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Mundtot gemachtMusiker unter Druck
Songs für eine bessere Welt. Zwei Mitglieder der türkischen Band Grup Yorum sind dieses Jahr im Hungerstreik gegen Repressionen gestorben.
Mundtot gemacht
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Musiker stehen weltweit unter Druck. Die Organisation Freemuse zählt viele Fälle von Zensur und Inhaftierungen und vereinzelt sogar Ermordungen. Von Daniel Bax
Anfang Mai starb mit Ibrahim Gökçek das zweite Mitglied der Band Grup Yorum. Nachdem er kurz zuvor seinen Hungerstreik nach 320 Tagen abgebrochen hatte, erlag der Bassist in einem Istanbuler Krankenhaus den Folgen dieser Tortur. Einen Monat zuvor war die Sängerin der Band, Helin Bölek, nach 288 Tagen im Hungerstreik gestorben. Die beiden Musiker hatten mit ihrem Todesfasten gegen ein jahrelanges Auftrittsverbot für ihre Band sowie gegen Razzien und die Inhaftierung anderer Musiker protestiert.
Die 1985, wenige Jahre nach dem Militärputsch in der Türkei, gegründete Band Grup Yorum hat mehrere Generationen von Linken in der Türkei begleitet und ein Lebensgefühl geprägt. »Yorum« bedeutet so viel wie »Kommentar«, und das brachte das Selbstverständnis der Band auf den Punkt. Besetzung und Arrangements wechselten über die Jahre, doch ihrer Linie blieb die Band stets treu. Ihre Protestsongs im türkischen Folkstil waren oft plakativ und voller Pathos, mit klaren und kämpferischen Botschaften und Covern voller wehender roter Fahnen. Die Band steht der »Volksbefreiungsfront der Türkei« DHKP-C nahe, eine in Europa und der Türkei verbotene linke Extremistengruppe. Die Popularität der Band reichte aber weit über diese Kreise hinaus. Ihre überragende Bedeutung zeigte sich 2010, als Grup Yorum zum 25-jährigen Bandjubiläum vor 50.000 Menschen ein umjubeltes Konzert im Istanbuler İnönü-Stadion gab. Die Repression der vergangenen Jahre aber hat die Band fast zerstört. Die Beerdigung von Ibrahim Gökçek wurde von Tumulten begleitet. Die verbliebenen Musiker haben aber angekündigt, weitermachen zu wollen.
Auch anderswo verloren Künstler ihr Leben, weil Macht - haber sie zum Schweigen bringen wollten. In Ägypten starb Anfang Mai der 24-jährige Filmemacher Shady Habash in der Haft. Er war mehr als ein Jahr zuvor festgenommen worden, nachdem er bei einem Musikvideo des Rocksängers Ramy Essam Regie geführt hatte. Der Song »Balaha« richtete sich gegen Ägyptens Militärherrscher Abdel Fattah Al-Sisi, das Video zu »Balaha« wurde bei YouTube mehr als fünf Millionen Mal aufgerufen. Ramy Essam war einer der Wortführer der Proteste auf dem Tahrirplatz, er war verhaftet und gefoltert worden und lebt seit 2014 in Schweden im Exil.
Die Organisation Freemuse hat es sich zur Aufgabe gemacht, solche Fälle zu dokumentieren. Für das vergangene Jahr hat sie 711 Verstöße gegen die Kunst- und Meinungsfreiheit gezählt, in insgesamt 93 Ländern. Darunter waren sechs Morde, zwei davon allein in Uganda. Ein Drittel aller Fälle betraf Musiker.
Ägypten und die Türkei gehören zu den Ländern, denen Freemuse eine besorgniserregende Entwicklung bescheinigt. Aber auch China, Indien, Indonesien, Brasilien und sogar die USA und Frankreich bieten Anlass zur Sorge. Der wachsende Nationalismus und Populismus führe dazu, dass oppositio - nelle Stimmen und ethnische Minderheiten oder die LGBTQICommunity marginalisiert und unterdrückt werden, sagt Freemuse-Direktor Srirak Pliplat. Das ist leider ein weltweiter Trend.
