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MIT DEM MEISTER DER AROMEN AUF EXKURSION

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Sylter Tipp-Tapas

Sylter Tipp-Tapas

Johannes, der Kräuter-König

Seit der Mensch als Jäger und Sammler über den Erdball streifte, weiß er um die Wirkung und den Geschmack von all dem kleinen Grün, das allerorts aus dem Boden sprießt. Johannes King hat die Kunst, heimische Kräuter stilgebend in seine Kochkunst zu integrieren, vor 18 Jahren entdeckt. „Da traf ich auf Maria“, erzählt der Meister fröhlich, als wir uns an einem Samstagnachmittag im Mai in den Archsumer Wiesen auf die Jagd begeben.

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Man weiß gar nicht, mit welchem Thema man zuerst loslegen möchte. Die Kräutersuche gerät schnell zur Nebensache. Denn Johannes ist ein hinreißender Gesprächspartner. Wie er die Robinson-Crusoe-Zeit auf Sylt genutzt hat? Welche Ideen ihm gekommen sind? Was in seinem Laden in Zukunft ganz anders sein wird? Wer Maria denn nun eigentlich ist? Fragen über Fragen.

Fangen wir mit mit Maria an, das ist am Naheliegendsten, während wir hier am Wiesenrand nach Gundermann, Wilder Möhre, Spitzwegerich und Knoblauchrauke auf die Pirsch gehen. „Maria ist eine echte Kräuterhexe und sie hat mir ihr ganzes Wissen über das geschenkt, was auf Sylt in den Dünen, in den Salzwiesen, auf Marsch- und Geestland gedeiht“, erzählt Johannes mit dieser Art, die das innige Gefühl und den großen Respekt vor dem Menschen gleich mit transportiert. Maria Schierz kommt aus dem Schwarzwald, lebte lange auf Sylt, inzwischen nicht mehr. Aber Johannes und sie sind in Kontakt. Gerade ist das gemeinsame Projekt „Kräuterfibel“ in der Pipeline.

Johannes, der Koch-Avantgardist, der in der wiedervereinigten Hauptstadt der 90er für kulinarische Furore sorgte, begann sich auch in seinem neuen Wirkungskreis auf der Nordseeinsel tief mit dem zu verbinden, was diesen Kos mos ausmacht. So lässt er in den letzten zwei Jahrzehnten auch all die exzellenten Aromen aus der Sylter Natur in seine Kreationen einfließen, adelt und ehrt sie durch diesen Prozess.

Maria vermittelte das Wissen, Johannes erlernte das Suchen und Finden von Kräutern, essbaren Wildblumen, Beeren und Blüten. Er kultivierte diverse Naturgeschenke fortan auch selbst, zunächst auf einem Hof in Morsum („Marschboden – da wächst alles ganz herrlich!“), inzwischen in den Beeten hinter seinem Haus in Keitum. Mit der Gabe, die Natur, die Jahreszeit, ja sogar die Stimmung der Natur auf den Teller zu holen, ist er auf weite Sicht unerreicht. Dabei bedient er sich natürlich auch der Produkte aus anderen europäischen Regionen, um den geschmacklichen Horizont der Genießer weit machen zu können. Ob es der Trüffel aus dem Périgord ist oder die Poularde aus dem Elsass, wo sie so lebte, wie es für Federvieh sein soll, wenn man es ernst nimmt. Im Kreislauf der Natur zu kochen, ist das Credo. Solange mit Produkten zu experimentieren, bis man ihnen ihren geschmacklichen Höhepunkt entlockt, ebenfalls.

„Ich bin ja auf einem Selbstversorgerhof mit ganz vielen Geschwistern groß geworden. Das ist es natürlich bei mir tief verankert, das, was die Natur schenkt, zum richtigen Zeitpunkt zu nutzen“, erläutert Johannes King, den Ursprung dessen, was ihn tief geprägt hat.

Die Natur ist sein Kraftort, dort, wo man das ganze Rauschen der Welt vergisst und für einen Moment nur da ist, nirgendwo anders.

Zu dem botanischen Wissen und dem guten Gespür für die richtigen Standorte kam bei ihm natürlich deutlich die Fähigkeit, aus der jeweiligen Pflanzenart das Beste herauszuholen und sie perfekt zu kombinieren. „Mich hat bislang vor allem der kulinarische Aspekt fasziniert. Die Heilwirkung der Kräuter und Beeren mit einzubeziehen, könnte vielleicht auch noch mal eine spannende Perspektive sein“, plant der Meister des Grüns. Oft werden seine natürlich Funde – je nach Intention – in andere Aggregatzuständen überführt, zu Jus, Ölen, Marinaden, Säften, Marmeladen verarbeitet oder vakuumiert, entsaftet, gefrostet, geröstet, geräuchert.

AUS DEM KRÄUTERGARTEN

Wenn Johannes beginnt, in die Feinheiten seines Handwerks abzutauchen, ist kein Halten. „Kannst Du Dir das vorstellen? Allein aus den Blättern der Rosa Rugosa, der gemeinen Sylter Kartoffelrose, entwickeln wir zehn verschiedene Produkte – vom Sorbet bis zur Marmelade“, sagt der Unermüdliche. Dann schwärmt er von den vielfältigen Gaben des Holunderbusches, der Eberesche, der Brombeere, der Fichtensprossen und manch anderer Sylter Gewächse, die vor allem im Frühjahr und dann wieder im Herbst darauf warten, verarbeitet zu werden. Es sei denn, man hat sie eingefroren oder anders haltbar gemacht. Inseldüfte, Schwingungen, Stimmungen kommen so immer anders auf den Teller.

