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Altmeister Werner Rudi
from Mensch, Sylt!
DER PERFEKTE MOMENT FÜR EIN NEUES IMAGE
MEINUNG // AUTOR: WERNER RUDI
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Mit einem zweirädrigen Donnervogel über die Insel cruisen, sich in den Dünen mit einer blonden – blond war Pflicht! – Maid niederlassen und alles andere der Phantasie anderer überlassen. Champagner-Fontänen auf knappe Blusen prickeln, Konventionen lässig lächerlich machen – so wurde ein äußerst haltbares Image gepuzzelt.
Sylt manirierte sich zu einer Art „Île de la Liberté“ des Nordens. Bauherr des schönen Sylter Seins, das die so bewunderten, die irgendwo im schnöden Sein feststeckten, war Gunter Sachs. „Ich fühle mich hier ein bisschen wie ein Affe im Zoo – mit lieben Besuchern“, befand der Unternehmer, Dokumentarfilmer, Kunstsammler, Astrologieforscher. Und Playboy.
Playboy. Dieser Begriff ist heute ungefähr so sexy wie Weißwandreifen. Und das SachsAppeal ungefähr so hip wie Flower Power. Wir strapazieren es – versprochen – ein letztes Mal: „Die Insel der Reichen und Schönen“.
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So ein Image kann eine Insel locker verkraften, die reich an Schönem ist. Die Natur im Überfluss bietet, stille Ecken, kilometerlange Strände, mystische Stimmungen, Romantik und Rummel, verkurvte Wege und Stege, Kuschelecken für zwei und Tummelplätze für Massen, bei denen Urlaubs-Vereinsamung suizidale Reflexe provozieren könnte.
Indes: Die Insel ist längst reif für ein neues, ein frisches, ein zeitgemäßes Image. Sylt ist nah und nachhaltig – man muss nicht in die Ferne jetten, um auf einem Sandknust voller Exotik zu landen. Man kann mit dem Auto anreisen und es dann wochenlang stilllegen. Oder mit dem Flieger einschweben und den gewaltigen CO2-Fußabdruck im Urlaub durch MuskelMobilität schrumpfen lassen. Sylt mit dem Fahrrad ist eine Überraschungstour, die zu unzähligen Abzweigungen ins Unbekannte verleitet. Sylt ist Dauer-Reha von urbanem Lärm, das Gekreische der Möwen Medizin fürs überreizte Ohr.
Sylt ist Staunen – da wandern Dünen, da johlen junge Piraten, da verschwindet das Meer und taucht nach sechs Stunden wieder auf, da kann man vor Hörnum nach Sansibar abbiegen, da gibt es Körbe mit Sitzgelegenheit, da muss der Urlauber zur Schicht, denn gegessen wird mit zweifacher Belegung. In Corona-Zeiten wird der erste Turn schon um 17:30 Uhr an den Tisch zitiert.
Für den einen ist ein Unmaß an Genuss das Schlürfen der Lister Auster, für den anderen der Singsang der Vogelschwärme im Rantum-Becken, und manche sind beseelt von der Nacht, die mit Schädelbrummen und einem leisen „Moin“ den Morgen begrüßt. Sterne-Küche und Matjes auf die Hand oder Döner am Strand – wie es euch gefällt. Einer ist vernarrt in das Open-Air-Kino beim Sonnenuntergang, beperlt von Prosecco oder beploppt von Flens, andere macht der zarte Geruch der Sylter Heckenrose urlaubshigh.
Sylt ist klar und verplüscht, hat überall Horizonte und immer einen Notausgang aus dem Mainstream. Elegant und spießig, Campingplatz und FünfSterne-Plus-Suite, wildes Meer, mildes Watt, mal Riviera, mal schroffes Schottland. Kontraste adeln die Insel mit der aufreizend schmalen Taille zur Königin der Nordsee. Die auch der Masse – wenn es eng wird – stille Momente garantiert.
Bisschen achtsam sein, bisschen anti-egoman, bisschen respektvoll, bisschen solidarisch und bitte so distanziert wie nötig – ob die verordneten Tugenden der Corona-Zeit sich auch in einer neuen, non-epidemischen Zeitrechnung retten können? „Rücksicht ist das neue Rock ‘n’ Roll“, findet die „Zeit“. Yeah, let´s dance!
In was für eine Zeit sie uns wohl führt, diese hektisch-virulente Zeitreise? Die digitale Diät beginnen wir schon mal. Das Immermehr wird kalorienreduziert. Das Ich-Ich-Ich verbuddeln wir. Da arbeiten wir im Team mit unseren Kindern. Plastikfrei ist gebongt und das Beutelchen für Struppi immer dabei.
Trotz aller Wirrologen und Pfingst-Ochsen: Sylt bleibt ein Sehnsuchtsort. Wenn sich heimlich ein paar Schöne und Reiche in dieses betagte und putzmuntere Idyll schmuggeln – was soll‘s? Sind doch ganz liebe Besucher.
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ZUM AUTOREN:
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Werner Rudi ist ein journalistischer Tausendsassa. Im Springer-Verlag brachte er schon in den 80er Jahren mehrere bis heute erfolgreiche Zeitungs- und Magazinprojekte auf den Weg. Als er mit seiner Familie nach Sylt zog, brachte er u.a. die „PRO KAMPEN“ – das Kampener Ortsmagazin mit streng journalistischem Anspruch – auf den Weg. Seit wenigen Jahren kümmert Werner Rudi sich hauptsächlich um seinen Lieblingssport, klappt den Computer nur noch selten auf und macht als Vorsitzender des Kampener Golf-Clubs und Geschäftsführer des Hörnumer Grüns einen grandiosen Job. Dass er für das Mensch, Sylt! eine Kolumne verfasste und mal gedanklich dem beinharten Sylter Image nachspürte, ist uns eine große Ehre.