Festpredigt zu 50 Jahre Dietrich Bonhoeffer Haus Bocholt

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Predigt zu »50 Jahre Dietrich-Bonhoeffer-Haus« über Lukas 1, 5-20 am 3. Dezember 2017 (1. Advent) in Bocholt Joachim Anicker • Superintendent • Evangelischer Kirchenkreis Steinfurt-Coesfeld-Borken Bohlenstiege 34 • 48565 Steinfurt • Tel. 02551-144-17 • st-superintendent@kk-ekvw.de

Liebe Festgemeinde! Ich habe uns heute zu diesem schönen Jubiläum eine alte Adventsgeschichte mitgebracht. Es ist die Geschichte von Zacharias und Elisabeth in Lukas 1, 5-20. Da lesen wir: Zu der Zeit des Herodes, des Königs von Judäa, lebte ein Priester von der Ordnung Abija, mit Namen Zacharias. Und seine Frau war aus dem Geschlecht Aaron und hieß Elisabeth. Sie waren aber beide fromm vor Gott und lebten in allen Geboten und Satzungen des Herrn untadelig. Zacharias ist ein Priester aus altehrwürdigen Geschlecht. Tief verwurzelt in der Priesterdynastie Israels, geprägt vom Umgang mit dem Heiligen, vom Tempelkult, von Gottesfurcht und Ehrfurcht vor dem Erbe der Väter. Auch seine Frau Elisabeth aus dem Geschlecht Aaron ist eingebettet in die Geschichte, die Gott mit seinem Volk Israel gegangen ist, die zurückreicht bis in die Zeit des Mose und Aaron, des Exodus und der Landnahme. Wir sehen zwei betagte Menschen vor uns, fest in ihrer Tradition verankert. Auch wir brauchen heute als christliche Gemeinde eine tiefe Verankerung in der Tradition, im Glauben unserer Väter und Mütter. Wir stehen auf dem Boden, den sie bereitet haben – hier und heute sogar buchstäblich. Und viele, die so groß geworden sind, haben auch diese Gemeinde in Bocholt mitgeprägt. Was bedeutet Tradition? Wir Christen nähren uns aus den alten Worten der Bibel. Doch vielen Menschen sind heute biblische Sprache und Inhalte fremd geworden. So wie neulich ein Konfirmand auswendig lernte: »Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat samt allen Karikaturen.« Aber im Ernst: Oft haben Journalisten ein gutes Gespür für die Strömungen der Zeit. So schrieb Matthias Drobinski einmal in der Süddeutschen Zeitung (SZ vom 7.11.2011): »Selbst da, wo die Kirchen noch stark sind, wissen die Leute nicht mehr recht, ob sie an die Sieben oder an die Zehn Gebote glauben sollen, an die Auferstehung der Toten oder an die Wiedergeburt. … Die Fragen des Lebens sind drängender geworden. Die Menschen suchen nach Sinn und Deutung, sie dürsten danach, die Leere zu füllen, wenn es um sie herum und in ihnen still wird. Bibelstellen sind ihnen fremd geworden – nicht aber die Frage, warum sie auf der Welt sind und wie das sein wird, wenn sie einmal sterben. ... Will die Kirche in neuer Weise missionarisch sein, muss sie statt noch betriebsamer zu werden, eine eigene Tiefe finden, eine eigene Frömmigkeit, einen eigenen Lebensstil. Sie muss lernen zuzuhören, ohne abzuwerten, ohne die eigenen Grundsätze zu verraten.« Manchmal stehen wir in Gefahr, zu denken, eine Kirche und eine Gemeinde, die mit der Zeit gehen will, dürfte die Menschen nicht mit schweren Glaubenslehren belasten, nicht von Kreuz und Sünde und Vergebung und Erlösung und Gerechtigkeit sprechen. Das passt nicht zum Lifestyle von heute, Seite 1 von 5


