Mensch, Sylt!

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Mensch,

SOMMER 2020 No –1

SYLT!

DIE ELLUSTRIERTE

» LEINEN LOS « mit Johannes King Rainer Chinnow Moritz Rinke Ina Müller uvm.


leinen

los

FÜR KOMPROMISSLOS

GUT!

Liebe Sylterinnen und Sylter, liebe Freundinnen & Freunde der Insel! Dies ist der Anfang einer Magazin-Idee. Die Zeit der großen Stille im Frühling 2020 auf Sylt hat viel in Bewegung gebracht. Vieles, was das in der Schublade geschlummert hat, wurde einfach mal gemacht, weil der Raum da war. Diese besonderen Wochen waren existentiell bedrohlich, schräg, aber auf wunderbare Weise klärend. Die Frage: Wie wollen wir in Zukunft eigentlich leben? Sie stand mit großen Lettern in den spurlosen Strand geschrieben.

ANTWORTEN gab’s in der unfassbar schönen Sylter Natur reich-

lich: Baden ab 10 Grad Wassertemperatur klärt vieles, durchgehend blauer Himmel auch, ein „Moin“ bei jeder Begegnung – wie heilsam. Kleine Dinge, große Wirkung. Entspannte Locals, Raum für lange Gespräche, mit Abstand versteht sich, leergefegte Straßen, alle auf dem Fahrrad unterwegs – hinter den Syltern liegt neben vielen Sorgen vor allem eine einzigartige Weniger-ist-mehr-Erfahrung.

SYLT ist eine Perle. Ein Zuhause. Ein Ort der unbegrenzten

Möglichkeiten. Eine Insel, die behütet und geschützt werden will. Eine kleiner Flecken Erden mit liebenswerten Menschen, geheimen Orten, Ecken und Kanten, mit Merkwürdigkeiten, Widersprüchen. Und klar, wollen wir diesen Ort mit Gästen teilen. Als eine Insel, die ein Leuchtturm ist für eine hochwertige, sanfte Form von Tourismus – im Einklang mit dieser berauschenden Natur, die uns umgibt.

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SYLT!

IST DAS gewollt, muss jeder ran. So wie er kann. Darum

haben wir das Konzept für ein digitales Magazin entwickelt. Wir haben unser großes Album mit Sylter Lieblingsmenschen aufgeschlagen, um sie und ihre Mission hier vorzustellen. Das Sylt und die Menschen, die wir lieben, mit der Möglichkeit für Euch, Stimmen zu hören, Filme anzuschauen und sich für noch mehr Infos unmittelbar zu verlinken.

WIR möchten Sylter überraschen mit Storys, die sie selber noch

nicht kannten und Gästen zeigen, wieviel Grund es gibt, diese Insel zu besuchen. Mit Gehalt und Niveau, aber immer leicht und fluffig. Dazu garantiert kein Stück objektiv, aber journalistisch tadellos, sinnlich, emotional, nah dran.

Kein Ersatz für irgendwas. Keine Konkurrenz. GUTER LESESTOFF – komplett digital.

UND wie funktioniert das wirtschaftlich? Berechtigte Frage.

Antwort: in dieser ersten Ausgabe noch gar nicht! Denn wir haben nach der Prämisse unseres Helden gearbeitet: Zirkusdirektor Martin Kliewer. Einfach mal Dinge in die Welt stellen, sich verschenken, die Finger verbrennen, unbequem sein und sich dabei unbedingt treu bleiben. Das konnte er wie keiner.

Mensch, sylt! No.1. ist ein erweiterter Dummy. Eine

Visitenkarte. Wenn Euch die Idee gefällt, könnt Ihr im nächsten „Heft“ eine Anzeige schalten. In dieser Ausgabe gibt es ein einziges Beispiel dafür, wie Werbung im Mensch, Sylt! künftig aussehen könnte: Direkt verlinkt, mit der unmittelbaren Möglichkeit, Angebote aufzurufen, die Social Media Präsenz oder auch bewegte Bilder mit einzubinden.

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WIR wünschen uns, dass Orte, Unternehmen, Institutio-

nen das Mensch, Sylt! für ihr Marketing nutzen, weil der redaktionelle Rahmen stimmt, der Stil, die Reichweite, die Plattform, der Ansatz und die inhaltliche Ausrichtung.

UND jetzt geht’s los mit dem Mensch, sylt! MAGAZIN. LEINEN LOS. Ahoi! Gute Unterhaltung wünschen

Imke Wein & Anja Buchholz

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impressum

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Konzept, Design & Redaktion Imke Wein & Anja Buchholz Tel. 0162 1000 925 post@mensch-sylt.de www.mensch-sylt.de

Fotografen

Autoren

Brian Bojsen Martin Elsen Marcus Friedrich Maike Hüls-Graening Nann Nauke Jaschinski Juliane Kiefer Nicole Mai Laura Müller Jens Schmidt Wolfgang Schmidt Ydo Sol shutterstock

Anna Goldbach Moritz Rinke Werner Rudi Nele Wein

Social Media Marketing Nele Wein

Titelfoto: Sandra Ludewig

Danke an alle, die uns ihr Vertrauen, ihr Gehör und ihre Unterstützung geschenkt haben. Vor allem an: Sebastian Buchholz, Christa Farwick, Jens Holste, Kai Müller, Nann-Nauke Jaschinksi, die Tourismus-Services Kampen und Wenningstedt-Braderup für die Fotonutzung

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Inhalt / CONTENU

BESSER ESSEN!

14 Es grünt so grün Unterwegs mit Kräuterkönig Johannes King 22 Was für ein scharfer Typ! Vorzeigekoch, Athlet & Picknicker Dietmar Priewe 26 Unser allerbestes Brot gib uns heute: Jens Lund kann’s einfach!

LIEBLINGSMENSCHEN

36 Angelo Schmidt lässt tief blicken (in sein Fotoalbum) 44 Tina Molsen und ihre unyogischen Momente 51 Oh mein Gott, was für ein Pastor! 55 Müller trifft Wein: Anleitung zum Synchronsabbeln

INSPIRATION

66 Lese-Empfehlungen von Jörg Höfs Sylter Bücher-Nerd No. 1 71 Moritz Rinke Warum Inseln sich perfekt zum Schreiben eignen 78 Lothar Koch Einer, der aneckt und den wir darum brauchen 6

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MEINUNG: IMMER RAUS DAMIT

88 Aktivistin Nele Wein Von der Chance auf Veränderung! 92 Jung-Journalistin Anna Goldbach Besondere Zeiten erfordern besonders Freundschaft! 95 Immentraud und was sie so bewegt Bitte lächeln! 98 Kai Müller Machen ist wie wollen nur krasser! 100 Altmeister Werner Rudi Ein Image ist ein Image ist ein Image

INSEL-BUSINESS

108 Ose Franzen Es werde Licht! 114 Sonja Garsztecki Mode für die Seele 118 Bärbel Knochenhauer Gut beraten 123 Peter Kliem Party – ein Business, was gerade nicht sein darf

WISSE & ERFAHRE

132 Sylter Tipp-Tapas 138 Mit dem Guten verbinden Grüne Nachrichten & Komplimente

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Es gibt Wichtigeres, als in Eile abzureisen. Bei uns sind Sie mit dem revolutionären „Check-in-und-Check-Out-wie-es-beliebt“ am An- und Abreisetag zeitlich völlig flexibel. Das gibt es nur bei uns. Für Direktbucher. Mit Bestpreisgarantie.


Wir kรถnnen Meer. www.kampeninfo.de


Kein Genuss ist vorübergehend. Der Eindruck, den er zurücklässt, ist bleibend. Johann Wolfgang von Goethe


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Dietmar Priewe Der langjährige „Sansibar“Küchenchef ist der lebende Beweis dafür, was gesundes Essen und viel Sport mit Dir machen. Es stellt das ganze Leben auf den Kopf…

RUBRIK:

BESSER ESSEN 14 Es grünt so grün Unterwegs mit Kräuterkönig Johannes King 22 Was für ein scharfer Typ! Vorzeigekoch, Athlet & Picknicker Dietmar Priewe 26 Unser allerbestes Brot gib uns heute: Jens Lund kann’s einfach!

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JOHANNES KING Der König der Kräuter hat als Gastgeber auch einen pädagogischen Auftrag. Wer bei ihm am Tisch Platz nimmt, darf erwarten, dass sein köstliches Essen auch moralisch einwandfrei ist.

JENS LUND Über 200 gastronomische Betriebe auf Sylt. Mit so einem Bewusstsein arbeitet nur Jens. Bio – wann immer es geht, regional – unter allen Umständen und köstlich – sowieso.

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MIT DEM MEISTER DER AROMEN AUF EXKURSION

Johannes, der Kräuter-König 14 Mensch, sylt!


Seit der Mensch als Jäger und Sammler über den Erdball streifte, weiß er um die Wirkung und den Geschmack von all dem kleinen Grün, das allerorts aus dem Boden sprießt. Johannes King hat die Kunst, heimische Kräuter stilgebend in seine Kochkunst zu integrieren, vor 18 Jahren entdeckt. „Da traf ich auf Maria“, erzählt der Meister fröhlich, als wir uns an einem Samstagnachmittag im Mai in den Archsumer Wiesen auf die Jagd begeben.

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an weiß gar nicht, mit welchem Thema man zuerst loslegen möchte. Die Kräutersuche gerät schnell zur Nebensache. Denn Johannes ist ein hinreißender Gesprächspartner. Wie er die Robinson-Crusoe-Zeit auf Sylt genutzt hat? Welche Ideen ihm gekommen sind? Was in seinem Laden in Zukunft ganz anders sein wird? Wer Maria denn nun eigentlich ist? Fragen über Fragen. Fangen wir mit mit Maria an, das ist am Naheliegendsten, während wir hier am Wiesenrand nach Gundermann, Wilder Möhre, Spitzwegerich und Knoblauchrauke auf die Pirsch gehen. „Maria ist eine echte Kräuterhexe und sie hat mir ihr ganzes Wissen über das geschenkt, was auf Sylt in den Dünen, in den Salzwiesen, auf Marsch- und Geestland gedeiht“, erzählt Johannes mit dieser Art, die das innige Gefühl und den großen Respekt vor dem Menschen gleich mit transportiert. Maria Schierz kommt aus dem Schwarzwald, lebte lange auf Sylt, inzwischen nicht mehr. Aber Johannes und sie sind in Kontakt. Gerade ist das gemeinsame Projekt „Kräuterfibel“ in der Pipeline. Johannes, der Koch-Avantgardist, der in der wiedervereinigten Hauptstadt der 90er für kulinarische Furore sorgte, begann sich auch in seinem neuen Wirkungskreis auf der Nordseeinsel tief mit dem zu verbinden, was diesen Kos-

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mos ausmacht. So lässt er in den letzten zwei Jahrzehnten auch all die exzellenten Aromen aus der Sylter Natur in seine Kreationen einfließen, adelt und ehrt sie durch diesen Prozess. Maria vermittelte das Wissen, Johannes erlernte das Suchen und Finden von Kräutern, essbaren Wildblumen, Beeren und Blüten. Er kultivierte diverse Naturgeschenke fortan auch selbst, zunächst auf einem Hof in Morsum („Marschboden – da wächst alles ganz herrlich!“), inzwischen in den Beeten hinter seinem Haus in Keitum. Mit der Gabe, die Natur, 16 Mensch, sylt!

die Jahreszeit, ja sogar die Stimmung der Natur auf den Teller zu holen, ist er auf weite Sicht unerreicht. Dabei bedient er sich natürlich auch der Produkte aus anderen europäischen Regionen, um den geschmacklichen Horizont der Genießer weit machen zu können. Ob es der Trüffel aus dem Périgord ist oder die Poularde aus dem Elsass, wo sie so lebte, wie es für Federvieh sein soll, wenn man es ernst nimmt. Im Kreislauf der Natur zu kochen, ist das Credo. Solange mit Produkten zu experimentieren, bis man ihnen ihren geschmacklichen Höhepunkt entlockt, ebenfalls.

„Ich bin ja auf einem Selbstversorgerhof mit ganz vielen Geschwistern groß geworden. Das ist es natürlich bei mir tief verankert, das, was die Natur schenkt, zum richtigen Zeitpunkt zu nutzen“, erläutert Johannes King, den Ursprung dessen, was ihn tief geprägt hat. Die Natur ist sein Kraftort, dort, wo man das ganze Rauschen der Welt vergisst und für einen Moment nur da ist, nirgendwo anders. Zu dem botanischen Wissen und dem guten Gespür für die richtigen Standorte kam bei ihm natürlich deutlich die Fähigkeit, aus


der jeweiligen Pflanzenart das Beste herauszuholen und sie perfekt zu kombinieren. „Mich hat bislang

vor allem der kulinarische Aspekt fasziniert. Die Heilwirkung der Kräuter und Beeren mit einzubeziehen, könnte vielleicht auch noch mal eine spannende Perspektive sein“, plant der Meister des Grüns. Oft werden seine natürlich Funde – je nach Intention – in andere Aggregatzuständen überführt, zu Jus, Ölen, Marinaden, Säften, Marmeladen verarbeitet oder vakuumiert, entsaftet, gefrostet, geröstet, geräuchert.

Die „Lemon Face Challenge“ Ice Bucket war gestern: Vor vier Jahren wurde die Aktion – Ich kippe mir einen Eimer Eis über den Körper – in den sozialen Medien reichlich polemisiert, aber am Ende eben auch ordentlich Kohle gesammelt, um ALS, eine tödlich verlaufende Nervenkrankheit, besser erforschen zu können. Seit einigen Wochen gibt es nun die „Lemon Face Challenge“. Ob sie ähnlich viel Aufmerksamkeit erzeugen wird? Es geht dieses Mal darum, die „Stiftung KinderHerz“ und die „Mukoviszidose Hilfe“ zu unterstützen. Wer mitmacht, spendet fünf Euro und nominiert drei Freunde. Feine Sache. Im Fall von Johannes King ist es spektakulär mitanzusehen, mit welcher Leidenschaft der Gourmet den sauren Tatsachen entgegensieht. Ein Anschauungsstück der Extraklasse für: Der Zweck heiligt die Mittel.

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SCHNITTLAUCH

AUSTERNKRAUT

AUS DEM KRÄUTERGARTEN

BRONZEFENCHEL

Wenn Johannes beginnt, in die Feinheiten seines Handwerks abzutauchen, ist kein Halten. „Kannst Du Dir das vorstellen? Allein aus den Blättern der Rosa Rugosa, der gemeinen Sylter Kartoffelrose, entwickeln wir zehn verschiedene Produkte – vom Sorbet bis zur Marmelade“, sagt der Unermüdliche. Dann schwärmt er von den vielfältigen Gaben des Holunderbusches, der Eberesche, der Brombeere, der Fichtensprossen und 18 Mensch, sylt!

MAJORAN

manch anderer Sylter Gewächse, die vor allem im Frühjahr und dann wieder im Herbst darauf warten, verarbeitet zu werden. Es sei denn, man hat sie eingefroren oder anders haltbar gemacht. Inseldüfte, Schwingungen, Stimmungen kommen so immer anders auf den Teller. Während sich seine Tupperboxen mit frühlingsgrünen Köstlichkeiten füllen, berichtet der Mann mit dem markanten Profil

MANGOLD

von dem Privileg, so zu arbeiten, wie er es heute tut. „Mit unendlich wissensdurstigen jungen Leuten, mit Restaurantchefin Bärbel Ring und meinem Küchenchef Jan-Phillip Berner, die mir alle auch die Freiheit schenken, noch mehr Gastgeber sein zu können, strategisch und logistisch zu arbeiten und Freiräume für andere Projekte zu haben“, sagt der King dankbar. Denn heute hat sein Job immer noch alchimistische Aspekte,


Knigge für DIE KräuterjAGD * Nicht eine Pflanze komplett abernten, sondern rücksichtsvoll sein gegenüber Natur und anderen Menschen. * Sich immer hübsch bedanken bei der Pflanze – das ist auch gut fürs Karma! * Anfänger sollten mit wenigen Arten anfangen, die sie eindeutig bestimmen können. * Das Repertoire langsam erweitern. * www.kraeuter-buch.de gibt eine schöne Übersicht * Die Apps „PlantNet“ und „Flora Incognita“ helfen beim Identifizieren

der einsamen Natur haben wir wohl alle intensiv in uns aufgenommen. Es war Gerne beschreibt er auf wunderbar zu sehen, dem schnurgeraden Wie- wie alle erfrischt, resenweg parallel zum setet, gebräunt und Deich, was die Wochen der Sylter Quarantäne mit voller Elan wieder in ihm gemacht haben. „Na- den Betrieb kamen.“ aber er ist eben auch Chef einer logistisch perfekt funktionierenden Produktionsstätte.

türlich gibt es auch Facetten des Ganzen, die graue Haare sprießen lassen“, gesteht er, plötzlich sehr ernst. „Ich habe die Verantwortung für 60 Mitarbeiter…“, fügt er hinzu und was das in ganzer Konsequenz nach einer zweimonatigen Phase ohne Gäste bedeutet, das kann sich jeder ausmalen. Aber dann findet er mitten auf einer Wiese besten Portulak und die Sorge weicht im selben Moment der Zuversicht. Johannes berichtet über all die Schaffenskraft, die durch den Break bei ihm und seinen Mitarbeitern freigeworden ist. Er habe es zutiefst genossen, die Zeit zu haben, jeden Tag mit seiner Frau Selina zu frühstücken und abends am Tisch zu sitzen und jede Fahrt von Keitum durch die Wiesen nach Rantum mit dem E-Bike zu machen.

„Bis Ostern habe ich zunächst allen frei gegeben. Die Kraft

Diese Kraft mit in die Ära der Inselöffnung zu nehmen, gehört zu Johannes wichtigen Vorsätzen. Im Söl’ring Hof wurden in den Zeiten der Isolation alle Prozesse neu aufgesetzt, neu durchdacht und Elemente der bewährten Philosophie frisch ergriffen. „Besonders beeindruckt haben mich unsere Azubis. Sie haben ungeahnt viel Verantwortung bekommen und sind damit über sich hinausgewachsen.“ Das beste Projekt für besondere Zeiten: Küchenchef Jan-Phillip entwickelte das Konzept „Kantine“ mit veredelten Hausmannsgerichten, und so wurde in Corona-Times für die Insulaner gekocht. Über 100 Essen gab das Team unter Einhaltung aller Abstandspflichten an den Wochenenden aus. Ganz neue Frühstücksboxen wurden in die Welt verschickt, der OnlineHandel mit King-Produkten lief hervorragend.

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Im Übergang zur neuen Normalität möchte Johannes mit seinem Team mehr Bewusstheit etablieren.

GUNDERMANN Das lila-blau blühende Gewächs findet sich gerne in halbschattigen Standorten, am Wegesrand im Wald. Die Blätter sind leicht bitter angehaucht, erinnern entfernt an Lakritz. Sie wurden immer schon gerne als Gemüse und auch Gewürz genutzt.

„Beim Frühstück im Hotel gibt es zukünftig nicht immer alles, sondern bestimmte Kreationen an bestimmten Wochentagen. Das erhöht die Freude daran und spart Ressourcen“, ist sich der Meister sicher. Denn neben der einzigartigen Güte der Kreationen aus seinem Haus, geht es ja auch immer ein wenig darum, eine Lebenshaltung weiterzugeben. „Was für ein Geschenk es ist – hier leben und genießen zu dürfen“, sagt Johannes voller Demut und jetzt ab an den Schreibtisch. Denn eigentlich ist Bürotag.

Wilde Möhre Sie ist sozusagen das Elterngewächs von unserer Gartenmöhre. Verwendung in der Küche finden die Wurzel, die Blätter und die Samen. Da man Doldenblütler schnell verwechseln kann, sollte man die Blätter zerreiben. Der authentische Möhrengeruch ist unverkennbar.

Über 100 wilde Kräuterarten, Blüten und Beeren schenkt die Sylter Natur im Jahreslauf für Kochtopf und Hausapotheke. Aber das exzellente Wissen um die wunderbaren Pflanzen und ihre Verwendung ist gerade in diesem Fall elementar. Tolle Kräuterwanderungen bietet auf Sylt Angela Neumann an: Tel. 0177/4567649 Online bestellen, reservieren und alles Wissenswerte über den Kingschen Kosmos gibt es hier: www.soelring-hof.de www.johannesking.de 20 Mensch, sylt!

Portulak Unglaublich nährstoffreiches Wildgemüse, findet sich auf Sylt als Winterpotulak schon im März, auch auf sehr trockenen Sylter Böden in Strandnähe. Eberesche Besser als ihr Ruf: Die Beeren (Vogelbeeren) der Eberesche werden vom Mensch in den raffiniertesten Weiterverarbeitungsformen genossen. Nur roh kann sie für eine Missstimmung des menschlichen Magens sorgen. Holunder Der „Hihahollerbusch“ steht auf Wiesen als BegrenzungsKnick und vor allem im Inselosten am Wegesrand. Die Faszination des Holunders: Seine Blüten sind ähnlich vielseitig einsetzbar wie seine Beeren im Herbst. Fichtensprosse Die frischen Sprossen der Fichte helfen nicht nur bei Husten. Johannes King schwört auf ihren Einsatz auf dem Teller in den unterschiedlichsten Varianten: Sie bietet zitronig-waldiges Aroma par excellence. Spitzwegerich Große Hochachtung vor diesem Gewächs: Eignet sich nicht nur für den Wildkräutersalat, sondern auch als Wirkstoff bei Verbrennungen, Stichen und zur Wundheilung. Knoblauchrauke Heller grün als die Brennnessel, bis zu hüfthoch und mit weißen Blüten. Die Blätter haben ein feines Knoblaucharoma. Bärlauch kann da geschmacklich einpacken.


Gebratenes Makrelenfilet auf Stampfkartoffeln

mit Queller, Wiesenkräutersalat und Rapsölvinaigrette für 6 Personen:

250 g festkochende Kartoffeln Meersalz weißer Pfeffer Die Kartoffeln schälen und vierteln, dann in nur so viel Salzwasser weichkochen, dass keine Flüssigkeit abgegossen werden muss. Die garen Kartoffeln in dem restlichen Kochwasser stampfen, bis ein sämiger Stampf mit kleinen Stücken entsteht. Mit wenig Meersalz und weißem Pfeffer abschmecken.

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200 g frisch gezupfte Queller 1 Schalotte 15 g Süßrahmbutter Den Queller kurz waschen, dann in streichholzgroße Stäbchen zupfen. Die Schalotte schälen und in sehr feine Würfel schneiden. Butter in einer Pfanne zerlassen. Die Schalottenwürfel darin anschwitzen, anschließend den Queller 10 Sekunden darin schwenken. Mit weißem Pfeffer abschmecken.

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2 g Sonnenblumenkernöl 20 g gesalzene Butter grobes Meersalz weißer Pfeffer 6 große Makrelenfilets (entgrätet, mit Haut, je ca. 120 g) frisch gepresster Limettensaft Das Sonnenblumenöl mit der Butter in einer beschichteten Pfanne erhitzen. Die Makrelenfilets bei mittlerer Hitze auf der Hautseite eine Minute anbraten. Wenden, mit dem Bratfett übergießen und sofort aus der Pfanne nehmen. Mit Meersalz und weißem Pfeffer würzen und mit etwas Limettensaft beträufeln.

100 ml Rapskernöl 20 ml Apfelessig 1/4 Zitrone Zucker Meersalz schwarzer Pfeffer Senfpulver 50 ml Gemüsefond Aus Rapsöl, Apfelessig, Zitronensaft, je einer Prise Zucker, Meersalz, schwarzem Pfeffer und Senfpulver sowie dem Gemüsefond ein mildes Dressing mischen. Mit dem Stabmixer kräftig durchmixen, dann nochmals abschmecken. Die Essigsäure darf nicht zu dominant sein, das Rapsöl soll im Vordergrund stehen. 1 Handvoll Wildkräuter (z. B.  Giersch, Löwenzahn, Sauerampfer, Taubnessel, Melisse, Schafgarbe, Schnittlauch, Wiesenkümmel, Spitzwegerich, Leimkraut, Bachkresse) Den Wiesenkräutersalat waschen und trocken tupfen. Kurz vor dem Anrichten mit etwas Vinaigrette marinieren. Die Stampfkartoffeln auf die Teller verteilen und obenauf den Queller geben. Die glasig gebratenen Makrelenfilets darauflegen und mit der Bratbutter übergießen. Darüber den Wiesenkräutersalat drapieren und nochmals mit Vinaigrette beträufeln.

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AUF EIN PRICKELNDES GLAS WASSER MIT DIETMAR PRIEWE

SPITZENKOCH

UND SCHARFER TYP

FOTOS: MAIKE HÜLS-GRAENING für proKampen

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Wenn es auf der Welt mehr Kerle wie Dietmar Priewe gäbe, wäre sie ein besserer Ort. Sylt kann jedenfalls froh sein, dass sich der emphatische Mann, geniale Koch und gebürtige Usedomer vor 20 Jahren für die Insel in der Nordsee entschied, und er seine Frau Anja gleich mitbegeistern konnte. Dietmar bereichert das Spektrum der Insel-Locals um ein wertvolles Exemplar. Was vor Sylt passierte?

