße und Nasen­löcher sind mit Federn bedeckt. An den Zehen haben sie sogenannte Balzstifte, die die Trittoberfläche ver­ größern und das Gehen auf Schnee erleich­tern. Liegt ausreichend Schnee, graben die Vögel Schneehöhlen, in denen sie vor allem nachts Schutz vor der Kälte suchen. Weicher Pulver­ schnee eignet sich besonders gut zum Graben dieser Höhlen. Im Winter ernähren sich die Raufuß­ hühner hauptsächlich von Nadeln und Knospen. Sie können keine Fettreser­ ven anlegen und müssen deshalb re­ gelmäßig fressen. Ein kräftiger Muskel­ magen zerkleinert die Nadeln mit Hilfe von Magensteinchen. In den Blind­ därmen spalten Bakterien anschlie­ ßend die schwer verdauliche Kost auf und machen die wenigen Nährstoffe verfügbar.

Das Schneehuhn lebt über der Waldgrenze und ist mit seinem im Winter weiß gefärbten Federkleid perfekt an seine Umgebung angepasst. Zwischen den Felsen suchen die Hühner nach Nahrung und zum Schutz vor der Kälte graben sie Höhlen in den Schnee. Tourenskifahrer können das Huhn beim ­Befahren frisch verschneiter Hänge aus seinem Versteck versprengen. Foto: Serafin Locher

Störungen und ihre Auswirkungen Um den Winter bestmöglich zu über­ stehen, brauchen Raufußhühner vor al­ lem eins: Ruhe. Störungen setzen die Wildtiere unter Stress. Eine unerwarte­ te Störung wird nämlich mit Gefahr ver­ bunden. Die Herzschlagrate steigt und Stresshormone wie Adrenalin werden ausgeschüttet. Die körperliche Leis­ tungsfähigkeit wird kurzfristig gepusht, der Körper macht sich bereit zur Flucht. Dabei werden körpereigene Proteine und Fettreserven vermehrt abgebaut und damit zusätzliche Energie mobili­ siert. Um diesen zusätzlichen Energie­ bedarf zu decken, müssen die Tiere an­ schließend ausreichend Nahrung zu sich nehmen. Ist dies nicht möglich (z. B. aufgrund von erneuten Störun­ gen), schwächt das die Tiere und sie können mit der Zeit sogar verhungern.


BEWEGE DICH RESPEKTVOLL IN DER NATUR!

Das Auerhuhn ist das größte heimische ­Raufußhuhn. Der bis zu 5 Kilogramm ­schwere Vogel braucht beim Auffliegen ­besonders viel Energie. Um die Tiere möglichst wenig zu stören, sollten sich Freizeit­ sportler an ausgewiesene Wege halten. Foto: Gottfried Mair

Besonders stark reagieren Raufuß­ hühner auf das plötzliche Auftauchen von Menschen. Fährt z. B. ein Ski­ tourengeher unerwartet aus dem Wald oder über den Hügel, erschre­ cken die Tiere und flüchten panikartig. Aber auch Schneeschuhwanderer, die sich abseits der Wege nähern, ­versetzen die Tiere in Alarmbereit­ schaft. Eine Studie der Schweizer Vogel­ warte hat gezeigt, dass Auerhühner im Schnitt bei einer Entfernung von rund 40 Metern die Flucht ergreifen. Diese Fluchtdistanz kann in offenen, viel besuchten Gebieten aber sogar über 100 Meter betragen. Hinzu kommt, dass sich diese Vogelarten kaum an den Menschen gewöhnen. Die Bereiche 50 Meter links und rechts eines Wanderweges sind aufgrund der häufigen Störungen kaum mehr als Winterlebensraum für die sensiblen Hühner geeignet, so die Forscher. Je dichter das Wanderwegenetz, desto mehr wird der Lebensraum der Tiere verkleinert bzw. fragmentiert und des­ to öfter sieht sich ein Tier mit Stress­ situa­tionen konfrontiert. Auf lange Sicht kann das zum Verschwinden der

Hühnervögel im gestörten Lebens­ raum führen. Es gilt deshalb umso mehr, Rücksicht auf die sensiblen Tiere zu nehmen. Birgith Unterthurner

Bleib auf den ausgewiesenen ­Wander- und Forstwegen. So werden Störungen auf bestimmte Bereiche be­ grenzt und wichtige Rückzugsräume bleiben erhalten. Meide die Dämmerungs- und Nacht­ stunden. Raufußhühner fressen haupt­ sächlich während der Dämmerungs­ stunden. Störungen wirken hier besonders beeinträchtigend, weil die Nahrungsaufnahme für einige Zeit unter­brochen werden muss. Meide felsige und schneefreie ­Flächen oberhalb der Waldgrenze. Diese werden von Wildtieren beson­ ders gern genutzt. Halte Abstand. Sichtest du ein ­Wildtier, zieh dich langsam zurück. Manche Individuen lassen den Men­ schen erstaunlich nahe an sich heran oder entfernen sich nur langsam. Das sollte in keinem Fall mit Vertraut­ heit verwechselt werden! Die Tiere sind in diesem Moment enorm ge­ stresst und wahrscheinlich schon zu ­geschwächt, um eine schnelle Flucht zu ergreifen. Infoblatt „Freiheit mit Rücksicht“, Hrsg: AVS, Südtiroler Jagdverband, ­A bteilung Forstwirtschaft und ­A bteilung Natur, Landschaft und ­Raumentwicklung

Birgith Unterthurner studierte Wild­ tierökologie und Landschafts­planung. Seit 2020 arbeitet sie beim Südtiroler Jagdverband und ist Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft für Vogel­ kunde und Vogelschutz Südtirol (AVK). In Kooperation mit der AVK veröffent­ lichen wir regelmäßig B ­ eiträge zu ­Themen der Vogelkunde und des Vogel­schutzes.

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Natur & Umwelt

Kampagne Resümee nach zwei Jahren

Naturschutzarbeit kann oft recht mühsam sein. Meist sind es Feuer­ wehraktionen. Da geht es dem DAV und ÖAV nicht anders als dem AVS. Alle drei Vereine setzen sich, wie im gemeinsamen Grundsatzprogramm festgeschrieben, für den Schutz und die nachhaltige Entwicklung des Alpenraumes sowie für einen umweltgerechten Bergsport ein. Einmal mit mehr, ein andermal mit weniger Erfolg.

D

ie alpinen Vereine werden in Naturschutzbelangen oft als Verhinderer und Ewiggestrige bezeichnet. 2018 haben die drei Alpen­vereine sich zum Ziel gesetzt, die professionellen Kräfte zu bündeln. Damit erlangen die Alpenvereine mehr Schlagkraft und mehr Gehör. Ge­ meinsam wird die Kampagne „Unsere Alpen“ aus der Taufe gehoben. Erst­ mals arbeiten die Bereiche Naturschutz und Öffentlichkeitsarbeit aller drei Ver­ eine an einer gemeinsamen Sensibili­ sierungskampagne mit der unmissver­ ständlichen Botschaft: „Die Alpen sind schön. Noch. Es lohnt sich, dafür zu kämpfen.“ Neu ist die Professionalität, mit der an die Sache herangegangen wird sowohl aus thematischer als auch 60

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aus technischer Sicht. Das Team arbei­ tet mit einem Methodenmix aus tra­ ditionelleren Mitteln wie Pressekonfe­ renz und Pressetext und neueren Bausteinen wie einer zentralen Web­ site unsere-alpen.org, einer gemein­ samen Kampagnenzeitung, Postkarten und Social-Media-Beiträgen. Länderübergreifende Aktionen Den Auftakt der Kampagne bildeten am 4. Dezember 2018 drei gleichzeitig stattfindende Pressekonferenzen in Bozen, Innsbruck und München. Damit wurde länderübergreifend sowohl in der Medienlandschaft als auch in der Politik und in den Verbänden eine sehr große öffentliche Aufmerksamkeit für die Kampagne erzeugt, welche über zwei Jahre laufen sollte. Ein Höhe­ punkt der Vereinszusammenarbeit war die Pressewanderung am 21. und 22. August 2019. Gemeinsam mit Medien­vertretern wurde ein Lokal­ augenschein zur geplanten skitechni­ schen Erschließung Hochötz-Kühtai und zum Ausbau der Wasserkraft in den Stubaier Alpen unternommen, wo die Positionen der Alpenvereine zu diesen und weiteren Erschließungs­ projekten der Öffentlichkeit vermittelt wurden. In Zusammenarbeit mit dem

Wir setzen uns auch weiterhin für den Schutz und die nachhaltige Entwicklung des Alpenraums ein, denn #UnsereAlpen sind #EinfachSchön. Foto: Daniel Maschler

Verlag Marmota Maps ist das „Alpen­ buch“ entstanden, das auf vergnüg­ liche Art ein tieferes Verständnis für die Alpen vermittelt. In den vergange­ nen zwei Jahren zeigte die Kampagne einerseits die Schattenseiten und Bedro­hungen für die Alpen, so Ski­ erschlie­ßungen, Ausbau der Wasser­ kraft, den alpenquerenden Verkehr, Verkehr auf Passstraßen, den Over­ tourism und die Inszenierung der ­Alpen. Andererseits wurden alterna­ tive Modelle für einen nachhaltigen Tourismus wie die Bergsteigerdörfer oder für eine klimafreundliche Mobili­ tät beleuchtet. Auch die ein oder ­andere Landschaft konnte noch in all ihrer Schönheit abgelichtet werden – noch unversehrt. Auch dank des Engage­ments der Alpenvereine! Nach zwei Jahren endet zwar die Kampagne, aber die Hauptbotschaft bleibt: Die Alpen sind schön. Noch. Es lohnt sich, (weiter) dafür zu kämpfen. Anna Pichler


Thema: Tiere im Winter Foto: Alfred Erardi – STRIX Naturfotografen Südtirol

Foto: Alfred Stolzlechner – STRIX Naturfotografen Südtirol


Foto: Norbert Scatamburlo – STRIX Naturfotografen Südtirol

Foto: Georg Taschler – STRIX Naturfotografen Südtirol


Foto: Silvan Lamprecht – STRIX Naturfotografen Südtirol

Foto: Wolfgang Obkircher – STRIX Naturfotografen Südtirol


Natur & Umwelt

KOMMENTAR

Von kleinen Dingen und ­großen Wirkungen Was Covid-19 und Klimawandel gemeinsam haben Wissenschaft schafft nicht Wissen. Jedenfalls kein definitives. Wissen­ schaft strebt nach Erkenntnis­ gewinn. Wissenschaftler stellen aufgrund von beobachteten Phä­ nomenen oder von gemessenen Zustän­den oder Variablen Hypo­ thesen auf und versuchen, diese dann zu verifizieren und zu Theo­ rien zu etablieren.

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as geht dann meist eine Zeit lang gut. Wenn eine Reihe von Verifikationsversuchen nicht gelingt, oder, was Konkurrenten be­ sonders gerne tun, eine Falsifikation gelingt, wird die Theorie modifiziert oder gar verworfen und es muss eine neue her. Wenn eine neue Hypothese/ Theorie nach fünf bis zehn Jahren im­ mer noch nicht widerlegt ist, dann wird sie langsam zur allgemein anerkannten ­Erkenntnis. Ein noch so spektakuläres „Paper“ in „Science“ oder „Nature“ 64

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oder auch sonst wo über neu gefunde­ ne Zusammenhänge muss erst durch die Mühle des wissenschaftlichen Be­ zweifelns und Überprüfens. Von vielen hört man nie mehr wieder etwas. Wie Wissenschaft funktioniert Was hat das mit dem Klimawandel zu tun, oder mit Covid-19 (an irgend­ einem Corona Virus ist auch mein ­Kater schon vor sieben Jahren gestor­ ben; ein ­präziser Umgang mit Sprache ­sollte wissenschaftlicher und auch sonstiger Alltag sein), oder gar mit ­beiden? Hoffnung war aufgekeimt, als politi­ sche Entscheidungsträger im vergan­ genen Frühling mit Wissenschaftlern aufgetreten sind, sich von ihnen bera­ ten haben lassen, einen Anflug von ­repräsentativer Demokratie gelebt ­haben. Endlich hören sie auf Fachleute und tun einigermaßen, was die ihnen empfehlen! Ein bisschen undemokra­

tisch hie und da, aber doch nachvoll­ ziehbar und weitgehend akzeptiert im Eifer der ersten Not. Aber bald schon sind sich Wissenschaftler in die Haare geraten, jedenfalls wurde es so m ­ edial vermittelt. Fast stündlich haben sich jedenfalls „neue wissenschaftliche Er­ gebnisse“ widersprochen, wurden wi­ derrufen, korrigiert, nach ein paar Ta­ gen auf eine naturgemäß bessere Datenbasis gestellt. Schwierig für Ent­ scheidungsträger und noch mehr für Bürger, die ja (meist) alles richtig ma­ chen wollten. Kein gutes Bild für die Wissenschaft, aber dennoch: So funk­ tioniert sie und so muss sie funktionie­ ren. Einzig die Geschwindigkeit der sich überschlagenden Befunde und Hypothesen (siehe Masken und/oder physische – um Himmelswillen nicht soziale! – Distanz) bei immer neuen und mehr Daten, die aber meist noch inhomogen waren und sind, war un­ gewöhnlich.