IRAN VON COVID-19 BEDROHTE GEFANGENE
Trotz einiger angekündigter Freilassungen angesichts der Covid-19-Pandemie befinden sich im Iran noch immer Hunderte gewaltlose politische Gefangene in Haft. Zu ihnen zählen Menschenrechtler_innen, friedliche Protestierende und andere Personen, die lediglich deshalb inhaftiert wurden, weil sie friedlich ihre Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit wahrgenommen haben.
In zahlreichen iranischen Gefängnissen wurden Häftlinge bereits positiv auf Covid-19 getestet. Laut Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO scheinen bestimmte Personengruppen ganz besonders in Gefahr zu sein, bei einer Erkrankung ernste Symptome zu entwickeln und zu sterben. Zu dieser Risikogruppe zählen ältere Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen. Hinzu kommt, dass manchen Gefangenen systematisch eine angemessene medizinische Versorgung verweigert wird, wodurch sie bei einer An
MACH MIT: BRIEFE GEGEN DAS VERGESSEN
Tag für Tag werden Menschen gefoltert, wegen ihrer Ansichten, Hautfarbe oder Herkunft inhaftiert, ermordet, verschleppt, oder man lässt sie verschwinden. AMNESTY INTERNATIONAL veröffentlicht regelmäßig an dieser Stelle Einzelschicksale, um an das tägliche Unrecht zu erinnern. Internationale Appelle helfen, solche Menschenrechtsverletzungen anzu prangern und zu beenden.
Sie können mit Ihrem persönlichen Engagement dazu beitragen, dass Folter gestoppt, ein Todesurteil umgewandelt oder ein Mensch aus politischer Haft entlassen wird. Schreiben Sie bitte, im Interesse der Betroffenen, höflich formulierte Briefe an die jeweils angegebenen Behörden des Landes.
ACHTUNG! Aufgrund der Verbreitung des CoronaVirus ist die weltweite Briefzustellung momentan eingeschränkt. Deshalb bitten wir Sie, Ihre Appell - schreiben per E-Mail oder Fax bzw. an die Botschaft des jeweiligen Ziellandes zu schicken.
steckung mit dem Corona-Virus besonders gefährdet wären.
Viele Inhaftierte sind bereits in den Hungerstreik getreten, um gegen den Mangel an Hygieneartikeln in Gefängnissen zu protestieren sowie gegen die Weigerung der Behörden, Häftlinge vorübergehend freizulassen, genügend Tests in Gefängnissen durchzuführen und mutmaßlich Erkrankte zu isolieren. In zahlreichen Gefängnissen wandten Sicherheitskräfte tödliche Gewalt an, um Proteste wegen Sicherheitsbedenken bezüglich Covid-19 niederzuschlagen. Glaubwürdigen Quellen zufolge wurden dabei etwa 35 Personen getötet und Hunderte weitere verletzt.
Bitte schreiben Sie höflich formulierte
Briefe an die Oberste Justizautorität, in denen Sie darum bitten, alle gewaltlosen politischen Gefangenen umgehend und bedingungslos freizulassen, darunter auch Menschenrechtler_innen und Personen, die nur deshalb inhaftiert sind, weil sie friedlich an den Protesten vom November 2019 und Januar 2020 teilgenommen hatten. Appellieren Sie an ihn, dringend zu erwägen, auch andere Inhaftierte freizulassen, insbesondere Untersuchungshäftlinge und besonders gefährdete Personen. Und bitten Sie darum, dass alle notwendigen Maßnahmen ergriffen werden, um die Gesundheit aller Gefangenen zu schützen, zum Beispiel durch angemessenen Zugang zu Tests.