Dietmar Priewe wurde irgendwann in den 70er Jahren als DDR-Bürger auf Usedom geboren. Das fand er – wie die meisten Kinder im Arbeiter- und Bauernstaat – nicht besonders schlimm, denn er hatte ja auch keinen Vergleich. Zudem bescherte die Insellage und die Tatsache, dass in seiner Familie vom Fischfang gelebt wurde, ihm eine grandios freie Kindheit in der Natur. Er fand die Zubereitung der Schuppentiere allerdings spannender als den Fang – und fokussierte sich früh auf sein Lebensthema »moderne Nahrungszubereitung zum Vergnügen aller«. Die Qualität der Küchen seiner Heimat überzeugt ihn unterm Strich bis heute nicht besonders. „Da ist noch reichlich Luft nach oben. Es gibt doch so groß-

artige Ressourcen, auf die man zurückgreifen kann. Gemacht wird daraus leider viel zu wenig.“ Nicht zuletzt darum entschied er sich, Ost- gegen Nordsee einzutauschen und erlernte so das Einmaleins seines Handwerks auf Föhr. Eine im Verlauf beflügelnde Ausbildungssituation, sein Ehrgeiz und Talent waren Faktoren, die dem jungen Priewe sehr entgegenkamen. Sein Wechsel von Föhr in die damals wirklich noch junge und wilde Küchenszene der Hauptstadt tat ihr Übriges. Dietmar arbeitete bei Johannes King im „Grand Slam“, wirkte bei vielen genialen und ambitionierten Restaurantprojekten mit und überführte all das mit Freude in seinen Erfahrungsschatz. Schon mit Anfang 20 lernte er die entzückende Bankerin Anja kennen. Die beiden führen seitdem eine Vorzeigebeziehung.

Und dann? Sein großes Vorbild Johannes King wechselte nach Sylt und machte ihn irgendwann darauf aufmerksam, dass die schon damals legendäre „Sansibar“ einen neuen Küchenchef suchte. »Du bist verrückt genug, den Job zu machen«, heißt das Kingsche Originalzitat. Obwohl Dietmar sich geschworen hatte, niemals wieder auf eine Insel zu gehen, war er machtlos, als er sich an einem tiefblauen Sylt-Himmel-Tag mit Herbert Seckler traf und in Folge dem verwegenen Charme der „Sansibar“ erlag. Auch Anja fand die Option Sylt attraktiv und dann begann für die zwei das Abenteuer Nordsee, was auch jetzt noch längst nicht vorbei ist. Der wilde Koch an einem ebensolchen Ort – das passte brillant. Dietmar führte die Küche im Dünenlokal mit den bis zu 50 Kollegen mit

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Leidenschaft und Enthusiasmus. So sammelte er in fast 20 Jahren unzählige Erfahrungen und Impressionen. Zu den ebenfalls grandiosen Momenten dieser Jahre gehört ohne Frage das Erscheinen seines Sohnes Tim auf der Bildfläche – vor fast 13 Jahren.

Der „POINT of NO RETURN"

Das, was dann nicht so schön war: Vor ein paar Jahren hatte Dietmar Priewe einen Motorradunfall und verletzte vor allem seine Schulter nachhaltig. Zudem hatte er sich an einen Lebenswandel angewöhnt, der typisch ist für die Gastro, aber darum immer noch nicht vorbildlich: Krasser Stress, zu wenig Sport und den ganzen Tag irgendetwas zwischen den Zähnen, was es zu naschen oder zu probieren gibt. Dietmar fühlte sich damit lange nicht wirklich wohl in seiner Haut. Fahler Teint, zu viel Speck auf den Rippen, seelisch und körperlich nicht in Balance. Dass das nun so ganz anders ist und Dietmar heute – mit Mitte 40 – der Vorzeigemann für alles ist, was schön, sportlich und gesund anmutet, lag nicht zuletzt an der Begegnung mit „Sansibar“-Stammgast Dieter Müller, der in der 24 Mensch, sylt!

Nähe von Köln eine Klinik leitet, die eine innovative Form ganzheitlicher Medizin betreibt. Nach anfänglicher Skepsis begeisterte sich Dietmar für das Konzept und stellte sein Leben nach einer intensiven Fastenkur und einer Darmsanierung für immer um: auf viel Sport, Intervallfasten, auf seinen Organismus abgestimmte und wertvolle Lebensmittel, auf ein durch und durch positives Mind-Setting. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Wenn es nicht gerade Kontakt- und Distanzregeln gibt, ist er begeisterter Mitstreiter bei Marathonläufen und Triathlonwettbewerben in der ganzen Welt und an Heiterkeit und positiver Weltsicht unerreicht.

Was Corona verändert hat?

Im Frühling 2020 entschied Dietmar Priewe in Abstimmung mit seinen Liebsten, das Leben nochmal neu zu mischen und verabschiedete sich von seiner langen »Sansibar«-Ära. Im Frieden und im Guten, wie er glaubhaft versichert. Zeit für einen neuen Schritt… was genau, verrät der Superkoch allerdings noch nicht. Er steht „in Verhandlungen mit einem span-


»die stille ZWISCHEN MÄRZ UND MITTE MAI hat viele von uns zentriert und dazu geführt, dass man aufgeräumter ist und wieder weiss, was wichtig ist im leben.« nenden neuen Auftraggeber“. Auch nicht ausgeschlossen: Seine Kenntnis und seine Liebe zu gesunder und ayurvedischer Küche in einem eigenen Konzept umzusetzen. Die Zeit der Quarantäne auf Sylt konnte Dietmar, wen wird es wundern, aus vollen Zügen genießen… er hat auch seinen Sohn Tim zu sportlichen Aktivitäten aller Art inspiriert, auf Sylt ganz neue zauberhafte Plätze entdeckt und natürlich gesund und köstlich für seine Familie gekocht. Bevor er wieder einen festen Job beginnt, möchte er bei Kollegen in der Welt Neues lernen und Freunden helfen, ihr Traumkonzept umzusetzen. Auch in Zukunft auf Sylt zu bleiben, steht für ihn außer Frage: »Es ist unser Zuhause«.

Dietmar Priewe wird wie Johannes King und etliche renommierte Mediziner Referent sein beim nächsten Kampeneum zum vielsagenden Thema »Alter, Du kriegst mich nicht!« (verlegt auf den 1. Mai 2021) www.kampen.de

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DIE REPORTAGE: ZU BESUCH BEI JENS LUND... UND BEI GÃœNTER!

BACKE, BACKE KUCHEN

T O R B

von Imke Wein

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Eine Backstuben-Story zu nachtschlafender Zeit habe ich zuletzt während meines Volontariats gemacht. Und das ist nun echt lange her. Um 5.30 Uhr von Wenningstedt (Zuhause) nach Hörnum (zu Bäcker Lund) zu zockeln, bedeutet für mich heute keine Mühe, sondern vielmehr ein aufrichtiges Vergnügen. Aus drei Gründen: 1. Die frühen Sommermorgen auf Sylt sind in ihrer Stimmung durch kaum etwas zu überbieten. 2. Weil selbst ein Bäcker heute nicht mehr um 3, sondern erst um 5 aufsteht, da etliche Arbeitsschritte vom Teig zum Brötchen oder Kuchen dank moderner Gärmaschinen wie durch Zauberhand über Nacht passieren. 3. Weil ich Jens Lund und sein Team grandios finde und ihm immer schon mal über die Schulter schauen wollte. Für die himmlischen Produkte, die coolen Ideen und den unbeugsamen friesischen Willen, ehrlich, regional, nachhaltig, ökologisch wertvoll und köstlich zu produzieren.

E

s ist schon taghell. Kein Mensch auf der Straße in Hörnum Dorf. Bis auf Jens Lund, der mich vor dem Café begrüßt und auf dem kurzen Weg in die Backstube begleitet. Der Junior-Chef dieser gastronomischen Inselperle erfüllt die Erwartung an einen Sylter Friesen. Zum Glück, weil in Reinkultur gibt es die gar nicht mehr so oft. „Moin.“ Nicht mehr und auch nicht weniger, dazu ein Lächeln über eine Gesichtshälfte. Der hochgewachsene junge Mann ist halt alles andere als eine Laberbacke und das liegt nicht an der frühen Stunde. Man muss sich Vertrauen und Offenheit eines Friesen erarbeiten. Vor allem als Fremde, die ich hier bin, obwohl ich auf Sylt gefühlt jeden Stein mit Namen kenne. Aber Jens und ich sind uns in den letzten Jahrzehnten tatsächlich fast nie über den Weg gelaufen, was einem Wunder gleicht. Kundin bin ich hier, immer wenn mich der Weg nach Hörnum führt. Ich liebe den Lundschen Retro-Gastraum aus den 50er Jahren – der die Tradition wahrt, trotzdem stylisch ist und gekonnt mit dem Thema „Spießigkeit“ spielt. Ich schätze das Wahnsinns-Eis in allen Sorten, die Torten, das Biobrot und auch die köstlichen Speisen mit regionalen Produkten, in denen sogar der Vegetarierer und Veganer sein Eldorado findet. Menschen, die Familienbetrieb können und trotzdem Revolutionäre sind? Tiefe Hochachtung!

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In der kühlen Morgenluft liegt dieser warme süßliche Geruch aus Hefe, Karamell und anderen Köstlichkeiten. Schon dafür hat sich der Weg gelohnt. Zur Orientierung: links ’rum geht’s in die Konditorei, wo Wissende wie am Schnürchen produzieren. Rechts ’rum: die Backstube. Zu dieser Stunde: das Reich von Jens und Günter. „Ich bin sein Auszubildender im dritten Lehrjahr. Ohne Günter ging’s hier nicht. Was der Mann macht, ist der Wahnsinn“,

etwa doppelt so breit sind wie bei einem sportlosen Schreibtischtäter. Das, was er mit den feinsten Brotund Brötchenteigen hier anstellt, ist ein Geschenk für den Betrachter. Wie eine moderne JonglagePerfomance. Mehr als gutes Handwerk, eher Kunst. Was ja passieren kann, wenn alltägliche Bewegungen zur Perfektion gelangen und alles Behäbige wegfällt. Und dann das Tempo: „So schnell wie Günter werde

für Filalisten wahrscheinlich nicht“, erklärt sich Jens das Phänomen. Zum Glück gibt es ohnehin einen wachsenden Lundschen Fanclub auf der ganzen Insel. Manch einer will nach diesem Brot nichts Anderes mehr. Es wird immer wortreicher mit unserem Morgenplausch. Jens arbeitet und berichtet dabei, dass er eigentlich nie vorhatte in den elterlichen Betrieb einzusteigen, dass er in Neuseeland bleiben woll„Lundumglücklich“ – wer einen Handwerker erleben möchte, der seinen Job mit Liebe und Kunstfertigkeit verrichtet, kommt an Günter nicht vorbei.

sagt ein Chef, der schon in den tollsten Sterneläden gekocht hat. Und es wird augenscheinlich, was er meint. Günter backt hier seit vier Jahrzehnten. Mit stiller Freude und einem Ethos, der seinegleichen sucht. Seine Frau arbeitet bei Lund im Service, sein Sohn als Koch. Nebenbei bemerkt: Günter hat Unterarme, die 28 Mensch, sylt!

ich das nie können“, versichert Jens, der am XXLOfen Laibe und BrötchenVarianten „schiebt“, wie es im Jargon heißt. Dieses Team wird Hörnum heute mit seinem täglich Brot versorgen, denn außer einem Backshop bei „Edeka“ gibt es im Süden keineBäckerfiliale. „Bei uns dauert der Winter tatsächlich länger als in den anderen Inselorten. Das lohnt sich

te, ihm aber doch der Stallgeruch in die Nase kam. Dass sein Vater derjenige war, der immer schon sehr auf Qualität setzte. Ups, da kommt der Senior wie bestellt durchs Bild gelaufen, schaut offenbar kurz nach dem Rechten, erkundigt sich, wer die Fremde ist, schnappt sich ein Brötchen und ist wieder weg.


Jens entwickelte seine Variante vom väterlichen Qualitätsverständnis konsequent und mit Nachdruck weiter. Während das Gewürzbrot backt, erzählt der Küchenmeister, warum es möglich ist, bei Broten komplett auf Bio zu setzen („Weil es halt immer alle Zutaten in Bio gibt“) und dass er damit auch eine gewisse pädagogische Funktion hat, weil in Hörnum jetzt auch Menschen Biobrot essen, denen das sonst nicht so wichtig ist. Erst kommen sie, weil

Lund halt der Bäcker ist im Dörp, dann kommen sie aus Überzeugung. Während der Profikoch unermüdlich und (fast) so kunstfertig wie Günter Herrlichkeiten in den Ofen hinein- und wieder herausbefördert (Jens: „Ich verbrenne mich mehrmals die Woche.“), berichtet er von seinem „Brottaxi“, mit dem er in der „Alcatraz-Si-

tuation“ von Sylt die Locals mit Brot und anderen Leckereien versorgte. Er plaudert über die neue Eissorte „Inselkind“, die im Zusammenspiel mit den Freunden und LabelInhabern entstanden ist und davon, dass er nie ein Unternehmer mit Filialbetrieb werden will.

sagt Jens überzeugt, aber nicht arrogant. Überheblichkeit liegt ihm fern. Er mag es gerade, ehrlich und authentisch. Und das ist aber nebenbei auch der Grund, warum er bei seinen Kuchen und den warmen Speisen nicht konsequent sagen kann, alles sei „regional und bio“.

«Qualität und Geschmack

„Wenn es gerade nicht genug Sylter Milch (von Jens Nielsen in Morsum) gibt, muss ich ausweichen“, nennt Jens einen von vielen Gründen gegen ein

sind für uns das Maß aller Dinge. Das geht für mich nicht in Großproduktion»,

Bio-Siegel auf alle Produkte. Es gibt wenig Scheren in seinem Kopf. Es ist mehr Philosophie als Doktrin. Es muss halt alles seinen Ansprüchen von Geschmack und von der richtigen Produktionsweise im Einklang mit der Natur entsprechen. Die Erwartung anderer ist ihm egal. Die Ideen dazu werden ständig weiterentwickelt und betriebswirtschaftlich funkti

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onieren muss es natürlich auch. Reich zu werden, ist bei den Lunds nicht der Anspruch. „Große Autos sagen mir nichts.“ Es geht um würdevoll klarkommen und um Lebenssinn. Inzwischen düst die Mitarbeiterin aus dem Verkauf auch schon im entsprechenden „traditional CaféhausLook“ mit in der Backstube herum, um die Auslagen im Laden ausreichend mit der frischen, noch ofenwarmen Ware zu bestücken.

„Bei uns ist es so: Wir kalkulieren lieber knapp und bestimmte Produkte sind dann einfach aus – wir wollen möglichst wenig Lebensmittel wegwerfen müssen.“ 30 Mensch, sylt!

Als Azubi im 3. Lehrjahr degradiert sich der Junior-Chef gern – aus Respekt vor dem Brotbackkünstler No.1: Günter!

Ach ja, eigentlich bin ich ja gekommen, um der Produktion des „Lichtkornbrots“ beizuwohnen. Das bringt Günter gerade in Form. Lichtkornbrot – das klingt zauberhaft, ist es

auch. Und eine ziemlich ausschließlich Sylter Angelegenheit: das Korn kommt vom Jens (noch ein Jens!) Volquardsen vom „Erdbeerparadies“ – ein Freak in Sachen Landbau. Mehr Liebe zu Mutter Erde als er kann man schwer haben! Jens und Jens sind Freunde. Bauer und Bäcker arbeiten zusammen, Hand in Hand.


Sie teilen eine Haltung. Das Salz für das Brot kommt von Alexandro Pape aus List. Das Getreide wächst bei Jens in Braderup, wird hier in der Backstube gemahlen und kunstvoll verarbeitet, dann geht es zurück nach Braderup in den Verkauf. Günter hat noch den Teig in der Mangel. Gleich kann das gute 800 Gramm schwere Stück in den Ofen. Zwei Stunden später wird das „Lichtkornbrot“ im Hofladen in Braderup

verkauft. Mittwochs und samstags stehen die Volquardsens auf dem Westerländer Wochenmarkt mit dieser einen Sorte Brot, mit Öko-Eiern und Gemüse. Dienstag und Freitag ist Hofladenzeit. „Ich mag unser Brot richtig gern. Es gibt schwer etwas Besseres. An einigen Rezepten haben wir schwer getüftelt, als wir

komplett auf Bio umgestellt haben, damit wirklich alle passt“, berichtet Günter, der abends immer nochmal in der Backstube längs kommt, um zu checken, dass alles für den nächsten Morgen vorbereitet ist. „Günter müsste man eher bremsen in seinem Arbeitseifer, aber das lässt er nicht zu“, meint Jens aus dem Off und macht gerade die Laugenbrötchen ofenfein. Günter erwähnt noch eben, dass „heute keiner

mehr Bäcker werden will“ und er nicht so richtig verstehe, warum. Dann ist er mit der Produktion auch für heute durch. Es ist acht Uhr. Bis dahin hat Günter nicht einmal von seinem Arbeitstisch aufgeschaut. Jetzt strahlt er und geht eine schmöken. Aufräumen, vorbereiten – das kommt dann. Ich nehme mir vor, wenn ich mal ein Motivationsproblem ha-

ben sollte, immer an diese beiden Männer zu denken. Noch ein schneller Abstecher in die Konditorei. Da entstehen gerade die opulenten Lundschen Erdbeertörtchen, für die manch einer auf der Insel morden würde. Draußen – ist es immer noch früh, obwohl ich doch schon von einer Reise in eine andere Galaxis zurückkomme. Nur gibt es jetzt eine ewig lange Schlange mit gebührendem Corona-Abstand in Hörnum Dorf. Ja Leute, warten lohnt sich, auf frische, noch warme Brötchen von „Bäcker Lund“.

Die Gemahlin von Jens folgt auch dem Modell „Familienbetrieb“. Die Journalistin arbeitet zwar auch bei der Sylt Marketing, aber sie gibt natürlich auch dem „Cafe Lund“ eine Stimme nach außen. Und weil man den Chronik-Text zum Betrieb nicht besser schreiben kann als sie, verweisen wir auf die entsprechende Stelle auf der Webseite und auf den Instagram-Auftritt: www.lund-sylt.de

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Alleinsein ist nicht Einsamkeit, sie ist das grĂśĂ&#x;te Abenteuer! Hermann Hesse


https://naukejaschinski.de


INA MÜLLER bringt bald ein neues Album raus, kommt wieder viel öfter nach Sylt, auch wegen ein paar Lieblingsmenschen

RUBRIK:

lieblingsmenschen 36 Angelo Schmidt lässt tief blicken (in sein Fotoalbum) 44 Tina Molsen und ihre unyogischen Momente 51 Oh mein Gott, was für ein Pastor! 55 Müller trifft Wein: Anleitung zum Synchronsabbeln

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ANGELO SCHMIDT ist ein Naturereignis, das in keine Schublade passt. Für uns öffnet der Surfund Naturaktivist sein Qurantäne-Fotoalbum.

TINA MOLSEN Yogalehrerin. Keine kann es wie sie. Die Sylter Meisterin vertraut uns ihre unyogischen Momente an.

RAINER CHINNOW Er ist ein guter, ein richtig Guter. Obwohl: Manchmal quengelt er auch ein wenig, weil er die Konsequenzen aus Corona „doof“ findet. Aber natürlich macht er das Beste daraus.

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AUS DEM QUARANTÄNE-ALBUM VON ANGELO SCHMIDT

SOUL PICT FOTO: NANN-NAUKE JASCHINSKI

15.000 Locals leben fest auf der Insel. 4.500 Menschen vom nahen Festland gesellen sich zum Arbeiten täglich und kurzfristig dazu. In der Quarantäne-Zeit verlor sich diese Gruppe Menschen für fast sieben Wochen beinahe auf den 100 Quadratki-

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lometern Inselfläche. Jedenfalls war die Stille nie stiller, die Luft nie klarer und die Frische nie frischer. Zudem schien fast durchgehend die Sonne. Eine spezielle, wahrscheinlich einmalige und von vielen zutiefst genossene Inselerfahrung. Trotz aller


TURES

existentieller Sorge, dem solidarischen Mitgefühl mit allen, denen es schlechter ging und voller Vorfreude auf die Gäste, die Sylt erst zu dem machen, was es ist… Anfang Mai löste sich die rigorose Stille etwas auf, als

die Zweitwohnungsbesitzer anreisen durften. Am 18. Mai öffnete sich Sylt wieder den liebevoll als „unsere Badegäste“ bezeichneten: Schon morgens um kurz vor sechs Uhr kam es zu langen Warteschlangen am Autozug. Die Umstellung war radikal.

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Würde die getankte innere Ruhe reichen, um der Wucht zu begegnen? Das wird sich erst in ein paar Monaten historisch sinnvoll einordnen lassen. Klar ist jedenfalls jetzt schon:

„DIESE ZEIT DER STILLE zu erleben, war ein riesengroßes Privileg.“ meint Angelo Schmidt, gebürtiger Wenningstedter, der sich nicht daran erinnern kann, den Strand und die Natur je so sehr für sich gehabt zu haben. Angelo und seine Familie sind zu jeder Zeit der Sylter Joker, wenn es darum geht, Insel-Lifestyle abzubilden. Er ist sozusagen unsere Allzweckwaffe für die Darstellung unkonventioneller Lebenshaltung. Und das völlig zurecht. Angelo, Business-Man („Norden“ Surfboards), Strandgutkünstler (sehr sehenswert), Verleger („Blue“ Surf-Magazin), Eventmacher („Petro Surf“) NachhaltigkeitsIdeenentwickler, Surflehrer, Naturaktivist und Gute-Laune-Verbreiter muss nur einen

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einzigen Satz raushauen und schon strahlt sein Gegenüber. Natürlich hat er auch wieder aus den epochalen letzten Wochen und Monaten das Allerbeste gemacht – war kreativ, hat mit seinen Kindern Naturkunde der besonderen Art betrieben, Baumhäuser gebaut, den „Mind resetet“ und seiner Frau, der „Inselkind-Chefin“ Kirstin Dobrot auch gelegentlich die existentielle Sorge um das Business genommen.

„Wir sind hier doch vor allem innerlich reich und beschenkt von der Natur. Vielleicht wird jetzt alles anders, aber immer gut!“ ist seine Überzeugung. Wie gut, dass es auf Sylt und in der Welt Lebenskünstler und Freigeister gibt wie ihn… Hier ein paar seiner InselImpressionen aus einer besonderen Zeit:


‹−

r Schülerin an de ule, liebt ihr h c S n e h c is n ä D ihre Freunde Pony „Rocket“, rung auch h ü F r e t u g i e b und ihre Familie.

Joy Nixi:

‹− Tay: Erfolg-

multikreativer Ideenentwickler, Unternehmer, Künstler, Papa, Surf- und Umweltaktivist.

‹−

‹−

Angelo:

reicher Abiturient, Fotograf, Surfer und Kreativunternehmer: Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.

Kirstin:

Designerin, Geschäftsfrau und Mutter, reist und reitet viel und gern.

„DIE ZEIT DER EINMALIGKEIT“

Strandgut geräubert in alter Sylter Manier – fürs Baumhaus, für neue Kunst-Objekte und gleich dabei auch Müll gesammelt.

Ende April war das Traumbaumhaus fertig. Eignet sich auch für Homeschooling und Frühstück

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Wenn das vegetarische Labskaus von Soulfoud-Küchengott Jens Lund lockt, dann eilt auch der InselkindOpa mal nach Hörnum und lässt seinen Garten stehen und liegen. Auch von dem ordnungsgemäßen Hergang beim Quarantäne-Projekt „Zirkuswagen-Renovierung“ am K4 konnte er sich eingehend überzeugen.

Promenade, Rückenwind, kein Mensch nur Joy und ich. Was für ein Tag!

Kikki und das liebe Vieh: Trotz der Sorgen um das „Inselkind"Business in der ShutdownZeit konnte Kirstin Dobrot die Zeit mit Familienpferd „Rocket“ auf den leeren Wegen aus vollen Zügen genießen.

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„MANCHMAL „ ZAHLT EBEN NUR DER MOMENT“ Ein Luxus: Kirstin und Angelo auf Natur-Expedition

Am Wenningstedter Strand hier ist er aufgewachsen. Aber so besonders intensiv erlebt wie in der Shutdownphase hat er ihn noch nie. Romantik total zum Barbecue am einsamen Strand: SonnenuntergangsKino de luxe!

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Die Inselkinder Tay und Joy halfen im Familybusiness, damit der Onlineshop mit Fotos gefüttert werden kann.

Für das Foto-Shooting müssen bei den Dobrots alle mit ran. Local support at its best: Familie Gehrke räumte in ihrem Supermarkt eine Ecke frei, damit die Inselkinder die neue Frühjahrsware feilbieten konnten.

Neuer Look für den Inselkind-Shop: mit Fototapete - Motiv vom Brandenburger Strand in den 60er Jahren, aufgezogen von Kristian Junge. 42 Mensch, sylt!


Der Laden ist zu. Aber dank des Online-Shops verließen viele Pakete mit frischer Ware die Insel. Übrigens: Die Kartons kommen aus unterschiedlichen Quellen und werden recycelt. Außen rustikal und innen mit vielen liebevollen Details verschickt…

Tour im InselkindBus: Ob die L24 am helllichten Tage jemals wieder so leergefegt sein wird?

Das Surfschulmaterial blieb bis Mitte Mai unberührt. Dafür waren die Sylt Locals in diesem Frühjahr im Wasser wie selten.


MEISTERIN TINA MOLSEN… UND DIE UNYOGISCHEN MOMENTE

Erleuchtung?

Bald!