Agonie der Gletscher Fotos: Daniela Brugger aus der Serie Agonie

Beste Erkenntnisse Es wird immer noch dauern, bis Daten vereinheitlicht und damit erst gründ­ lich analysierbar sind, bis Experimente in Labors, Befunde und Krankheitsge­ schichten aus Spitälern und sich stabi­ lisierende Ergebnisse aus unterschied­ lichen Modellen ein klares Bild ergeben, daraus diagnostisch und pro­ gnostisch belastbare Theorien ent­ stehen. Ein „brauchbarer“ Erkenntnis­ stand, einer, den wir gerade jetzt bräuchten und den wir uns wünschen würden, wird erst in ein paar Jahren existieren. Bis dahin müssen wir und die Entscheidungsträger mit vorläufi­ gen, aber hoffentlich immer besser werdenden Erkenntnissen arbeiten. Ein ganz normaler Vorgang und kein Grund, den sich laufend entwickeln­ den Erkenntnisstand sich je nach Belie­ ben zurechtzurichten, zu ignorieren oder zu leugnen. Im Zweifelsfall könnte man es ja auch mit Hausverstand ver­

suchen und gegebenenfalls auf der sichere­ren Seite bleiben. Die Wissen­ schaftler tun ihr Bestes, verhalten sich korrekt und alles, was sie uns inklusive der Unschärfe ihrer Aussagen über ­Covid-19 mitteilen, ist so gut, wie es im Augenblick eben geht. Außerdem kennen sie Viren im Allgemeinen ja schon sehr lange. Es wäre völlig falsch, nicht auf die Wissenschaftler zu hören. Mit dem Klimawandel ist es im Prin­ zip dasselbe und doch ist da etwas ganz anders. Wir Klimaforscher sind genauso kritisch und skeptisch wie un­ sere Kollegen aus der Medizin. Spätes­ tens seit die Klimaforschung in den Dunstkreis gesellschaftlicher Relevanz gerückt ist, wird sie und werden ihre Ergebnisse so eingehend durch die wissenschaftliche Überprüfungsma­ schinerie getrieben wie in kaum einem anderen Wissenschaftsbereich. Wir zweifeln an unseren Ergebnissen und an denen anderer und machen das ­solange, bis sich ein Erkenntnisgewinn etabliert, eine Theorie und die dazu­ gehörigen Modelle im Rahmen des Überprüfbaren diagnostisch robust sind, ihre Prognostik-Tauglichkeit in Hinweisen überprüfen lässt, bevor dann Prognosen gemacht werden. Aber wir hatten damit schon vor rund 130 Jahren begonnen und haben seit rund 100 Jahren für die Grundaussa­ gen ein zuverlässiges und robustes Theoriegebäude. Beobachtungen & Hypothesen Edme Mariotte (1620 – 1684) hat fest­ gestellt, dass die Sonne Glas durch­ dringt, „chaleur de feu“ (Feuerhitze) tue das nicht: der Glashauseffekt war entdeckt. Horace Bénédict de Saussure (1740 – 1799) hat nicht nur die Erstbe­ steigung des Mt. Blanc veranlasst, son­ dern ein Jahr darauf (1787) den Berg selber bestiegen, dabei Messungen mit einem Heliometer gemacht und ­erkannt, dass der mit der Höhe abneh­ mende Wasserdampf die Strahlungs­ verhältnisse ändert. Soweit die Beob­ achtungen. Und darauf aufbauend hat

der Mathematiker und Universalge­ lehrte Joseph Fourier (1768 – 1830) die erste robuste Hypothese gebaut: „Die Atmosphäre erwärmt die Erde, da Wärme in Form von Licht die Atmo­ sphäre durchdringt, während Wärme, die von der Erde als nicht-leuchtende zurückgesandt wird, dies nicht kann“. Der Treibhauseffekt der Erde hatte ab nun seinen Platz in der Klimafor­ schung. Wie so oft in der Wissenschaft wa­ ren mehrere Augen auf ein neues ­Thema gerichtet. Claude Pouillet (1790 – 1868) hat mit einem Pyrheliome­ ter ermessen, dass „die Atmosphäre einen größeren Widerstand gegen­ über terrestrischer denn gegenüber Sonnenstrahlung“ hat. John Tyndall (1820 – 1893) klärte ein bis heute nicht ausmerzbares Missverständnis: „So wie ein Blatt Papier mehr Licht blo­ ckiert als ein ganzer Pool mit klarem Wasser, so hat die Spur von CO2 das Gleichgewicht der Wärmestrahlung der gesamten Athmosphäre verän­ dert“. Dass CO2 die Finger im Spiel hat, war vorher schon bekannt. Dann lieferten die Physiker Jožef Stefan (1835 – 1893) und sein Schüler und Nachfolger in Wien Ludwig ­Eduard Boltzmann (1844 – 1906) das bis heute gültige und so geniale wie robuste Werkzeug: die auf Labormes­ sungen aufbauende, also empirische Stefan-Boltzmann Gleichung, die den Zusammenhang zwischen der von ­einem Körper abgestrahlten Energie und seiner Oberflächentemperatur ­beschreibt. Die abgestrahlte Energie basiert auf dem energetischen Zu­ stand des Körpers und seine Ober­ flächentemperatur kann man, im Gegen­satz zu den Energieflüssen, ­relativ einfach messen. Berechnungen der ­CO2-Konzen­tration Mit diesem formidablen Werkzeug ­errechnete Svante Arrhenius (1859 –  1927) 1896 erstmalig den quantitativen Effekt von sich hypothetisch ändern­ den CO2-­Kon­zentrationen in der Atmo­ sphäre auf die mittlere Temperatur der Erdoberfläche. Zuerst um zu ­zeigen, dass durch eine Halbierung Bergeerleben 04/20

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Natur & Umwelt

der CO2-­Kon­zen­tration eine Eiszeit und mit ihr der Ursprung der Moränen in Südschweden erklärbar wären. Ange­ sichts der Kohlenstoffemissionen in der sich industrialisierenden Welt hat Arrhenius auch eine Verdoppelung der CO2-Konzentrationen in der Atmo­ sphäre angenommen und kam, we­ nigstens bei einer späteren Nachrech­ nung, auf einen Temperaturanstieg von 1.5 bis 4.5 °C. Die Klimaforschung war im 20. Jahrhundert angekommen und wusste vom ersten Tag an, was auf die Welt zukommt, die ihren Wohl­ stand auf fossile Energieträger auf­ baut. Roger Revelle (1909 – 1991) hat die Rolle der Ozeane ins Spiel gebracht und Charles David Keeling (1928 – 2005) hat am Mauna Loa gezeigt, dass das CO2 der Indu­strie­länder nicht gleich wieder aus der Atmosphäre ausge­ regnet wird, sondern sogar auf Hawaii nachweisbar ist und stetig steigt. Erste hemisphärische Atmosphären­ modelle, später globale, die dann zu 66

Bergeerleben 04/20

gekoppelten Atmosphären-Ozean-­ Modellen wurden und heute komplexe Erdsystem-Modelle sind, immer besse­ re und immer mehr Messungen zu Land, zu Wasser und aus dem All und immer detaillierter erkannte Prozess­ abläufe konnten Svante Arrhenius‘ Berech­nungen nichts anhaben. Und wenn vor wenigen Monaten die Span­ ne der Erwärmung erstmals seit rund 120 Jahren bei einer Verdoppelung der CO2-Konzentration in der Atmo­ sphäre auf 2,6 – 3,9 °C reduziert wurde, sind das im Mittel immer noch rund 3 °C! Auf beides eilen wir zu. Die CO2-­ Konzentration haben wir von rund 270 ppm (parts per million) erstmals im Holozän und schneller als je zuvor auf über 410 ppm getrieben und die nachhinkende globale Erwärmung hat die 1-°C-Marke schon durchsto­ ßen. Der derzeitige Kurs liegt zwi­ schen 3 und 4 °C Erwärmung bis zum Jahr 2100.

Zahlen & Fakten Und was sagen uns Stefan und Boltz­ mann dazu? Der durch den Treib­haus­ effekt zunehmende Energieeintrag in das Klimasystem hat sich zwischen 1950 und heute auf 2,7 x 1024 Joule summiert. Etwas anschaulicher viel­ leicht? Das entspricht der Energie, die 10 Millionen Zar-Bomben (die größte je gezündete Wasserstoffbombe, übri­ gens rund 3.300 Mal stärker als Little Boy auf Hiroshima) freigesetzt hätten. Übrigens, derzeit setzen wir pro Jahr 10 Milliarden Tonnen Kohlenstoff frei – das ist die Masse des Aushubmaterials von rund 200 Brenner Basistunnels – und wir sammeln jährlich die Energie von 250.000 Zar-Bomben an. Die Temperaturanstiege sind griffi­ ger, aber verharmlosen. Bei den heuti­ gen + 1,0 °C schmelzen die Gletscher der Erde derart, dass sie im Laufe der Zeit 40 Prozent ihrer Masse von 2010 verlieren werden. Bei + 1,5°C sind es 50 Prozent der Gletschermasse, bei + 2 °C


60 Prozent und bei + 3 °C 75 Prozent. 5 km Autofahrt verursachen rund 1 kg CO2-Emission und diese am Ende rund 15 kg Eis der Gletscher weniger. So oder so werden die Ostalpengletscher verschwinden und die meisten West­ alpen­gletscher auch. Soweit ein paar Zahlen für Alpenbewohner. Allein die­ se Gletscherschmelze wird bei den entsprechenden globalen Mitteltem­ peraturen den Meeresspiegel um 12, 15 oder 20 cm anheben. Zusammen mit dem Eisverlust der beiden Eisschil­ de und der thermischen Expansion der wärmer werdenden Weltmeere wird der Meeresspiegel weiter stark stei­ gen. Dies, aber auch zunehmende Hit­ ze, extreme Wetterereignisse und das Kollabieren von Ökosystemen zu Was­ ser und zu Land werden Hunderten von Millionen Menschen die Lebens­ grund­lage entziehen. Und, und, und … … und dann ist da noch etwas. Ir­ gendwo zwischen + 1,5 und + 2 °C wer­ den klimatische Kipppunkte kippen

und wir werden die Kontrolle über das Klimasystem verloren haben. Um das zu verhindern, müssen die Emissionen bis 2030 um rund 55 Prozent gegen­ über 2019 reduziert werden und sie müssen 2050 praktisch auf null ge­ bracht werden. Dazu wird es mehr brauchen, als ab und zu Masken tragen und physische Distanz wahren. Und Impfung wird es dagegen auch keine geben. Aber es ist machbar und es würde dem glo­ balen Gemeinwohl sehr guttun. Aber es steht uns noch ein gravieren­ der Unterschied zu Covid-19 im Weg. Covid-19 ist, wenn auch vorhersehbar, so doch plötzlich über uns hergefallen und die Krankheit bedroht uns persön­ lich. Der Klimawandel hat lange schon begonnen und ist nun in vollem Gang. Aber meist trifft er noch andere und die sind sehr oft noch weit weg. Noch. Weitere Infos: https://www.ipcc.ch/ sr15/

Georg Kaser (* 1953 in Meran), Stu­ dium der Meteorologie und Geografie. Als Professor für Klima- und Kryosphä­ renforschung wirkte er am Institut für Meteorologie und Geophysik und war Vorsitzender des Zentrums für Klima und Kryosphäre an der Leopold-­ Franzens-Universität Innsbruck. Heute gilt Georg Kaser als einer der bedeu­ tendsten Klimaforscher weltweit und war Mitglied im Weltklimarat der ­Vereinten Nationen.

Georg Kaser

Bergeerleben 04/20

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Unterwegs

Sommerlager trotz Corona Biwak-Abenteuer der AVS-Jugend Tramin in den Sarntaler Bergen Die Hütten- und Zeltlager sind ab­ solute Höhepunkte im Jahres­ programm vieler AVS-Jugend- und Familien­g ruppen. Coronabedingt war heuer lange Zeit unklar, ob und unter welchen Voraussetzungen diese spannenden Bergaufenthalte überhaupt stattfinden können.

R

und 10 AVS-Jugend- und Fami­ liengruppengruppen sowie Jugend-­Kletterteams nutzten dann die Möglichkeit der von Land und Sanitäts­betrieb kostenlos zur Ver­ fügung gestellten PCR-Testung, um ihr Hüttenlager wie geplant als sogenann­ te Covid-geschützte Gruppe durch­ zuführen. Das entspricht etwa einem Drittel der Hüttenlager aus den Vorjah­ ren. Andere Jugendgruppen hingegen boten leichter handhabbare Eintages­ aktionen an oder suchten nach Alter­ nativen, um das Ermöglichen wertvol­ ler, gemeinsamer Bergerlebnisse mit verantwortungsbewusstem Verhalten angesichts der Covid-Situation in Ein­ klang zu bringen. Eine davon möchten wir euch genauer vorstellen: 68

Bergeerleben 04/20

Aufstieg zum Ifinger Mitte Juli hätte unser jährliches Hüt­ tenlager der AVS-Jugend Tramin auf dem Programm gestanden, wir muss­ ten unser Jahres-Highlight aber auf­ grund der zum Zeitpunkt der Planung geltenden Auflagen absagen. Doch wir wollten dies so nicht auf sich beru­ hen lassen und klügelten eine Alter­ native aus. Um die Sicherheitsmaßnah­ men einhalten zu können, entschlossen wir uns, anstatt des Hüttenlagers eine dreitägige Biwak-Tour vom 7. bis 9. Au­ gust im Sarntal zu organisieren. Durch den ununterbrochenen Aufenthalt im Freien konnten wir, im Gegensatz zu engen Matratzenlagern in den Ber­ gheimen, auch nachts geschlossene Räume mit erhöhter Ansteckungsge­ fahr meiden. Voraussetzung für die Teilnahme war ein gesunder Körperzustand, wel­ cher beim Start am Freitagmorgen nochmals genauestens abgecheckt wurde. Im Rucksack der Proviant für die folgenden drei Tage und die Klet­ terausrüstung. Sicher mit Mund-Na­ sen-Schutz brachten uns die Eltern mit

den Autos zur Talstation der Seilbahn Meran 2000 in Falzeben bei Hafling. Nach gemeinsamer Besprechung der Sicherheitsinfos und genauer Routen­ planung starteten wir mit acht Kindern und drei Jugendführern zum Heini-­ Holzer-­Klettersteig. Die Jungs und ein Mädel zeigten am Fels gleich ihr Kön­ nen und Verantwortungsbewusstsein, sodass wir ohne Probleme den Gipfel des Ifinger (2.581 m) erreichten. Dort genossen wir unsere mehr als verdien­ te Mittagspause, gefolgt von einer ­kurzen Einkehr in der Kuhleitenhütte beim Abstieg. Weiter ging es übers Missensteinerjoch in Richtung Kaser-­ Wies im Sarntal. Beim Wandern oder beim Zusammensitzen an den Jause­ plätzen haben wir darauf geachtet, den vorgeschriebenen Abstand ein­ zuhalten und nicht aus gemeinsamen Flaschen zu trinken oder Brettln zu ­essen. An ­einem kleinen See kühlten wir uns ab, bevor wir zur Durralm ­abstiegen. Biwak- und Schlafsäcke sowie Iso­ matten ließen wir uns dorthin bringen und hielten nach einem geeigneten