Schreiben Sie in gutem Persisch, Englisch oder auf Deutsch an:
Ebrahim Raisi C/o Permanent Mission of Iran to the UN 622 Third Ave., 34th floor New York, NY 10017, USA E-Mail: iran@un.int (Anrede: Dear Mr Raisi / Sehr geehrter Herr Raisi) (Standardbrief Luftpost bis 20 g: 1,10 €)
Senden Sie bitte eine Kopie Ihres Schreibens an:
Botschaft der Islamischen Republik Iran S. E. Herrn Mahmoud Farazandeh Podbielskiallee 67, 14195 Berlin Fax: 030-832229133 E-Mail: info@iranbotschaft.de (Standardbrief: 0,80 €)
BELARUS VLADISLAV SHARKOVSKY UND EMIL OSTROVKO
Vladislav Sharkovsky und Emil Ostrovko (Foto) sitzen seit 2018 wegen geringfügiger gewaltfreier Drogendelikte im Gefängnis. Zum Zeitpunkt ihrer Festnahme waren sie 17 Jahre alt. Sie hätten nie inhaftiert werden dürfen.
Beide Männer leiden unter schweren Erkrankungen. Emil Ostrovko hat chronisches Asthma, und Vladislav Sharkovsky unter www.amnesty.de/briefe.
CHINA LI QIAOCHU
Die Arbeits- und Frauenrechtlerin Li Qiao chu wurde am 16.Februar 2020 in Peking von der Polizei abgeführt. Sie ist an einem unbekannten Ort inhaftiert. Amnesty geht davon aus, dass ihre Festnahme mit ihren Aktivitäten gegen geschlechtsspezifische Gewalt und mit der Tatsache zu tun hat, dass ihr Partner Xu Zhiyong im Dezember 2019 an einem informellen Treffen von Anwält_innen und Aktivist_innen teilgenommen hat.
Li Qiaochu engagierte sich online und offline ehrenamtlich in der Prävention von Covid-19. Sie verteilte Gesichtsmasken an Beschäftigte im Gesundheitsweleidet unter permanentem Husten und Thrombose. Seine Sicht ist zudem durch Lichtblitze und sogenannte Floater im Auge eingeschränkt. Die zunehmende Zahl der Covid-19-Erkrankungen stellt ein großes Risiko für die beiden Männer und viele andere Inhaftierte in Belarus dar.
Bitte schreiben Sie höflich formulierte
Briefe an den Präsidenten von Belarus und bitten Sie ihn, umgehend zu prüfen, ob Vladislav Sharkovsky und Emil Ostrovko vorzeitig unter Auflagen freigelassen werden können, da Covid-19 für sie eine große Gefahr darstellt. Fordern Sie zudem die Überprüfung des Gewahrsams aller Gefangenen in Belarus, die durch Covid-19 gefährdet sind, wie z.B. Menschen mit Vorerkrankungen. Appellieren Sie an ihn, die Praxis der Inhaftierung von Minderjährigen wegen geringfügigen gewaltfreien Drogendelikten gemäß Paragraf 328 einzustellen und die Drogenbekämpfungspolitik allgemein zu reformiesen und half schwangeren Frauen aus betroffenen Gemeinden dabei, sich gegenseitig zu unterstützen.
Li Qiaochu wird ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten und hat keinen Zugang zu ihrer Familie oder einem Rechtsbeistand ihrer Wahl. Sie ist daher in großer Gefahr, gefoltert oder anderweitig misshandelt zu werden.
Bitte schreiben Sie höflich formulierte
Briefe an den Direktor der Sicherheitsbehörde von Peking und bitten Sie ihn, Li Qiaochu umgehend und bedingungslos freizulassen, es sei denn, es existieren glaubwürdige und zulässige Beweise dafür, dass sie eine international anerkannte Straftat begangen hat, und sie ein Verfahren erhält, das den internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren entspricht. Bitten Sie ihn, sicherzustellen, dass Li Qiaochu bis zu ihrer Freilassung regelmäßigen und uneingeschränkten Zugang zu Rechtsbeiständen ihrer Wahl und ihrer Familie hat und nicht gefoltert oder anderweitig misshandelt wird. Fordern ren. Alle Inhaftierten, die als Minderjährige verurteilt wurden, müssen freigelassen werden.
Schreiben Sie in gutem Belarussisch, Russisch, Englisch oder auf Deutsch.
