Architektur der Weiblichkeit

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ARCHITEKTUR DER WEIBLICHKEIT

Frau – eine Konstruktion Inszenierung Wohin mit dem Fett? Selfies – die neuen Pin-ups Gegenwart Was machen die Stars:

Hannah Wilke Cindy Sherman Amalia Ulman – die neue Kunst-Sensation

Die heißesten Trends für deinen Körper!





IDENTITÄT Performing the Gender: Von Simone de Beauvoir zu Judith Butler

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MASKERADE Die Konstruktion der weiblichen Geschlechtsidentität in der bildenden Kunst

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Das Frauenbild in der feministischen Kunst der zweiten und dritten Welle der Frauenbewegung

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Die neue Konstruktion der Frau durch das Selfie

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SCHÖNHEIT Was ist jetzt schön?

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Die Bedeutung des Publikums bei der Wahrnehmung der Frauenschönheit

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Welche Rolle spielt das Fett?

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Body Trends – gegenwärtige Elemente zur Konstruktion von Schönheit

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VORWORT Heutzutage wie in jedem Zeitalter zuvor gibt es bestimmte Erwartungen an Personen, die sich als „Frauen“ identifizieren, ob sie so „geboren“ wurden beziehungsweise seit ihrer frühen Kindheit so erzogen wurden, gemäß einiger biologischer Eigenschaften oder ob sie selbst entschieden haben, es zu werden. Diese Erwartungen betreffen sowohl das Benehmen, als auch das Aussehen einer Frauengestalt, die mindestens einen Teil davon erfüllen muss, um von der Gesellschaft als Frau wahrgenommen zu werden. In Bezug auf die weibliche Geschlechtsinszenierung interessieren mich in dieser Arbeit besonders die neuesten physischen Komponenten dessen, die gegenwärtigen idealen Körperformen, die eine Frau haben oder erwerben kann. Diese isolierten Körperteile sind Komponenten, mit denen man sich als Frau und besonders als schön wahrgenommene Frau gestalten beziehungsweise „bauen“ kann. Deswegen bezeichne ich sie fürderhin als „Bauelemente“ oder „Bauteile“ zur Konstruktion des aktuellsten, trendigsten Frauenbildes, das in der Gesellschaft allgemein als erstrebenswert betrachtet wird. So ergibt sich auch der Titel meiner Arbeit, der auf organischer Konstruktion und Dekoration des weiblichen Körpers und auf vorgegebene „architektonische (Bau-) Teile“ dafür verweist.

Andreea Cioran


Amalia Ulman, Excellences & Perfections, 2014




Performing the Gender: Von Simone de Beauvoir zu Judith Butler

gesellschaftlich erzeugt ist. Sie wendet sich gegen das Monopol des Patriarchats auf alle öffentlichen und privaten Sphären. Eine ähnliche These entwickelt auch Judith Butler – Simone de Beauvoirs Leitsatz zitierend: „Man kommt nicht als Frau zur Welt, sondern wird es.“4 – und wendet sie auf die angenommene Binarität der menschlichen Geschlechtsidentität (gender) an. Butler hat 1990 das Buch „Das Unbehagen der Geschlechter“ (Gender Trouble) geschrieben, einen einflussreichen Beitrag zu den feministischen und queeren Theorien der Gegenwart. In diesem Buch wird der künstliche Charakter der Geschlechtsidentität erörtert und deren kulturelle Konstruktion erklärt.

H

eutzutage fließt die Anschauung mehr und mehr in dem Mainstream hinein, dass „Identität als persönlich konstruiert gesehen wird, denn als anatomisch bestimmt“.1 Dies ist keine neue Idee im akademischen Bereich, sondern stammt schon aus der Mitte des 20. Jahrhunderts. Erving Goffman beschreibt in seinem Buch „Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag“ (The Presentation of Self in Everyday Life, 1959) die Gesellschaft als eine dramaturgische Vorführung, in welcher jede/r ihre/seine Rolle in bestimmten Kontexten so vollständig wie möglich zu spielen versucht.2

„Man kommt nicht als Frau zur Welt, sondern wird es.“

Simone de Beauvoir geht bereits zehn Jahre vor ihm (1949) in ihrer zweiteiligen Abhandlung „Das andere Geschlecht“ (Le Deuxième Sexe)3 von einem ähnlichen Argument aus, um ihre These zu beweisen. In ihrer umfangreichen Untersuchung bringt sie Beweise aus verschiedenen wissenschaftlichen Fachrichtungen an, um zu zeigen, dass die Geschlechtsidentität „Frau“ nicht angeboren, sondern

Ihre zentrale These lautet, dass gender nicht dem biologischen Geschlecht inhärent ist, sondern kulturell bestimmt und performativ in der Gesellschaft durchgesetzt wird. Butler geht von Beauvoirs Theorie von Geschlechtsidentität aus, die postuliert, dass „nur die weibliche Geschlechtsidentität als

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Amalia Ulman, Excellences & Perfections, 2014

solche markiert sei, während die männliche Geschlechtsidentität mit der Vorstellung von einer universalen Person verschmelze, so dass die Frauen mittels ihres Geschlechts definiert, die Männer dagegen als Träger einer den Leib überschreitenden, universalen Persönlichkeit gefeiert würden“.5 Das heißt, die Frau wird im Gegensatz zum Mann definiert – alles, was er nicht ist, wird von ihr repräsentiert: das Andere, das Mysteriöse, das Körperliche, das Passive. Die Frau wird von der Gesellschaft so konstruiert, dass sie diese Antinomie zum Mann darstellt.6 Im Gegensatz dazu schlägt Judith Butler vor, beide Geschlechter als konstruiert anzunehmen, denn beide sind nicht mit dem sex (anatomisches Geschlecht) oder dem sexuellen Begehren korrelierbar.