Gemeinsam anpacken: Holzschleppen für das Lagerfeuer oberhalb der Baumgrenze Schlafzimmer Natur am Anteransee, ­eingebettet von Bergen. Der beste Ort zum Träumen. Fotos: AVS-Ortsstelle Tramin

Lagerplatz Ausschau, wo wir ohne Zel­ te übernachten konnten. Jeder suchte sich einen feinen Schlafplatz, um die Abstände untereinander gewährleis­ ten zu können. Auf der Alm, die Stefan Steinegger (Stoan) mit seiner Frau be­ wirtschaftet, durften wir beim Melken helfen und anschließend die Milch zu Butter weiterverarbeiten. Ein Lager­ feuer durfte an diesem ereignisreichen Tag nicht fehlen. Rosi überraschte die Kinder noch mit Stockpizza, bevor es ab ins Nachtlager ging. Abendstimmung am Anteransee Nachdem wir vom Anbruch des Tages geweckt, frühmorgens alle aus den Schlafsäcken krochen, folgte ein er­ neuter Gesundheitscheck aller Teil­ nehmer. Nach dem Frühstück auf der Alm bei Stoan und Rosi führte uns der Weg mit vollbepackten Rucksäcken steil h ­ inauf über die Anteranalm zum Anteransee. Wir suchten uns am See­ ufer einen geeigneten Schlafplatz, wie­ derum mit nötigem Abstand, für die nächste Nacht unter freiem Himmel. Einige wagten sogar, im kalten Wasser

des Sees zu schwimmen. Den Nach­ mittag verbrachten wir mit Spielen und der Vorbereitung der Nachtplätze und der Kochstelle, ehe sich alle die auf Gaskochern gezauberten Nudel schmecken ließen. Damit wir am See eine tolle Lagerfeuerstimmung erle­ ben konnten, schleppte jeder zusätz­ lich zur Ausrüstung auch noch Holz zum auf 2.300 Metern über der Baum­ grenze liegenden See. Wir genossen die wunderbare Abendstimmung und den klaren Sternenhimmel über unse­ ren Köpfen. Gipfelglück am Hirzer Für den Sonnenaufgang am nächsten Tag mussten wir lediglich den Kopf aus dem Biwaksack stecken und konn­

ten uns abermals an der Schönheit ­unserer Berge erfreuen. Frühstück gab es in unserer selbst gebauten Stein­ küche. Dann hieß es sich fertig machen für die Besteigung des 2.781 Meter ­hohen Hirzers – dem höchsten Gipfel der Sarntaler Alpen. Der anstrengende Gipfelanstieg wurde mit toller Aussicht belohnt. Anschließend machten wir uns auf zur letzten Station, der Hirzer-­ Hütte, zu der wir auf der Passeirer ­Seite abstiegen. Nach dem dortigen ­gemeinsamen Mittagessen setzten wir den Abstieg zur Frak­tion Prenn ober­ halb von Saltaus fort. Dort nahm unser „Covid-sicheres“ Abenteuer sein Ende und wir wurden von den Eltern mit wunderschönen und eindrucksvollen Erlebnissen im Gepäck wieder abge­ holt. Wir bedanken uns abschließend bei Rosi und Stoan, aber vor allem bei den Teilnehmern, die die Tour zu ­etwas Beson­derem gemacht haben! Es tat ­allen gut, nach der langen Zeit zu ­Hause, endlich wieder Freunde zu ­treffen, mit ihnen zu ratschen, zu spie­ len und gemeinsam unsere schönen Berge zu besteigen, wenn auch mit ­gewissen Einschränkungen, doch in kameradschaftlicher und gemütlicher Runde. Elisabeth Kofler, Jugendführerin AVS-Ortsstelle Tramin

Mit Abstand und dennoch beisammen: ­Corona-Regeln einhalten und Verant­ wortung tragen

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Unterwegs

UNTERWEGS MIT

alpenvereinaktiv.com

Orgel, Geige, Glocke

D

iese drei Musikinstrumente ­bestimmen diesmal unsere Touren­auswahl. Dass die Her­ kunft der Gipfelnamen dabei wenig mit den sie bezeichnenden Instrumen­

ten zu tun hat, ist einerlei – handelt es sich doch um klangvolle und erlebnis­ reiche Tourenmöglichkeiten! Karin Leichter

Andreas Poschenrieder, Skitour Magazin

Orgel-/Laaser-Spitz Eine anhaltende Skitour, die am ­Gipfel mit Ausblicke in den Vinschgau belohnt. Relativ gleichmäßig steile Skitour, die ohne große Umwege auf die ­Orgel- bzw. Laaserspitz im Martelltal führt. Auf 3.300 Metern hat man eine ­super Aussicht in den Vinschgau.

STRECKE

9,2 km

DAUER

3:30 h

AUFSTIEG

1.417 m

ABSTIEG

1.412 m

SCHWIERIGKEIT

mittel

KONDITION TECHNIK HÖHENLAGE

3.301 m 1.924 m

70

Bergeerleben 04/20


Katrin Oppermann, DAV Sektion München

Glockhauser von Melag im Langtauferer Tal

STRECKE

10 km

DAUER

5:45 h

AUFSTIEG

1.100 m

ABSTIEG

1.100 m

SCHWIERIGKEIT

Schöne Firntour im Langtauferer Tal auf einen aussichtsreichen Gipfel. ­Reizende Skitour über ausgesprochen schönes Skigelände. Die Tour verläuft über hindernislose Hänge, wobei sich steile und ­flache Passagen ständig ­abwechseln. Aufgrund der Beliebtheit sind üblicherweise Spuren vorhanden. Vom Gipfel genießen wir einen tollen Blick auf die Weißkugel und viele weitere Skitourenziele des Langtauferer Tals.

mittel

KONDITION TECHNIK HÖHENLAGE

IV 3.004 m 1.915 m

Helene Steinkasserer, AVS-Sektion Sand in Taufers

Geige, Kor, Schönbichl, Gipfelrundwanderung

STRECKE

10,8 km

DAUER

4:30 h

AUFSTIEG

980 m

ABSTIEG

980 m

SCHWIERIGKEIT

Einfache Drei-Gipfel-Tour mit herr­ lichem Panoramarundblick über den Brunecker Talkessel und wunder­ schönen Plätzen zum Verweilen. Bis zur Geige bzw. zum Kor ist die Tour auch als Winter- oder Schnee­ schuhwanderung zu empfehlen.

mittel

KONDITION TECHNIK HÖHENLAGE

III 2.451 m 1.520 m

Bergeerleben 04/20

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Unterwegs

Wandern in ­ Marokkos ­Rifgebirge Ein Reiseziel, das man mit Bahn oder Fährschiff erreicht

Seit mehr als drei Jahrzehnten übt Marokko eine unheimliche Anzie­ hungskraft auf mich aus. Unzählige Male war ich dort und habe das Land mit seinen Bergen, Menschen und der bewegten Geschichte ­kennengelernt. Nun habe ich auch Evelyn mit diesem Fernweh – ­pardon – infiziert.

M

arokko ist ein Land der Be­ gegnungen, der Farben und des Lichts, das viele Men­ schen durch seine landschaftliche Viel­ falt in seinen Bann gezogen hat. Musiklegenden wie Jimi Hendrix, Bob Marley, die Rolling Stones und ­Yusuf Islam, den die meisten als Cat Stevens kennen, verschlug es hierher. Diesen Vorbildern folgten Hippies, Musiker und Weltenbummler. Mehr als 100.000 Fans zog das Gnaoua-Festival in Essaouira an, bis Corona kam. Der Anziehungskraft dieses Landes konnten auch Künstler und Schrift­ steller nicht widerstehen. Eugène ­Delacroix und Henri Matisse verewig­ ten das Licht von Tanger in ihren Bil­ dern, und der amerikanische Schrift­ steller Paul Bowles blieb bis zu seinem Lebensende hier. Diesmal wollte ich mit Evelyn den Norden Marokkos mit öffentlichen Ver­ kehrsmitteln entdecken und erwan­ dern, denn die Etappenziele sind nicht weit voneinander entfernt und kon­ trast­reich wie kaum anderswo.

Abstieg vom Djebel Kelaa in die Medina von Chefchauen Fotos: Evelyn Mayer

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Bergeerleben 04/20

Begegnung von Orient und ­Okzident Das Fährschiff verbindet Tarifa in Süd­ spanien mit der Hafenstadt Tanger in einer knappen Stunde, und mit dem nahegelegenen Rifgebirge zeigt der Norden Marokkos sein zerklüftetes Gesicht. Für uns noch eine unbekannte Berglandschaft, denn im Hohen Atlas mit seinen 4.000ern und in den nörd­ lichen Ausläufern der Sahara im Anti­ atlas waren wir schon wandernd unter­ wegs. Von Tanger, der nördlichsten Stadt des Landes, wollten wir gar nicht mehr weg, aber die „blaue Stadt“ Chef­ chaouen an der Pforte des 600 km² großen Nationalpark Talassemtane hat


uns genauso angezogen. Die Stadt, die einst den „Ungläubigen“ den ­Eintritt verwehrte, ist der ideale Aus­ gangspunkt für Wanderungen im ­Rifgebirge. Die spektakuläre Gebirgs­ landschaft mit ihren Felsen und Schluchten ist mit Zedern, Tannen und Pinien bewaldet. Mit etwas Glück trifft man bei den Wanderungen auf Berberaffen. Ornithologen berichten, dass hier etwa 120 verschiedene Vogel­arten sich den Lebensraum mit Bartgeier und Steinadler teilen. Wer sich aber in das stark zerklüfte­ te Rifgebirge mit seiner höchsten Er­ hebung, dem Jebel Tidirhine (2.448 m) begibt, wird eine unheimlich aben­ teuer­liche und unverbrauchte Natur­ landschaft erleben. Gutes Kartenmaterial ist die Voraus­ setzung, wenn man auf kaum befahre­ nen Forststraßen und über spärlich markierten Wanderwegen nach Kalaa, Tissouka, Akchour oder Azilane wan­ dern möchte. Von Chefchauen auf den ­Aussichtsberg Jebel Kelaa Vom Gipfel des Djebel Kelaa im Talas­ semtane Nationalpark oberhalb von Chefchaouen schaut man in das Rifge­ birge und kann bei klarer Sicht das Mittelmeer sehen. Vom Informationszentrum des National­parks in Chefchauen wandern wir eine Schotterpiste, der Route de Tisemlale, entlang. Mehrere Kehren winden sich über die Bergflanke hin­ auf, und vorbei an Aussichtspunkten gelangt man zu den hängenden Felsen beim Weiler Tisemlale.

Terrassen für den Hanfanbau prä­ gen die Landschaft. Auf den Dächern wird die harzig duftende Ernte wohl­ behütet getrocknet, später im Inneren der kleinen Gehöfte zu Marihuana und Haschisch weiterverarbeitet. Der Auf­ stieg folgt einer bogenförmigen Kamm­ linie bis in einen Sattel und über Fels­ stufen über deutliche Steigspuren (und öfters auch Markierungen) in eine Scharte und auf den Gipfel des Jebel Kelaa. Vom Gipfel blickt man auf das Becken von Chefchaouen, auf Teile des Talassemtane Nationalparks und das west­liche Rifgebirge. Im Sprühnebel der Wasserfälle von Akchour Eine Wanderung von Akchour zu den Wasserfällen von El Kelaa im National­ park Talassemtane führt durch eine tie­ fe Schlucht. Der Weg von Akchour un­ ter den steilen Felswänden der El-Kelaa-Schlucht ist mit Geländern abgesichert und folgt dem Wildbach bis zur ersten Talstufe mit dem kleinen Wasserfall. Nachdem man elf Mal den Wildbach auf Betonquadern überquert hat, erreicht man ein breites Becken, in das sich der Große Wasserfall, die Grande Cascade ergießt.

Ein Bauer aus dem Rif-Gebiet bietet seine Waren auf dem Grand Socco in Tanger an

Ein kurzer Spaziergang zur Spanischen ­Moschee südlich von Chefchauen lohnt sich

Über den Pont de Dieu in der ­Farda-Schlucht Von Chefchaouen bringt uns ein Sam­ meltaxi nach Akchour. Bei unserer An­ kunft scharen sich haufenweise hilfsbe­ reite junge Männer um uns, die uns den Weg zum Naturdenkmal zeigen möchten. Höflich lehnen wir ab, da die Tour ohne Orientierungsprobleme zu bewältigen ist. Hinter dem Berberdorf Akchour beginnt die kurze Wanderung durch die Gorges de Farda bis zur ­Brücke Gottes, einer natürlichen Fels­ brücke, die in luftiger Höhe die Schlucht überspannt. Die Felsbrücke kann man über einen Weg problemlos überqueren. Rückkehr nach Tanger Am Busterminal von Chefchaouen war­ ten wir auf unseren CTM-Linienbus, der uns nach Tanger bringen wird. Mit ein wenig Wehmut blicken wir zu den Ausläufern des Rifgebirges und lassen die vielen Eindrücke im Tagtraum ­Revue passieren. Touristen drängen sich mit fragenden Blicken rund um die analogen Fahrplantafeln, die mit Reiß­ nägeln an abgegriffenen Tafeln hän­ gen. Dieselabgase drängen sich auf und vermischen sich mit dem Gestank, der aus einer öffentlichen Toilette Bergeerleben 04/20

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Unterwegs nach draußen dringt. Immer wieder nimmt unsere Nase den unverkenn­ baren Duft einer angebrannten Ha­ schischzigarette wahr und unabhängig voneinander versuchen wir und andere Touristen den Verursacher dieser Duft­ noten ausfindig zu machen. Abfahrten und Ankünfte, das Verla­ den der Gepäckstücke verlaufen ­geordnet und routinemäßig. Vor der Abfahrt wird noch die Frontscheibe gereinigt, Kühlwasser kontrolliert und der Fahrer daddelt noch am Mobiltele­ fon herum. Dann startet der Diesel­ motor, Fahrgäste nehmen ihre Plätze ein und sind bereit für die etwa zwei­ stündige Fahrt, die für die 120 Kilo­ meter benötigt werden. Der CTM-Busterminal in der Fast-­ Millionenstadt Tanger befindet sich zwischen der aufstrebenden Neustadt und den anonymen Häuserwürfeln, die sich endlos an einem Hang hinauf­ stapeln. Ein Taxi bringt uns in die ­Medina, aber vorher wird noch um den Tarif gefeilscht. Hinein in die Medina und hinauf zur Kasbah Genau 13,5 Kilometer Luftlinie trennen das europäische von dem afrikani­ schen Festland. Zwischen den beiden Kontinenten verbindet die Meerenge von Gibraltar den Atlantik mit dem Mittelmeer und wird durchschnittlich alle fünf Minuten von einem Handels­ schiff durchkreuzt. Für Europäer mit gültigen Reisepapieren ist die Über­ fahrt vom spanischen Tarifa problem­ los. Für Marokkaner ist die Ausreise

nach Europa nur unter strengen Visa-­ Vorschriften möglich. Das Taxi schlän­ gelt sich ziel­sicher durch die engen Gassen und Kleinmotorräder huschen knatternd vorbei. Unbeeindruckt ­dösen Katzen an den Türschwellen, und Kinder spielen in den Innenhöfen. In der Medina haben wir eine gemüt­ liche Unterkunft gebucht. Corinne, die Inhaberin des geschmackvoll einge­ richteten Guesthauses, stammt aus Frankreich und lebt wie etwa weitere 50.000 Europäer seit ihrer Pensionie­ rung die meiste Zeit in Marokko. Für den Besuch der Altstadt von Tanger sollte man sich Zeit nehmen und sie mit allen Sinnen aufnehmen. Für uns war es der Geruchssinn, der dieses Erlebnis besonders geprägt hat. Vom Duft des frisch gebackenen Brotes einer öffentlichen Backstube lassen wir uns treiben und folgen dem unwiderstehlichen Geruch des Sandel­ holzes, der sich dann mit dem verlo­ ckenden würzigen Aromen der Tajines in den Garküchen vermischt. Aufge­ schreckt werden wir von den Warnru­ fen der Mopedfahrer und Karrenschie­ ber. Schwer süß dringt der Duft des mit Pfefferminze durchsetzten Grün­ tees in unsere Nasen und der Gebets­ ruf hallt von den Minaretten über die Dächer der Medina hinweg.

