Arbeiterbewegung und erster Weltkrieg

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ARBEITERBEWEGUNG

UN D ERSTER WELTKRIEG

ARBEITERBEWEGUNG

UN D ERSTER WELTKRI EG

EINE AUSSTELLUNG DES ARCHIVS DER MÜNCHNER ARBEITERBEWEGUNG PROJE KT GR UPPE ERST E R WE LT KRI E G LEI T UNG: PROF. DR. LUDWI G EI BER PROJEKTGRUPPE: DR. DES. BERNWARD ANTON, URSULA BR UNNER, EVA DITTRICH, VERA-MARIA GIEHLER, DR. WOLFGANG HUBIG, WOLF-DIETER KRÄMER, WOLFGANG KUCERA, BIRGIT MÜHLDORFER, BERND SCHRÖDER, MICHAEL WITTMANN FAHNENTEXTE: DR. DES. BERNWARD ANTON, PROF. DR. LUDWIG EIBER, WOLFGANG KUCERA BIOGRAFIEN: TEXTE: PROJEKTGRUPPE GESTALTUNG: WOLFGANG KUCERA GESTALTUNG FAHNEN UND PLAKAT: SANDRA TAM AS, GRAFI K ARCHIV DER MÜNCHNER ARBEITERBEWEGUNG EBENBÖCKSTR. 11, 81241 MÜNCHEN TEL. 089/ 834 46 83 UND 70 93 94 86 WWW. ARBEI T E RARCHI V. DE


SOZIALD E MOK RATISCHE ARBEITERBEWEGUNG

Die Arbeiterschaft blieb im Kaiserreich benachteiligt. Der Aufstieg in höhere Positionen war für Arbeiter weitgehend ausgeschlossen. Der größte Teil der Arbeiterschaft war unorganisiert. Viele schlossen sich der sozialdemokratischen Bewegung an. Daneben gab es noch christliche, liberale und andere Organisationen. Die sozialdemokratische Arbeiterbewegung gründete sich auf vier Säulen: Die Sozialdemokratische Partei, die Freien Gewerkschaften, Produktions- und Konsumgenossenschaften sowie Arbeitervereine. Sie umfassten den größten Teil der organisierten Arbeiterschaft. Sie begleiteten die Arbeiter von der„Wiege bis zur Bahre“. Sie schufen ein eigenes Milieu, das sich als Gegenmodell zur bürgerlichen Gesellschaft verstand, aber deren Denkstrukturen verhaftet blieb.

Die Anhänger der Sozialdemokratie sahen ihre Zukunft in einer eigenständigen Interessenvertretung und im Endziel „Sozialismus“. Schon im Parteiprogramm von 1891 zeigte sich das Dilemma der SPD: Einerseits befürwortete sie den pragmatischen Kampf um soziale Verbesserungen, andererseits lehnte sie die bestehende Gesellschaftsordnung grundsätzlich ab. Ihr wurde der Sozialismus als abstrakte Zukunftsverheißung entgegen gestellt. Das Spannungsverhältnis zwischen beiden Polen bestimmte die parteiinterne Debatte. Bei den Reichstagswahlen 1912 wurde die SPD auf Reichsebene mit rd. 35% stärkste Partei. Dennoch wurde sie im Kaiserreich von Machtpositionen fern gehalten, dies galt auch für Bayern. Hier waren die Gewerkschaften und die Mehrheit der SPD schon lange vor

Die sozialdemokratische Arbeiterbewegung strebte nach einer Gesellschaftsordnung, in der die Ideale der Französischen Revolution, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, verwirklicht werden. Die „8“ verweist auf das Ziel Achtstundentag, üblich waren damals tägliche Arbeitszeiten von 10 Stunden und mehr, 6 Tage die Woche.

1914 reformistisch orientiert und zur Mitarbeit innerhalb der bestehenden Verhältnisse bereit. Die zunehmenden sozialdemokratischen Wahlerfolge nach der Jahrhundertwende und der Ausbau der Partei- und Gewerkschaftsorganisationen führten zunehmend zur Bürokratisierung und zu einer Bewahrungsmentalität.