starr wie scheinbar dieses.“8 Sie beweist durch logische Folgerung, „dass weder das Konstrukt ‚Männer‘ ausschließlich dem männlichen Körper zukommt, noch dass die Kategorie ‚Frauen‘ nur weibliche Körper meint.“9

In ihrem Diskurs ist „die Unterscheidung zwischen anatomischem ‚Geschlecht‘ (sex) und Geschlechtsidentität (gender)“7 zentral. „Ursprünglich erfunden, um die Formel ,Biologie ist Schicksal‘ anzufechten, soll diese Unterscheidung das Argument stützen, dass die Geschlechtsidentität eine kulturelle Konstruktion ist, unabhängig davon, welche biologische Bestimmtheit dem Geschlecht weiterhin hartnäckig anhaften mag. Die Geschlechtsidentität ist also weder das kausale Resultat des Geschlechts, noch so

Butlers Argumentation kommt zu dem Schluss, dass die traditionelle Ansicht von gender, die sich in einem Paradigma von Binarität und Heteronormativität befindet, problematisch für alle anderen Geschlechtsidentitäten ist. Diese kann nicht alle Identitäten beinhalten und zwingt viele sich anzupassen oder schließt sie absichtlich aus: „Die heterosexuelle Fixierung des Begehrens erfordert und instituiert

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die Produktion von diskreten, asymmetrischen Gegensätzen zwischen ‚weiblich‘ und ‚männlich‘, die als expressive Attribute des biologischen ‚Männchen‘ (male) und ‚Weibchen‘ (female) verstanden werden. Die kulturelle Matrix, durch die die geschlechtlich bestimmte Identität (gender identity) intelligibel wird, schließt die ‚Existenz‘ bestimmter ‚Identitäten‘ aus, nämlich genau jene, in denen sich die Geschlechtsidentität (gender) nicht vom anatomischen Geschlecht (sex) herleitet und in denen die Praktiken des Begehrens weder aus dem Geschlecht noch aus der Geschlechtsidentität ‚folgen‘.“10

Dazu hat Butler auch eine Selbstkritik in dem Vorwort der zweiten englischen Ausgabe (1999) formuliert, bezüglich ihres Misslingens in der Diskussion um Gender Trouble die Transgeschlechtlichkeit und Intersexualität einzuschließen. Diesen Aspekt hat sie später in dem Buch „Die Macht der Geschlechternormen und die Grenzen des Menschlichen“ (Undoing Gender, 2004) eingefügt. Diese zwei Publikationen sollen hier aber nicht zur Debatte stehen. Im Verlauf meiner Arbeit werde ich auf das Paradigma der Konstruktion von Geschlechtsidentität eingehen, wobei alle Körper und Identitäten innerhalb und außerhalb der Zweigeschlechtigkeit gemeint sind: trans, queer, binary, non-binary, androgyn, gender fluid usw.

„Weder das Konstrukt ‚Männer‘ ausschließlich dem männlichen Körper zukommt, noch die Kategorie ‚Frauen‘ nur weibliche Körper meint.“

Eine der wichtigsten Kritiken an Judith Butlers Theorie der gender-Performativität wendet sich an ihre Nicht-Berücksichtigung der Materialität des Körpers. Dieses Problem hat sie versucht in dem Buch „Körper von Gewicht: Die diskursiven Grenzen des Geschlechts“ (Bodies that Matter, 1993) zu lösen.

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Donath, Judith: The Social Machine. Designs for Living Online. Cambridge: The MIT Press, 2014, S. 236: “Identity is seen as personally constructed rather than anatomically destined.“ 1

2 Goffman, Erving: The Presentation of Self in Everyday Life, 1959, Zitat in Donath, 2014, S. 235.

What it means to be a Venus, Andreea Cioran, 2016

3 Vgl. Beauvoir, Simone de: Das andere Geschlecht: Sitte und Sexus der Frau. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 1982. 4

Ebd., S. 265.

5 Vgl. Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 1991, S. 27. 6

Vgl. ebd., S. 28.

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Vgl. ebd., S. 22.

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Ebd.

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Ebd., S. 23.

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Ebd., S. 38-39.



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Unbekannter Fotograf, Adah Isaacs Menken, ca. 1865


Die Konstruktion der weiblichen Geschlechtsidentität in der bildenden Kunst

den Empfängern, erkannt und dechiffriert werden müssen, um zusammen als Ganzes eine Bedeutung zu bekommen. Diese sind Elemente der nonverbalen Kommunikation, die durch ihre Eigenschaft als Informationsträger gleichzeitig auch als Konstruktionselemente von Identität dienen: Mimik, Gestik, Gesichtsausdruck, Körperhaltung, Kleidung, Schmuck, Schminke, Haare, Körperform usw. In dieser Weise wird der belebte Körper vom Gegenstand der Natur zum Gegenstand der Kultur und dadurch im

Unbekannter Fotograf, Adah Isaacs Menken, 1860

„‚Gender‘, argumentieren einige Soziologen, ‚ist eine situierte Leistung... nicht bloß ein individuelles Attribut, sondern etwas, das in Interaktion mit anderen erreicht wird‘. Kinder wie Erwachsene lernen durch direktes Feedback mit anderen ‚sich geschlechtskonform zu verhalten‘. Mitschüler, Eltern, Lehrer und sogar Fremde auf der Straße bewerten, wie ein Kind gekleidet ist. Ein Junge, der eine Hose trägt, passt sich an soziale Normen an, während einer, der einen Rock anzieht, dies nicht tut. Und er hört es sofort! Geschlechtsidentität ist deshalb niemals nur individuell, sondern bezieht Wechselwirkungen zwischen kleinen Gruppen von Menschen ein. Gender beinhaltet institutionelle Regeln.“1 Die Geschlechtsidentität, wie auch andere Arten der menschlichen Identität, wird durch kulturell aufgeladene Zeichen, Symbole, Marker und Handlungen gestaltet, die beim Anwenden von anderen,

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Kurz nach der Erfindung der Fotografie wurde dieses Medium auch als Werbeinstrument zur Popularisierung von Schauspielerinnen, den einzigen Frauen, die Mitte des 19. Jahrhunderts öffentlich sein durften, benutzt. Für die sogenannten Visitenkarten, die zum Kauf verfügbar und für das Befestigen auf der Wand – pinned-up – gedacht waren, posierten sie manchmal als erotische beziehungsweise sexuelle Erscheinungen, aber meistens verkörperten sie die Rollen und Identitäten, die sie auch auf der Bühne

kulturellen Kontext von der Gesellschaft verstanden.