Wanderung durch die Zedernwälder im Talassemtane Nationalpark Foto: Peter Righi

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Bergeerleben 04/20

Chefchauen ist ein Traum aus Tausend­ undeiner Nacht Die blaue Farbe soll vor dem Bösen Blick schützen. Foto: Evelyn Mayer

Innehalten, hören, riechen, schauen und Eindrücke sammeln. Um diese Erfah­rungen reicher machen wir uns auf unsere Heimreise und werden noch lange von diesen Bildern zehren, die uns dieses schöne Land geschenkt hat. Peter Righi

MAROKKOS NORDEN Reisezeit: Tanger kann man zu jeder Jahres­zeit bereisen. Bedingt durch die Nähe zum Meer ist es im Sommer nicht extrem heiß und der Winter ist mild. Anreise: Vor Corona gab es saisonal Direkt­f lüge nach Tanger. Man erreicht Tanger auch mit der Bahn und über die südspanische Hafenstadt Tarifa mit dem Fährboot. Für die Einreise benötigt man einen Reisepass, der nach der Einreise noch mindestens 6 Monate gültig sein muss. Geld: Die marokkanische Landeswäh­ rung ist der Dirham. 1 Euro sind etwa 10,90 Dirham (Oktober 2020). Bargeld kann in Wechselstuben und Hotels ­getauscht oder am Bankautomaten (Vorsicht: hohe Bearbeitungsgebühren) abgehoben werden.


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Unterwegs Hannes Hofer und Mark Oberlechner ­k letterten am 11. Jänner 2020 eine wunderbare Linie an einem Eisfall im Piz Ciavazes Kanal, die nicht alle Jahre und je nach ­Vereisung möglich ist Fotos: Hannes Hofer

startete nach kurzer Pause in die nächste Seillänge und somit ins Steil­ eis. Nach obenhin verfestigte sich das Eis immer besser mit dem Felsen und es gelang mir, gute Eisschrauben zu setzen. Nach 30 Metern war ich heil­ froh, am Standplatz angekommen zu sein, denn der Pump in meinen Unter­ armen war auch zurückgekehrt. Jetzt waren wir an einer nicht recht vertrauenserweckenden Eissäule an­ gelangt – das wahrscheinlich letzte Hindernis, das uns vom Gipfel trennte. Magge konnte zwei Meter oberhalb des Standes einen soliden Friend le­ gen und wagte so den Einstieg. Die Geräusche, die die Säule beim dump­ fen Schlagen von Magges Pickeln von sich gab, waren ganz und gar nicht ver­ trauenswürdig. Doch er löste das Pro­ blem mit äußerster Vorsicht und wurde 20 Meter oberhalb mit einer schönen Sanduhr belohnt.

Tiroler Wasser Spektakuläre Eisfallroute am Piz Ciavazes Kurz vor Druck dieser Ausgabe stürzte Hannes Hofer beim Klettern in Sardinien tödlich ab. Hannes war als Jugendführer, Kletterlehrer und Alpinist eine große Bereicherung für den AVS. Diesen Bericht wollen wir als Nachruf abdrucken und so­ mit Hannes unsere Wertschätzung erweisen.

B

eim Abstieg der Mixedroute „Hashtag“ schoss mir die ­super geformte Eisglasur im oberen Teil des gewaltigen Piz-Ciavazes-Kanals ins Auge. Als ich Magge (Mark Ober­ lechner) davon berichtete, motivierte er mich, so schnell wie möglich einen 76

Bergeerleben 04/20

Versuch zu starten. Wir gingen davon aus, dass diese sich selten bildende ­Linie vielleicht noch nicht begangen war. Zwei Tage später standen wir am Beginn des Kanals und mussten, gera­ de mal 100 Meter vom parkenden Auto entfernt, die Steigeisen montieren. In Nordwandfeeling stapften wir in 1,5 Stunden bis zum Eisfall am großen Gamsband hoch. Der Einstieg der Route war klar. In einem überhängen­ den Riss arbeitete sich Magge gekonnt in teils technischer Mixedkletterei nach oben, am Cliff hängend konnte er zwei Haken unterbringen. Mit ziemlichem Pump erreichte ich seinen Stand und

Wir waren nicht die Ersten Die letzte Seillänge war reine Genuss­ kletterei in kompaktem Eis. Der ­Gedanke, eine neue Eislinie eröffnet zu haben, erfüllte uns zudem mit gro­ ßer Freude, da wir keine früheren Begehungs­spuren gefunden hatten. Doch zwei Wochen später erfuhren wir, dass diese wunderbare Linie „Tiroler Wasser“ bereits 2013 von Kurt Astner und Rudolf Hauser erstbegangen

Mark in der 1. Mixed-Seillänge (M7+). Über einen steilen, logischen Riss, der selbst abgesichert werden muss, führt die Tour in eine Nische zum 1. Standplatz


PIZ CIAVAZES „TIROLER ­WASSER“ Erstbegehung: 21.12.2013 Kurt Astner, Rudolf Hauser Ausrichtung: Ost Höhenlage: 2.650 m Zustieg: Über den Piz-Ciava­ zes-Südkanal ca. 600 m bis zum gr. Gamsband aufsteigen. 1,5 Stunden. Parkmöglichkeit an der ­Kehre gleich unterhalb des Kanals. (zweite Zu-/Abstiegs­ möglichkeit über das gr. Gams­ band, Achtung Eisschlag) Absicherung: Normalhaken und Eisschrauben Material: Zusätzlich zur Eisaus­ rüstung 1 Sortiment Friends (evtl. einige doppelt) Abstieg: Nach Norden zurück zum Süd-Kanal und diesen ab­ steigen bzw. abseilen Topo & zweite Begehung: ­Hannes Hofer & Mark ­Oberlechner 11.01.2020 Gekonnt und selbstsicher klettert Hannes über die steile 2. Seillänge (WI6) nach oben. Das Eis ist röhrig, nicht einfach abzusichern und erst nach 30 Metern konnte ein solider Standplatz errichtet werden.

­ urde. Dabei wurde uns umso mehr w klar, dass die Bezeichnung „Erstbe­ gehung“ besonders in der vergängli­ chen ­Materie Eis mit Vorsicht zu genie­ ßen ist. Unsere Vorfahren, die alpinen ­Pioniere der Dolomiten, haben schon

zu ihrer Zeit Übermenschliches geleis­ tet. Vermutlich galt es für sie, einfach nur ein Abenteuer in den Bergen zu ­erleben, Veröffentlichungen und de­ ren Ernte von „Ruhm“ spielten eine unter­geordnete Rolle. Diese spekta­

kuläre Route, mit ­ihrem anspruchs­ vollen Zu- und Abstieg im steilen Piz-Ciavazes-Kanal, war für uns jeden­ falls ein gewaltiges Abenteuer und mit ­Sicherheit eine Wiederholung wert! Hannes Hofer

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thomaser.it

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Unterwegs

Montezumas Rache in der Cordillera Blanca Tocllaraju und Chopicalqui in Peru Leichter Wind lässt Schnee- und Eiskristalle im Gegenlicht sanft den steilen Eishang zu mir herunterrie­ seln. Direkt hinter meinen Kragen und weiter zwischen den Schulter­ blättern hinunter. Bis es unter dem Hüftgurt meines Rucksacks zu eng wird zum Weiterrieseln. Lukas schlägt gerade einen Firnanker in das gefrorene Gemisch aus Eis und Schnee. Genau ober meinem Stand­ platz. Darum muss ich dieses eis­ kalte Rieseln aushalten.

D

as Seil spannt sich etwas, ich steige nach, Pickel und Steig­ eisen sorgfältig platzierend. Gemeinsam steigen wir dem Blau über diesem mächtigen Eispilz über uns entgegen. Atemberaubend ausgesetzt wird es jetzt. Ich muss anhalten. Tief durchschnaufen. Und schauen und staunen: Von so weit unten sind wir mitten in der Nacht losmarschiert. Mit allen Sinnen genieße ich jetzt diesen beeindruckenden Blick zum mächtigen Ranrapalca hinüber, wo wir vorgestern 78

Bergeerleben 04/20

standen, fix und fertig die letzten Me­ ter auf diesen Märchengipfel keuchten. Immer noch sind diese unvergessli­ chen Eindrücke unterwegs zu ihrem endgültigen S ­ peicherort in meiner Er­ innerung (siehe Bergeerleben 01/18 ). Tocllaraju, 6.034 m Die brutale Ausgesetztheit der letzten Klettermeter ziehen ein letztes Mal alle meine Sinne in ihren Bann. Ausstieg: Ich spüre die Einzigartigkeit dieses Augen­blicks. Und seine Vergänglich­ keit. Zum zweiten Mal in drei Tagen stehen Lukas und ich auf einem dieser malerischen Traumgipfel, wie es sie nur in tropischen Eisgebirgen gibt. Und diesmal können wir diese Momente auch körperlich genießen. Kaum müde, stehen wir ganz allein auf dem irgendwie unwirklich dastehenden Gipfeleis-Pilz des Tocllaraju. 1.700 Hö­ henmeter über unserem Basislager Ishinca­hütte. Acht Stunden nach unse­ rem mitternächtlichen Aufbruch, acht Stunden bewusst langsames Hinauf­ steigen. Fast schon ein meditatives

Gehen. Durch eine sternenerleuchtete Nacht. Und durch meine Gedanken­ welt. „Nur wer es wagt, zu weit zu ge­ hen, kann herausfinden, wie weit er gehen kann.“ Dadurch motiviert, ver­ ließen wir die Geborgenheit der Hütte. In der Unsicherheit, ob mein Körper nach meinem Dauerdurchfall, nach so viel Ausstoß von kaum verdauter Nah­ rung, noch genug Reserven für einen langen Tag am Berg haben würde. Das „Gehen“ wird es zeigen … Noch keinen Sechstausender habe ich so sehr genossen wie diesen. Der Gedanke, den ich kaum zu denken ge­ wagt hatte, ist jetzt Wirklichkeit. Ist ­genau das, was meine Art, auf einen hohen Berg zu steigen, auf ein neues Niveau hebt. Der Gedanke, einen an­ spruchsvollen Sechstausender als Ta­ gestour anzugehen. Ohne diese elen­ dige Schinderei, einen Riesenrucksack an einen trostlosen, kalten, leblosen Ort hinaufzutragen. Und dort oben, statt zu rasten, nur zu spüren, wie dir die Ungewissheit des bevorstehenden Tages die Motivation zerbröselt …


Hartmann Engl und Lukas Auer Der gewaltige Gipfelaufbau des ­Chopicalqui, 6.354 m Fotos: Hartmann Engl

Montezumas Rache im Gedärm Wieder zurück im schon etwas heime­ ligen Huaraz, werden unsere Pläne, nach dem traumhaften Tocllaraju wei­ ter zum Chopicalqui aufzubrechen, von „Montezumas Rache“ auf später verschoben. Bei unserer Rückkehr ver­ suchte ich nämlich, meinem Darm-­ Dauer­leiden mit der chemischen Keule beizukommen. Eine Anti-Durchfall-­ Pille, gefolgt von vier Kohletabletten bewirkte rein gar nichts außer einer kohlschwarzen Kloschüssel. Also such­ te ich eine der vielen Apotheken auf, deren akkurat herausgeputzte Verkäu­ ferinnen zu einem Apotheken­besuch regelrecht animieren. Ohne Englisch­ kenntnisse derselben war es jedoch recht kompliziert, mein Leiden ver­ ständlich zu machen. Ich wurde ­unter hingebungsvollem Unterdrücken eines Schmunzelns gefragt, ob ich denn überhaupt aufs Klo gehen kann. Was ich natürlich bejahte. Ein Griff ins Regal und eine kleine, grüne Plastik­f lasche

wurde mir in die Hand gedrückt. Auf meine Frage nach der Dosierung die­ ses Zaubertrankes, der meinen Darm endlich zu vernünftiger Arbeit anregen möge, machte das Apothekerfräulein nur die eine, bekannte Geste: mit dem gestreckten Daumen zum Mund. Alles auf einmal. Gutgläubig genoss ich ­diesen nach Kiwi schmeckenden süßen Sirup. Wir schlenderten weiter durch die Gassen an der Plaza de ­Armas. Nach einigen Zwangsbesuchen der unzu­mutbarsten stillen Örtchen, die ich in meinem bisherigen Leben je ­benutzen musste, dämmerte mir am späten Abend die Erkenntnis, dass mir, den Auswirkungen zu­folge, von der freundlich lächelnden Apothekerin wohl ein Abführmittel verkauft wurde. Totaler Krieg der Welten im Darm. Laguna Peron Zum Abwarten der Auswirkungen die­ ser Fehldiagnose buchten wir eine Bustour zur Laguna Peron, der Perle unter den Lagunen im Rio-Santa-Tal. Mit dem Gaspedal auf Anschlag fährt uns der alles und jeden überholende Rallye-Pilot mit dem Mercedes Sprinter die zwei Stunden Schlaglochpiste von Caraz hinauf zur türkisgrünen Laguna Peron, unterbrochen von einer netten Frühstückspause im Hinterhof eines Bauernhofes. Japaner und Koreaner, Deutsche und Spanier – ein farbiges