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erreicht junge Menschen nicht mehr, so hört man. Es stimmt wohl: Der christliche Glaube erschließt sich nicht leicht und mühelos, es gibt ihn nicht in der »Light-Version«. Aber was fremd und merkwürdig erscheint, muss nicht weggelassen, sondern neu erschlossen und vermittelt werden. Es ist doch die Wahrheit über unser Leben! Es ist schön, dass in diesem Haus Kinder und Jugendliche mit den Geschichten der Bibel vertraut gemacht werden. Tradition muss immer aktiv weitergegeben werden – als lebendiges Feuer, nicht als tote Asche. So erhält Gott Gelegenheit, Menschen heute zu begegnen und sie zu berühren. Wir sind als Kirche ja keine Agentur für Werte und kein Wohltätigkeitsverein. Gemeinde ist die Versammlung von Menschen, die sich mit Gott verbunden wissen und erst in zweiter Linie auch miteinander. Dafür ist das Kreuz das Zeichen, das uns nach links und rechts miteinander verbindet, weil und sofern wir nach oben mit Jesus Christus verbunden sind. Werte, die uns leiten, folgen allein aus dieser Gottesbeziehung, nicht als Zweck, sondern als Frucht. Also: nicht Inhalte abschaffen, sondern den Schutt aus Missverständnissen wegräumen und das ursprüngliche Feuer anfachen, wäre unsere Aufgabe. Das alte gewordene Ehepaar Zacharias und Elisabeth steht mit dem Festhalten an den Glaubensordnungen Israels für Menschen, die etwas von Gott erfahren haben und treu ihren Dienst tun. Nun geht die Geschichte allerdings erstmal traurig weiter: Und sie hatten kein Kind; denn Elisabeth war unfruchtbar, und beide waren hochbetagt. Ein kinderloses Ehepaar! Das war schon damals Sinnbild von Zukunftslosigkeit. Schade. Dann eignen sich die beiden wohl doch nicht als Leitbilder für uns und unsere Frage, wie es mit unserer Kirche weitergehen soll! Da kann ja jetzt nicht mehr viel nachkommen ohne Nachkommen. Wir haben als Kirche – sind wir ehrlich – genau so leere Hände wie Zacharias und Elisabeth. Wir können noch so viel Programm machen und die tollsten Sachen anbieten – und es kann trotzdem heißen: fruchtlos, kinderlos, hat nichts gebracht! Nein, wir können es nicht regnen lassen, wir können immer nur leere Gefäße vor die Türe stellen und warten, bis der Himmel regnen und wachsen lässt. So kommen uns Zacharias und Elisabeth nahe in ihrer Armut und ihrem Angewiesensein. Eine Gemeinde ist eine Gemeinschaft von Menschen, die nicht untätig, aber geistlich gesehen mit leeren Händen vor Gott steht und von ihm das Entscheidende erwartet. Und es begab sich, als Zacharias den Priesterdienst vor Gott versah, … dass ihn nach dem Brauch der Priesterschaft das Los traf, das Räucheropfer darzubringen; und er ging in den Tempel des Herrn. Vielleicht kennen Sie das: Indem auch wir absichtslos unseren Dienst tun – Gottesdienst feiern, die Routine des Hörens und Singens und Betens, für die Diakonie sammeln, Kranke besuchen, Bibel lesen – können auf einmal Dinge geschehen, mit denen keiner gerechnet hat. Bei Zacharias und Elisabeth war es so – plötzlich öffnet sich die Szene: Und die ganze Menge des Volkes stand draußen und betete zur Stunde des Räucheropfers. Eine große Zahl von Menschen steht »draußen«! Erstaunlicherweise nicht in Caesarea oder Tiberias, Seite 2 von 5