Aleksandr Lukashenko Ul. Karla Marksa, 38 220016 Minsk, BELARUS Fax: 00375-172260610 oder 00375- 172223872 E-Mail: contact@president.gov.by (Anrede: Dear President / Sehr geehrter Herr Präsident) (Standardbrief Luftpost bis 20 g: 1,10 €)
Senden Sie bitte eine Kopie Ihres Schreibens an:
Botschaft der Republik Belarus S. E. Herrn Denis Sidorenko Am Treptower Park 32, 12435 Berlin Fax: 030-53635923 E-Mail: germany@mfa.gov.by
Briefentwürfe auf Englisch und Deutsch finden Sie Sollten Sie eine Antwort auf Ihr Appellschreiben erhalten, schicken Sie sie bitte an: info@amnesty.de
AMNESTY INTERNATIONAL
Zinnowitzer Straße 8, 10115 Berlin Tel.: 030-420248-0, Fax: 030-420248-488 E-Mail: info@amnesty.de, www.amnesty.de
(Standardbrief: 0,80 €) Sie zudem, dass ihr umgehend und uneingeschränkt Zugang zu medizinischer Versorgung gewährt wird, wenn sie darum bittet bzw. wenn dies nötig ist.
Schreiben Sie in gutem Chinesisch, Englisch oder auf Deutsch an:
Wang Xiaohong Beijingshi Gong’anju 9 Dongdajie, Qianmen Dongchengqu, Beijing Shi 100017, VOLKSREPUBLIK CHINA Fax: 0086-1085222823 (Anrede: Dear Director Wang / Sehr geehrter Herr Direktor) (Standardbrief Luftpost bis 20 g: 1,10 €)
Senden Sie bitte eine Kopie Ihres Schreibens an:
Botschaft der Volksrepublik China S. E. Herrn Ken Wu Märkisches Ufer 54, 10179 Berlin Fax: 030-27588221 E-Mail: de@mofcom.gov.cn oder presse.botschaftchina@gmail.com (Standardbrief: 0,80 €)
In jedem Amnesty Journal veröffentlichen wir drei Einzel - schicksale, verbunden mit dem Appell, einen Brief zu schreiben, um Menschenrechtsverletzungen zu beenden. In regelmäßigen Abständen informieren wir darüber, wie sich die Situation der Betroffenen weiterentwickelt hat. Hier nun neue Informationen zu den »Briefen gegen das Vergessen« von Juni 2019 bis Januar 2020.
ÄGYPTEN – MALAK AL-KASHEF (JUNI 2019) Im Juli 2019 ist die ägyptische Menschenrechtsverteidigerin Malak al-Kashef aus der Haft entlassen worden. Die 19-jährige Transfrau war im März 2019 von Angehörigen des Geheimdiens - tes aus dem Haus ihrer Familie in Gizeh verschleppt worden. Anschließend hielt man sie im Tora-Gefängnis von Kairo, einem reinen Männergefängnis, in Einzelhaft. Die Aktivistin wurde inhaftiert, weil sie nach einem Feuer im Kairoer Ramses-Bahnhof über Online-Netzwerke zu Protesten aufgerufen hatte. Ihr wurde vorgeworfen, eine »terroristische Organisation zu unterstützen« sowie »die sozialen Medien für Straftaten missbraucht zu haben«. Nach Angaben ihres Rechtsbeistands wurde Malak alKashef zu Untersuchungen in einem Krankenhaus gezwungen, bei denen es zu sexualisierten Übergriffen durch das medizinische Personal kam. Amnesty stuft solche Übergriffe als Folter beziehungsweise Misshandlung ein. Die Organisation hatte gefordert, Malak al-Kashef freizulassen und alle Anklagen gegen sie fallen zu lassen.
Aus der Haft entlassen. Malak al-Kashef.
