STONEWALL IN WIEN
1969-2009
Chronologie der lesbisch-schwulen-transgender Emanzipation
vom totalverbot zur Anerkennung, vom quick zum ladyfest – queere geschichte nacherzählt
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VORWORT Vor 40 Jahren wehrten sich Lesben, Schwule und Transvestiten im New Yorker Lokal Stonewall Inn in der Christopher Street gegen die üblichen Polizeirazzien. Ein Jahr später gedachte die Community dieses Ereignisses und demonstrierte im Village. 1969 und das Jahr darauf gelten seitdem als Wendepunkt der Lesben- und Schwulenemanzipation. In der ganzen (freien) Welt ziehen alljährlich Christopher Street-Paraden durch die Städte. Die Emanzipationsgeschichte von Lesben, Schwulen und Transgendern fand auch in Wien statt, wenn auch ein bisschen später und ein bisschen gemütlicher. Was bewegte Lesben, Schwule und Transgenders in Wien? Wie fand Emanzipation statt? Wo trafen sich diejenigen, die ein Leben lebten, das bis 1971 illegal war? Diese spannenden Fragen stellten wir zahlreichen Zeitzeug_innen, die nicht nur in dieser Publikation nachzulesen sind. Denn parallel zu diesem Heft entstand auch ein Film, der sowohl unter der Adresse youtube.com/stonewallinwien als auch auf dem Wiener TV-Kanal Okto in einem Queer Lounge Special zu sehen sein wird. Die Erinnerung an das Stonewall-Jubiläum war für uns aber nicht der einzige Grund, dieses Projekt zu starten. Die Welt befindet sich zu Zeit in einer Wirtschaftskrise. Schon einmal führten ökonomisch schwierige Zeiten zu schweren Menschenrechtsverletzungen, denen auch Homosexuelle zum Opfer fielen. Auch am Ende des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts ist das Argument, dass
Menschenrechts- und Gleichstellungsthemen so genannte “Luxusthemen” wären, wieder deutlich zu vernehmen. Auch deutliche artikulierte Ablehnung tritt vermehrt zutage. Gleichzeitig haben sich in den letzten Jahren junge Menschen in einer funktionierenden Community mit großer Infrastruktur eingelebt. Wie jung diese Community selbst aber erst ist, und wie hart diese Infrastruktur erkämpft wurde, ist dabei vielen völlig unbekannt. Das versuchen wir mit diesem Projekt zu ändern. Ich möchte mich ganz herzlich bei Andreas Brunner und Hannes Sulzenbacher von QWien, dem Zentrum für schwul/lesbische Kultur und Geschichte, und bei Stefan Sengstake, Stefan Sickert und Martin Ebner von queer Lounge, der Community-Sendung auf Okto, bedanken, die Stonewall in Wien von Anfang an mit großer Begeisterung und enormen Engagement begleiteten. QWien war für die historische Recherche und für die Suche nach Bildmaterial von unschätzbarer Bedeutung, queer Lounge sorgte für die filmische Umsetzung. Erfreulich, wie unkompliziert, effizient und befruchtend eine Kooperation funktionieren kann. Bedanken möchte ich mich aber auch beim Team der Grünen Andersrum, die das Projekt tatkräftig unterstützten, allem voran bei unserem Webdesigner und dem Art Director dieser Ausgabe, Willi Dolleschall, meinen Mitarbeitern Hansi Eitler und Peter Kraus, bei Ewa Dziedzic, sowie meiner Co-Sprecherin bei den Grünen Andersrum, Iris Hajiscek, die für dieses Projekt wieder ihre bewährte
Lektorat-Qualitäten bewies. Meine Dankbarkeit richtet sich zusätzlich an die Grünen Wien, allem voran dem Landesvorstand, die Grünen Bildungswerkstatt sowie die Grünen SeniorInnen, die dieses Produkt, das Sie in Händen halten, großzügig unterstützen. Vor allem möchte ich mich aber vor den Menschen verbeugen, die ihre Erinnerungen nicht nur bewahrten, sondern auch mit uns teilten, vor den Menschen, die eine Wiener Community aufgebaut und organisiert haben. Es war nicht leicht, aus den wunderbaren und ergreifenden Geschichten eine Auswahl zu treffen. Vieles – allzu vieles – fand hier keinen Platz mehr. Ich hoffe, dass dieses Projekt als Startschuss dient, um die Geschichte der Lesben-, Schwulen- und Transgender-Bewegung intensiver zu erforschen und zu publizieren. In diesem Zusammenhang darf ich auch an alle Leser_innen appellieren, ihre Erinnerungen und historische Dokumente dem Archiv von QWien zur Verfügung zu stellen. Denn es können immer nur die Geschichten weitererzählt werden, die auch dokumentiert werden. Der Rest mag zwar historisch wichtig sein, doch verschwindet er zu gerne im Dunkel des Vergessens. Marco Schreuder Abgeordneter zum Wiener Landtag und Sprecher der Grünen Andersrum Wien
inhalt BEFORE STONEWALL Seite 3 • DIE 70ER Seite 9 • DIE 80ER Seite 15 • DIE 90ER Seite 21 • DIE 2000ER Seite 27
der film auf: youtube.com/stonewallinwien partnerinnen 22 Interviews mit Zeitzeug_innen können Sie in kurzen Auszügen in dieser Zeitung nachlesen. 22 Auszüge aus Interviews, die oft bis zu einer Stunde dauerten. 22 Lebensgeschichten und Erinnerungen an schwules, lesbisches, transgender Leben. Diese 22 Interviews kann mann/frau in voller Länge ab Winter 2009 in der Sammlung des QWIEN Archiv nachhören bzw. –sehen. QWIEN Archiv sammelt Dokumente, Fotos, Erinnerungen, Kostüme, Bücher, Manuskripte, Memorabilia, Nachlässe von Lesben, Schwulen und Transgender und archiviert sie für zukünftige Generationen. Damit unsere Geschichte nicht verloren geht. www.qwien.at
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BEFORE STONEWALL
1945-1969
In den Nachkriegsjahren ging die Verfolgung von Lesben und Schwule weiter. NS-Opfer mit dem Rosa Winkel wurden nach wie vor nicht entschädigt. Der Verbotsparagraf 129Ib blieb in Kraft. Trotzdem entfaltete sich wieder eine Subkultur. In den letzten Apriltagen des Jahres 1945 ging Österreich nach der Befreiung durch die Alliierten Truppen von acht Jahren selbstbejubelter Nazidiktatur an den Neustart. In §1 (1) der Unabhängigkeitserklärung heißt es unter Anderem, dass alle Gesetze, die „mit den Grundsätzen einer echten Demokratie unvereinbar“ seien oder „typisches Gedankengut des Nationalsozialismus enthalten“, aufgehoben werden. Nicht so die Gesetze, die homosexuelle Beziehungen verboten hatten! Bis heute gilt im österreichischen Recht, dass die Maßnahmen der Nationalsozialisten gegen Schwule und Lesben keine nationalsozialistische Sonderbehandlung waren, da der betreffende Paragraph 129Ib in gleich lautender Formulierung von 1852 bis 1971 auch während der Nazizeit in Kraft war. Halb Wien war in der unmittelbaren Nachkriegszeit ein Lager für sogenannte „Displaced Persons“, Menschen, die ohne Wohnsitz und ohne Heimat umher trieben und nicht wussten, wohin. Befreite aus den Konzentrationslagern warteten, in ihr Herkunftsland zurückkehren oder in eine neue Heimat einwandern zu können. Auch RosaWinkel-Häftlinge kehrten aus den Lagern zurück, zumeist mit dem Druck, über den Grund ihrer Inhaftierung nicht sprechen zu dürfen. So erzählt Heinz Heger, der später den Mut hatte über seine Erlebnisse im KZ in seinem Buch Die Männer mit dem rosa Winkel Bericht zu erstatten, dass er nach seiner Rückkehr nach Wien aus dem KZ
Flossenbürg ein sehr zurückgezogenes Leben begann, da die Nachbarschaft über den „warmen KZler“ tuschelte. Einer rot-grünen Initiative ist es zu verdanken, dass in Bälde ein Teil des Zimmermann-Platzes im 9. Bezirk nach Heinz Heger benannt wird. Bis 2005 hatten schwule und lesbische Opfer des Nationalsozialismus keinen Rechtsanspruch auf so genannte “Wiedergutmachung”, denn erst 2005 wurde der Begriff “sexuelle Orientierung” ins Opferfürsorgegesetz aufgenommen - zu einer Zeit, als kaum noch ein Opfer lebte. Bis heute werden Haftzeiten im Konzentrationslager nicht als Beitragszeiten für die Pensionsversicherung anerkannt, während die “Arbeitszeit” von KZ-Wärter_innen sehr wohl angerechnet wird. Bis heute basiert der Neustart der II. Republik für Lesben und Schwule auf einer Lüge - auf der Lüge, dass die nationalsozialistischen Urteile nach § 129Ib, nicht typisch nationalsozialistisches Gedankengut reflektierten. Abgesehen davon, dass sich das Strafmaß für verurteilte Schwule und in einigen Fällen auch Lesben drastisch erhöhte, zeigen unzählige Beispiele, dass vor allem Schwulen im Nationalsozialismus sehr wohl eine rechtliche Sonderbehandlung erfuhren, auch wenn man nicht von einem „Homocaust“ sprechen kann, denn von einer systematischen Verfolgung und Vernichtung von Schwulen und Lesben kann man im Gegensatz zu rassisch
Heinz Heger, ca. 1947
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Rosa Winkel mit Häftlingsnummer von Heinz Heger
Verfolgten nicht sprechen. Es gibt auch einen deutlichen Unterschied in der Verfolgungsintensität zwischen Lesben und Schwulen. Es ist in Wien kein Fall einer lesbischen Frau bekannt, die wegen ihrer sexuellen Orientierung ins KZ eingeliefert worden wäre, und auch das Strafmaß erhöht sich bei lesbischen Verstößen gegen § 129Ib von Einzelfällen abgesehen nicht so stark wie bei schwulen Männern.
Adolf S. im KZ Dachau Im Februar 1941 wurde der 47-jährige Straßenbahnschaffner Adolf S. im Wiener Landesgericht wegen Unzucht mit verschiedenen Männern zu fünf Monaten schwerem Kerker verurteilt. Nach Verbüßung der Haft wurde er als Homosexueller in „Vorbeugehaft“ überstellt und ins Konzentrationslager Dachau verbracht. Die Maßnahme der Vorbeugehaft ist eindeutig ein nationalsozialistisches (Un)Rechtsmittel, das auf reiner Beamtenwillkür beruhte, denn Beamte der Staatsanwaltschaft oder der Gestapo entschieden, wer ins KZ kam oder nicht. Vorbeugehaft bedeutete Konzentrationslagerhaft auf unbestimmte Zeit und mit ungewissem Ausgang für Leib und Leben. Da Adolf S. noch in ein anderes Verfahren verwickelt war, wurde er aus Dachau nach Wien zurückgebracht, um hier erneut vor Gericht gestellt zu werden. Die Staatsanwaltschaft erkannte aber an, dass das neu zu verhandelnde Delikt bereits mit der ersten Strafe abgeurteilt worden war und verfügte, ohne irgendeine rechtliche Grundlage, eine neuerliche „Verschubung“ – wie es im Nazijargon hieß - von Adolf S. nach Dachau. Ein besonders grausames Beispiel von nationalsozialistischer Willkür belegt die Verhaftung des erst 17-jährigen Franz D., der von einer Nachbarin denunziert worden war. Er sei ein „Warmer“, sagte sie bei der Polizei aus, und soll gesagt haben: „Ich verdiene mir mit dem Arsch mehr Geld als mit der Arbeit. Und mich kann der Hitler am Arsch lecken!“ Da die Denunziantin vor Gericht ihre Vorwürfe nicht beeiden wollte, wurde die Anklage wegen Führerbeleidigung fallen gelassen, für die „Un-
zucht wider die Natur“ kam Franz D. mit einer bedingten Strafe davon. Aber schon ein Jahr später wurde er vor dem Jugendgericht wegen homosexueller Betätigung zu einem Jahr schweren Kerkem verurteilt. Franz D., der in ärmlichen Verhältnissen im 2. Bezirk aufwuchs, war ein kleiner Praterstrizzi, der sich mit Sex gegen Entgelt und kleinen Gaunereien durchschlug. Kaum war er 1943 aus der Haft entlassen worden, wurde er von einem Liebhaber (Kunden) wegen des Diebstahls eines Blechweckers angezeigt. Inzwischen haben die Nazis mit dem Gesetz gegen „gefährliche Gewohnheitsverbrecher“ eine weitere Handhabe gegen Männer wie Franz D., der im November 1943 vor das Sondergericht Wien gestellt wurde. Der Kripobeamte Karl Seiringer hatte zuvor eine Liste an Sexualkontakten aus Franz D. herausgepresst, die den Richtersenat zum Urteil führte, Ds. Handlungen seien „derart verwerflich und seine sittliche Halt- und Hemmungslosigkeit [...] derart tiefgehend, unbeeinflussbar und unverbesserlich, dass sowohl das Bedürfnis nach gerechter Sühne als auch der Schutz der Volksgemeinschaft die Verhängung [...] der Todesstrafe“ erforderte. Am 7. Februar 1944 wurde der erst 21-jährige Franz D. im Wiener Landesgericht enthauptet.
Symbolische “Wiedergutmachung” Es ist natürlich nur ein symbolischer Akt wie viele politische Handlungen auch, aber das nationalsozialistische Unrechtsurteil gegen Franz D. ist bis heute nicht aufgehoben und auch in anderen Fällen berufen sich ÖVP, SPÖ und natürlich auch FPÖ und BZÖ auf die Rechtmäßigkeit von Urteilen wie diesem. Aber auch in der unmittelbaren Nachkriegszeit ging die Verfolgung von Schwulen und Lesben nahtlos weiter. Zum Teil waren dieselben Männer, wie der Kripobeamter Karl Seiringer, einer der eifrigsten Schwulenverfolger, für die Ausforschung und Einvernahme von Schwulen zuständig. Es ging aber auch soweit, dass Naziurteile erst in der II. Republik vollstreckt wurden. Denn im Fall von Schwulen
und Lesben erkannte die österreichische Justizbehörde Urteile von Nazirichtern als rechtmäßig an. Adalbert H. erhielt 1940 einen Aufschub für seine einjährige Kerkerhaft, weil er sich zu einer Bewährungskompanie an die Front meldete. Er überlebte diesen meist tödlichen Einsatz und beantragte die Löschung seiner Strafe im Zuge der Generalamnestie von 1946, was aber – wie in allen anderen schwulen Fällen auch – abgelehnt wurde. Als er 1949 erneut nach §129Ib straffällig wurde, widerrief das Landesgericht den 1940 (!) erteilten Strafaufschub. Da auch das Oberlandesgericht eine Beschwerde ablehnte, musste Adalbert H. am 4. Jänner 1952 seine zwölf (!) Jahre zuvor von einem nationalsozialistischen Gericht verhängte Haftstrafe abbüßen. Trotz aller Verfolgung gab es aber ab den 1950er Jahren eine im Versteckten aktive Subkultur. Über lesbische Orte ist wenig bekannt, im Gegensatz zu Männern bevorzugten Frauen private Räume. Ob aus sozialer Not (Frauen verdienen heute noch weniger als Männer) oder Angst vor gesellschaftlicher Ächtung (für Frauen war es in der 1950er Jahren gar nicht so leicht allein aus zu gehen, ohne schief angesehen zu werden) ist dabei schwer zu beurteilen. Einige Frauen schlossen sich auch mit schwulen Männern zusammen, trafen sich in ihren Lokalen, die oft am Rande der Halbwelt angesiedelt waren, und spielten im Notfall ein heterosexuelles Paar. Das Café Puchheim und das Quick, beide in der Rauhensteingasse im 1. Bezirk waren neben dem Centralbad beliebte Treffpunkte für Schwule. Das Centralbad - der alte Name für die heutige Kaiserbründl-Sauna in der Weihburggasse – war eine an und für sich heterosexuelle Badeanstalt, in der Schwule geduldet waren. Die Anbahnung direkter sexueller Kontakte war damals aber selbst an diesem Ort undenkbar, durch die strikte Trennung der Geschlechter war es aber „normal“, dass Männer unter sich waren. Über das Schicksal zweier junger Männer erfahren wir aus den Aufzeichnungen eines „unglücklichen Kameraden“ (wie er sich selbst bezeichnet), die dieser in der in der Schweiz erscheinenden Zeitschrift Der Kreis veröffentli-
Der erste Lebensbericht eines schwulen KZ-Häftling
Hotel Metropol am Morzinplatz, die Gestapo-Zentrale in Wien
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Die Ausstellung “Aus dem Leben“ über die Verfolgung von Homosexuellen im Nationalsozialismus am Heldenplatz wurde am 14. Juni 2001 von Vandalen zerstört
chte. Aus Kontaktanzeigen und regelmäßigen Berichten aus Österreich, sowie Beiträgen des Wiener Schriftsteller und Aktivisten der Verbotszeit Erich Lifka ist zu erkennen, dass Der Kreis auch hierzulande, wenn wohl auch nur im Versteckten gelesen wurde: Als die verbotene Liebe der beiden jungen Männer bekannt wurde, wurde einer aus dem Elternhaus verstoßen und beide zu acht Monaten Gefängnis verurteilt. In der Zelle erhängte sich der Freund. Nach der Haft war es für den Überlebenden unmöglich, wieder Arbeit und einen Halt in der Gesellschaft zu finden. Er schrieb, es sei in Österreich, „leichter für einen Räuber Direktor einer Bank zu werden, als für einen ‘Warmen’, wie man das so schön nennt, irgendeine Stelle zu erhalten. Wenn ich ganz ehrlich bin, muss ich sagen, dass ich dieses Land hasse, dieses Land, in dem Tag und Nacht von der Freiheit, vom goldenen Westen und vom Wirtschaftswunder gesprochen wird, wo man sich aber nicht scheut, einen auf seine Art glücklichen Menschen in den Tod zu jagen und den anderen langsam auch dahin zu bringen.“
Ein mutiger Hofrat Mitte der 1950er Jahre kam erstmals Bewegung in die Diskussion um die Abschaffung des § 129Ib. Der pensionierte Direktor der Grazer Universitätsbibliothek Hofrat Dr. Wolfgang Benndorf veröffentlichte 1956 die Schrift Unvernunft und Unheil im Sexualstrafrecht, in der er die Aufhebung des Totalverbots verlangte. Ein Jahr später tagte im Parlament in Wien eine Kommission zur Ausarbeitung eines Strafgesetzentwurfs, deren Protokolle deutlich zeigen, wie tief homophobes Gedankengut in den Köpfen der tagenden Männer verankert war. Neben dem von der SPÖ nominierten liberalen Christian Broda fand sich unter den „Experten“ auch der Altnazi Roland Graßberger, der von der ÖVP bis in die 1970er Jahre gerne als Experte in Frage des Sexualstrafrechts herangezogen wurde. Erzkonservativ und wissenschaftlich schon damals höchst zweifelhaft äußerte sich der Nervenarzt Erwin Stransky: „Der Homosexuelle ist an sich ein Psychopath
und kein Geisteskranker. Er ist zum Unterschied vom Geisteskranken grundsätzlich imstande, seinen Treiben bzw. deren Auswirkungen Einhalt zu gebieten. Auch für ihn gilt das ‚Kein Mensch muß müssen’. So wenig wie der Leber- bzw. Gallenwegkranke schwer verdauliches Fett, so wenig wie der Zuckerkranke Zucker, der Gefäßkranke starke Würzstoffe zu sich nehmen darf, so wenig darf auch der Homosexuelle seinen Trieben dritten Personen gegenüber die Zügel schießen lassen.“ Zwar stellte die Kommission 1962 überraschenderweise einen Entwurf vor, der die Abschaffung des Paragraphen empfahl, aber die ÖVP startete sofort eine Verhinderungskampagne und präsentierte in den vier Jahren der Alleinregierung Josef Klaus einen Entwurf, der selbst das geltende Strafrecht in den Schatten stellte. Da kirchliche Kreise eng in die Formulierung dieses Entwurfs eingebunden waren, protestierte die Liga für Menschenrechte, die sich seit den 1950er Jahren ebenfalls für einen Reform des §129Ib stark machte, bei der Bischofskonferenz mit der öffentlichen Aufforderung die Säkularität der Gesetzgebung zu achten. Obwohl das Damoklesschwert der Verfolgung über ihren Gästen schwebte, fanden in den wenigen Lokalen mitunter rauschende Fest statt. Jedes hatte im Fasching seine eigenen Hausbälle, zu denen die Gäste in großer Robe antanzten, nachdem sie oft Monate an ihrem Outfit gearbeitet hatten. Andere verarbeiteten weniger Stoff, wie das aufreizende Kostüm von Ali vom Savoy zeigte, das er 1962 bei einem Hausball im Quick trug. Auch Ali selbst, der in Linz zwei Wochen im Gefängnis saß, ließ sich das Feiern nicht verderben. Von einer guten alten Zeit, wie es manche seiner Freunde tun, will er aber nicht sprechen. „Wenn Du eine böse Hausmeisterin gehabt hast und die gesehen hat, dass da zwei Männer wohnen, hast Angst haben müssen, dass sie dich anzeigt. Und dann ist die Polizei gekommen und hat g’schaut, ob’s Flecken finden im Bett.“ Wie viele andere war auch Günter Tolar, damals noch nicht österreichweit bekannter Showmaster, aus der Alten Lampe abgeführt worden, nur weil er mit Gleich-
gesinnten einen Abend verbringen wollte – ein Akt der Polizeiwillkür und Gewalt.
Angst vor Razzien Wenn die jetzige grüne Senior_innen-Sprecherin Birgit Meinhard-Schiebel von Diskriminierung erzählt, können wir die Kraft der gesellschaftlichen Ächtung nachvollziehen. Als sie – noch in der Verbotszeit – im Jugendgericht arbeitete und sich in eine Kollegin verliebte, wurden beide, als ihre Beziehung ruchbar wurde, versetzt. Es hätte schlimmer kommen können, gegen eine Kündigung wegen Homosexualität hätten sie damals kein Rechtsmittel gehabt. Es ist sicher auch heute nicht immer einfach als diskriminierte Lesbe oder als Schwuler zu seinem Recht zu kommen; wie der Fall eines Wiener Straßenbahnfahrers im Jahr 2009 zeigt, kann aber der Rechtsweg heute erfolgreich sein. Er hat gegen seine Kündigung, nachdem er als offen schwuler Mann gemobbt wurde, berufen und bekam in allen Instanzen gegen die Wiener Linien recht. Auch in privaten Zirkeln konnte man der Verhaftung bei Razzien entgehen, viele Bälle fanden in Privatwohnungen statt, wenn die Nachbarn entsprechend tolerant waren. Die Einladungen waren begehrt. Showstars, wie die Chansonnière Greta Keller hielten Hof. Bei ihr konnte man sicher sein. Immer wenn sie in der Wohnung ihrer Mutter in der Wiener Singerstraße auf einer ihrer Tourneen Station machte, lud sie ihren schwulen Freundeskreis zu sich, kochte Gulasch und ermöglichte vielen unbeschwerte Abende. Für Rudy Stoiber, der sie als ORF-Korrespondent bei den Vereinten Nationen schon aus New York kannte, war sie eine „Schwulenmutter“ im besten Sinn des Wortes. Bei ihr konnten die Männer sein, wie sie wollten, aber in der Öffentlichkeit nicht wagen durften.
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Meine Nacht im Gefängnis, weil ich einen Mann küsste Der gebürtige Linzer Günter Tolar kam 1957 nach Wien. In den frühen 60-ern ging er eine Woche durch die Wiedener Heumühlgasse bis er sich endlich in die Alte Lampe traute, eine damalige “Verbotszone” wie er das heute älteste noch existierende Schwulenlokal nennt und wo er immer noch Stammgast ist. Nach einer Karriere als TV-Moderator outete er sich 1992 in der Öffentlichkeit und wurde später Vorsitzender der SoHo (Sozialdemokratie und Homosexualität). Wie gingen die Besucher der Alten Lampe vor 1971 mit dem Totalverbot um? Es hatten fast alle Decknamen – die “Fliege”, die “Blume”, das “Täubchen” – , damit man im Falle einer Razzia, einen anderen gar nicht kennt, nicht verraten kann. Das sind Dinge, über die man heute nicht mehr redet, aber das war damals so. Wir hatten im Schnitt einmal die Woche Polizei hier. Meisten schickten sie jüngere fesche Polizisten. Die standen meistens da vorne, tranken ihr Pflichtbier, schauten uns mit einem einprägenden Blick ungeheuer an, und gingen meistens grußlos und überbetont männlich wieder. Dann kam die 68-er Bewegung, das hat sich dann in der so genannten “Uni-Ferkelei” entladen. Der Effekt war dann der, dass diese ganze sexuelle Befreierei bewirkte, dass wir die Polizei zwei-, dreimal pro Woche hier hatten. Man dachte sich wahrscheinlich, wenn der Sex schon ausbricht, dann fängt das hier an, weil wir ja so etwas wie eine Eiterbeule waren. Es war immer unangenehm, weil wir uns sehr wohlverhalten mussten, also nix Bussi-Bussi, sondern brav sitzen und so tun, wie wenn nichts wäre. Zwei oder vier Tage nach dieser UniFerkelei hat mich der Teufel geritten. Ich saß hier mit meinem damaligen Freund
und habe ihm einen tiefen Kuss gegeben. Dann hatte ich schon die Hand eines Polizisten an der Schulter: “Das hättest du jetzt nicht tun dürfen, Burschi! Komm mit”. Die nahmen uns beide mit, draußen stand eine Funkstreife. In der Wehrgasse hat man dann ganz freundlich unsere Personalien aufgenommen und uns gesagt, wir müssten die Nacht da bleiben. Hinten hatten sie so eine Art Ausnüchterungszelle mit Sichtgittern. Man sperrte uns zu zweit ein. Das war meine Nacht im Gefängnis, weil ich einen Mann küsste. Stonewall war dann ein Jahr später. Davon haben wir ein bisschen durch die Zeitung und natürlich durch Mundpropaganda erfahren. „Nach New York ins Village kann man auch nicht mehr fahren, weil jetzt ist dort auch überall die Polizei“, sagte man. Direkte Auswirkungen sind mir nicht bekannt. Nach dem Selbstmord deines HIV positiven Freundes 1991 hast du in der Zeitschrift News und in einem Buch ein Coming-out gewagt. Ich habe mich geoutet. Die Leute, die es wussten sagten: “Super, dass du dich traust”. Das etwas Problematischere für einen Fernsehmoderator war aber das breite Publikum. Die sind da etwas erschrocken. Ich bin ja nicht der Prototyp, wie man sich einen Schwulen vorstellt. Schwule sind ja immer schön und gestylt. Ich war
Paula Wessely trat 1957 in dem schwulenfeindlichen Film “Anders als Du und Ich“ auf (Nur in Österreich “Das dritte Geschlecht“)
immer schon ein bisschen eine “Fetz’n”, schön war ich auch nie. Dadurch war der Schreck in der breiten Bevölkerung sehr groß, aber dann kam das Wort “eigentlich” ins Spiel. ich bin ja dann von einer Diskussionssendung zur anderen gereicht worden und die Leute fragten “Wieso?” Ich fragte dann: “Was hat sich denn geändert? Ich bin halt verliebt in meinen Mann. Was ändert sich jetzt?” und dann kam “Eigentlich ist es eh wurscht”.
Eingetragene Partnerschaft, all das – auf dem Wiener Landesparteitag beantragt haben, und alles ist brav einstimmig angenommen worden. Darauf sind wir dann geritten. Auch beim Bundesparteitag, wo wir dieselben Anträge stellten – mit einer Gegenstimme aus Kärnten.
Wie bist du in der SoHo gelandet?
Es gibt natürlich politische Richtungen, Strachismen, die sehr verbreitet sind, weil sie aus allen Lagern Stimmen sammeln, die alte Sachen wieder aufwärmen, zum Beispiel christliche Werte, in denen Homosexuelle nach wie vor keinen Platz haben. Wenn man bedenkt, dass die Judenprobleme – möchte man meinen – vorbei sind, dass es das nicht mehr gibt, kann man trotzdem heute immer noch mit Antisemitismus Punkte machen. Das ist ein Kampf der lang bis nie aufhören wird.