Napoelon Sarony, Adah Isaacs Menken, ca. 1864

In dieser Masterarbeit wende ich mich besonders an bestimmte solche „Bauteile“ und ihre bildnerische Darstellung, und zwar diejenigen, die mit dem Körper und seiner (weiblichen) Form zu tun haben. Das Bestehen einer bestimmten Art von Bild, das die Frau sowohl als Objekt, als auch als Subjekt gleichzeitig darstellt, ist alt genug, um historisch dokumentiert zu werden. Es ist die Rede vom Pin-up-Foto, dessen Benutzung als Instrument in dem Prozess der Frauenemanzipation sehr ausführlich in dem Buch Pin-Up Grrrls2 von der Kunsthistorikerin Maria Elena Buszek verfolgt worden ist. Das Pin-up ist Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden, annähernd dem Ursprung der organisierten Frauenbewegung. Es repräsentiert ein sexualisiertes Bildnis der Frau, das als Massenmedium zum Auslösen von Begehren gedacht ist, das durch die Offenbarung eines Teils der Privatheit/Intimität der Abgebildeten Autonomie erlangt, die nicht nur als Objekt, sondern auch als Subjekt gesehen werden. Die „sexuelle Verwundbarkeit“, die den Pin-up-Fotos inhärent ist, entspricht der Veröffentlichung von Intimität und hat dementsprechend die gleiche Macht dem abgebildeten Objekt Subjektivität zu verleihen.

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in der Emanzipation der Frauen gespielt, indem es als Medium für eine autonome, selbstkonstruierte Repräsentierung der Frau und des Frauenbilds gedient hat.

spielten oder die zu ihnen passten. Markante Beispiele dafür sind Adah Isaacs Menken und Adeleide Ristori. Daher hatte das Pin-upFoto von Anfang an ein performatives Attribut und die Konstruktion der weiblichen Identität war für diese Gattung sehr bedeutungsvoll.3

In dem feministischen Kunstdiskurs der gender-Identität sind seit den 1970er Jahren selbstverständlich auch andere Medien und Gattungen benutzt worden, manche sogar vermehrt, wie zum Beispiel die Performance oder das Video, aber da ich mit eher figurativen, nicht bewegten Bildern vom Körper arbeite, werde ich mich als Referenzen auf Werke beziehen, die in ihren Medien – näher zu meinem – dieses Thema behandeln.

Durch die sexualisierten Bilder erfüllt das Pin-up auch die Funktion der Befriedigung des Begehrens, die aber auch von den revolutionären Frauen als „Köder“ genutzt worden ist. Bis heute hat das Pin-up eine subversive Rolle

Napoelon Sarony, Adah Isaacs Menken, ca. 1864

1 Fausto-Sterling, Ann: Sexing the Body. Gender Politics and the Construction of Sexuality. New York: Basic Books, 2000, S. 243-244: „‚Gender,‘ argue some sociologists, ‚is a situated accomplishment… not merely an individual attribute but something accomplished in interaction with others.‘ Both children and adults learn through direct feedback from others to ‚do gender.‘ Classmates, parents, teachers, and even strangers on the street evaluate how a child dresses. A boy who wears pants conforms to social norms, while one who dons a skirt does not. And he hears about it right away! Gender, then, is never merely individual, but involves interactions between small groups of people. Gender involves institutional rules.“ 2 Buszek, Maria Elena: Pin-up Grrrls. Feminism, Sexuality, Popular Culture. Durham: Duke University Press, 2006. 3

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Vgl. ebd., S. 16.


Das Frauenbild in der feministischen Kunst der zweiten und dritten Welle der Frauenbewegung

artikulierten Theorie geworden ist, zeigt viel Kunst der Frauenbefreiungsbewegung ein Interesse an der Performance der Geschlechtsidentität, die sich schließlich als vollständiger Konstruktionismus artikulierte. Unter diesen frühen konstruktionistischen Dokumenten finden wir feministische Künstlerinnen, die sich das Pin-up für genau die Qualitäten aneignen, die es scheinbar so ‚gezähmt‘ haben: seinen Humor, sein Potenzial, die Modelle zu verwandeln, und seine Massenreproduzierbarkeit.“1

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eministische Künstlerinnen, die mit Pin-up-inspirierten fotografischen oder malerischen Bildern gearbeitet haben, gibt es seit der 1960er Jahren, als dieses Genre von der Frauenbefreiungsbewegung (Ende der 1960er/Anfang der 1970er) angeeignet wurde. „Obwohl es bis in die 1980er Jahre zu keiner voll

Hannah Wilke, Arlene Hannah Butter, 1954

Hannah Wilke, eine der prototypischen feministischen Künstlerinnen der zweiten Welle, hat in ihrem künstlerischen Verfahren von Mitte der 1970er Jahren bis zum Ende ihres Lebens (1993) mit konstruierten Selbstdarstellungen durch Fotografie (Video, Performance u. a.) gearbeitet. Sie hat diese Neigung schon seit ihrer Jugend, als sie Pin-up-Fotos von sich selbst als Vierzehnjährige aufnahm2. Die Kunsthistorikerin Jo Anna Isaak behauptet sogar, dass „Wilke perfekt die Lacansche These exemplifiziert, dass die Frau nicht existiert, dass die Weiblichkeit selbst eine Reihenfolge von Kostümierungen ist“3. Diese Aussage kann zum Beispiel durch eines ihrer bekanntesten Werke gestützt werden – SOS: Starification Object