FOTOS: MAIKE HÜLS-GRAENING für Wenningstedt-Braderup

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Ob Pastor, Leibarzt oder Yogalehrer – es gibt bestimmte Berufsgruppen, deren Heiligkeit man als Normalo ungern anzweifelt. Man bewahrt sich diese Menschen in der Ecke der „Untouchables“ gern als perfektes Vorbild. Oder mit Beispiel: ein Pastor, der die dunkle Natur des Menschen beklagt oder eine Yogalehrerin, die ’ne Kippe raucht oder flucht, kann verstörend wirken auf den Bewunderer oder – im besseren Fall – auch dazu führen, milder mit sich selbst zu sein. Ob es bei Tina Molsen soweit kommt zu fluchen oder Kippen zu rauchen, bleibt ein Geheimnis. Dass es aber selbst für die vorbildlichste Yoga-Meisterin an Überforderung grenzt, ununterbrochen erleuchtet zu sein, hat gerade auch die jüngste Zeit gezeigt. „Sonst würde man ja nie erfahren, woran man noch arbeiten muss“, sagt sie aus breiter Erfahrung. Im sonnigen Heim der Molsens im Herzen der Insel sind alle Sofaelemente auf dem Boden ausgebreitet und mit Kissen und Decken in ein Höhlensystem verwandelt, das Klein-

Emma (6) und Klein-Anna (4) für den Moment ganz wunderbar beschäftigt. Tinas Mann Jan führt seine Geschäfte als „IT-Berater“ von zuhause. Er telefoniert mit wenig Unterbrechung vom ersten Stockwerk aus. Tina hat sich mit ihrem eigenen Business für die akute Corona-QuartäneZeit zwischen Mitte März und Mitte Mai eine eher kleine Nische gesucht und verbrachte so viel Zeit mit ihren Töchtern wie vorher eigentlich noch nie. „Wir hatten es doch gut, weil Jan weiter voll arbeiten kann. Das einzig wirklich Blöde war, dass wir unseren herbeigesehnten Urlaub auf Teneriffa nicht antreten konnten. Aber das ist nun wirklich nicht bedeutsam“, sagt sie und mischt Milch und Espresso kunstvoll zu einem Cappuccino. Das Quarantäne-Erleben war bei Tina in Phasen gesplittet: Die des hektischen Handelns, der Verunsicherung und Krise gefolgt von Produktivität, von neuen Ritualen, einem erfrischten Blick auf das eigene Leben, auf die Zukunft und natürlich – wie bei fast allen Locals – ein intensives Erleben der so gewaltigen Sylter Natur.

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»Ich könnte jetzt ein Handbuch rausgeben, was man im OnlineBusiness alles verkehrt machen kann.«

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Ihre Schüler hat sie seit Ende März mit OnlineStunden versorgt. Bis das mit dem Vimeo-on-demand-Kanal so richtig funktionieren wollte, musste sie über etliche Klippen gehen. „Mal war der Ton weg, mal klappte es mit dem Hochladen nicht ordentlich. In der Summe aller Erfahrungen, kann ich jetzt mit Fug und Recht sagen: Ich könnte ein Handbuch herausgeben, wie man sein Online-Business nicht aufziehen sollte“, meint sie lachend. Bei diesem ganzen „technischen Gefummel“ war sie nicht nur einmal verzweifelt, wütend und ungeduldig, hat auch die eigene Yoga-Praxis vernachlässigt. Was für einen Yogi wirklich übel ist, denn nur durch tägliches Üben verdichtet sich die Summe aller Yoga-Erfahrung zu Momenten, die sich wirklich nach Erleuchtung anfühlen. Zu lange „ohne“ lässt selbst den erfahrensten Meister aus der Balance geraten. „Dabei reichen auch fünf Minuten der Atem-Praxis, ein Reinigungsritual oder eine Weile im ,Hund’ stehen und atmen schon als tägliche Praxis. Das versuche ich

meinen Schülern auch zu vermitteln: Die Ziele nicht so hoch stecken, einfach machen, atmen, einkehren, erfahren…“, plaudert Tina fröhlich und dann ergänzt sie ernst: „Diese entrückte Zeit der letzten Wochen hat uns auch hier auf Sylt viel abverlangt, was wir als Yogis stetig üben: ganz im Moment sein, an Grenzen wachsen, Friedfertigkeit, Gelassenheit und Geduld üben, nicht vorschnell handeln und urteilen, Mitgefühl zeigen… Na, und noch so einiges mehr. Wir


alle hatten dahingehend eine intensive Lehrstunde, konnten aber auch echt wachsen“, meint Tina augenzwinkernd. Diesen besonderen Erfahrungen hat sie auch Yoga-Einheiten gewidmet. „Wut und gut!“ – hieß eine Online-Stunde zum Beispiel, gerade an dem Tag, als sie sich selbst mit der Stream-Technik so richtig in Rage geärgert hatte. Aber der jahrtausende alte Schulungsweg des Yoga trainiert glücklicherwei-

se nicht nur den Körper, sonder auch den Charakter. Die Instrumente oder der „bunte Werkzeugkoffer“, wie Tina Yoga nennt, besteht aus den Asanas*, aber auch aus Atemübungen, Meditation, Reinigungsritualen, der Lektüre gelehrter Schriften und üblicherweise auch dem Singen von Mantren. Der Werkzeugkoffer jedes Yogi wird individuell und immer wieder neu bestückt. Viele steigen mit der Körperarbeit ein und begeistern sich über die Jahre

auch für die „schrägeren“ spirituellen Optionen, für das Feinstoffliche. Den meisten der fünf Millionen Deutschen, die regelmäßig Yoga praktizieren, hat dieses Instrumentarium in den schwierigen Momenten der letzten Wochen wahrscheinlich enorm geholfen. Denn auf Yoga ist Verlass. Yoga geht überall. Es macht den Körper stark, widerstandsfähig und schmerzfrei, aber auch den Geist frei. Es schult Tugenden, macht

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im besten Fall angstfrei und höchst gelassen. Die Schüler von Tina – auf Sylt und in der ganzen Welt – vor den Bildschirmen merkten von ihrem Technik-Struggle nur am Rande, zeigten sich überschwänglich begeistert für die Online-Klassen. „Nach ein paar Wochen waren wir alle etwas müde von dem vielen Erleben vor dem Bildschirm. Ich war ja nicht die einzige, die Online-Yoga Angebote hat in dieser Zeit. Die Euphorie bei meinen Usern ließ nach – anhand der Statistik jedenfalls“, analysiert sie nüchtern.

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Seit Ende April darf Tina wieder Einzelunterricht geben. Ab Juni durfte der Gruppenunterricht mit den entsprechenden Vorkehrungen wieder losgehen. „Ich bin so froh, dass ich jetzt gerade kein eigenes Studio habe und die laufenden Kosten aufbringen muss. Bitte unterstützt auch die Outdoor Angebote von Kollegen, die es jetzt schwerer haben“, meinte sie ganz offensiv zu Schülern, die Mitte Mai fragten, wann der Gruppenunterricht wieder losginge. In Zukunft möchte sie mit ihrem unerschöpflichen Wissen wieder vermehrt Workshops anbieten, die das breite Yoga-Wissen

mit den unterschiedlichsten Tools vermitteln, die auch Lebenskunde sind und die ihre Schüler dazu befähigen ihre eigene, individuelle Praxis zu entwickeln. „Es bedarf oft nur kleiner Stellschrauben, damit der Körper wieder reibungslos funktioniert und das Leben damit eine ganz neue Qualität erhält. Der Schatz zum Glücklichsein schlummert in jedem und muss immer wieder neu ergriffen werden. Und dann sagt sie besonnen: „Der Weg eines Yogi ist dabei manchmal holperig und vor allem nie zu Ende. Erleuchtung ist kein Dauerzustand“, und da spricht sie nicht nur für ihre Schüler sondern auch für sich.


*Asana

bezeichnet im Sanskrit die Körperhaltungen im Yoga. Ob es traditionell 84, 120 oder sogar mehrere Hundert Asanas gibt? Das kommt auf die Auslegung, den entsprechenden Yoga-Stil und die Phantasie des Praktizierenden an. Denn jede Yoga-Asana kennt jeweils etliche Varianten, die auch Rücksicht nehmen auf die körperliche Verfassung des Einzelnen. Die Verbindung der Körperhaltung mit der Atmung unterscheidet Yoga von Gymnastik. Oft ist es die körperliche Arbeit, die den Praktizierenden dann auch zu anderen YogaKünsten führt. Eine Einführung: >> https://www.yogaeasy.de/ artikel/asana-lexikon

Der Nach-untenschauende-Hund = Adho-Mukha-Shvanasa ist eine der Hauptübungen des Yoga, gerade bei fordernder Yoga-Praxis kommt man immer wieder in diese Position als Batterieaufladestation zurück. Sie ist auch Teil des Sonnengrußes. Der „Hund“ spricht unglaublich viele Muskeln gleichzeitig an, streckt und dehnt die Wirbelsäule, kräftigt den Rücken, Arme und Beine. Bei verlängerter Ausatmung beruhigt der Hund den gesamten Organismus, lindert Stressymptome, erfrischt das Gehirn, lindert Kopfweh und Asthma.

So ist Yoga mit Tina Molsen

Yoga-Stunden, die kreativ, fordernd, fundiert, dabei spirituell und niemals gleichförmig sind. Tina Molsen gibt auf Sylt Einzel- und Gruppenstunden in Yoga und verkörpert eine sehr moderne, ganzheitliche und facettenreiche Form alter Weisheit.

i Hier der direkte Link zu Vimeo: www.vimeo. com/ondemand/syltyoga

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Drei Fragen, drei Antworten Wie war Deine erste Berührung mit Yoga? Tina: Das war während meiner Musical-Ausbildung. Ich war erst gar nicht begeistert und dachte, das ist mal so gar nichts für mich. Die zweifache Mutter wuchs in Kuwait auf, wollte erst Modedesignerin werden, absolvierte dann eine Ausbildung zur Musicaldarstellerin an der Stage School in Hamburg, arbeite auf der Bühne und studierte Gesundheitswissenschaften in Flensburg. Direkt nach dem Studium erhielt sie auf Sylt das Angebot, das Studio „Sylt Fitness“ mitaufzubauen. Seit 2016 ist Tina Molsen selbstständig, hatte kürzlich einen kleinen Zwischenstopp mit ihrer Familie in einem Dorf bei Hamburg. Doch die Sehnsucht nacht dem Sylter Wellenschlag, nach seinen Menschen und seinen Möglichkeiten war größer. Seit einem Jahr ist sie – zur großen Freude alter und neuer Schüler – zurück auf Sylt.

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Und wie hat sich Deine Haltung dann so grundsätzlich geändert? Tina: Ich habe es wieder versucht und traf auf die für mich richtigen Lehrer. Dann ist es passiert und ich merkte in einer Stunde im Sawasana (die Totenstellung, ist die Endstellung einer jeden Yogastunde) wie tief berührt ich war, wie gut sich das anfühlte und dann habe ich mich aufgemacht, meinen Yoga-Weg zu finden. Ganz nebenbei: Durch das Üben sind auch meine Rückenprobleme schnell verschwunden. Du hast Deine Ausbildungen bei unterschiedlichen renommierten Lehrer gemacht und bist selbst in Deinem Unterricht sehr vielseitig, bietest unter-

schiedliche Stile und Elemente an – ohne dass es willkürlich wird. Was fordert Dich selbst im Augenblick heraus? Tina: Ich mache meinen Schülern immer Mut, viel auszuprobieren, um eine individuelle Praxis entwickeln zu können, in denen alle für Dich wichtigen Aspekte des Yogas wirken können. Ich begeistere mich gerade sehr für Katonah-Yoga aus New York. Das philosophische Referenzsystem ist, nicht wie üblich im Yoga, der Hinduismus, sondern der Taoismus. Die Katonah Praxis beruht auf Prinzipien der Chinesischen Medizin, Heiligen Geometrie und Thai Massage. Der Yoga-Weg ist halt nie zuende. Er bietet immer wieder Inspiration, sich auf allen Ebenen weiterzuentwickeln und diese Energie und Kraft dann auch in die Welt zu stellen. Meine Schüler sind bei allem meine größten Lehrer. >> www.tinamolsen.de Sylt bietet ein weites Spektrum an Yoga-Lehrern und Übungsorten. Eine Übersicht über alles Aktuelle bietet die Facebook-Seite >> Yoga auf Sylt


LOCALS IM GUTMENSCH-CHECK >> HEUTE: PASTOR RAINER CHINNOW

Foto: Nicole Mai

MIT ECKEN UND KANTEN!

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Sylt besitzt ganz besondere Exemplare der Gattung Mensch. Im MAG behalten wir uns vor, nur solche vorzustellen, die was zu sagen haben. Objektiv sein können da gerne andere. Wir möchten Themen, die jeden bewegen, an Lieblingsmenschen knüpfen. Einer dieser Sylter Lieblingsmenschen ist Rainer Chinnow. Den mag man nicht etwa, weil er perfekt wäre, sondern gerade wegen seiner Ecken und Kanten.

Ein paar Fakten:

Seit über 20 Jahren macht Rainer Chinnow als Gottesmann auf Sylt einen Job, der seinesgleichen sucht. Denn: In seiner Norddörfer Kirchengemeinde wird christliche Gemeinschaft so gelebt, wie man sie sich idealtypisch vorstellt. Auf Augenhöhe, herzlich, mit tollen Ideen, ohne Standesdünkel in guten wie in schlechten Tagen, Zeitgeist erkennend, Fehler verzeihend, Stärken fördernd, ohne Vorurteile, immer zu Neuem bereit, mit viel Humor und Herzenswärme. Geht doch: Gäbe es mehr Gemeinden, die so funktionieren, wäre Kirche wieder ein Erfolgsmodell. Und: Jaaa, auch andere Pastoren machen auf Sylt einen guten Job! Petra Hansen (List), ihr Mann Jon von der Dänischen Kirche, Pastorin

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Zingel (Keitum) und Pastorin Lochner (Westerland), um nur ein paar zu nennen… Rainer Chinnow kommt ursprünglich aus Kiel, war auch in Hamburg als Pastor im Einsatz. Seine Frau heißt Marion, ist Ärztin und eine großartige Frau. Die beiden haben drei Töchter, wobei die Jüngste ebenfalls Theologie studiert. Rainer kann überdurchschnittlich gut mit den Allerkleinsten: Taufkinder beruhigt der Herr Pastor im Bedarfsfall selbst und mit hoher Erfolgsgarantie. Rainer reist gerne – zusammen mit der Gemeinde überallhin und privat auch gerne mal weit weg. Neuseeland und so, da lebt auch Verwandtschaft. Lieblingsort außerhalb Sylts ist Venedig. Lieblingsfußballclub ist Bayern München.


RAiner chinnows besiondere freuden: fußball, reisen (hier in die partnergemeinde nach polen) und gottesdienste unter freiem himmel

Die Specials seiner Gemeinde:

Fußballandachten bei großen sportlichen Begegnungen und Public Viewing im Gemeindesaal – schon lange bevor es den Begriff „Pubic Viewing“ überhaupt gab. Gottesdienste, Taufen und Trauungen unter freiem Himmel. Sehr berührend und authentisch. Ob am Strand geschlossene Ehen länger halten, ist allerdings nicht überliefert. Völkerverständigung vom Feinsten: Die Nord-

dörfer Kirchengemeinde unterstützt eine Partnergemeinde in Masuren, Polen. Dort in Sorquitten konnte dank der Sylter Freunde in 30 Jahren viel geholfen werden. Es wurde u.a. eine Sozialstation und ein Kulturzentrum mit Herberge gebaut. Teambuilding und Strategieworkshops wie im großen Business: Freunde der Kirchengemeinde aus aller Welt helfen, dass sich die kleine Gemeinde am Dorfteich innovativ aufstellen kann. So führte der Ex-Microsoft-Manager Phillip Rüdiger den Kirchengemeinderat erst

kürzlich im Rahmen eines Workshops zu ungeahnten Erkenntnissen. Spaß gemacht hat es wohl auf beiden Seiten. Rainer Chinnow… nah dran!

Ist er so nett, wie er aussieht? Unbedingt. Wenn er vor der Kirche steht und nach dem Gottesdienst jedem Kirchgänger die Hand schüttelt und so nett lächelt, dann kommt das wirklich von Herzen. Nicht viel geht Rainer mehr gegen die eigene Natur als die mangelnde Nähe in Corona-Zeit.

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Video-Gottesdienste und einen soliden socialmediaAuftritt wollte die Norddörfer Kirchengemeinde schon immer. Durch Corona hat man sich da einfach herangetastet, ausprobiert und immer weiter verbessert. Learning by doing at its best.

Ist er der bessere Entwurf zum Thema Mensch?

Sagen wir so: Er ist trotz aller Qualitäten menschlich und damit fehlbar, weiß zwischen Job und Privatmensch gut zu unterscheiden, hat natürlich auch menschliche Schwächen, ist ziemlich chaotisch, neigt zum Zynismus – steht aber dazu und allein das zählt. Als Prediger wird er immer besser. Eine Freude, seine Gottesdienste zu hören. Online, vor allem aber auch live. Was ihm in Corona-Zeiten fehlte?

Die knallvolle Kirche, spontanes Zusammentreffen, dass im Pastorat nicht so viel Kommen und

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Gehen herrscht, Seelsorge mit Nähe, Umarmungen und die Möglichkeit zu reisen. Kann er mit Kritik um?

Geht so. Aber streiten mit ihm macht Spaß – der Herr Pastor ist nicht zimperlich. Hat er sich als krisenfest erweisen?

Ja doch. Zusammen mit seinem Team aus Profis und Ehrenamtlern hat er zwei Tage nach dem Inselerlass Mitte März direkt angefangen, jeden Senioren der Kirchengemeinde anzurufen und sich nach seinem Wohlbefinden zu erkundigen. Die Norddörfer Kirchen-

gemeinde war die erste mit Videoandachten, denkt sich ständig neue Formate aus, hat soziale Hilfe und Seelsorge neu definiert, hat über die sozialen Medien und spezielle OnlineMailings viele auch in der Distanz erreicht. Seniorennachmittage gab es sofort wieder, als es unter Einhaltung aller Regeln möglich war. Unterm Strich:

Chapeau vor dem Pastor und seinem Team. Ausgesprochen gute Noten im Mensch, Sylt! GutmenschCheck.


WEIN TRIFFT MÜLLER, MÜLLER TRIFFT WEIN

„Wie geht eigentlich

Synchronsabbeln?“

Sitzen und sabbeln wird völlig unterSabbelsabbel - Aber hier gesessen hat er auch bewertet…. also, ich kann das gut sabbelsabgerne sabbelsabbelsabbel den Surfern zugebel…. ich üb noch... Sabbelsabbelsabbel aber schaut…vermutlich war sein Interesse bloß wir haben ja auch noch Zeit, das zu perfektioein anderes..sabbelsabbelsabbel… Ich mag nieren….. Unser Freund Klausi hat keine Zeit die Surfer auch so sehr – sie surfen immer mehr das zu üben. Hin und her…

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Die Idee von einer Müller-Wein-Kolumne in einer eleganten Frauenzeitschrift liegt seit Jahren im Schatzkästchen der Lieblings-Projekte von SyltMAG Textchefin Imke Wein. Weil sich aus den komplett konträren Lebensentwürfen zweier Frauen ein Füllhorn an besabbelungsfähigen Themen stricken ließe. Beispiele? Bidde, gerne:

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Bei der einen liegen im Kühlschrank zehn verschiedene Sorten Bio-Gemüse, bei der anderen Kokoswasser und Bier. Die eine hat morgens um sieben schon Yoga gemacht, die andere erreicht dann gepflegt ihre Tiefschlafphase. Die eine kriegt Pipi in den Augen angesichts von sabbernden Kleinkindern, bei der anderen entsteht diese Gefühlslage bei der Betrachtung ebenso sabbernder Baby-Bulldoggen. Für die eine ist die Sache mit dem Älterwerden Ehrensache, für die andere Zumutung. Die eine mag Sicherheit und Alleinsein. Die andere kann beides nicht.

Diese Gegensatzliste ließe sich jederzeit beliebig erweitern. An Gesprächsstoff mangelt es allein darum nie. Es fehlt eher an der Zeit, all das bunte Leben auch angemessen und von allen Seiten durchzusprechen. Daher haben Ina und Imke für ihre kostbaren Begegnungen die Kunst des „Synchronsabbelns“ entwickelt und zur Perfektion gebracht. Das bedeutet: Die ersten 30 Minuten wird gleichzeitig gesprochen und zugehört. Effekt: Man haut thematisch das Doppelte weg und baut dabei den ersten Wortdruck ab. Das tut verdammt gut. Die Endentspannung beim Yoga ist ein Witz dagegen. Erfordert Übung, funktioniert aber einwandfrei.

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Das Vorhaben „Kolumne in eleganter Frauenzeitschrift“ wird im Schätzkästchen verbleiben, denn jede Verbindlichkeit, die nicht entsteht, ist vor allem Ina prinzipiell die Liebste. Also, keine Kolumne, aber eine kleine losgelöste Retro-Geschichte für das neue Imke-Projekt? Das geht. Aus Freundschaft. Denn die gibt’s, seit langem und in bezaubernder Form. Die Frage, wie es bei dieser konträren Konstellation überhaupt dazu kommen konnte, ist indes eine Betrachtung wert.

D ie erste Wahrnehmung voneinander haben die beiden Frauen – die eine mit dunklen Locken, die anderen mit blondem Pixie-Schnitt – als das Meerkabarett im Sommer 1994 in Wenningstedt auf der Wiese sein Zelttheater aufschlägt. Ina, aus der niedersächsischen Provinz, arbeitet seit Jahren in Westerland in der „Inselapotheke“ und hat gerade mit Edda Schnittgard den Henner-Krogh-Förderpreis gewonnen. „Das mit der Musik kam mehr auf mich zu als ich auf die Musik. Ohne Anstrengung. Es hat sich so gefügt. Ebenso hätte aber auch passieren können, dass ich noch heute in der Friedrichstraße arbeite, die Altstimme in der Westerländer Kanto-

rei singe, mit Haushälfte in Tinnum, Kerl futsch und meine Tochter bekommt ihren Unterricht an der Musikschule aus einem Fördertopf für Alleinerziehende. Die anderen Kinder sind schon aus dem Haus“, beschreibt Ina Müller die Willkür ihres möglichen Schicksals. Doch in Wirklichkeit kommt es anders: Die Meerkabarett-Macher Matthias Kraemer und Sebastiano Toma sind entzückt von dem Sylter Duo und nicht nur die. „Queen Bee“ singen nachts auf der Chapiteau-Bühne im „Pinguin-Club“. Imke ist derweil Volontärin bei der „Sylter Rundschau“ und verliebt sich in Meerkabarett-Gründer Matthias Kraemer. Geredet haben die beiden Frauen trotz benachbarter Biotope kein einziges Wort miteinander, was auf einer kleinen Insel wirklich sehr ungewöhnlich ist. Sie nehmen allerdings aufmerksam Kenntnis voneinander, nicht mehr, aber auch nicht

„Ich fand sie nie ausgesprochen blöd, ich habe immer wohlwollend rübergelinst“

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„Tauschen möchte ich mit niemandem, auch nicht mit Dir.”

München und mit durchaus stabilen Beziehungen. „Ihre zweite Tochter hat Imke mit dem Ex-Freund meiner Ex-Apotheken-Kollegin Doris. Das fand ich drollig, weil das passte irgendwie gar nicht, das war so wie ein mittelglaubhafter Ausflug ins Bürgerliche“, schmunzelt Ina, die im Sommer immer mal auf Sylt gastierte.

Neues aus dem „Schelli“ Ob die Shanties wohl singen dürfen? Wie die Gäste so sitzen werden? Mit Distanz vielleicht? Wird etwa noch tiefer ins Glas geschaut als ohnehin schon? Fragen über Fragen. Ab dem 30. Juli gibt’s jedenfalls frischen Sabbelstoff in „Inas Nacht“ direkt vor der Glotze. ARD, Do. 30.7. um 23.30 Uhr erste Sendung u.a. mit Tim Mälzer oder nochmal am Sa. 1.8. um 23.40 Uhr für die, die’s verpasst haben. Und dann jede Woche eine neue Show… Respekt, Frau Müller, Sie sind fleißig in Corona-Times! Inas Nacht:

weniger. „Ich fand sie nie ausgesprochen blöd, ich habe immer wohlwollend rübergelinst“, sagen beide, getrennt voneinander befragt. Die simple Erklärung, erst zickig dann BFF, funktioniert also nicht. Imke bekommt ein Jahr nach diesem Sommer ein Kind. Ina beginnt mit Edda ihre respektable Musikkabarett-Karriere in der ganzen Republik. Interviews mit „Queen Bee“ hat Imke in den Folgejahren immer lieber mit Edda geführt. „Ina war mich nicht so geheuer.“ Ina lebt kultivierte Bohème, jahrelang auch in

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Imke lebt Bullerbü und arbeitet freiberuflich als Autorin auf Sylt. Inas Karriere nimmt immer mehr Fahrt auf. Das 3. Album mit „Queen Bee“, eigene plattdeutsche Projekte, das erste NDR-Format „Inas Norden“ im TV. Imke trennt sich 2003 vom Mann und der Hausscheibe neben den Schwiegereltern. Beide sind dann kurzfristig mal in den gleichen Kerl verliebt, was sie viel später aufdecken und worüber sie heute noch gerne die ein oder andere Wortkaskade verlieren. Ina: „Aber dann irgendwann, kurz danach müssen wir doch angefangen haben, miteinander zu reden. Ich


glaube, das ist dann letztlich auf unseren gemeinsamen Freund Klaus Bambus zurückzuführen – der hatte ein gewisses Kuppler-Talent, wusste schon vor den Menschen, wer gut füreinander ist.“ So richtig erinnert sich aber keine an „das erste Mal". „Es muss jedenfalls toll gewesen sein, vertraut, selbstverständlich, unkompliziert – so wie heute noch immer“, vermutet Imke. Schwer vorstellbar für beide, die verbleibende Lebenszeit (beide hoffen auf viel!) ohne Synchronsprech-Sessions zu verbringen. Was Freundschaften angeht, mögen sie Kontinuität und Rituale. Gerne mit Kippen und Champagner, um dem Klischee Rechnung zu tragen. Der Ort ist völlig egal. Küchentische sind okay. Inzwischen ist es 14 Jahre her, dass Ina ihr erstes Solo-Album veröffentlicht hat und diese bemerkenswerte Gnade des „späten Ruhms“ erlebte. Im November folgte das nächste. „Inas Nacht“ ist als TVFormat ungebrochen ein Glanzlicht des NDR Entertainments.

ge einen Freund, den Imke übrigens 28 Jahre länger kennt als Ina. Aber das ist eine andere Geschichte, die zu einem anderen Zeitpunkt erzählt werden will. Imke hat ein drittes Kind bekommen, das sich sogar blendend mit Ina versteht, lebte 13 Jahre lang in Hamburgs Westen in einem echten Zirkus, mit einem echten Zirkusdirektor, ist jetzt Witwe und als Autorin wieder nach Sylt zurückgekehrt. Insgesamt: ganz schön pralle Frauenleben. Und sie sind ja mit

„Du warst mir früher nie ganz geheuer!”