–3– wo der römische Trendset vorgeführt wird, nicht in der Umgebung des Palastes von Herodes. Sondern das Volk steht vor den Toren des Tempels! Das kommt uns bekannt vor. Viele Menschen bleiben draußen, besuchen nie einen Gottesdienst, außer wenn es sich gar nicht vermeiden lässt. Aber doch sind viele froh, dass es die Kirche gibt, dass Menschen stellvertretend aktiv ihren Glauben leben, auch Opfer bringen im Dienst für andere. Diakonie steht hoch im Ansehen der Gesellschaft. Viele ahnen, dass das auch für sie geschieht, auch wenn das Volk heute mehr in Konsumtempeln als in Gottestempeln zu finden ist. Viele mögen bereits vergessen haben, dass sie Gott vergessen haben, wie es Bischof Noack über die Kirchen in den östlichen Bundesländern einmal gesagt hat. Hauptsache, das Handy ist an und man ist online… Aber viele schauen auch erwartungsvoll auf das, was wir tun, was in den Kirchen geschieht. Sie bleiben Kirchenmitglied, wenn auch nicht aktives Gemeindeglied. »Es ist gut, dass es euch gibt«, sagen manche, und denken: Vielleicht brauche ich ja mal die, die an Gott glauben. Es muss doch mehr geben als Aktienkurse und Spaßhaben und Weltreisen und ein bisschen Feiern am Wochenende… Da ist eine Sehnsucht nach etwas Anderem, Neuen und zugleich Ewigem. Diese Sehnsucht können wir in der Kirche nicht stillen, auch nicht durch eine noch so großartige Gemeindearbeit. Kein Pfarrer kann das, kein Prädikant, kein Ehrenamtlicher. Die Sehnsucht können wir allenfalls wachhalten, stillen kann sie nur der Himmel. Darauf weist der nächste Satz in unserer Geschichte hin: Da erschien ihm der Engel des Herrn! Nur so geht es. Gott selbst muss handeln, uns ansprechen, bewegen, ergreifen. Wir sind und bleiben auf sein Wirken angewiesen. Wir können Glauben und Vertrauen nicht machen. Glauben ist Geschenk, nicht unsere Entscheidung. Ich denke, das wünscht sich jede Gemeinde von Herzen: Nicht nur Aktivitäten, nicht nur schöne Musik und Gruppen und Kreise – ja, das auch. Aber vor allem: dass der Himmel sich darüber auftut, für uns und für die vielen da draußen! Dann und wann wenigstens! Dass man etwas spürt von dieser Kraft, der Freude des Glaubens, von Gottes Gegenwart! Zacharias spürt auch etwas, als der Engel erscheint: Und als Zacharias ihn sah, erschrak er, und es kam Furcht über ihn. Das wirkt, als käme jemand in Berührung mit einer Hochspannungsleitung. Und das ist auch so: hoch spannend und erschreckend zugleich, und auch ein bisschen lebensgefährlich. Das kann einen aus der Bahn werfen. Das Leben ist nicht mehr dasselbe nach so einer Gotteserfahrung. Es ist erschreckend, man kann die Kontrolle verlieren, ist aus der Bahn geworfen. Und nun folgt die Verheißung, und unzählige Male in der Bibel beginnt sie mit den Worten: Fürchte dich nicht, Zacharias, denn dein Gebet ist erhört worden. Deine Frau Elisabeth wird dir einen Sohn gebären, und du sollst ihm den Namen Johannes geben… Er wird groß sein vor dem Herrn und er wird vom Volk Israel viele zu dem Herrn bekehren.