VIETNAM – HO DUY HAI (JUNI 2019) Ho Duy Hai ist nicht mehr von Hinrichtung bedroht. Das Todesurteil wurde
Ho Duy Hai.
ausgesetzt, nachdem die Oberste Staatsanwaltschaft Vietnams im November 2019 eine erneute Untersuchung des Falles angeordnet hatte. Grund dafür waren schwere Verfahrensmängel. Im März 2008 war Ho Duy Hai festgenommen und neun Monate später wegen Mordes zum Tode verurteilt worden. Während der Haft hatte er keinen Zugang zu einem Rechtsbeistand. Berichten zufolge hatte man Ho Duy Hai außerdem durch Folter gezwungen, ein Geständnis abzulegen. Der Ausschuss für Rechtsfragen der Nationalver
Protest im Jahr 2014. Ho Duy Hais Mutter.
sammlung, der für die Klärung von Vorwürfen zu juristischem Fehlverhalten zuständig ist, berichtete von schweren Verstößen gegen die Verfahrensregeln. Amnesty hat sich mehrfach für eine Überprüfung des Urteils und die Abschaffung der Todesstrafe in Vietnam eingesetzt. Aus den Reihen der Zivilgesellschaft war zu hören, dass der Einsatz von Amnesty in hohem Maße dazu beigetragen habe, Ho Duy Hais Hinrichtung zu verhindern.
USA – ALEJANDRA (JULI 2019) Die Transfrau Alejandra ist im September 2019 nach 20 Monaten aus der Einwanderungshaft in Texas freigelassen worden. Aufgrund ihrer Geschlechtsidentität war sie in ihrem Heimatland El Salvador immer wieder von Mitgliedern einer Gang und auch von Militärangehörigen bedroht, erpresst und sexuell genötigt worden. Sie war schließlich nach Mexiko geflohen und hatte im November 2017 an der Grenze zu den USA Asyl beantragt. Nach einer Anhörung vor dem Einwanderungsgericht im April 2018 war ihr Asylantrag vorerst abgelehnt und ihre Abschiebung aus den USA angeordnet worden. Die Entscheidung über ihren Asylantrag läuft weiter – auch nach der Entlassung aus der Haft. Sollte sie nach El Salvador zurückgeschickt werden, würde das ein großes Risiko bedeuten. Allein im Januar und Februar 2019 wurden dort laut Menschenrechtsorganisationen drei Transfrauen getötet. Amnesty wird sich weiterhin für Alejandra einsetzen und die Entscheidung über ihren Asylantrag weiter beobachten.
Nicht mehr in Einwanderungshaft. Alejandra.
Solidarität mit Alejandra. Amnesty-Protestaktion.
ZYPERN – AHMED H. (OKTOBER 2019) Ahmed H. konnte Ende September 2019 – kurz nachdem die Briefe gegen das Vergessen für Oktober in den Druck gingen – zu seiner Familie auf Zypern zurückkehren. Die zyprischen Behörden hatten ihm seine Rückkehr schließlich gestattet. Er war im September 2015 in Ungarn inhaftiert und auf Grundlage der ungarischen Antiterrorgesetze wegen »Komplizenschaft in einer Terroraktivität« verurteilt worden. Ahmed H. hatte versucht, seiner Familie bei der Flucht aus Syrien nach Europa zu helfen und war deshalb an die serbisch-ungarische Grenze gereist. Dort war es zu Zusammenstößen zwischen der ungarischen Polizei und Flüchtenden gekommen. Die Polizei hatte Tränengas und Wasserwerfer eingesetzt und Dutzende Personen verletzt. Ahmed H. wurde zu zehn Jahren Haft verurteilt, die durch Berufungsinstanzen erst auf sieben und später auf fünf Jahre redu
Vor Ungerechtigkeit wegfliegen. Zeichnung von Ahmed H.’s Tochter.
ziert wurden. Mehr als 24.000 Menschen hatten sich an Kampagnen von Amnesty International für Ahmed H. beteiligt. Er und seine Frau drücken allen Unterstützern ihre tiefe Dankbarkeit aus.