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Hannah Wilke, SOS: Starification Object Series, 1974/19751954

entblößend, die eine schöne Frau prägen, wie es die Gesellschaft verlangt‘.“4 In ihrem Diskurs finden sich eine „Kritik an den stereotypen Bildern von Frauen in den Medien“, eine „Erforschung der Maskerade der Weiblichkeit“, ein „dekonstruktiver Gebrauch der Sprache“; „Einblicke in das der Kunstproduktion inhärenten gender-Bias“, was Wilke zur Vorläuferin vieler Künstlerinnen der 1980er Jahre, die sich feministisch oder mit Konstruktionen der weiblichen Geschlechtsidentität beschäftigt haben, werden ließ.5

Series (1974/1975). Diese Arbeit ist eine Serie von Fotografien, in denen Wilke verschiedene weiblich zugeordnete Rollen ausführt. Zugleich trägt sie auf der nackten Haut winzige Skulpturen aus Kaugummi, die das weibliche Geschlechtsorgan darstellen. „In Ergänzung zu der subtilen Nebeneinanderstellung der essentialistischen und der konstruktionistischen Theorie, wie vermehrt in ihrer späteren Arbeit, exploriert S.O.S. zusätzlich Überschneidungen von Schmerz und Lust, von Lippard kurz und bündig gefasst als zugleich ‚die Narben als auch die Triumphe


Cindy Sherman hat sich auf unterschiedliche Weise und anderen Zwecken folgend, das Pin-up-Foto angeeignet. Auch wenn sie sich selbst nicht als Feministin bezeichnet, kann nicht vermeiden werden, ihre Arbeiten unter diesem Aspekt

zu lesen und zu verstehen, denn ihr Werk basiert auf der Benutzung aller möglichen weiblichen Stereotypen und der Konstruktion aller möglichen Rollen der Frauenidentität. Sie komponiert ihren Körper in drastischen Kostümen und Posen, um ein hohes Maß an weiblicher (von den Gesellschaftsnormen verlangten und erwarteten) Maskerade zu erreichen. Anstatt bestimmte Frauenbilder wiederzugeben, „konfisziert sie eher die symbolischen Konstruktionen von Frauen, die populäre Kultur oft fördert, und schafft unheimlich vertraute, aber ganz originelle Charaktere und Szenarien“6 in ihren Anfangsserien: Untitled Film Still (1977–1980), Rear-Screen Projections

Cindy Sherman, Untitled Film Still #13, 1978

Cindy Sherman, Untitled Film Still #13, 1978


(1980), Untitled Centerfolds (1981), Pink Robes (1982), Fashion-Fotos (1983/1984). Sherman führt mit Hilfe der Pin-up-Konventionen in ihren Bildern eine umfangreiche Analyse der Komplexität des weiblichen Individuums durch, das sowohl als Objekt, als auch als Subjekt fungiert. „Wie [der Kunstkritiker Craig] Owens kurz und bündig die Taktik zusammengefasst hat, ‚Das Subjekt posiert als Objekt, um ein Subjekt zu sein‘.“7

Als Beispiel8 für die Nutzung von Konstruktionselementen in der Geschlechtermaskerade möchte ich noch Sarah Lucas erwähnen, auch wenn sie überwiegend mit „dreidimensionalen Bildern“, also mit Skulpturen und Installationen, gearbeitet hat. Linda Nochlin beschreibt eines ihren fotografischen Selbstporträts folgendermaßen: „Lucas hängt in einem Stuhl in der mit gespreizten Beinen ‚männlicher Pose‘, die sie bevorzugt, herum, aber fordert eine spezifische

Cindy Sherman, Untitled #66 (Rear-Screen Projections), 1980

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Sarah Lucas, Self Portrait with Fried Eggs, 1996

Geschlechtsidentifikation durch zwei auf ihre Brust gelegte Spieglei-‚Brüste‘ heraus. In diesen, wie in so vielen ihrer Arbeiten, sind Weiblichkeit und Männlichkeit als Maskeraden dargestellt, Konstruktionen eher als Essenz.“9 1 Vgl. ebd., S. 282: „Although it would not become a fully articulated theory until well into the 1980s, much art of the women’s liberation movement exhibits an interest in the performance of gender that would eventually articulate itself fully as constructionism. Among these early constructionist documents, we find feminist artists appropriating the pin-up for precisely the qualities that made it so seemingly ‚tame‘: its humor, its potential to transform the sitters, and its mass reproducibility.“ 2

Vgl. ebd., S. 294.

Vgl. Gaze, Delia: Dictionary of Women Artists. Vol. 2, Artists, J–Z. Chicago: Fitzroy Dearborn Publishers, 1997, S. 1459: “Wilke exemplified perfectly the Lacanian proposition that the woman does not exist, that femininity itself is a series of masquerades.” 3

7 Vgl. ebd., S. 301-302: “As Owens succinctly summarized the tactic, ‘The subject poses as an object in order to be a subject.’”

Als weitere Beispiele führt Buszek unter anderem noch Judy Chicago (S. 282–285), Eleanor Antin (S. 285–288) und riot grrrl (S. 343–346) an. 8

4 Vgl. Buszek, 2006, S. 291: “In addition to the work’s subtle juxtaposition of both essentialist and constructionist theory, like much of her later work S.O.S. would additionally explore intersections of pain and pleasure, succinctly stated by Lippard as exposing both ‘the scars and triumphs accumulated by a woman as physically beautiful as society demands.’ ” 5

9 Vgl. Nochlin, Linda; Reilly, Maura (Hg.): Women Artists. The Linda Nochlin Reader. New York: Thames & Hudson, 2015, S. 273 bzw. Kindle Position 5843: “Lucas slouches in a chair in the widelegged ‘masculine pose’ she favours but defies specific gender identification with two fried egg ‘breasts’ plastered in her chest. In these, as in so many of her works, femininity and masculinity are represented as masquerade, constructions rather than essence.”