Bildpostkarte der Arbeiterbewegung um 1900 Archiv der Münchner Arbeiterbewegung

Darüber geriet die „sozialistische Zukunftsgesellschaft“ mehr und mehr aus dem Blick. Damit einher ging der weitgehende Verzicht auf die Forderung nach grundlegenden gesellschaftlichen Veränderungen. Der Anspruch, im Rahmen der bestehenden Ordnung anerkannt zu werden, trat immer mehr in den Vordergrund. Der linke, revolutionär gesinnte Flügel blieb in der Minderheit.

Das Fernziel war der Sozialismus als Zukunftsverheißung. Bildpostkarte der Arbeiterbewegung um 1900 Archiv der Münchner Arbeiterbewegung

DIE VIER SÄULEN DER ARBEITERBEWEGUNG Das 1912 errichtete Gewerkschaftshaus in der Pestalozzistraße war der zentrale Ort der Münchner Arbeiterbewegung. Es war Ausdruck für das Selbstbewusstsein der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung. Hier befanden sich Versammlungsräume, das Arbeitersekretariat sowie Büros der Gewerkschaften und der SPD. Gewerkschaftshaus in der Pestalozzistraße, um 1913 Archiv der Münchner Arbeiterbewegung

SOZIALDEMOKRATISCHE PARTEI

Die SPD erreichte bei den Landtagswahlen in Bayern knapp 20% der Stimmen und stellte 30 Abgeordnete. In München hielt sie mit Unterstützung der Liberalen die beiden Reichstagssitze. Bei den Gemeindewahlen in München waren von 645.000 Einwohnern gerade 47.000 stimmberechtigt. 32.600 wählten, davon 12.500 (gut 38%) die SPD und machten sie zur stärksten Kraft im Rathaus. Die Abgeordneten der SPD im Bayerischen Landtag ab 1912 Postkarte Archiv der Münchner Arbeiterbewegung

Georg von Vollmar (1850-1922) war die führende Persönlichkeit der bayerischen SPD und von 1894 bis 1918 ihr Vorsitzender. Er war ab 1893 Abgeordneter im Bayerischen Landtag und ab 1894 Abgeordneter des Reichstagswahlkreises München II. Als führender Vertreter der Reformorientierung in der SPD lehnte er revolutionäre Vorstellungen ab. Adolf Müller war seit 1895 Chefredakteur der „Münchner Post“ der SPD-Parteizeitung, von 1898-1919 Mitglied des Landtags. Er war ein enger Vertrauter von Vollmar und ab 1910 dessen Stellvertreter. Beide traten für eine Zusammenarbeit mit der Regierung ein. Georg von Vollmar (links) und Adolf Müller mit ihren Ehefrauen in Vollmars Haus Soiensass am Walchensee, 1913 Archiv der Münchner Arbeiterbewegung

FREIE GEWERKSCHAFTEN

PRODUKTIONS- UND KONSUMGENOSSENSCHAFTEN

Die Münchner SPD zählte im Frühjahr 1914 rd. 18.500 Mitglieder, davon 2.311 Frauen. Postkarte zur Maifeier 1914

In München bestanden mehrere der Sozialdemokratie nahestehende Bau-, Produktions- und Konsumgenossenschaften.

Archiv der Münchner Arbeiterbewegung

Baugenossenschaft „Frei Land“ Postkarte

Die Münchener Post berichtete am 3. Mai 1914 über die in den Veranstaltungen zum 1. Mai angenommene Resolution:

Archiv der Münchner Arbeiterbewegung

ARBEITERVEREINE

Weil Arbeiter vielfach von der bürgerlichen Sportbewegung ausgegrenzt wurden, kam es zur Gründung zahlreicher „Arbeiter“-Sportvereine. Arbeiter-Radfahrerbund „Solidarität“ Postkarte Archiv der Münchner Arbeiterbewegung