Kinder hat Ina natürlich immer noch keine, lebt mit Leidenschaft allein mitten in Hamburg St. Georg und hat schon ganz schön lan

Mensch, sylt!

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60 Mensch, sylt!


„Vertraut, selbstverständlich, unkompliziert – gestern wie heute.” Mitte 50 noch mittendrin, wenn auch schon aus einigem raus. Guter Stoff jedenfalls. „Ja, wir haben wirklich eine fette Zeit in der Menschheitsgeschichte abgegriffen und das alles unter unfassbar coolen Umständen. Tauschen möchte man wirklich mit niemandem – auch nicht mit Dir“, sind sich beide einig. Was ist nun das Geheimnis einer Frauenfreundschaft auf zwei Umlaufbahnen? „Die seelische Verbindung ist’s, der tiefe Respekt vor dem Lebensweg der jeweils anderen – ohne jeden Neid“, sagt die eine. „Es ist die Leidenschaft für das wortreiche und abgründige Betrachten der großen Lebensthemen ,Frau sein, Männer, würdevolles Leben mit Mitte 50“, meint die andere und beide haben Recht. Und weil das Küchentischgespräch im Juni auf Sylt über eben diese Lebensthemen so ausgesprochen brillant war, das es gar nicht in einen Text zu fassen ist, gibt es in der nächsten MAG Ausgabe 2 immer noch keine Kolumne, aber vielleicht einen MüllerWein-Podcast – ist ja auch viel zeitgemäßer.

Und hier die aktuellen

Müllerschen Podcast-Tipps…

man muss sagen: Frau Müller ist PodcastUserin der ersten Stunde und hört sich noch die Ohren wund.

Das kleine Fernsehballett

Ein Podcast von Sarah Kuttner und Stefan Niggemeier. Die beiden reden über Serien, und sind dabei fast nie einer Meinung. Sie geben sich gegenseitig Fernsehen-guck-Hausaufgaben auf, und sie lieben Trash-Formate. Und ich liebe die Beiden. Schon jeden für sich, aber zusammen noch mehr.

Acht Milliarden

Ist ein Podcast von Juan Moreno. Er spricht mit verschiedenen Spiegel-Auslandskorrespondenten über Themen, die grad die Welt bewegen. Brexit, Corona, Rassismus. Sehr kurzweilig, interessant und schlau!

Deutschland 3000

Ist ein Interview-Podcast von und mit Eva Schulz. Ich mag ihre Art zu fragen und ihren Humor, und wie sie manchmal kurz aus den Interviews aussteigt, um dem Hörer zu sagen, was sie jetzt gerade über DIESE Antwort ihres Gastes denkt.

Mensch, sylt!

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Wenn Du glaubst, dass Du zu klein bist, um etwas zu verändern, versuch’ mal mit einer Mücke im Raum zu schlafen. DALAI LAMA


https://naukejaschinski.de


LOTHAR KOCH Vor fünf Jahren hat er „Syltopia“ geschrieben – ein Sylt-Märchen für Erwachsene. Viele seiner Ideen und Visionen sind inzwischen Wirklichkeit geworden. Ob er hellsichtig ist? Möglich. Auf jeden Fall engagiert er sich für einen innovativen, ökologisch sinnvollen Tourismus… so ist’s recht.

RUBRIK:

INSPIRATION 66 Lese-Empfehlungen von Jörg Höfs Sylter Bücher-Nerd No. 1 71 Moritz Rinke Warum Inseln sich perfekt zum Schreiben eignen 78 Lothar Koch Einer, der aneckt und den wir darum brauchen

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MORITZ RINKE Irgendwann als Kind ist er mal auf Sylt Not gelandet, dann später wurde er Sylter Inselschreiber, heute schreibt der smarte Autor lieber auf Lanzarote. Schade…

JÖRG HÖFS Wenn man arbeitet, kann man’s ja auch gleich gut machen. Was der Sylter Buchhändler auch immer empfiehlt – es passt wie Arsch auf Eimer! Unbedingt ausprobieren…

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DER MENSCH ZUM THEMA >> LESEN

Man munkelt, der eine oder andere habe durch Shutdown & Co. weniger im Außen und mehr im Innen verbracht und habe unter all den anderen guten Nebeneffekten der letzten Monate auch das Lesen wiederentdeckt. Und zwar Bücher, so richtig schön analog!

Jörg, der Sylter Bücherflüsterer

FOTO: MAIKE HÜLS-GRAENING für das SÂN Magazin

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K

niefall vor jedem, der seine Profession mit Herzblut lebt, der dafür brennt, was er tut. Jörg Höfs, ziemlich intellektueller Bücherwurm mit trockenem Humor, versorgt den Bedürftigen mit Lesestoff wie kein Zweiter. Der Wenningstedter Vater von drei Kindern ist sowas wie ein Bücherflüsterer für alle Generationen und Geschmäcker. Er weiß schon längst, bevor man es selbst weiß, was einen wirklich erhellen oder unterhalten könnte. Es gibt Sylter, die behaupten: „Jörg hat mich mit seinen Tipps schon gerettet!“ Große Worte. Wenn man seiner Empfehlung folgt, weiß man aber sofort, was gemeint ist. Übrigens: Dieser Lektüre-Experte ist zu finden in der „Elatus“ Buchhandlung am Lister Hafen. Der Weg lohnt sich. Ein weiterer Tipp vom Mensch, Sylt! TÜV: die Bücher-Expertise von Familie Klaumann, mit ihren Geschäften in Wenningstedt („Haus am Kliff“) und in der Friedrichstraße („Badebuchhandlung“). Höchst kompetent auch die Damen und Herren von der großen „Voss“-Buchhandlung in der Friedrichstraße. Der Vollständigkeit halber, aber nicht regelmäßig genutzt: Die Buchhandlung an der Wilhelmine, der „Bücherwurm“ in

der Strandstraße, die „Büchertruhe“ in Keitum und die Bahnhofsfiliale von Voss. Da gibt es auch frischen Lesestoff.

Faktenfaktenfakten = Um die 80.000 Buchtitel erscheinen jährlich in Deutschland. Die Gesamt zahl ist steigend, aber immer weniger Bücher werden neu aufgelegt. = Der Buchabsatz sinkt kontinuierlich um 2-3% pro Jahr bei steigen den Buchpreisen = 60% der Deutschen kaufen wenigstens ein Buch pro Jahr. Der Anteil der Bücher kaufenden Frauen liegt bei 67%, die der Männer bei 53% = Der Anteil der E-Book Leser am Gesamtumsatz pegelt sich bei nur knapp 5% ein = Belletristik macht 31,9% des Marktanteils aus, danach folgen Kinder und Jugendbücher, dann Sachbücher = Das Lesen belegt bei den Freizeitbeschäftigungen der deutschen derzeit Platz 13. = Das meist verkaufte Buch weltweit ist die Bibel.

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DIE BÜCHERFLÜSTERER-Tipps für den Sylter Sommer 2020 2 Laetitia Colombani

Das Haus der Frauen FISCHER, 20€

1 Benjamin Labatut

Das blinde Licht SUHRKAMP, 22€

Essayistisch-erzählende Annäherungen an vier berühmte Wissenschaftler (Heisenberg, Einstein, Grothendieck, Haber) und ihre weltverändernden Entdeckungen. Aber auch die individuellen Erschütterungen, ob des Entdeckten und dessen möglichen Konsequenzen sind Thema dieses außergewöhnlichen Buches. Der Wahnsinn lächelt dem Genialen eben gerne über die Schulter.

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Nach dem Mega-Erfolg „Der Zopf“ folgt Colombani in diesem Roman für starke Frauen den Spuren einer gestrauchelten Anwältin in Paris, die sich forthin für die Rechte traumatisierter Frauen engagiert. Erzählt wird ebenfalls – auf einer anderen Zeitebene – die spannende Biografie dieses 1926 gegründeten ersten Pariser Frauenhauses, das heute noch existiert.

3 Claudia Hagge

Unter uns Pastorentöchtern LÜBBE, 22€

Von der Lebenskraft, Tugend und Ernsthaftigkeit, die ein Aufwachsen in pastoraler Idylle (mit den obligatorischen Schattenseiten wie Armut und Provinzlertum) in jungen Menschen heranwachsen lassen kann, erzählt diese Autobiografie der Hamburger Journalistin.


4 Jan Wagner

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Die Live Butterfly Show

Karsten Dusse

Das Kind in mir will achtsam morden

FISCHER, 12€

Die Welt braucht dringt mehr Poesie: Jan Wagner verfasst welche. Seine Gedichte sind echte Kopflüfter und das auch für Leser ohne Doktortitel in Germanistik. Kleine Kostprobe: zwei Haikus (= traditionelle japanische Gedichtform) (1) die tote hummel am fensterbrett. schulterfell eines normannen. (2) nichts, nichts verrät den jäger im hochsitz als der eigene herzschlag

HEYNE, 10,99€

5 Andreas Barthelmess

Die große Zerstörung

Wem der AchtsamkeitsHype der letzten Jahre auf den Sack geht, findet in Dusses zweitem parodistischem Krimi wirksames Antidot.

DUDEN, 18€

Pfiffig geschriebene Gegenwartsdiagnostik eines jungen Denkers der „Nutella-Generation“. Was hat die digitale Disruption mit unserer Welt gemacht, wie haben wir uns schon verändert – oder sind verändert worden? Wie kann das alles sinnvoll weitergehen? Erfrischendes Buch.

NOCH EIN TIPP:

Susanne Matthiesen ist eine versierte Journalistin,

hat jetzt auf Facebook so wunderbar das Sylter Geschehen der letzten Wochen mit ihrem Blog analysiert und hat zum 15. Juni ein Buch über ihre Sylter Kindheit herausgebracht. Ein erfreulicher und kluger Blick hinter die Sylter Kulissen. www.susannematthiessen.de

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Rutger Bregmann

Dora Heldt

Im Grunde gut

Mathilda

ROWOHLT, 24€

DTV, 16,90€

Hier schaltet sich die MAG-Redakteurin kurz ein: Dieses Buch hatte Jörg mir empfohlen, als ich ihn Ende März um eine Dosis „schöner Gedanken“ bat. Was soll ich sagen: Wenn man manchmal am Menschsein verzweifelt, sorgt dieses Buch für einen effizienten Schub Hoffnung.

Ja, es gibt viele Autoren, die Sylt in den Titel nehmen, um gut zu verkaufen. Denn, ob Krimi, Sachbuch oder Liebesroman: Sylt sells. Und mancher ist darunter von zweifelhafter Qualität. Auch Dora Held hat Sylt-Titel, spielt aber in diesem Segment eine andere Liga. Unbedingt lesenswert: das Neue von Dora.

8 Sina Beerwald

111 Orte für Kinder auf Sylt EMONS, 16,95€

Das hat echt gefehlt! Prima Tipps für Sonnen- und Regentage, um die nörgelnde Brut zu beschäftigen. Wer will auch schon zwei Wochen lang am Strand spielen, wandern oder Radfahren? Der Reiseführer für die Generation „War super, was jetzt!?“.

10 Marie Benedict

Frau Einstein KIWI, 12€

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Den Namen Albert Einstein kennt jeder. Mileva Maric, seine erste Frau, leider nicht. Dieser Roman schildert aus der Ich-Perspektive die wichtige Rolle, die die nicht minder geniale Mileva für Alberts Entdeckungen gespielt hat. Schöner, etwas gefühlsduseliger Frauenroman. Garantiert ohne Formeln!


EIN WIEDERHÖREN MIT DEM DRAMATIKER UND SYLTER INSELSCHREIBER MORITZ RINKE

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Manchmal lese ich einen Text von ihm im Berliner „Tagesspiegel“ und bekomme mich schwer wieder ein angesichts der gedanklichen Brillanz, des feinen Humors und der klugen Einschätzungen eines Querdenkers. Ich freute mich über seine Hochzeit in Istanbul, seine zweifache Vaterschaft, seine ungebrochene und für einen feinen Geist vergleichsweise krasse Fußballbegeisterung, den Erfolg seines jüngsten Theaterstückes „Westend“ und seines Romandebüts vor ein paar Jahren. Gesprochen habe ich mit Moritz Rinke in den letzten 17 Jahren allerdings kein Wort. Dafür zuvor eine kleine Weile viel.

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amals war Moritz Rinke Inselschreiber der Sylt Foundation*, ich Redakteurin der Sylter Rundschau. So lernten wir uns kennen. Es gab diese gute Chemie. Nicht wie verliebt, eher wie seelisch verknüpft. Obwohl, jetzt kann ich es ja sagen, ich habe ihn angehimmelt, also beruflich. Denn dieser multitalentierte junge Autor hatte es geschafft, dass sein Werk in den Feuilletons der guten, der wirklich guten Zeitungen besprochen wurde und er als Mann gleichzeitig in den Frauenzeitschriften stattfand. Als Porträtierter und sogar als Mode-Model. Moritz Rinke 72 Mensch, sylt!

war ein Intellektueller mit PopstarAppeal. Breite Akzeptanz für die Hülle, die Form und für den Inhalt. Ein durchaus exotischer und beneidenswerter Status für einen Schreiberling, wie ich fand. Echt cool. Als ich mich erst von niederen Emotionen wie Neid befreit hatte und mir sagte: „So gut schreiben wie er werd ich eh in 1000 Jahren nicht! Er Künstler, ich Handwerkerin“, da war es in Ordnung, wir pflegten in seiner Stipendiums-Zeit einen Austausch, der wirklich lustig war – zumindest für mich. Auf den vorderen Rängen meiner persönlichen Charts für völlig absurde Projekte steht bis heute eine von uns erdachte Rinke-Lesung aus „Der Blauwal im Kirschgarten“ vor fünf Schwitzenden in der Sauna des „Grande Plage“ (jetzt „Kaamps 7“ – ohne Sauna!). Es war ganz wunderbar. Dann ging das Stipendium zuende. Die Wellen des Lebens schlugen jeweils hoch. Wir haben uns aus den Augen verloren. In all den Jahren zitierte ich gerne immer mal seinen Satz: „Meide den Hype!“, obwohl er selbst doch ein Teil des Hypes dieser Zeit war. Dann hat er es offenbar geschafft, den ersten Schwung seines Ruhms in etwas Beständiges zu verwandeln. Das hat mich aus der fernen Betrachtung sehr gefreut, weil dieses Land schlaue Denker braucht. Solche, die gehört werden. Als wir an dem Konzept für das Mensch, Sylt! arbeiteten, musste ich wiederholt an den Rinke denken und an seinen InselschreiberBewerbungs-Text. Darin hatte er


Autorenleben divers: Mit Schauspiellegende Mario Adorf, neben Frank-Walter Steinmeier und im Einsatz für die Autoren-Nationalmannschaft "Autonama"

im Jahr 2002 darüber nachgesonnen, weshalb Insellagen in ihrer Begrenztheit dem Autoren helfen, sich zu orientieren in der Flut der eigenen Gedanken. Ich habe das Essay im Netz gefunden und fand es auch heute so exzellent und teilungswürdig wie vor 17 Jahren. Dann habe ich mich mit Moritz Rinke zum Telefonieren verabredet.

burg und davon, dass sich für Menschen, die vorwiegend am Schreibtisch vor sich hinschreiben in den letzten Monaten eigentlich wenig verändert hat – außer dass es die Kinder noch obendrauf zu betreuen galt. Die Schilderung war natürlich mit der nötigen Finesse versehen, was einen normalen Lagebericht von einem guten unterscheidet.

Weil gute Chemie zwischen Menschen niemals abhanden kommt, ging es wie immer: Ich habe mich amüsiert über seine Form, die Welt, in diesem Fall die Shutdown-Zeit in Berlin, zu betrachten. Und habe auch wieder diese Ehrfurcht vor dieser Schlauheit gespürt, und sie dieses Mal gut zu kaschieren gewusst. Er hat berichtet von den Erlebnissen im Home-Office in Berlin Charlotten-

Er erzählte, dass ihm ein Teil seines Bauchladens wie das Vortragswesen weggebrochen sei. Wir sprachen über die „Grande Misere“ der Kulturszene und dass auch die Inszenierungen seiner Theaterstücke in etlichen Häusern Europas ruhen. Besorgt erschien er aber nicht. Ist ja auch eine unsagbar ertragreiche Zeit für jemanden, der Phantasie hat und gerne beobachtet.

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Und dann haben wir natürlich über Sylt gesprochen und was meerumspülte Orte so mit ihm machen. Es ist etwas unromantisch, aber das Leben ist so, zuweilen: Sylt hat er ewig nicht mehr besucht, denn seine Insel mit dem begrenzten Raum und dem vielen Wasser drumherum heißt jetzt Lanzarote. Mmmh. Moritz Rinke hat da sogar ein Haus umgebaut und sein nächster Roman, der fast fertig ist und bald erscheint, spielt in Teilen auf dieser bizarren Kanaren-Insel. Grrr. Dabei wäre es gut, Sylt zur Abwechslung mal als Schauplatz von etwas anderem als schnöder Unterhaltung zu wissen. Ein halbes Pfund wilder und renommierter Kulturschaffender, Bohemiens und Querdenker unter seinen Fans wäre vielleicht heilsam für eine an so mancher Stelle geschundene Insel. Sylt hätte solche Bewunderer – wie seinerzeit Verleger Peter Suhrkamp und seine Autorenschaft – jedenfalls verdient. Aus der Corona-Not heraus könnte es auch passieren, dass Moritz Rinke sich mit seiner Familie diesen Sommer nach Sylt verirrt und mal wieder diese „einmalige Mischung aus zerstäubtem Salzwasser, Rosenblüten und Dünengras“ schnuppert. Die nötigen Eckdaten für einen Aufenthalt hätte er jedenfalls. Aber der Trubel schreckt ihn ein wenig. Kann ich gut verstehen, obwohl seine Ferien bestimmt sehr spannende Betrachtungen über den Sylter Sommer 2020 nach sich zögen. 74 Mensch, sylt!

Mein Fußnotendank geht in diesem Zusammenhang an Indra Wussow, die mit ihrem einzigartigen Engagement und der „Sylt Foundation“ Kulturschaffende, eine junge internationale Avantgarde, nach Rantum holte – weil sie wusste, dass Sylt wieder ein guter Nährboden auch für die hohe Form von Kultur sein könnte. Durch die Begegnung mit Künstlern und ihrem Werk wurde der Horizont der Sylter und der Gäste immer wieder weit. Und Sylt braucht genau diesen Spirit, der aus mehr besteht als aus der Summe aller seiner Teile. Das gelingt durch nichts wie durch Kultur…

Inselschreiber Sylt – Neben vielen anderen hochrangigen Projekten und Veranstaltungen schrieb die Sylt-Foundation viele Jahre das Inselschreiber Sylt-Stipendium aus. Ab 2001 und vorerst bis 2018. Die wechselnde Jury hatte immer ein erstaunliches Gespür dafür, aus der Vielzahl von Bewerbern solche Autoren auszuwählen, die kurz danach zur ersten Liga der Literaturszene zählen sollten. Juli Zeh war zum Beispiel Sylter Inselschreiber/in, Feridun Zaimoglu, Jenny Erpenbeck und eben Moritz Rinke.


r e das In b i e 2 0 selschr 0 2 o n n a gewinneressa y

D

as Wichtigste an einer Insel ist das Wasser drumherum – wirklich sehr schön gesagt, aber für mich ist eigentlich das Wichtigste an einer Insel die Insel, also, dass da eben trotz des ganzen Wassers plötzlich eine Insel ist. Nordsee zum Beispiel ist ja ganz schön, aber Sylt ist wirklich besser, und ich kann auch sagen, warum: Sylt hat mir das Leben gerettet! 1973, ich war sechs und gerade mit einem kleinen Sportflugzeug auf dem Weg nach Schweden, wo mir mein Vater Elche zeigen wollte und den Fjord, wo er meine Mutter kennen lernte, und wo ich angeblich sehr spontan entstanden sein soll. Horst, der Hobby-Pilot, der fünfzehn Jahre später kurz vor Sardinien ins Meer stürzte, hatte die Orientierung verloren; Orkanböen warfen das kleine Flugzeug hin und her, ich sah bereits riesige Wellen unter mir, und kein Mensch hatte uns mehr auf dem Radar. Der Rest war zufällige Landung irgendwo am Westellenbogen. Wir waren gerettet. Horst verlor vorübergehend seine Lizenz, mein Vater zeigte mir statt Elchen Strandkörbe, und dass ich den Fjord nicht mehr sehen konnte, an dem ich erfunden wurde, war auch nicht so schlimm, denn was bitte hätte das alles genützt, ohne Sylt?!

Mensch, sylt!

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ALSO: Auf Sylt wurde ich im Grunde noch mal erfunden, und wenn es einen Flecken Erde auf der Welt gibt, den ich küssen würde, dann ist es nicht das gelobte Land, nicht die Toscana oder Copacabana, sondern der Westellenbogen. So! Dass es also inmitten der feindlichen Wasserwüste plötzlich diesen Bogen mit Land gab, machte für mich Inseln zu Wundern. Überall Wasser, aber plötzlich diese aus dem diffusen, wilden Blau aufsteigende Verheißung, so als hebe die alte Dame Erde ein Tablett in die Höhe.

Ja, ein Tablett mit einer

Verheißung! Vielleicht hat es mit dieser glücklichen Sylt-Landung zu tun, aber alle meine Stücke habe ich entweder auf Inseln zu Ende geschrieben oder gleich auf einer Insel spielen lassen, denn welcher Ort eignet sich besser, die Welt in einem etwas kleineren Maßstab nachzuzeichnen oder neu zu planen? In „Republik Vineta“ wird eine leere, unbewohnte Insel im Bottnischen Meerbusen – die aussieht wie eine Mischung aus

76 Mensch, sylt!

Schottland, der Bretagne und Italien (gilt übrigens exakt für Sylt!) von einer Delta AG aufgekauft und zur Bebauung an einen Planungsstab aus Spitzenarchitekten, Bürgermeistern, Unternehmensberatern, Ingenieuren und Philosophen übergeben. Sie sollen nun diese Insel, Arbeitstitel „Republik Vineta“, zu einem Ort gestalten, in dem sich all das vereint, was Menschen für die Zukunft zum Leben brauchen. Und falls, so der Plan, es wirklich keine Gegen-Entwürfe, Utopien oder pathetischen MenschheitsIdeen mehr gebe, dann gibt es in der Republik Vineta wenigstens noch einen „Themenpark der untergegangenen Träume“: Lenin, ein Geschenk der Stadt Moskau, ist bereits direkt aus seinem Mausoleum auf einem Schiff in Richtung Bottnischen Meerbusen unterwegs; eine Guillotine aus der Französischen Revolution auch, dazu noch eine sowjetische Rakete aus Kuba, im Kalten Krieg war sie gerichtet aufs Weiße Haus. Außerdem soll auf der Insel eine Welt-Akademie entstehen, in der Wissenschaftler, Politiker und Schriftsteller aus aller Welt ein Jahr leben dürfen, um in Ruhe endlich mal darüber nachzudenken, wie wir denn in Zukunft eigentlich weiterleben könnten... Ich meine also: Wenn man an Inseln denkt, oder im Geiste Inseln plant, dann denkt man ans Ganze.


Inseln sind genau der richtige ort, um sehr große

pläne

zu machen ohne dabei den überblick zu verlieren und

für Schriftsteller ist das geradezu ideal.

Es ist schwer zu erklären, aber die Arbeit, das Schreiben auf einer Insel hat irgendwie etwas Befreiendes und zugleich Behütendes. Ich sitze wie auf einem kleinen Planeten und habe viel mehr Mut, zu wissen und zu behaupten, wie das Leben auf dem großen Planeten ist. Wenn ich irgendwo auf der Welt in der Metropole, Downtown mitten im hippesten Zentrum säße, mir würde nichts einfallen, mir würde wahrscheinlich die Globalisierung um die Ohren fliegen, und ich wüsste nicht, wo anfangen. Natürlich brauchen Autoren die Weite, aber ich denke, sie brauchen auch die Begrenzung. Ich finde es herrlich, im Süden aufzuwachen und zu arbeiten, im Norden Mittag zu essen und im Westen zu baden, und wenn ich Lust habe, sogar noch in den Osten zu fahren und in zwanzig Minuten wieder im Süden zu sein; also, mein Selbstbewusstsein, mein Mut, ganz einfach gesagt,

das Bewusstsein meiner eigenen Größe wächst dadurch, ich weiß nicht, wie es anderen geht, aber wenn ich mich zum Beispiel zum siebzehnten Mal in Harlem oder Manhattan verfahren hätte, das wär' Sense, und ich käm' mir vor wie eine Ameise. Auf Sylt kommt neben der Weite und Begrenzung für das Schreiben sogar noch etwas Wunderschönes dazu: Auf der einen Seite die Bewegung, das Brandende, das Meer; auf der anderen Seite die Ruhe, das still Daliegende, das Watt. Man muss ja kein Literaturwissenschaftler sein, um zu bemerken, dass diese Insel geradezu ein Kompositionsprinzip von Texten sein könnte! Ja, Sylt ist das Kompositionsprinzip von Literatur von vornherein immanent! Na, und somit ist das doch alles die ideale Mischung aus also Weite und Welt-Entwurf, Begrenzung, Endlichkeit und Übersicht und Bewegung und Sturm und Ruhe und Stille.