Vgl. Gaze, 1997, Vol. 2, S. 1461.

6 Vgl. Buszek, 2006, S. 296: “She rather confiscated the symbolic constructions of women that popular culture often promotes, creating eerily familiar but entirely original characters and scenarios”.

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Die neue Frauenkonstruktion durch das Selfie Joan Semmel, Beachbody, 1985–1987


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Joan Semmel, Centered, 2002

n unsere Gegenwart, am Anfang des 21. Jahrhunderts, hat das Pinup-Foto eine neue Verzweigung in der Form der digitalen Selbstfotografie bekommen, die die eigene Identität nach und nach konstruiert, in der Hoffnung, die beste Variante des Selbst zu finden oder zu bestätigen. Dieses obsessive Selbstbild wird selfie genannt, mit dem verfügbarsten Gerät aufgenommen, der Handykamera, und in den Sozialen Medien im Netz verbreitet, um Anerkennung und positive Bewertungen zu bekommen. Das erste Erscheinen des selfie im Internet datiert laut der Journalistin Elizabeth Day auf 2004 und wurde auf Flickr veröffentlicht.1 Seitdem wurde diese neue Gattung von mehreren jungen Künstlerinnen angeeignet und für einen neuen feministischen Diskurs erprobt beziehungsweise eingesetzt.

wiedergibt. Ihr Ziel ist, ehrliche Bilder über die Beziehung zwischen Fotokamera und Malerei darzustellen, aber gleichzeitig auch die passive Frauenfigur aus ihrer Rolle als Objekt in der Kunst zu befreien.2 Die andere Vorläuferin ist Jenny Saville, weil sie sich selbst (und auch andere Frauengestalten) nach Fotos malerisch nackt darstellt, aber in einer Weise, die absolut nicht als Selbstporträt definiert werden kann und die auch nicht rein figurativ ist, denn ihre Nahansichten und Fokussierung, Anhäufung und Komprimierung von Körper„massen“ leiten zu Distorsionen und Abstraktionen des Körpers.3

Es gibt zwei Vorläuferinnen, die ich hier erwähnen möchte. Eine ist Joan Semmel, die schon seit den 1970er Jahren selfie-artige Fotos von ihrem Körper aufnimmt und diese in malerischer Bildproduktion

Diese feministischen, digitalen, Internet- und Post-Internet-Künstlerinnen

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Sophia Hewson, Everything locked up is released, 2014

Subjektivität und Autonomie der Frauenidentität, Selbstobjektivierung, Auswählen und Konstruktion einer Identität (in einem weiteren Sinne als nur Geschlechtsidentität) an. Durch Medien wie Malerei, Skulptur, Installation, Fotografie und Performance auf social media (wie z. B. Instagram) sprechen sie körperliche Probleme der Weiblichkeit (Menstruation, Achselhaare), Fragen zur Lage der Frau aus islamischer, aber auch aus abendländischer (demokratischer und kapitalistischer) Perspektive, Diät und Aussehen der Frau an. Als bildnerische Grundlage verwenden sie insbesondere ihre Körper, aber auch Darstellungen anderer junger Frauenkörper, um darüber zu sprechen, wie sie sich die weibliche Geschlechtsidentität vorstellen möchten und gleichzeitig wie sie von außen repräsentiert wird.

Jenny Saville, Hem, 1999

thematisieren und demonstrieren die Konstruktion der Geschlechtsidentität durch neue Medien und Technologien, mittels Selbstdarstellung und selfie, wie auch Repräsentationen von zeitgenössischen „Bauelementen“ des Frauenkörpers. Aus dieser Generation von Künstlerinnen, die sich mit der Selbstdarstellung beschäftigen, um Autonomie für sich selbst und für alle, die sich auf ähnliche Weise identifizieren, zu erzeugen, sehe ich folgende Namen als relevant im Verhältnis zu dem hier besprochenen Thema an: Sophia Hewson, Sarah Maple, Leah Schrager, Chloe Wise, Amalia Ulman. Sie sprechen Themen wie Sexualität,

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Chloe Wise, Literally Me, 2014

Chloe Wise, I Remember Everything I‘ve Ever Eaten, 2015


Wendt, Brook: The Allure of the Selfie: Instagram and the New Self-Portrait. Amsterdam: Institute of Network Cultures, 2014, S. 7. 1

2 Schwendener, Martha: From Abstract Expressionism to Nude Self-Portraits. A Review of Joan Semmel’s Work at the Bronx Museum of the Arts. In: New York Times, 01.02.2013. http://www. nytimes.com/2013/02/03/nyregion/a-reviewof-joan-semmels-work-at-the-bronx-museumof-the-arts.html (zuletzt aufgerufen am 20. Mai 2016). 3

Reilly, 2015, S. 215 bzw. Kindle Position 4593.

Sarah Maple, Menstruate With Pride, 2010/11



Leah Schrager, Eisoptrophobia 3, 2013 Leah Schrager, Eisoptrophobia 3, 2013

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Amalia Ulman, Excellences & Perfections, 2014



Was ist jetzt schön?