Schwer bekömmliche Köstlichkeiten am Markt von Huaraz

Menschengemenge steigt am Pass aus dem endlich einmal ruhig stehen­ den Bus. Krabbelt zielgerichtet die steile Moräne hinauf zum vom mit­ gereisten Tourguide vorgeschlagenen Aussichtspunkt hoch über dem See. Selfie-time! Gruppenbild mit Ching und ­Chang. Und gekünstelt verklärtem Blick nach oben. Zu den hohen Gipfeln und mit dem wie gemalt wirkenden Blau der Lagune stets im Hintergrund. Lukas flüchtet vor dem Touristen­ rummel und verzieht sich gleich ein Stück höher hinauf. Er genießt diese archaische Imposanz der steil auf­ ragenden Nordwand des Huandoy ­lieber für sich allein. Mich treibt es hin­ unter zur Lagune. Habe einen Weg entdeckt, der am Ufer der Lagune ­entlang weit ins Tal hineinführt zum ­Artesonraju Basislager. Die Traum­ pyramide des 6.025 Meter hohen Artesonraju hätte unser gewünschtes Highlight dieser Reise sein sollen. Es hat aber nicht sein wollen und der Gipfel hat bisher jedem Besteigungs­ versuch in dieser Saison widerstanden. So schnell, wie wir heraufgeschüttelt wurden, so schnell durchrüttelt unser Pilot uns wieder hinunter ins Rio-SantaTal und weiter nach Huaraz. Chopicalqui 6.354 m Zwei Tage später steigen wir um fünf Uhr früh wieder in einen Bus, der uns zum Ausgangspunkt des Chopicalqui, dem „kleinen“ Nachbarn des Huascaran und unserem letzten Berg dieser Reise bringt. Moränenlager Chopicalqui, Bergeerleben 04/20

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Unterwegs Lukas unterm Gipfeleispilz des Tocllaraju, 6.032 m

5.000 Meter: Regen und Graupeln prasseln an die Zeltwand. Wie schon 13 Jahre vorher, beim letzten Versuch, den Chopi zu besteigen. Meine Moti­ vation ist wieder im Keller. Soweit also nichts Neues. Nebenan campiert eine Gruppe Brasilianer. Haben Träger und Koch – also alles dabei, was das Leben hier oben angenehmer macht. Bin fast ein bisschen neidisch auf ihren Komfort. Aber nur auf den. Ansonsten bin ich lieber nur mit einem guten Freund in diesen wilden Bergen unter­ wegs. Macht es echter. Und oft auch einfacher. Wieder geht’s raus in die unerbitt­ liche, dunkle Nacht. Zum letzten Mal für lange Zeit. Hoffe ich wenigstens. Im Zickzack spuren wir abwechselnd durch die steile Westflanke. Wir sind allein am Berg unterwegs. Kaum Spu­ ren, die uns den Weg ganz hinauf er­ leichtern würden. Nach sechs Stunden Stapferei in diesem gigantischen Schneelabyrinth und nur knapp unterm Gipfel reicht’s mir: Ich kann Lukas, der 20 Meter vor mir stoisch seine Spur zieht, kaum noch folgen. Brauche im­ mer öfter eine Pause zum immer län­ geren Durchschnaufen. Und will meine Reserve, die ich für die 2.500 Höhen­ meter Abstieg ins Tal noch dringend

Lukas am Tocllaraju Gipfel. Links davon am Horizont das Horn des Ranrapalca

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brauchen werde, nicht verbrauchen. Ich hänge mich aus dem Seil und ver­ schanze mich in der Mulde einer zuge­ wehten Gletscherspalte. Warte dort auf Lukas, der sich diesen Moment, ­allein auf dem Gipfel eines so prächti­ gen Sechstausenders zu stehen, nicht mehr nehmen lässt. Nach einer Drei­

viertelstunde kommt er mit euphorisch leuchtenden Augen zurück. ­Erzählt atemlos von diesem unver­gesslichen Augenblick dort oben. Dann heißt ­unsere Richtung nur noch: abwärts. Im Licht des Tages sehen wir erst die wahren Dimensionen des Berges. Bleiben immer wieder stehen. Und können jetzt, ohne die mentale An­ spannung des vor uns liegenden Auf­ stiegs ins Unbekannte, diese unver­ gleichlichen Eindrücke auch richtig genießen. Am Abend, beim ehrlich verdienten Bier in Huaraz, realisieren wir dann Glas für Glas: Was für ein ­würdiger Abschluss unserer Cordille­ ra-Blanca-Tour! Gestern um 5 Uhr früh in Huaraz in den Bus gestiegen – heute auf den Chopicalqui. Und um 19 Uhr pünktlich zurück zum Feierabendbier. 38 Stunden. Ohne Koch. Ohne Träger. Ohne fast alles – außer unserer Lei­ denschaft. Hartmann Engl


Erstbegehungen La Vispula

Via Flamingo

Miran Mittermair und Aaron Moroder ge­ lang am 15.8.2019 die Route „La Vispula“. Eine schöne Route in ruhiger und ein­ drucksvoller Umgebung des Langen­ tales und in durchwegs ausgezeichnetem Fels. Die beiden Erstbegeher haben alle ­Haken belassen, die Stände sind ­eingerichtet.

Martin Dejori und Alex Walpoth gelang eine neue Tour auf dem Sass Ciampac. Es handelt sich um anspruchsvolle und abwechslungsreiche Kletterei, nur spär­ lich mit Normalhaken ausgestattet, aber mit Friends zumindest dezent ­absicherbar.

Zirmei de Val, Langental, Gröden

Sass Ciampac, Puez Gruppe

Vogelwild

Wildgall, Rieserfernergruppe Martin Stolzlechner, Felix Tschurtschent­ haler und Lukas Troi gelang im Novem­ ber 2018 diese Erstbegehung. Sie führt rechts der bekannten Tour „Seltene Er­ den“ direkt auf den höchsten Punkt des Wildgalls. Bei der Erstbegehung befand sich kein Eis in der Tour, bei besseren Verhältnissen (Hartschnee-Eis) könnte die Route auch wesentlich leichter sein, deshalb ist die Bewertung nur als Vor­ schlag zu sehen. Alle Stände bis auf den vorletzten sind mit Nägeln eingerichtet, trotzdem ist die Route sehr alpin.

Astapowo 1910 Lebensstil

Durrer Spitze, Riepenscharte, ­Antholzertal

Pera Forada

Lagazuoi Westwand, Alta Badia Simon Kehrer gelang diese Neutour auf der Lagazuoi-Westwand.. Die Route weist Schwierigkeitsgrad V auf und mit Sand­uhren sowie Bohrhaken abgesi­ chert. Wie in der Routenskizze ersichtlich sind mehrere Varianten bis VI- möglich.

Kompakte Platten, steile Risse und sehr festes, granitähnliches Gestein – das sind die Charakteristika der steilen, hel­ len Wand am nordöstlichen Fuße der Durrer Spitze. Manuel Gietl und Jakob Steinkasserer eröffneten dort die Neu­ tour „Lebensstil“ am 23.10.2019. Manuel gelang eine Woche darauf die freie ­Begehung.

Gottesfinger, Langkofel, Gröden Der Gottesfinger erhebt sich westlich über der Langkofelscharte als deutlich vorspringender Felsturm am Fuße der beliebten Daumenkante. Bei der „Asta­ powo 1910“, mitten durch die schmale Nordwand des Gottesfinger, handelt es sich um anspruchsvolle Kletterei mit eindrücklichen Passagen, erstbegangen von Ivo Rabanser, Stefan Comploi und Antonella De Biaso im Sommer 2010. Jetzt hat uns Ivo die Erstbegehung zur Veröffentlichung geschickt.

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ERSTBESTEIGUNGEN

Der Weg durch den weißen Basalt

„Der Latemar ist ein wenig dolo­ mitisiertes Kalkriff, das vielfach Porphyr-Melaphyrgänge durch­ setzen. Sein Gestein ist ungemein scharf und brüchig, weshalb seine Gipfel bei Kletterern in keinem ­guten Ruf stehen.“ Diese Zeilen schrieb der in Kletterkreisen be­ kannte Alpinist und Publizist Hans Kiene im Bozner Wanderführer 1956 über diesen Gebirgsstock mit seinen ruinenhaften Gipfelbauten, Felsnadeln, Türmen und seiner ­geologischen Beschaffenheit.

V

ielfach ist aber unbekannt, dass es auch gute Klettermöglich­ keiten im kompakten Fels gibt. Dies zeigt eindeutig ein von der Seil­ schaft Klaus Lang und Harald Hofer 2019 erstmals durchstiegene Route am Erzlahnturm. Sie gaben dieser Neutour wegen der besonderen geologischen Beschaffenheit des Gebietes und ei­ nes weißen geschweiften Kamins in der nordseitigen Wand des Erzlahn­ turmes den Namen „Der Weg durch den weißen Basalt“. „Bei einer Skitour im Frühjahr zur Erzlahn ist mir auf der linken Auf­ stiegsseite ein schöner Felsturm mit einer interessanten Wand aufgefallen“, erzählt Klaus Lang (*1979) vom Ritten, ein Bergfex, mit einem beeindrucken­ den Tourenbuch. „Durch die Wand dieses Turmes sah ich eine gute Mög­ lichkeit eine schöne Route zu klettern. Im Latemargebiet hatte ich bereits an­ dere Touren gemacht. Das ganze Ge­ biet übte durch seine Abgeschieden­ heit und Ruhe einen besonderen Reiz auf mich aus. Klaus sprach über seinen Plan, eine Neutour zu wagen, mit sei­ nem Bergpartner Harald Hofer (gebür­ tig aus Villanders, wohnhaft in Lajen, *1981). Harry war sofort begeistert, in dieser mystischen Bergwelt des Latemar­gebietes das Vorhaben um­ zusetzen. Lang und Hofer beschlossen die Route im klassischen Freikletterstiel zu

Erstbesteigung am ersten Erzlahnturm, Latemar 82

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Die Schlüssellänge (4. SL) im steilen Riss Fotos: Klaus Lang/Harald Hofer


versuchen. 2018 durchstiegen sie ab­ wechselnd führend die Wand bis zu ­einem geschweiften Kamin. Positiv überrascht waren sie über die gute Felsqualität und die schöne Linien­ führung dieser Neutour. „Das Klettern in dieser Wand und stillen Gegend war ein besonderer Genuss. Wir waren erstaunt, dass es trotz der Nähe zur Stadt Bozen noch so tolle Möglich­ keiten gibt, Kletterneuland vorzu­ finden“.

Der erste Erzlahnerturm ist jener rechts der Sonne mit den Doppelspitzen Harald Hofer in der 3. Seillänge; im Hintergrund das Eggentaler Horn

Im Juli 2019 schafften Hofer und Lang die restlichen Seillängen. Ein unver­gessliches Kletterabenteuer fand den Abschluss am Gipfel des ein­ samen Turmes bei der Erzlahn. Klaus Lang

DER WEG DURCH DEN ­WEISSEN BASALT 380 m, 9 Seillängen Ein Wandbuch befindet sich beim ­letzten Standplatz. Der Abstieg vom Turm ist abgesichert. Zustieg zum Erzlahnturm: Vom Park­ platz Epicher Lahneralm über Forstweg bis unter die Erzlahnrinne. Dem Steig ein Stück R ­ ichtung Erzlahn­ rinne folgen, bis man links der Rinne zum Einstieg ge­ langt; ca. 1 Stunde

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TIPPS & INFOS

Der Tod im Tiefschnee – ohne Lawine Eine unterschätzte Gefahr Wir sind zu viert auf Skitour, es hat über einen Meter geschneit in den letzten Tagen, herrlicher, boden­loser Powder. Bei der Abfahrt durch einen schütteren Lärchen­ wald muss man es senkrecht kra­ chen lassen, sonst steht man bis zu den unteren Basalganglien im weißen Mehl. Bis es kracht; einer stürzt, mit dem Kopf voran und steckt fest wie ein Fuchs nach Hechtsprung auf Mäusejagd. Es passiert auf Sicht und so ziehen wir den Kameraden rasch aus seinem Loch, alleine wäre er nicht mehr rausgekommen. 84

Bergeerleben 04/20

D

ieser Unfalltyp, auch mit Todes­ folge, ist in der Szene leidlich bekannt, aber wenig beschrie­ ben und schon gar nicht erforscht. Er gilt in Europa als selten. Aber ist er das? Ein willkürlicher Überblick Jänner 2019, Mariazell/Steiermark: Ein Skifahrer (62) stürzt im Skigebiet über den Pistenrand hinaus und bleibt kopfüber und hilflos im Schnee ste­ cken. Bis er geborgen wird, ist er tot, erstickt laut nachfolgender Obduktion. Jänner 2019, Gargellen/Vorarlberg: Snowboarderin (24, CH) kommt von

der Piste ab und bleibt im 1,5 m tiefen Wildschnee kopfüber bis zur Hüfte ­stecken. Sie erstickt. Jänner 2019, Pongau/Salzburg: ­Skifahrer aus (35, SVN) stürzt im freien Skiraum und bleibt im über 1 Meter tiefen Schnee stecken, er wird von der Rettung agonal aufgefunden und stirbt nach 2 Stunden Reanimation. Jänner 2018, Hochzillertal/Tirol: Snowboarder (39, D) stürzt in eine Mul­ de und bleibt dort kopfüber stecken. Er wird erst in der folgenden Nacht tot aufgefunden, lediglich der Belag des Snowboards ist an der Schneeober­ fläche zu sehen.