MEIN

GOTT,

hätte das doch auch alles der Horst gewusst, als er mit uns auf dem Westellenbogen landete!

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LOTHAR KOCH UND…

Sy lt op i a 20 20 78 Mensch, sylt!

Vor fünf Jahren veröffentlichte Lothar Koch sein Buch „Syltopia“. Ein Roman, eine Vision für ein ökologisch, touristisch und gesellschaftlich einzigartiges Sylt im Jahr 2050. Pflichtlektüre, Inspiration, Lesespaß – alles auf einmal. Gerade jetzt sind die Ideen des Biologen, aktiven Grünen und Lifecoaches spannend wie nie. Mensch, sylt! sprach mit dem Querdenker über klare Luft, Optimismus, Ängste und HOFFNUNGEN.

Was haben Deine Liebste und Du besonders genossen an der Quarantäne-Zeit auf Sylt? LOTHAR KOCH: Ja, diese besonderen Wochen hatten viele Aspekte, u.a. den, sich von den Existenzängsten so gut es geht zu befreien und auf das Jetzt zu vertrauen. Jeder Moment war wirklich ein Geschenk. Wir erlebten die Sylter Natur so ursprünglich und mächtig wie noch nie. Die abgasfreie Luft – ein Traum. Wir sind oft am Rantum Becken unterwegs gewesen und konnten dort diese riesigen Schwärme Zugvögel beobachten und sehen, wie sich die Tiere verhalten, wenn sie

nicht durch Mensch, Hunde oder Flugverkehr gestört werden. Das war sehr beeindruckend, weil es gezeigt hat, wo der Mensch im besten Falle steht, wenn er seinen Platz im Einklang mit dem großen Ganzen respektvoll ausfüllt. Lothar, Dein Buch spielt im Jahr 2050. Schon jetzt hat sich einiges von dem dem, was Du in „Syltopia“ phantasiereich entworfen hast, wirklich ereignet. Sag’ mal ein Beispiel? LOTHAR KOCH: Es gibt da etliche Kleinigkeiten. Dazu gehört, dass ich im Buch schon visonierte, dass Robert


{ fast kein Mensch und viele ungewöhnliche Piepmätze: Die Südspitze im April 2020

Habeck nach Berlin gehen würde. Das ist jetzt ja Wirklichkeit. Viele der Zukunftsideen im Buch gelten in aktuellen Diskussionen zum Klimawandel heute nicht mehr als Spinnerei, sondern als wichtige Argumente: neue Mobilität, hohe Steuern auf umweltschädliche Produkte, mit denen Bio-Produkte subventioniert werden, bis hin zu einer Beschränkung von Besuchern auf der Insel. Letzteres wurde ja gerade wegen Corona in Bezug auf Tagesgäste umgesetzt. Und im Großen: Im Roman ist es so, dass die Sylter, genauer gesagt die Surfer-Szene, eine Bewegung gründen und eine Revolution ausrufen, um dann eine neue Zeit einzuläuten. Eine Zeit des nachhaltigen Tourismus, eines ganzheitlichen Denkens, das auch Spiritualität mit einschließt, des achtsamen Miteinanders

und vieler anderer schöner Entwicklungen. Aktuell daran ist: Viele von uns hat die Zeit der Sylt-Isolation sehr verändert, uns bescheidener, sensibler und bewusster werden lassen. Nutzt man diesen Drive, wäre jetzt der ideale Zeitpunkt für einen Neubeginn. In Deiner Geschichte gibt es die „R.I.F.“-Bewegung. Was hat es damit auf sich? LOTHAR KOCH: „R.I.F.“ heißt „Rückschritt ist Fortschritt“. Diese „Weniger ist mehr“-Erfahrung liegt jetzt hinter uns allen. Es wäre ein großartiger Zeitpunkt, um das Vordringlichste zu erreichen – die Klimaziele. Denn auch beim Klimawandel gibt es – wissenschaftlich genauso evident wie bei Corona – einen Zeitdruck, um den „Point of no return“ zu ver-

meiden. Und es geht bei dem Thema ebenso ganz konkret ums Überleben dieser Insel. Eine vernünftige, vorausschauende Sylter Politik und Wirtschaft wäre jetzt gehalten, neue Werte für die Insel auszurufen und umzusetzen. Weg von der alten Wachstumsdoktrin für jährlich steigende Übernachtungszahlen hin zu mehr Balance und Lebensqualität für Mensch und Natur. Das wäre auch ökonomisch langfristig erfolgreicher. So ein Paradigmenwechsel kann nur durch einen Bewusstseinswandel bei vielen Syltern vollbracht werden. Ohne klare, auch gesetzliche Vorgaben wird die notwendige Wende auf Sylt und im Rest der Welt nicht funktionieren. Aber eben auch jeder Einzelne wird ganz bewusst überlegen müssen, was beizu

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} In Lothar Kochs Roman „SYLTOPIA“ sind es die Surfer, von denen die Revolution für ein neues Sylt ausgehT. AUCH Im wirklichen Leben ist die Surfszene in Umweltfragen sehr aktiv – wie hier bei einer Aktion des SURF CLUB SYLT:

steuern ist, um das Schiff in die richtige Richtung zu lenken. Man hört oft: „Was kann ich schon bewegen?“ Was sagst Du dazu? LOTHAR KOCH: Jeder Einzelne ist entscheidend. Durch bewusstes Handeln und Leben kann vielleicht sogar eine große Welle ausgelöst werden. Das hat die Menschheitsgeschichte immer gezeigt: Man muss heute nicht mehr Albert Einstein heißen, um ein Weltbild zu verändern. Ein normales Schulmädchen kann das auch, wie wir am Beispiel Greta Thunberg gesehen haben. Apropos Greta. Sie polarisiert – wie die meisten eindeutigen Menschen, die sich trauen Haltung zu zeigen. Viele Sylter schätzen auch Dich gerade für diese charismatische Eindeutigkeit. Auf der anderen Seite scheinst Du bei 80 Mensch, sylt!

FOTO © MARCUSFRIEDRICH.MEDIA

manchen diffusen Widerstand auszulösen, weil Du zum Beispiel in deinem NaturReporter-Blog klare Worte zu Sylter Umweltthemen findest. Jedenfalls polarisierst auch Du. Wie kommst Du damit klar? LOTHAR KOCH: Ich bekomme das meistens nur zugetragen. Neulich hörte ich, ein Vertreter der Hotellerie würde nicht zu einem Gremium kommen, wenn ich dabei wäre. Das ist natürlich eine erstaunlich Haltung. Sie lässt mich auch nicht unberührt. Aber wahrscheinlich muss es im gesellschaftlichen Diskurs auch Figuren geben, an denen man sich abarbeiten kann. Dabei ist ja die kontroverse Diskussion die Grundlage unseres demokratischen Miteinanders – und das ist meist mühsam. Diffuse Ängste vor Neuerung. Die beschäftigen

Dich ja auch in Deiner Arbeit als Life-Coach. Die hinter uns liegenden Monate waren ein Lehrstück dafür, wie unterschiedlich Menschen mit relativer Ungewissheit und Sicherheitsverlust umgehen. Die einen beflügelt ein ungewisser Lebensmoment und unerwartete Hindernisse, andere macht das fertig. Hast Du Ängste? LOTHAR KOCH: Klar kenne ich Existenzängste – die Frage ist nur, wie geht man damit um? Ich habe als Coach Instrumente, mit denen ich meiner „Sorgenmaschine“ den Treibstoff nehme. Denn Angst ist ein schlechter Ratgeber und belastet psychosomatisch die Gesundheit. Aktuelle Problematiken triggern im Unterbewusstsein meist uralte Ängste aus der Kindheit und lassen die Dinge größer erscheinen, als sie tatsäch-


lich sind. Diese Mechanik kann man unterbrechen oder sogar auflösen. Viele Sorgen sind ja völlig unnötig, die allermeisten sogar, weil das Befürchtete jetzt real nicht existiert und das Leben immer eine Lösung findet. Die Angst zum Beispiel, dass weniger Luxus und Absicherung unglücklich macht, ist irreal und basiert nicht auf der Erfahrung der meisten Menschen. Eine Vereinfachung, Verlangsamung, ein bewussteres Leben ist doch für die meisten von uns eine tiefe Sehnsucht, die uns allen und auch dem Planeten zugute käme. Man muss sich nur aufraffen, das auch bewusst umzusetzen und sich damit auch mal aus dem Mainstream hinaus trauen. Das gilt fast überall und auf Sylt besonders. Die Sehnsucht der Sylter nach Verlangsamung ist groß. Die Erfahrung, dass man auch mit weniger Kohle und einem einfacheren Leben viel besser fährt, ist aus der Quarantänezeit noch sehr präsent! Wie ließe sich dieses Lebensgefühl in Maßnahmen verwandeln? LOTHAR KOCH: Zunächst müssten wir den offenen Diskurs wieder mehr wollen. Offene Talkrunden

oder wie es bei den alten Friesen hieß „Thing-Gespräche“ zu heißen InselThemen wären eine Idee, um alle beim Ringen um den richtigen Wandel unterhaltsam mitzunehmen. Das große Ziel wäre ein attraktiver, hochwertiger nachhaltiger Tourismus – geringere Kapazitäten, längere Verweildauer von Gästen, weniger Individual-Verkehr, ökologisch bewusstes Bauen und Bewirtschaften in Hotellerie und Gastronomie, Veranstaltungen, die nicht nur unterhalten, sondern den Horizont erweitern. Bestimmt fänden das auch viele Gäste großartig… Sylt sollte seinen Ruf als Leuchtturm-Destination viel intelligenter Nutzen, um selber Trends zu setzen und Wegbereiter für eine Art von Tourismus sein, der unsere Ressourcen schont und unsere Lebensqualität erhöht. Das wäre dann ein Erfolg in Hinblick auf Klimaschutz und ökonomischen Wohlstand. Mikrothemen, wie aktuell der Wunsch, Autos aus der Westerländer Elisabethstraße zu verbannen und das Kleinklein drumherum machen aber nicht gerade Hoffnung, dass auf Sylt der große Wurf, die massi-

ve Veränderung, möglich wäre… LOTHAR KOCH: Ja, in der Diskussion um autofreie Zonen in Sylter Orten tauchen immer sofort Ängste anliegender Unternehmen auf, die wirtschaftliche Verluste befürchten. Dabei gibt es unzählige Beispiele und Studien, dass Fußgängerzonen den Umsatz steigern. Wer würde denn heute noch zustimmen, wenn wir die Friedrichstraße wieder für den Autoverkehr öffnen würden? Innovative Verkehrskonzepte, weniger oder gar keine Riesenschlitten auf den kleinen Inselpisten wären für alle Beteiligten unbedingt ein Gewinn und kein Verlust. In der Corona-Zeit sind viele Locals wegen mehr Zeit aufs Fahrrad umgestiegen und waren beglückt. Genauso schnell, mit gutem Körpereffekt und von reichlich guter Luft geflutet. Was könnte man tun, damit auch die Gäste die Chance hätten zu erkennen, dass man ein Auto auf Sylt nicht braucht? LOTHAR KOCH: Das müsste auch politisch auf allen Ebenen gewollt sein. Dem vorhandenen, dann per Syltcard günstiger nutzbaren Bus-System

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würde ich eine Flotte flexibler und originell designter E-Kleinbusse an die Seite stellen, die per App an jeden Punkt der Insel geordert werden könnten und nicht teurer als Busfahren wären (wie „Moia“ in Hamburg). Die Fahrradstraßen müssten zu Ungunsten des Autoverkehrs verbessert werden. Fußgänger müssten ebenso zu ihrem Recht kommen. Zur Insel würden komfortable Intercityzüge aus den Metropolen ankommen. Kein allzu großes Ding, wenn man jetzt die Milliardenflüsse der Regierung sieht, die für klimafreundliche Technologien ausgegeben werden sollen.

Umweltknigge aus dem Naturerlebnisführer } „Natürlich Sylt“

Glaubst Du daran, dass auf Sylt diese Wende möglich ist? LOTHAR KOCH: Meine Lebenserfahrung lehrt mich, dass man mit einem verhaltenen Optimismus ganz gut fährt. Würde die Insel solidarisch für diese Ziele zusammenstehen, könnten sicherlich Fördergelder schnell und in großen Mengen fließen. Ich bin sicher, wirtschaftliche Ängste müsste keiner haben. Die Zeit ist reif für einen neuen, sanften Tourismus und Sylt hätte alle Voraussetzungen, sich damit die Trendsetter-Rolle zurückzuerobern.

… halte Deine Hunde gerade auch in Naturschutzgebieten und auf Deichen sowie in der Nähe von Wildtieren an der Leine!

Was kann jeder tun?

} Bitte…

… verhalte Dich besonders rücksichtsvoll in der Nähe feuchter Wiesen beiderseits der Deiche, an Salzwiesen, Sandnehrungen, Kieswällen, Dünen und Heideflächen, einsamen Strand- und freien Wattflächen! … lagere nicht in den bewachsenen Dünen! … gehe nur unter sachkundiger Führung ins Watt! … respektiere ausgeschilderte Naturschutzgebiete und abgezäunte Brut- und Rastgebiete sowie Schutzzonen des Nationalparks!

… lasse Deinen Drachen nur auf dafür freigegebenen Wiesen und Stränden steigen! … halte großzügigen Abstand zu rastenden Robben!

} Und noch:

… trinke Wasser aus der Leitung! … lass das Auto stehen! … nutze kein Plastik! … kaufe und iss lokal und regional! … baue nachhaltig! … pflanze heimische Gewächse im Garten!

82 Mensch, sylt!


} Who is…

Lothar Koch?

Der Biologe, Autor, LifeCoach, Natur-Reporter und Umweltaktivist (60) wuchs auf der autofreien Nordseeinsel Juist auf. Seine Eltern führten dort die einzige Buchhandlung. Fünfzehn Jahre war er Leiter der Schutzstation Wattenmeer auf Sylt und Sprecher des Naturschutzverbandes. Heute setzt er diese Erfahrung für die Sylter Grünen ein. Als Seminarleiter coacht er Menschen in ganzheitlichen Workshops zur persönlichen Entwicklung und Stressreduktion zwischen Sylt, Bayern und Mallorca. Zudem nutzt er sein Schreibtalent in Kombination mit seinem reichen Wissen um die Sylter Nordseenatur als Blogger und Buchautor. Für Anfragen ist er erreichbar unter info@syltopia.de

LOTHAR KOCH IM NETZ: http://www.syltopia.de https://www.youtube.com/user/ MrElk42 https://www.sylt1.tv/mediathek/ syltzeit-mit-lothar-koch/

} SEINE

Bücher Der Naturerlebnisführer „Natürlich Sylt“ hat schon vielen Menschen Freude und Erkenntnis beim Durchstreifen der Sylter Natur gebracht. Zu all den anderen Nebenwirkungen hat das Buch auch noch den herrlichen Effekt, die Ehrfurcht und den Respekt vor der Inselnatur erheblich zu steigern. Auf www.natuerlichsylt.net veröffentlich Lothar Koch auch einen Blog mit aktuellen Themen rund um die Sylter Umwelt.

Schon fast ein Klassiker, bei dem man nicht müde wird, ihn zu empfehlen. Lothar Koch dachte sich für „Syltopia“ eine Geschichte aus, die auf Sylt im Jahr 2050 spielt. Das Buch enthält Dutzende großartiger Öko-Visionen für die Insel. Und einiges von dem, was Lothar Koch vor fünf Jahren für Sylt vorausgesagt hatte, ist gerade jetzt hochaktuell. Auf der Romanebene ist das Buch zudem überaus intelligent gemacht, hat aber gar nicht den Anspruch, Weltliteratur zu sein.

Mensch, sylt!

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Gestaltung ist Haltung HELMUT SCHMIDT


https://naukejaschinski.de


NELE WEIN Sylterin mit Wohnsitz Berlin, die nichts von klassischen Wegen hält. Sie studiert Astrologie, macht Social Media Marketing und ist davon überzeugt, dass ihrer Heimatinsel ein neuer Spirit gut täte.

RUBRIK:

MEINUNG 88 Aktivistin Nele Wein Von der Chance auf Veränderung! 92 Jung-Journalistin Anna Goldbach Besondere Zeiten erfordern besonders Freundschaft! 95 Immentraud und was sie so bewegt Bitte lächeln! 98 Kai Müller Machen ist wie wollen nur krasser! 100 Altmeister Werner Rudi Ein Image ist ein Image ist ein Image

86 Mensch, sylt!


IMKE WEIN Die Mutter von Nele und inhaltlich verantwortlich für das ganze Mensch, Sylt! hat ohne Ende Sylt Knowhow, kann sich kein besseres Zuhause vorstellen und wünscht sich genau darum ein paar Veränderungen.

KAI MÜLLER mag es, Visionen zu entwickeln und auf den Boden zu bringen. Der Gemeindevertreter und Sport-Chef des Tourismus Service Wenningstedt-Braderup hat in seinem Ort unter anderem das Projekt Funsporthalle ausgeheckt und umgesetzt.

WERNER RUDI Renommierter Journalist, der nur noch selten den Computer aufmacht, um zu texten. Für uns hat es getan und sich mit dem erstaunlichen Phänomen des Sylter Images auseinandergesetzt.

ANNA GOLDBACH war „Zivi“ im Wenningstedter Pastorat, macht jetzt ihr Volontariat bei der „Sylter Rundschau“ und berichtet von ihren für immer prägenden Momenten während des Sylter Dornröschenschlafs.

Mensch, sylt!

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EINE JUNGE FRAU MIT EINEM BESONDEREN WEG UND EINEM KLAREN ZIEL FÜR SYLT UND DIE WELT

Alles auf

Neustart!

s

MEINUNG // AUTORIN: NELE WEIN

ylt zu Corona-Zeiten… Ich habe lange überlegt, ob mir auch irgendetwas Negatives zu meiner Zeit auf Sylt während des Höhepunkts des Shutdowns einfällt – aber mir kommt beim besten Willen nichts in den Sinn. Ich will nicht ignorant sein und wünsche allen Familien, die diese Zeit als nicht so leicht und befreiend wahrnehmen, dass sie den Mut nicht verlieren und an eine Vision glauben, die für alle gleichermaßen lebenswert ist – jeden Menschen, jedes Tier und jede Pflanze. Aber nun von Anfang an. Meine persönliche Sicht und Wahrnehmung der besonderen Wochen, die ich zum größten Teil auf meiner Heimatinsel Sylt verbringen durfte.

88 Mensch, sylt!

Als das Corona-Thema in Deutschland und Europa schon in aller Munde war, befand ich mich mitten im brasilianischen Dschungel und musste Hals über Kopf das Land verlassen, um einen der letzten Flüge nach Deutschland zu erwischen. Hier hatten wir den Ernst der Lage noch nicht wirklich begriffen und es kam alles sehr „holterdiepolter“. Meine „Rückführung“ brachte meine Familie und mich in eine ausgesprochen herausfordernde und sehr ungewisse Situation. Noch nie musste ich so sehr üben, im Vertrauen zu bleiben. Erst als ich wirklich im Flieger saß, wurde mir langsam klar, was gerade passiert. Die Situation hatte etwas Surreales. Ich fühlte mich wie mitten in einem apokalyptischen Blockbuster. Erleichtertes Aufatmen aber gleichzeitig unruhige Stimmung unter


den Passagieren. Jeder Einzelne in diesem Flugzeug hatte das gleiche Ziel: nach Hause! Und keiner von uns hatte wirklich eine Ahnung, was uns erwarten würde. Nach dem Zwischenstopp in Madrid, wo wir einen komplett menschenleeren Flughafen durchquerten (so etwas hatte ich bisher wirklich nur in Filmen gesehen), war ich sehr positiv überrascht von der Stimmung in Deutschland. Noch nie in meinem Leben bin ich so dankbar gewesen, in einem so sicheren und organisierten Land geboren worden zu sein. Kaum in meiner Wahlheimat Berlin angekommen, war für mich klar: Ich muss nach Hause – richtig nach Hause. Die Insel rief. Und als Sylterin mit erstem Wohnsitz durfte ich laut Inselerlass vom 16. März auch reisen. Nach einer selbstauferlegten Quarantäne saß ich dann zum nächstmöglichen Zeitpunkt im Zug nach Sylt. So wunderschön wie in diesen Tagen habe ich die Insel ehrlich gesagt noch nie erlebt. Noch nie hatte ich das Meer, den Strand und die Dünen so sehr für mich und konnte die Stille so genießen. Die Stimmung war erholsam, reinigend – ein Luxus, den auch die Locals bei aller existentieller Sorge tief empfinden konn-

ten. Ich nahm diesen Purismus zum Anlass, eine Fastenkur zu starten, um meinen Körper einmal zu resetten. Neustart. Und mit diesem Neustart und dem Fasten, das mich immer sehr mit meinem Körper und somit auch der Natur verbindet, kamen mir wichtige Erkenntnisse die ich gerne teilen möchte: Vielleicht war es die Muße, der strahlend tiefblaue Himmel oder einfach der Raum zum Denken, der entstand. Bei einem meiner täglichen Spaziergänge mit meinen Hunden den leeren Wenningstedter Strand entlang, fiel mein Blick auf das durch die Sonnenstrahlen glitzernde Meer und ich holte ganz tief Luft. Als ich die frische, klare Nordseeluft einatmete, wurde es mir plötzlich ganz klar:

SIE

muss atmen. Die Erde. Deutlicher könnte es eigentlich nicht sein, vor allem für mich nicht: Ich kam gerade aus dem Amazonas, auch Lungen der Erde genannt, da 20% des Sauerstoffs, der uns auf der Erde zur Verfügung steht, von den Wäldern dort produziert werden. Und diese Lungen sind beschä

Mensch, sylt!

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digt. Durch Rodung und gelegte Waldbrände. Die Lungen der Erde brennen. Warum? Weil der Mensch sich nicht als Teil dieser faszinierenden Natur sieht, sondern einen Lifestyle pflegt, der jede Balance kippen lässt.

innehalten, nachdenken, zuhören!

Und was macht die Natur, um uns ihre Not deutlich zu machen? Sie zeigt uns, wo der Schuh, in diesem Fall die Atemwege, drücken: Es entwickelt sich ein Virus, der sich auf die Lungen legt. Es bedarf weder einer kruden Verschwörungstheorie, noch vertiefter wissenschaftlicher Erkenntnis: Es ist leicht, das aktuelle Bedürfnis unserer Erde zu verstehen, wenn man nur genau hinguckt und zuhört.

Es gibt vieles, was durch diese auferlegte Pause klarer wird. Als ob das Virus alles ganz deutlich an die Oberfläche holt.

Offensichtlicher kann sie es nicht machen. Nur haben viele Menschen das Zuhören verlernt, weil ihr Leben zu laut ist. Irgendwie schien die Menschheit durch Corona nach Hause gerufen zu werden. Zuhause an den Ort, der tief in uns als solcher verankert ist und auch in das übertragene Zuhause – nach innen, in die Stille, die Reflektion.

ganz klare message der zeit: 90 Mensch, sylt!

Vor allem unser meiner Meinung nach größtes Problem: die Angst. Und die größte Angst des Menschen ist meiner Betrachtung nach die vor dem Unbekannten. Unter anderem Angst vor dem Virus, Angst um ein System, das so eh nicht mehr lange weiter funktionieren kann, weil es auf Kosten anderer aufgebaut ist und Angst vor Kontrollverlust. Doch wie wäre es, wenn wir uns, statt uns hinter Theorien zu verstecken, jetzt die Tatsachen und Fakten genau auf den Tisch legen und der Realität ins Auge gucken? Und, statt über Probleme zu klagen, Lösungen für sie zu finden? Licht ins Dunkel bringen und uns den Tatsachen stellen? Dann ist das Unbekannte auf einmal nicht mehr unbekannt und wir müssen auch keine Angst mehr davor haben.


Das Einzige, das mir wirklich Angst macht, ist die Ignoranz des Menschen und dass sie größer ist als die Vernunft.

ganz ehrlich – ich hoffe

nichts

wird wieder genau wie früher. Wenn ich einen Wunsch habe, dann dass es nicht „normal“ weitergeht. Denn unser Normal ist das eigentliche Problem. Was ich auf Sylt unglaublich inspirierend fand war, dass hier statt Angst eher das Wort „Chance“ in der Luft schwang. Größtenteils strahlende Gesichter. Denn die Zeit bietet eine riesige Chance. Durch das Zusammenrücken der Insulaner wurde mir bewusst: Es ist wichtig, dass wir uns gegenseitig Halt geben, dass wir zusammen eine friedliche und harmonische Vision vom Leben auf der Erde aufrecht halten und daran arbeiten, sie Realität werden zu lassen. Mit allem Leben, miteinander anstatt gegeneinander.

nele wein

ist die Tochter der Mensch, Sylt!-Chefredakteurin Imke Wein, wurde vor 25 Jahren in der Sylter Nordseeklinik geboren, wuchs im Zirkus auf, hat schon die ganze Welt gesehen und wilde Abenteuer bestanden. Die Erdung, die sie als Kind durch die Sylter Natur erfahren hat, bietet immer wieder Orientierung und Kraft. Sie lebt in Berlin, wenn sie nicht gerade in Brasilien bei den Schamanen in Ausbildung ist. Zudem arbeitet sie an ihrem Astrologie-Diplom und verdient ihr Geld als Social-Media-Expertin bei der Firma „Sonnenglas“.