Amalia Ulman, Excellences & Perfections, 2014

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chönheit ist nicht universell gültig, sondern hängt von der „ jeweiligen Gesellschaft und dem unmittelbaren Umfeld“ ab. „Schönheit verkörpert daher nichts Absolutes und nichts Ewiges, sie bleibt immer zeitlich und epochal gebunden.“1 Das heißt, wenn man über Schönheit spricht, muss man sich immer historisch und politisch positionieren. Doch ein gemeinsamer Zug der Schönheit verbindet verschiedene Zeitalter und zwar wird sie als etwas Höheres betrachtet: Früher war dieses Höhere eine Idee oder Gott, heutzutage ist es profan, in dem Sinne eines hochwertigen Materials oder einer bestimmten Person, die Schönheit schafft.2 So wird Schönheit mit Branding in Verbindung gebracht und ohne weiteres mit einer wiederholbaren Identität.3 Um dieses Verstehen und Benutzten der Schönheit auszuwerten, muss man in „Baukästen“ der Schönheit denken. „Die Regel Nummer eins in jedem Baukasten lautet: Man nehme gewisse Bestandteile und setze sie zusammen. [...] So entstehen unvermeidlich Konstellationen“4 wie auch Architektur(en) der Weiblichkeit. Je nach Epoche und Gesellschaft gibt es gewisse Blaupausen, in denen

sich bestimmte Bestandteile finden lassen, mit deren Hilfe sich das, was als schön in der jeweiligen Zeit definiert wird, konstruieren lässt. Mein Ziel ist, zu analysieren, welche die gegenwärtigen Bestandteile sind, mit denen man sich als schöne Frauenfigur „umbauen“ kann, wer sie bestimmt und wie sie benutzt werden. Ich beziehe mich besonders auf die weibliche Identität und zwar aus diesem Grund: „Schönheit gilt im Zweifelsfall als weiblich – von Ripa bis zu Elle und

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Vogue grundieren Frauenkörper die Zufallsbegegnungen modischer Dinge.“5 In einer traditionellen Sicht ist Schönheit gleichwertig mit Weiblichkeit. Wenn man sich als Frau konstruiert, muss man berücksichtigen, sich auch als „schön“ zu konstruieren, um für die Gesellschaft glaubwürdig als Frau zu wirken.

1 Walther, Sigrid; Staupe, Gisela; Macho, Thomas (Hg.): Was ist schön? Begleitbuch zur Ausstellung des Deutschen Hygiene-Museums in Dresden vom 27. März 2010 bis 2. Januar 2011. Göttingen: Wallstein Verlag, S. 6.

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Ebd., S. 124.

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Ebd., S. 21.

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Ebd., S. 22.

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Ebd., S. 23.




Die Bedeutung des Publikums bei der Wahrnehmung der Frauenschönheit

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as Individuum durchlebt eine zwiespältige Wahrnehmung des eigenen Daseins, und zwar einerseits vom Inneren seines Wesen, als Subjekt, das sich selbst als vorhanden spürt, und andererseits von Außen, als Objekt, das durch seine Sinne sich selbst und andere Objekte fühlen kann. Zur terminologischen Fixierung wird zwischen Körper und Leib unterschieden. „Der Körper, und zwar auch mein eigener Körper, ist [...] das, was sich mir über meine Sinnesorgane erschließt, also das, was ich von mir selbst sehen oder tasten kann. Hierin ähnelt mein Körper jedem anderen Objekt, das ich über meine Sinne wahrnehme.”1

Der Körper eines Anderen kann als Objekt von jedem äußeren Subjekt durch Sinne wie Tasten, Sehen, Geruch, Gehör usw. wahrgenommen werden und darüber kann eine Meinung in dem Kontext der gegebenen sozialen Normen entwickelt werden. Den eigenen Körper kann man nicht direkt bewerten, weil man sich als Subjekt in dem jeweiligen Körper befindet und dadurch wird er subjektiv: Es ist nicht möglich sich objektiv zu tasten, zu hören oder zu riechen. Diese Sinne wirken mit dem Spüren des eigenen Körpers und mit der Gewohnheit auf den eigenen Körper ein, den man nur in außergewöhnlichen Fällen als fremd wahrnehmen kann. Und besonders wichtig für eine visuelle Bewertung ist, dass es dem Subjekt unmöglich ist, sich im Ganzen ohne externe Medien zu sehen. Man kann den eigenen Körper nur in virtuellen Bildern sehen, wie zum Beispiel im Spiegelbild oder im Foto. Jedes Medium, das zum Sich-selbst-Sehen hilft, wirkt wie ein Filter zum eigenen Bild und beeinflusst die Objektivität. Durch diese Abspaltung wird man zum Publikum für das eigene Aussehen und zur gleichen Zeit muss man andere als Publikum akzeptieren, um eine gesellschaftlich relevante Bewertung zu bekommen und zu besitzen. Außerdem gehört zu einer Vorführung ein Publikum, vor dem man seine Rolle spielt. Mit der „Vorführung“ einer schönheits-/geschlechtsbetreffenden Identität muss man zugleich das Publikum in Betracht ziehen, das die jeweilige Identität einschätzt und akzeptiert. Hervorgehoben wird auch, „dass der Mensch als kommunikatives Wesen seine individuelle Persönlichkeit, seine Identität, im symbolischen Austausch mit anderen entwickelt.“2

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Andreea Cioran, untitled selfie #5, 2015

Unter „Publikum“ versteht man alle, die nicht zum Selbst gehören – also alle anderen Personen, die man als außerhalb des eigenen Körpers wahrnimmt. Diese gehören in einem erweiterten Sinn zur „Öffentlichkeit“. Diese dehnt sich aus von einem topographisch bestimmten Raum, der für alle zugänglich ist, bis zu einem politischen Konzept einer Sphäre, in der alle Mitglieder der Gesellschaft relevante politische Auseinandersetzungen hervorbringen, diskutieren und zu lösen versuchen.