Sofort nach meiner Pensionierung. So lange ich beim ORF mitgearbeitet habe, hätte ich mich gar nicht parteipolitisch betätigen dürfen. Raoul Fortner hat mich geschnappt und auf schnellstem Weg zum Vositzenden der SoHo gemacht. Das war für mich der Sprung in die politische Betätigung. Als ich anfing, habe ich bemerkt, dass innerhalb der Partei noch einiges aufzuräumen ist. Wobei, wie in jeder traditionellen Bewegung mit Geschichte, fühlt man sich auch alten Werten verpflichtet. Ich habe in der Sozialdemokratie das komplette Spektrum vorgefunden. Totales dafür sein bis zu “Die sollen heiraten dürfen?” usw. Das haben wir über die Parteimechanismen schnell aufgeräumt, indem wir einfach alles, was wir wollten – Abschaffung § 209,
Wie sieht der pensionierte Günter Tolar die Zukunft der Lesben- und Schwulenbewegung?
Wenn die legalen Voraussetzungen stimmen, sagen wir die totale Gleichstellung, dürfen wir uns trotzdem nie in Sicherheit wiegen.
Schwulenzeitschrift aus den 1950er Jahren mit typischen Bodybuilder-Fotos aus einer Wiener Sammlung
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Von sieben Bullen verdroschen Friedemann Hoflehner wurde in Oberösterreich geboren und 1967 in Linz festgenommen. Er wurde wegen Homosexualität zu schwerem Kerker verurteilt. Heute lebt er als Teppichweber in Wien. Wie war die Zeit in Linz vor 1967, bevor du nach Wien gekommen bist? Das ist schwer in der Rückschau zu sagen, weil für jeden Menschen, das, was er gerade erlebt, sein Normalität ist. Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten der Betrachtungsweise: Entweder ich schau mir das Ganze an, wie ich es damals erlebt hab, nämlich einfach als Alltag, als ganz normaler Alltag, oder ich schau es mir an aus heutiger Rückschau: Wenn ich mir das heute so anschaue, muss ich sagen, das war furchterregend. Und das muss man wörtlich nehmen: Die Menschen hatten Furcht, sie hatten Angst vor Denunziation, sie hatten Angst vor Erpressung, sie hatten Angst vor ihrem Elternhaus, sie hatten Angst vor jeder Arbeitsplatzsituation. Die Zeit war aus heutiger Sicht geprägt von Angst, Angst, Angst. Was daraus resultiert: Menschen, die in Angst leben und in Angst gehalten werden, werden selbst gemein. Wenn ich mich heute an die damalige Linzer Szene erinnere, habe ich zwei Dinge in Erinnerung: Die Erbarmungswürdigkeit der Szene durch die Umstände und die Gemeinheit, die daraus dann entstanden ist in einzelnen Fällen, im unerträglichen Umgang miteinander. Was geschah dir selbst 1967?
In Linz gab es ein Lokal, das hieß Brucknerstüberl und war in der Altstadt, in einem vollkommen abgefuckten sehr finsteren Winkel, in dem die Unterwelt verkehrte. Und dieses Brucknerstüberl hatte eine Führung von zwei Frauen, die einander nicht besonders mochten. Aber die eine der Frauen war das, was man heute als eine Schwulenmami bezeichnen würde. Die Luise hat dafür gesorgt, dass im Hinterzimmer dieses Lokals Schwule möglichst unbehelligt miteinander haben sitzen können. Samstags war es sogar möglich, dass die Schwulen aus dem Hinterzimmer herauskamen und im Hauptraum dann Männer und Frauen miteinander tanzten. Selbstverständlich durften Männer mit Männern nicht tanzen! Mindestens zweimal im Monat war, meist Samstags, Razzia. Das spielte sich so ab, dass einzelne Polizisten zur Ausweiskontrolle ins Lokal gekommen sind. Ich war bereits zwei Jahre aus dem Elternhaus weg, denn ich wurde, als ich meinen Eltern eröffnete, schwul zu sein, aus dem elterlichen Verband entfernt, wie man damals gesagt hat. Ich war – wörtlich zitiert – „verstoßen auf Lebenszeit“. Ich war dadurch so aus der Bahn geworfen gewesen, dass ich meiner geregelten Arbeit
im Finanzamt nicht mehr nachgekommen bin und den geregelten Wohnsitz verloren habe, weil ich mir das gar nicht leisten konnte. Die Polizei wollte einen Ausweis sehen und ich hatte keinen, weil ich alle meine Dokumente an einem sicheren Ort aufbewahrt hatte. Ich wurde mitgenommen. Dann wurde ich befragt nach meinen Daten, nach meinem angemeldeten Wohnsitz, den ich nicht sagen konnte, wurde nach meiner aktuellen Arbeit befragt und konnte nichts sagen und wurde dann zu meinem Aufenthalt im Brucknerstüberl befragt. Bei den ersten Befragungen war man noch sehr zurückhaltend. Man fragte, ob ich wisse, welchen Ruf das Lokal hatte, dass dort Homosexuelle verkehrten und ob ich selber homosexuell sei. Ich bejahte alle diese Fragen, was sehr ungewöhnlich gewesen sein muss. Nach dieser Antwort glaubten die wahrscheinlich, jetzt hätten sie leichtes Spiel, denn die erwarteten selbstverständlich in diesem Augenblick Namen. Die waren an mir persönlich nur interessiert, als jemand der jung ist, jung und dumm, ihnen die Namen zu liefern, auf die sie die ganze Zeit gewartet haben. Die nächste Frage war: „Mit wem haben Sie denn so? Haben Sie so was schon gemacht?“ und als ich sagte „Ja“, die Frage
„Mit wem?“ Ich sagte: „Das sage ich nicht“. Daraufhin kam „selbstverständlich“ einmal die erste Watsch’n. Das ging dann die ganze Zeit der Polizeiinhaftierung so, zwei bis drei Tage und Nächte. Es hat bedeutet: Nahrungsentzug, Schlafentzug und in etwa jeder Stunde Kreuzverhör. Das hat bedeutet, dass dieser kleine, ungeheuer dünne und sehr zerbrechlich wirkende junge Mann von sieben Bullen Tag und Nacht einfach nur ununterbrochen verdroschen worden ist. Nur damit sie einen Namen aus ihm herausprügeln. Dann wurde ich aus der Polizeihaft entlassen und kam einen Monat in Untersuchungshaft mit einer ein Monat lang dauernden Befragung durch den Untersuchungsrichter zu demselben Thema und mit demselben Ergebnis. Dann kam der Prozess und die Verurteilung und die Überstellung in das sogenannte „Außenarbeitslager“ bei Linz für weitere zwei Monate. Wie war das in der Gefängnishierarchie als Schwuler? An letzter Stelle, noch hinter den Kinderschändern. In der Hierarchie war das das Letzte, das absolut Letzte. Damals erlebt, war das - das Schlimmste.
einfach kein thema Birgit Meinhard-Schiebel war seit den 1970er Jahren in feministischen Zusammenhängen organisiert, ohne sich aber formell einer Gruppe anzuschließen. Nach einer erfolgreichen Berufslaufbahn begann sie sich bei den Grünen im Senior_innenbereich zu engagieren. Dabei stellte sie ihr Lesbisch-Sein nie in den Vordergrund, verheimlichte es aber auch nicht, sondern stellte es immer als selbstverständlichen Bestandteil ihrer Persönlichkeit dar. Was verbindest du mit Stonewall? Verzeih, wenn ich lachen muss, aber mit Stonewall verbinden mich bestenfalls die allerletzten Erinnerungen der letzten Monate. Ich geb’s ganz ehrlich zu, ich hab mich vorher nie damit beschäftigt. Wie war es als lesbisch lebende Frau in den 1970er und 1980er Jahren innerhalb der Frauenbewegung? Ich glaub, für mich war’s deshalb sehr einfach, weil ich mich schon sehr früh geoutet habe, mit 19, und eigentlich das Gefühl gehabt hatte, mir wird nichts geschehen. Die Frauenbewegung hat für mich eine ganz andere Konnotation gehabt, mir ist es wirklich damals darum gegangen, Frauen zu unterstützen, dass sie selbstständig und selbstbestimmt leben können. Aber dass
ich dort als lesbische Frau auftrete, das war einfach kein Thema. Ich hab mich ehrlich nicht so damit auseinandergesetzt. Ich hab gesagt, ich leb’ mit einer Frau, das wurde anstandslos akzeptiert. Manchmal kam so, “du bist privilegiert, du hast es ja leicht”. Ich hab nicht einmal gewusst, warum ich es eigentlich leicht hab’. War das noch in der Verbotszeit? Ja, noch kurz. Ich hatte damals tatsächlich Schwierigkeiten, die man sich heute gar nicht mehr vorstellen kann – bedroht von Jobproblemen und dem Satz „Naja, das ist ja eigentlich noch strafbar.“ Aber mir wurde damals gesagt, dass es eine Strafrechtsreform geben wird, es wird mir nichts passieren. Und das war für mich die Möglichkeit, einfach mein Leben zu leben.
Du hast also die Bedrohung von Staats wegen durchaus noch mitbekommen? Ich hab das mitbekommen. Ich hab sogar eine Strafversetzung deshalb bekommen. Ich hab damals im Jugendgerichtshof gearbeitet. Als es offiziell geworden ist, wurden die Frau, in die ich mich verliebt hatte, und ich auseinander gesetzt – wie in der Schule. Aber das war’s dann auch schon. Es war eine schwierige Zeit damals: Wir haben uns in diversen kleinen Cafés getroffen und da hat man gewusst, wenn die Polizei reinkommt, muss da immer ein Mann und eine Frau sitzen. Und wir haben das natürlich genauso gemacht, während sonst auf der einen Seite die lesbischen Frauen gesessen sind, auf der anderen die schwulen Männer.
Wo war das? Das war ein kleines Beisl in der Schlösselgasse im 8. Bezirk. Ich glaub, es hieß sogar Schlösselstüberl. Dann das Café Savoy in der Hernalser Hauptstraße, das waren so die damaligen Treffpunkte, die vorwiegend natürlich von Männern frequentiert wurden, aber durchaus auch von Frauen, und ich hab dort auch das erste Mal eine Frau geküsst. Da waren aber auch alle möglichen Menschen sonst, aus dem Gefängnis Entlassene und so. Das war eine Heimat sozusagen, da konnte man hingehen und hat gewusst, dass einem nichts passieren wird. Diese ganz eigene Kultur hat sich erst aufgelöst, als es dann eine Frauenbewegung gegeben hat.
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Stonewall: Die ungehörte Stunde Null Dass sich in der Nacht von 27. auf den 28. Juni 1969 in der New Yorker Bar Stonewall Inn die um ihr Idol Judy Garland, die erst wenige Stunde davor zu Grabe getragen worden war, trauenden „Transen“ gegen eine Razzia zur Wehr setzten, wurde in Österreich nicht wahrgenommen. Keine Zeitung berichtete über den Aufstand der Transvestiten, Transsexuellen, Schwulen und Lesben in der New Yorker Christopher Street, denn selbst dort ahnte man nicht, dass diese Tage Geschichte schreiben würden. Der Startschuss für die moderne Transgender-, Schwulen- und Lesbenbewegung war gegeben, Homosexuelle und Transgenderpersonen waren nicht mehr bereit Verfolgung und Diskri-
minierung widerstandslos zur Kenntnis zu nehmen. Noch heute feiern wir diesen Tag als unseren Feiertag weltweit mit Paraden. In Österreich wurde der ChristopherStreet-Day erstmals in den 1980er Jahren von der HOSI Wien gefeiert, ohne dass er unter Schwulen und Lesben oder der heterosexuellen Mehrheitsbevölkerung großen Nachhall gefunden hätte. Erst mit der ersten Regenbogenparade 1996, die für viele die Stadt für immer veränderte, wurde er – wie es Hermes Phettberg ausdrückte – zu einem Bestandteil des liturgischen Festkalenders der Stadt. Heute wirbt Wien Tourismus mit der Regenbogenparade international um schwule und lesbische Besucher_innen, nur der Wiener
Bürgermeister geht noch immer nicht mit, wie es seine Amtskollegen in Berlin, Hamburg, München, Paris, Amsterdam, London, New York, San Francisco und zahlreichen anderen Städten machen – selbst wenn sie konservativen Parteien angehören.
Das Stonewall Inn in der New Yorker Christopher Street, 1969
keine schwule bar wie die anderen Rudy Stoiber wurde in Ybbs geboren und ging nach seiner Kindheit in den Jahren des Nationalsozialismus in Wien zur Schule. Nach einer Schauspielausbildung übersiedelte er Anfang der 1950er Jahre nach Kanada und schließlich in die USA. Dort arbeitete er von 1955-1980 als ORF Korrespondent, u.a. bei den Vereinten Nationen. Eine Reihe von Büchern und Dokumentationen (z.B. über Exil-Österreicher) erregten großes Aufsehen. Zuletzt erschien von ihm der autobiografische Roman Fridolin (2008). Als in New York lebender ORF-Korrespondent kannten Sie das Stonewall Inn bereits vor dem Aufstand des Juni 1969. Ich glaube man muss was vorneweg sagen über das Stonewall Inn. Das Stonewall Inn ist nicht eine schwule Bar wie alle anderen im Village, sondern ist eine ganz besondere Bar mit einem ganz besonderen Konzept gewesen. Man konnte zum Beispiel im Stonewall Inn nicht einfach an die Bar gehen, einen Drink bestellen und nehmen, weil es war keine wirkliche Bar, sondern es war ein Club, – es war ein Bottle-Club, hat es geheißen. Also es hat keine Alkohol-Lizenz gegeben im Stonewall Inn, sondern am Eingang musste man unterschreiben mit dem Namen und ist damit ein Mitglied des Clubs geworden. Dann durfte man dort trinken. Aber diese
Liste ist sehr oft mit einem Pseudonym unterschrieben worden. Was hatte der Tod von Judy Garland damit zu tun? Sie müssen sich denken, das Begräbnis von Judy Garland war zwölf Stunden vor dem Ausbruch des Aufstands. Also es war ein zeitlicher Zusammenhang da und die Atmosphäre war sehr aufgeladen. Jetzt kommt noch eines dazu, dass das Stonewall Inn noch ein anderes Charakteristikum gehabt hat, das ich vielleicht erwähnen sollte. Jede schwule Bar hat einen gewissen Charakter gehabt und das Stonewall Inn war bekannt für die Transvestiten, also hatte einen großen Anteil an Transvestiten. Jetzt muss man noch dazu sagen, dass Transvestit zu sein, in der Zeit, im Sinne der Polizei
illegal war. Also wenn sich ein Mann wie eine Frau angezogen hat und in einer Bar angetroffen wurde, konnte er verhaftet und eingesperrt werden. Das heißt, die Transvestiten waren immer auf der Schneide, ob sie jetzt verhaftet werden oder nicht, also sie waren das gefährdetste Element dabei. In Österreich hat man ja 1969 davon nichts mitbekommen. Glauben Sie, dass der ORF einen Bericht über diese Stonewall Riots gesendet hätte? Das glaube ich auf jeden Fall. Der Generalintendant Gerd Bacher war nicht scheu vor irgendwelchen Themen. Also wenn ich gesagt hätte, das find ich enorm, wir müssen das machen, hätte er bestimmt ja gesagt. Ich hätte ja auch gar nicht ihn fragen müssen, da hätten die Chefredak-
teure gesagt, ja, das machen wir. Ich bin überzeugt, wäre ich dort gewesen, hätte ich darüber berichten können. Und vor allem auch in dem Sinn, wie es sich abgespielt hat, auch mit meinem Background. Ich hätte dazu sagen können, ich weiß genau, was sich dort getan hat. Das ist natürlich ein Loch in der Berichterstattung gewesen, dass ich durch reinen Zufall auf Urlaub war und nicht grad dort war.
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DIE 70ER Die Stonewall Riots 1969 in New York wurden in Österreich vorerst nicht wahrgenommen. 1971 wurde das Totalverbot aufgehoben, dafür neue diskriminierende Gesetze eingeführt. Die Frauenbewegung wurde Heimat vieler Lesben, erste lesbische Institutionen entstanden. Auch Männer organisierten sich. Am Ende des Jahrzehnts war die HOSI geboren. Mitte August 1971 war es soweit: Das Totalverbot für einvernehmliche gleichgeschlechtliche Handlungen wurde abgeschafft. Justizminister Christian Broda, der schon in der Reformkommission 1957 dabei war, hatte es unter der Minderheitsregierung von SP-Bundeskanzler Bruno Kreisky geschafft, Teilen der ÖVP eine Strafrechtsreform abzuringen, mit der auch die Strafbarkeit von Homosexualität Vergangenheit war. Geschickt hatte Broda die Homosexuellenfrage mit anderen Gesetzesänderungen, die die ÖVP für ihre Klientel durchsetzen wollte, junktimiert. Schlussendlich stimmten in der freien Abstimmung die meisten ÖVP-Abgeordneten für die Abschaffung. Ein Foto im Kurier zeigte die Abgeordneten der ÖVP, die aus Überzeugung der Abschaffung nicht zustimmten. Allerdings herrschte zwischen SPÖ und ÖVP darüber Einvernehmen, vier neue Paragraphen zu beschließen, die in den ersten Jahren zu einem Hemmschuh für die sich zaghaft entwickelnde Emanzipationsbewegung werden sollten: Die Paragraphen 209, 210, 220 und 221 sollten über Jahre hinweg die politisch bewegte Szene beschäftigen, wobei § 209, der ein unterschiedliches Mindestalter für schwule Beziehung mit 18 gegenüber 14 Jahren für heterosexuelle und lesbische festschrieb, der hartnäckigste war und erst unter der Regierung Schüssel/Riess-Passer abgeschafft wurde. Der Verfassungsgerichtshof hob die Bestimmung als verfassungswidrig auf, da sie nicht dem Gleichheitsgrundsatz entspräche. Oft war in den Debatten auch von Schutzalter die Rede, weil sich im Gesetz das Denken spiegelte, dass männliche Jugendliche zu homosexuellen Handlungen verführt und damit geprägt werden könnten. Weibliche Homosexualität erschien dem Gesetzgeber weniger gefährlich, noch 1989 (!) erklärte das männerlastige Gremium des Verfassungsgerichtshofes die Ungleichbehandlung von Frauen und Männern für rechtens, weil lesbische „Tathandlungen in der Regel schwer fassbar“
Fünf ÖVP-Abgeordnete blieben sitzen
wären und „die Grenzen zwischen freundschaftlichen und Zärtlichkeitsbezeugungen, Berührungen im Zuge von Hilfsleistungen bei der Körperpflege udgl. einerseits und echten gleichgeschlechtlichen Akten andererseits sich weitgehend der Feststellung im Strafprozeß entzögen“. Ob-
wohl es rechtlich zu absurden und unhaltbaren Diskriminierungen kam, waren die großen Volksparteien SPÖ und ÖVP aus ideologischen Gründen und, weil sie den von der Kirche vorgetragenen oft hanebüchenen Argumenten nicht widersprechen wollten, nicht zu einer Streichung
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Lesbisches Demoplakat
Flyer “Coming Out-Lokal“
Das erste schwule Profil-Cover
bereit. Der Kampf gegen diese Ungleichbehandlung von Schwulen gegenüber Heterosexuellen und Lesben beginnt aber erst nach der Formierung der Bewegung Anfang der 1990er Jahre. Der § 210, der männliche homosexuelle Prostitution verbat, wurde 1989 abgeschafft, da es selbst ÖVP-Politiker_innen im Sinne der Aids-Prävention als gesundheitspolitischen Unsinn erkannten, Stricher durch das Verbot in den Untergrund zu drängen.
Vereins- und Werbeverbot Die §§ 220 und 221 waren zunächst das größte Hindernis für die emanzipatorische politische Arbeit. Verfolgte ersterer die „Werbung für Unzucht mit Personen desselben Geschlechts“ machte letzterer „Verbindungen zur Begünstigung gleichgeschlechtlicher Unzucht“ strafbar. Es sollte fast zehn Jahre dauern, bis es trotz dieser Paragraphen zur Gründung offen schwuler und lesbischer Initiativen kommen sollte. Vor allem in Zusammenhang mit einem scharf formulierten Pornografiegesetz, das Darstellungen gleichgeschlechtlicher Handlungen (wenn sie nicht wie viele für Heteros gemachte lesbische Darstellungen zum Genuss der gesetzgebenden, heterosexuellen, männlichen Mehrheit dienten) grundsätzlich als harte und damit zu verbietende Pornografie definierte, wurden diese Paragraphen für viele Institutionen zum Problem. Ironisch könnte man heute sagen, dass es kaum eine Organisation gab, die auf sich hielt, die nicht ein Verfahren wegen § 220 in Verbindung mit dem Pornografiegesetz durchzustehen hatte. Was heute mitunter fast absurd klingt, war aber für viele eine existentielle Bedrohung - Gefängnis oder hohe Geldstrafen drohten: 1981 wurde die Buchhandlung Frauenzimmer verurteilt, als A Women’s Touch – An Anthology
of Lesbian Eroticism vom Zoll beschlagnahmt wurde, weil es die „textliche und bildliche Widergabe intensiven lesbischen Unzuchtstreibens“ enthielt. Im Herbst 1990 wurde ein Sendung der Safer-Sex-Broschüre Schwuler Sex – Sicher beschlagnahmt, die mangels eigener geeigneter Aufklärungsmaterialien von der Beratungsstelle Rosa Lila Tip bei der Deutschen Aidshilfe bestellt worden war. Sie enthielt ein Bild, das zwei Männer beim Oralverkehr zeigte! Da keine gewinnträchtige Absicht nachgewiesen werden konnte, wurde das Verfahren eingestellt, die Broschüren behielt sich aber der Zoll. Ein Jahr später traf es die HOSI Wien, weil sie in ihrer Jugendzeitschrift Tabu Ludwig van Beethoven, Hans-Christian Andersen oder Prinz Eugen als schwul bezeichnet hatten, was für das Gericht einer „Empfehlung für die Homosexualität“ gleichkam. Und noch 1993 hatte die Buchhandlung Löwenherz bald nach der Eröffnung die Beschlagnahme des in Deutschland frei erhältlichen Sexbuches Die Freuden der Schwulen zu beklagen.
Die Frauenbewegung als Startschuss In der Folge des gesellschaftlichen Aufbruchs von 1968, der zwar in Österreich nicht wirklich stattfand, und der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung formierte sich die Frauenbewegung als wichtigste soziale und politische Bewegung der frühen 1970er Jahre. Von den Debatten um die Fristenlösung geeint und von einer Visionen noch nicht als Krankheit definierenden SPÖ unterstützt, wurde die Frauenbewegung auch eine Heimat für viele Lesben, obwohl sie von der heterosexuellen Mehrheit nicht immer mit offenen Armen aufgenommen wurden. Diese Konflikte lässt auch Ines Rieder in ihrem Interview anklingen, sieht sie aber allgemeiner: „Es gab eine sehr starke Polarisierung, in jeglichem Bereich, alle haben sich
Plakat schwules Pfingstreffen 1977, gesponsert von André Heller
von Anderen abgegrenzt, sei es, ob du Maoist warst, oder Trotzkist oder Sozialist und genauso war’s in der Frauenbewegung auch. Diese Spaltungen durchdrangen alle Szenen.“ Die erste offene Lesbengruppe etablierte sich innerhalb der AUF (Aktion Unabhängiger Frauen) im Jahr 1976, die „allein durch ihre Existenz hitzige Debatten auslöste“, wie Ulrike Repnik in einem Aufsatz feststellte. Heute stereotyp wirkende Zuschreibungen kennzeichnen die Austragung der Konflikte. Innerhalb einer gemäßigten Frauenbewegung wurde den Lesben Radikalität vorgeworfen, ein Vorwurf, der verständlich wird, wenn man hört, wie radikale Lesben jegliche Kommunikation mit Männern ablehnten. Gleichzeitig produzierten sie in den Augen ihrer Gegner_ innen männliches Verhalten, das sich sowohl in Kleidung, öffentlichem Auftreten als auch Habitus manifestierte. Als am 23. März 1977 in der Lange Gasse 11 die erste Frauenbuchhandlung mit dem angeschlossenen Frauencafé eröffnete, war dies ein Meilenstein in der Geschichte des Feminismus in Österreich. Im Programmtext zur Gründung der Buchhandlung kamen zwar Lesben explizit nicht vor, doch gab es von Anfang an eine kleine Zahl lesbischer Titel im Sortiment der Buchhandlung. Viele Bücher zu diesem Thema gab es damals ohnehin nicht lieferbar, das Sortiment war (wie auf schwuler Seite) höchst überblickbar, was man sich in Anbetracht der Fülle schwuler bzw. lesbischer Bücher, DVDs oder CDs, die man heute in der, inzwischen einzigen, schwul-lesbischen Buchhandlung Österreichs, der Buchhandlung Löwenherz, gar nicht vorstellen kann. Das Coming-out war für Schwule und Lesben in den 1970er und 1980er Jahren ein vollkommen anderes
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Das erste Männerfest im Treibhaus 1978
Aus Mangel an eigenen Bildern illustrierte die AZ 1979 einen Bericht über Homosexuelle mit einem mehr als 10 Jahre alten Filmfoto, das Rex Harrison und Richard Burton im Stanley Donen Film “Über der Treppe“ zeigt
Das Plakat zum wahrscheinlich ersten, offiziellen Frauenfest Wiens
als heute. Für diese Generation gab es keine Vorbilder. Verstohlen hatte man sich vielleicht über Mutmaßungen informiert, dass Michelangelo, August von Platen oder Oberst Redl schwul, bzw. Gertrude Stein, Helene von Druskowitz oder Erika Mann lesbisch waren, Film- oder Popstars, die offen schwul oder lesbisch waren gab es aber keine. In fast jedem Coming-out-Prozess gehört es wohl dazu, dass man irgendwann einmal glaubt, man sei der bzw. die Einzige, die so sei. Heute kann man sich rasch vom Gegenteil überzeugen, im Internet ist es leicht, zu Aufklärung zu kommen. Damals musste man lange und oft an verbotenen oder verruchten Orten suchen, um zu Informationen über seinesgleichen zu kommen. Die Buchhandlung des legendären Kommerzialrats Herzog in der U2-Passage Mariahilfer Straße war zumindest für Schwule ein wichtiger Anlaufpunkt.
Auch die Männer werden aktiv In der Frühzeit der Bewegung Mitte der 1970er Jahre gab es kaum institutionalisierte Berührungspunkte zwischen Lesben und Schwulen. Dass ein Teil der politisch engagierten Schwulen durchaus auch Schlagworte der Frauenbewegung aufnahm, zeigt die Einladung zu einem Fest für die Gruppe Coming Out ins seit 1973 existierende Motto in der Rüdigergasse, in der es hieß, dass das Fest für alle sei, „die sich gegen die Reglementierung ihres Körpers wehren!“ Zu einer Zusammenarbeit über persönliche Freund- oder Bekanntschaften hinaus kam es zumindest Mitte der 1970er Jahre nicht, zumal viele Frauen grundsätzlich jede Zusammenarbeit mit Männern ablehnten, egal ob hetero oder homo, egal ob die schwule Theorie den Analverkehr zum antipatriarchalen Skandalon erhob. Männer waren grundsätzlich nicht Teil der Bewegung. Auf der anderen Seite gab es sehr wohl Lesben, wie Helga
Pankratz, die sich mit schwulen Männern solidarisierten und bereit waren, mit ihnen gemeinsam den Kampf zu bestreiten, was oft zu schwierigen, zwiespältigen Situationen für engagierte Lesben führte: „Man kann natürlich nicht sagen, die ganze Frauenbewegung war so oder so eingestellt oder umgekehrt,“ sagt Helga Pankratz. „Ich glaub aus meiner jetzigen Perspektive, dass sich diese Konflikte ja sehr oft innerhalb der Personen abspielen. Das ist ein gewisses Gespaltensein oder das Wissen, dass man zwei Beine hat – Standbein und Spielbein und das wechselt. Ich bin unverbrüchlich Feministin und wenn ich einen Sexismus von den schwulen „Schwestern“ wahrnehme, dann kann ich das nicht einfach so hinnehmen.“ Im April 1976 erschien im linksliberalen Neuen Forum eine Artikelserie über Homosexualität, wobei die Texte großteils von Autoren aus der Berliner Szene stammten. Aber die Initiativgruppe Homosexualität, Wien gab in einem Infokasten die Gründung einer Gruppe CO bekannt: „Wir haben das Versteckspiel satt!“ Man traf sich (vorläufig) jeden Freitag im Albert-Schweitzer-Haus in der Garnisonstraße im 9. Bezirk. Erhaltene Protokolle zeigen, dass man sich analog zur Berliner politischen Bewegung Homosexuelle Aktion Wien (HAW) nennen wollte, aus Angst vor dem Vereins- und Werbeparagraphen entschied man sich aber nach einem Song von Lou Reed für den unverfänglichen Namen Coming Out. Einen Monat später – im Mai 1976 – gab es das erste schwule Profil-Cover.