„Die Versammelten erklären ihre Übereinstimmung mit den Beschlüssen des Weltparlaments der organisierten Arbeiterschaft aller Länder. Die Versammelten fühlen sich eins mit den klassenbewußten Proletariern in dem weltbewegenden Kampfe für den Völkerfrieden und für die planmäßige Förderung der neuen Kultur der Arbeit ...“

In München bestanden Ende 1913 örtliche Organisationen von 47 Freien Gewerkschaften mit 63.594 Mitgliedern. Vorsitzender des Arbeitersekretariats und des Gewerkschaftsvereins München war Johannes Timm. Die Gewerkschaften kämpften um die Verbesserung von Arbeitsbedingungen und Löhnen, für kürzere Arbeitszeit. Sie boten den Mitgliedern eine Arbeitsvermittlung, Arbeitslosen- und Krankenunterstützung sowie Notfallhilfe. Tarifverträge konnten nur bei kleinen und mittleren Betrieben durchgesetzt werden.

Die Konsumgenossenschaft Sendling-München war die größte in München.

Die Arbeitersänger zählten zu den mitgliederstärksten Abteilungen des Arbeitervereinswesens.

Lieferwagen der Konsumgenossenschaft Sendling, 1907 Postkarte

Postkarte zum 9. Bayerischen Arbeiter-Sängerfest in München,

Archiv der Münchner Arbeiterbewegung

Archiv der Münchner Arbeiterbewegung

Gewerkschaftsbüro, um 1920 Archiv der Münchner Arbeiterbewegung

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ZWISCHEN INTERNATIONALISMUS UND VATERLANDSVERTEIDIGUNG

FĂźhrende Sozialdemokraten beschworen frĂźhzeitig in Reden die Gefahren eines kĂźnftigen Krieges. Sie warnten vor der Unkalkulierbarkeit und den katastrophalen Folgen eines modernen GroĂ&#x;krieges, die vor allem die Arbeiterschaft treffen wĂźrden. Gleichzeitig wurde das Kaiserreich als relativ friedliebend betrachtet. Die Ăśffentliche Wahrnehmung wurde weit weniger von solchen Schreckensszenarien bestimmt. Sie war auch in MĂźnchen geprägt von der alltäglichen Präsenz der bunt, ganz im Stil des 19. Jahrhunderts uniformierten Soldaten. Doch seit 1907 wurden feldgraue Monturen eingefĂźhrt. Der ParteigrĂźnder Wilhelm Liebknecht hatte 1888 zur Wehrpolitik die Parole ausgegeben: „Diesem System keinen Mann und keinen Groschen!“ Damit drĂźckte die SPD ihre grundsätzliche Opposition gegenĂźber dem herrschenden Gesellschaftssystem aus. Sie war aber keineswegs eine pazifistische Partei, sondern befĂźrwortete stets die Landesverteidigung. Im Ernstfall war schwer zu entscheiden, wer Angreifer und wer Angegriffener war. Eine LĂśsung fĂźr dieses fundamentale Problem fand die Partei bis 1914 nicht. Die WortfĂźhrer des rechten ParteiflĂźgels vertraten lange vor dem Krieg die Ansicht, dass die Zustimmung zu Militärausgaben „Kompensationen“ fĂźr die Sozialdemokratie einbringen kĂśnnte. Das Verhalten der SPD im Krisen- bzw. Kriegsfall sollte rein pragmatisch ausgerichtet werden. Die spätere Politik der SPD bei Kriegsbeginn war damit langfristig vorbereitet. Die sozialistische II. Internationale versuchte eine wirksame Strategie zur Kriegsverhinderung zu entwickeln. Auf dem internationalen Sozialisten-Kongress in Stuttgart im August 1907 wurde zwar die Verpflichtung betont, einen Krieg zu verhindern, aber ohne konkrete MaĂ&#x;nahmen zu beschlieĂ&#x;en.