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Der Sohn »Johannes« wird den beiden betagten Senioren verheißen. Johannes, den man später »den Täufer« nannte. Er wird die Aufgabe haben, Jesus zu taufen und ihm den Weg zu bereiten. Zugleich mit dem Kind wird auch der Name gegeben: Johannes, Jochanan, das bedeutet: »Gott ist gnädig«, »Gott ist Güte«. Der hebräische Name ist nicht beliebig, sondern Programm, wie immer in der Bibel. Das besagt: Dieses Kind kommt durch euch, aber gehört euch nicht. Durch diesen Menschen will Gott handeln. Im Grunde ist das die Botschaft bei jeder Taufe bis heute. Das ist ein bisschen so, wie sich eine Gemeinde den Namen für ihr Gemeindehaus aussucht. Der Name ist Programm. In der Chronik zum 50-jährigen Bestehen des Kirchenkreises aus dem Jahre 2003 lese ich über den Westbezirk der Ev. Kirchengemeinde Bocholt: »Die Namen der Gemeindehäuser im Westbezirk benennen das Leitbild und das Ziel der Gemeindearbeit (Wichern und Bonhoeffer). Diese ist seelsorgerlich-diakonisch orientiert. Das Leitwort lautet: »Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist.« (Dietrich Bonhoeffer) Was feiern wir, wenn wir 50 Jahre Bonhoefferhaus feiern, und wie geht es weiter? Dazu wäre von dieser Geschichte her dieser Gemeinde zu sagen: Bleiben Sie bei einer Zacharias-und Elisabeth-Existenz: Bleiben Sie mit Gott verbunden (das alte Wort dafür heißt »fromm«), pflegen Sie Ihre Tradition der dienenden Gemeinde – und bleiben Sie Lobsänger und Bittsteller vor Gott. Versuchen Sie nicht mehr zu sein als das! Menschen, die Gott Lob singen und ihn um sein Wirken bitten, und die so »Kirche für andere« sind. Sich umeinander kümmern, Sorgen und Nöte teilen, Hilfe organisieren, in dem Wissen: Weil für uns gesorgt ist, können wir uns um andere sorgen. Und nicht aufhören, zu warten darauf, dass Gott Wunder tut. Dazu ermutigt die Geschichte uns heute Morgen. Auch und gerade, wenn es Zeiten gibt, wo wir uns fragen: Wozu mache ich das hier alles? Wird es nach uns weitergehen? Zacharias sprach zu dem Engel: Woran soll ich erkennen, dass du die Wahrheit sprichst? Siehe, ich bin alt, und meine Frau ist betagt. Der Engel antwortete und sprach zu ihm: Ich bin Gabriel, der vor Gott steht, und ich bin gesandt, mit dir zu reden und dir dies zu verkündigen. Und siehe, du wirst stumm werden und nicht reden können bis zu dem Tag, an dem dies geschehen wird, weil du meinen Worten nicht geglaubt hast. Entgegen der landläufigen Meinung ist das Stummwerden des Zacharias keine Strafe! Es ist eine Gnade! Echte Gotteserfahrungen machen für eine Weile stumm. Dieses Verstummen ist das Geschenk des Schweigens und tiefer Stille, der Beginn eines mystischen Glaubens. Gott braucht die Stille, um uns zu begegnen. Wir müssen ihm aber auch Gelegenheit dazu geben, was heute schwer ist in unserer Flatrate-Kultur der ständigen Unterhaltung und Berieselung. Stille kostet Betriebsunterbrechung – und Überwindung. Das kann man auch als Beitrag zur Diskussion um die Sonntagsöffnungszeiten hören. Konsum ohne Unterbrechung führt in eine atemlose, tödliche Leere. Die Sonntagsheiligung ist kein Luxus für ein paar fromme Christen, sondern ein lebenswichtiges Menschenrecht als Schutz vor dem totalen Zugriff des Geldes auf die Seele einer ganzen Gesellschaft. Zacharias hat sein Leben lang gebetet; und jetzt, wo sein Gebet erhört wird, muss das Reden einmal Seite 4 von 5


–5– aufhören. Das Schweigen und Hören ist die Voraussetzung dafür, dass wir der Welt wirklich etwas zu sagen haben. Der Dichter Ernest Hemingway hat einmal so schön gesagt: »Man braucht 2 Jahre, um sprechen zu lernen, und 50, um schweigen zu lernen.« Das möchte ich Ihnen heute Morgen als Gast sagen: Wir haben diese alte Geschichte von Zacharias und Elisabeth. Dadurch sagt uns Gott: Habt Mut und Vertrauen! Gott handelt oft da, wo nichts mehr zu erwarten ist. Hört nicht auf, an Wunder zu glauben! Sie haben Ihre 50-jährige Gemeindetradition, die gemeinsam mit dem Profil der anderen Bezirke den Auftrag der Gemeinde abbildet. Für Menschen da zu sein ist etwas Wunderbares und Kostbares. Es erfordert aber auch, dass man als Gemeinde nicht zu einem Museum oder Heimatverein wird, um Vergangenes zu konservieren und es in geschlossenen Kreisen gemütlich zu haben. Sondern die Bereitschaft, sich immer wieder zu öffnen gegenüber neuen Menschen und Aufgaben, mit wachem Blick und offenem Herzen. Mit Gottes Hilfe wird es gelingen, weiterzugehen. Denn seine Verheißungen gelten auch uns. Bleiben wir erwartungsvoll. Dafür steht der Advent. »Oh wohl dem Land oh wohl der Stadt (und oh wohl der Gemeinde), die diesen König bei sich hat!« Und der Friede Gottes, der größer ist als wir denken und verstehen können, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus, unserem Herrn. Amen.


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