Heimstatt gegen Aktionismus Am Rande der Illegalität agierend fand man Unterschlupf im Vereinslokal der Arbeitsgruppe für kulturelle Aktivitäten (AKI), das eine Untergruppe der Jungen Generation der SPÖ in der Krummgasse 1a im 3. Bezirk angemietet hatte.
Doch wie in der Frauenbewegung taten sich auch unter den Männern rasch ideologische Gräben auf. Wollten die einen unauffälliges Beisammensein unter Ihresgleichen außerhalb der von vielen verabscheuten Subkultur, eine gemütliche Heimstatt also, waren die Anderen bereit zum politischen Kampf, den sie auch auf die Straße tragen wollten. Sichtbarkeit war schon in den ersten Stunden der Bewegung sowohl für Schwule als auch für Lesben sehr wichtig. Wollten Lesben innerhalb der Frauenbewegung wahrgenommen werden, was sie durch entsprechendes Outfit, Parolen oder Zeichen wie die Doppelaxt zu erreichen versuchen, wagten die Schwulen beim Pfingsttreffen 1977 den Schritt in die große Öffentlichkeit. Die Gruppe Coming Out hatte deutsche Homogruppen zum Erfahrungsaustausch nach Wien geladen und ein großes Fest in einer Villa in Purkersdorf organisiert. Zur öffentlichen Provokation bereit, aber wissend, dass eine offizielle Demonstration nie genehmigt werden würde, entschied man sich zu einem locker inszenierten Spaziergang durch den 1. Bezirk, der für großes Erstaunen bei der Bevölkerung sorgte. Mit den „Politschwestern“ gar nichts am Hut hatten viele Männer, die in der Verbotszeit schon eine verstecktes schwules Leben führten. Oft erzählen heute noch Männer von den Hausbällen in diversen Lokalen, ob im Quick oder in der Alten Lampe. Aber auch privat traf man sich zu ausgelassenen Festen, in den aufwändigen Kostümen steckte oft ein ganzes Jahr Arbeit und auch so mancher Monatslohn. Schon vor der Strafrechtsreform fand in der Kopernikusstube, dem späteren Nightshift, der Bal Parée statt, der in seiner Glanzzeit im Parkhotel Schönbrunn abgehalten wurde, wo heute wieder alljährlich Lesben und Schwule beim Regenbogenball das Tanzbein schwingen.
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Ein HOSI-Treffen im Treibhaus
Erstes HOSI-Gruppenfoto
Falter Inserat
Vor allem für Männer gab es um diese Zeit schon eine recht vielfältige Lokalszene, die von den engagierten Schwulen aber großteils abgelehnt wurde. Das Hydepark in der Sonnenfelsgasse 9 war die erste schwule Disco, es gab bereits Alfi’s Goldenen Spiegel an der Wienzeile bei der Kettenbrückengasse aber auch eine Reihe von Lokalen, die heute verschwunden sind und kaum Spuren hinterlassen haben: das Café Reiner/Künstlerklause ist heute das Sling, das Herz Dame Ecke Albertgasse/Skodagasse war ein abgenutztes Tanzcafé, die Weindiele in der Neustiftgasse oder das Bajazzo in der Schubertgasse im 9. Bezirk sind heute nur noch Wenigen ein Begriff. Ali, der von 1972-1978 die Alte Lampe führte, erzählt, dass es an manchen Abenden schon mal passieren konnte, dass Leonard Bernstein mit seiner Entourage ins Lokal schneite und sich ans Klavier setzte. Das Motto war das erste Lokal, in dem man vor der verspiegelten Pissrinne stehend Schwulenpornos anschauen konnte. Diese ersten Jahre der Befreiung in den 1970er Jahren ließen den Hedonismus unter Schwulen blühen und die an ihm Beteiligten legten den Grundstein dafür, dass sich die Meinung verfestigte, dass Schwule nur dem Konsum frönten. Dies wirkt bis heute nach, wenn wirtschaftspolitisch Engagierte die Schwulen als sogenannte DINKs (Double-Income-No-Kids) zu Rettern des Konsums in der Wirtschaftskrise stilisieren. Dieser Hedonismus, der auch von den „Politschwestern“ gelebt wurde, war auch immer ein Knackpunkt in den Beziehungen zur Lesbenbewegung, die grundsätzlich antikapitalistisch und konsumkritischer war und ist.
Gruppe fand. Dieser alternative Treffpunkt, später Rotstilzchen genannt, war, wie es Birgit Meinhard-Schiebel in einem Gespräch beschreibt, ein Schmelztiegel unterschiedlichster (linker) Interessen. Die schwulen Aktivisten Rudi Katzer und Florian Sommer produzierten eine Stadtzeitung, die ZB, die eine breite Palette an Themen, einen alternativen Veranstaltungskalender und Adresse von Gruppen bot. Der kurz darauf gegründete Falter übernahm dieses Konzept. Unterschiedlichste (linke) Politgruppen trafen sich hier, und so auch eine „Männergruppe“, die im Treibhaus 1978 ein erstes Männerfest veranstaltete (es explizit „Schwulenfest“ zu nennen, wagte man wegen des Werbeverbots aber nicht).
Vor der HOSI-Gründung
„Es gab immer wieder Lesbengruppen, die sich in Privatwohnungen oder im Frauenzentrum in der Tendlergasse getroffen haben“, erzählt Helga Pankratz. Auch das alternative Amerlingbeisl am Rande des Spittelbergs war ein Treffpunkt für zahlreiche Initiativen, so auch aus der Frauenbewegung. Mit der Gründung des WUK – Verein zur Schaffung offener Kultur- und Werkstättenhäuser im Jahr 1979 fanden viele seit der Räumung des Auslandsschlachthofs in St. Marx heimatlose Gruppen eine Heimstatt. Die Arenabewegung holte Mitte der 1970er Jahre in Wien Entwicklungen nach, die andernorts von der Studentenbewegung rund um 1968 formuliert worden waren. Im politisch liberalen Klima der ersten Jahre der Alleinregierung Bruno Kreisky war es sowohl für die Schwulenbewegung als auch für die sich aus der Frauenbewegung entwickelnde Lesbenbewegung möglich, Freiräume zu schaffen, die sich bald institutionalisierten.
Die „Gemütliche Heimstatt“ und die offensiveren Teile der Bewegung gingen schon längst getrennte Wege, als sich im Treibhaus in der Margaretenstraße 99 wieder ein schwule
Als Wolfgang Förster im März 1979 im Falter ein Inserat zur Gründung einer „Männergruppe“ aufgab, dachte er in erster Linie an Selbsterfahrung und nicht daran, dass sich
aus dieser Keimzelle die HOSI entwickeln würde. Der Grundstein für die heute als NGO von allen politischen Gruppen anerkannte HOSI wurde im Privaten gelegt, das nach den Parolen dieser Jahre öffentlich gemacht werden musste, was mit einem Auftritt im ersten Club 2, den es zum Thema Homosexualität gab, öffentlichkeitswirksam geschah. Am 25. September 1979 rief Wolfgang Förster im Club 2 live zur Gründung einer Schwulengruppe auf und hielt auch ein Taferl (er ist der Erfinder des Taferls im Fernsehen nicht Jörg Haider) in die Kamera, auf dem der Treffpunkt der Gruppe stand. Heute kaum mehr vorstellbar, rief diese Aktion einen Sturm der Empörung hervor, der ORF erhielt massenweise Protestbriefe und –anrufe, und ÖVP und FPÖ richteten an den Justizminister eine parlamentarische Anfrage, ob mit dieser Aktion nicht Werbe- und Vereinsverbot unterlaufen würden. Hinter den Kulissen hatten aber die Aktivisten der ersten Stunde schon Gespräche mit Sepp Rieder, dem damaligen Sekretär von Justizminister Broda geführt, der eine salomonische Interpretation der Paragraphen vorschlug. Man interpretierte ein „Und“ im Gesetz neu – und schon stand der Vereinsgründung nichts mehr im Wege. Im § 221 StGB hieß es, dass eine Vereinsgründung verboten sei, wenn „gleichgeschlechtliche Unzucht“ begünstigt UND öffentliches Ärgernis erregt wird. Dieses UND sei früher als ODER interpretiert worden (obwohl eigentlich immer ein UND im Gesetz stand), inzwischen habe sich aber die Rechtsmeinung verfestigt, dass beide Tatbestände erfüllt sein müssten, um Anklage zu erheben. Wenn man also kein öffentliches Ärgernis errege, könne man „gleichgeschlechtlich Unzucht“ ruhig begünstigen – die Spitzfindigkeiten verstehen wohl nur Jurist_innen. Die HOSI war geboren.
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wie die hineingeschwebt sind Ali vom Savoy ist ein Wiener Szene-Urgestein. Ihm gehörte in den 1970er Jahren die Alte Lampe und bis vor kurzer Zeit das legendäre Café Savoy, das nicht nur für nostalgisch veranlagten Tourist_innen eine beliebter Treffpunkt ist. Unser Titelbild zeigt ihn mit seiner „Freundin“ Archimeda. Was war dein erstes Lokal? Mein erstes Lokal war die Alte Lampe, von 1972 bis 1977, das war eine Glanzzeit für die Alte Lampe auch. Da ist Gott und die Welt aus und eingegangen. Wenn der Bernstein in Wien war, ist er ganz automatisch mit seiner Entourage zu mir gekommen. Er hat sich auch ans Klavier gesetzt und ein bisschen gespielt, das war schon eine Superzeit. Du hast ja auch die Verbotszeit erlebt? Ja, man musste jederzeit damit rechnen, dass jemand reinkommt und jemanden verhaftet und rausholt. Das war zu der Zeit damals wirklich... – es ist immer auch auf den Polizeipräsidenten drauf angekommen, wer da gerade am Ruder gesessen ist, ob sich der interessiert hat für die Szene. Der Holaubek [Polizeipräsident von Wien], kann man ja sagen, war ein netter Typ, der hat sich da nicht verkrallt in dem Ganzen. Aber in Linz war der Eipeldauer Polizeipräsident und das war ein ganz scharfer Hund, auf die schwule Szene, der hat alles dran gesetzt, dass er die hinter Schloss und Riegel bekommt. Da bin sogar ich drangekommen und bin vierzehn Tage
gesessen, weil ich nicht zugegeben hab, dass ich schwul bin. Sonst hätte man mich nur eine Woche behalten, so hat man mich vierzehn Tage behalten. In Wien war das viel lockerer, in Linz hat es ja nicht einmal ein Lokal gegeben, weil das ist sofort ausgehoben worden. Wann bist du nach Wien gekommen? 1961. Und hier habe ich als Kellner gearbeitet in guten Häusern und bin halt nebenher öfters in die Alte Lampe gegangen. Es hat mir sehr gut gefallen dort, es war ein sehr nettes Publikum, aber es war halt immer das Damoklesschwert, dass jemand kommen könnte. Und dort war natürlich alles unter dem Deckmantel der Verschwiegenheit, obwohl das in Künstlerkreisen offiziell wurscht war. Vom Nurejew oder so hat es ja jeder gewusst, aber da ist halt nicht drüber gesprochen worden. Der Adlmüller konnte sich mit seinem Freund in der höchsten Gesellschaft zeigen, da hat kein Mensch etwas drüber gesagt. Aber wenn eine Hausmeisterin zwei Burschen oder zwei Männer im Haus angezeigt hat, sind die gekommen und haben nachgeschaut im Bett, ob Flecken drinnen sind. Und die sind monatelang im Häf ’n
gesessen dann.
Und der Bal paré?
Welche Lokale hat es zu dieser Zeit noch gegeben, außer der Alten Lampe?
Die Lokale wollten das alle nachmachen, haben aber nicht die Räumlichkeiten gehabt. Und die Lampe war ja auch ziemlich klein. Da haben sich dann ein paar Leute zusammengetan und haben gesagt. „Wir mieten einen Saal und machen was Größeres“, aber erst nachdem sich herumgesprochen hatte, dass die Warmen doch nicht mehr so verfolgt werden und sich das Gesetz geändert hatte. 1974 hatte es sich ein bisschen beruhigt und ist sogar ein bisschen in Mode gekommen. Ab Mitte der 70er Jahre hat sich das dann sukzessiv entwickelt, in einem großen Lokal, dem Herz-Dame im achten Bezirk, da hat sich auch der erste Bal paré abgespielt. Danach ist man dann ins Parkhotel Schönbrunn.
Das Quick in der Rauhensteingasse war ein kleines Espresso und sehr bekannt, das Lurloch [später Nightshift] und sonst noch einige. Im Buchheim war ich nie drinnen, das war so ein bisschen anrüchig mit Strichern und so. Ins Central-Bad [heute Kaiserbründl] ist man gegangen, dort war’s auch sehr angenehm, da war man geduldet sozusagen. Aber eine Küsserei oder so hätt’ es dort nie gegeben, da wäre man sofort rausgeflogen. Stichwort schwule Bälle. Woran kannst du dich erinnern? Es hat ja nur die Bälle in der schwulen Szene gegeben, wie bei mir in der Lampe, die Hausbälle. Da sind sie mit der Kalesche vorgefahren und die Damen mit den Krinolinen sind ausgestiegen, das war schon eine tolle Sache. Die Fenster sind alle aufgegangen und alle haben runtergeschaut, wie die hineingeschwebt sind. In der Lampe hab ich jede Woche einen Ball gehabt.
In der Naschmarktgegend hat es sich ja immer gesammelt. Jaja, da waren ja alle diese Wirtshäuser hier. Nachdem die Lokale zugesperrt haben in der Nacht, ist man eben noch in diese Lokale gegangen. Wenn man geschickt war, hat man überall wen erwischen können.
Wollt’s nicht eine Lesbengruppe machen? Helga Pankratz wurde 1959 in Wiener Neustadt geboren und kam Mitte der 1970er Jahre nach Wien. Hier schloss sie sich schnell der Frauenbewegung an und gründete gemeinsam mit ihrer Freundin Doris Hauberger innerhalb der HOSI Wien eine Lesbengruppe. In den letzten Jahren engagierte sie sich besonders für den Frauentanzsport. Als Autorin und Kabarettistin schrieb sie zahlreiche Artikel und wurde vor allem mit ihrer Lyrik und Kurzprosa auch über den deutschsprachigen Raum hinaus bekannt. Wie kamst du in die Wiener Frauenszene?
zusammenfand.
Mein Coming-out hab ich sehr alleine gehabt. Ich bin mir seit dem Alter von 12 Jahren bewusst, dass ich lesbisch bin und wie das heißt und was das ist. Ich bin in Wiener Neustadt aufgewachsen, was eine Kleinstadt ist und kannte keine Lesbe außer mir selber und das sehr lang. Und ich bin mit dadurch, dass ich gewusst habe, dass ich lesbisch bin, motiviert gewesen, studieren zu wollen und nach Wien zu wollen.
Und bei Lesbengruppen war es genauso: Es gab Ansätze, es gab immer wieder Lesbengruppen, die sich getroffen haben in Privatwohnungen oder im Frauenzentrum in der Tendlergasse. Das hab ich auch besucht und mir angeschaut, hab im Frauencafé immer plakatiert gesehen, wie der Kontakt zu knüpfen ist, zur Lesbengruppe. Ja, und wie die HOSI gegründet worden ist, hat mich das sehr fasziniert. Ich hab dann über die zweite Nummer der Lambda-Nachrichten, die ist mir in die Hände gekommen, weil ich am Reumannplatz am Info-Stand war, davon erfahren. Da war gleichzeitig ein großes österreichisches Lesbentreffen im Amerlinghaus. Das erste große, das hab ich auch besucht. Und eigentlich konnte man sehr viel erfahren, alle waren interessiert, an allem was es gibt.
Wie fandest du dann andere Lesben und Schwule? Also zu der Zeit, wo ich die Frauenszene gesucht und gefunden habe, hats die HOSI auch noch nicht gegeben, also das hat sich so parallel entwickelt, dass ich Anschluss an eine Bewegung gesucht hab, weil mir war Stonewall aus den Massenmedien durchaus ein Begriff. Und ich hab erwartet, dass ich in Wien eine Bewegung finde, die auf dem Stand von Amerika oder Deutschland ist, wie ich jung war. Dann hab ich auch die Gründung der HOSI miterlebt, ich hab‘ – wie soll ich sagen – den Falter gelesen, der ja auch ganz frisch war, und da die Annoncen, wie sich die HOSI
Dennoch hast du dich zur Gründung einer eigenen Lesbengruppe in der HOSI entschlossen? Für mich war es eigentlich selbstverständlich, dass ich auch Lambda-Nachrichten lese und mit der HOSI kommuniziere – die war aber halt ein Männerverein. Und
irgendwann hat mich der Männerverein eingeladen, weil ich so oft Leserinnenbriefe schrieb, und so oft reagierte, auf Sachen, die in den Lambda gestanden sind, dass sie gesagt haben „Komm einmal! Treffen wir uns einmal. Was möchtest du denn?“ Und ich wollte Kontakt zu anderen Frauen, die Kontakt zur Hosi haben oder suchen. Und dann war es der Kurt Krickler, mit dem meine Freundin und ich intensiver gesprochen haben und der gesagt hat. „Wollt’s nicht vielleicht eine Lesbengruppe bei uns aufmachen?“ Wir hatten versucht zu überlegen, wie es denn möglich sein könnte, in diesem Männerverein aktiv zu werden. Und die Idee war sehr gut. Wir waren ja integriert, ich war Stammgästin im Frauencafé, ich hab die Zeitschrift AUF gelesen und alle großen Frauen der feministischen Bewegung gut gekannt und mit ihnen gesprochen. Wir haben sogar auf einem großen Frauenfest, das die Frauenbuchhandlung organisiert hatte, Flyer ausgeteilt mit Einladungen zur ersten Lesbengruppe. Ohne das hätten wir ja die Frauen gar nicht gefunden, die zu uns in die HOSI kommen.
ja die Lesbenbewegung sowohl Teil der gemeinsamen Homosexuellenbewegung als auch Teil der Frauenbewegung. Das war ja vermutlich nicht ganz friktionsfrei. Man kann natürlich nicht sagen, die ganze Frauenbewegung war so oder so eingestellt oder umgekehrt. Ich glaub aus meiner jetzigen Perspektive, dass sich diese Konflikte ja sehr oft innerhalb der Personen abspielen. Ich bin unverbrüchlich Feministin und wenn ich einen Sexismus von den schwulen Schwestern wahrnehme, dann kann ich das nicht einfach so hinnehmen. Nur meines und das von den Frauen, die es ähnlich gemacht haben wie ich, war es, nicht fernzubleiben oder dann auszutreten, sondern den Konflikt zu suchen, aber auch die Verständigung. Und es war so – ich krieg das jetzt nachträglich öfter noch erzählt, es haben sich die schwulen Männer in der HOSI wirklich gefürchtet vor uns, einfach, weil wir uns nicht immer alles haben bieten lassen, weil wir gesagt haben, „Na, hoppla! Moment, so!“. Und es war ein Lernprozess, ich glaub, die Männer haben sehr viel mehr zum Lernen gehabt.
Nicht zuletzt dank deiner Mitwirkung war
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Gemma Schwule schauen Evelyn Mollik-Werner ging auch – oder gerade – als heterosexuelle Frau, in den 70-er Jahren in die Schwulenszene. Nicht nur auf Mykonos genoss sie das, denn ihr Stammlokal war das Motto im 5. Bezirk, eröffnet 1973. Ein Jahrzehnt später spielte sie auch im schwulen Film Wiener Brut mit. Was bedeutete das Motto in den 70-er Jahren? Ich hätte im Motto eigentlich einen Meldezettel ausfüllen müssen. Das Motto war für uns High Life. Es waren tolle Leute hier und es war eines der ersten Schwulenlokale, die nicht unbedingt ein finsteres Kellerloch waren. Allerdings hatte das Motto etwas, das die anderen Lokale auch hatten: Man musste draußen klingeln, ist durch ein Guckerl begutachtet worden und dann durfte man rein. Im Vergleich zu den anderen Lokalen ist das Motto immer offener geworden. Dann kam eine gewisse Bewegung von wegen “Gemma Schwule schauen“, und dadurch wurde das Lokal immer gemischter, was es anfangs nicht war. Was mich anfangs wunderte, war, wann immer es an der Tür geläutet hat, haben sich alle umgedreht und sich gefragt, wer kommt jetzt rein? Erst später habe ich mitgekriegt, was eigentlich los war. Damals war der Schwulenparagraf erst eineinhalb
Jahre gefallen. Aber man musste nach wie vor mit massiven Razzien rechnen, und die haben hier stattgefunden, speziell nach der Eröffnung. Wie liefen solche Razzien ab? Hinten hat es eine kleine Bar gegeben, dort saß ein schwules Pärchen. Es kamen zwei Männer in Zivil rein und es fängt eine Rangelei zwischen den Polizisten und einem des schwulen Pärchens an. Darauf sagt der Schwule: „Geben Sie mir ihre Dienstmarke, ich mache eine Anzeige.“ Das macht er dann auch und wird später vorgeladen. Dort heißt es dann: „Sagen Sie mal, ihr Freund ist doch in einer Bank angestellt?“ „Ja“, sagt er. „Und gibt es in dieser Bank nicht jede Menge Lehrbuben?“ Worauf er sagt: „Ja“. “Dann würde ich mir im Sinne der Karriere ihres Freundes überlegen, ob die Anzeige nicht doch zurückgezogen wird“. So geschehen. Bei einer anderen Razzia kommt ein
führender Herr der Bezirksvorstehung mit und regt sich auf, und man macht ihn darauf aufmerksam, dass der Paragraf doch schon längst gefallen sei. Seine Antwort war: „Aber net bei uns im Bezirk!“ So war die offizielle Einstellung, obwohl gesetzlich schon längst geregelt.
war hier ja auch ein Prominentenlokal. Von Bernstein angefangen über... Ich erinnere mich an einen Geburtstag, da hat mir sogar der Nurejew gratuliert. Das war das Motto, nur: Der Nurejew und der Bernstein sind behandelt worden, wie alle Anderen.
Mittlerweile gilt das Motto nicht unbedingt primär als Schwulenlokal.
Gab es damals auch politische Bewegung?
Das Motto war dann eines der Lokale, die immer offener geworden sind. Es gab eine Mixtur, so genannte “Normale” sind gekommen und daraus ist auch eine gewisse Akzeptanz geworden. Anfangs hieß es noch “Gemma Schwule schauen” und dann war die Sensation gar nicht so groß. Abgesehen von einem, den wir alle Die Vetsera genannt haben. Der hat einmal am Ende des Lokals einen wunderbaren Strip hingelegt. Und ein Mann sagt zu seiner Frau: „Schau dir das an, da kannst noch was lernen!“ So war das damals. Es
Es gibt etwas, was mich damals sehr verwundet hat und eigentlich bis heute wundert. Es war damals parallel die Frauenbewegung. Und da kam der Gedanke hoch, wenn sich jetzt die Frauen und die Schwule auf ein Packl hauen, würden wir doch die Mehrheit erbringen und könnten viel mehr bewirken. Das wurde sonderbarerweise von beiden Seiten abgelehnt. Diese Majorität, die man gehabt hätte, war offensichtlich nicht gewünscht, obwohl es teilweise durchaus um dieselben Anliegen gegangen wäre. Das hat nie stattgefunden.
Die Wiener Schwulen haben immer die Hos’n vollgehabt Rudi Katzer kam in den 1970er Jahren nach Wien und schloss sich hier der gerade im Entstehen begriffenen Schwulenbewegung an. Er arbeitete ab 1976 bei der ersten Schwulengruppe Coming Out mit, war in die Gründung der HOSI involviert und bezog als einer der ersten ein Abbruchhaus an der Linken Wienzeile, das zur weithin sichtbaren Rosa Lila Villa werden sollte. Noch heute lebt er in dem Haus, das er mit seiner Arbeit und seinem Elan entscheidend mitprägte. Kannst du von der CO erzählen? Die Gruppe Coming Out war eigentlich die erste Nachkriegsschwulen- und auch ein bissl Lesbenorganisation, also es waren ein paar wenige Frauen auch dabei. Und das war eine sehr kleine Gruppe. Und dennoch haben sich sehr schnell zwei Fraktionen herausgebildet. Die einen wollten ihr Innerstes nach außen kehren und haben gesagt, das Private ist auch politisch, und haben mit radikalen Slogans Öffentlichkeitsarbeit gemacht. Und die anderen, die wollten so was wie eine gemütliche Heimstatt, einfach einen Ort, wo man sich gerne trifft und wo man dann auch gemeinsam was organisiert, gemeinsame Ausflüge oder so was. Das war ja im Treibhaus, das ja wie ein Sammelbecken gewesen sein muss. Dort hat sich dann ja auch die HOSI gegründet. Die CO hat 1978 das Zeitliche gesegnet. Und ungefähr ein Jahr später haben wir – der Florian Sommer und ich – gehört, es soll da wieder ein Treffen geben und wir haben gesagt: „Jessas, na, das brauchen wir nimmer, Schwulenbewegung, das ist abge-
hakt, und Verein – na danke!“ Aber dann waren wir doch so neugierig, was das ist, wer das ist und was da passiert, dass wir hingegangen sind in die Margaretenstraße, ins Treibhaus – und dann waren wir schon wieder dabei.
von bürgerlichen Leuten getragen wurden, die einfach nur im Rasen liegen wollten und die Repression der Behörden nicht verstehen wollten. In der Bevölkerung hat das sehr schnell den Namen „Burggartenbewegung“ bekommen.
Wann übersiedelte die HOSI in die Novaragasse?
In diesem Klima hatte die Wiener Sozialdemokratie die super Idee, einige wenige der vielen Abbruchhäuser potentiellen Hausbesetzer_innen zur Verfügung zu stellen zur – wie man das damals genannt hat – legalen Instandbesetzung.
Es war so, dass man bald den Eindruck hatte, im Treibhaus sei es zu eng. Ich hab den Eindruck nicht gehabt, mich hat die Enge nicht gestört. Ich hab dagegen gesprochen, ein Vereinslokal zu suchen und umzusiedeln, weil mir klar war, dass es ungeheuer viel Energien binden würde. Und so war’s dann auch. Wie geschah dann der teilweise Auszug aus der HOSI – in die Rosa Lila Villa? In dieser Zeit, rund um 1982, geschahen Jugendrevolten in Berlin, Zürich und in anderen Städten Mitteleuropas. In Wien haben junge Menschen begonnen, sich im Burggarten in die Wiese zu legen und sind von der Polizei rausgeworfen und festgenommen worden. Es gab dann Demos im ersten Bezirk, die eigentlich hauptsächlich
Das heißt, die Villa war nicht besetzt? Doch. Die Lesben und Schwulen, die eigentlich ein Stockwerk in einem Haus in der Liniengasse besiedeln wollten, suchten ein „Notquartier“, weil aus der Liniengasse nichts wurde. Und dieses Notquartier war zuerst nur eine Wohnung in diesem Haus, der heutigen Villa. Da waren noch zwei Baubüros der Gemeinde Wien und ein privater Mieter. Also dieses Haus war nicht zur „legalen Instandbesetzung“ vorgesehen gewesen. Aber dadurch dass man schon einen Fuß herinnen gehabt hat, hat man sich dann ausgebreitet, sozusagen das Haus von innen her, Wohnung für
Wohnung, besetzt und auch immer sofort instand gesetzt. Wie kam es zum Neujahrskonzert? Ja, ich bin gefragt worden, ob ich mitmache, aber ich hab mich nicht getraut! Vor einem Publikum, das hierher gekommen ist, um um sehr teure Karten diese wunderbare Musik zu hören: Denen in die Suppe zu spucken und sich nackt auszuziehen, vorzurennen und den Dirigenten von seinem Pult zu verscheuchen, das war mir zu heftig. Dann hat’s der Florian Sommer mit dem Robert Herz gemacht. Dann gab’s auch zwiespältige Reaktionen. Ja, die Wiener Schwulen haben immer die Hos’n vollgehabt. Auch die Lambda Nachrichten haben negativ berichtet. Ja, als Leserbriefe, die in Wahrheit aus dem Vorstand gekommen sind. Artikel gab’s keine negativen. Die Presse insgesamt war nicht negativ.