Fotos: Werner Beikircher

April 2018, Meribel/Frankreich: Snowboarder (23, GB) erstickt nach Sturz im Tiefschnee. Februar 2016, Silvretta/Vorarlberg: Skifahrer (27, D) kommt bei starkem Schneefall und Nebel von der Piste ab und stürzt kopfüber in den Tiefschnee. Er wird bis zur Hüfte feststeckend tot von der Rettung aufgefunden. Jänner 2012, Maria Alm/Salzburg: Skifahrer (42) kommt bei schlechter Sicht von der Piste ab und stürzt kopf­ über in den Tiefschnee, nur noch die Skischuhe ragen heraus. Nach­ kommende Skifahrer beginnen mit der Reanimation, diese ist erfolglos.

Februar 2011, Montana/USA: 16-jähriger deutscher Austausch­ schüler erstickt beim Variantenfahren nach Sturz in den Tiefschnee. Jänner 2010, Lech am Arlberg/Vorarlberg: Tourengeher (D) stürzt kopf­ über in über 1 Meter Tiefschnee und kann sich nicht selbst befreien. Er ver­ stirbt. Februar 2010, Oberstdorf/Bayern: Snowboarder (38, NZL) stürzt neben der Piste und bleibt kopfüber bis zu den Knöcheln stecken. Er erstickt. Februar 2009, St. Johann/Tirol: Snowboarder (40) erstickt beim Varian­ tenfahren nach Sturz in den Tiefschnee. Februar 2009, Fiss/Tirol: Snow­ boarder (15) stürzt über Geländekante kopfüber in eine Senke und bleibt dort so tief stecken, dass nur noch das Snow­ board zu sehen ist. Er wird am Abend des Unglücktages tot aufgefunden. April 2009, Bayrischzell/Bayern: Skifahrer (37, D) stürzt beim Varianten­ fahren neben Skipiste in ein Baumloch und verstirbt. Laut Rettungsdienst rag­ ten nur noch die Schuhe aus dem Tief­ schnee. Dezember 2005, Pinzgau/Salzburg: 17-Jähriger (D) stürzt in einen schnee­ gefüllten Graben neben der Piste und bleibt kopfüber im Tiefschnee stecken. Der gleichaltrige Freund versucht eine Zeit lang das Opfer aus dem Schnee zu zerren, was nicht gelingt. Erst die organisierte Rettung kann den Jugend­lichen tot bergen. Dezember 1998, Seegrube/Tirol: 13-jährige Snowboarderin stürzt bei Abfahrt im freien Gelände in ein Schneeloch in einem Latschenfeld. Sie kann sich nicht befreien und wird zwei Tage später tot aufgefunden. Wenn man diese unvollständige Auf­ zählung (Österreich-lastig wegen ­bequemerer Recherche) auf andere ­alpine Länder und europäische Berg­ regionen extrapoliert, darf man an­ nehmen, dass dieser Unfalltyp eben nicht so selten ist wie allgemein ­angenommen. Rechnet man schließlich die sicher deutlich häufigeren noch knapp gut ausgegangenen Unfälle „near death“-­ Ereignisse mit ein (analog den zahl­

reichen nicht gemeldeten Lawinen­ unfällen), dann reden wir nicht mehr von einer Rarität. Umso erstaunlicher die bereits ­erwähnte Tatsache, dass es wenig ­Publikationen gibt, die sich damit beschäf­tigen. Kaum mehr als eine Handvoll deutschsprachige volks­ populäre Artikel findet man, in der ­wissenschaftlichen (englischen) Litera­ tur sind es knapp ein Dutzend. Anders in Nordamerika. NARSID und Tree Well In den USA und Kanada ist NARSID (non avalanche related snow immer­ sion d ­ eath; also Tod im Schnee außer­ halb einer Lawine) seit Jahren ein be­ kanntes und vieldiskutiertes Thema.

Als Tree Well wird ein sogenannter Baumtrichter oder Baumloch bezeich­ net, auch Fichtenfalle genannt (da meist Koniferen), ein enger, kraterarti­ ger Hohlraum rund um einen Baum­ stamm, oft von mehrere Meter hohem Schnee umschlossen. Diese Baum­ löcher sind – gelegentlich von einer dünnen Schneeverwehung oder tief­ hängenden Ästen getarnt – typisch für nordamerikanische Ski- und Touren­ gebiete, wo es mehr schneit als in den Alpen. Auch wird in NA mehr im schüt­ teren Wald gefahren, die Waldgrenze in den Touren- und Variantengebieten liegt höher. Bergeerleben 04/20

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TIPPS & INFOS Diese Hohlräume stellen regelrech­ te Fallgruben dar, denn stürzt ein Ski­ fahrer in ein solches Loch, kann er sich kaum aus eigener Kraft befreien und es kommt zur „deep snow immersion suffocation“ (Ersticken durch Eintau­ chen in Tiefschnee) oder Tod durch ­Erfrieren. Inzidenz in Nordamerika Von 1997 bis 2017 wurden über 70 NARSID-Fälle dokumentiert, wobei ­explizit auf die sehr hohe Dunkelziffer der knapp gut ausgegangenen Fälle verwiesen wird (Wilderness Medicine Magazine, April 2017). Derzeit geht man von etwa 4 Todesfällen/Jahr allein in den USA durch diesen Unfalltyp aus. Baugher P. hat in einem recht aktuellen Review (2017) 65 Fälle analysiert und kommt zum Schluss, dass NARSID für 5 % aller tödlichen Skiunfälle und 15 % aller tödlichen Snowboardunfälle verantwortlich ist.

65 % dieser Todesfälle haben ein Tree-Well-Szenario als Ursache und Baugher betont, dass der größte Fak­ tor im gesamten Risiko-Setting die grundsätzliche Unterschätzung dieser Gefahr darstellt. Unfalldynamik Diese ist klar, wenn man die bisher be­ kannten Unfälle betrachtet, es braucht tiefen Schnee. Im freien, baumlosen Gelände handelt es sich meist um ei­ nen Sturz hangabwärts, mit dem Kopf voran. Durch die Wucht des Sturzes und des Zusatzgewichts durch einen Rucksack tauchen Kopf und Ober­ körper tief ein, gelegentlich sind vom ­Opfer nur noch die Skischuhe mit oder ohne anhängende Sportgeräte zu ­sehen. Mangels bisheriger Feldversuche kann über die Schneeverdichtung vor dem Gesicht durch die Dezeleration nur spekuliert werden, doch dürfte diese durchaus der Verdichtung in einem klassischen Lawinen-­ Schneebrett entsprechen oder auch höher sein. Des­ halb kommt es vermutlich zu einer raschen Asphyxie

Baumlöcher oder Baumtrichter (Tree Wells) sind Hohlräume um den unteren Teil eines Baumstammes herum und entstehen bei großen Schneehöhen. Sie stellen gefähr­ liche Fallen dar, aus denen ein Entkommen ohne fremde Hilfe oft nicht möglich ist. Grafiken: Roman Hösel

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Die hohe Kinetik bei einem Sturz mit Kopf voran führt zum Einbetonieren im tiefen Schnee und ähnlichem Sauerstoffmangel wie in der Lawine.

(­Erstickung); die R ­ olle des Kohlendio­ xids ist in diesen Fällen ungeklärt, weil bisher kaum ­Daten über eine Atem­ höhle existieren. Beim Tree-Well-Szenario, also Sturz in Baumlöcher oder Hohlräume in ­Latschen und Sträuchern ist mögli­ cherweise manchmal nicht nur rasches Ersticken die Todesursache, sondern das Gefangensein mit folgender Hypo­ thermie, Erschöpfung und Erfrieren. Für europäische Verhältnisse dürfte der zweite Fall deutlich seltener sein, hier findet man meist ein Eintauchen in freien, tiefen Wildschnee. Was fällt auf? Hypothese 1 Anhand der europäischen und nord­ amerikanischen Zahlen fällt auf, dass bezüglich Mortalität Snowboarder deutlich häufiger betroffen sind als Skifahrer. Da dieses Verhältnis den ­absoluten Zahlen der Wintersportler nicht entspricht (eher umgekehrt), muss angenommen werden, dass Snowboarder bei diesem Unfalltyp (in der Annahme, die Situation ist unbe­ obachtet) deutlich schlechtere Karten haben als ihre Kollegen auf 2 Brettern. Möglicherweise ist es schwieriger, sich mit fixierten Unterschenkeln auf dem Snowboard aus einer solch miss­


lichen Lage zu befreien, immer voraus­ gesetzt, es besteht noch Bewegungs­ freiheit der unteren Extremitäten. Bei Skifahrern berichten einige Fälle über Skiverlust durch den Sturz, sodass die Beine deutlich mobiler sind und durch Stampfen, Wenden und Drehen eine Befreiung eher möglich sein könnte. Hypothese 2 Kommt der Tod bei NARSID schneller als bei Lawinenverschüttung? Gewagte Spekulation bei fehlen­ der Datenlage, dazu ein paar Über­ legungen. Das Versterben in der Lawine ist gut untersucht, v. a. durch die Arbeiten von Hermann Brugger. Lässt man ­letale Traumen und das dritte „H“ des Triple-­H-Syndroms (Hypoxie, Hyper­ kapnie, Hypo­thermie), also die Hypo­ thermie, mal außer Acht, dann erfolgt der Kurzzeittod durch Hypoxie (Sauerstoff­mangel) und Hyperkapnie (Anstieg des ausgeatmeten CO2). Bis ca. 18 Minuten Verschüttungsdauer liegt die Über­lebenschance bei 80 %. Untersuchtes Szenario dabei ist Ganz­ körperverschüttung, fehlende Atem­ höhle und komplette Immobilisation durch Einmauerung im Schnee (durch­ schnitt­liche Liegetiefe beim klassischen Schneebrett ca. 1 Meter). Und genau diesen letzten Punkt gilt es zu untersuchen. In einer polnischen Arbeit zu N ­ ARSID (Kosinski, S. et al.; Anesthesiology Inten­sive Therapy, April 2013) erwähnt der Autor, dass in einigen Fällen der Tod bereits nach 5 – 10 Minuten einge­ treten sei, ohne die Umstände näher zu beschreiben. Denkbar wäre, dass bei nicht voll­ ständiger Immobilisation – also dem Freibleiben der unteren Extremitäten – durch den verzweifelten Befreiungs­ kampf der Beine eine deutlich schnel­ lere Sauerstoffausschöpfung aus dem Blut erfolgt. In Ruhe verbraucht die ­periphere Muskulatur nur ca. 15 – 20 % des Herzminutenvolumens (ca. 5 l/min.) und 1/3 des gesamten Sauerstoffs (250 – 3 00 ml O2/min). Bei großer kör­ perlicher Belastung steigt die Perfu­ sion aktiver Muskelgruppen bis auf das 20-Fache, beanspruchen diese Mus­

keln 85 % des Herzminutenvolumens und 95 % des zirkulierenden Sauer­ stoffs (> 3000 ml O2/min.). Je stärker also die muskuläre Akti­ vität, desto mehr Sauerstoff extrahiert sie aus dem Kreislauf; Hypoxie und ­A sphyxie werden beschleunigt. Deshalb logisch, aber wenig mehr als ein frommer Wunsch die alten Rat­ schläge aus den alten Lawinen­büchern, sich in solchen Situationen ruhig zu verhalten, um „Luft zu sparen“. Bei Immobi­lisation in 1 Meter Tiefe ist die­ se Empfehlung trivial, beim Todes­ kampf an der Oberfläche ist sie surreal. Und damit sind wir bei der Präven­ tion. Selbsthilfe und Vorsichtsmaß­ nahmen Ein Faceshot in den Tiefschnee ge­ schieht im Bruchteil einer Sekunde. U. Mosimann (SAC; 2019) empfiehlt, sich dabei einen Arm vor das Gesicht zu halten, um eine kleine Atemhöhle zu schaffen. Dieser Rat kommt aus der Lawinen­praxis, wo man nach dem ­Abgang eines Schneebretts meist eini­ ge Sekunden Zeit hat für irgendeine Reaktion (sonst wäre auch das Aus­ lösen eines Airbags illusorisch). Bei ­einem überraschenden, mit großer Geschwindigkeit erfolgten Köpfler ­halte ich diese Reaktionsmöglichkeit

aber für theoretisch, ebenso die Emp­ fehlung, den Schnee mit den Armen beiseite zu schieben. Was bleibt? Möglicherweise könnte eine festsitzen­ de Vollgesichts-Sturmhaube, gezielt angezogen für derlei Tiefschneeaben­ teuer (angenehm auch gegen stieben­ den Powder) bei einem Sturz das Ein­ dringen von Schnee in die oberen Atemwege verhindern und so Minuten gewinnen; vielleicht kommt irgend­ wann ein praktikabler Vollvisier-Ski­ helm auf den Markt (ein bekannter Sportartikelproduzent war vor Jahren an diesem Thema dran). Als wichtigste Maßnahme über­ haupt gilt (besonders im Wald) das Abfahren mit gegenseitiger Sichtkont­ rolle! Das heißt kürzere Abstände von Person zu Person und häufigeres An­ halten, um auch den Partner dahinter beobachten zu können. Ein Zurück­ steigen um gerade mal 20 Höhen­ meter zu einem Gestürzten ist im grundlos tiefen Pulverschnee vielfach beschwerlicher und zeitraubender als im Knollenchaos eines Schnee­ brettes. Beim Worst Case ist es – bezogen auf die minütliche Überlebenskurve bei Asphyxie – schlichtweg aussichtlos. Dr. Werner Beikircher

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TIPPS & INFOS

BERGSTEIGERTIPP

Skischlitten & Biwaksack-­ Verschnürung Behelfsmäßiger Abtransport bei einem Skitourenunfall Es muss nicht immer ein Lawinen­ unglück sein, um auf Skitour in eine missliche Lage zu geraten. Manch­ mal genügt eine einfache Verlet­ zung am Knie oder Knöchel, die in Kombination mit einbrechender Dunkelheit oder schlechter Sicht eine professionelle Rettung nicht möglich macht. Ohne Notrufmög­ lichkeit oder eine Hubschrauber­ bergung kann sich der kleinste Zwi­ schenfall im winterlichen ­Gebirge rasch zu einer lebens­bedrohlichen Situation entwickeln. 88