August Bebel (1840-1913) spricht im Reichstag zum Etat, 7. Dezember 1905. Bebel war MitbegrĂźnder der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei und Vorsitzender der SPD 1892-1913. Auf dem SPD-Parteitag 1907 hatte er erklärt, im Falle eines Krieges gegen RuĂ&#x;land sei selbst er als „alter Knabe noch bereit, die Flinte auf den Buckel zu nehmen und in den Krieg gegen Russland zu ziehen.“

Das Militär war im KĂśnigreich Bayern in MĂźnchen eine alltägliche Erscheinung. Es gab zahlreiche Kasernen und immer wieder paradierende Einheiten. Soldaten und Offiziere waren ständig in der Ă–ffentlichkeit präsent. Parademarsch bayerischer Einheiten in MĂźnchen, um 1912 Bildpostkarte Archiv der MĂźnchner Arbeiterbewegung

Archiv der MĂźnchner Arbeiterbewegung

mit den besten Mordwerkzeugen, gegeneinander als Feinde „So wird man eben von allen Seiten rĂźsten und wieder rĂźsten, man wird rĂźsten bis zu dem Punkte, daĂ&#x; der eine oder andere Teil eines Tages sagt: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. [‌] Sie [die Regierung] kann auch sagen: Halt, wenn wir länger warten, dann geht es uns schlecht, dann sind wir der Schwächere statt der

eins mit den klassenbewuĂ&#x;ten Arbeitern aller Ăźbrigen Länder „Die Interessen der Arbeiterklasse sind in allen Ländern mit kapitalistischer Produktionsweise die gleichen. Mit der Ausdehnung des Weltverkehrs und der Produktion fĂźr den Weltmarkt wird die Lage der Arbeiter eines jeden Landes immer abhängiger von der Lage der Arbeiter

Eine schärfere Variante der Resolution, die bei Kriegsbeginn einen Generalstreik verlangte, hatte Bebel - dabei unterstßtzt von Vollmar - erfolgreich abgewehrt.

Stärkere. Dann kommt die Katastrophe. Als $ geschlagen, auf den hin 16 bis 18 Millionen Männer, die MännerblĂźte der verschiedenen Nationen, ausgerĂźstet mit den besten Mordwerkzeugen, gegeneinander als Feinde ins Feld rĂźcken.“

Die Arbeiter waren durch den mehrjährigen Militärdienst ei Gegensatz zum Glanz der Paraden die Behandlung und den Drill als menschenverachtend. Misshandlungen waren an der Tagesordnung.

August Bebel, Vorsitzender der SPD, in seiner Reichstagsrede am 9. November 1911.

Karikatur zum Kasernendrill: „Instruktion. Wenn Krieg ist‌ seid Ihr Helden‌ und jetzt seid Ihr‌ Schweinehunde“

August Bebel, Schriften Bd. 2

SĂźddeutscher Postillon, Nr. 8, 1905

in den anderen Ländern. Die Befreiung der Arbeiterklasse ist also ein Werk, an dem die Arbeiter aller Kulturländer gleichmäĂ&#x;ig beteiligt sind. In dieser Erkenntnis fĂźhlt und erklärt die Sozialdemokratische Partei Deutschlands sich eins mit den klassenbewuĂ&#x;ten Arbeitern aller Ăźbrigen Länder.“ Aus dem Erfurter Programm der Sozialdemokratischen Partei von 1891

Die Solidarität der Arbeiter ßber Grenzen hinweg war ein Grundbestandteil der sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Programmatik.

Proletarier aller Länder Vereinigt Euch! Gewerkschafts-Postkarte, um 1900 Archiv der Mßnchner Arbeiterbewegung

den Ausbruch des Krieges zu verhindern

unser Land gegen Angriffe von auĂ&#x;en zu verteidigen

„Droht der Ausbruch eines Krieges, so sind die arbeitenden Klassen und deren parlamentarische Vertretungen in den beteiligten Ländern verpflichtet, [‌] alles aufzubieten, um durch die Anwendung der ihnen am wirksamsten erscheinenden Mittel den Ausbruch des Krieges zu verhindern, die sich je nach der Verschärfung des Klassenkampfes und der Verschärfung der allgemeinen politischen Situation naturgemäĂ&#x; ändern.“

„[‌] weil es niemand gibt, der so sehr das Elend einer feindlichen Eroberung zu kosten bekäme, als gerade die Masse des arbeitenden Volkes, und Blut fĂźr unsere nationale Unabhängigkeit einzutreten. Dabei bleibt es und daran kĂśnnen auch alle Spintisierereien darĂźber, [‌] ob man immer

! " # auf diese Dinge keine ernsthafte Probe gemacht wird, das wĂźrde [‌] das fĂźrchterlichste UnglĂźck fĂźr Deutschland und die Menschheit sein“.