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DIE 80ER Soziale und politische Bewegungen halten sich im Allgemeinen nicht an einen Rhythmus in Dekaden. Trotzdem: Teilt man das Jahrzehnt der 1980er Jahre, kann man die erste Hälfte als die Zeit des Aufbruchs und der vielfältigen Manifestationen schwul-lesbischen Lebens verstehen, die zweite als Jahre des Schocks durch Aids und der Konsolidierung zum Weg durch die Instanzen. Die Bedrohung durch Aids lag wie eine dicke Decke über allen Entwicklungen dieser Jahre. Im zeitlichen Umfeld mit der Gründung der HOSI kam es zu einer Reihe von spektakulären Aktionen. Bei der Demo zum Internationalen Frauentag am 8. März 1980 tauchte zum ersten Mal ein Lesbenplakat auf und in der Wiener Berggasse zog das Uni-Frauenzentrum in eine Substandardwohnung und wurde damit zur Keimzelle und Basis einer Reihe von feministischen und lesbischen Initiativen, die in einem Nahverhältnis zur Universität und genderspezifischen Forschung standen. In der HOSI selbst begannen die Zwistigkeiten zwischen den Mitgliedern, die angepasst und bürgerlich den Weg der kleinen Schritte gehen wollten, und jenen, die zum Teil schon in der Gruppe Coming Out radikalere politische Ideen verwirklichen wollte. In der HOSI wiederholten sich die Konflikte, die schon in den schwulen Gruppen der 1970er Jahren virulent waren und die auch zu Spaltungen innerhalb der Frauenbewegung zwischen Heteras und gemäßigten Lesben mit gesellschaftspolitisch radikaleren Lesbengruppen führten.
Das erste Lesbentreffen Vom 5. bis 8. Juni 1980 fand im Amerlingbeisl das 1. Österreichische Lesbentreffen statt. Ein zentrales Anliegen dieses Treffens war, Lesben innerhalb der Frauenbewegung aber auch außerhalb sichtbar zu machen. Neben Selbsterfahrung und Gedankenaustausch hatten diese Tage für viele auch die Kraft einer politischen Initialzündung. Gleichzeitig baute die HOSI im Rahmen der Wiener Festwochen - alternativ auf dem Reumannplatz einen Infostand auf, der nach Beschwerden und rechtsradikalen Störaktionen von der Polizei mit Gewalt geräumt und abgebaut wurde. (Was heute noch in Ungarn, Polen, den baltischen Staaten oder Russland an der Tagesordnung ist, war vor nunmehr fast 30 Jahren auch in Österreich ganz normal: Die Polizei schützte nicht die für ihre Rechte demonstrierenden Schwulen vor Angriffen sondern vertrieb sie und ließ die rechte Aggressoren unbehelligt.) Womit die Gemeinde Wien, die den Polizeieinsatz befürwortete, nicht gerechnet hatte, war die Solidarisierung aller teilnehmenden Gruppen der Alternativen Festwochen. Alle Stände auf dem Reumannplatz, im Schweizergarten und in der Meidlinger Hauptstraße wurden mit HOSI-Parolen geschmückt, alle Gruppen unterschrieben das Manifest Für eine neue Liebesunordnung und der damalige Kulturstadtrat Helmut Zilk ließ nach dieser für ihn wohl unerwarteten Schlappe auf Kosten der Gemeinde den Infostand der HOSI am Reumannplatz wieder
Die Räumung des HOSI Infostands am Reumannplatz, 1980
aufbauen: „Homosexuell, das ist nicht alles was wir sind, aber es gehört zu allem was wir sind. Solange Homosexualität nicht selbstverständlicher Teil befreiter Sexualität ist, sondern Gegenstand von Unterdrückung, Tabuisierung, Diskriminierung, Angst, Elend, Vereinsamung, Verzweiflung, werden wir nicht aufhören, für eine Befreiung der Homosexualität von uns allen zu kämpfen!“ – waren Kernsätze des von 25 Gruppen unterschriebenen Manifests. Unter diesen auch das Frauenzimmer und eine Lesbengruppe Wien. „Wie die HOSI gegründet worden ist, hat mich das sehr fasziniert. Ich hab dann über die zweite Nummer der Lambda Nachrichten, die ist mir in die Hände gekommen, weil ich am Reumannplatz am Info-Stand war, Kontakt aufgenommen“, erzählt Helga Pankratz. „Und irgendwann hat mich der Männerverein eingeladen. Es war dann der Kurt Krickler, mit dem meine Freundin und ich intensiver gesprochen haben und der gesagt hat: ‚Wollt’s nicht vielleicht eine Lesbengruppe bei uns aufmachen?’ Wir hatten versucht zu überlegen, wie es denn möglich sein könnte, in diesem Männerverein aktiv zu werden. Und die Idee war sehr gut.
Die HOSI wird schwul-lesbisch So kam es 1981 zur Gründung der Lesbengruppe innerhalb der HOSI Wien, und inzwischen hatten sich auch Bundesländergruppen der HOSI gebildet. Schon 1980
Plakat zum 1. Lesbentreffen
kam es zur Gründung der HOSI Salzburg, 1982 folgte Linz und 1984 Steiermark und Tirol. Die Beziehungen zwischen Männern und Frauen verliefen mitnichten friktionsfrei. Es gab Lesben die gegen eine Zusammenarbeit mit den Schwulen waren – und umgekehrt. Auch im internationalen Vergleich war diese Zusammenarbeit nicht selbstverständlich. In der deutschen Bewegung, deren Aktionen natürlich nach Österreich ausstrahlten, gab es kaum institutionalisierte Zusammenarbeit zwischen Lesben und Schwulen. Auch eine Organisation wie die ILGA (International Lesbian & Gay Association) wurde als IGA (International Gay Association) gegründet. Die ersten Gay Games, die 1982 in San Francisco stattfanden, waren eine schwule Erfindung. Umso erstaunlicher ist es im Rückblick, mit welcher Konsequenz die Frauen der ersten Generation in der HOSI Wien – hier sind Helga Pankratz, Doris Hauberger oder Waldtraud Riegler zu nennen – den Weg der Zusammenarbeit bestritten. Lesben, die sich mit einer schwul-lesbischen Community nicht identifizieren konnten, organisierten sich in reinen Frauenzusammenhängen. So gründete sich im Frauenkommunikationszentrum im WUK, das 1981 nach Jahren der Herbergssuche im neu geschaffenen Kulturzentrum an der Währingerstraße einziehen konnte, im Herbst 1982 eine autonome Lesbengruppe. Das im selben Jahr eröffnete Café Lila Löffel wechselte in den folgenden Jahren immer wieder mal Namen und Funktion: Sonderbar und FZ-Beisl waren mal eher frauenbewegtes Beisl, schicke Bar oder Lesbendisco. 1981 hat die HOSI Wien übrigens bei einem Infostand in der
die achtziger
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Ein Tänzchen für Maria Theresia, 1982
Bei einer Friedensdemo ca. 1982 Rosa Lila Villa vor der Sanierung
Warmes Nest in der Rosa Lila Villa mit Foto aus Hans Fädlers Wiener Brut Der erste offen schwule Kandidat bei einer Nationalratswahl: Rudi Katzer, 1983
Opernpassage Ende Juni zur Gay Pride aufgerufen und auf den Christopher Street Day Bezug genommen.
Rosa Winkel Auf schwuler Seite stand das Jahr 1982 unter dem Eindruck der Aktionen des Rosa Wirbel: Gleich am 1. Jänner ging es los. Während Lorin Maazel den Taktstock zur Polka Die Emancipierte schwang, stürmten Florian Sommer und sein (heterosexueller) Kollege Robert Herz nackt die Bühne des Neujahrkonzerts und schwangen ein Transparent: Menschenrechte für Schwule. Da der ORF zu dieser Zeit auf eine Balletteinlage geschaltet hatte, waren die Bilder zwar nicht weltweit zu sehen, aber die Zeitungen berichteten in den nächsten Tagen ausführlich. Obwohl der Vorstand eingeweiht gewesen war, distanzierte sich die HOSI Wien offiziell von der Aktion, weil man rechtliche Schritte fürchtete und weil ein Teil der Mitglieder sich mit derart umstrittenen aber öffentlichkeitswirksamen Aktionen nicht identifizieren konnte. Wenige Wochen später sorgten zwei Männer und zwei Frauen – diesmal waren auch Lesben mit von der Partie - aber erneut für Aufsehen, als sie kurz nach Eröffnung des Opernballs rosa Flugzettel mit teilweise recht deftigen Sprüchen ins Parkett regnen ließen: „Nerz und Brillanten für Tunten und Tanten. Sei mir nicht barsch, Zunge im Arsch!“ Die Plakataktion Schwul – Na und?, bei der bekannten Persönlichkeiten wie Kardinal König oder Peter Alexander positive Aussagen über Homosexualität in den Mund gelegt wurden, war die letzte Aktion des Rosa Wirbel für Jahre. Die HOSI Wien veranstaltete im April hingegen das erste Lesben- & Schwulen-Filmfest im Schikaneder-Kino und lud am Christopher Street Day Ende Juni zu Tanz und Demonstration vor das Maria-Theresien-Denkmal zwischen den beiden Museen. Einige Aktivist_innen des Rosa Wirbels bezogen zur selben Zeit ein Abbruchhaus in der Linken Wienzeile 102, die sie rasch zur Rosa Lila Villa (RLV) instand sanierten, um dort im Februar 1983 mit Unterstützung der damaligen Vize-Bürgermeisterin Gertrude Fröhlich-Sandner die erste schwul-lesbische Beratungsstelle Österreichs zu eröffnen. Es war die große Zeit der Hausbesetzungen in Wien: Spalowskygasse und Gassergasse (die berühmte GaGa) waren Zentren des linken und aktionistischen Widerstands. Alle alternativen Wohnprojekte bis auf die Villa wurden in den nächsten Jahren geräumt, die GaGa in einer Nacht-undNebel-Aktion abgerissen. Die Villa bliebt und war von der ersten Stunde an ein schwul-lesbisches Projekt, im Stadtbild nicht zu übersehen, sichtbar für alle, die über die Wienzeile nach Wien kamen oder die Stadt über diese
Rosa Wirbel, 1982
verließen. Nach und nach sanierten die Bewohner_innen mit geringen Mitteln das desolate Haus und richteten neben Wohngemeinschaften, einer billigen Schlafstelle für Wienbesucher_innen und einer Beratungsstelle auch ein Kommunikationscafé, das Warme Nest, ein. Der Rosa Lila Tip wurde gerade wegen seiner Sichtbarkeit und des Prinzips, dass Betroffene für Betroffene beratend tätig waren, zu einer wichtigen Institution in der Stadt. Hier konnte man sich zumindest sicher sein, dass man nicht an homophobe Ansprechpartner_innen kam, wie in viele anderen Beratungsinstitutionen. Die Bunten Vögel der Busek-ÖVP spendeten die rosa Farbe für den Anstrich des Erdgeschoßes, obwohl sich die Bezirks-ÖVP später heftig gegen den Sündenpfuhl RLV wehrte. Man beschuldigte die Bewohner_innen, dass sie ihre Genitalien aus den Fenstern hängen ließen und für Verkehrsunfälle auf der Wienzeile verantwortlich seien, weil die Autofahrer von der Existenz von Schwulen und Lesben so geschockt seien, dass sie die Kontrolle über ihre Fahrzeuge verlören. Man war sich nicht einmal zu dumm, die Drogenkeule auszupacken und die Villa als Drogenhölle zu diffamieren.
Wissenschaft gegen homophobie Anlässlich der IGA-Konferenz (International Gay Association, die kurz darauf nach Beitritt von Lesbenorganisationen in ILGA umbenannt wurde), die 1983 in Wien tagte, traten die HOSisters zum ersten Mal mit ihrer Version der Fledermaus auf. Die HOSI Wien etablierte sich in diesen Jahren als Schnittstelle zu den öffentlich kaum auftretenden Organisationen hinter dem Eisernen Vorhang im Osten Europas. 1983 war aber auch ein wichtigen Jahr für die Wissenschaft. Die Österreichische Gesellschaft für Homosexuellen- und Lesbierinnenforschung, die einen bislang nicht stattfindenden wissenschaftlichen Diskurs über Homosexualität an Universitäten und Forschungsinstitutionen einforderte und beförderte, wurde gegründet. In den 1980er Jahren war es fast unmöglich im Vorlesungsverzeichnung Veranstaltungen zu finden, die sich abseits von medizinischen oder strafrechtlichen Bezügen mit Homosexualität auseinander setzten. Von Homo-, Queer- oder Gender-Studies war an Wiener Universitäten noch lange nicht die Rede. Umso wichtiger waren die außeruniversitären Forschungsgruppen, kritische Psycholog_innen, die den oft manifesten homophoben Diskurs in der offiziellen Lehre durchbrachen, und erste historische Forschungen, die der jungen Bewegung eine historische Legitimität geben wollten. Im Herbst des Jahres wurde im Uni-Frauenzentrum in der Berggasse die Sektion Archiv gegründet. Zuerst unter dem Namen Archiv der Neuen Frauenbewegung firmierend wurde der 1990 in
Stichwort umbenannte Verein bald eine international vernetzte Forschungsstelle für die Geschichte von Frauen und Lesben. Mit der Umbenennung kamen auch die Lesben in den Untertitel Archiv der Frauen- und Lesbenbewegung. Schlussendlich war 1983 auch ein entscheidendes Jahr in der österreichischen Innenpolitik. Mit der im April stattfindenden Nationalratswahl war nach dem Verlust der absoluten Mehrheit die Ära Kreisky zu Ende. Bei dieser Wahl kandidierte auch die Alternative Liste Österreichs (ALÖ), die links der SPÖ zu einer der Keimzellen für die Grünen wurde, aber keinen Sitz im Nationalrat erringen konnte. In Wien kandidierte nach zum Teil heftigen Widerständen aus den Bundesländern Rudi Katzer als erster offen schwuler Kandidat bei einer Nationalratswahl unter seinem Tuntennamen Gloria und dem provokanten Slogan PoPolitik ist mehr. Er ist lange Zeit der einzige offen schwule Kandidat bei einer bundesweiten Wahl beblieben, erst mit Ulrike Lunacek sollte 1999 eine lesbische Frau für die Grünen ins Parlament einziehen.
gedenken in Mauthausen Dass 1984 in Mauthausen der erste Gedenkstein für die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus enthüllt wurde, grenzt bei der Anfeindung, die Schwule und Lesben in den ersten Jahren der Bewegung erfahren mussten, an ein Wunder. Auch der Umgang des offiziellen Österreichs mit den schwulen und lesbischen Opfern des Nationalsozialismus ließ jahrelang mehr als zu wünschen übrig. Mit der Affäre Waldheim sollte es ab 1986 zu einer breiten Diskussion der Beteiligung Österreichs und der Österreicher_innen an den Gräueln des Nationalsozialismus kommen, eine Anerkennung von Schwulen und Lesben als Opfer war aber damals trotzdem in weiter Ferne, wie die Vertreibung von schwulen und lesbischen Demonstrant_innen bei der Eröffnung des Denkmals gegen Krieg und Faschismus (in Wien kurz Hrdlicka-Denkmal genannt) am Albertinaplatz 1988 zeigte. Ein Transparent der HOSI Wien mit der Forderung nach Anerkennung der schwulen und lesbischen Opfer des Nationalsozialismus wurde unter dem Schweigen der gesamten anwesenden antifaschistischen Schickeria Österreichs von der Polizei mit Gewalt entfernt. Aufsehen erregte in diesem Jahr auch der inzwischen zum Kultfilm avancierte Trash-Klassiker Wiener Brut in der Regie von Hans Fädler, der die Hausbesetzerszene und den Umgang der Politik mit ihr gnadenlos karikierend auch mit seiner Besetzung für Aufsehen sorgte. Peter Turrini, Hansi Lang und Marie-Therese Escribano spielten
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1.1.1982 Michael Handl und Friedl Nußbaumer heiraten am Stephansplatz, 1989 Lesbisches Demoplakat
Memento Mori von Siegfried/Anton Felder, Rosa Lila Villa, 1989
Michael Handl wird am Albertinaplatz abgeführt, 1988
Mauthausen 1984 Safer Sex Plakat für Ledermänner, ca. 1985
neben Szenengrößen wie Arthur Singer oder Johannes Weidinger. Was damals keiner der Beteiligten wusste, ein Virus würde bald viele Leben verändern. Hans Fädler konnte nur diesen Film verwirklichen, denn er starb 1987 an den Folgen von Aids und Hauptdarsteller Arthur Singer veröffentlichte heuer seine Autobiografie über 23 Jahre positives (Über)Leben. Waren es in den ersten Jahren der 1980er Jahre nur vereinzelte Meldungen von einer Krankheit, die in den schwulen Metropolen der Welt Männer befiel, überschlugen sich ab 1983 in den Medien Sensationsmeldungen von einer Schwulenpest, die das Leben Zehntausender bedrohte. Die HOSI Wien reagierte rasch und veröffentlichte bereits 1983 einen ersten Folder über eine Krankheit, von der man wenig wusste und die auch noch keinen Namen hatte. Man wusste nur: Sex war gefährlich, denn über sexuelle Kontakte wurde die Krankheit übertragen. Mit dem schwulen Hedonismus war es in Wien schon vorbei, bevor er überhaupt richtig begonnen hatte. Wien, das in unmittelbarer Nähe des Eisernen Vorhangs der Endbahnhof Europas war, war in diesen Jahren ohnehin alles andere als eine schwule Partystadt, die Lokalszene vergleichsweise klein: das Why Not war die einzige Disco, die Lokale rund um den Naschmarkt waren nur zu betreten, wenn man eine Glocke läutetete und manche so versteckt, dass man sie nur als Eingeweihter fand. Alte Lampe, Alfi’s und Café Reiner waren schon Klassiker, ebenso das Nightshift, das unter dem Namen Lurloch schon in der Nazizeit ein Treffpunkt für Schwule gewesen sein soll. Ali eröffnete an der Wienzeile das Café Savoy, dort, wo heute die Mango Bar ist, war in den 1980er Jahren eine trendige Bar mit dem Namen Manhattan, die von Jeanstypen bevorzugt wurde. Von dort gab es einen regen Pendelverkehr über den Naschmarkt ins Smile, das ebenso schick, aber von einer etwas modebewussteren Klientel besucht wurde. Doch waren in den 1980er Jahren die Szenen noch lange nicht so differenziert. In der Schleifmühlgasse war einige Jahre das CO oder Coming Out ein beliebtes Lokal, in dem man einerseits gemütlich essen und an der Bar seinen Aufriss tätigen konnte. Aber wie beim Motto musste man auch hier die Glocke überwinden, um Einlass zu finden. Selbst eine Lederszene hatte sich etabliert, zuerst in einem Kellerlokal des Lederschneiders Peter Holub, dann ab 1982/83 im heute noch existierenden Stiefelknecht in der Wimmergasse. Obwohl etwas ab vom Schuss, steppte dort jedes Wochenende der Bär. Sexuelle Freizügigkeit war angesagt, ein langsam keimendes schwules Selbstbewusstsein ließ viele Männer die sexuelle Freiheit genießen. Die
1985 gegründete LMC Vienna (Leather & Motorbike Community) setzte sich für die Vernetzung schwuler Ledermänner ein, und war Anlaufstelle für eine Szene innerhalb der Szene. Die Lesbenszene funktionierte anders. Schon aufgrund der Einkommensschere zwischen Frauen und Männern gab es weniger Lokale für Frauen. Das Frauencafé in der Lange Gasse und das Lokal im Frauenhaus des WUK (mit wechselnden Namen Lila Löffel, FZ-Beisl oder Sonderbar) waren jahrelang die einzigen Orte, wo Lesben unter sich waren. Ihr Konsumverhalten war auch anders und viel konsumkritischer als in weiten Teilen der schwulen Community.
Kampf gegen Windmühlen Die Energien der HOSI Wien flossen ab Mitte der 1980er Jahre neben dem, fast dem Kampf gegen Windmühlen gleichenden Einsatz gegen die Strafrechtsparagraphen, vor allem in den Kampf gegen Aids. Reinhardt Brandstätter erkannte als HOSI Obmann und Arzt die Gefahr des Virus für die schwule Szene. Obwohl rasch klar war, dass das Virus keine Moral und auch kein Geschlecht kannte, waren in der Anfangszeit der Krise vor allem schwule Männer Opfer des Virus und Angriffsziel reaktionärer Kreise. Es ist dem besonnenen Handeln und klugen Lobbying der Männer und Frauen innerhalb der HOSI Wien um Reinhardt Brandstätter zu verdanken, dass die österreichische Politik trotz mancher Widerstände rasch und großteils ohne moralische Wertungen in die Präventionsarbeit investierte. Und es ist im Rückblick den organisierten lesbischen Frauen, die nicht in vorderster Front von Aids betroffen waren, zu danken, die sie ihre schwulen Freunde in diesem Kampf unterstützten. Nachdem ein zuverlässiger HIV-Test auf dem Markt war, war klar, dass eine Beratungsstelle gegründet werden musste, weil man die Betroffenen mit einem positiven Testergebnis, das in diesen Jahren ohne wirksame Medikamente oft mit einem Todesurteil gleichgesetzt wurde, unterstützen musste. 1985 öffnete das erste Büro der Aids-Hilfe in der Wickenburggasse im 8. Bezirk.
aids trifft alle
jeder hatte Freunde oder kannte Menschen, die infiziert waren. Plötzlich verschwanden bekannte Gesichter aus den Szenelokalen, es wurde gemunkelt, oder man bekam an der Bar die neueste Todesnachricht erzählt. Heute erinnert das Names Project Wien mit seinen Quilts – großen quadratischen Tüchern, die in Erinnerung an Verstorbene genäht wurden – an viele tote Freunde und Freundinnen. Viele hatten Angst vor Stigmatisierung und wagten es nicht über ihr Testergebnis zu sprechen, Andere gingen hingegen in die Offensive und engagierten sich, thematisierten Tod und Erkrankung. In der Rosa Lila Villa, die, nachdem die Bewohner_innen 1985 von der Gemeinde Wien einen Baurechtsvertrag für 30 Jahre erhalten hatten, generalsaniert wurde, setze sich z. B. Siegfried/Anton Felder künstlerisch mit seinem eigenen Tod auseinander und hinterließ ein heute leider teilweise zerstörtes Memento Mori im Stiegenausgang des Hauses. Er war auch maßgeblich an der Gestaltung des 1988 eröffneten Café Willendorf beteiligt, das nach der Sanierung der Villa zu einem beliebten Treffpunkt für Lesben und Schwule sowie ihre heterosexuellen Freunde werden sollte. Gerade weil drauf steht, was drin ist, weil die Villa ein deutliches Zeichen für die Sichtbarkeit von Lesben und Schwulen im Stadtbild ist, ist das Haus inzwischen eine Wiener Institution. Partner starben; Wohnungen mussten geräumt werden, weil der verstorbene Partner den Mietvertrag hatte; selbst das Besuchsrecht im Spital war umstritten; nach dem Tod durfte so mancher Lebenspartner nicht einmal zum Begräbnis des geliebten Menschen kommen, wenn es die Familie, die den wahren Grund des Todes oft verschwieg, dies nicht zuließ; - denn schwule Paare waren von Rechts wegen Fremde zueinander. Dies alles änderte die politischen Schwerpunkte: Schwule traten mit der Forderung nach „Ehe“, aber zumindest einem eheähnlichen Partnerschaftsrecht an die Öffentlichkeit und ernteten damit oft Unverständnis bei feministischen Weggefährtinnen, für die die Ehe das patriarchale Knebelungsinstrument schlechthin war. Doch die Realpolitik überholte die Ideologie – so tanzte der HOSI Aktivist Michael Handl, der wenige Jahre später an den Folgen von Aids verstarb, mit seinem Partner Friedl Nussbaumer bei der ersten Hochzeitsaktion 1989 auf dem Stephansplatz in ein neues Jahrzehnt.
Was sich junge Schwule heute kaum vorstellen können, war die unmittelbare Betroffenheit von HIV und Aids, selbst wenn man nicht mit dem Virus infiziert war. Fast
die achtziger
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wir sind jetzt eine kraft Ines Rieder wurde 1954 in Wien geboren, studierte Politologie und Ethnologie und ist seit den späten 1960er Jahren in der Frauen- und Lesbenbewegung aktiv. In den 1970er Jahren ging sie in die USA, erlebte in San Francisco den Aufbruch der Schwulen- und Lesbenbewegung aber auch die Katastrophe von Aids hautnah mit. Sie ist Autorin des ersten Buches über Frauen und Aids in den USA (Frauen sprechen über Aids, deutsch 1991). Weitere Bücher: Wer mit wem? (1994) und Heimliches Begehren (2000). Wann hast du zum ersten Mal von Stonewall gehört? Meine erste Erinnerung an Stonewall geht eigentlich auf die 70er Jahre zurück, da war ich in den Vereinigten Staaten. Aber diese Geschichte von lesbischwulen Kämpfen, das ist mir eigentlich erst in Kalifornien in seiner vollen geschichtlichen Größe und Dimension bekannt geworden. Also nicht aus Österreich? Also diese Stonewall-Sache, so wie sie eben damals wirklich passiert ist, da hätte ich jetzt keine Erinnerung, dass ich die damals wahrgenommen hätte. Wie waren die Erfahrungen der Lesben in der österreichischen Frauenbewegung? Was ich hier noch in Österreich mitbekommen habe, bevor ich nach Kalifornien gezogen bin, habe ich überhaupt generell den Eindruck gehabt, dass es eine sehr starke Polarisierung war, in jeglichem
Bereich, alle haben sich von den anderen abgegrenzt, sei es jetzt ob du Maoist warst oder Trotzkist oder Sozialist und genauso wars in der Frauenbewegung auch. Also diese ganzen Spaltungen. Eines, soweit ich das jedenfalls in Erinnerung habe, in Österreich gabs zwar immer wieder Diskussionen, aber diese Diskussion, Frauen und Lesben, wie sie zusammenarbeiten sollen oder wie sie sich aufgrund der sexuellen Präferenz dividieren - das hab ich dann wesentlich stärker in Kalifornien miterlebt, weil ich glaub dieser Diskurs ist hier wirklich erst gekommen so mit der Arena-Bewegung. Du hast das erste Buch über Frauen und Aids weltweit geschrieben. Worauf ging das zurück? Das kam aus einer persönlichen Geschichte heraus. Mein bester Freund aus Kalifornien war unter den ersten schwulen Männern, die sich da infiziert haben und der ist 1986 gestorben. Aus dieser Erfahrung heraus habe ich darüber zu schreiben
begonnen. Und habe dann darüber mit einer Verlegerin, mit einer Freundin von mir in San Francisco, gesprochen. Was wir damals ganz stark versucht haben, was sehr schwer war damals, auch Frauen zu finden, die HIV-positiv waren, und das andere, dass wir uns auch eben über das Thema Lesben und HIV auseinandergesetzt haben. Und das war sicher in dieser Konstellation einmalig. Ich habe den Eindruck, dass diese Zeit Lesben und Schwule richtig zusammengeschweißt hat. Ich glaub, die Aids-Krise und der Umgang damit, das war so die politische Schule für die Lesben und Schwulen, das war so ihre Möglichkeit sich zu profilieren. Und da wurden sie auch als Einheit wahrgenommen. Ich glaube, das war sowohl in den Staaten so als auch hier, und auch in anderen Ländern. In der Zwischenzeit hat sich das alles wieder verschoben, aber das war wirklich so die Möglichkeit zu sagen, wir haben politisches Wissen, wir haben
eine gesellschaftliche Position, die wir beziehen müssen und es gibt Ansätze im Gesundheitssystem, - in den Vereinigten Staaten ist das noch zehnmal wichtiger als hier in Europa – es gibt Schienen im Gesundheitssystem, wo wir uns ganz einfach positionieren müssen. Und da sind wir jetzt eine Kraft die das kann und wir ziehen andere auch mit. Also auch so ein gesellschaftlicher Dialog, der diesbezüglich entsteht. Was sicherlich auch war, und das war sicher auch der gute Punkt, dass sich auch Lesben eingebracht haben, das hat dann einfach auch diesen Druck weggenommen und auch die Augen geöffnet, dass das jetzt nicht eine Krankheit ist, die nur schwule Männer betrifft, sondern – wie sich in der Zwischenzeit herausgestellt hat – sondern es ist eher eine Krankheit, die arme Leute betrifft – oder jeden betrifft.