Während sich seine Tupperboxen mit frühlingsgrünen Köstlichkeiten füllen, berichtet der Mann mit dem markanten Profil von dem Privileg, so zu arbeiten, wie er es heute tut. „Mit unendlich wissensdurstigen jungen Leuten, mit Restaurantchefin Bärbel Ring und meinem Küchenchef Jan-Phillip Berner, die mir alle auch die Freiheit schenken, noch mehr Gastgeber sein zu können, strategisch und logistisch zu arbeiten und Freiräume für andere Projekte zu haben“, sagt der King dankbar. Denn heute hat sein Job immer noch alchimistische Aspekte, aber er ist eben auch Chef einer logistisch perfekt funktionierenden Produktionsstätte.

Gerne beschreibt er auf dem schnurgeraden Wiesenweg parallel zum Deich, was die Wochen der Sylter Quarantäne mit ihm gemacht haben. „Natürlich gibt es auch Facetten des Ganzen, die graue Haare sprießen lassen“, gesteht er, plötzlich sehr ernst. „Ich habe die Verantwortung für 60 Mitarbeiter…“, fügt er hinzu und was das in ganzer Konsequenz nach einer zweimonatigen Phase ohne Gäste bedeutet, das kann sich jeder ausmalen.

Aber dann findet er mitten auf einer Wiese besten Portulak und die Sorge weicht im selben Moment der Zuversicht. Johannes berichtet über all die Schaffenskraft, die durch den Break bei ihm und seinen Mitarbeitern freigeworden ist. Er habe es zutiefst genossen, die Zeit zu haben, jeden Tag mit seiner Frau Selina zu frühstücken und abends am Tisch zu sitzen und jede Fahrt von Keitum durch die Wiesen nach Rantum mit dem E-Bike zu machen. „Bis Ostern habe ich zunächst allen frei gegeben. Die Kraft der einsamen Natur haben wir wohl alle intensiv in uns aufgenommen. Es war wunderbar zu sehen, wie alle erfrischt, resetet, gebräunt und voller Elan wieder in den Betrieb kamen.“ Diese Kraft mit in die Ära der Inselöffnung zu nehmen, gehört zu Johannes wichtigen Vorsätzen. Im Söl’ring Hof wurden in den Zeiten der Isolation alle Prozesse neu aufgesetzt, neu durchdacht und Elemente der bewährten Philosophie frisch ergriffen. „Besonders beeindruckt haben mich unsere Azubis. Sie haben ungeahnt viel Verantwortung bekommen und sind damit über sich hinausgewachsen.“

Das beste Projekt für besondere Zeiten: Küchenchef Jan-Phillip entwickelte das Konzept „Kantine“ mit veredelten Hausmannsgerichten, und so wurde in Corona-Times für die Insulaner gekocht. Über 100 Essen gab das Team unter Einhaltung aller Abstandspflichten an den Wochenenden aus. Ganz neue Frühstücksboxen wurden in die Welt verschickt, der OnlineHandel mit King-Produkten lief hervorragend.

Im Übergang zur neuen Normalität möchte Johannes mit seinem Team mehr Bewusstheit etablieren.

„Beim Frühstück im Hotel gibt es zukünftig nicht immer alles, sondern bestimmte Kreationen an bestimmten Wochentagen. Das erhöht die Freude daran und spart Ressourcen“, ist sich der Meister sicher. Denn neben der einzigartigen Güte der Kreationen aus seinem Haus, geht es ja auch immer ein wenig darum, eine Lebenshaltung weiterzugeben. „Was für ein Geschenk es ist – hier leben und genießen zu dürfen“, sagt Johannes voller Demut und jetzt ab an den Schreibtisch. Denn eigentlich ist Bürotag.

Über 100 wilde Kräuterarten, Blüten und Beeren schenkt die Sylter Natur im Jahreslauf für Kochtopf und Hausapotheke. Aber das exzellente Wissen um die wunderbaren Pflanzen und ihre Verwendung ist gerade in diesem Fall elementar.

Tolle Kräuterwanderungen bietet auf Sylt Angela Neumann an: Tel. 0177/4567649

Online bestellen, reservieren und alles Wissenswerte über den Kingschen Kosmos gibt es hier: www.soelring-hof.de www.johannesking.de

Knigge für die Kräuterjagd

* Nicht eine Pflanze komplett abernten, sondern rücksichtsvoll sein gegenüber Natur und anderen Menschen. * Sich immer hübsch bedanken bei der Pflanze – das ist auch gut fürs Karma! * Anfänger sollten mit wenigen Arten anfangen, die sie eindeutig bestimmen können. * Das Repertoire langsam erweitern. * www.kraeuter-buch.de gibt eine schöne Übersicht * Die Apps „PlantNet“ und „Flora Incognita“ helfen beim Identifizieren

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