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ES LEBE DIE FREUNDSCHAFT MEINUNG // AUTORIN: ANNA GOLDBACH

Innerhalb eines Tages – am 18. Mai – ist die Insel von „so leer wie noch nie“ zum beinahe normal wirkenden Saisonbetrieb übergegangen. Nach wochenlanger Ruhe herrscht seitdem reger Betrieb – in vertrauter, doch irgendwie auch unentspannter Weise mit all den neuen Regeln. Die Ruhe vor dem großen Besuchersturm hat mir Zeit geschenkt und eine Erfahrung – von ungeahnter Schönheit und Besonderheit. Seit Ende Februar habe ich weder meine Eltern noch meine Freunde gesehen. Dafür viel Zeit mit einer Freundin verbracht, die bei mir eingezogen ist. Als klar war, dass persönliche Treffen bald untersagt werden, wussten wir beide: Uns womöglich wochenlang nicht sehen – das geht nicht. Und mir war klar, dass ich alleine nicht kann. Ich habe in den letzten Jahren verlernt, alleine zu sein. Seit ich vor drei Jahren nach Sylt gezogen bin, hat sich mein Leben verändert. Ich sehe meine Freunde jetzt beinahe täglich – am liebsten ist es mir, wenn ich die Bude voll habe. 92 Mensch, sylt!

Egal, wie viel ich am nächsten Tag aufräumen muss oder wie viel Abwasch danach auf mich wartet. Ich bin stets umgeben von Menschen, die ich mag und die sich bei mir wohlfühlen. Und meine Freundin Hannah? Die dreht ebenfalls durch, wenn sie getrennt von ihren Freunden ist. Unsere Lösung: Für die Dauer der Alcatraz-Situation auf Sylt zusammen ziehen! Und so kam es, dass Hannah ihre Siebensachen packte und in meine Zweizimmerwohnung zog. Und das ist bis heute so. Das Kuriose an der Sache: Ich kenne Hannah zwar bereits seit Jahren, so richtig befreundet sind wir allerdings erst seit dem letzten Sommer. Und jetzt wohnen wir zusammen. Ein Experiment mit diversen Unbekannten. Aber soll ich sagen? Es passt wie Arsch auf Eimer. „Und habt ihr euch schon gestritten?“ wurden wir oft gefragt. Die Antwort ist stets dieselbe: „Nein, haben wir nicht.“ Ja, es gab Zickereien hier und da, aber das wars dann auch. Stattdessen habe ich gelernt,


Di e Au to ri n Anna ist Volontärin bei der Sylter Rundschau. Zuvor absolvierte sie im Wenningstedter Pastorat ihr Freiwilliges Soziales Jahr. Eine bemerkenswerte junge Journalistin – von diesem Berufsstand gibt es auf Sylt übrigens dauerhaft ansässig höchstens ein knappes Dutzend. Besonderes Prädikat für Anna Goldbach: Sie liebt Menschen und das ist die vielleicht wichtigste Qualität in ihrem Business. Schreiben kann sie natürlich auch…

wie wichtig es ist, einen Menschen wie Hannah im Leben zu wissen, zu tolerieren, zu lieben, einander zu ertragen. Jemanden, mit dem man auch nach einem anstrengenden Tag noch redet. Der versteht, warum mich die Ruhe und Friedlichkeit der Insel in den vergangenen Wochen an manchen Tagen mit unfassbarem Glück erfüllte, während ich an anderen Tagen am liebsten gar nicht aufgestanden wäre, weil Corona mich fast erdrückte.

ICH HABE GELERNT, WIE WICHTIG ES IST, JEMANDEN IN SEINEM LEBEN ZU WISSEN, ZU TOLERIEREN, ZU LIEBEN, EIN ANDER ZU ERTRAGEN.

Manche Tage verbrachten wir am Strand, der so verlassen und sommerlich war und dafür sorgte, dass die Pandemie in den Hintergrund rückte. Wenn wir beide schlechte Laune hatten, gammelten wir einen Tag lang auf der Couch rum. Und dann gab es Tage und Abende, an denen wir nur rumsaßen, Musik hörten und uns Geschichten über die Zeit erzählten, in der wir uns noch nicht kannten.

Mensch, sylt!

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Hannah hat gemeinsam mit mir die bisherigen Schwierigkeiten der Pandemie gemeistert, hat mich in den Arm genommen, nachdem ich einen Korb bekommen habe, hat mich abgelenkt, als mein Ego und mein Herz angeknackst waren, hat sich mit mir gefreut und mit mir geflucht. Sie hat mich motiviert, wenn ich vor einem Text saß und nicht weiterwusste.

Wir haben gemeinsam geträumt – von unserer Reise nach Amsterdam, den Festivals, die wir im kommenden Jahr besuchen wollen, von unserer künftigen Wunsch-Wohnung, von Reisen, einem eigenen Bus. Wir haben uns die grauen Tage bunt geträumt. Und die bunten Tage? Die wurden noch schöner, wenn wir abends gemeinsam am Strand saßen und zusahen, wie eine Welle nach der anderen brach, die Sonne langsam hinter dem Horizont versank und der Himmel in den buntesten Farben erstrahlte. Jetzt, 12 Wochen später, kennen wir uns – unsere Geschichten, Macken und Eigenarten. Ein Erfahrung so tief und so weit wie das Meer.

Ich habe Hannah zur ihren Abiturprüfungen gefahren und sie anschließend abgeholt, ihr gesagt, wie stolz ich auf sie bin, sie gedrückt, wenn alles zu viel war und sie zur Hochzeit ihres Vaters begleitet. Wir haben sicher 100 Runden „Fuck, Marry, Kill“gespielt, die ein oder andere Flasche Rhababerweinschorle geleert, haben gemeinsam neue Musik entdeckt, eine Serie durchgeschaut, die Wohnung umgestellt und eine neue Couch besorgt.

94 Mensch, sylt!

Ich weiß jetzt, dass ich Freunde habe, die in Krisenzeiten da sind – egal, ob es sich dabei um eine Pandemie oder die kleinen Krisen des Alltags handelt. Egal was kommt, wir schaffen das schon.

ANNAS TIPP


Sexy,

herzlich

& total naTÜRLICH MEINUNG // AUTORIN: IMKE WEIN

Sylt ist ein zauberhafter Ort. Punkt. Und ein langer Absatz mit Nichts.

des Vorbild zu sein für ein Leben im Einklang mit der Natur. Ein klarer Imagewandel von „schön, reich & leider auch etwas spießig“ zu „sexy, fröhlich & natürlich“.

NATÜRLICH

Aber an ein paar Themen müssen wir, will sagen, jeder von uns, einfach ran. Mit einer Hand an der eigenen Nase und dann voraus. Denn die massive Bedrohung durch Corona ist verhältnismäßig lahm im Verhältnis zu der ökologischen Bedrohung, die wissenschaftlich zudem weit besser erforscht ist. Da gibt es keine Ausreden, sondern schlicht die Notwendigkeit zu gestalten. Und mit einer Sylter Variante von sanftem Tourismus böte sich die wunderbar Chance, ein leuchten-

Es ist ja nicht so, dass es dazu auf Sylt keine Ideen, Initiativen und Projekte gäbe. Aber es erfordert halt einen kritischen Blick auf den eigenen Lebenswandel, dann Engagement, Wissen in der Sache und Wertschätzung für andere Meinung, Auseinandersetzung und Konsensfähigkeit, wenn man da mit großen Schritten weiterkommen will. Denn das ist Demokratie und in einer solchen leben wir. Viele Gemeinderatsmitglieder, Touristiker, Verbandsvertreter und Unternehmer auf Sylt ringen in den unterschiedlichsten Gremien Tag für Tag darum, Mehrheiten zu finden für eine – aus der jeweiligen Sicht – positive Entwicklung hier auf Sylt. Und es gibt da für jeden Bürger die Chance, ja die Pflicht, sich auf unterschiedlichsten Ebenen einzubringen und den Kahn in die richtige Richtung zu lenken.

Mensch, sylt!

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Man muss es nur tun und nicht dann erst meckern, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist. Das ist leider gerade eine ziemlich ausgeprägte Sylter Eigenart. Denn Visionen umzusetzen, ist bekanntlich mühsam. Es gibt meistens noch nichtmal Kohle dafür. Im besten Fall, das gute Gefühl, exzellente Projekte realisiert zu haben: Und das ist herrlich. Also, ran da! Mit Phantasie und gutem Willen. Die Weniger-ist-mehrErfahrung vom Frühling nehmen und in Ideen verwandeln, sich vielleicht denen anschließen, die schon konkrete Pläne haben für neue Verkehrskonzepte oder ein ökologisch wertvolles Wirtschaften in Gastronomie, Beherbergung und Einzelhandel oder, oder, oder… Würden ökologische Leuchtturmprojekte konsequent auf den Weg gebracht, konsequenter vielleicht noch als überall anders in der Republik, fänden die Resultate sicher auch die Gäste grandios. Sie würden Gewohnheiten mit nach Hause nehmen und in ihren Alltag einbauen oder extra darum hierher kommen. Beispiele dafür kennt jeder aus eigener Reiseerfahrung. Und es kämen junge, neue Inselfans hinzu, die den nachhaltigen Spirit suchen, aber dafür nicht erst nach Costa Rica fahren wollen.

SEXY

Es gibt auf Sylt einen Knigge für Corona-Distanz und auch einen für umwelttaugliches Verhalten. Den könnten doch einfach alle verinnerlichen, danach handeln und sich 96 Mensch, sylt!

noch viel mehr mit der Faszination verbinden, die Sylt als Natur- und Kraftort gratis liefert. Ex-FÖJler von der Naturschutzgemeinschaft haben mal eine Kampagne herausgebracht. „Naturschutz ist sexy“. Sie wurden dafür in Berlin prämiert. Toller Slogan – und: ist ja so! Ein Lifestyle im Einklang mit der Natur ist so einfach, macht schön und sexy. Hektisches Überholen auf der L 24, halbe Nervenzusammenbrüche auf der Parkplatzausfahrt von „Feinkost Meyer“, Kolonne stehen auf fast allen Pisten am Regentag im August, viel zu breite Autos auf zarten Dorfstraßen… das braucht keiner. Wie beglückend, mit dem Rad zum Einkaufen zu fahren und festzustellen, dass man wenigstens genauso schnell ist wie mit dem Auto, dafür aber viel besser gelüftet. Würden wir uns wirklich überfordern, wenn wir als Sylter selbst mit gutem Beispiel vorangingen? Einfach machen. Ohne „ja aber“… Klar braucht es auch ein heftig besseres Radwegenetz, maßgeschneiderte ÖPNV-Konzepte, bessere Bahnverbindungen, Einschränkungen für den Individualverkehr und und und. Also entsprechende Rahmenbedingungen. Aber da wird tatsächlich wie wild daran gearbeitet – in den Gemeinden und auch insular, z.B. im interdisziplinären Strategiekreis. Bei sich selbst anzufangen mit dem Wandel, ist ne super Sache. Ich hab’s getan…

FRÖHLICH

Vor Corona war es im Gespräch, eine Sylter Marketing-Kampagne


auf den Weg zu bringen, damit die Menschen hier fröhlich-freundlich werden im Umgang miteinander. Find ich gut. Würde alles andere leichter machen. Denn der Anteil von Muffelköppen ist auf Sylter unter Gästen wie unter Gastgebern gerade in diesen Tagen nicht unerheblich. Dabei liebt es doch jeder, wenn man irgendwo hinreist und Menschen, die man trifft, lächeln einen an, sind höflich, fröhlich, empathisch, zuvorkommend. „Eine Insel lächelt sie an“, war schonmal so ein Slogan in den 80er Jahren. Mehr Lächeln würde Sylt definitiv gut zu Gesicht stehen. Mit den Kindern meiner Wenningstedter Siedlung habe ich daher schon mal ein „Gruß- und Lächelinitiative“ eingeläutet. Wir haben die Ergebnisse sogar statistisch festgehalten. „Wie man in Wald und Wiese hineinmoint, moint es zurück“, könnte man unser hochwissenschaftliches Untersuchungsergebnis zusammenfassen. Wir waren jedenfalls begeistert, wie bereit die Menschen sind, die MiesepeterMiene zu verwandeln in ein fröhliches Grinsen, wenn man es denn freundlich einfordert. Geht man in Vorlage, sind die völlig Lächelresistenten deutlich in der Minderzahl. Wir machen jedenfalls weiter. Schließt Euch der OsterwiesenMoin-und-Lächelinitiative an, dann wird das hier auf Sylt irgendwann fröhlicher als sonstwo!

EINEN NOCH!

Ohne eine großes Fass aufzumachen zum Themenkreis Bettenzahlen und Bebauung (das unbedingt

ein anderes Mal), hier ein ästhetischer Aspekt zum Thema: Ralph Justus Mauz hat vor Jahren mal einen Wettbewerb ausgelobt unter Architektur-Studenten: „Neues Bauen unter Reet“, war das Stichwort. Unglaublich inspirierend, was da alles entworfen wurde. Man erinnert sich gerne. Denn unter Reet muss nicht immer heißen „Friesisch-Barock“, es gibt auch „Friesisch-Bauhaus“ und bestimmt geht sogar mancherorts „Hartdach-vielGlas-Purismus“ oder noch besser: alte Bausubstanz erhalten, entkernen, restaurieren. Was allerdings derzeit überall stattdessen passiert: Häuser, sogar mit 90er Jahre Baujahr, werden abgerissen und anstelle dessen tritt die Standard-Doppelhaushälfte unter Reet – mit den immer gleichen Tools wie Mittelgiebel, graue Fenster, Friesenwall mit Kiefern drauf (passen hier gar nicht her). Das erinnert doll an Schlumpfhausen oder „Norden Disneyworld“. „Das ist das, was die Eigentümer aus den Städten wollen, Sylter Idylle, obwohl sie vielleicht sonst im Loft wohnen“, konstatieren die Architekten. Warum gilt eine Uniform bei Automodellen, Klamotten, Inneneinrichtung und auch bei Sylt-Häusern eigentlich als schick? Etwas mehr Phantasie wäre schön und ein politischer Rahmen, der mehr Raum lässt in Gestaltung, aber nicht in Dimension! Denn nichts steht Sylt schlechter als Uniform. Aber auch hier und für mich gilt: Willst Du was ändern, engagiere Dich politisch und mische mit!

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Machen

ist wie nur

N

wollen krasser!

MEINUNG // AUTOR: KAI MÜLLER

un ist es da, das neue Mensch, Sylt! Digital, kostenfrei für die Leser, interaktiv. Neu gedacht aus alten Erfahrungen für eine Zukunft, in der auch tägliches Lesevergnügen anders sein wird. Gutes erhaltend und Strukturen überkommend, die nicht mehr gebraucht werden. Wie z.B. den Druck Tausender Zeitschriften, die nach einmaligem Lesen im Müll landen. Auch in vielen anderen Bereichen der Gesellschaft scheint sich der Wunsch Bahn zu brechen, Neues zu wagen und Altes zu überkommen. Bestimmt haben unsere ganz eigenen Corona-Erfahrungen dem ein oder anderen eben auch gezeigt, dass wir einiges von dem, was bisher so alltäglich und so notwendig erschien, gar nicht wirklich brauchen. Wie z.B. den Urlaubsflug um die halbe Welt, wenn so viel wunderbare Natur direkt vor der eigenen Nase auf uns wartet.

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So meine ich also in den letzten Wochen und Monaten immer mehr Willen zum Aufbruch zu erspüren. Wie formuliert unser Sylter Heimatverein, die Söl’ring Foriining, schon seit längerem? „Umdenken – wir sind Sylt!“ Nur scheint mir gar nicht klar zu sein, ob wir wirklich wissen, von wo aus wir umdenken wollen, und wohin? Und geht es nur um ein Umdenken oder nicht viel mehr um ein „Umlenken“ – also ein Tun, ein Anpacken, ein aktives Verändern?! Sollte dem so sein, so müssen wir miteinander Ziele entwickeln! Wie sieht sie aus, die Zukunft, die wir uns gemeinsam vorstellen? Gemeinsam – denn allein wird es nicht gehen! Wie passen meine Ideen zu denen der anderen? In welchen konkreten Schritten wollen wir sie erreichen? Wie sind diese machbar und wer übernimmt die Verantwortung, es dann auch zu tun?


In einer überwiegend ehrenamtlich geprägten kommunalpolitischen Struktur bedeutet das für jeden, dass er oder sie sich engagieren muss! Jeder wie er kann und will! Nur die vermeintlichen Fehler der anderen zu suchen, genügt nicht. Schon gar nicht aus der Deckung der eigenen vier Wände irgendwelche Leserbriefe oder FacebookPosts zu schreiben (womöglich noch ohne den eigenen Namen zu nennen). Somit bedeutet ein Umdenken eben auch, Verantwortung zu übernehmen! Mein Wunsch, um Neues und Gutes für unsere gemeinsame Zukunft zu erreichen, ist daher, dass wir über das Um-Gedachte miteinander in den Austausch gehen – auch und insbesondere mit denen, die anders denken als wir. Immer respektvoll, wertschätzend und lösungsorientiert. Denn nur im offenen Austausch können wir von den Meinungen der anderen lernen, vielleicht auch mit unseren Argumenten überzeugen – aber vor allem einen gemeinsamen Weg mit gemeinsamen Zielen und Lösungen erarbeiten.

A

lso lasst uns Verantwortung übernehmen und mit konstruktiven Lösungen miteinander aktiv werden – denn: Machen ist wie wollen nur krasser!

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DER PERFEKTE MOMENT FÜR EIN NEUES

IMAGE MEINUNG // AUTOR: WERNER RUDI

Mit einem zweirädrigen Donnervogel über die Insel cruisen, sich in den Dünen mit einer blonden – blond war Pflicht! – Maid niederlassen und alles andere der Phantasie anderer überlassen. Champagner-Fontänen auf knappe Blusen prickeln, Konventionen lässig lächerlich machen – so wurde ein äußerst haltbares Image gepuzzelt. Sylt manirierte sich zu einer Art „Île de la Liberté“ des Nordens. Bauherr des schönen Sylter Seins, das die so bewunder-

100 Mensch, sylt!

ten, die irgendwo im schnöden Sein feststeckten, war Gunter Sachs. „Ich fühle mich hier ein bisschen wie ein Affe im Zoo – mit lieben Besuchern“, befand der Unternehmer, Dokumentarfilmer, Kunstsammler, Astrologieforscher. Und Playboy. Playboy. Dieser Begriff ist heute ungefähr so sexy wie Weißwandreifen. Und das SachsAppeal ungefähr so hip wie Flower Power. Wir strapazieren es – versprochen – ein letztes Mal: „Die Insel der Reichen und Schönen“.


S

o ein Image kann eine Insel o locker verkraften, die reich an Schönem ist. Die Natur im Überfluss bietet, stille Ecken, kilometerlange Strände, mystische Stimmungen, Romantik und Rummel, verkurvte Wege und Stege, Kuschelecken für zwei und Tummelplätze für Massen, bei denen Urlaubs-Vereinsamung suizidale Reflexe provozieren könnte. Indes: Die Insel ist längst reif für ein neues, ein frisches, ein zeitgemäßes Image. Sylt ist nah

und nachhaltig – man muss nicht in die Ferne jetten, um auf einem Sandknust voller Exotik zu landen. Man kann mit dem Auto anreisen und es dann wochenlang stilllegen. Oder mit dem Flieger einschweben und den gewaltigen CO2-Fußabdruck im Urlaub durch MuskelMobilität schrumpfen lassen. Sylt mit dem Fahrrad ist eine Überraschungstour, die zu unzähligen Abzweigungen ins Unbekannte verleitet. Sylt ist Dauer-Reha von urbanem Lärm, das Gekreische der Möwen Medizin fürs überreizte Ohr.

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Sylt ist Staunen – da wandern Dünen, da johlen junge Piraten, da verschwindet das Meer und taucht nach sechs Stunden wieder auf, da kann man vor Hörnum nach Sansibar abbiegen, da gibt es Körbe mit Sitzgelegenheit, da muss der Urlauber zur Schicht, denn gegessen wird mit zweifacher Belegung. In Corona-Zeiten wird der erste Turn schon um 17:30 Uhr an den Tisch zitiert. AUF SYLT MUSS MAN SICH LUXUS NICHT LEISTEN KÖNNEN, HIER LEISTET SICH JEDER SEINEN LUXUS. Für den einen ist ein Unmaß an Genuss das Schlürfen der Lister Auster, für den anderen der Singsang der Vogelschwärme im Rantum-Becken, und manche sind beseelt von der Nacht, die mit Schädelbrummen und einem leisen „Moin“ den Morgen begrüßt. Sterne-Küche und Matjes auf die Hand oder Döner am Strand – wie es euch gefällt. Einer ist vernarrt in das Open-Air-Kino beim Sonnenuntergang, beperlt von Prosecco oder beploppt von Flens, andere macht der zarte Geruch der Sylter Heckenrose urlaubshigh. Sylt ist klar und verplüscht, hat überall Horizonte und immer einen Notausgang aus dem Mainstream. Elegant und spießig, Campingplatz und Fünf102 Mensch, sylt!

Sterne-Plus-Suite, wildes Meer, mildes Watt, mal Riviera, mal schroffes Schottland. Kontraste adeln die Insel mit der aufreizend schmalen Taille zur Königin der Nordsee. Die auch der Masse – wenn es eng wird – stille Momente garantiert. Bisschen achtsam sein, bisschen anti-egoman, bisschen respektvoll, bisschen solidarisch und bitte so distanziert wie nötig – ob die verordneten Tugenden der Corona-Zeit sich auch in einer neuen, non-epidemischen Zeitrechnung retten können? „Rücksicht ist das neue Rock ‘n’ Roll“, findet die „Zeit“. Yeah, let´s dance! In was für eine Zeit sie uns wohl führt, diese hektisch-virulente Zeitreise? Die digitale Diät beginnen wir schon mal. Das Immermehr wird kalorienreduziert. Das Ich-Ich-Ich verbuddeln wir. Da arbeiten wir im Team mit unseren Kindern. Plastikfrei ist gebongt und das Beutelchen für Struppi immer dabei. Trotz aller Wirrologen und Pfingst-Ochsen: Sylt bleibt ein Sehnsuchtsort. Wenn sich heimlich ein paar Schöne und Reiche in dieses betagte und putzmuntere Idyll schmuggeln – was soll‘s? Sind doch ganz liebe Besucher.


ZUM AUTOREN: Werner Rudi ist ein journalistischer Tausendsassa. Im Springer-Verlag brachte er schon in den 80er Jahren mehrere bis heute erfolgreiche Zeitungs- und Magazinprojekte auf den Weg. Als er mit seiner Familie nach Sylt zog, brachte er u.a. die „PRO KAMPEN“ – das Kampener Ortsmagazin mit streng journalistischem Anspruch – auf den Weg. Seit wenigen Jahren kümmert Werner Rudi sich hauptsächlich um seinen Lieblingssport, klappt den Computer nur noch selten auf und macht als Vorsitzender des Kampener Golf-Clubs und Geschäftsführer des Hörnumer Grüns einen grandiosen Job. Dass er für das Mensch, Sylt! eine Kolumne verfasste und mal gedanklich dem beinharten Sylter Image nachspürte, ist uns eine große Ehre.

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Wähle einen Beruf, den Du liebst und Du brauchst keinen Tag mehr im Leben zu arbeiten. KONFUZIUS


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PETER KLIEM Richtig blöd: Statt das 40. Clubjubiläum nach Plan zu feiern, lebt der legendäre DJ mit der totalen Ungewissheit.

RUBRIK:

INSEL-BUSINESS 106 Ose Franzen Es werde Licht! 112 Sonja Garsztecki Mode für die Seele 116 Bärbel Knochenhauer Gut beraten 121 Peter Kliem Party – ein Business, was gerade nicht sein darf

106 Mensch, sylt!


Sonja Garsztecki Spendierfreudig und fröhlich – so beschreibt die „Wunderhaus“-Frau die Kampener Kundschaft im Sommer 2020.

BÄRBEL KNOCHENHAUER Wenn man eine große Begabung professionalisiert, ist das immer die beste Voraussetzung für erfolgreiches Arbeiten. Ein hervorragendes Beispiel: Coach Bärbel.

OSE FRANZEN Umwelttechnik wollte sie studieren, jetzt macht sie in Licht. Widerspricht sich das eigentlich?

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OSE FRANZEN & IHR ERHELLENDES GESCHÄFT

ES WERDE LICHT!

108 Mensch, sylt!


A

uf Sylt sind Buschtrommeln laut. Oft wissen andere eher, was mit einem los ist, als man selbst. Dass ist eindeutig die nervige Seite des Insulaner-Lebens. Die glänzende: Networking und Nachbarschaftshilfe funktionieren

kaum irgendwo besser als unter Syltern. So kam es auch, dass Lichtplanerin Ose Franzen und ihr Mann Rainer jetzt ein neues Zuhause für ihr Business haben. Ein Ort, von dem man sofort weiß, dass es für die beiden besser nicht geht, als in diesem schmucken alten Gründerzeitgemäuer mit Erker, gegenüber von Bäcker „Abeling“ in der Westerländer Maybachstraße. Mensch, Gebäude und Mission fügen sich zu einem wunderbaren Ganzen.

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Roy und Simone Komor (von „ROY“ in der Strandstraße) gaben den Anstoß. Sie hatten in dem schon etwas länger leerstehenden ehemaligen Wohnhaus letzten Sommer ein Popup-Outlet für ihr herrliches textiles Sortiment auf die Beine gestellt und erkannten sofort, was in diesen Räumlichkeiten für ein leuchtendes Potenzial steckt. „Wir fühlten wir uns ja ganz wunderbar gut aufgehoben all die Jahre in der ,Stilschmiede’ bei Michael Martens. Wir hatten

immer mal mit dem Gedanken gespielt etwas Eigenes zu haben. Aber ganz ohne Leidensdruck. Es war ein großartiger Startort für unsere Firma. Simone vermittelte dann den Kontakt zu den Eigentümern hier in der Maybachstraße. Wir mochten die Räume sehr. Der Entscheidungsprozess hat tatsächlich etwas gedauert“, berichtet Ose Franzen von der Findungsphase. „Doch wenn ich dann wirklich etwas will, dann gibt es kein Halten“, versichert die Meisterin der Lichts und das glaubt man ihr sofort.