VIETNAM – TRAN THI NGA (JANUAR 2020)
Die Menschenrechtsverteidigerin Tran Thi Nga ist im Januar 2020 – kurz nach der Veröffentlichung der Briefe gegen das Vergessen – nach drei Jahren Haft freigelassen worden. Bedingung für ihre Freilassung war, dass sie mit ihrer Familie in die USA ausreist. Tran Thi Nga war 2017 wegen »Propaganda gegen den Staat« zu neun Jahren Gefängnis verurteilt worden. Sie hatte sich nach Tran Thi Nga. der Formosa-Katastrophe, die 2016 in zahlreichen Provinzen Vietnams zu einem Fischsterben geführt hatte, an friedlichen Protesten beteiligt. Das Stahlwerk »Formosa Hà Tĩnh Steel« hatte Abwässer ins Südchinesische Meer geleitet, die unter anderem mit Phenol und Zyanid kontaminiert waren. Tran Thi Nga ist Mitglied der unabhängigen vietnamesischen Gruppe Frauen für Menschenrechte, die sich friedlich für Land- und Arbeitsrechte sowie den Umweltschutz einsetzt. Wegen ihres politischen Engagements war Tran Thi Nga bereits zuvor misshandelt worden: Im Mai 2014 hatten regierungsnahe Schlägertrupps ihr ein Bein und einen Arm gebrochen; im August 2015 hatten Polizisten sie aus einem Bus gezerrt. Amnesty International hatte die umgehende und bedingungslose Freilassung von Tran Thi Nga gefordert.
Wollen auch offline wieder aktiv werden. Elsabeh Sonderhoff (l.) und Birte Wulfes von der Amnesty-Jugendvertretung.
Mutige Menschen, die sich weltweit für ihre Rechte und die Rechte anderer einsetzen, werden zur Zielscheibe digitaler Angriffe und Überwachung. Dagegen wandte sich die AmnestyJugendaktionswoche – diesmal nur online. Elsabeh Sonderhoff und Birte Wulfes erklären, was da los war.
Die Jugendaktionswoche hat in diesem Jahr wegen Corona »überwiegend online« stattgefunden. Was heißt überwiegend?
Da die Lage anfangs nicht absehbar war, hatten wir auch Materialien für Infostände etc. vorbereitet. Letztlich fand die Jugendaktionswoche aber nur online statt. Zusammen mit den Jugend- und Hochschulgruppen haben wir auf Social Media mit täglichen Posts über die Überwachung von Menschenrechtsverteidigerinnen und Menschenrechtsverteidigern informiert. Außerdem gab es einen informierenden Chatbot und Online-Interviews mit der Themen-Koordination Digitales und dem Amnesty Tech Team. Außerdem haben wir mit einem Twitterstorm auf den gewaltlosen politischen Gefangenen Ahmed Mansoor aufmerksam gemacht. Der Menschenrechtler, Blogger und Dichter aus den Vereinigten Arabischen Emiraten ist seit März 2017 inhaftiert. Er hat die Menschenrechtssituation in seinem Land dokumentiert und wurde zu zehn Jahren Haft verurteilt.
Schwerpunkt der Aktionswoche waren »Menschenrechte im digitalen Zeitalter« – da passen Online-Aktionen doch richtig gut…
Natürlich hat das sehr gut gepasst, zu diesem Thema gehört aber selbstverständlich auch die kritische Auseinandersetzung mit Digitalisierung.
Seid ihr zufrieden mit den Ergebnissen der Jugendaktions - woche?
Unter den gegebenen Umständen war sie ein großer Erfolg. Viele Jugend- und Hochschulgruppen haben sich an unseren Aktionen beteiligt, und wir konnten mehr als 5.000 Unterschriften für Ahmed Mansoor sammeln! Trotzdem ist es schade, dass keine anderen Aktionen möglich waren. Im kommenden Jahr wollen wir nach Möglichkeit auch wieder offline aktiv sein. Es ist recht schwierig, als Gruppe gemeinsam eine Online-Aktion zu machen. Das Wir-Gefühl fehlt einfach. Außerdem erreicht man bei Aktionen auf der Straße auch noch ein anderes Publikum als über Social Media.
Elsabeh Sonderhoff, 18, und Birte Wulfes, 22, sind in der AmnestyJugendvertretung als Referentinnen für Aktionen bzw. Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit aktiv.
Die gute Nachricht vorweg: Bislang erfahren wir große Solidarität von unseren finanziellen Unterstützern. In den ersten Wochen der Corona-Krise verzeichneten wir nicht die befürchteten Spendenrückgänge und auch Kündigungen von Mitglieds- und Förderschaften blieben größtenteils aus. Daher: Ein großes Dankeschön für Ihre Treue!