sich irgendwie treffen Dieter Schmutzer, 1953 in Wien geboren, machte nach seinem Studium der Theaterwissenschaften ein Diplom in Sexualberatung und –pädagogik. Er ist seit den ersten Tagen Mitglied der HOSI Wien und gründete deren Show-Truppe „HOSIsters“. Er engagierte sich auch früh in der Aids-Arbeit innerhalb der Aidshilfe Wien. Über die Szene hinaus wurde er durch seine Auftritte in der Ö3-Sex-Hotline bekannt. Heute arbeitet er für die Barbara-Karlich-Show. Wie hat sich dein Eintritt in die HOSI Wien gestaltet? Im Frühjahr 1979 kam Wolfgang Förster, mit dem ich schon viele Jahre befreundet gewesen war, eines schönen Tages zu mir und sagte: „Du, weißt du was, ich hab da eine Annonce aufgegeben, dass einfach so schwule Männer sich irgendwie treffen. Und magst du daran teilnehmen?“ Und es war dann das zweite Treffen, bei dem ich dann dabei war . Hattet ihr von Stonewall gehört? Einige hatten gehört, andere überhaupt nicht. Mir war Stonewall durchaus ein Begriff, was einfach damit zu tun hatte, dass ich immer ein sehr politisch interessierter Mensch war seit meiner Mittelschulzeit. Ich bin mir nicht sicher, ob ich die Ereignisse von Stonewall mitgekriegt hab, als es passiert ist. Da würde ich jetzt einmal sagen: nein. Da war ich 15 oder so und da hatte ich andere Interessen. Dann warst du ja auch bei den HOSIsters stark engagiert. Wie kam es zu dieser
Gründung? Ein paar Wahnsinnige haben sich hingestellt und ohne große Vorbereitung und ohne alles begonnen Arien zu schmettern, und das hat einfach Spaß gemacht. Und dann gab es eben ein paar, die gesagt haben, „Das wär’ doch was“, und wir haben dann bald danach die erste Produktion gemacht, die dann so ausgeschaut hat, dass wir uns zusammengesetzt haben und überlegt haben, wer täte gern was singen, einen Freund gefragt haben, der Klavier spielen kann, Noten besorgt haben, zwei Proben am Nachmittag gemacht haben und uns dann ins Gewühl gestürzt haben. Die HOSI hat sich später ja sehr früh schon in der Aids-Krise engagiert. Im März 1983 – also ganz ganz früh – war die HOSI Mitherausgeberin einer der ersten deutschsprachigen Aids-Informationsbroschüren (mit der Universitätshautklinik und dem Gesundheitsstadtrat in Wien damals) und hat sich seither dann immer mit der Thematik Aids befasst. Im Jahr 1985, also im Gründungsjahr der
Aids-Hilfe, hat vor allem der Reinhardt Brandstädter als HOSI-Obmann mit dem Ministerium Kontakt gesucht und hat ein Netzwerk betrieben. Man hat mit anderen gemeinsam dann überlegt, wie könnte man, nach deutschem Vorbild auch so etwas in diesem Land installieren. Sie haben ein Modell gebastelt, Statuten erstellt, als HOSI, als politische Vertretung mit einem Personen-Proponentenkomitee für den zu gründenden Verein AidsHilfe beim damaligen Minister Steyrer vorgesprochen, finanzielle Zusagen geholt, Unterstützungserklärungen eingeholt und daraus ist dann im Jahre 1985 die „Österreichische Aids-Hilfe“ entstanden. Das war kein Honiglecken. Die ersten Informationsgeschichten, die wir gemacht haben, Infostände, wo du beschimpft worden bist und gefragt: „Wen interessiert des? Des sollen sich die Warmen untereinander ausmachen.“ Du hast ja dann ein weiteres Betätigungsfeld erschlossen als sehr öffentliche Person, nämlich als langjähriger Sexualberater in den Medien bei Ö3 bis hin zur Barbara Karlich-Show. Wie hat sich die
Behandlung lesbisch/schwuler Themen verändert? Was sich verändert hat, ist schon bei vielen Menschen, dass Homosexualität nicht per se etwas ganz Grausliches, Furchtbares, Perverses, Krankhaftes ist, sondern dass das halt auch irgendwie Leut’ sind wie du und ich. Was ich für wichtig halte, ist aber, diese Veränderung bewusst zu machen. Das ist nicht so selbstverständlich. Und das muss ich jetzt als politischer Mensch einfach dazu sagen: Wenn wir nicht wahnsinnig aufpassen und am Ball bleiben, sondern uns zurücklehnen und sagen „Is’ eh a g’mahte Wies’n, es kann nichts mehr passieren“, fürchte ich, wird es oder kann es massive Rückschläge geben. In dem Maße wie bestimmte politische Kräfte und Parteien das Sagen kriegen, lege ich nicht meine Hand ins Feuer, dass wir nicht in ein paar Jahren wieder eine Situation haben, die an die späten 1970-er gemahnt, wo man um die einfachsten Rechte kämpfen muss. Und das will ich eigentlich nicht haben.
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Alles unter einem Dach Kurt Krickler wurde 1959 geboren und absolvierte ein Dolmetsch-Studium. Als Gründungsmitglied ist er heute noch in der HOSI Wien aktiv. Von 1997 bis 2003 war er als Vorstandsvorsitzender der ILGA-Europe tätig, seit September 2004 als Vorstandsmitglied der European Pride Organisers Organisation (EPOA). In Wien war er 1985 Mitbegründer und bis 1991 Mitarbeiter der Österreichischen Aids-Hilfe und ist auch heute noch im Aids-Bereich engagiert.
Was ist deine erste Erinnerung an „Stonewall“? Eigentlich erinnere ich mich gar nicht dran. Wie wir mit der HOSI 1979/80 begonnen haben, haben wir uns auch mit Geschichte insgesamt viel beschäftigt, von Ulrichs bis Kertbeny... Und da sind wir wahrscheinlich bald drüber gestolpert. Aber ich kann mich erinnern, dass wir schon 1981 einen Info-Stand am Karlsplatz Ende Juni gemacht haben – unter dem Motto „Stonewall“. Zum Jubiläum „15 Jahre Stonewall“ habe ich dann 1984 selber einen Artikel in den Lambda Nachrichten geschrieben. Was waren die deklarierten Ziele der ersten Jahren? Sehr vielfältig, weil es waren sehr viele Leute mit verschiedenen Ideen und Ansprüchen dabei, von der Theatergruppe,
der Zeitungsgruppe, politisches Lobbying. Aber dann gab’s natürlich auch Leute, die hauptsächlich Selbsterfahrung wollten – das war ja damals sehr modern. Wir haben dann aber eigentlich alles unter das Dach der HOSI Wien gebracht. Die Entkriminalisierung im Strafrecht – also Vereinsverbot, Werbeverbot, unterschiedliches Mindestalter usw. – hatte aber schon oberste Priorität. Und wir hatten eine wichtige soziale Aufgabe damals, denn das HOSIZentrum war ja die erste nicht-kommerzielle, nicht-subkulturelle Alternative, wo man einfach hingehen und sich zwanglos treffen konnte. Kurz nach Etablierung der HOSI brach die Aids-Krise aus. Ihr wart dann auch die ersten, die hier auch professionelle Aufklärungsarbeit geleistet habt. Die HOSI Wien war zu diesem Zeitpunkt, Gott sei Dank, schon relativ gefestigt.
Wir waren auch international schon gut vernetzt. Aber es war natürlich eine große Herausforderung, die wir, glaube ich, gut bestanden haben. Das kam ja in zwei Phasen. Die erste 1982-83 und dann hörte man ein Jahr lang relativ wenig. Wirklich losgegangen ist es dann 1985, als die HIVTests auf den Markt kamen. Der wurde in der Anfangszeit selbst getestet, ob er funktioniert. Und da hat die HOSI Wien gemeinsam mit Dr. Hutterer und anderen Ärzten eine Teststudie gemacht. Das waren über 300 Leute, die daran teilgenommen hatten. Und nach zwei Monaten saßen wir dann auf über 60 positiven Befunden. Da war uns klar, wenn diese Leute jetzt ihre Befunde bekommen, werden wir eine professionelle Beratungsstelle brauchen. Und dann haben wir an deren Umsetzung gearbeitet und 1985 die Österreichische Aids-Hilfe gegründet.
um eingetragene Partner_innenschaften enorm beschleunigt. Es war sicher ein Auslöser, aber es wär auch sonst gekommen. Die HOSI Wien ist dann auch unter Zugzwang gekommen, weil es war ihr ja bis dahin kein großes Anliegen gewesen. Wir haben inzwischen einen recht pragmatischen Ansatz dazu: Auf der einen Seite beklagen wir diese Heteronormativität, die uns aufgezwungen wird, auf der anderen Seite haben wir nichts besseres zu tun, als auf Punkt und Beistrich die Heteronormen zu übernehmen. Aber man kann halt nur hoffen, dass es was Besseres und Moderneres wird als die Ehe. Wie es ausschaut, kriegen wir aber die eingetragene Partner_innenschaft mit dem völlig altmodischen Scheidungsrecht, aber da müssen sich dann die Leute selber überlegen, was sie wollen.
Die Aids-Krise hat ja auch die Diskussion
so wie die wilde wanda Waltraud Riegler ist eine der frühen Aktivistinnen der HOSI-Wien-Lesbengruppe und war in der 1990er Jahren auch Obfrau der HOSI Wien. Heute arbeitet sie als Erwachsenenbilderin in Wien. Was war für dich, als du Ende der 70er Jahre nach Wien gekommen bist die Motivation, dich der kleinen Frauengruppe in der HOSI anzuschließen und nicht den lesbischen Teilen der Frauenbewegung? Als ich 1979 aus dem Burgenland nach Wien kam, hab ich angefangen zu studieren und war aber sehr unzufrieden mit mir. Ich hab’ dann Kontakte geknüpft zu literarischen Frauengruppen. Im Falter hab ich dann das Inserat gelesen, dass es eine Lesbengruppe gibt und bin dann mit klopfendem Herzen in die Novaragasse gefahren. Dort hab ich angeläutet und war dann sehr erstaunt darüber, dass in dieser Frauengruppe ganz normale Frauen gesessen sind, weil mein Bild, das ich so in den 70er Jahren mitgekriegt hatte, war dass Lesben kriminelle Frauen waren – so wie die wilde Wanda. Die wilde Wanda war eine bekannte lesbische Frau, die eine Menge Frauenbeziehungen gehabt hat und ihre Freundinnen angeblich auch auf den Strich geschickt hat, wilde Schlägereien provoziert hat und mit dem Gesetz in ständigem Konflikt war. Ich war dann lange in der HOSI-Lesbengruppe aktiv und bin Mitte der 80er Jahre zur Lesbendelegierten gewählt worden. Da hab’ ich erst begonnen, in die politische Arbeit
hineinzuwachsen. Wo du dann auch mit den HOSI-Männern zusammengearbeitet hast. Für mich war von Anfang an klar, dass Lesben und Schwule etwas gemeinsam haben. Und dass es sinnvoll ist, gemeinsam gegen Diskriminierung anzukämpfen, gemeinsam zu marschieren und gemeinsam unsere Anliegen nach außen zu vertreten. Aber gleichzeitig war mir auch klar, dass die lesbischen Frauen ein eigenes Platzerl, eigene Räumlichkeiten und eigene Treffen brauchten – und das hat es in der Novaragasse gegeben. Das war zur damaligen Zeit ein bisschen unüblich: Die lesbischen Frauen waren sehr feministisch und autonom engagiert und haben für sich gekämpft. Für mich war der Weg aber nicht optimal, ich fand, wir müssen gemeinsam kämpfen. Und, vor allem, wir müssen auch die Lesben innerhalb der Homosexuellenbewegung sichtbar machen. Anfang der 90er Jahre bist du zur ersten Obfrau der HOSI Wien gewählt worden. In Österreich ist etwas ganz Spezielles passiert im Gegensatz zu Deutschland, wo Lesben und Schwule separat für ihre
Anliegen gekämpft haben. Hier ist man zusammen marschiert und ich denke, dass das hilfreich war. Auch für die lesbischen Frauen, dass Männer ihre Anliegen mittransportiert haben. Du hast dann das Thema NS-Verfolgung sehr stark in die Bewegung getragen und Lesben und Schwule über diese Vergangenheit informiert. Eine wesentliche Arbeit in den 1980er Jahren war der Kampf gegen die bestehenden Strafrechtsparagrafen. Was noch dazu kam, waren nicht nur diese Bestimmungen, sondern auch der Wunsch, dass schwule KZ-Opfer in das Opferfürsorgegesetz ausgenommen werden. Mir war es immer ein großes Anliegen, auf diese Zeit hinzuweisen. Wir sind dann immer auch zu den Befreiungsfeiern nach Mauthausen gefahren – da gibt’s ja den Gedenkstein für die homosexuellen Opfer, und mussten dort immer wieder furchtbare Aussagen über uns ergehen lassen. Ein KZ-Überlebender sagte uns dort den Satz „Abartigkeit hat kein Recht auf Wiedergutmachung!“. Durch diese Erlebnisse habe ich gemerkt, man muss wesentlich mehr machen und wesentlich mehr Aufklärung betreiben.
Es ist in der Lesben- und Schwulenbewegung leider so, dass vieles aus der Geschichte nicht bekannt ist. Aber ich finde es für unsere Identität so wichtig zu wissen, wie es Lesben und Schwulen im 19. Jahrhundert ergangen ist, wie es ihnen Mitte des 20. Jahrhunderts ergangen ist, was es bedeutet hat, als Lesbe oder als Schwuler zu leben. Das hat bedeutet, im Untergrund zu sein, in ein KZ zu kommen – das konnte dazu führen, dass man umgebracht wurde. Dass man vieles verschweigen musste, dass man sich nie dazu bekennen konnte – und das finde ich auch sehr wichtig für junge Lesben und Schwule, sich dessen bewusst zu werden. Dass sozusagen dieses Leben, das sie jetzt führen können, mit den vielen Lokalen, mit der tollen Infrastruktur, mit Filmen, die Homosexualität nicht verschweigen, sondern zum Thema machen und Medien, die über Lesben und Schwule berichten: Dass das nicht vom Himmel gefallen ist, sondern sich aus der Geschichte entwickelt hat. Vom Totschweigen über den aufrechten Gang bis zur eigenen Sichtbarmachung.
die achtziger
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Vom Abendkleid in die Lederkluft Peter Holub, in Wien geboren, war in den 1970er und 1980er Jahren DER Lederschneider der Stadt. Als Kostümschneider arbeitete er für alle großen Theater und Festspiele Österreichs. Gemeinsam mit seinem Partner Alkis Vlassakakis gründete und finanzierte er das Szenemagazin Bussi. Kannst du dich an Stonewall erinnern? In meiner frühen schwulen Zeit hab ich nichts davon gehört. Da war das kein Begriff für mich. Wie ist man denn zu Informationen gekommen? Über Freunde, die herumgereist sind und dann mit irgendwelchen Informationen nach Hause gekommen sind. Du warst schon in der Verbotszeit aktiv? Hast du dieses Lebensgefühl noch mitbekommen? Ja natürlich! Ich hab mit vierzehn meinen ersten fixen Freund gehabt. Der war 18 Jahre älter als ich und Lehrer. Ich hab das alles genau mitgekriegt, dass der jeden Moment abgeführt werden kann und praktisch mit zwei Füßen im Gefängnis steht. Und ich dazu. Hast du die Anfänge der Schwulenbewegung und die Arena mitbekommen? Ja, dadurch dass ich ab und zu zur HOSI
in die Margaretenstraße [Anmerkung: ins Treibhaus] marschiert bin, habe ich natürlich ein bisschen was mitbekommen. Es hat sich ja sonst damals alles privat abgespielt, ein paar Lokale hat es gegeben. Im Quick haben wir einen Stammtisch gehabt mit der „Flickenschild“ und der „Archimeda“. Die waren damals ein Paar und haben die irrsten Bälle gegeben in Wien. Da wurde die Wohnung ausgeräumt und dann sind 50 Leute gekommen – und haben Ball gemacht, alle in Fetzen natürlich. Den legendären Bal paré hast du auch besucht? Ja, natürlich! Die ersten drei waren, glaube ich, im Parkhotel Schönbrunn. Gab´s da kein Problem mit der Öffentlichkeit, mit dem Hotel, haben da alle mitgespielt? Ja, die haben alle mitgespielt. War kein Problem. Die meisten Hotelzimmer waren eh ausgebucht, weil sich die Gäste umgezogen haben oder sich ein Zimmer für die Nacht genommen haben. Und dadurch
waren ja auch kaum andere Gäste da. Ich glaub, die haben einen guten Schnitt gemacht mit uns damals. In der Zeit hab ich dann mehr Kontakt mit der HOSI gehabt und bin selber sozusagen vom Abendkleid in die Lederkluft gesprungen. Jede Woche ein anderes Ballkleid – das ist mir so was von auf den Geist gegangen! Du hast dann begonnen, anderen die Lederkluft anzumessen. Ich hab mich selbstständig gemacht, bin in die Graf-Starhemberg-Gasse gezogen – eigentlich nur, weil ich mich in ihren Keller verliebt hatte. Und ich dachte mir, was machst du mit dem? Und nachdem es in Wien eh keine Lokale gegeben hat, machten wir so was, wo man sich nach der Arbeit traf, bevor man dann weiterging. Da unten hatte ich auch, glaube ich, den ersten schwulen Sex-Shop. Also da bin ich wochenlang am Zoll gesessen und hab dem Zöllner erklärt, wozu man so große Dildos braucht. Ja, und ich hab dann Bier und andere Getränke zum Selbstkostenpreis hergegeben.
Dann haben wir die LMC da unten gegründet und auch begonnen, erste kleine Touren zu organisieren. Das Ganze ist aber dann bald in eine ziemliche Vereinsmeierei ausgeartet. Und das brauchte ich wirklich nicht. Und dann hat auch der Stiefelknecht aufgesperrt und wir haben ein Ausweichlokal gehabt und meins wurde nicht mehr gebraucht. Die Lederszene hat sehr früh auf die Aids-Krise reagiert, was Aufklärung und Prävention betrifft. Wie ist das eingesickert? Leider sehr schnell. Man hat von den ersten Fällen gehört und dann, wie man sich schützen kann. Man hat versucht, Informationen zu kriegen. Und da gab’s relativ wenig. Da sich mein damaliger Freund auch infiziert hatte, ist die Aufklärung dann aber auch schnell gegangen. Und dann hat man halt auch jede freie Minute daran mitgearbeitet, Aufklärung zu verbreiten.
Eigentlich ganz ganz fürchterlich Sepp Engelmaier wurde in Maissau, NÖ, geboren und lebt heute in Wien. Er gehört zur Gründergeneration der LMC Vienna (Leather & Motorbike Community) und setzte sich früh in der Aids-Arbeit ein, wobei er sein Talent als Grafiker nutzte und immer wieder Aufklärungsmaterial entwarf. Seit Jahren ist er als Künstler unter dem Namen Sepp of Vienna weit über die Grenzen Österreichs bekannt. Was ist deine erste Erinnerung an Stonewall?
ganz fürchterlich. Das war unvorstellbar, ja, das war für mich Mittelalter eigentlich.
Also Stonewall kam für mich später – nach meinem Coming-Out. Man hat was mitbekommen, aber Amerika war damals noch weit weg – für mich zumindest. Ich hab immer von Freunden gehört, die viel rübergefahren sind. Aber vom Politischen her habe ich das erst viel später registriert.
Welche Lokale waren das?
Wo waren deine Anlaufstellen in der Szene zu dieser Zeit? Der Beginn – das hat mit meinem Coming-out zu tun gehabt – war 1974, da hab ich dann gesucht und geschaut, ob es was gibt. Bis dahin hab ich wirklich geglaubt, ich bin der einzige Mensch! Und draufgekommen bin ich eigentlich in München, wo ich am Bahnhofskiosk das Du & Ich oder irgend so etwas oder auch das HOM entdeckt habe. Und zufälligerweise war da grad ein Artikel über Wien und was es in Wien gibt. Ich war ganz überrascht, dass es auch in Wien Lokale gab, und dann bin ich halt auf die Suche gegangen. Die waren alle ganz versteckt und eigentlich ganz
Ich kann mich ganz genau an die Lokale erinnern, aber an die Namen überhaupt nicht. Die waren so obskur. Das eine hab ich dann bezeichnet als chinesischen Heurigen, das war irgendwo im Achten, bei der Laudongasse oder so. Es dürfte einmal ein Kino gewesen sein, so Riesenhallen waren das, drinnen sind Heurigenbänke und Heurigentische mit karierten, rotweiß karierten Servietterln in der Mitte, wo der Aschenbecher drauf gestanden ist und so was. Es gab sogar einen DJ, also jemanden, der Platten aufgelegt hat – und das wurde als Lokal verkauft, als schwules. Also für mich war das entsetzlich. Das nächste war dann, da hab ich davon gelesen, in der Schönlaterngasse oder in der Bäckerstraße. Die Weinstub’n hat es geheißen und hat dann als Hyde Park aufgemacht. Ich bin da tagelang vor dem Lokal – da gab so eine Seitengasse – herum gecruised, geschaut, wer geht
dort rein und dann hab ich meinen Mut zusammen genommen und bin über die Straße und wollte rein. Dann bin ich vor verschlossener Türe gestanden – es ist gestanden „Wegen Umbau geschlossen“ – und in ein paar Wochen wurde es dann als Hyde Park aufgesperrt. Am nächsten Tag war ich gleich wieder drin, weil’s so toll war für mich. In den 1980er Jahren passierten ja auch die ersten Vereinsgründungen in der Lederszene. Wie hast du das erlebt? Nach den ersten informellen Motorradausflügen entstand so der Wunsch, ein bisschen mehr draus zu machen. Der Peter Holub und sein Freund haben dann den Verein LMC gegründet. Ich hab dann später die Organisation übernommen, hab das ganze LMC Vienna genannt und hab das so über die nächsten zehn Jahre betrieben. Also das war damals ein reges Community-Leben. In der Außensicht war dann die LMC angesichts der Aids-Krise eine sehr aktive Gruppe, sowohl was Präventionsarbeit,
als auch was Hilfe und Selbsthilfe anbelangt. Wir waren damals eine Gruppe, die auch viel Schifahren ging, und da war ein Arzt dabei, der sich sehr engagiert hat. Der hat die Leute aufgefordert mitzukommen und eine Blutuntersuchung zu machen. Man wusste ja fast noch gar nichts. Die Lederszene hat sich dann bald sehr gut organisiert gehabt, ich als Grafiker hab die ganzen Flyer und Plakate für die Clubs gemacht. Über die internationalen Gruppen gab’s dann auch Zusammenarbeit, vor allem mit den Schweizern, die eine Safer-Sex-Broschüre für Ledermänner herausgebracht haben. Was hat für dich eine Lesben- und Schwulenvertretung über die Jahrzehnte bedeutet? Damals war es einfach eine politische Notwendigkeit, in Gruppen zu sein oder mitzutun, sich zu engagieren, weil es einfach politisch irrsinnig schwierig war. Wie die Situation wirklich früher war für Schwule, kann sich keiner mehr vorstellen.
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DIE 90ER Die schwul-lesbische Community splittert sich in Sub-Szenen auf und bekommt zahlreiche Medien und das Internet. Die Party-Szene feiert den großen Durchbruch. Das Rechtskomitee Lambda wird gegründet und viele Forderungen finden Eingang in die Parteipolitik. Die erste Regenbogenparade findet 1996 statt und für HIV-Infizierte gibt es erstmals wirksame Medikamente. Waren die 1980er Jahre das Jahrzehnt des Aufbruchs und der Professionalisierung der schwul-lesbischen Community, die vor allem dadurch befördert wurde, weil Lesben und Schwule in der Aids-Arbeit eine Expert_innen-Stellung zugesprochen bekamen, so war das letzte Jahrzehnt des Jahrtausends besonders durch Diversität und die Aufsplitterung in viele Sub-Szenen geprägt. Gab es zwischen Lesben und Schwulen schon immer Bereiche und Orte, in denen es keine Überschneidungen oder Zusammenarbeit gab, beginnen sich im Laufe des Jahrzehnts sowohl bei den Frauen als auch den Männern oft eng definierte Räume zu bilden, in denen man unter Seinesgleichen war. Fand früher eine Durchmischung in den wenigen Lokalen statt, bilden sich nun Treffpunkte für die jeweiligen Spezialinteressen heraus. Schwule Ledermänner haben dabei kaum noch Berührungspunkte zu trendigen Jungschwulen, wie diese um Bärentreffs einen weiten Bogen machen. Und was verbindet Lesben, die scharenweise einer heteronormativ konnotierten und konservativen Freizeitbeschäftigung wie dem klassischen Paartanz frönen, mit Doppelaxt schwingenden Butch-Dykes, die im Holzfällerhemd Männerdomänen erobern? Bereits 1989 ging aus Walter’s Club die Institution des schwulen Partylebens hervor: das Heaven im U4, das noch heute unter der Ägide von Holger Thor wöchentlich im Camera Club stattfindet. Daneben entwickelte sich eine vielfältige Clubbing-Szene in oft wechselnden Locations, vom Volksgarten bis zur Ottakringer Brauerei, von der Innenstadtdisco bis zum Technischen Museum, die man für ein Fest adaptierte. Vermehrt mischten auch lesbische DJanes mit. Die Party-Macherinnen von Female Planet mit ihren DIVA Parties, Queer Junction, FM-Queer, die Frauen des DJane-Netzwerks Quote – sie alle bereicherten das Angebot in Wien. Gegen Ende des Jahrzehnts lösten sich im Sinne von queer die strikten Gendergrenzen auf. Die von Aktivist_innen der alten Schule erkämpften Identitäten begannen sich in Kontexten wie der jungen Clubszene oder den der Queer Theory nahestehenden politischen Gruppen wieder aufzulösen. Bevor es aber
Festivalplakat “Wien ist andersrum“ 1996
soweit war, arbeiteten Lesben und Schwule noch an ihrer Sichtbarkeit in der Gesellschaft. Zu diesem Zwecke war die Wahrnehmung in den Medien unumgänglich. Erregten in den Mainstream-Medien zuerst vor allem schwule Aids-Opfer von Rock Hudson bis Freddy Mercury Aufsehen, musste bald in jeder TalkShow, die auf sich hielt, über Lesben und Schwule diskutiert werden, wobei exaltierten Schwulen gegenüber oft politisch argumentierenden Lesben der Vorzug gegeben wurde. Aber auch eigene Medien sollten für Öffentlichkeit sorgen. Neben den Lambda Nachrichten der HOSI Wien, dem sporadisch erscheinenden Lesbenrundbrief und den auch schon in den frühen 1980er Jahren gegründeten und
Heaven Plakat, 1991
je nach Redaktionsteam mehr oder weniger lesbischen an.schlägen kam es fast zu einer Flut von schwulen oder schwul-lesbischen Printprodukten: tamtam – die Zeitung aus dem Lesben- und Schwulenhaus, die später als Die V. weitergeführt wurde; das heute noch monatlich verteilte Gratismagazin XTRA!, das feministische Magazin [sic!], oft nur kurzlebige Schwulenmagazine wie Connect, Rainbow News, Rainbow Life, G, oder das Bussi. Eine Gemeinschaftsproduktion aus Linz und Graz ist das Vereinsmagazin Pride. Hochglanzpostillen wie gib oder das Gratismagazin Coxx haben erst kürzlich ihr Erscheinen eingestellt. Als schwules Life-Style-Magazin erscheint monatlich noch Name It, das entweder den Namen des Abonnenten trägt oder am Kiosk als Daniel, Alexander,
die neunziger
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Der größte Rosa Winkel der Welt auf dem Stephansplatz, 1991
Günter Tolars Outing in News, 19992
Beschlagnahmte Safer Sex Broschüre der Deutschen Aids Hilfe, 1990
Sebastian usw. erhältlich ist. In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre hatte allerdings die rasche Verbreitung des Internet die lesbische und schwule Kommunikation grundlegend verändert. Neben Infoseiten wie gay.or.at oder lesbian.or.at eroberten Datingportale, die sich mit Infohappen schmückten, den Markt. Jeder Verein, jede Institution und jede schwul-lesbische Parteiorganisation hat heute ihre entsprechenden Seiten, wie auch Wien Tourismus ein eigenes Portal mit Informationen für schwule und lesbische Tourist_innen unterhält. Aber 1991 ging man noch traditionelle Wege, als sich Helmut Graupner von der HOSI Wien trennte und das Rechtskommitee Lambda (RKL) ins Leben rief. Als überparteiliche Organisation war das RKL sogar bereit, Mitglieder der von der Emanzipationsbewegung zu Recht geschmähten FPÖ in ihr Kuratorium aufzunehmen. Die Verdienste des RKL bei der rechtlichen Unterstützung von Opfern der § 209 und später § 207 darf trotzdem nicht unterschätzt werden. Als Experten_innen, die auch die internationale Rechtsentwicklung im Auge haben, sind die Mitarbeiter_innen des RKL zu einer wichtigen NGO (Non Governmental Organisation) Österreichs geworden. Obwohl die Zahl der Neuinfektionen aufgrund funktionierender Präventionsarbeit rückläufig war, blieb Aids auch Anfang der 1990er Jahre unter Schwulen ein wichtiges Thema. Innerhalb der Politszene wurde über personelle Besetzung und Ausrichtung der Aids-Hilfe gestritten, Selbsthilfegruppen wie Positiv Leben engagierten sich für Betroffene und im Dezember 1992 sorgte ein NEWSCover für hitzige Debatten: Mister Made in Austria [ein beliebtes ORF Quiz aus den 1980er Jahren] Günter Tolar outete sich als schwul. Zu diesem Schritt bewogen hatte ihn der Selbstmord seines Partners, der nach einen positiven HIV-Testergebnis und der dadurch verursachten möglichen gesellschaftlichen Ächtung das Leben genommen hatte. Tolar nützte als Sozialdemokrat in der Folge seine Bekanntheit um öffentlichkeitswirksam für homopolitische Reformen innerhalb der SPÖ einzutreten. Trotzdem waren der SPÖ in all den Jahren der Koalition mit der ÖVP Lesben und Schwule nie wichtig genug, als dass sie die Abschaffung der diskriminierenden Strafrechtsparagraphen oder gar eine vernünftige Regelung für
Plakat der 1. Regenbogenparade 1996
Partnerschaften durchgesetzt hätte. Mehrheiten hätte es mit den Grünen und dem Liberalen Forum, das ab 1993 in der österreichischen Politik für einige Jahre einen gesellschaftspolitischen Aufwind brachte, mehrmals gegeben. Bei einer entscheidenden Abstimmung verließen die SP-Abgeordnete allerdings das Plenum.