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igentlich sollte am 1. April eine große Eröffnung der neuen „Lichtinsel“ mit allem Pipapo und einem Fest zum 15. Firmenjubiläum gefeiert werden. Durch Corona wurde es nun ein „Soft Opening“ im besten Sinne. Die beiden Franzens legten bei dem Umbau in den stillen Sylter Wochen des Frühlings selbst fleißig mit Hand an und verhalfen jeder der spektakulären Leuchten im Geschäft zu einem Platz, der zu den jeweiligen Eigenschaften passt. Und während andere Sylter die Ruhe und Muße genießen konnten, gaben die beiden im neuen Laden Vollgas. Das Ergebnis rechtfertigt alle Mühe. Die „Lichtinsel“ ist ein wunderbarer Ort geworden. Ein Leuchtturm für modernes Business auf Sylt quasi (es gibt ja zum Thema Licht so herrlich viele Metaphern, freut sich die Autorin). Vieles im neuen Geschäft wird sich noch „rütteln“

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müssen. Beispiel: Mit so viel Publikumsverkehr, wie es ihn tatsächlich seit der ersten Stunde gibt, hatten die „Lichtinsel“-Chefs und ihre Mitarbeiterin Amanda gar nicht gerechnet. „Wahrscheinlich lassen wir dienstags die Ladentür konsequent zu, damit wir auch in unsere Planungsarbeit abtauchen können“, versichert eine strahlende Ose am todschicken Tresen im hinteren Raum des seelenvollen neuen Ladenlokals. Ihr Business besteht nicht nur daraus, erhellende Leuchten zu verkaufen, bei denen jedem Menschen mit Stilempfinden, das Herz weit aufgeht.

OSE FRANZENS HERZENSTHEMA IST ES, PRIVAT- UND GESCHÄFTSRÄUME MAßGESCHNEIDERT MIT LICHT ZU VERSORGEN. SO WIE ES EXAKT ZUM ORT UND ZU DEN MENSCHEN PASST.

Denn jedes Bedürfnis und jeder räumliche Bedarf nach Licht ist anders. So steht vor jedem Konzept ein intensives Gespräch mit den Kunden über das, was bei diesem Projekt der Rote Faden sein soll. Moderne Wohnquartiere wie das Hotel „Südwäldchen“, der „Aarnhog“ in Keitum, das Hotel „Landhafen“ in Niebüll, etliche Räume im „Rungholt“ oder im „Fährhaus“ gehören zu den Projekten von Rainer und Ose Franzen. Aber natürlich auch private Wohnhäuser auf der Insel und ausgewählte Projekte auf dem Festland. Inzwischen ist es ein fester Kreis von Architekten, die Ose Franzen bei der Lichtplanung stets mit einbeziehen. Das Lichtkonzept für ein Hotel in Österreich zu erstellen – dieses Projekt hat Ose gerade aus Zeitmangel und schweren Herzens abgesagt. Es geht halt nur das, was geht und mit Liebe umgesetzt werden kann. Denn die Liebe für das, was sie tut, hat sie. Genau seit die Weltgereiste in ihrem Architekturstudium eine Dozentin für Lichtplanung erlebte, dann ein Licht aufging und seitdem ihre Idee von schönen Räumen nun auf eine besondere Art umsetzt.

„Unser Auge tastet einen Raum konstant ab und sucht sich automatisch den hellsten Punkt. So lenkt Licht unsere Aufmerksamkeit, schafft Hierarchien in unserer Wahrnehmung“, begibt sie sich mal eben auf die Metaebene ihres Jobs. Neben der Schönheit und Pragmatik von elektrischem Licht, geht es Ose Franzen auch immer um den subtileren Teil des Ganzen, um die Stimmung, die emotionale Wirkung und auch die therapeutische: „Wusstest Du, dass depressive Patienten mit künstlichem Licht behandelt werden, das dem Tageslicht nachempfunden ist? Unser Organismus braucht ein gesundes Farbspektrum, um reibungslos zu funktionieren – körperlich, geistig und seelisch“, lässt sie zwischendurch mal eben wissen.

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urück zum Unmittelbaren: Etliche der Objekte in ihrem Laden sind Statussymbole für den, der etwas

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SYLT IST EIN NATURORT MIT LICHT UND DUNKELHEIT. DA SOLLTEN WIR UNS NICHT ZU VIEL MIT KÜNSTLICHEM LICHT EINMISCHEN. von ausgesuchter Inneneinrichtung versteht. Andere sind die pure Inspiration. Selbst Menschen, die sich mit Lampen sonst schwer tun, werden auf der „Lichtinsel“ schwerlich nichts finden, was sie cool finden. Die ultraschlichten Beweglichkeitswunder von „Occhio“ oder die Klassiker von „Artemide“ sorgen für das Heimat-Gefühl der anspruchsvollen Klientel. Die ostdeutsche Firma „Mawa“ mit ihren außergewöhnlichen Designs ist gemeinsam mit den Franzens in den letzten Jahren gewachsen. Ihre Mission bringt Ose Franzen zum Leuchten. Sie sprüht, wenn sie von der rasanten technischen Entwicklung in ihrem Gewerk spricht – den beinahe unbegrenzten Einsatz-Möglichkeiten der vergleichsweise jungen LED Technik und der annähernd perfekten Farbwiedergabe. „Was hier vor einem Jahr galt, ist heute schon ganz anders. Ich bilde mich unentwegt fort, um auf dem neuesten Stand zu sein. Nur die Dimmbarkeit von LEDs ist noch nicht so 112 Mensch, sylt!

brillant wie die bei Halogen-Leuchten.“ Ihr überragendes technisches Wissen ist ein Pfund, mit dem sie wuchern kann. Um die Voraussetzungen für eine perfekte Illuminierung zu schaffen, muss sie reichlich rechnen und viel von Kelvin, Lux und Lumen – den Maßeinheiten der

Lichtmessung – verstehen. Widersprechen sich ihr Business und Nachhaltigkeit eigentlich? Ose, die sich selbst als „Querdenkerin und Querulantin“ einstuft und die früher mal Umwelttechnik studieren wollte, zögert einen Augenblick. „Nachhaltig ist unsere Arbeit insofern,

OSE FRANZEN & TEAM-MITGLIED JUMA


FOTO: © LAURA MÜLLER

DIE SYLTER NATUR BIETET LICHTSPEKTAKEL, DIE UNERREICHT SIND – WIE HIER DAS SAGENHAFTE MEERESLEUCHTEN!

als dass unsere Leuchten über Jahrzehnte erfreuen, eine Anschaffung auf lange Sicht sind. Zudem zielt moderne Lichttechnik natürlich darauf ab, Strom effektiver zu nutzen. Außerdem mag ich es, Licht auch bewusst auszuschalten, dazu rate ich auch unseren Kunden immer eingehend“, versichert Ose.

am schönsten von innen!“) noch von einer künstlichen Inszenierung der Natur: „Irgendwann sollte ich mal die Heidefläche neben einem Reetdachaus beleuchten. Das einzige Mal, dass ich einen Auftrag verweigert habe“, erinnert sie.

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Sie liebt die Dunkelheit, das Mondlicht, den Sylter Winter mit seinen extremen Kontrasten. An einem Naturort wie Sylt soll es auch möglichst natürlich zugehen, findet Ose Franzen. Darum ist sie weder eine Freundin von massiver Außenbeleuchtung („Häuser leuchten

se Franzens Lieblingsphänomen in der Sylter Natur ist übrigens, wen sollte es wundern: Das Meeres-

leuchten – jenes magische Schimmern der Wellen an warmen Sommertagen, das durch Millionen kleiner Mikroorganismen hervorgerufen wird und das wissenschaftlich eigentlich auch noch nicht ganz genau erklärt ist. „Da freue ich mich jetzt schon wieder drauf“, versichert die Hüterin des Sylter Lichts mit Blick auf die Sommertage und die Freude darauf, manchmal, ganz manchmal, die Tür der neuen „Lichtinsel“ auch mal von außen zu verschließen, um mit Rainer und Hund „Juma“ draußen unterwegs zu sein. >> www.lichtinsel-sylt.de

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SONJA UND IHR KAMPENER „WUNDERHAUS“

Mode?

Am liebsten nur Lieblings- stücke!

Garsztecki. So heißt nicht jeder. Was für den Nachnamen gilt, lässt sich in diesem Falle auch auf die ganze Frau, auf Leben und Werk übertragen. Sonja Garsztecki ist eine rasante Person, ein liebenswerter Empathie-Knubbel und die Erschafferin eines Ladenkonzepts, das Frauen versteht. Von oben bis unten und in jeder Dimension. Denn in ihren „Wunderhäusern“ gibt es so gut wie alles – vom Hut bis zum Schuh, vom Hautserum bis zum Boho-Style-Schmuck sowie die ganzen Stationen dazwischen und noch viel mehr für Kinder, Hunde, für Männer und ein schönes Zuhause. Ein Kaufhaus mit lauter Lieblingsstücken.

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„Nein, die ganze Zeit ,La Paloma’ gepfiffen habe ich natürlich nicht. Im Gegenteil: in den Shutdown-Wochen habe ich mehr gearbeitet als sonst“, berichtet Sonja mit dieser durch nichts wegzuhobelnden Berliner Schnauze, die ihr eine zusätzliche Prise Herzlichkeit verleiht. Natürlich hat die „Wunderhaus“-Betreiberin von Kampen und Düsseldorf-Kaiserswerth

die Corona-Misere geschäftlich schwer gebeutelt. Denn März, April und Mai sind für sie sonst allerbeste Monate. Aber meckern tut sie nicht, gehört nicht so zu ihrem Portfolio. Sie ist zuversichtlich, dass sie ihr Schiff mit insgesamt 24 Frau und Mann Besatzung schon irgendwie durch die hohen Wogen manövriert bekommt. „Man wächst ja mit seinen Herausforderungen.“


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>> Selbst ihr bestes Model. Gerne auch vor Sylter Kulisse. Könnte schlimmer sein.

Die liebsten Kundinnen? Die, die sich kaum loseisen können, echte Lieblingsstücke finden und sie so lange lieben, bis sie „auf“ sind. In dem idyllischen und noblen Kaiserswerth setzt sie in ihrem „Wunderhaus“ zusammen mit ihrem Geschäftspartner auch ein Deli-Konzept um und wird demnächst sogar noch einen neuen Store eröffnen. Mit einem Label, dem Launchwear-Macher „Better Rich“, und dazu ein paar ausgewählten Details, die „die ganze Angelegenheit abrunden“. Die Marke „Better Rich“ oder „Lala Berlin“ sind gute Beispiele dafür, mit welchen Herstellern sie in Zukunft arbeiten möchte: Mit Firmen, die möglichst in Europa produzieren – 116 Mensch, sylt!

und wenn Ware von weither kommt, dann müssen die Umstände stimmen. In ihren Shops bietet sie vor allem Naturprodukte an. Cashmere nur mit entsprechenden Expertisen. Plastik so wenig wie möglich. Felle gar nicht. Ein besonders Augenmerk legt sie darauf, dass das Tierwohl bei der Produktion von Pullis oder Schuhen respektiert wird. „Denn Tiere haben nach wie vor eine schlechte Lobby“, meint Sonja, die gerne und großzügig auch immer in diese Richtung spendet.

Im frühen Sommer stellt sie bei Kundinnen und bei sich selbst eine Riesenlust fest, wieder einkaufen zu gehen und damit ein Stück Normalität herzustellen. Die Verluste lassen sich natürlich nicht aufholen. An einem radikalen Ausverkauf beteiligen möchte sie sich indes nicht, sondern eher Produkte mit ins das Frühjahr 2021 nehmen. Ob Verbraucher wohl langfristig nachhaltiger und ökologisch sinnvoller shoppen werden – nach den jüngsten Erfahrungen und angesichts der ebenso evidenten Klimaentwicklung? „Ich bin da


<< Ausgeprägter Familiensinn: Sonja mit Mutti vor dem „Wunderhaus“

skeptisch. Menschen sind so egoistisch. Aber jeder Einzelne kann ja das Seine beitragen. Wir haben als Einzelhändler einen Einfluss auf das Konsumverhalten und tragen Verantwortung.“ Sie selbst ist eine Riesenfreundin davon, Mode als etwas zu nutzen, das Indvidualität unterstreicht und Lebensfreude verströmt. Darum verkauft sie bei sich auch eben auch nur Dinge mit Potenzial, so lange geliebt zu werden, bis sie „wirklich durch sind“. Besonders freut sie sich über Initiativen wie jetzt von Protz-Bling-Bling-

Marke „Gucci“, die konsequent dazu übergehen, Frühjahrsmode erst im ausklingenden Winter auszuliefern und nicht ein halbes Jahr vorher. „Damit der Wahnsinn in unserer Branche ein Ende hat und wir das Tempo endlich rausnehmen“, freut sich Sonja. Wie andere Kollegen im Einzelhandel hat sie die stillen Momente beim Schopfe genommen und einen schicken „Wunderhaus“-Online-Shop auf den Weg gebracht –

„mit einem starken Team im Hintergrund“, die ihr Werk ungern als Einzelleistung betrachtet. Oft ist sie selbst das Model, weil sie die beste Visitenkarte für ihre Philosophie ist. Gerade klingelt ihre Assistentin aus Düsseldorf durch und zeigt per „Facetime“ das allererste Päckchen, das nach einer Online-Bestellung das Haus verlässt. 800 Artikel – vom Sommerkleidchen, BadAccessoire bis hin zum Sonnenhut – sind online. Wenn schon, denn schon – im Garsztecki-Style eben.

www.mein-wunderhaus.de

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DU BRAUCHST RAT?

Dann geh doch mal

zum Coach!

{ 118 Mensch, sylt!

{ Auf Sylt praktizieren vier Coaches mit unterschiedlicher Ausrichtung, daneben natürlich auch Therapeuten und niedergelassene Psychologen. Umfassende Beratung und Therapie für Familien, Paare und Einzelpersonen bietet das Beratungs- und Behandlungszentrum BBZ www.dw-suedtondern.de

{

{ Das „System Mensch“ mit allen erleuchteten und dunklen Kammern, mit seinen verschlungenen Pfaden, prachtvollen Alleen und Sackgassen ist und bleibt ein riesengroßes Faszinosum. Störanfällig? Ja! Hoffnungslos: durchaus nicht!

Die Mission eines Coaches ist es, seinen Klienten – Menschen, Unternehmen, Institutionen – maßgeschneidertes Handwerkszeug zu geben, um das eigene System besser zu verstehen, Störungen auszuräumen, Mechanismen zu entdecken und neue Wege zu beschreiten. Die deutliche Abgrenzung zu studierten Psychologen oder Psychiatern: Der Coach bedient sich psychologischer Methoden, ist aber ein qualifizierter Trainer, der den Klienten unterstützt, eigene Lösungswege zu finden. Der Coach berät. Der Psychologe und Psychiater therapiert – vor allem auch Pathologisches.

Seriösen, fachlich breit aufgestellten Coaches ist es ein RiesenAnliegen, die Qualität der Ausbildungen an strenge Auflagen zu knüpfen, um das „Dünnbrettbohren“ in diesem Sektor zu unterbinden. Mit 10.000 hochwertig ausgebildeten Lebens- und Systemtrainern beziffert der Verband der Coaches diesen Berufsstand derzeit in Deutschland. Damit ist die Coach-Dichte nach den USA und Großbritannien in Deutschland weltweit am höchsten.


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„Ob ich Teams, Führungskräfte oder Menschen im Privatleben coache – meine Arbeit basiert auf einem Höchstmaß an Vertrauen. Ich freue mich, dass mir das so viele Menschen entgels ich Bärbel Knogenbringen.“ chenhauer kennen-

lernte, vor mehr als 20 Jahren, waren wir Mütter netter Inselzwerge im Kampener Kindergarten. Der erste Eindruck: Diese Frau trägt eine außerordentliche menschliche Wärme und Heiterkeit in sich, verfügt über ein Einfühlungsvermögen, das seinesgleichen sucht. Bei ihr in den eigenen vier Wänden fühlt man sich stets willkommen, auf wunderbare Art menschlich zuhause. Es fällt leicht, vor Bärbel das Innerste nach außen zu kehren und über Themen zu sprechen, die weit unter der Oberfläche liegen, die auf der Seele brennen. Ihre Antworten auf alle Lebensfragen sind immer von einem warmen Lächeln begleitet, klug, weise und so freilassend, dass man sich am Ende selbst helfen kann. Mit ihrer ersten Ausbildung zum Coach vor zwölf Jahren hat die Mutter von drei Kindern und erfahrene Hotelfachfrau ihr natürliches Ratgebertalent einfach mal professionalisiert. Sie hat ihre Gabe mit Methodik versehen und um immer neue Tools angereichert. Ständig hat sie seitdem ihre Kenntnisse erweitert und sich spezialisiert. Bärbel Knochenhauer ist konsequent dem gefolgt, was ihre Berufung ist und ist damit erfolgreich.

Die „Positive Psychologie“ begeisterte sie schon in etlichen Ausbildungsgängen, ebenso wie ihr Schwerpunkt auf „Systemischer Organisationsaufstellung“. Spannend ist der schnelle Wandel von Werten, Anforderungen und Belastbarkeit in unserer Arbeitswelt. Man nennt es auch new work. Oft gibt es Unsicherheiten darüber, wie man am besten mit diesen Veränderungen umgeht. Bärbel Knochenhauer begleitet Unternehmen dabei, Führung individuell anzupassen, Teams zu stabilisieren, und Mitarbeiter darin zu unterstützen, ihre Fähigkeiten und ihre Arbeitskraft optimal einzusetzen. Auch ist das Thema Digitalisierung weniger eine technische Herausforderung, als eine menschliche. Die Erfahrung zeigt, dass ohne ein motivierendes Arbeitsumfeld und die Chance auf persönliches Wachstum von Mitarbeitern auch langfristig kein unternehmerisches Wachstum stattfindet. Ob in ihrer Arbeit mit Firmen oder bei der Unterstützung in privaten Themen – höchste Diskretion ist unabhängig von der Insellage natürlich immer der Rah-

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men, in den sie ihre Arbeit einbettet. Wenigstens genauso wichtig: zu erkennen, wann ihre Klienten psychologische, psychiatrische oder andere Hilfe brauchen. Zudem lässt Bärbel Knochenhauer sich selbst regelmäßig coachen. Die Fragestellungen ihrer Klienten unterscheiden sich auf Sylt nicht signifikant von denen, die auf dem Festland an sie herangetragen werden. Weder im Business-Coaching noch im privaten Bereich. Als Ritterschlag erlebt es Bärbel Knochenhauer, zu einem Sylter Fachkreis zu gehören, in dem sich Insel-Therapeuten und Psychologen austauschen. „Das bedeutet ein hohes Maß an Wertschätzung für mich als Profi“, sagt sie mit ihrem warmen Lächeln. Ihre Familie liebt das Gastgeberbusiness: Ihr Mann Bernd war bis zu seiner Pensionierung Hoteldirektor im „Hotel Stadt Hamburg“. Alle drei Kinder haben sich in diesem Metier ausbilden lassen. Ihr Sohn Felix wird Gastgeber in der neuen „Sturmhaube“ – sobald sie 2021 in neuem Glanz erstrahlt. Und sie selbst kennt und liebt die Abläufe in der Branche bis heute. Darum berät sie auch besonders gern die Führungskräfte und die Teams in der Hotellerie und Gastronomie. Aber auch dort, wo sie die Branche nicht aus eigener Erfahrung kennt, ist sie schnell zuhause. Ihre Klientel sind über alle Metiers und die ganze Bundesrepublik verstreut.

Über Sylter Firmenchefs, die erkennen, wie wertvoll und letztlich auch erfolgreich es ist, „Feelgoodmanagement“ für die Mitarbeiter zu kultivieren, freut sie sich besonders. „Es gibt auf Sylt drei Unternehmen, die ihren Führungskräften ermöglichen, Einzel-Coachings bei mir wahrzunehmen, wann immer sie es brauchen. Das ist eine gute Investition in den Erfolg des Unternehmens.“ Was junge Menschen heute an ihrem Arbeitsplatz suchen, ist auf Sylt ihrer Beobachtung nach weder eine gradlinige Karriere noch das große Geld.

„Für die meisten jungen Leute steht die Erfüllung, die Qualität der Arbeit und ihres gesamten Lebens sowie das menschliche Miteinander im Team an vorderster Stelle.“ Eine gute Basis zu finden, um erfüllt zu leben, dabei hilft der Coach – manchmal reicht eine Sitzung oder ein einziger Workshop, damit ein Knoten platzen kann. Manchmal braucht der Prozess etwas länger.

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Beispiele für klassische CoachingMomente: + Entscheidungsthema: Gro-

ßer Karriereschritt oder lieber doch erst Familie. Eine junge, fachlich topfitte Frau hat die Möglichkeit zum Aufstieg und steht gleichzeitig vor der Frage der Familiengründung. Viele Fragen, viele Unsicherheiten. Wie könnte beides funktionieren? Ist das zu schaffen? Selbst-Einschätzung – Anforderungen – Selbst-Bewusstsein – gezielt erarbeiten.

+ Viel komplexer: Ein Unter-

nehmer möchte langsam aus seinem Betrieb aussteigen und die Firma in die Hände der nächsten Generation übergeben. Wie kann das gelingen, sodass alle an diesem Prozess Beteiligten sich wohl fühlen? Bärbel Knochenhauer liebt es, einen solchen Generationswechsel als Coach zu begleiten!

+

Im „Coaching-Salon“ ermöglicht Bärbel Knochenhauer Frauen, zu bestimmten Referenzthemen für kleines Geld ein Coaching wahrzunehmen. Auch hier ist Diskretion Trumpf. Termine und Infos dazu gibt es auf der Webseite.

Was macht der coach selbst, um Kraft zu tanken? Bärbel Knochenhauer lässt sich selbst coachen und bildet sich stetig fort. Eine Kraftquelle. Zudem sucht sie die Stille, das Alleinsein und das Zusammensein mit ihrer Familie, die Sylter Natur in all ihren Facetten, um in Balance zu sein. Als Coach auf einer Insel mit kleiner Einwohnerzahl hat sie das Glück, immer wieder spürbare Veränderungen ihrer Arbeit selbst zu erleben und rückgemeldet zu bekommen. „Erfolgreich und sinnhaft gearbeitet habe ich dann, wenn ich entbehrlich geworden bin. Das sind die besten Momente.“ Bärbel Knochenhauer Keitumer Chaussee 15 Tel. 0172 / 16 42 063 www.baerbel-knochenhauer.de

Jeder 5. Podcast unter den TOP 50 der entsprechenden deutschen Charts widmet sich dem Thema Coaching. In diesem Deutschlandfunk-Beitrag kann man sich einen Überblick verschaffen: www.deutschlandfunkkultur.de/

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MEINUNG // VON IMKE WEIN

SIND SYLTER EIGENTLICH

GLÜCKLICHER

ALS ANDERE menschen?

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Durchaus berechtigte Frage. Ich würde sagen „Jo. Wenn’s gut gemacht ist!“ Wenn wir uns früher sonntags mit einer Heerschar kleiner, blonder Inselkinder am Rantumer Rettungsschwimmerstand bei Kaffee, Kuchen und frisch gefangenen Makrelen tummelten, konnte man Strandgänger beobachten, die mit respektvollem Abstand stehen blieben, versunken in die Betrachtung dieses bunten Gelages. Ihre Gedanken waren laut: „Es scheint dem Paradies sehr nah, hier zu leben!“ Und sie hatten recht. Wenn man Sylt richtig lebt, dann ist es hier ein wenig wie Bullerbü in schillernd. Dörflich, nah, hilfsbereit, kantig, generös und in manchen Monaten auch echt weltläufig. Es gibt alles, was es da draußen gibt – nur in klein und konzentriert.

Manchmal erlebt man alle erdenklichen Wetterphänomene an einem Tag. Es gibt Doctores und Pastores, Schalter und Verwalter, Shops, Spinner, Spirituelle, Künstler, Geschäftsleute, kluge Menschen und Blödmänner, buntes Leben und Stille und natürlich die wunderbarste aller Naturen obendrauf. Natürlich streiten sich auch hier Paare und Politiker wie Kesselflicker um den rechten Weg. Es gibt Armut und Sucht, Spitzbuben, Ignoranten und Blödis – wie im wirklichen Leben. Und ja, der Horizont ist manchmal recht eng in all der Weite. Aber: Die Sylter Form der Gemeinschaft trägt, man kann sich einbringen und man kann sich auf sie verlassen. Sylt übers Jahr ist garantiert nichts für Warmduscher. Möchte man ankommen, braucht es Zeit und Großmut. Aber dann irgendwann ist es ein Zuhause, das man mit keinem Platz der Welt eintauschen möchte. Trotz aller und gerade wegen der ganzen Macken im Paradies.

Buchtipp: Gebrauchsanweisung für Sylt Silke von Bremen

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40 JAHRE CLUB

WHAT ABOUT

PARTY, PETER?