Das Corona-Virus bestimmt nach wie vor weite Teile unseres Lebens. Wird die Pandemie zu einer Zeitenwende führen? Welche wirtschaftlichen Folgen sind zu erwarten? Wie verändert sich unser gesellschaftliches Miteinander? Wir als Amnesty International werden das begleiten. Wir sehen bereits jetzt, dass Covid-19 weltweit zu neuen Menschenrechtsverletzungen führt. Besonders Betroffene bekommen nicht ausreichend Schutz. Maßnahmen gegen die Virusausbreitung werden genutzt, um Rechte einzuschränken oder Andersdenkende zu verfolgen. Verlust von Vertrautem, Ungewissheit, Zukunftsangst birgt zudem die Gefahr von Radikalisierung und Extremismus.
Amnesty wird sich gerade jetzt für die Einhaltung der Menschenrechte einsetzen. Unsere Unabhängigkeit ist dabei ein hohes Gut und sichert unsere Glaubwürdigkeit. Menschenrechtsverletzungen müssen unter großem Aufwand ermittelt werden. Nichts fürchten Menschenrechtsverletzer mehr, als dass ihre Taten ans Licht der Öffentlichkeit kommen.
Politische – und damit auch finanzielle – Unabhängigkeit ist dabei entscheidend. Denn wie kann man glaubhaft etwas aufdecken und kritisieren, wenn man gleichzeitig Finanzmittel aus derselben Quelle erhält? Die Gefahr, so seine inhaltliche Unabhängigkeit und Neutralität zu verlieren, wäre zu groß. Deshalb finanziert Amnesty sich vorwiegend über private Spenden, Mitglieds- und Förderbeiträge sowie Vermächtnisse. Staatliche Zuwendungen lehnen wir ab, und wir beantragen auch keine Drittmittel bei regierungsnahen Institutionen. So ist klar, dass weder Regierungen noch öffentliche oder parteinahe Einrichtungen die Arbeit von Amnesty beeinflussen können.
Zwar mussten auch wir wegen der Kontaktbeschränkungen so manches Programm zur Gewinnung von neuen Unterstützern aussetzen und können noch nicht absehen, wie sich das langfristig auswirken wird. Dennoch möchten wir auch zukünftig für unsere Menschenrechtsarbeit nicht auf staatliche Mittel zurückgreifen müssen. Daher freuen wir uns, wenn Sie – sofern Ihre finanziellen Möglichkeiten das erlauben – weiterhin mithelfen, die finanzielle Unabhängigkeit von Amnesty zu sichern. Danke!
Gesine Gernand, Unterstützer-Kommunikation bei Amnesty International
Bei Amnesty International gilt in allen Bereichen: Gemeinsam kommt man weiter.
IMPRESSUM
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Zinnowitzer Str. 8, 10115 Berlin Tel.: 030-420248-0 E-Mail: info@amnesty.de Internet: www.amnesty.de Redaktionsanschrift: Amnesty International, Redak tion Amnesty Journal Zinnowitzer Str. 8, 10115 Berlin E-Mail: journal@amnesty.de Adressänderungen bitte an: info@amnesty.de Redaktion: Maik Söhler (V.i.S.d.P.), Jessica Böhner, Lea De Gregorio, Anton Landgraf, Tobias Oellig, Pascal Schlößer, Uta von Schrenk Mitarbeit an dieser Ausgabe: Birgit Albrecht, Daniel Bax, Mariana Delgado, Hannah El-Hitami, Gesine Gernand, Malte Göbel, Oliver Grajewski, Knut Henkel, Paul Hildebrandt, Andrea Jeska, Jürgen Kiontke, Hannes Koch, Nicoló Lanfranchi, Klaus Petrus, Wera Reusch, Till Schmidt, Uta von Schrenk, Parastu Sherafatian, Franziska UlmDüsterhöft, Franziska Vilmar, Wolf-Dieter Vogel, Felix Wellisch, Marlene Zöhrer
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ISSN: 2199-4587