1993 – Wien startet durch Mit dem Liberalen Forum unter Heide Schmidt bekamen auch Lesben und Schwule in der politischen Diskussion eine neue Kraft, die ihre Anliegen unterstützte. Das Liberale Forum war auch die erste Partei, die mit Anders L(i)eben einen eigenen Arbeitskreis für und mit Lesben und Schwulen hatte. Die SPÖ folgte diesem Vorbild bald mit der Gründung der SoHo – Sozialdemokratie und Homosexualität. Die Grünen waren mit den Grünen Andersrum zwar die letzten, sind aber heute die bei weitem aktivste Parteiorganisation und stellen unter anderem mit Ulrike Lunacek als Europaabgeordnete und Marco Schreuder als Wiener Gemeinderat auch als einzige Partei offen lebende Lesben und Schwule in zentralen politischen Funktionen. Von viel größerer Tragweite war in diesem Jahr aber ein Ereignis, das im Wiener Rathaus stattfand: der erste Life Ball. Gery Keszler konnte den Wiener Bürgermeister Helmut Zilk überzeugen, ihm für diesen schrägen und schillernden Charity-Event, der sich mit den Jahren zu einem bedeutenderen Aushängeschild Wiens in der Welt als der Opernball entwickeln sollte, zu überlassen. Der Erlös des ersten Jahres betrug 1,1 Millionen Schilling, heute bringt ein Abend mehr als das Zehnfache und die Liste der internationalen Stars, die dem Life Ball ihre Aufwartung machten, übertrifft alle Events die in Österreich je stattgefunden haben. 1993 eröffnete aber auch die erste schwule Buchhandlung Österreichs: die Buchhandlung Löwenherz (seit Schließung der Frauenzimmer-Buchhandlung auch mit einem umfangreichen lesbischen Sortiment) und das erste schwule Tagescafé Wiens, das Café Berg, das bald zu einem beliebten Treffpunkt für trendige Schwule, Lesben und ihre Freund_innen wurde. Homosexualität wurde zu einem Thema für die Society-
Spalten, wobei Lesben dabei praktisch nie vorkamen. „Lesben sind immer und überall“ hatten Lesbengruppen anlässlich des Internationalen Frauentags bereits 1988 auf Wiener Straßenbahnen plakatieren wollen, doch lehnte die Gewista den Spruch als sittenwidrig ab, worauf die engagierten Lesben klagten. Sie bekamen zwar in zwei Instanzen Recht, doch lehnten dann die Wiener Linien ab andere weibliche Fahrgäste könnten sich abgestoßen fühlen, man könne ihnen den Spruch daher nicht zumuten. 1993 fand das letzte von insgesamt neun österreichischen Lesbentreffen statt. Eine eigenständige Lesbenbewegung fand aufgrund mangelnden Interesses der Frauen nicht mehr statt. Der Lesbenrundbrief wurde eingestellt, erst 2006 gab es wieder Versuche, ein eigenständiges Lesbentreffen zu organisieren. Bevor sich junge Lesben mit einem queeren Diskurs etablieren konnten, spalteten Diskussionen über transsexuelle Frauen, ob diese als Trägerinnen von XY-Chromosomen Frauenräume überhaupt betreten dürfen, in den späten 1990er Jahren die lesbische Szene. Die Lesbenbewegung hatte sich damit zum Teil selbst marginalisiert. Viele Lesben engagierten sich währenddessen in gemischten Zusammenhängen. 1994 organisierte Barbara Reumüller mit Unterstützung der Viennale “trans-X. Eine filmische Identity Tour” im Filmcasino und bot damit in homokulturell dürftigen Zeiten einen Lichtblick. Im Jahr 1995 wurde ein neuer Verein gegründet: Trans X, um sich für die Rechte transsexueller Frauen und Männer einzusetzen. Heute ist es selbstverständlich Transgenders in allen homopolitischen und queeren Zusammenhängen mitzudenken, Mitte der 1990er Jahre waren öffentliche Diskussionen über Namensrecht, Geschlechtsanpassung und die Normativität von Geschlechteridentitäten ein Novum. Umso mutiger war das Auftreten einiger weniger Kämpfer_innen, die sich auch in Vereinen wie dem ÖLSF (Österreichisches Lesben- und Schwulenforum) oder bei der Regenbogenparade tatkräftig engagierten. Medial stand 1995 hingegen ganz unter dem Eindruck der Affäre Hans-Hermann Groer und dem BischofsOuting durch Kurt Krickler. Der Wiener Erzbischof war beschuldigt worden, Zöglinge eines Konvikts sexuell missbraucht zu haben, was zu einer breiten Debatte über
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Renate Brauner, Gela Schwarz, Wolfgang Wilhelm und Sonja Wehsely hissen den Red Ribbon am Rathaus
Safer Sex Broschüre für Lesben, 1997
identities Plakat, 1998
Messe mit Johannes Wahala
die verlogene Sexualmoral der katholischen Kirche führte und schließlich Kurt Krickler dazu veranlasste, die Kirche zu provozieren, indem er vier österreichische Bischofe als homosexuell outete. Damit fand eine seit längerem schwelende Diskussion über den Umgang der Kirchen mit Homosexualität einen ersten Höhepunkt. Der Verein HuK – Homosexualität und Kirche, woraus später der interkonfessionelle Verein HuG – Homosexualität und Glaube hervorging, kämpfte um die Anerkennung von Homosexuellen durch die großen Kirchen, wobei die katholische von ihrer radikal ablehnenden und menschenverachtenden Haltung, die auch die Ablehnung von zivilrechtlichen Partnerschaftsregelungen beinhaltet, bis heute keinen Millimeter abwich. Die evangelischen Kirchen stehen heute Lesben und Schwulen differenzierter gegenüber: So werden bei der reformierten Kirche Helvetischen Bekenntnisses (H.B.) homosexuelle Paare bereits gesegnet, bei den Lutheranern (Augsburger Bekenntnis, A.B.) nicht. Für die Segnung homosexueller Paare tritt heute auch die Altkatholische Kirche in Österreich ein. Im Oktober 1997 kam es innerhalb der katholischen Kirche zum Skandal: Johannes Wahala hatte als katholischer Priester schon seit 1996 ökumenische JuniaGottesdienste abgehalten. Als ihm Erzbischof Christoph Schönborn verbot, diese in katholischen Kirchen zu feiern, übersiedelte Wahala in einer medial Aufsehen erregenden Aktion die Messe in den Kanal des Wienflusses beim Stadtpark, um gegen die Ausgrenzung zu protestieren. Postwendend enthob ihn Schönborn darauf hin seines Amtes und erteilte ihm Schweigegebot zum Thema Homosexualität.
1996 – drei Meilensteine Unter dem Motto Sichtbar ´96 sammelte sich schon 1995 eine Gruppe schwuler Männer, um endlich auch in Wien eine CSD-Parade nach internationalem Vorbild zu organisieren. Ohne Erfahrung mit der Organisation von Großevents übernahm für kurze Zeit Christian Michelides vom ÖLSF (Österreichisches Lesben- und SchwulenForum) zusammen mit einigen Mitstreitern den Gang durch den Bewilligungsdschungel. Ohne Unterstützung durch die Gemeinde Wien hätte es aber auch das Kleeblatt Günter
Gela Schwarz bei einer Demo
Strobl, Veit Georg Schmidt, Hannes Sulzenbacher und Andreas Brunner nicht geschafft, die erste Regenbogenparade, für die Mario Soldo den Namen erfand, damals noch nicht andersrum über die Wiener Ringstraße zu führen. Als sich die teilnehmenden Gruppen am 29. Juni 1996 am Schwarzenbergplatz sammelten, wagte keiner zu sagen, was sie oder ihn erwarten würde. Doch tausende Menschen säumten den Weg. Der Bann war gebrochen. Im Vorfeld der Parade trat Identities erstmals unter neuem Namen auf und auch das erste Festival Wien ist andersrum (WIA) fand statt, das mit seinen Plakaten und den Stars aus der deutschen Entertainment-Szene Furore machte: die Geschwister Pfister, Lilo Wanders oder Georgette Dee. Einen publizistischen, wenn auch umstrittenen Höhepunkt erreichte WIA im Jahr 2000, als eine Plakataktion gegen die schwarz-blaue Bundesregierung unter Wolfgang Schüssel und Jörg Haider mit Sujets wie „Jörg ist schwul“ oder „Wolfgang ist eine richtige Sau“ nicht nur die schwullesbische Szene spaltete. Ein wichtiges Anliegen des Festivals war auch die Förderung heimischer Künstler_innen. Die Villa Valium und Chanteuse Lucy McEvil feierten bei WIA ihre ersten Triumphe. Zu Europride bespielte das Festival unter der Leitung von Jochen Herdieckerhoff und Hannes Sulzenbacher einen Monat lang ein Festzelt auf der Votivparkwiese und sorgte für Sichtbarkeit und tiefgründige Unterhaltung vom anderen Ufer. 1996 bedeutete aber auch für viele HIV-Infizierte eine Wende. Die Kombinationstherapie kam auf den Markt und rettete vielen Infizierten das Leben. HIV und Aids wurden damit zu einer behandelbaren Krankheit , was viele zu einem sorglosen Umgang mit Safer Sex Regeln verleitete. Bareback – Sex ohne Gummi – wurde zu einem Schlagwort der Jahrtausendwende. Viele vergessen beim kurzen Spaß aber die Nebenwirkungen der Medikamente, die das HI-Virus in Schach halten, zudem sind Resistenzen gegen Bestandteile des Medikamentenmix keine Seltenheit, was die Behandlung schwierig und in manchen Fällen sogar unmöglich macht. Mit der Eröffnung des Aids-Hilfe-Hauses zum Weltaids-Tag 1997 am Mariahilfer Gürtel setzte die Gemeinde Wien einen Meilenstein. Prävention, medizinische aber auch die soziale Betreuung Betroffener wurde unter einem Dach vereint.
Die Aufsplitterung und Kommerzialisierung der schwulen Szene setzte sich in der 2. Hälfte des Jahrzehnts fort: 1998 eröffnete die LMC Vienna ihr Clublokal [lo:sch], 1999 fand der 1. Bärenkongress statt, neue Lokale öffneten und schlossen wieder, darunter auch heute bereits legendäre Projekte wie das lesbisch geführte aber gemischt besuchte Orlando. 1998 erschien mit Schwules Wien der erste schwule Reiseführer durch die Donaumetropole. 2001 folgte Lesbisches Wien nach. Auch die politische Community fächerte sich auf. Neben die alteingesessenen Organisationen traten nach den Parteiorganisationen eine Reihe von Gruppen, die durch die Bank alle von Lesben und Schwulen gemeinsam betrieben werden: die Rosa Antifa trat mit vereinzelten Aktionen an die Öffentlichkeit. Erste Uni-Gruppen organisierten Vorträge und förderten den wissenschaftlichen Diskurs. Das ÖLSF versuchte die Gründung eines Dachverbands aller lesbischen und schwulen Organisationen Österreichs und beeindruckte mit witzigen Aktionen, wie den Aufklebern zur Bundespräsidentschaftswahl 1998, als sie die Erste lesbische Bundespräsidentin und den Ersten schwulen Bundespräsidenten vorstellten. Darüber hinaus entwarf das ÖSLF als erste Organisation ein neues Partnerschaftsrecht, das mit einem neuen Rechtsinstrument jenseits der Ehe hetero- und homosexuelle Paare gleich behandeln sollte. Die Gemeinde Wien gründete 1998 die Antidiskriminierungsstelle für gleichgeschlechtliche Lebensweisen, die aber nur für Gemeindebedienstete beratende Funktion hat. Und mit Ulrike Lunacek hatte das österreichische Parlament 1999 erstmals eine offen lesbische Abgeordnete. Alles paletti also zur Jahrtausendwende? Mitnichten. Das Vereinsverbot und der Werbeparagraph waren 1996 zwar als totes Recht abgeschafft worden. Der § 209 war aber nach wie vor in Kraft, von einem wirksamen Antidiskriminierungsgesetz und zeitgemäßen Partnerschaftsregelungen war Österreich noch weit entfernt und wird es durch den Rechtsruck der schwarzblauen Regierung ab 2000 auch noch bleiben. Gemischte Aussichten also gegen Ende des Jahrtausends – trotz aller Erfolge!
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Wahlwerbung ÖLSF, 1998
Names Project Wien: Quilt-Quadrat
in meiner glaubensgemeinschaft nicht möglich Johannes Wahala ist geweihter katholischer Priester, Theologe und Psychotherapeut. Er setzte sich als aktiver Pfarrer für die Anerkennung Homosexueller in der katholischen Kirche und für deren Segnung ein und wurde dafür vom Erzbischof von Wien, Kardinal Christoph Schönborn, suspendiert. Heute leitet er die Beratungsstelle Courage. Was hat sich in den letzten 40 Jahren seitens der katholischen Kirche in Bezug auf die Homosexualität geändert? Also in der katholischen Kirche gab es sehr wohl einen Wandel im Bereich des Themas Homosexualität. Früher war es so, dass Homosexualität rein als Sünde galt, als Sünde wider die Natur, als – psychoanalytisch gesprochen – pervers. Heute hat man in der katholischen Kirche wenigstens einen wichtigen Paradigmenwechsel gemacht. So unterscheidet man heute zwischen einer homosexuellen Veranlagung und homosexuellem Verhalten. Man sagt in der katholischen Kirche heute– und das ist auch offizielle Lehre laut Weltkatechismus - eine nicht geringe Anzahl von Frauen und Männern haben eine homosexuelle Veranlagung. Sie haben diese nicht selbst gewählt.“ Das heißt, es gibt heute zumindest ein Rezipieren der Humanwissenschaften. Das zweite, wo sich die katholische Kirche nicht verändert hat bis zum heutigen Tage, ist, dass sie sagt, homosexuelles Verhalten auch zweier gleichgeschlechtlich empfindender und liebender Menschen ist letztlich Sünde und letztlich wider die Natur. Warum macht es die katholische Kirche ihren Gläubigen und ihrem Personal so
schwer? Wir leben in einer Gesellschaft, die sich wenigstens in den letzten 30-40 Jahren doch sehr deutlich individualisiert hat. Das heißt, die Gesellschaft hat sich immer mehr aus dem Individualleben des Menschen zurückgezogen, so auch die Politik. Die katholische Kirche vollzieht letztlich verspätet eine ähnliche Tendenz. Wenn ich mir jetzt die Diskussion in Österreich um das Lebenspartnergesetz ansehe, dann nehme ich derzeit kaum etwas von Reaktionen der katholischen Kirche wahr. Das heißt, die katholische Kirche hat erkannt, dass sie derart individuell in das Leben der Einzelnen nicht oder nicht mehr eingreifen kann, weil sie hier ihre moralische Kompetenz oder Macht zunehmend verloren hat. Du hast aber ihre alte Macht noch am eigenen Leib erfahren. Was geschah damals? Im Zuge der Causa Groer hat der neue Bischof damals eine Arbeitsgruppe einberufen. Der Kardinal hatte aber zwei sehr fundamentalistische Vertreter_innen eingeladen, an denen jede inhaltliche Diskussion gescheitert ist. Während ich noch in der Arbeitsgruppe war, war gleichzeitig
auch das 6. Österreichische Lesben- und Schwulenforum in Dornbirn, und der damalige Generalvikar des Bischofs von Feldkirch, Elmar Fischer, hat ein wirklich schauriges Pamphlet über Homosexuelle herausgegeben, das homosexuelle Menschen massiv pathologisiert und verletzt hat. Als Mitglied des Arbeitskreises habe ich mich damals entschlossen, eine Stellungnahme zu schreiben, von der ich wollte, dass sie kirchenintern bleibt. Aber am folgenden Montag stand Alfred Worm vor meiner Tür. Der Bischof von Feldkirch hat allen Priestern die Teilnahme am ökumenischen Gottesdienst des ÖLSF verboten. Das war für mich der erste Bruch mit der katholischen Kirche und ich hab mich entschlossen, sofort nach Vorarlberg zu fliegen und am Gottesdienst teilzunehmen. Wir haben dann in Wien begonnen, die sogenannten Junia-Gottesdienste zu feiern, zunächst im Schottenstift – der Abt ist voll dahinter gestanden und der erste Gottesdienst fand dort am 24. Dezember 1996 statt - , wo sie der Kardinal erneut verboten hat – mit der Begründung der Nähe zur Schule. Das war mein zweiter Crash, da war ich innerlich schwer betroffen und es hat meinen Kampfgeist angeheizt.
Dann haben wir einen neuen Ort für den Gottesdienst gefunden, die Universitätskirche bei den Jesuiten. Daraufhin hat der Kardinal diese Gottesdienste in seinem Wirkungsbereich verboten. Und dann war mir endgültig klar, in meiner Glaubensgemeinschaft ist ein ehrliches Engagement in dieser Sache nicht möglich. Das Zeichen, dass wir dann gesetzt haben, war der Junia-Gottesdienst im Wiental. Und erst dort habe ich dann erfahren, dass der Kardinal in einem Radio-Interview gesagt hat, dass ich ein Verbot von ihm erhalten habe und ich gegen seine Intentionen handeln würde. Das war einfach eine Lüge. Am Ende eines Jahres entschloss ich mich dann, von meinen priesterlichen Funktionen zurückzutreten.. Ein Jahr später hast du dann die Beratungsstelle Courage gegründet. Ja, ich hab dann noch eine zweite psychotherapeutische und eine sexualtherapeutische Ausbildung gemacht. Wir sehen uns nicht als politischer Lobbying-Verein. Unsere Aufgaben heißen: Beratung, Aufklärungs- und Bildungsarbeit und Forschung.
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Es war ein groSSer Schock! Dennis Beck gilt als „Mister Aids-Hilfe Wien“. Er leitete die Wiener Beratungsstelle jahrelang und kämpfte dafür, dass die Aids-Hilfe Wien 1997 ein eigenes Haus am Gumpendorfer Gürtel erhielt. Er ist nach wie vor Obmann der Aids Hilfe Wien. Was bedeutete das Aufkommen von Aids für die Schwulenszene der 80er Jahre? Ich erinnere mich noch an 1982, noch bevor Aids ein Thema war. Da gab’s Pickerl mit “Homosexualität ist sicherer als die Pille”. Schwule Männer hatten nie Kondome verwendet. Diese Zeit war schlagartig vorbei. 1983 wurden die ersten Fälle in Europa beschrieben. In Österreich hat man schnell reagiert. 1985 wurde die Aids-Hilfe gegründet. Das war damals eine Initiative einiger Aktivisten der HOSI, wie Reinhardt Brandstätter, Kurt Krickler, Dieter Schmutzer und Beamte des Gesundheitsministeriums. Die Auswirkung auf die Schwulenszene war eine, die bis heute wirkt. Einerseits dadurch, dass Schwule medial als Gefahr dargestellt wurden. Die andere Seite war, und da ist für mich Dr. Reinhardt Brandstätter ein Symbol gewesen , dass Aids auch dazu beigetragen
hat, dass Schwule – auch mit der deklarierten Bekennung zum Schwulsein – als Gesprächspartner und Experten akzeptiert wurden.
In den 80er Jahren trat auch die Forderung nach Anerkennung lesbischer und schwuler Partnerschaften auf. Gibt es da einen thematischen Zusammenhang?
Aber wie wirkte sich das auf das schwule Leben selbst aus? In den Lokalen, in den Darkrooms?
Natürlich gibt es sachliche Verbindungen. Durch Aids starben Partner. Themen wie “kann ich meinen Partner im Spital besuchen?” oder “Was ist mit der Wohnung, wenn einer gestorben ist?”, Erbrecht, usw. waren viel früher im Lebenslauf eines Schwulen Menschen auf die Tagesordnung gekommen, als es vor Aids und HIV der Fall war.
Es war ein großer Schock, der ein paar Jahre angehalten hat. Einfach dadurch, dass viele Leute erkrankt und gestorben sind. Wer damals die Diagnose bekommen hat, hat leider oft mit der Annahme recht behalten, dass er in drei oder fünf Jahren stirbt. Das war die Zeit, wo es noch überhaupt keine Therapie gab. Erst ein paar Jahre danach hat dann ein rationellerer Umgang mit HIV und Aids stattgefunden und haben dann auch die Präventionsprogramme greifen können.
Mitte der 90er Jahre gab es dann die ersten Kombinationstherapien. Was hat sich dadurch geändert?
Jahren. Wenn heute jemand die Diagnose HIV positiv bekommt, bedeutet das Gott sei Dank ganz was anderes, als es in den 80er Jahren der Fall war. War es damals wirklich ein Todesurteil, ist es das heute in aller Regel nicht mehr. HIV und Aids hat sich durch die Entwicklung der Medikamente massiv verändert. Seit 1996 wird die Kombinationstherapie breit eingesetzt, mit immer besseren Erfolgen, weil immer bessere Wirkstoffen und Kombinationen entstanden sind. Das bewirkt tatsächlich, dass man heute bei Aids von einer chronischen Krankheit sprechen kann, mit der man Jahrzehnte leben kann und wir auf den besten Weg sind, dass Menschen, die den positiven HIV-Test bekommen, eine normale Lebenserwartung haben können.
HIV und Aids ist noch immer ein Thema, noch immer wichtig, aber es ist ein ganz anderes Thema, als damals in den 80er
Das war so eine sexy Zeit Nadja (Boris) Schefzig studierte Philosophie an der Universität Wien. Projektleiterin (Diversity Management, Gebärdensprachprojekte, Diversityball) bei equalizent in Wien. Darüber hinaus seit ca. 15 Jahren Engagement im queer-feministischen Kunst- und Kulturbereich im Rahmen unterschiedlicher Formate wie z.B. Performancedramaturgie, Ausstellungskuratierung, Text- oder Eventproduktion. Wann hast du zum ersten Mal von Stonewall gehört? Ich erinnere mich nicht an den konkreten Moment, ich kann nur schätzen, wann das gewesen sein könnte: so Mitte der neunziger Jahre. Wann bist du selber in die Szene gekommen? Bisschen früher, so 1992 war das. Ich hab das damals noch nicht als Coming-out betrachtet, doch im Herbst drauf hab ich mich dann total verliebt. Das erste Lokal, in dem ich 1992 war, war die Villa. Da waren auf den Tischen so Ständer mit Flyern und in denen ging’s um Safer Sex für Lesben, eine Veranstaltung der HOSI. Wir haben dann so gescherzt, wie geht denn das, haben uns das so vorgestellt und haben spaßeshalber gesagt: „Mit Handschuhen vielleicht?“ Also gehen wir zur HOSI, und die HOSI ist voll mit Frauen – und die Handschuhe sind schon rausgezogen worden. Wir waren irgendwie zwischen überrascht, schockiert und interessiert. Das blieb für die 90er Jahre mein Gefühl: Das war so eine sexy Zeit, eine sexuelle Zeit und auch eine sexualisierte Zeit. Deshalb sind wir hier auch am
Spielplatz, wir waren damals verspielt. Für den Sex war’s gut, für die Liebe nicht immer so gut, und für die Beziehungen war’s schwierig. Du warst ja zu Zeiten des „queer turn“ an der Universität, wie hat sich das abgespielt? Der „queer turn“ war natürlich sehr verbunden mit Judith Butler, zu der ich aus meinem Fach, der Philosophie heraus, einen guten Zugang hatte. Ich hatte jedenfalls das Gefühl, dass ihr Begriff „queer“ genau trifft, wie ich mich befinde, was ich spüre, was mich interessiert, was in meinem ganz persönlichen Leben abgeht. Die beschreibt das, was ich bin: Eine Identität, die keine ist, was ich auf mich total anwenden konnte. Für mich war klar, ich bin keine Lesbe, für mich war eigentlich auch nie verständlich, was eine Frau ist. Ich hab’s halt benützt, weil es die Gesellschaft benützt hat, aber ich wusste nie genau, was das heißen soll. Ich hab dann auch meine männlichen Anteile ausprobiert und bin in meiner Arbeit neben dem Studium viel Lastwagen gefahren und hab auf Baustellen in ganz männlichen Zusammenhängen gearbeitet. Für mich war klar, was die Liebe angeht und den Sex: Ich find’ den
Menschen interessant und anziehend und attraktiv. Und ob es nun eine Frau oder ein Mann ist: Nicht, dass es mir egal ist, aber ich war für beides offen. Und es war auch so was Widerständiges in mir, das sich nicht einordnen lassen wollte. In den 90ern ist in Österreich auch die Transgender-Bewegung zur Lesben- und Schwulenbewegung gestoßen und man hat sich gegenseitig vorsichtig vereinnahmt. Transgenders selber hatten aber oft große Schwierigkeiten mit der Akzeptanz durch Lesben. Wie hat sich das aus der doch privilegierten queeren Perspektive der Universität dargestellt? Es gab viele Diskussionen um „womenonly“-places, was aus meiner Sicht an einer bestimmten Stelle der Geschichte durchaus Sinn gemacht hat und für manche aus ihrer Geschichte heraus noch immer Sinn macht. Die Gemüter haben sich bis zum Geht-nicht-mehr erhitzt darüber, ob eine Transgender-Frau nun solche Orte betreten darf oder nicht. Meine Perspektive war ein antidiskriminierender Ansatz, ein emanzipatorischer. Ich dachte mir, wenn wir das nun ernst nehmen wollen, dass nicht unsere Biologie unser Geschlecht konstruiert, sondern dass es
sozial konstruiert ist, dann muss ich das ernst nehmen, wenn da ein Mensch steht, der als Mann geboren wurde und sagt, „Ich lebe jetzt gesellschaftlich als Frau. Ich möchte rein.“ Dann sag’ ich: „Komm rein!“ Und das blieb mir so: Das was jemand sein möchte, das gilt für mich. Hast du eine Erinnerung an die erste Regenbogenparade? Die erste war 1996, und das war für mich so umwerfend, Gänsehaut allüberall. Es hat mich so berührt, so bewegt – ich krieg bis heute Gänsehaut, wenn ich drüber spreche – so toll. Ich hatte das auch noch in keinem anderen Land vorher erlebt, das war überhaupt meine erste Parade. Die zweite war noch schön, und dann war ich manchmal dort oder manchmal auch nicht. Und jetzt ist das Jahr 2009, und ich geh’ wahrscheinlich nicht zur Regenbogenparade, außer ich komm’ zufällig vorbei. Für mich persönlich ist das nicht mehr so interessant oder so wichtig, das ist die Wahrheit und schon länger so. Ich kann jetzt nicht sagen, ist das eine gesellschaftliche Entwicklung oder eine persönliche von mir.