„Öffentlichkeit entsteht durch eine bestimmte Verfahrensweise – die Kommunikationsregeln, die die Teilnehmer akzeptieren – und ermöglicht potenziell allen Betroffenen die Teilnahme an der Verhandlung für sich und gesellschaftlich relevanter Fragen.“3 In der Gegenwart hat sich die Öffentlichkeit durch Internet und social media erweitert. „In anderen Hinsichten schafft Technologie neue öffentliche Räume. Das Internet bietet zahlreiche

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Andreea Cioran, untitled selfie #2, 2015

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Plattformen für öffentliche Rede; wir können unsere Meinung äußern, unsere Fotos anzeigen und unsere Lieder zu einem globalen Publikum mit noch nie da gewesener Leichtigkeit veröffentlichen.“4

auch Subjekt, das selbst entscheidet, wie es gesehen wird.

Jäger, Ulle: Der Körper, der Leib und die Soziologie. Entwurf einer Theorie der Inkorporierung. Schulzbach/Taunus: Ulrike Helmer Verlag, 2014, S. 56.

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In dieser virtuellen Öffentlichkeit gibt man seine Selbstdarstellung und seine selfies frei zur Beurteilung. In den Medien wird vom Publikum bestimmt, ob und inwiefern eine Person „schön“ ist. Hier kann man sich auch so konstruieren, um ewig „schön“ zu bleiben, wenn man sich den wechselnden Regeln der Schönheit anpasst.

Neuß, Robert: Körper, Kult, Medien. Inszenierungen im Alltag und in der Medienbildung. Bielefeld: GMK, 2007, S. 42.

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3 Ritter, Martina: Die Dynamik von Privatheit und Öffentlichkeit in modernen Gesellschaften. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2008, S. 31.

Donath, 2014, S. 281: “In other ways, technology is creating new public spaces. The Internet provides numerous platforms for public speech; we can voice our opinions, display our photographs, and publish our songs to a global audience with unprecedented ease. What we do in these new, mediated public spaces is much the same as what we do in traditional public spaces: we seek out entertainment, support political causes, and meet new people.”

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Die selfies erfüllen für die fotografierte Person eine doppelte Funktion. Einerseits dienen sie der eigenen Person, um sich selbst zu sehen, und mehr noch, um sich aus der natürlichen Sichtweise aller anderen betrachten zu können – denn wenn man sich im Spiegel anschaut, ist die Reflexion seitenverkehrt, das Selbstbild unterscheidet sich von der Fremdwahrnehmung, von dem, was die Anderen sehen und deswegen ergibt sich ein anderes Bild, das heißt, ein Bild, das nur das Selbst anschauen kann. Andererseits sind die selfies ein Mittel, sich für das Publikum so umzubauen, wie man wahrgenommen werden möchte. Das bedeutet, dass sie dadurch auch Autonomie gewähren, denn das Objekt des Fotos ist gleichzeitig

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Welche Rolle spielt das Fett?

Bestandteil, der ständig in dem Schönheitsdiskurs vorkommt: das Fett. Ob es ausbleiben muss oder vorhanden ist, in welcher Menge und wo genau auf dem Frauenkörper – das Fett ist immer präsent. Dessen Abwesenheit sowie dessen Dasein haben ganz bestimmte Bedeutungen in der Gesellschaft. „Medien vermitteln höchst idealisierte und stereotype Körperbilder: Es gibt ein als erstrebenswert inszeniertes schönes schlankes Ideal, hinter dem ein glücklicher und erfolgreicher, sozial anerkannter be- und geliebter Mensch steht. [...] Dagegen steht das ‚Anti-Ideal‘: ein übergewichtiger, schwerfälliger, unsympathischer oder komischer Mensch, der in den Medien nur selten der ‚Star‘ ist und mit dem anstelle von Heldentaten eher Missgeschicke und Peinlichkeiten verbunden werden. In Serien und Filmen sind Dicke nur in Ausnahmefällen oder zumeist erst dann erfolgreich und begehrt, wenn sie sich körperlich verändern und schlanker werden.“2

F

ür den menschlichen Körper gibt es unendlich viele mögliche Eingriffe, die das Aussehen in der einen oder anderen Weise verändern, so dass er unvermeidlich kulturell bestimmt und kodiert ist. Alle Interventionen am eigenen Körper, egal ob sie absichtlich oder unbewusst gemacht worden sind, werden im kulturellen Kontext verstanden. Dadurch wird der Körper zu einem Kommunikationsmedium. Schönheit ist nicht nur aus ästhetischen Gründen erwünscht, sondern auch weil sie ein Symbol des sozialen Status der Frauengestalt ist. Wenn man sich als schön konstruieren kann, bedeutet das, dass man wohlhabend ist, um sich Zeit dafür zu nehmen und Ressourcen auszugeben, um die Schönheitsnormen streng zu befolgen. Durch das Erfüllen des Schönheitsideals positioniert man sich sowohl ökonomisch, als auch gesellschaftlich, aber andere Eigenschaften werden auch vermittelt: „Grundsätzlich gilt, dass Attraktivität gleichgesetzt wird mit Erfolg und Zufriedenheit. Unattraktive äußere Erscheinungen lassen hingegen Assoziationen von Kranksein, Depression und Niederlage zu.“1

Das Korsett, das vor einhundert Jahren aus der weiblichen Garderobe verschwand, ist immer noch im Gedächtnis geblieben und wirkt auf das gemeinsame Bewusstsein ein. Daher rührt, dass der eigene Körper zu einer Art Korsett geworden ist3, das den Lebensstil beschränkt, um das Zunehmen von Gewicht zu

Diese Attraktivität des schön konstruierten Körpers dreht sich besonders um einen bestimmten

