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Kulturtipps: Nicht nur für Frauen

NICHT NUR FÜR FRAUEN

Jung, engagiert, weiblich

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Mit seinem Kinofilmdebüt ist dem erst 22-jährigen Franz Böhm der große Wurf gelungen: Er porträtiert drei junge Aktivistinnen auf drei Kontinenten. In Chile begleitet er die Aktivistin Rayen bei Protesten gegen die Armut: Seit Jahren sorgt die Oberschicht des Landes für eine Umverteilung von unten nach oben. »Chile ist reich, aber nicht für alle«, sagt Rayen. Viele Demonstrierende erlitten schwere Verletzungen, die Sicherheitskräfte zielten mit Gummigeschossen auf die Augen.

Auch die ugandische Fridays for Future-Gründerin Hilda Flavia Nakabuye weiß, wie sich Repression anfühlt. Der Klimawandel ist für ihre Familie eine konkrete Bedrohung. Bei Überschwemmungen fließt der Boden auf den Feldern einfach weg, mitsamt der Ernte. Am Freitag für das Weltklima Schule schwänzen? Das erübrige sich, »wenn der Schulweg von den Fluten weggerissen wird«.

Pepper aus Hongkong war gemeinsam mit vielen anderen jungen Leuten lange bei den Protesten gegen den chinesischen Einfluss aktiv. Pepper sagt: »Sie glauben vielleicht, dass wir zu ihnen gehören, dass sie uns ›besitzen‹, aber ich komme nicht aus China.« Der Kampf für Demokratie und Unabhängigkeit hatte für Pepper einen hohen Preis: Sie musste nach Europa fliehen.

Die jungen Aktivistinnen eint, dass sie von autoritären Strukturen genug haben und dafür auf die Straße gehen. Nicht selten erfahren sie staatliche Gewalt, aber sie wissen auch, dass sie nicht allein sind. Sie erleben weltweit Unterstützung. Hilda sprach auf der Weltklimakonferenz, und die chilenischen Demonstrierenden haben immerhin ein Verfassungsreferendum erreichen können.

Regisseur Franz Böhm setzt seine Hauptdarstellerinnen gekonnt in Szene. Mehr als einmal steht er dabei zwischen Protestzügen und Ordnungsmacht. Dieser Film ist ein Musterbeispiel für engagiertes Kino.

»Dear Future Children«. AUT/D/UK 2021. Regie: Franz Böhm. Informationen über Kinovorführungen gibt es auf www.dearfuturechildren.com

Eigensinnig und mutig

Ein Roman über vier Frauengenerationen, der an vielen Schauplätzen spielt –wie so viele palästinensische Familiengeschichten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Naïma flieht 1947 aus Haifa in den Libanon, ihre Tochter Ema verlässt Beirut 1983 im Bürgerkrieg und zieht in die Schweiz. Emas Tochter Dara kehrt in den Libanon zurück, nur um das Land nach dem Kriegsausbruch 2006 mit ihrer Tochter Lila in Richtung Frankreich zu verlassen. Der Autor Jadd Hilal deutet die politischen Hintergründe nur an. Im Vordergrund seines Debüts stehen die vier Frauen, von denen jede auf ihre Art eigensinnig und mutig ist und sich gewalttätigen oder unnützen Vätern und Ehemännern widersetzt. Der Autor erzählt nicht in epischer Breite, sondern in vielen kleinen, gut beobachteten und präzise geschilderten Szenen. Ein reizvoller Roman, der den Nahostkonflikt in ungewöhnlicher Weise behandelt.

Jadd Hilal: Flügel in der Ferne. Aus dem Französischen von Barbara Sauser, Lenos, Basel 2021, 202 Seiten, 22 Euro

Gegen den Untergang

Meer, Palmen, Sandstrand – das Leben auf Tuvalu mutet paradiesisch an. Doch längst bekommt der Inselstaat im Südpazifik die volle Wucht der Klimakrise zu spüren: Der Meeresspiegel steigt, die Böden versalzen, Regen bleibt aus, stattdessen nehmen Stürme und »Monsterwellen« zu. Tahnees Vater sieht keinen anderen Ausweg, als die Heimat zu verlassen. Die Teenagerin dagegen schließt sich den Climate Warriors und der Fridays for Future-Bewegung an, um etwas gegen die Klimakrise zu tun. »Wir sind keine Opfer! Wir gehen nicht unter! Wir kämpfen!« Tahnee setzt sich für ihre Ziele, Überzeugungen und auch für ihre Liebe zu Malaki ein, die laut tapu, den Gesetzen ihrer Vorfahren, verboten ist.

Carolin Philipps: Tuvalu. Bis zum nächsten Sturm. Ueberreuter, Berlin 2021, 160 Seiten, 12,95 Euro, ab 12 Jahren

Hymnen für die Artenvielfalt

»Bete für die Blutegel!«, singt Tara Nome Doyle. »Fütter mich mit Blumen«, bittet sie für den »Caterpillar«, die Raupe. Die Schnecken bekommen gleich zwei Songs, die zwischendurch sogar richtig Fahrt aufnehmen. Der »Mosquito« schwebt wie ein Kirchenchoral durch erhabene Höhen. So geht es fröhlich weiter auf dem neuen Album der 24-jährigen Wahlberlinerin mit irischen und norwegischen Wurzeln, mit dem sie dem »Værmin«, dem Ungeziefer, die Ehre erweist. Ob Motte oder Krähe, Spinne oder Wurm: All die nicht wohlgelittenen Lebewesen bekommen ihre eigene Hymne, getragene Songs mit wundervollen Melodien, entspannten Beats oder butterweichem Klavier – und vor allem der Stimme von Doyle, die auch Brehms Tierleben singen könnte und man würde an ihren Lippen hängen. Alle Songs funktionieren auch als Liebeslieder, aber vor allem feiert das Album die Artenvielfalt – und damit das Leben selbst.

Tara Nome Doyle: »Værmin« (Martin Hossbach/ Modern Recordings/ BMG)

Global und divers

Das Festival »Frequenzen – Feminismen Global« wird sich im Mai mit der Vielfalt feministischer Strömungen und Standpunkte beschäftigen – global, multiperspektivisch, intersektional und divers. Im Zentrum stehen dem veranstaltenden Goethe-Institut zufolge der Widerstand und Protest von Frauen weltweit, Fragen alternativer Ökonomien und Sorgearbeit, ebenso wie die Rolle von Männern. Mitwirkende sind Feminist_innen verschiedener Generationen, Weltregionen und Strömungen. Geplant ist unter anderem die Premiere einer Produktion der libanesischen Performance-Künstlerin Rima Najdi. Die indische Schriftstellerin, Verlegerin und Feministin Urvashi Butalia (Amnesty Journal, 05/2020) soll an einer Diskussion teilnehmen.

Frequenzen – Feminismen Global: 19. bis 21.Mai 2022, Pfefferberg-Gelände, Schönhauser Allee 176, 10119 Berlin

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