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ier kann ein behelfsmäßiger Ab­ transport mit einem Skischlitten oder eine Biwaksack-­Ver­schnü­ rung das Mittel der Wahl sein, um den Verletzten ins Tal zu bringen. Es ist aber gut zu überlegen, ob dem Verletzten die Belastung eines Abtransportes zu­ gemutet werden kann oder ob es nicht besser ist, sich am Berg Schutz zu su­ chen, den Verletzten warm zu halten, zu versuchen einen Notruf abzusetzen und auf Hilfe zu warten. Generell ist der behelfsmäßige Ab­ transport eine Alternative, wenn man

in abgelegenen Gebieten der Welt unter­wegs ist und weiß, dass eine or­ ganisierte Rettung nicht vorhanden bzw. sehr unwahrscheinlich ist. Dann wird aber empfohlen, sich als Gruppe mit diesem Thema bereits vor Auf­ bruch zum Skiabenteuer auseinander­ zusetzen und evtl. auch entsprechen­ de professionelle Skiverschraubungen im Erste-Hilfe-Pack mitzunehmen. Dennoch wollen wir euch die Mög­ lichkeiten einer behelfsmäßigen Ski­ verschraubung aufzeigen und euch ­ermutigen, gemeinsam mit euren


Was können wir als Gruppe selbst unternehmen, wenn keine organisierte Rettung kommen kann? Beim Kurs „Notfall Alpin“ des AVS-Projektes ALPINIST setzen sich junge Alpinisten genau mit diesem Thema auseinander. Fotos: Walter Obergolser

Bergfreunden bei Gelegenheit den Bau eines Skischlittens und einer Biwak­sack-Verschnürung zu üben. Technik üben! Es gibt einige Methoden, um sich ­daraus einen Skischlitten zusammen­ zuschnüren. Vor allem benötigt man

auch etwas Routine. Deshalb sollte man die Technik im Vorfeld üben, um nicht bei einem ernsten Notfall unter Zeitdruck seinen ersten Schlitten zu­ sammenbauen. Skischlittenbau, Kno­ ten und Biwaksack-Verschnürung muss man beherrschen, damit man das un­ ter Stressbedingungen entsprechend wieder auf die Reihe bringt. Neben der normalen Skitourenausrüstung braucht es für den Bau noch den Ruck­ sack zur Polsterung und vor allem drei Stück vier Meter lange Reep­ schnüre. Zudem benötigt man eine stabile Lawinenschaufel, welche die

entsprechenden Bohrungen für eine Skiverschraubung hat. Damit wir uns hier nicht in müh­ samer „Bastelanleitung“ verlieren, ist es am besten, wenn ihr euch im Inter­net hierzu informiert. Recht anschau­liche und gut erklärt sind die Videos der Firmen Ortovox und K2, welche unter anderem Lawinen­ schaufeln mit den entsprechenden Bohrungen für Ski­verschraubungen in ihrem Sortiment haben. Die ­QR-Codes mit den Links zu beiden ­Videos findet ihr in den Fotos. Stefan Steinegger

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TIPPS & INFOS

Die stillen Wächter der ­Lawinen Die Lawinenkommissionen in Südtirol

Und es schneit und schneit, als würde Frau Holle nicht mehr auf­ hören ihre Betten zu schütteln. Die anfängliche Euphorie über das schöne Weiß kann sich schnell in Angst und Unbehagen umwandeln, sobald sich die Schneemengen unauf­hörlich auftürmen und kein Abklingen in Sicht ist, so wie zu ­Beginn des vergangenen Winters.

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mmer wieder treten in Südtirol star­ ke Schneefälle auf und in der Folge kann es zu einer erhöhten Lawinen­ aktivität kommen. Auch wenn Lawine­ nereignisse nicht alltäglich sind, so darf die Gefahr, die von den Schnee­ massen ausgeht, nicht unterschätzt werden. Schnee und Berge sind die Grundvoraussetzung für Lawinen. Rund 80 Prozent von Südtirols Fläche gelten als gebirgig. In einem Bergland wie Südtirol stellen Lawinen eine im­ mer wiederkehrende Bedrohung für die Bevölkerung dar. Der Schutz vor Lawinen ist deshalb von besonderer Bedeutung. Schadenslawinen Der Umgang mit der Lawinengefahr in Südtirol entwickelte sich schrittweise und ist eng mit dem Auftreten von Lawinen­ereignissen verbunden. Ver­ heerende Lawinenwinter wie 1916/17, 1950/51 oder 1974/75 gingen nicht nur in anderen Teilen der Alpen als Katastrophen­winter in die Geschichts­ bücher ein, sondern verursachten auch in Südtirol zahlreiche Schäden an ­Gütern und Personen. Die Personen- und Sachschäden durch Lawinen in Siedlungsgebieten oder an Verkehrswegen konnten in den letzten Jahrzehnten durch diverse bauliche, raumplanerische und or­ga­ nisa­torische Schutzmaßnahmen deut­ lich gesenkt werden. Heute dienen ausgedehnte Schutzwälder, Stützver­ bauungen, Lawinengalerien und ande­ re Schutzbauten dem Lawinenschutz. Auch raumplanerische Maßnahmen

Lawine, die den Talboden erreicht hat und die Galerie am Schöngraben im ­Martelltal unter sich begrub Foto: Agentur für Bevölkerungsschutz

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wie die Gefahrenzonenpläne tragen zum Lawinenschutz bei. All diese Schutzmaßnahmen reduzieren zwar die Gefahr, vollständig eliminiert wird die Lawinengefahr jedoch nicht. Im Durchschnitt ereignen sich in Südtirol zwischen 80 und 90 Lawinen­ ereig­nisse pro Winter. In niederschlagsreichen Wintern kann die Zahl der Lawinenereignisse jedoch deutlich höher liegen. Im ­Winter 2017/18 wurden laut der Agen­ tur für Bevölkerungsschutz (Quelle: Lawinen­kataster) beispielsweise 122 Lawinenereignisse registriert. ­Allein im Gemeindegebiet von Graun im Vinschgau wurden innerhalb eines Monats über 40 Schadenslawinen ge­ meldet, wobei ein Wohnhaus zerstört und weitere drei Gebäude beschädigt wurden. Nicht zu vergessen ist, dass diese Zahlen immer auch mit persönlichen Schicksalsschlägen verbunden sind. Ausgabe der örtliche Lawinen­ kommission Um das Risiko von verschütteten Per­ sonen auf Verkehrswegen oder in Siedlungs­gebieten zu reduzieren ent­ standen Anfang der 1980er-Jahre mit der Übernahme der Kompetenz vonseiten des Landes (Lawinenwarn­ dienst) die örtlichen Lawinenkommis­ sionen. Sie analysieren und bewerten die Lawinen­situation auf Gemeinde­

ebene und ­beraten die Bürgermeister hinsichtlich der zu treffenden Maßnah­ men. Sie sind ein Teil des Zivilschutz­ systems in Südtirol und werden dem temporären aktiven Lawinenschutz ­zugeordnet. Im Unterschied zur Beur­ teilung der Lawinen­gefahr durch den Lawinenwarndienst bewerten die Lawi­ nenkommissionen die lokale Lawinen­ gefahr, also die Gefahr für einzelne Lawinen­striche oder Hänge. Die tägli­ che Einschätzung anhand der fünf­ teiligen Gefahrenskala des Lawinen­ warndienstes bezieht sich dagegen auf Gebiete von mehreren Hundert Quadratkilometern. Damit die Lawinenkommissionen Gefahrensituationen rechtzeitig erken­ nen, beobachten sie die Schnee-, ­Wetter- und Lawinenverhältnisse täg­ lich. Dazu konsultieren sie den La­wi­ nen­report, Wetterprognosen, den Lawinen­kataster und die jeweiligen Gefahrenzonenpläne, beobachten die Entwicklung gewisser Parameter an den Schnee- und Wetterstationen, bewer­ten Schneeprofile oder führen selbst Lokalaugenscheine und Schnee­ deckenuntersuchungen durch. Mit ihrer Erfahrung, Ortskenntnis und ihrem Wissen empfehlen die Kom­ missionen dann verschiedene Maß­ nahmen wie das präventive Sperren von Straßen, Skipisten, Rodelbahnen und Loipen, die Evakuierungen gefähr­ deter Gebiete oder die gezielte künst­

Lawinenkommissionskurs im Skigebiet Klausberg im Ahrntal Foto: Lawinenwarndienst Südtirol

liche Lawinenauslösung. Die Zielset­ zung der Lawinensprengung ist die Vermeidung von Großlawinen und die Verringerung von Sperrzeiten durch das portionsweise und gezielte Ent­ laden von Lawinenstrichen. Die tem­ poräre Sperrung von Straßen bzw. Straßenabschnitten ist eine effiziente und dynamische Schutzmaßnahme und wird häufig angewendet. Von der Bevölkerung muss eine Sperrung ernst genommen werden, da diese Schutz­ maßnahme mit fundierter Begründung getroffen wird. Da viele der Maßnahmen mit Kos­ ten, Arbeitsaufwand und Unannehm­ lichkeiten verbunden sind, sei für die Gemeinden als auch für die Privatper­ sonen ein hohes Maß an Professionali­ tät und Objektivität notwendig, um die jeweiligen Maßnahmen abzuwägen. Im Ernstfall beurteilen die Kommis­ sionsmitglieder die Lawinengefahr mehrmals täglich und beraten den Bür­ germeister hinsichtlich der zu ergrei­ fenden Maßnahmen. Unter anderem auch nachts. Die Veranlassung und Durchführung der Maßnahmen unter­ liegen schlussendlich aber immer dem Bürgermeister, der für den Zivilschutz auf Gemeindeebene zuständig ist. Bergeerleben 04/20

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TIPPS & INFOS

Verteilung der Lawinenkommissionen in den Südtiroler Gemeinden (Stand August 2020). Quelle: Lawinenwarndienst Südtirol

Die Lawinenkommissionen sind die gesamte Wintersaison, also vom ersten Schneefall bis zum Ende der Schnee­ schmelze aktiv. In Gefahrensitua­tionen müssen die Kommissionsmitglieder rund um die Uhr erreichbar sein, um im Notfall zu handeln. Bei i­hrer Tätigkeit sind die Mitglieder ständig in einem Spannungsfeld zwischen der öffent­ lichen Sicherheit und den Einschrän­ kungen bzw. Problemen, die durch eine Sperrung oder Evakuierung verursacht werden. Die Kommissionsmitglieder sind dementsprechend einem hohen Druck ausgesetzt, tragen gleichzeitig aber auch viel Verantwortung. Für die Beobachtung und Dokumen­ tation kommt den Lawinenkommissio­ nen LWDKIP (Lawinenwarndienste Kommunikations- und Informations­

plattform auf Internetbasis) zugute, eine eigens für Kommissionen entwi­ ckelte Online-Informations- und Proto­ kollierungsplattform. In LWDKIP wer­ den alle Konsultationstätigkeiten automatisch registriert, wodurch die Arbeit der Lawinenkommissionen nachvollziehbar wird. Dies ist ein rele­ vanter Vorteil, sollte jemals die Ent­ scheidung der Kommission vor Gericht diskutiert werden. In Südtirol sind die Lawinenkommis­ sionen ehrenamtlich tätig. Aktuell sind knapp 400 Personen in Lawinenkom­ missionen eingesetzt, die in 50 der 116 Gemeinden Südtirols einen wert­ vollen und unverzichtbaren Beitrag für die öffentliche Sicherheit leisten Aus gesetzlicher Sicht ist es den jewei­ligen Gemeinden freigestellt, ob sie eine Lawinenkommission einsetzen oder nicht. Wird keine Lawinenkom­ mission eingesetzt, ist der Bürger­ meister allein für den Lawinenschutz verantwortlich. Ausgenommen sind

Registrierte Schadenslawinen in Südtirol der letzten 21 Winter Quelle: Agentur für Bevölkerungsschutz

lawinen­gefährdete Skigebiete und öffent­liche Seilbahnen, hier ist eine Einsetzung verpflichtend. Zu den Lawinen­kommissionen werden nur ­Personen bestellt, die das jeweilige Gebiet, die entsprechenden Wetter-, Schnee- und Lawinenverhältnisse ken­ nen und deren persönliches und ar­ beitstechnisches Umfeld die Erfüllung der Aufgaben erlaubt. Zudem sollten die Mitglieder der Lawinenkommissio­ nen ständig geschult werden, damit sie im Ernstfall objektive und fachlich basierte Entscheidungen treffen kön­ nen. Eine Ausbildungspflicht besteht jedoch nicht. Da ein hundertprozentiger Lawinen­ schutz nicht möglich ist, sollte es im Sinne der Gesellschaft und des Landes liegen, die wichtige Aufgabe der Lawi­ nenkommissionen zu unterstützen und zu fördern. Es gilt, die vorhandenen Ressourcen bestmöglich zu nutzen, um mögliche Verbesserungen in diesem Bereich voranzutreiben, die Ausbil­ dung auszubauen und weiterhin in den Lawinenschutz zu investieren, um die Bevölkerung und die Wintersportler bestmöglich zu schützen. Denn auch wenn das Gut der Lawinenkommissio­ nen immateriell ist, so ist der Umgang mit Lawinen seit jeher ein Teil der kul­ turellen Identität Südtirols. Sarah Graf, Michael Munari Amt für Meteorologie und Lawinenwarnung

Eine von zahlreichen Gleitschneelawinen, welche aufgrund der starken Schneefälle Mitte November 2019 im Martelltal abging Foto: Agentur für Bevölkerungsschutz

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Stille und laute Orte Musikalische Fluren und Berge In dieser Ausgabe begeben wir uns auf die Spuren von Berg- und Flurnamen, die auf Laute, Töne bzw. Musikinstrumente hinweisen. Beginnen wir mit der Stille, der Abwesen­heit von Tönen, für welche die Bergwelt ja so gerne gepriesen wird. Stille … Der Flurname „Stille“ bezeichnet ­einen Platz, wo man einen nahen ­rauschenden Bach nicht hören kann. Solch eine Örtlichkeit gibt es in ­Verdins bei Schenna, wo man „auf den Stillen“ das Tosen des nahen ­Masulbachs nicht vernimmt. Auch in Winnebach gibt es direkt am Silvester­ bach ein kleines Waldstück namens „Stille“.