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Ein Riesenrisiko Gery Keszler wurde 1963 in Mödling geboren und erlernte eigentlich den Beruf des Feinmechanikers, bevor er beschloss, die Welt zu erkunden und sich in so illustren Berufen wie Opalschürfer oder Zirkuskoch durchs Leben schlug. Nach einer Ausbildung zum Visagisten übersiedelte er nach Paris und arbeitete u.a. für Thierry Mugler, Vivienne Westwood oder Jean-Paul Gaultier. 1993 erfand er den Life Ball, der heute zu den weltweit erfolgreichsten Charity-Veranstaltungen zählt. Wie kamst du auf die Idee, den Life Ball im Rathaus statt finden zu lassen? Naja, der Wunsch, den Life Ball, eine AidsCharity damals, die einmalig geplant war, hier stattfinden zu lassen, war natürlich ein bedeutungsvoller, weil’s eine ganz düstere neugotische Aktenburg ist und auch damals das einzige politische Gebäude der Welt war, wo eine Aids-Charity stattfinden durfte, bei der sich alle Gesellschaftsgruppen vereint haben, egal ob hetero oder schwul oder jung oder alt oder reich oder arm. Wie war dein Verhältnis zu Helmut Zilk? Der Zilk, obwohl er mich geduzt hat, war bis zu seinem Ableben für mich immer ein großes Vorbild. Der hat sich durch
nichts unterkriegen lassen, und er ist auch ziemlich oft angefeindet worden. Aber er hat ein natürliches und sehr professionelles Gespür gehabt, Dinge im Sinne auch der Zeit und der Anliegen zu begreifen. Er war ein Visionär für mich in Sachen Life Ball, während alle anderen sich bekreuzigt haben und in Panik ausgebrochen sind, hat der Zilk das wie ein Trüffelschwein gerochen, und hat mir sehr viel Vertrauen geschenkt und dieser Veranstaltung. Schon mit viel Sorge auch, er ist ja ein Riesenrisiko eingegangen. Kritiker_innen bemängeln, der Life Ball hätte sich von der schwulen Szene weit entfernt. Der Life Ball hat natürlich eine Entwicklung in allen Bereichen – um Gottes Wil-
len, wenn wir dieselben Trends auslösen würden und uns statisch verhalten wie 1993, dann würde es längst keinen Life Ball mehr geben. Er ist einer Wandlung unterlegen wie alles in den letzten 20 Jahren. Vieles darf – Gott sei Dank – nach außen hin viel offener sein. Das meine ich jetzt nicht nur, was HIV und schwule Themen anbelangt. Der einzige Life Ball, der wahrscheinlich ein wirkliches Szene-Event war, war wahrscheinlich der allererste Life Ball – ein Event, den man sicher nicht wiederholen kann, weil keiner gewusst hat, was passieren wird. Er war von einem Engagement getragen von vielen Menschen, die heute nicht mehr leben. Und auch die Klientel natürlich war viel betroffener von HIV und Aids, zumal es damals noch immer ein Todesurteil war.
Gleichzeitig hat sich die öffentliche Meinung zur Homosexualität stark geändert, sicher auch durch den Beitrag des Life Balls. In der Hinsicht bin ich unverbesserlicher Fanatiker und Idealist, in dem Glauben, dass diese reaktionären Einstellungen und Vorurteile gegen Schwule irgendwann einmal so unbedeutend werden, dass man nicht einmal mehr sagen muss, wie viel Prozent Schwule sind jetzt am Life Ball und wie viel Prozent Heteros.
Die Lesbe in der österreichischen Politik Ulrike Lunacek studierte Dolmetsch und arbeitete bereits in den 80-er Jahren im Frauenhaus Innsbruck und später in der Frauensolidarität Wien. Durch ihr Engagement in der feministischen Frauenbewegung landete sie auch in der Lesbenpolitik. Ebenso engagierte sie sich in der Entwicklungspolitik und im Österreichischen Lesben- und Schwulenforum (ÖLSF). 1996 wurde sie Bundesgeschäftsführerin der Grünen, seit 1999 ist sie die erste und bisher einzige offen lesbische Nationalratsabgeordnete Österreichs. 2009 kandidierte sie als Spitzenkandidatin der Grünen für das Europäische Parlament und wurde Abgeordnete zum Europaparlament. Wie kamen die Forderungen der Lesben-. Schwulen- und Transgender-Bewegung in die Politik? Es war sehr wohl so, dass schon vor meinem Einzug ins Hohe Haus, zahlreiche Organisationen diese Themen den Parteien immer wieder präsentiert haben. Bei den Grünen war es Terezija Stoisits, die jetzt Volksanwältin ist und damals Justizsprecherin war, die sehr aktiv diese Themen immer wieder in den Nationalrat und in den Justizausschuss eingebracht hat, auch Anträge gestellt hat, Gesetzesanträge zu Partnerschaft, damals noch vor allem zur Abschaffung des Paragraphen 209, auch 220 und 221. Wenn ich dran denke, ist das zwar schon lange her, aber es sind erst 12 Jahre, dass die Paragraphen 220 und 221 Werbe- und Organisationsverbot - abgeschafft wurden. In den 90-er Jahren haben sich die Forderungen konkretisiert, wo auch die Regenbogenparaden bei uns erst begonnen haben stattzufinden. Da wurden die Forderungen nach Gesetzesänderungen stärker im Hohen Haus thematisiert - sicher auch stark von mir, als Aushängeschild, als personifizierte Lesben- und Schwulenforderung. Wie lief deine Kandidatur als deklarierte Lesbe öffentlich ab?
Als ich 1995 offen als Lesbe kandidierte, ging es mir auch um diese Forderungen – es ging ja nicht um mein Privatleben – und um Lesben sichtbar zu machen. Ich war schon sehr erstaunt, dass das dann Hauptthema war, was in den Zeitungen präsentiert wurde, denn ich komme ja aus der internationalen Solidaritätsbewegung mit den Entwicklungsländern, und das war eigentlich mein Hauptpunkt. In den Zeitungen stand dann ganz groß “Vertreterin des Lesben- und Schwulenforums”, “Lesbe”, “sichtbar” usw. Das hat mich gefreut, weil ich schon glaube, dass es für viele Leute etwas bewirkt hat. Ich habe auch viele Zuschriften bekommen. Dann war es so, dass ich viele Interviews hatte und als “die Lesbe in der österreichischen Politik” bekannt wurde, was mich nicht weiter gestört hat. Es ging mir ja auch darum, die Sichtbarkeit zu erhöhen. Als ich mein Coming-out hatte, gab es keine, die ich kannte.
verständlich Lesben und Schwule haben. Das ist in keiner anderen österreichischen Partei der Fall. Da müssen sie sich noch verstecken. Das ist bei den Grünen wirklich eine positive Ausnahmeerscheinung und das ist auch bei den Europäischen Grünen so. Ich bin ja auch Vorsitzende der Europäischen Grünen und dort sind sie auch stolz darauf, dass es mich gibt und das ist schon etwas, das mich freut.
Hatte deine Kandidatur Folgen?
Stellen wir uns vor, Lesben, Schwule und Transgenders wären im Rechtsbereich vollkommen gleichgestellt. Was gäbe es dann noch zu tun?
Zum einen freut es mich schon, dass es bei den Grünen mittlerweile so selbstverständlich möglich ist, dass eine deklarierte Lesbe Spitzenkandidatin für die Europawahl wird. Ich bin auch stellvertretende Klubobfrau im Parlament. Auch hohe Parteipositionen können bei den Grünen selbst-
Ließ sich die Rolle der außenpolitischen Sprecherin und der Gleichstellungssprecherin auch kombinieren? Es macht Sinn die diplomatischen Kontakte, die ich aus meiner Funktion heraus habe, auch zu nützen, um mich für die Menschenrechte von Lesben, Schwulen und Transgender-Personen weltweit einzusetzen. Das werde ich auch weiterhin vom Europaparlament aus tun, und mit mir die gesamte Grüne Fraktion.
Zuerst tatsächlich einmal die Gleichstellung der Partnerschaften, inklusive der Ehe. Das würde ich mir wünschen: Beides, also ein modernes Partnerschaftsmodell
und die Öffnung der Ehe. Und dann bleibt sehr wohl noch viel zu tun. Was wird in den Schulen unterrichtet? Wie bekommen junge Leute Aufklärung – positive Aufklärung darüber? Wo einfach gesagt wird: Lesbisches und schwules Leben ist so normal, wie das heterosexuelle. Es gibt 10% der Bevölkerung, die so leben, das war immer schon so und wird immer so sein. Fürchtet euch nicht davor! Das ist eine ganz große Herausforderung in der Lehrer_innenausbildung und in den Schulbüchern. Ein anderer Bereich ist öffentliche Aufklärung. Wir wissen, wie viele Menschen Vorurteile haben. Ich hoffe sehr, dass mit besseren Gesetzen die Menschen, die jetzt homophob sind, mitkriegen, dass wenn der Staat das erlaubt, dann ist es ja vielleicht doch nicht so schlimm, und werden auch ihre Homophobie etwas einschränken. Es wird auch dazu führen, dass Lesben und Schwule selbst, die jetzt noch Angst davor haben in ihrer Familie, im Beruf, in der Öffentlichkeit dazu zu stehen, sich auch mehr trauen, und dadurch lesbisches und schwules Leben viel Selbstverständlicher machen als es heute zum Glück eh schon ist. Vor 10, vor 20 Jahren war noch viel weniger da. Aber diesen Prozess sehe ich schon noch, und da wird noch einiges nötig sein, um das weiterzubringen.
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DIE 2000ER Durch die Ereignisse des 11. September 2001 geraten Lesben und Schwule in eine so genannte Wertedebatte. Migration wird auch in der Community ein Thema. In Österreich regiert gleichzeitig eine schwarzblaue Koalition. 2001 findet Europride in Wien statt. Der diskriminierendste Paragraf fällt und am Ende des Jahrzehnts könnte sogar ein Partnerschaftsgesetz in Kraft treten. In der akademischen Debatte feiert die Queer Theory ihren Durchbruch. Die Jahre des neuen Millenniums historisch zu bewerten ist nahezu unmöglich. Zu sehr leben wir mittendrin. Trotzdem können auch am Ende des Jahrzehnts Ereignisse als Schlüssel zum neuen Millenium definiert werden – auch aus queerer Sicht.
Der 11. September 2001 Am 20. Jänner 2001 wurde George Walker Bush als neuer Präsident der USA vereidigt. Er machte rasch Schluss mit der liberalen Amtsführung seines Vorgängers Bill Clinton. Neokonservative wurden an den entscheidenden Schalthebeln der Macht installiert. Religiöse Motive beherrschten Washington und somit die Welt. Am 11. September 2001 – oder kurz 9/11 – entführten islamistische Terroristen Flugzeuge und griffen New York und Washington an, die Twin Towers in New York stürzten mit tausenden Opfern ein. Die durch den Fall des Eisernen Vorhangs 1989 erreichte Gemeinschaft, die sich einem liberalisierten und globalisierten Markt verschrieb, erkannte einen neuen Feind: Die islamische Welt, wie generalisierende Statements meinten. Die islamistische Welt, wie differenziertere Kommentare sagten. Für Lesben, Schwule und Transgenders bedeutet 9/11 vor allem eine Auseinandersetzung mit einer ausgebrochenen so genannten „Wertedebatte“ in Medien und Politik. Die erreichte Emanzipation von homo-, bi- und transsexuellen Menschen wurde von vielen Kommentator_innen als „westlicher Wert“ erkannt – nicht nur von der politischen Linken, sondern zunehmend auch von der politischen Rechten. Dies geschah fast überall – nur nicht in Österreich, in dem die Rechte das Thema Homosexualität nach wie vor negativ behandelt(e). Als die USA nach einem Feldzug 2001 gegen die radikalislamistische Taliban in Afghanistan und 2003 den Irak angriffen, entstand auch in Europa eine neue Friedensbewegung, die ein Symbol aufbrachte, das Lesben und Schwule verwirrte: Eine Regenbogenfahne, allerdings mit etwas anderen Farben und mit dem Schriftzug „Frieden“. Diese war auch bei den Friedensdemos in Österreich zu sehen – gemeinsam mit der Regenbogenfahne der Lesbenund Schwulenbewegung.
lesben & schwule trotzen Schwarzblau In Österreich begann das Jahr 2000 mit einem Tabubruch. Die ÖVP ging eine Koalition mit der FPÖ ein. Eine konservative und traditionell mit der katholischen Kirche
Das lesbischschwule Euopa feiert in WIen: Europride 2001
verknüpfte Mitte-Rechts-Partei ging eine Regierung mit einer extrem rechten Partei ein. So war es nicht verwunderlich, dass bei den Demonstrationen gegen die schwarzblaue Regierung zahlreiche Regenbogenfahnen zu sehen waren. 2001 fand die europäische Dach-Parade aller CSD- und Regenbogenparaden in Wien statt. Europride, wie das alljährlich in einer anderen Stadt stattfindende Großereignis genannt wird, zog am 30. Juni 2001 „andersrum“ (d. h. gegen die übliche Fahrtrichtung) über die Wiener Ringstraße und zählte laut Angaben des Veranstalters 250.000 Teilnehmer_innen. Bereits im Monat davor fanden täglich mehrere Veranstaltungen statt und flatterten erstmals Regenbogenfähnchen auf allen Straßenbahnen Wiens. Die lesbisch-schwule-transgender Community Wiens arbeitete eng zusammen und präsentierte sich kulturell aktiv, vielfältig und in bester Partylaune. Wien rückte ins Zentrum des queeren Europa. Auch der Stadt und seinen Institutionen wurde dies zunehmend bewusst. Dass Europride 2001 in Wien - der Stadt, die in Zeiten des
Auch Lesben, Schwule und Transgenders demonstrieren ab 2000 gegen Schwarzblau
kalten Krieges als Drehscheibe zwischen Ost und West diente – stattfand, war für die Präsident_innen des damals verantwortlichen Vereins CSD, Connie Lichtenegger und Veit Georg Schmidt, entscheidend. So sagt Lichtenegger „Wir haben sehr viel Wert darauf gelegt, dass es wirklich eine europäische Parade wird. Wir haben damals schon versucht, diese Idee Europa mit Ostöffnung aufzugreifen und haben uns sehr bemüht auch Menschen aus dem ehemaligen Osten die Teilnahme zu ermöglichen.“ Im selben Jahr fand auch das erste Mal das von der Viennale mittlerweile losgelöste und nunmehr selbstständig agierende Festival identities. Queer Film Festival statt, das biennal in Wien stattfindet und mittlerweile zum zweitgrößten Filmfestival Wiens gewachsen ist. Auf der Regenbogenparade 2002 gab es erneut Anlass ausgelassen zu feiern, diesmal war der Grund ein politischer Sieg. Der berühmt-berüchtigte Paragraf 209 des Strafgesetzbuchs, der ein höheres Schutzalter für schwulen – nämlich 18 – als für lesbischen und heterosexuel-
die zweitausender
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Die AGPRO hisst die größte Regenbogenfahne am Wiener Donauturm anlässlich von Europride 2001
Plakatkampagne gegen die schwarzblaue Bundesregierung, Wien ist andersrum 2000
len Sex vorsah, wurde am 24. Juni 2002 und somit fünf Tage vor der Parade vom Verfassungsgerichtshof gekippt. Der höchste Gerichtshof der Republik erkannte, dass der umstrittene und jahrelang heftig bekämpfte Paragraf den Gleichheitsgrundsatz verletzte. Kurz darauf verurteile auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Österreich wegen des diskriminierenden Paragrafens. Die rechtsgerichtete Regierung, angeführt vom ÖVP Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, der § 209 immer verteidigte und der während seiner gesamten politischen Laufbahn immer wieder homophobe Aussagen machte, sah sich gezwungen den 209er abzuschaffen. Aber ganz aufgeben wollte die schwarzblaue Regierung ihre Ressentiments nicht und schaffte dafür den Ersatzparagrafen 207b, der heute noch gültig ist. Dieser ist zwar geschlechtsneutral formuliert und bestraft Sex mit Unter-16-Jährigen zwar nicht generell, sondern nur unter gewissen Voraussetzungen (etwa Ausnützung eines Abhängigkeitsverhältnisses oder Sex gegen Entgelt). Da es aber dafür eigentlich ohnehin andere Paragrafen gibt, war es nicht verwunderlich, dass diese Bestimmung vor allem gegen Schwule eingesetzt wurde, wie eine parlamentarische Anfrage der Grünen ergab. Bundeskanzler Wolfgang Schüssel war als europäisch denkender und handelnder Politiker bekannt. Noch in seiner Funktion als Außenminister war er Mitautor des Amsterdamer Vertrags der Europäischen Union aus dem Jahre 1997, der 1999 in Kraft trat. Eines der von Schüssel mit geschriebenen Kapiteln behandelte den Diskriminierungsschutz, die so genannte Antidiskriminierungsrichtlinie. Laut dieser Regelung sollten Menschen geschützt werden, die aufgrund des Geschlechts, der ethnischen Herkunft, der „Rasse“, der Religion oder Weltanschauung, des Alter und der sexuellen Orientierung im Arbeitsleben diskriminiert werden. Für Diskriminierungen aufgrund der Herkunft galt zudem ein weiterer Diskriminierungsschutz, der auch im Alltag schützte. Ob der Begriff „sexuelle Orientierung“ auch für Transgenders gilt, ist noch nicht ausjudiziert, denn das Diskriminierungsmerkmal „Geschlechtsidentität“ fehlt sowohl in der EU-Richtlinie als auch im 2004 – und damit spät – umgesetzten Antidiskriminierungsgesetz. Die Geschlechtidentität als Merkmal ist aufgrund einer Grünen Initiative nur im LandesAntidiskriminierungsgesetz Wiens zu finden. Faktisch gibt es kein Antidiskriminierungsgesetz in Österreich, denn die EU-Richtlinie wurde im Gleichbehandlungsgesetz versteckt. 2009 wird auf europäischer Ebene eine Angleichung des Diskriminierungsschutzes diskutiert, das heißt auch die anderen Gründe einer Diskriminierung sollen zukünftig im Alltag gelten. Ob diese Angleichung tatsächlich beschlossen wird, ist allerdings noch nicht absehbar.
Globalisierung und Migration Die Globalisierung der politischen Debatte bewirkte unter Lesben, Schwulen und Transgenders eine internationalere Auseinandersetzung mit ihrem Thema der Gleichstellung und einer queeren Gesellschaftspolitik. Lag die Konzentration der Forderungen davor vor allem auf innerstaatlichen Fragen und Diskriminierungen, wurde das Menschenrechtsthema verstärkt global betrachtet. 2005 schockierten Bilder aus dem Iran die Welt. Die Exekution von zwei schwulen jungen Männern führte zu weltweiten Protesten. Auch in Wien demonstrierten Aktivist_innen der HOSI Wien und der Grünen Andersrum gegen das Regime im Iran. In Osteuropa wiederum fanden die ersten Paraden statt, die auch von österreichischen Aktivist_innen wie Kurt Krickler, Ulrike Lunacek, Gebi Mair oder Marco Schreuder, solidarisch besucht wurden. In Moskau fanden (und finden) alljährlich heftige Auseinandersetzzungen zwischen Ordnungsmacht und Demonstrant_innen statt. 2007 wurde dabei der Generalsekretär der HOSI Wien, Kurt Krickler, verletzt. Eine weitere Facette der globalen Debatte um Menschenrechte, war die Wahrnehmung von Migrant_innen in der eigenen Community – in der eigenen Stadt, im eigenen Land, in einem diversen Europa. Der Gesellschaft und der Politik wurde so verstärkt bewusst, dass globale Fragen, die oft auf sozio-kulturelle Hintergründe zurückzuführen sind, höchst innenpolitische Fragen sind, genauso wie sie kommunalpolitische Aufgaben berühren. Die lesbischschwule Community befindet sich dabei durchaus in gegensätzlichen Positionen: Unterstützten etwa 2008 auf der schwulen Internet-Plattform gayboy.at über 20 % der User (vereinzelt auch Userinnen) die FPÖ und einen radikalen „Anti-Ausländer-Kurs“, versuchten oft neu gegründete Initiativen, Migrant_innen als Zielgruppe anzusprechen. Den Anfang machte noch in den 1990-er Jahren die Aids Hilfe Wien, die Safer-Sex-Broschüren auch in anderen Sprachen als Deutsch veröffentlichte. 1999 begann ebenso die Party-Szene den multi-kulturellen Reiz der eigenen Community zu entdecken. Die DJs Kairo Boys starteten in der Wiener Arena mit dem noch heute beliebten Clubbing Homoriental. Auf der politischen Ebene beginnt die Sichtbarmachung von zugewanderten Lesben, Schwulen und Transgenders durch EU-weite Initiativen wie LesMigras, woraus 2002 in Österreich der Verein LesMAus (Lesbian Migrants in Austria) enstand. 2004 etablierte sich der Verein ViennaMix, das allerdings seine Aktivitäten nach knapp zwei Jahren einstellte. Die sozialdemokratische SoHo kampagnisierte das Thema „lesbischwule&transgender Migrant_innen“ ebenso, wie die Grünen Andersrum. Letztere starteten
2008 die Info-Offensive homohetero.at, in der vielsprachig Grundfragen zu Homosexualität beantwortet werden. 2009 startet die Beratungsstelle Courage eine dreisprachige Anti-Homophobie-Plakatkampagne. Die Wiener FPÖ fordert daraufhin ein „Verbot für die Werbung von Homosexualität in den Schulen“. Im selben Jahr startet auch das Magazin-Projekt MiGay, das von und für lesbische, schwule und transgender Migrant_innen gestaltet wird. Das größte Herkunftsgebiet von Migrant_innen in Wien ist – neben Deutschland und der Türkei – der Balkan, insbesondere die ehemaligen jugoslawischen Staaten, Rumänien, Bulgarien und Albanien. Zu einem Sprachohr der BallCanCan-Community ist mittlerweile Sabrina Andersrum gemeinsam mit dem 2005 gegründeten Club geworden. Sie fasst eines der Hauptprobleme von schwulen Migranten kurz zusammen: „Sie müssen ihre Sexualität unterdrücken, heiraten, sich zwingen und stürzen dann die Frau ins Unglück.“ Die Auseinandersetzung mit Zuwanderung und die Antidiskriminierungsregelungen führten auch zu einem neuen Managementkonzept, das sich vor allem an die Wirtschaft richtete, aber nunmehr auch in der Politik diskutiert wird: Dem Diversity Management. Bei diesem Konzept wird auf die Vielfalt Wert gelegt, und Hilfe beim Managen und Kooperieren unterschiedlicher Bedürfnisse und Lebenswelten geleistet. Auch die Vereine Austrian Gay Professionals (agpro), einem Verein schwuler Manager und Wirtschaftstreibender, sowie die Queer Business Women widmen sich diesem Konzept und veröffentlichten dazu gemeinsam eine viel beachtete Broschüre.
Eine Geheimsache wird öffentlich 2005 begann in Wien die Auseinandersetzung mit der eigenen lesbisch-schwulen Geschichte. Die von der Stadt Wien unterstützte Ausstellung geheimsache:leben zeigte und erforschte Lebenswelten und Auseinandersetzungen mit Homosexualität im Wien des 20. Jahrhunderts, und ermöglichte Einblicke, wie sie noch nie möglich waren. Im selben Jahr wurde von Kulturstadtrat Andreas MailathPokorny der Plan präsentiert, ein Mahnmal für die homosexuellen Opfer der NS-Zeit am Morzinplatz zu errichten. Nach einem langen Prozess mit Jury blieb das Projekt bis heute aus technischen Gründen unverwirklicht.
Die Partnerschaftsdebatte In der politischen Auseinandersetzung Österreichs stand während des gesamten Jahrzehnts die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften im Vordergrund. Zu
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Ladyfest, 2005
Provokante Sprüche gegen den neuen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel vom Festval “Wien ist Andersrum”
Beginn des Jahrzehnts trat allerdings ein Bruch innerhalb der lesbisch-schwulen Community und ihren Organisationen zutage, der bis heute nie gekittet werden konnte. Zahlreiche und wichtige Organisationen distanzierten sich in einem offenen Brief von der HOSI Wien, allem voran von ihrem Generalsekretär Kurt Krickler. Die HOSI Wien, die traditionell als wichtigste NGO im Bereich der Lesben- und Schwulenpolitik betrachtet wurde, erhielt mit dem Rechtskomitee Lambda eine ebenso starke Konkurrenz. Das Rechtskomitee Lambda mit seinem Obmann, dem Anwalt Dr. Helmut Graupner, konnte vermehrt Partner-Organisationen gewinnen und einen Großteil der Vereine auf seine Seite ziehen. Dieser Bruch begleitete und begleitet die Community bis heute und spielt auch in der Auseinandersetzung zur Gleichstellung von Partnerschaften eine große Rolle. Die Grünen, die SPÖ sowie die nicht mehr im Parlament vertretenen Parteien LiF und KPÖ forderten diesbezüglich eine Gleichstellung. Einen konkreten Vorschlag gab es bald von der SoHo, die eine Eingetragene Partnerschaft nach skandinavischem Vorbild forderte. Die Grünen wiederum gingen einen Schritt weiter und forderten ein modernes Partnerschaftsinstitut nicht nur für Lesben und Schwule, sondern auch für heterosexuelle Paare. Gleichzeitig sollte die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet werden. Zur Behandlung im Parlament gelangten die Vorschläge allerdings nie und wurden von den regierenden Parteien ÖVP sowie FPÖ (bzw. später das von der FPÖ abgespaltene BZÖ) nie auf die Tagesordnung gesetzt. Als ab Jänner 2007 eine Große Koalition von SPÖ und ÖVP mit Bundeskanzler Alfred Gusenbauer das Regierungsruder übernahm, setzten Justizministerin Maria Berger (SPÖ) sowie Familienministerin Andrea Kdolsky (ÖVP) nach Beschluss des Ministerrats eine Arbeitsgruppe ein, um ein neues Partnerschaftsgesetz zu entwickeln. Darin befanden sich Parteiorganisationen ebenso wie NGOs aus der lesbisch-schwulen Community. Bevor jedoch ein Ergebnis überhaupt erzielt worden wäre, stellte die Justizministerin – ausgerechnet vor einem solchen Arbeitsgruppentreffen, das ja eigentlich ein Gesetz entwickeln sollte – ein Lebenspartnerschaftsgesetz vor. Sehr bald spaltete der Berger-Entwurf: Waren die HOSI Wien und die SoHo Unterstützer_innen, lehnten alle anderen Gruppierungen dieses Gesetz scharf ab. Die Hauptkritik lag an den zahlreichen unterschiedlichen Regelungen zur Ehe und vor allem waren Gleichstellungsregelungen in den anderen Ministerien noch vollkommen ungeklärt, etwa im Fremden-, Asyl-, Sozialversicherungs- und Steuerrecht. 2009 wurde unter dem erneut großkoalitionärem Kabinett Werner Faymann Claudia Bandion-Ortner Justizmisterin.
Die Grünen und die HOSI Wien gegen § 209 vor der ÖVP Zentrale. Weniger Wochen später wurde er vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben.
Sie galt als parteipolitisch unabhängig, wurde aber von der ÖVP bestellt. Deren Obmann wurde der nunmehrige Vizekanzler Josef Pröll, der schon zuvor in einer so genannten Perspektivengruppe eine Eingetragene Partnerschaft nach Schweizer Vorbild vorschlug. Ob und mit welcher Gleichstellung bzw. Nicht-Gleichstellungen ein Partnerschaftsgesetz kommen wird, dürfte vermutlich noch am Ende dieses Jahrzehnts feststehen. Währenddessen wurde nach den Niederlanden und Belgien sogar im katholischen Spanien die Ehe geöffnet. Es folgten danach Staaten wie Norwegen und Schweden.
Wien, die mittlerweile nicht nur Dutzende Bands und Kulturschaffende hervorgebracht hat, sondern der auch zu verdanken ist, dass in Wien 2008 nicht nur das von den Grünen Wien mitgetragene zweitägige Musikfestival Ladyzzz‘ Mile stattgefunden hat, sondern auch die rund um die Österreichische HochschülerInnenschaft organisierten ersten Queer-feministischen Tage außerhalb Deutschlands organisiert werden konnten oder dass im Herbst 2009 bereits zum zweiten Mal nach 2006 das von der feministischen Popkulturzeitschrift fiber organisierte Festival Rampenfiber stattfinden kann.
Queer in Theorie und Praxis
Die Krise als chance?