ALLES WAR PERFEKT GEPLANT

und hätte so schön sein können… Nach seinem rauschenden Motto-Fest zum 60. freute sich Peter, mit Stefan, Beate und dem ganzen Team Anfang 2020 wie Bolle auf den geplanten Party-Reigen zum 40. Clubjubiläum. Stattdessen gibt es jetzt nur ein großes Fragezeichen. Denn mit Stand von Ende Juni ist die konkrete Perspektive für das FeierBusiness noch immer nicht auf dem Tisch. „Ob im späten Sommer, im Herbst oder erst Ostern 2021 – keine Ahnung. Dass wir wieder aufmachen, ist das einzige, was ganz gewiss ist“, sagt die lebende Legende des Kampener Nachtlebens. Bis es soweit ist, überbrückt er die Zeit und arbeitet bei Beate im Kaamp Meren und nimmt reichlich Buchungen für 2021 als DJ in der ganzen Welt an. Denn keiner kann’s wie Peter. Hört doch mal…

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WIE'S FÜR PETER BEGANN: (PART 1)

In den späten 70er Jahren wurde aus einem braven Sohn ein Junger Wilder: Peter Kliem wuchs in durch und durch bürgerlichen Verhältnissen auf, entschied sich zunächst für eine Ausbildung zum Textilkaufmann. Doch er löste sich von den elterlichen Erwartungen, pflegte seine Liebe zu schwarzer Musik, trug wilde Mode.

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1979 lud ihn ein Freund zu einem

Kurztrip nach Kampen ein. Peter spürte sofort, dass dieser Ort für ihn die pure Magie war und der wilde, freilassende Spirit der Insel viel besser zu ihm passte als das Ambiente der Provinzhauptstadt Hannover. Er suchte und fand auf Sylt sein Glück, in dem er jede Chance ergriff, die sich ihm bot. Im „Walter’s Hof“ als Saisonkraft, als DJ in den Westerländer Nachtläden dieser Jahre – im „Crazy Island“, im „Nanu“…

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(PART 2) Kampens Gastro-Altmeister Rolf Seiche fand Peter „cool“ und ließ ihn im „Village“ an die Plattenteller, was aber beim ersten Versuch nicht von größtmöglichem Erfolg gekrönt war. Dafür aber der zweite Anlauf: Eine weitere Nachtleben-Lichtgestalt dieser Ära, Club-Gründer Wolfgang Strümpell, hatte ein Gespür dafür, welches Talent in Peter schlummerte, er holte ihn zu sich, gab ihm vom ersten Moment an jede Freiheit und viel Verantwortung. „Gleich in meiner ersten Nacht, es war Pfingsten 1982, tanzten die Leute auf den Tischen“, meint Peter über den Anfang einer legendären Zusammenarbeit. 1991 übernahm er den Laden zusammen mit Beate Stoltenberg. Auch schon ewig mit im Boot: Stefan Preuschoff, der am Club-Tresen für das exquisite Sortiment sorgt.

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Sei realistisch. Plane fĂźr ein Wunder. OSHO


https://naukejaschinski.de


TIPPS OHNE ENDE Große Events gibt’s im Sommer 2020 zwar nicht. Aber Langeweile auch nicht…

RUBRIK:

WISSE & ERFAHRE 130 Sylter Tipp-Tapas 136 Mit dem Guten verbinden Grüne Nachrichten & Komplimente

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ALLES ROSA ODER WAS? Statt düsterer Nachrichten gibt es bei uns ein volles Pfund schöner Komplimente an Sylt und seine Menschen...

Björn Nielsen Er wollte einen MontyPython-Film und bekam 12.000 Freunde. Die Erfolgsstory von „Gesucht-Gefunden-Sylt“

Kleine Anekdote

Zunächst stand bei den Tipps auf Seite 139 die Adresse www.café-wien.de für alle, die Sehnsucht nach süßen Drogen für zuhause haben. Dieser Link führte bis vor kurzem allerdings zu einem Bordell nach Löhne in Westfalen, das letzten Sommer aber offenbar abgebrannt ist. Die freundlichen Mitarbeiterinnen hatten die Sylter Post eigentlich immer gewohnheitsgemäß so nett und dienstbar nach Sylt umgeleitet. Schade eigentlich… das Leben schreibt eben die besten Geschichten.

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Was alles geht,

wenn nicht alles geht!

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Klar, die großen Veranstaltungen, Konzerte, Open Airs, Meerkabarett, InselCircus, das Tanzen in Diskos und Clubs, spontanes Knutschen mit dem Urlaubsflirt –

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Verbindet Eure Zeit auf Sylt mit einer Lernerfahrung. Wellen reiten oder meditieren, einen Bogen bauen, ausreiten, Natur erfahren, das Watt erkunden, Kräuterexpertin werden oder fasten. Hier die MAG-Lieblingsadressen für eine kleine Horizonterweiterung. Nicht gesponsert, sondern weil die Anbieter in ihrem Metier einfach absolute Pros sind.

ntnis Tiefere Erken uliche und sehr erba rechen p s r e v n e d n tu S en mit n io it d e p x E ie d en: Silke von Brem fsylt.de u a e id u .g w w w

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www.suedkap-surfing.de Surfen, windsurfen, wellenreiten, segeln – die ganze Range an Kursen, um Sport auf der Nordsee zu machen.

www.fastenwandern-sylt.de Eine Woche und man ist wie neu.


... für große & kleine all das geht im Sommer 2020 nicht. Und es nervt – bei allem Respekt. Ein wenig Inspiration für Eure „Weniger-ist-mehr-Sylt-Erfahrung“:

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www.erdbeerparadies-sylt.de Die achtsame Art, reiten zu lernen.

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www.naturschutz-sylt.de Ein Kräutergarten, eine spannende Ausstellung und viele Exkursionsangebote.

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... für die ganze familie

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www.naturgewalten-sylt.de Multimediales Museum für ein fundierteres Naturverständnis.

Was noch

prächtig funktioniert im sommer 2020: Abhärten und das Immunsystem boosten durch ein frühes Nordseebad – vor der ersten Tasse Tee oder Kaffee: einmal abtauchen irgendwo an der westlichen Syltkante

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www.sylt-wattwanderungen.de Die besten Anbieter für Wattwanderungen.

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www.youksakka.de Bogen bauen und schießen.

Sport draußen: Volleyball- und Beachballmatches am Strand – Netze gibt es in allen Orten

www.workshop-sylt.de Schmieden, tischlern, schnitzen, in die Natur ziehen.

Kultiviertes Cocktail trinken: Die MAG-Lieblingsspots sind das „Hardy’s“ im Hotel Stand Hamburg, die „Reiterbar“ im Hotel Rungholt, die Innenbar vom „Gogärtchen“ und die Bar vom „Hotel Miramar“

Spieleabende: on! Glotzen aller Art: off! Kniffel. Maumau, Werwolf, Monopoly, Activity, Siedler, Phase 10… um nur etwas Inspiration zu liefern! Gerne auch als richtig harten Wettbewerb mit Gewinnen ausgespielt

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PICKNICK

am meer – ein hochgenuss!

Es wird der Sommer des Picknicks!! Nirgendwo schmeckt gutes Essen besser als an Sylter Luft unter freiem Himmel.

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Das kultivierte Essen im Freien ist in der heutigen Form als kleines Happening seit dem 17. Jahrhundert in Adelskreise kultiviert worden und steht bis heute für eine wahrhaft erfrischende und gesellige Form des gemeinsamen Speisens. Die überaus praktischen Picknickkörbe haben sich die Engländer im 19. Jahrhundert einfallen lassen!

Deckt Euch im „Strænd“ in Hörnum mit Köstlichkeiten ein und rollt die Picknickdecke in Wassernähe aus! Direkt am Campingplatz-Strandübergang! www.straend-sylt.de

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Die Eintöpfe und Suppen von Maurice Morell (auf dem Parkplatz von Mylin in List) und die Kreationen von Franzi im „Eintopf“ in der Andreas-Nielsen-Straße vor „Edeka Gehrke“ in Westerland sind jeweils ein herrliches Stück Wohlgefühl im Bauch!


Das Buch zum Thema:

Picknick im Dunkeln Roman von Markus Orths

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Kleine Anekdote

Sushi ist einfach auch extrem Picknick-geeignet: In der „Shirobar“ gibt es die Highendvariante zum Mitnehmen. www.shirobar.de Auch gar nicht unlecker ist das Sushi vom Stand bei „Feinkost Meyer“ in Wenningstedt.

Da es für Kuchen und süße Köstlichkeiten kaum so herrliche Adressen gibt: Schön ein paar Törtchen aus dem „Café Wien“ entführen und mit ans Watt nehmen. Guter PicknickWatt-Strand: Zwischen Braderup und Munkmarsch. www.cafe-wien-sylt.de

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DIE MENSCH, SYLT! ROSA SEITEN

Soft News Komplimente

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Nachrichten aufzunehmen und zu verarbeiten, war in den letzten Monaten nichts für Weicheier. Viele von uns waren über lange Strecken schlichtweg überfordert von der Dynamik auf allen Kanälen. Man wünschte sich einen natürlichen Nachrichten-Filter, der dabei unterstützt, gut (im Sinne von gut recherchiert) von böse (im Sinne von blöd) zu unterscheiden. Was half, war ein selbst verhängter Info-Stopp oder das Einrichten eines persönlichen NewsSlots von einer halben Stunde täglich. Damit ging’s ganz gut. Aufgrund der vielen seelischen Schäden durch Negativ-Schlagzeilen-Überdosierung in CoronaTimes macht’s die Redaktion für das erste Mensch, Sylt! einfach so: kein Sterbenswörtchen davon, was auf unserer Insel alles schief läuft (davon gewiss mehr in der nächsten Ausgabe) und einfach nur Komplimente an die, denen Lob gerade jetzt besonders gebührt. Quasi: durch die rosa Brille betrachtet.

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Sam Beese

Moritz Luft

Der Chef der „Sylt Marketing Gesellschaft“ hat mit seinem Team in den letzten Monaten – nach innen wie nach außen – Unmögliches möglich gemacht: unterstützt, geholfen, gekämpft, kreiert und kommuniziert auf allen Kanälen und damit die Insel brillant durch die hohen Wogen der Sylter Quarantänezeit manövriert. www.sylt.de

Er ist nicht irgendein Trainer, er ist der Trainer des SC Norddörfer. Derjenige, der schon Generationen von Sylter Girls and Boys auf den richtigen Fußballpfad gebracht hat. Eine Autorität mit Ecken und Kanten. Einer der Orientierung bietet und Eltern durchaus polarisiert. „Tüddellütt“ – gibt’s bei ihm nicht. Wir glauben, ein Sam hilft. Gerade jetzt. Als im Juni auf dem Platz an der L24 zwischen Kampen und Wenningstedt wieder trainiert werden durfte, wurde wieder trainiert. Und Punkt – ohne ein Wort über „Corona“ zu verlieren. Sehr wohltuend für die Kinderseele.

es gibt blumen

für den, der sie

sehen will.

henri matisse

Eike Eis

„Aloha“ – skandiert sie zur Begrüßung statt nur ein schnödes „Moin“. Diese Frau – ein Geschenk: Wenn man wissen möchte, wie es funktioniert, am Leben ständig weiter zu wachsen, der sollte fünf Minuten mit der Spezialistin für hawaiianische Körperarbeit schnacken und wird garantiert diesen Tag mit frischem Lebensmut ergreifen.

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ich beroye nichts

Roy & Simone

Nicht zuletzt für textile Einzelhändler war der Beginn der Corona-Krise existentiell: Die frische Frühjahrsware war geliefert, aber kein Kunde weit und breit. Simone und Roy vom wunderbaren Fashion-Store in der Strandstraße blieben dabei immer fröhlich und entspannt und belieferten, sobald es ging, die Locals zuhause mit coolen Teilchen, die in aller Ruhe anprobiert werden konnten. Ein Luxus, den man eigentlich schwerlich missen möchte. www.roy-sylt.de

verbringe nicht die zeit mit der suche nach dem hindernis. vielleicht ist keines da. franz kafka Pastor Hartung

Die Sylter Lehrerschaft

Alle Menschen mit Kind waren in diesem Frühjahr nah, manchmal fast zu nah, dran an der schulischen Wirklichkeit des eigenen Nachwuchses. Dabei hat man bei dem ganzen Online-Gedöns dann ja unfreiwillig auch mal gelauscht. Und ich muss sagen, Hut ab! Unter den Umständen geht Unterricht und pädagogische Fürsorge nicht besser. Das Lob geht jetzt speziell an die Lehrer der 5g des Schulzentrums Westerland, gilt aber sicher für viele Pädagogen auf der Insel. 140 Mensch, sylt!

Er ist vor 35 Jahren offiziell als Morsumer Pastor in den Ruhestand gegangen und heute verkündet er immer noch Gottes Wort – mit einer Klarheit und einer Energie, die ihresgleichen suchen. Wer Pastor Jochim Hartung live erleben möchte – regelmäßig in Vertretung von Rainer Chinnow in der Friesenkapelle. friesenkapelle.de


Felicitas Sehlert

Die Liebe zählt: Auf Sylt gibt es eine großartige vielfältige Yoga-Szene. Und alle Lehrerinnen haben ihre besondere Note. Für ihr Können, ihre Leidenschaft und Herzenswärme bekommt jetzt mal Felicitas Sehlert ein dickes Kompliment. Facebook-Gruppe: Yoga auf Sylt

Der Hofladen in Braderup

Petra Stahl

Sie steht auf natürliche Schönheit und hat goldene Hände. Doch die Listerin sorgt nicht nur für das ganzheitliche Wohlgefühl ihrer Kundinnen und Kunden, sondern ist auch noch eine sehr toughe Geschäftsfrau. Mit der eigenen Produktserie „syltsea“ und ihrem wunderbaren „Hafenspa“ wurde sie völlig zurecht in ihrer Branche mit den höchsten Würden ausgezeichnet. www.hafenspa.de

Wenn man mit allen Sinnen erfahren möchte, wie gut es tut, sich mit gesunden Nahrungsmitteln zu versorgen: Gemüse und Obst shoppen, Erdbeeren selber pflücken (im Juni und Juli), Brot und Eier kaufen und eine Runde mit den Landwirten schnacken. Immer Di. und Fr. von 10 bis 17 Uhr im Braderuper Erdbeerparadies.

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Danke,

Nann Nauke Jaschinski

Der kochende Superfotograf Wer die Landschaftsfotos in dieser MAG Ausgabe mag: Ihr seid nicht allein. Nann Nauke Jaschinki (22), der Sohn der Eiche-Wirte in Tinnum, fängt traumhafte Inselmomente mit einem Look ein, der bezaubernd und gleichzeitig modern ist. Als wir den Sylter „Dschung“ das letzte Mal intensiv sprachen, war er in der Ausbildung zum Fotografen bei Foto Mager in Tinnum. Seitdem haben wir viele unserer Projekte mit seinen Bildern gekrönt, aber selten eingehend geklönt.

gibt zu, dass es für einen Freigeist wie ihn nicht immer leicht ist, mit den strengen Hierarchien und Gesetzmäßigkeiten in der Edelhotelerie umzugehen. „Aber man wächst ja mit den Herausforderungen“, sagt der Nachwuchskönner unter den Sylter Landschaftsfotografen. Dieser Passion widmet sich Nann Nauke natürlich weiterhin. Auf seinen Reisen und wenn er zuhause auf Sylt durch die Natur streift. „Für den Fotografen war die Corona-Quarantäne auf Sylt natürlich eine Eldorado – ohne jede Fußspur im Sand…“

Nun war die Überraschung groß, als er erzählte, dass er in Hamburg bei „Louis C. Jacob“ an der Elbe eine Ausbildung zum Koch absolviert. „Ich komme garantiert zurück nach Sylt – irgendwann. Das ist mein Zuhause. Aber ich brauche noch ein paar Jahre Stadt. Und die Geschichte mit der Kocherei war für mich noch offen“, meint der Spross seiner Gastro-Familie. „Wenn schon, denn schon“, dachte sich Nann Nauke und heuerte darum als Azubi gleich bei einem richtig renommierten Haus an. Er

Seine grandiosen Landschaftsmotive hat er uns übrigens „auf lau“ zur Verfügung gestellt, weil er Spaß hat an diesem Projekt. Danke, lieber Nann Nauke! https://naukejaschinski.de

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Die Kurve in Wenningstedt

Sylt braucht Individuelles, Unvergleichliches, Junges, Schräges. In diesem Sinne ist der Lieblingsort des Mensch, Sylt! im Sommer 2020 die Kurve von Braderup. Hier sorgt das gleichnamige Café und die Galerie Sewing-Delius für genau das, was wir lieben.

Island Voices

Chöre durften im frühen Sommer noch nicht so richtig wieder ihrer Berufung folgen. Nur draußen. Diejenigen, die sofort mit dem Proben wieder losgelegt haben, waren die Sängerinnen und Sänger des Sylter Gospelchors. Ab nach Morsum und los geht’s: Mitten auf der Wiese zu gospeln, ist sicher eine Riesenfreude.

Kompliment für Hörnum

Wenn man als Sylter mal einen Ferientag einlegt, ist Hörnum der Knaller: Wassersportmöglichkeiten ohne Ende, Strände, die nie überfüllt sind, Idylle rund um den Leuchtturm, ein Golfclub, der gerade als der beliebteste Deutschlands gekürt wurde und spannende GastroSpots (Möllers Anker // Café Lund // Straend und die Restaurants des Hotel Budersand).

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Gruppenbild mit Damen: Der Vorstand des Fördervereins und Admins in Personalunion

Vorne v.l.n.r: Achim Krause, Anke Nielsen, Heike Kulk, Conny Timm Hinten v.l.n.r: BJÖRN NIELSEN, Wolfgang Rolke (ausgeschieden), Andre Kennel (ausgeschieden), Markus Gieppner

Das fette Kompliment geht an…

Björn Nielsen und die Facebook-Gruppe „Gesucht-Gefunden-Sylt“ Wer hätte gedacht, dass „Das Leben des Brian“ auf Sylt eine Riesensache lostritt. Na ja, eigentlich war es eher die Abwesenheit des legendären Monty-Python-Films, die vor bald zehn Jahren dafür sorgte, dass Sylter sich heute noch mehr unterstützen als möglicherweise jemals zuvor in der langen Insel-Tradition. Damals wollte der Morsumer Björn Nielsen den Film seinen Kindern Janina und Jannik zeigen. Der Klassiker des absurden Humors war allerdings nirgends zu ergattern. „Ich war damals gerade neu auf 144 Mensch, sylt!

Facebook und dachte: Frag’ ich doch mal da.“ Gesagt getan. Der Ur-Sylter und damals Leiter der technischen Abteilung bei H.B. Jensen hatte das Gesuch bei seinen 100 FacebookFreunden soeben kundge-

tan und – schwupps – gab’s gleich zwei DVDs mit dem gewünschten Inhalt. Der Film selbst enttäuschte dann zwar die Nielsens, weil sich Humor-Geschmack offenbar im Laufe eines Lebens verändert und Kinder zudem ganz andere Dinge witzig finden. Was aber aus dieser kleinen Begebenheit entstand, das ist wirklich bemerkenswert. Der Beginn einer Erfolgsstory.


InselSolidarität wie aus dem Bilderbuch

Und die geht so: Der technisch von Berufswegen sehr patente Björn eröffnete einen Account mit dem Namen „Gesucht-Gefunden Sylt“. Die Idee: Nachbarschaftliche Hilfe ins Digitale zu heben, um sich damit insular im wirklichen Leben schneller und unkomplizierter helfen und unterstützen zu können. „Was mit einem Film geht, funktioniert auch mit ganz anderen Sachen. Das Gute, was Facebook an Möglichkeiten bietet zum Wohle aller nutzen,

war das Ziel“, bringt Björn Nielsen die Sache auf den Punkt. Kurzum: Das Ganze ging durch die Decke. Schnell waren es 1.700 Sylter und Pendler, die die Plattform nutzten. Dann meldete sich Facebook und erinnerte, dass ein privater Account für diesen Zweck gar nicht vorgesehen sei. „Anfängerfehler. Ich habe dann

gemeinsam aufgespürt, SpülmaschinenunterbauSchränke gesucht und gefunden, nach Öffnungszeiten gefragt. Jeden Tag sind es eine Vielzahl von Posts und die Gruppe wächst beständig. „Der Knigge für die Gruppe stand vom ersten Moment. Wir sind kein Forum für Kommerz, für Meinungsäußerung oder gar für Diffamierung. Hier geht es ausschließlich da-

Einen Film gesucht – 12.000 Freunde gefunden. Die Story einer Sylter

Facebookgruppe

händisch alle Teilnehmer in eine echte Gruppe übertragen. Na ja, und die gibt es ja heute noch“, sagt der Sylter Facebook-Gruppenpionier trocken und mit diesem verschmitzten Björn-Nielsen Grinsen. 11.843 Mitglieder sind es (mit Stand vom 24. Juni). Mal werden Kunststoffkleiderbügel abgegeben, mal ein ausgebüxter Hund

rum, einander zu helfen. Das ist ein cleaner Raum und wir sind nett miteinander“, sagt Björn im wunderbaren Grün seines Gartens mit allem Nachdruck. Für ihre eindeutigen Konventionen ist die Gruppe bekannt. Gerade am Anfang musste der Boss auch damit leben, dass er für seine eindeutige Haltung angepflaumt wurde. In

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einer Stunde am Tag. Ehrenamtlich versteht sich. „Vieles geht inzwischen auch wie von selbst. Ich habe in den zehn Jahren zweimal versucht Facebook-Ferien zu machen – das hat jedoch nur so mittelgut geklappt“, gibt Björn. Hauptberuflich sorgt er heute bei Firma „Klein“ für die Logistik. Björns Familie duldet seine digitalen Aktivitäten und ist auch ein wenig stolz auf dieses Engagement. Im Grunde zieht er das wirkliche Leben auch dem Virtuellen vor.

zwischen haben sich Björn und seine Mit-Admins (aktuell ein sechsköpfiges, sehr eng verzahntes Team) ihre Community gut erzogen. Strenge im Sinne der Sache, heißt die Prämisse. Für alle kommerziellen Angelegenheiten, für Verkäufe und fürs Meckern gibt es inzwischen andere Gruppen mit anderen Administratoren. Der Erfolg von „gesucht-gefunden“ auf Sylt sucht seinesgleichen, hat überall Nachahmer gefunden, funktioniert aber eben wegen der Insellage, dem klar umrissenen Raum, so perfekt. 146 Mensch, sylt!

Nicht jeder wird per se in die Community aufgenommen. Die Statuten sind da eindeutig. Es wird geprüft, ob der Anwärter wirklich auf der Insel wohnt, Sylter ist oder zur Gruppe der Pendler gehört. „Das lässt sich ganz schnell anhand des Profils nachvollziehen“, weiß der erfahrene Björn. Ganz schnell kümmern er und sein Team sich alle Tage um die wichtigen Belange der Gruppe, löschen unangemessene Posts, kommunizieren mit Gruppenmitgliedern, planen Aktionen. Zwischen einer halben und

Apropos wirkliches Leben: Dagmar Clausen war es, die vor vielen Jahren das Schicksal des Hundes Joy in die Gruppe stellte: „Kaputte Schulter. Die Hündin hätte eingeschläfert werden müssen. Eine Operation würde 1.700€ kosten“, fasst Björn die Angelegenheit zusammen. Kaum veröffentlicht, meldeten sich spendenbereite Gruppenmitglieder. Die Summe für die OP war schnell gesammelt. Der Hund wurde gesund und bekam auch ein neues Herrchen. „Blöd war nur, dass die Spenden auf mein privates Konto gingen. Das fühlte sich nicht gut an.


Die schönste Seite von Facebook: Ohne Ende hilfreich im wirklichen Leben. Die Dimension, Sinnvolles mit der Gruppe zu bewegen, war toll, aber ich wollte nicht, dass es nachher heißt: ,Der Nielsen bereichert sich’“. Mehr als verständlich. Und so wurde vor fünf Jahren kurzerhand der Förderverein zur Gruppe gegründet, der inzwischen rund eine Viertel Million Euro für den guten Zweck bewegt hat. Der Verein hilft segensreichen Sylter Institutionen und Menschen in Notlage. Undogmatisch und originell auch die regelmäßigen Aktionen des Vereins: Das „Spendenbowling“

zum Beispiel oder der Kartoffelverkauf auf dem Hof von Morsums Bauer Henning Hoffmann sind legendär, gesellig noch dazu gut für die Vereinskasse. Unvergessen für Björn ist die DKMS-Aktion für den Leukämie kranken Sylter Jungen Berat. Die Mitstreiter der Gruppe halfen 2013 dabei, eine breite Typisierungsaktion mit zu organisieren und zu finanzieren. Auch Johannes B. Kerner und der FC Bayern waren mit Spenden sofort am Start, als Björn um Hilfe bat. 1.250 Sylter und Gäste konnten damals ty-

pisiert werden, um Berat die lebensrettende Knochenmarkspende zu ermöglichen. Grandios auch der über die Gruppe und den Verein schnell ermöglichte Umzug einer Sylter Künstlerin in eine behindertengerechte Wohnung oder… Es würde sich inzwischen lohnen für diese Gruppe eine Chronik der guten Taten zu verfassen – mit all den schönen Geschichten. Björn Nielsen könnte stundenlang erzählen. Er mag, was aus der Abwesenheit eines Monty-Python-Films entstanden ist. Unvorhersehbar, immer spannend und mit wunderbaren Nebenwirkungen. Sylt und seine Menschen von ihrer besten Seite. Chapeau!

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LIEBLINGSSPRUCH DES SOMMERS:

How to have a Beach-Body: 1. Have a Body 2. Go to the beach!

Mensch,

SYLT!

In diesem Sinne: Genießt den Sommer mit allem, was geht.

Die nächste Ausgabe des Mensch, Sylt! erscheint im Herbst 2020. Hoffentlich gefällt Euch diese digitale Sylt Illustrierte. Schreibt uns doch mal, was Ihr so lesen wollt! post@mensch-sylt.de Das wünschen sich Anja Buchholz und Imke Wein 148 Mensch, sylt!


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