Die „Winterstille“ in der Hollenze oberhalb von St. Peter in Ahrn liegt am Fuße eines Felsens auf ca. 2.800 Me­ tern. Dieser Platz könnte ein windge­ schütztes – und somit stilles – Rastplatzl bei Skitouren sein. Bei der „Stille“ un­ terhalb vom Klamml in Rein in Taufers wurden die Kühe angehalten – ge­ stillt –, damit sie sich vor dem herbstli­ chen Alm­abtrieb nochmals beruhigen konnten. Dasselbe ist für die „Kuhstille“ beim Wildbad Innichen anzunehmen, welche als Viehsammelplatz diente. … und Tosen Mit „Toase“ wird ein kleines Weingut in Schenna nahe der Gemeindegrenze zu Meran bezeichnet. Von dort könnte das tosende Wasser der Passer beson­ ders gut hörbar sein. Das mundart­

Das Goaßlschnöllen – zünftig und laut Foto: Stefan Steinegger

liche Substantiv „der Toas“ bezeichnet ­einen eintönigen und anhaltenden Klang. Man sagt auch „der Bach toast“. Der Hofname Tisen in Schnals könnte ähnlich wie „Toase“ interpretiert wer­ den. Zugrunde liegt dem Hofnamen vielleicht die indogermanische Verb­ form *dhusi „stieben, stäuben, wirbeln“, in der Folge auch „Dunst, N ­ ebel“ – daher unser Mundartwort „tasig“ für „betäubt, benebelt“. Der Name Tisen könnte sich ursprünglich also auf den tosenden, stiebenden ­Leiterbach bezogen haben. Eine ähn­liche Namens­­ herkunft ist auch für das „Tusen­grabl“ in Ulten anzunehmen. Bergeerleben 04/20

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Kultur Wie Glockentürme stehen sie da, die ­Ciampanii dl Sela. Foto: Pixabay

munteren Vinschger Burschen steck­ ten sich früher die Tjúhui-Feder, näm­ lich ein Büschel Federgras, auf den Hut. Manche erreichen die oben er­ wähnte Sorglosigkeit nur mit den ­entsprechenden Promille, dann haben sie einen „Tuljöö“ (aufgrund der nun ungehemmten Tjuhuirufe) … Am „Schreiegg“ in Tschivon/­ Schenna wurde vor der Grundentlas­ tung (1848) noch zur Fronarbeit für die Herrschaft ausgerufen. Diese unent­ geltlichen Arbeitsleistungen betrafen Heuernte und Fuhrdienste. Der Fron­ bote verständigte die Bauern vor der Heu- und Grummeternte, wofür er auf dem Schreiegg „Recher und ­Gabler“ laut ausrief, ja geradezu her­ ausschrie. Juzen – Ausdruck sorgloser Freude Das Juzen und Jodeln diente zweifels­ ohne der Kommunikation von Alp zu Alp und zur Verständigung bei der Viehsuche. Es geschah öfter aber schlichtweg aus reiner Freude. Julius Ritter von Schröckinger beschreibt in der Publikation „Der Alpengesang“ den Juchzer als „Freudenruf, welcher im Falsett mit den höchsten Tönen ­beginnt und in gleichmäßigen Interval­ len, so lange der Athem des Rufenden währt, herabsteigt. Den Juchazer rufen sich die Einzelnen bei dem Besuche der Alpen zu und erhalten denselben als Gegenruf zurück. Es drückt sich in demselben auch wirklich eine ganz ei­ gene Freude und Sorglosigkeit aus“. In ganz Südtirol gibt es Plätze, die zum Juzen einladen. So kennt man am Berghang oberhalb von Arlund (Graun) ein „Juzknöttl“, oberhalb des Dorfes Burgeis ein „Juzegg“, bei einem Ort, wo früher „Kreidenfeuer“ entzündet wurden. Dies waren Signalfeuer zum

Aufgebot in Kriegszeiten. Im Wort „Kreidenfeuer“ steckt das mittelhoch­ deutsche krîdan „schreien“ bzw. krîde „Losung, Schlachtruf“. Ein „Juzknöttl“ ist auch in Unser Frau in Schnals be­ kannt. Von dort hat Serafina Platz­ gummer, die „Mitterhofer Mutter“, ­immer herabgejuzt! Außerdem gibt es den „Juzknott“ in Völlan, von dem man ins Tal juzte, das „Juzbödele“ in Afens (Wiesen), von dem man beim Heuziehen ins Tal gerufen hat, sowie das Juzbründl an der Grenze zwischen Villnöß und Teis. Am Rande des Orts­ kerns von St. Jakob in Ahrn steht schließlich der „Juhaz­stoan“. Tjuhui Am Rande des Waldental-Hofs am Schlanderser Sonnenberg gibt es den „Tjúhui-Fuchs“, wo ab und zu ein Stück Erdreich (Fuchs) mit einem Tjúhui in den Graben abrutscht. Ein Gelände­ vorsprung in der Nähe des Dorfs ­Planeil heißt „Auf dem Júhui“. Die

„Der Dialekt ist voller lebendiger, sinnlicher ­Bilder.“ Johannes Ortner

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Kråchen und Schnöllen … Ein weit höheres Volumen als mit der menschlichen Stimme wird mit dem Goaßlschnöllen erreicht. Die Plätze, wo dies ausgeübt wurde, heißen im Untervinschgau, Ulten, Burggrafenamt, Passeier und Freienfeld durchwegs „Schnöllbichl“, „Schnöllplått“, „Schnöll­ egg“ oder „Schnöllbödele“, zu mund­ artlich „schnölln“, das bekanntlich „knallen“ bedeutet. In Ridnaun, Rat­ schings, Sarntal, Schalders und Brixen heißen diese Plätze hingegen „Kråch­ eggele“, in Antholz gerne „Kråch­ pinggl“. Geigen In Südtirol gibt es drei Berge mit dem Wortbestandteil „Geige“: den Geigen­ spitz (2.340 m) in Ridnaun und den Geigen­spitz (2.330 m) südöstlich des Brenners an der Grenze zu Nordtirol. Ebenso gibt es eine Geige (2.102 m) oberhalb von Tesselberg im Tauferer Tal (Wanderbeschreibung hierzu siehe S. 71). Wie im Falle der weit bedeuten­ deren Hohen Geige (3.393 m) im Pitztal führt der Innsbrucker Namenforscher Karl Finsterwalder diese Bezeichnun­ gen auf darunterliegende Bergmähder zurück. Auf diesen Bergmähdern wur­


de früher das Bergheu zu konischen Heuschobern, sogenannten Dristen, aufgetürmt. In der Mitte des hölzernen Drischbretts wurde der lange Dristste­ cken eingeschlagen, um welchen das Bergheu gewickelt wurde. Besondere Driststecken besaßen kleine abste­ hende Äste, welche den Aufbau einer Driste erleichterten und „Geigen“ ­genannt wurden. Glocken und Türme Steile Berggestalten mit abgerundeter Kuppe wurden mit einem Glockenturm bzw. einem Glockenstuhl verglichen. Dazu zählt natürlich der berühmte Großglockner (3.798 m, 1561 als „Glocknerer“ erstbelegt) zwischen Kärnten und Osttirol. Aber auch weni­ ger bekannte Gipfel wie der Glock­ hauser in Langtaufers (3.090 m) oder der Glockturm im Kaunertal (3.358 m) haben ihre Namen von ihrer Ähnlich­ keit mit einem „Glockhaus“ (Glocken­ stuhl) bzw. Glockenturm.

Die Klettertürme im Dolomiten­ gebiet heißen im Ladinischen und Ita­ lie­nischen durchwegs Ciampanil bzw. Campanile – übersetzt Glockenturm. Als Beispiele lassen sich die Sellatürme (Ciampanii dl Sela), der Ciampanil Fiechtl, der Ciampanil Berger oder die Ciampanis de Val de Misdé in der Boé-Gruppe anführen. Eine vermeintliche Orgel … Der Orgelspitz oder Laaser Spitz (sie­ he Bergeerleben 1/2017) hingegen geht nicht auf die Königin der Instru­ mente zurück, denn dieser Gipfel wird in der bodenständigen Marteller Mundart „Årgler“ genannt. Der Begriff „Årg-“ könnte auf die vorrömische Wurzel *areq- zurückgeführt werden und einst entlegene Bergregionen ­bezeichnet haben. Dieser Namentyp begegnet uns auch in den Flurnamen Orggles (Planeil) sowie Ober- und ­Unterarg (Pfossental).

Schöne Wanderung zur Geige im Tauferer Ahrntal. Im Hintergrund der Brunecker ­Talkessel Foto: Ingrid Beikircher

Johannes Ortner (*1973) aus Meran ist Ethnologe sowie Kultur- und ­Sozialanthropologe. In zahlreichen Publika­tionen, Radio- und Fernseh­ sendungen befasst er sich mit der Namens­kunde und der Geschichte Südtirols.

Johannes Ortner

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TIPPS & INFOS

Bücher aus der AVS-Bibliothek Im Online-Katalog kann im Bestand der AVS-Bibliothek gestöbert werden: alpeverein.it/online-katalog

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Über die Alpen in 28 Etappen

Warum wir unsere Berge retten ­müssen

Raetia

Roland ­Schmellenkamp

Rother Ulrich Magin

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Mark Zahel

Der Tatzelwurm

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Panoramawege und Aussichts­ berge Südtirol

Porträt eines ­Alpenphantoms

Auf historischen Pfaden durch die schottischen ­Highlands

Tyrolia Walter ­Spitzenstätter

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Ehrensache ­Leben Retten

Freizeit in Tirol

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Bildkalender 2021

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Die Geschichte der Bergrettung Tirol

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TIPPS & INFOS

KULTBUCH AVS Sektion Drei Zinnen

Rucksackliederbuch ­Haunoldgebirge „Wo man singt, da lass dich ruhig nieder; böse Menschen haben keine ­Lieder“ Was gehört – neben Erste-Hilfe-Set, Wetterschutz oder Mobiltelefon – standardmäßig in den Rucksack? Für viele Südtiroler wohl die Wattkarten … und: ein Liederbuch, wie etwa das vom Alpenverein Südtirol mehrfach aufge­ legte „Pulverschnee und Gipfelwind“ (siehe Bergeerleben, Juni 2016). In die­ ser Ausgabe stellen wir das noch hand­ lichere (8 x 12 cm) und damit noch ruck­ sacktauglichere Liederbüchl der AVS-Sektion Drei Zinnen mit dem Titel Haunoldgebirge vor. Es wurde 1996 von der Sektionsjugend Innichen selbst zusammengestellt und beinhal­ tet Lieder von Freundschaft, Freiheit und Abschied, Bergsteigerlieder, Wan­

der-, Lager- und Jagdlieder, Lieder in froher Runde, Heimatlieder, alpen­ ländische Lieder, Lieder von Glauben, Frieden und Umwelt, Lieder von Lieder­machern und Schlager. Gesungen werden dürfen diese quasi immer und überall: im Frühtau zu Berge oder wenn die Schwalben heimwärts ziehn, hoch auf dem gelben Wagen oder im yellow submarine, auf der Sunnenseit’n tirolerischer Almen ebenso wie an den Ufern des Mexiko River. Und wenn man beim gemeinsa­ men Singen schon mal drauf und dran ist, über den Wolken, wo die Welt so groß und weit ist, Herzileins rote Lip­ pen zu küssen (… das Schönste auf der Welt!), dann sollte man doch fein sein, beieinander bleibn und textsicher eine zweite und dritte Strophe anhängen.

Die Melodie muss man intus haben, denn Noten sind im „Haunoldgebirge“ keine zu finden. Wo man singt, da lass dich ruhig nieder – dieses berühmte Zitat ist der Liedersammlung vorangestellt und will uns wohl daran erinnern, dass wir am Berg nicht allein von einem Gipfelziel zum nächsten hetzen, sondern uns auch mal nieder- und zusammensetzen sollen, insbesondere dort, wo grad ­gesungen wird. Haunoldgebirge; Rucksacklieder­ buch. AVS-Sektion Drei Zinnen, Inni­ Kurse und chen 1996 Stephan Illmer

Touren für alle Mitglieder

Impressum 37. Jahrgang, Nr. 04/2020 Eigentümer und Herausgeber: Alpenverein Südtirol, I-39100 Bozen, Giottostraße 3 Tel. 0471 978 141 www.alpenverein.it E-Mail: office@alpenverein.it Presserechtlich verantwortlich und ­Redaktionsleitung: Ingrid Beikircher Redaktion: Judith Egger, Stephan Illmer, Ralf Pechlaner, Stefan Steinegger, Gislar Sulzenbacher Ermächtigung: Landesgericht Bozen, Nr. 4/84 vom 27.1.1984 Druck: Fotolito Varesco GmbH, Auer Auflage: 44.000 Gestaltungskonzept: www.gruppegut.it Layout, Druckvorstufe: www.typoplus.it

Redaktionsschluss für die nächste Ausgabe: 30. 12. 2020 Anzeigenannahme: Alpenverein Südtirol, z. H. Miriam Federspiel Giottostraße 3, I-39100 Bozen bergeerleben@alpenverein.it, Tel. 0471 053 190

Die Drucklegung dieser Zeit­ schrift wird gefördert durch:

Die Redaktion behält sich die Auswahl, Kürzungen, die redaktionelle Bearbeitung und den Erscheinungs­ termin der Beiträge vor. Die Zeitschrift und alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Die Artikel geben die Meinung der Autoren und nicht jene der Redaktion wieder. Die männliche ­Bezeichnung schließt die weibliche immer mit ein.

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· für Mitglieder im Mitgliedspreis enthalten · Einzelheft Nicht-Mitglieder: 6 € Inland, 9 € Ausland; Jahresabo (vier Hefte + Jahresbericht „Berge erlebt“) 25 € Inland, 40 € Ausland

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Mehrfachzustellung & Adressenkorrektur Wir bitten alle Mitglieder, eventuelle Mehrfachzustellungen in der Familie oder falsche Adressenangaben der Landesgeschäftsstelle (T 0471 978 141, mitglieder@alpenverein.it) bzw. der jeweiligen Sektion/Ortsstelle zu melden.


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