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und nach innen gerichtet. Lepore hat ihren Körper ganz und gar nach der Sanduhrform ausrichten lassen, exakt die Silhouette, die ein Korsett erzeugt. Dieses drückt den Busen heraus, schnürt die Taille ein und betont die Hüften durch Verstärkung. Gerade weil Lepore als transsexuelle Kultfigur einem übertriebenen Bild von Weiblichkeit huldigt, sie wie eine Karikatur dieses gleichsam ‚überzeichnet‘, lässt ihr Umgang mit der eigenen Figur Grundzüge noch heute gültiger Körperklischees erkennen.“4

vermeiden. Doch das Fett soll nicht komplett abwesend sein, sondern sich auf den „richtigen Stellen“ des Frauenkörpers befinden. Und wenn es nicht so ist, dann kann man es durch Operationen und Implantate korrigieren. „Ein Extrembeispiel hierfür ist die amerikanische Transsexuelle Amanda Lepore.“ „Nach einer Geschlechtsumwandlung im Teenagealter hat sie ihren Körper immer wieder verändern lassen – durch diverse Brust- und Povergrößerungen, Lippenunterspritzungen, Veränderungen der Stirnpartie, der Hüften oder einer Nasenkorrektur. Zudem wurden ihr, der schlanken Taille wegen, die Rippen gebrochen

siberfi, Amanda Lepore, 2008

In den letzten Jahren sind diese „Bauelemente“ der weiblichen Schönheit noch extremer in Hinsicht auf Magerkeit geworden. Es wird jedoch versucht, diese Obsession zum Schlank-Sein zu bekämpfen, durch Akzeptierung von verschiedenen Körperteilen, die durch Enthalten von Fett als glaubwürdig vorgelegt werden. Man erzielt eine Annahme des Fettes auf dem Frauenkörper, eine Anerkennung der Schönheit eines „wirklichen“ weiblichen Körpers mit Fett und Rundungen. Doch dieses Verfahren nimmt Platz in demselben Rahmen der konstruierten Schönheitsideale ein, die irreale Körperformen voranbringt. Neuß, 2007, S. 43. Ebd., S. 62. 3 Was ist schön?, S. 108. 4 Ebd., S. 109. 1 2

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Body Trends – gegenwärtige Elemente zur Konstruktion der Schönheit

Diese body trends werden durch Social Media in Form von selfies und anderen Präsentationsfotos der (Internet) Stars verbreitet, insbesondere auf Instagram, Twitter und Facebook, und sind unter #bodygoals (hashtag Körperziele) zusammengefasst; sie sind aber auch individuell benannt zu finden. Diejenigen, die am meisten Aufmerksamkeit bekommen haben, sind folgende: bikini bridge (Bikini-Brücke), thigh gap (Oberschenkel-Lücke), beauty bones (Schönheitsknochen), thighbrow (Oberschenkel-„Augenbrauen“), booty (prominenter Hintern). Diese wurden als so wichtig für die Konsumentinnen des Schönheitsideals präsentiert, dass sie fast zu Monumenten des gegenwärtigen Frauenkörpers geworden sind.

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What it means to be a Venus, Andreea Cioran, 2016

Abgesehen von den traditionellen Schönheitszügen, wie zum Beispiel volle runde Brüste oder eine schmale Taille, sind in den letzten Jahren neue, sehr spezifische modische Körperelemente aufgetaucht, die die Frauenform unerreichbarer machen. Diese Requisiten zur Aufführung der Schönheit werden wie Brands behandelt und vermarkt: Sie bekommen ansprechende Namen und werden wie Markenobjekte am Körper getragen, mit Stolz, sich des Erfolgs-, Vermögens- und Statussymbols bewusst.


Thighbrow

(Oberschenkel-„Augenbraue“) bedeutet eine kleine Haut-/Fettrolle, die sich über einem Oberschenkel bildet, wenn die Frau sitzt, kniet oder sich nach vorne beugt. Das wird so genannt wegen der Art, wie sich zwei Rundbögen über den Oberschenkeln bilden, die der Krümmung von zwei Augenbrauen ähneln. Dafür muss man nicht sehr dünn sein, denn die Oberschenkel müssen weich genug zu sein, um die Falte zu bilden. Dieser Trend zelebriert eher eine rundgeformte Figur mit kurvigen Hüften.

Thigh gap

(Oberschenkel-Lücke) ist die Lücke, die man zwischen den Oberschenkeln sehen kann, wenn man sehr schlanke Beine hat und diese stehend gerade nebeneinander hält. Dieser Trend ist absurd dadurch, dass er für viele Personen unmöglich zu erreichen ist, denn es geht darum, wie das Skelett konstruiert ist, ob die Hüften breit genug sind, um die Beine so erscheinen zu lassen.

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Bikini bridge

(Bikini-Brücke) heißt es, wenn man schlank genug ist, dass der Bauch eine konkave Form bekommt, wenn man auf dem Rücken liegt. Der Name betrifft den unteren Teil des Badeanzuges, den Bikini, der zwischen den zwei Hüftknochen sitzend wie eine Brücke aussieht, ohne den gesenkten Bauch zu berühren. Dieses Aussehen kann nur durch eine extreme Diät erreicht werden, denn wenn man Bauchmuskeln aufbaut, neigen diese dazu, sich nach außen zu wölben.

Booty

(prominenter Hintern) bezieht sich in der Umgangssprache auf einen großen, runden, „fetten“ Frauenhintern, der aber fest aussieht und nicht schlaff ist. Er kann chirurgisch durch Implantate oder durch bestimmte Sportübungen für die Muskulatur der Gesäßbacken erreicht werden. Der Begriff „Booty“ bezeichnet auch „Beute“ als primäre Bedeutung in der englischen Sprache.

Beauty bones

(Schönheitsknochen) sind die Schlüsselbeine an einem so schlanken Körper, dass man sie mühelos sehen kann. Einige stellen an diese Stelle des Körpers auch Münzenreihen, um zu beweisen, wie mager sie sind. Sie sollen angeblicherweise das Gesicht „einrahmen“ und es somit hervorheben und schöner aussehen lassen.

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Andreea Cioran betreut von Prof. Dr. Christiane Post für die Masterprüfung SoSe 2016

www.andreeacioran.com a.cioran@gmail.com



Andreea Cioran, into place, 2009


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