Auf akademischer Ebene erlebte das Jahrzehnt einen Durchbruch: Die Queer Theory wurde eine der wesentlichsten Kulturtheorien, und ist mit dem Themenkreis Homosexualität eng verknüpft. Die auf Judith Butler und ihren noch in den 1990er Jahren formulierten Thesen zurückzuführende Theorie untersucht die vorgegebenen Geschlechterrollen, das Begehren sowie die Frage nach dem Zusammenhang mit dem biologischen Geschlecht. Die Dekonstruktion von vorgegeben Rollen und Mustern spielt in der Queer Theory eine Hauptrolle. Es geht in der Queer Theory um das Zerstören der Hetero-Normativität. In vielen Bereichen erinnert die Queer Theory durchaus an Magnus Hirschfeld, der sehr ähnliche Theorien bereits am Anfang des 20. Jahrhunderts postulierte. In jüngeren – meist besser gebildeteren – lesbisch-schwulen und transgender Gruppen spielt die Queer Theory mittlerweile eine große Rolle. Besonders Transgenders haben sich die Theorie zueigen gemacht. So forderte Eva Fels vom Wiener Verein TransX auch bereits die Abschaffung des Geschlechts – zumindest wenn es sich um Bürokratie und Verwaltung handelt. Queer-feministische Gruppen entwickelten sich auch in Wien und mit den Ladyfesten Wien fand diese Idee ein kulturelles und gesellschaftspolitisches Highlight.“
Das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts endet mit einer großen Hoffnung und einer großen Krise. Die Hoffnung lautet Barack Obama, der als 44. Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt wurde, und so gut wie alles anders machen möchte, als sein Vorgänger Bush. Sein Wahlkampf wurde aber von einem Ereignis überschattet, das die Welt erschütterte: Die von den USA ausgehende Finanzkrise entwickelte sich zu einer globalen Wirtschaftskrise. Die großen Herausforderungen der Weltpolitik hatten sich innnerhalb einiger weniger Monate dramatisch geändert. Nach Rettungspaketen für zahlreiche Banken und Industrien, steht das Ausmaß der Krise, deren Folgen für Arbeitsplätze und Wohlstand, noch nicht fest. Für Lesben, Schwule und Transgenders sind die Auswirkungen ebenfalls noch nicht absehbar. Erste Mahner_innen erinnern aber bereits an die letzte große Krise 1929 und die dramatischen Folgen – etwa in Deutschland, die zur Machtergreifung der Nationalsozialisten führten. Und tatsächlich finden sich schon erste Meinungen im Internet, die das Thema der Gleichstellung von Lesben und Schwulen als „Luxusthema“ abqualifizieren, das in schwierigen Zeiten keine Rolle spielen darf. Andererseits formieren sich politische und gesellschaftliche Gruppen, die in dieser Krise auch eine Chance sehen, damit zukünftig anders gelebt wird, ein anderes gesellschaftliches Selbstverständnis entsteht, das sorgsam mit ökonomischen und ökologischen Ressourcen umgeht, nachhaltig wirtschaftet, in Zukunftsbranchen investiert, globale Gerechtigkeit erreichen möchte und nach wie vor mit hoher Aufmerksamkeit die Menschenrechte achtet.
Ladyfeste sind ab dem Jahr 2000 weltweit in der Nachfolge der feministischen Punk- und Do-It-Yourself- (DIY)-Bewegung, die in den frühen 1990er Jahren als Riot GrrrlllBewegung begonnen hatte, als jeweils mehrtägige Festivals entstanden. In Wien wurden bisher drei Ladyfeste - in den Jahren 2004, 2005 und 2007 – veranstaltet. Mit ihrem Mix aus queer-feministischen Interventionen im öffentlichen Raum - wie etwa den dabei jedesmal abgehaltenen Dyke Marches -, alternativen Veranstaltungen wie der beim letzten Ladyfest heißdiskutierten Queer-feministischen Sexparty, (Selbstermächtigungs-)Workshops und einem kulturellen Programm von Filmabenden bis Open Stages für Literatur und Musik waren sie Geburtshelfer_innen für eine zunehmend aktive queer-feministische Szene in
Auch daran können Lesben, Schwule und Transgenders denken, wenn sie dieses Jahr sich selbst und ihre bisher erreichte Emanzipation feiern: Wachsam zu sein und an einer - nicht nur für sie selbst, sondern auch für alle Anderen - gerechten Gesellschaft teilzuhaben.
die zweitausender
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Identitäten radikal hinterfragen Katharina Miko ist: Soziologin, Lektorin am Institut für Soziologie der Universität Wien, Projektleiterin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Forschungseinrichtung Kompetenzzentrum für soziale Arbeit am FH Campus Wien. Arbeitsschwerpunkte: Familiensoziologie, Gender Studies, qualitative Forschungsmethoden. Was hat sich seit dem Aufkommen von „queer“ in der Geschlechterlandschaft verändert? Es gibt nicht nur mehr eine Geschlechterlandschaft, es gibt Geschlechterlandschaften. Und ich kann das ganz gut verdeutlichen, damit wo ich eingestiegen bin. Das war 1992, und da hatte man ganz wenige Räume. Also es gab sozusagen das FZ und das Frauencafé. Und das waren reine Frauenräume, obwohl der Begriff „queer“ im akademischen Bereich bereits aufgetaucht ist. Das hat sich geöffnet und hat in Wien zu unterschiedlichen neuen Szenen und Themen geführt. Queer families, Queer Business, und vieles mehr. „Queer“ wurde zu einer Kategorie, die weit über les-bi-schwul hinausgeht und die vor allem mainstreamig geworden ist. Was viele auch kritisieren: Das heißt, auch dort, wo man nicht genau weiß, wollen die jetzt Geschlechteridentitäten zerbrechen oder brauchen sie nur ein trendiges Label? Also wollen sie sich darüber Gedanken machen, was Mann oder Frau ist, wo also nicht nur „gender“, sondern auch „sex“ dekonstruiert wird oder geht es um den Verkauf eines Inhalts.
Das ist eine tatsächliche Entwicklung der 2000er Jahre, dass der „queer“-Begriff kommerzialisiert wird und im Mainstream ist. Als Soziologin finde ich es spannend, dass unterschiedliche Sub-Gruppen sich diesen Begriff genommen haben und ein Label drauf gemacht haben. Ich finde diese Entwicklung nicht nur negativ. Was ist denn der Unterschied zum Lesben-& Schwulenmodell? Lesben und Schwule sind sexuelle Identitäten, ganz klar biologische Identitäten und klassische „Wie lebe ich Sexualität?“Identitäten. Also man weiß, ein Mann ist ein Mann, oder eine Frau ist eine Frau. Und sie liebt und lebt mit Frauen und er liebt und lebt mit Männern. „Queer“ bedeutet aus meiner Sicht, Identitäten radikal zu hinterfragen. Hier geht es also um die Frage, ob es Homosexualität überhaupt gibt bzw. ob es nur zwei Geschlechter gibt? Die Kategorie Homosexualität wird selbst brüchig. Die eigene sexuelle Identität wird insgesamt hinterfragt. Provokant gesagt: Da ja überhaupt nicht klar ist, ob er oder sie Mann oder Frau ist und auch nicht klar ist, mit wem er oder sie im Bett liegt
und ob die oder der Mann oder Frau ist, werden diese Kategorien brüchig. Damit wurde für mich als Familiensoziologin auch die Kategorie der „Regenbogen“Familie fragwürdig: Denn man lebt in einer Phase seines Lebens schwul/lesbisch oder heterosexuell, kann dorthin oder wieder zurück. Wenngleich ich persönlich die Rechte von lesbischwulen Familien ganz wichtig finde, sind auch da diese Identitäten brüchig geworden. Welche Zentren der „Queerness“ würdest du denn in Wien ausmachen? Die Partyszenen und Musikszenen, dann gibt es queere wirtschaftliche Bewegungen wie die Queer Business Women, die UniSzene, auch der Life Ball, der Diversity Ball und queere Sportveranstaltungen. Es sind Szenen geworden, die in gewisser Hinsicht bei „lesbischwul“ bleiben, aber trotzdem darüber hinausgehen. Hat sich dadurch das Verhältnis von Frauen zu Männern in den verschiedenen Szenen verändert? Sofern ich diese Frage beantworte unter der Prämisse, es gäbe die Kategorien Mann
und Frau, sage ich, dass es sich sehr verändert hat. Als ich 1992 gestartet habe, in die Szene zu gehen, gab es „Women only“Feste. Das hat sich dann verändert in Richtung „Women only with gay friends“ und wurde zu „queer“. Meiner Ansicht nach ist das Verhältnis insofern verändert, als es weniger hier diese männlichen und hier diese weibliche Szenen gibt, sondern ein „Wir“ in einer „queeren“ Szene. Daneben gibt es aber natürlich nach wie vor die Männer- und die Frauenräume, die realpolitisch großen Einfluss haben. Zum Schluss eine Ranking-Frage: was sind für dich seit 2000 die fünf queersten Räume in Wien? Das Marea Alta, nach wie vor die Rosa Lila Villa, dann ist es für mich der ganze Dunstkreis FM queer, sicher die Quote-Abende und dann – war es für mich sicher auch mein langjähriger Arbeitsplatz wienweb, das ist für mich einer der queersten Arbeitgeber, den’s gibt. Als sechsten Ort nenne ich noch den sozialwissenschaftliche Bereich. Im Uni-Bereich ist es auch – also jetzt im Unterschied, wenn man irgendwo als Verkäuferin arbeitet – relativ einfach queer zu sein.
Ein ganz besonderes Jahr Wiener Höhepunkt der Stonewall-Erinnerung war Europride 2001 mit 250.000 Teilnehmer_innen. Europride ist die europäische Dach-Parade, die jedes Jahr in einer anderen Stadt Europas stattfindet. Connie Lichtenegger, damals bekannt als Szenewirtin, und Veit Georg Schmidt, Buchhändler im Löwenherz, dem einzigen lesbisch-schwulen Buchladen Wiens, waren die Co-Präsident_innen des austragenden Vereins CSD. Die Idee Europride 2001 entstand im Café Berg, wo wir die beiden auch trafen. Europride 2001 war sicher eine große Herausforderung. Wie hat das im Vorfeld funktioniert? Connie Lichtenegger: 2001 war sicher ein ganz besonderes Jahr für die Lesben- und Schwulenbewegung in Wien. Wir waren nicht ganz 10 Leute, die das gemacht haben, je nach Ressourcen und Möglichkeiten - und das mit ziemlicher Beachtung international. Was waren die schwierigsten Aufgaben? CL: Das kann man so nicht sagen, denn es hat sich irgendwann in einem “Es ist alles zuviel” verloren. Das Gesamte war ein unglaubliches Ding, das wir doch gemeinsam geschafft haben. Es gab 2001 zum ersten Mal Regenbogenfähnchen auf Straßenbahnen. Wie kam es dazu? Veit Georg Schmidt: Ich war an diesen Straßenbahnfähnchen seit etwa zweieinhalb Jahre dran. Die Erstauskunft der Wiener Linien war: „Wir wissen nicht wie viele Garnituren wir in Betrieb haben und können deshalb auch gar keine Aussage machen, wie das möglich sein soll“. Es war
eigentlich schon gescheitert und plötzlich bekam ich einen Anruf der Wiener Linien, sie möchten das doch machen. Daher musste ich mit in Windeseile was überlegen, und so kam die Geschichte mit den Patenschaften in die Welt. Die Fähnchen sind also passend zu Europride gekommen, aber eigentlich war Europride sogar eine Gefahr für die Fähnchen. Wie habt ihr den Tag selbst erlebt? CL: Den Tag von Europride selbst werde ich nie vergessen. Ich habe natürlich kein Auge zugetan. Wir waren um 5 Uhr früh am Parkplatz, schon mal schauen, was sich so tut. Ab 6 kamen die ersten LKWs zum Dekorieren. Ich war auch GastroVerantwortliche und musste schauen, ob alle Getränkewagen unterwegs sind. Es ging von 5 Uhr früh bis zum nächsten Tag mittags durch. Wie europäisch war Europride? CL: Es war sehr europäisch. Wir haben sehr viel Wert darauf gelegt, dass es wirklich eine europäische Parade wird. Wir haben damals schon versucht, diese Idee Europa mit Ostöffnung aufzugreifen und haben uns sehr bemüht auch Men-
schen aus dem ehemaligen Osten die Teilnahme zu ermöglichen. Soll sich Wien wieder für einen Europride bewerben? CL: Europride in der Form kann man sicher nicht mehr nach Wien holen. Das war erstmalig, einzigartig und nie wieder bringbar. Ich denke mir aber schon, den europäischen Gedanken, Wien als dieses Tor, das Wien ja auch darstellt, zu transportieren, wäre schon etwas, das ganz fein wäre. Wie nachhaltig war Europride? CL: Das ist eine Frage, die ich mir auch oft stelle. Es war sehr nachhaltig unmittelbar danach. Was mich sehr beeindruckt hatte, war zu sehen, was in Wien möglich ist, was mit verschiedenen Vereinen, Organisationen und Initiativen in Wien gemeinsam möglich ist. Wir hatten ja ein Europride-Monat, das heißt wir hatten jeden Tag mindestens zwei, drei Veranstaltungen. Aber die Nachhaltigkeit? Ich weiß nicht, warum es nicht blieb. Das weiß ich bis heute nicht.
Wie bettet ihr Europride in die Emanzipationsgeschichte ein, insbesondere zu Stonewall 1969? VGS: Wichtig ist immer, dass man sich bewusst macht, dass wir als Veranstalter_innen von Paraden diese Kontinuität, diesen Bezug, herstellen, den es eigentlich gar nicht gibt. Das ist seit über 100 Jahren so. Die lesbisch-schwule Emanzipationsgeschichte ist eine Geschichte von Diskontinuitäten, teilweise erzwungenen durch öffentliche, staatliche, gesellschaftliche Repressionen, sei es aber auch dadurch, dass es zu keiner Zeit eine beständige, legitimierende und repräsentative Struktur gegeben hat. Insofern sind alle Aktivitäten die man tut in einem gewissen Emanzipationswillen eingebettet und der bezieht sich natürlich auf dieses Highlight 1969, bzw., die erste Demonstration ein Jahr später. Aber im Sinne einer klassischen Geschichte, die auf Kontinuitäten abzielt, gibt es diese Kontinuität nicht. Es gibt im Gegensatz zu allen gesellschaftlichen Vorgängen, die überprüfende Instanz nicht. Die ist man immer nur selbst. Insofern ist es auch wichtig, dass man so einen historischen Bezug herstellt, an dem man sich selbst misst.
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Die Suppe wird nicht so heiSS gekocht wie gegessen 2005 begann Sabrina Andersrum mit einigen Freunden die erste BallCanCan-Party in Wien. Seit dieser Zeit gilt die Party als Anziehungspunkt vor allem von Lesben, Schwulen und Transgendern vom Balkan. Sabrina Andersrum wohnt in “Little Balkan”, wie sie den 10. Wiener Gemeindebezirk nennt und lebt als transidente Frau. Manchmal komme bei ihr mehr die Frau, manchmal mehr der Mann durch, betont Sabrina. Sie tritt lieber als Frau auf, beim Autofahren sei sie typischer Macho. Sie wurde 1970 als René und als Sohn einer slowakischen Mutter, eines serbischen Vaters, einer kroatischen Großmutter und eines serbischen Großvaters mit Roma-Hintergrund geboren und wuchs in Wien auf. Mit BallCanCan wurde sie zur Galionsfigur lesbischer, schwuler und transidenter Migrant_innen. Mit deinem BallCanCan, aber auch anderen Initiativen wie Homoriental, ViennaMix und MiGay wurden zum ersten Mal lesbische, schwule und transgender Migrant_innen sichtbar. Davor war die Bewegung von der österreichischen Mehrheitsgesellschaft geprägt und wurde auch für diese kommuniziert. Gibt es bei Migrant_innen – immerhin etwa ein Drittel der Wienerinnen und Wiener – andere Schwerpunkte? Vergleichbar ist es nicht, weil sehr viele Serben oder Bosnier sind nach dem Krieg hergekommen und haben das verheimlicht, hatten kein Coming-out. Mittlerweile haben wir, also BallCanCan und Homoriental etwa, dazu beigetragen, dass sich die Leute mehr trauen, dass sie auch ausgehen und sich outen. Am Anfang sind viele Leute gekommen, die sich
nicht fotografieren lassen wollten oder Sonenbrillen aufhatten. Auch die jüngere Generation hat da leider Gottes immer noch ein Handicap. Serbische Männer sind Patriarchen und wollen, dass der Sohn verheiratet ist und für Nachwuchs sorgt, Stammhalter wird. Das macht es enorm schwierig, sich dazu zu bekennen. Auch wenn jemand zu BallCanCan kommt, muss das nicht heißen, dass er dazu steht. Aber durch BallCanCan und Homoriental haben sich jetzt mittlerweile doch mehr getraut. Auch durch mich ein bisschen. Dass die Suppe nicht so heiß gekocht wird, wie gegessen. Dass die Gesellschaft nicht immer so aggressiv und intolerant ist. Man muss aber auch manchmal etwas einstecken, ein bisschen ein dickes Fell haben, eine Elefantenhaut. Aber das ist es wert.
Verschwinden Migrant_innen aus deinem Blickfeld wieder, weil sie sich dem Druck, zu heiraten und eine Familie zu gründen, unterwerfen? Ja, sie müssen einfach. Bei Ex-Jugoslawen nicht so sehr, aber bei türkischen Männern ist der Druck von der Familie schon sehr groß, riesig. Sie müssen ihre Sexualität unterdrücken, heiraten, sich zwingen und stürzen die Frau ins Unglück. das endet dann meistens doch mit einer Scheidung, wo er wegrennt oder sie unglücklich ist, weil sie keinen Sex hat. Ich kenne einen Bekannten aus Albanien, der hat das versucht durchzuziehen und es war immer Krieg. Er hat eine 12-jährige Tochter, die war unglücklich, er war unglücklich und die Frau war unglücklich. Letztendlich hat es damit geendet, dass er sich scheiden hat lassen. Aber er hat jetzt Angst vor der
Familie, vor Mutter, vor Vater, vor Bruder. Er wird bedroht, er wird terrorisiert, hat die Wohnung gewechselt und denkt sogar daran von Österreich wegzuziehen. Und das im Jahre 2009. Wenn man mit Lesben und Schwulen am Balkan selbst spricht, kennt jede und jeder Sabrina Andersrum und BallCanCan. Wie wichtig ist die Stadt Wien für die Region Südosteuropa als Drehscheibe? Ja, auf jeden Fall. Es ist das erste westliche Land, das Fenster zum Westen. In der kommunistischen Zeit warst du in 2 oder 4 Stunden da. Am Anfang hat man es übers Fernsehen, über Satellit verfolgt. Mittlerweile kommen sie her. Wien als Drehscheibe ist sehr wichtig.
Schubladisieren tun eh die anderen Sehen sich junge Lesben und Schwule als Teil der Emanzipationsgeschichte der Lesben, Schwulen und Transgenders? Und wenn ja: wohin soll sich diese Geschichte künftig hin entwickeln? Diese Fragen stellten wir Sabrina Rotter, 24, Politikwissenschaftstudentin an der Universität Wien, und Marc Damm, 21, Grafikdesignstudent an der Universität für Angewandte Kunst. Am Ende des Gesprächs stellten wir fest, wie ähnlich der Wunsch junger Menschen heute und die Anliegen der ersten Demonstrant_innen eigentlich sind: Es geht um Sichtbarkeit. Vom Versteckspiel hatten 1969 Lesben, Schwule und Transgenders genug. Das scheint auch 2009 noch der Fall zu sein. Siehst du dich als Teil der Emanzipationsgeschichte der lesbisch-schwulen Community? Sabrina Rotter: Teilweise sehe ich mich schon als Teil dieser Emanzipationsgeschichte, weil das Leben heute so nicht möglich wäre, wenn es diese Geschichte nicht geben würde. Marc Damm: Ich bin nicht auf der Regenbogenparade aus Protest, aber ich bin dort, weil ich keine Angst habe, weil ich gerne auftreten will als das, was ich bin. Und sehe ich mich in der Emanzipationsgeschichte? Ich würde sagen Nein. Dazu bin ich vielleicht zu individuell. Ich bin nicht das, wofür die Emanzipationsgeschichte steht. Wenn in unserem Fall von einer Emanzipationsgeschichte gesprochen wird, meinen wir damit die Emanzipation von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgendern. Wie stehst du dazu? SR: Schrecklich kleinkariert finde ich das. Man sollte Menschen nicht prinzipiell per
Geschlecht definieren, sondern andere Dinge finden, die sie ausmachen, egal welche sexuellen Einstellungen sie haben. Ich für mich fühle mich definitionslos, denn das tun eh die anderen für mich, mich schubladisieren und Definitionen für mich erfinden. Wenn man mutig ist, kann man ja rausfinden, ob es wahr ist, was man sich denkt. Wo würdest du die Emanzipationsgeschichte gerne hin entwickeln? SR: Ich würde die Emanzipationsgeschichte gerne dorthin entwickeln, dass es vollkommen egal ist, wie ich mich selbst definiere – ob als bisexuell oder homosexuell oder heterosexuell – dass einfach der Mensch zählt, und weder das Geschlecht noch die Orientierung. MD: Ich würde gerne die Situation herbeischaffen, oder dabei mitgestalten, dass sich niemand verstecken muss. Ich gehöre zu den Jugendlichen, die sich vom Internet entjungfern haben lassen und das soll’s nicht sein, dieses Versteckspiel soll aufhören. Das nervt mich und betrifft
mich auch persönlich. Mehr Outgoing und mehr Offensein wäre das, was ich mir wünschen würde. Hattest du dein Coming-out übers Internet? MD: Ich habe mich nie geoutet. Ich finde, Outing ist heutzutage so ein Druck, dem ein Jugendlicher ausgesetzt wird; ich weiß nicht, ob das so notwendig ist. Ich will einfach, dass es zu einer Normalität wird und zu einer Normativität. Das Outing an sich ist heutzutage wirklich Zwang, ein unnötiger Stress, dem sich Jugendliche, zumeist auch Ältere, aussetzen müssen. Ich habe mich da nicht jahrelang bewegt, aber ich habe meine Zeit gehabt, da wurde ich mit Doppelmoral konfrontiert. Du wirst im Internet von 50-jährigen, 60-jährigen Männern angeschrieben, die ihre Frau bescheißen. Das kann’s nicht sein. Es kann nicht mehr dieses Versteckspiel geben, nicht mehr heute. Was müsste denn geschehen? MD: Ich könnte jetzt einfach mit “Reden”
antworten, aber da wird es bisweilen auch bleiben. Einfach darüber reden, weiter darüber reden, Fragen stellen. Ich finde es wichtig, dass im Sexualunterricht diese Sache anklingt. Es ist eine Unverschämtheit, dass es verschwiegen wird. Ich habe mir das selbst erdichten müssen und habe jahrelang mit irgendwelchen Spekulationen gelebt. Bei mir hat sich sehr früh für mich herausgestellt, dass ich homosexuell bin. Das kann’s nicht sein, dass es verschwiegen wird. Das ist eine Gemeinheit an sich. Braucht es denn die Regenbogenparade noch? SR: Dazu möchte ich schon sagen, dass es sehr wohl momentan noch wichtig ist, ein Zeichen zu setzen, dass es das gibt. Meine Utopie von mir wäre, dass man das nicht mehr machen muss, weil es so normal ist. Weil die Menschen es nicht mehr wichtig finden, ob jemand schwul oder lesbisch ist. Die Gleichstellung von jedem Menschen in seiner Partnerschaft, wie immer er sich das wünscht, egal aus welcher Richtung er kommt oder welches Geschlecht er hat.
die zweitausender
IMPRESSUM
queer Lounge speziaL sToneWaLL in Wien Chronologie der lesbischschwulen-transgender Emanzipation Do., 16. Juli 2009, 20.00 Uhr www.okto.tv/queerlounge
Redaktionelle Beiträge: Andreas Brunner (QWien), Ewa Dziedzic, Iris Hajicsek, Marco Schreuder, Hannes Sulzenbacher (QWien) Lektorat: Iris Hajicsek Grafik & Layout: Willi Dolleschall Video-Umsetzung: Stefan Sengstake, Stefan Sickert, Martin Ebner (queer Lounge) Mitarbeit: Hansi Eitler, Peter Kraus Idee: Marco Schreuder Eine Kooperation der Grünen Andersrum Wien, QWien - Zentrum für schwul/lesbische Geschichte, queer Lounge mit freundlicher Unterstützung der Grünen Wien, der Grünen Bildungswerkstatt und den Grünen SeniorInnen Für den Inhalt verantwortlich: Die Grünen Andersrum Wien, 1070 Wien, Lindengasse 40 Druck: Buttons 4 you & Druckerei, Fa. Hannes Schmitz, Leystraße 43, 1200 Wien
Fotonachweis
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Umschlagfoto: Ali vom Savoy, Seite 2: Daniel Gebhardt, Seite 3, 4, 5, 6: QWien Archiv, Seite 8: Common License, Seite 9, 10, 11: QWien Archiv, Seite 12: HOSI Wien, Seite 15: HOSI Wien, QWien Archiv, Seite 16, 17: HOSI Wien, QWien Archiv, Rudi Katzer, Seite 21: QWien Archiv, Seite 22: Rudi Katzer, QWien Archiv, Seite 23: Wiener Antidiskriminierungsstelle für gleichgeschlechtliche Lebensweisen, Rudi Katzer, QWien Archiv, Seite 24: QWien Archiv, HOSI Wien, Seite 27: Alkis Vlassakakis, Seite 28: Alkis Vlassakakis, QWien Archiv, Seite 29: Ladyfest, Alkis Vlassakakis, Grüne Wien, alle Interviewfotos: queer Lounge; alle Qwien Archiv Fotos aus dem Bestand der Ausstellung geheimsache:leben, 2005
Spiel nicht mit den Schmuddelkindern... Stell Dir vor, Du bist a Warmer singt Georg Danzer in einem seiner Lieder. Ein letztes Bekenntnis, was es bedeutet hat und immer noch bedeutet, anderssein zu müssen statt anderssein zu können. Als Generation 60+ “andersrum” durch die vergangenen 50 Jahre gegangen zu sein ist wie die Irrfahrt durch ein unendliches Labyrinth. Sich selbst zu entdecken als nicht-heterosexuell, war der Schlag, der haargenau in den Solarplexus trifft und schlimmer noch, eine Etage tiefer. Bedürfnisse, die einem in frühen Kindertagen schon ausgetrieben werden und dann auch noch solche. Warmer, Lesbe und Sexualverbrecher_in in unseliger Eintracht. Wer das Mäntelchen der schonenden und gesellschaftsfähigen Ehe darüber breiten konnte, stand im Leo. Zumindest eine zeitlang. Verlogenes Glück, um nicht restlos dem Unglück ausgeliefert zu werden. Die ewige Angst im Nacken, entdeckt zu werden oder schlimmer noch, nirgendwo hinzugehören. Als Warmer, Mannweib oder Mensch im falschem Geschlecht diffamiert zu werden. Spielt nicht mit den Schmuddelkindern, steckt Euch nicht an. Die Demonstrationen der Homosexuellen und die
der Frauenbewegung waren die ersten Chancen, aus der Finsternis auszutreten. Eine sich etablierende Szene hat auch Zuflucht geboten und sich zu einer gesellschaftspolitisch relevanten Teilheimat empor-gewirtschaftet. Aber lange noch ist das Ziel der Grünen Andersrum nicht erreicht. Immer noch gibt es weder gleiche Rechte noch gleiche Pflichten. Was aber heißt es, als Mensch mit anderer sexueller Orientierung zu altern? Wie stehen die Chancen, neue Partnerschaften einzugehen? Was, wenn die homosexuelle Gemeinde nicht frei davon ist, körperliche Attraktivität und fitte Jugendlichkeit als Auswahlkriterium zu bevorzugen? Wo ist der Unterschied eines Alters außerhalb der Normen? Heißt Älterwerden noch ein Stück weiter an den Rand zu rutschen? Noch mehr in einen immer kleiner werdenden Kreis zu geraten, in dem das Überleben möglich ist? Was bleibt, wenn Partner_innen sterben? Was bleibt, wenn der Schutz des beruflichen Status endet? Was bleibt, wenn Menschen mit anderer sexueller Orientierung während ihres ganzen Lebenslaufes nicht “normal” leben können? Muss eine ganze Gesellschaft erst mühsam lernen, dass niemand anders ist, weil jede_r anders ist?
von Birgit Meinhard-Schiebel
Wir Grünen SeniorInnen fordern gleiche Rechte auf soziale Teilhabe, Selbstbestimmung, individuelle Wohnformen, Grundsicherung im Alter u.v m. für ALLE Menschen, egal welcher sexueller Orientierung, Konfession, Hautfarbe oder Nationalität sie sind. Punkt.
Die Initiative Grüner SeniorInnen Wien bietet lebendige Informationen, politische Bildung, gemeinsame kulturelle und sportliche Aktivitäten und ein spannendes Leben mit engagierten älter werdenden und alten Menschen. Wir stehen für Grüne Generationenpolitik und wissen, was wir wollen. Infos unter: seniorinnen.gruene.at email: birgit.meinhard-schiebel@gruene.at