Die deutschen Delegierten, August Bebel, Georg von Vollmar und Hugo Haase am Rande des Internationalen sozialistischen Friedenskongresses in Stuttgart, 18. August 1907.

Beschluss des Internationalen sozialistischen Friedenskongresses in Stuttgart 18. August 1907

SAPMO im Bundesarchiv, Berlin

Protokoll Internationaler Sozialistenkongress

Georg von Vollmar, SPD-Vorsitzender in Bayern, auf der Generalversammlung der MĂźnchner SPD 1907 MĂźnchener Post, 9.10.1907

auf die Aufrechterhaltung des Friedens hinarbeiten „Die Versammlung erhebt aufs neue flammenden Protest gegen das unsinnige WettrĂźsten der Mächte, das das Lebenswerk der VĂślker verzehrt, unaufhĂśrlich mit einem Weltkrieg droht und die Fortschritte der Kultur hindert. Sie erklärt sich unablässig gegen das heutige System des stehenden Massenheeres, das die Besserung der wirtschaftlichen und politischen Lage des Volkes hindert und reaktionären Regierungen, Klassen und Parteien ein allzeit bereites Werkzeug der Vergewaltigung des sogenannten inneren Feindes in die Hände gibt.

Sie erklärt, daĂ&#x; die erdrĂźckende Mehrheit des deutschen Volkes, so bereit sie zur Verteidigung des Vaterlandes gegen frevelhafte Angriffe von auĂ&#x;en ist, mit aller Kraft und allen gesetzlichen Mitteln auf die Aufrechterhaltung des Friedens hinarbeiten wird!“ Resolution der Versammlung zum Thema „Militarismus und Volksfreiheit“ mit Rosa Luxemburg am 21. März 1914 in MĂźnchen MĂźnchener Post, 24.3.1914

Wegen ihrer Rede in MĂźnchen und anderen Orten wurde sie auf Betreiben des preuĂ&#x;ischen Kriegsministers erneut angeklagt. Sie hatte davon gesprochen, dass Soldatenmisshandlungen an der Tagesordnung seien. Rosa Luxemburg, 1871-1919, bekannte Vertreterin der SPD-Linken und beherzte Gegnerin des Militarismus und Imperialismus, nach einem Gerichtstermin. MĂźnchner Illustrierte Zeitung, 19.7.1914

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JULI-KRISE UND AUSLĂ–SUNG DES E RSTEN WE LTKRI EGS

Die Lage in Europa war durch zwei BĂźndnissysteme gekennzeichnet: Triple Entente: GroĂ&#x;britannien, Frankreich und RuĂ&#x;land Dreibund: Deutsches Reich, Ă–sterreich-Ungarn und Italien

Der Nimbus des preuĂ&#x;ischen Generalstabs bestärkte den Glauben an den schnellen Sieg, den der Schlieffenplan zu gewährleisten versprach. Intern herrschten in der MilitärfĂźhrung jedoch beträchtliche Zweifel.

In Frankreich konzentrierte sich die AuĂ&#x;enpolitik auf die Kolonien und die Bedrohung durch das Ăźbermächtige Deutsche Reich, das 1871 ElsaĂ&#x;Lothringen annektiert hatte. GroĂ&#x;britannien war seinen Kolonien zugewandt. RuĂ&#x;land sah sich als Schutzmacht der slawischen BevĂślkerung auf dem Balkan und strebte nach der Kontrolle Ăźber den Bosporus. Serbien und Bulgarien hatten im ersten Balkankrieg 1912 das Osmanische Reich vom Balkan verdrängt. 1913, im zweiten Balkankrieg, stritten sich die Sieger um die Verteilung des Landgewinns. Auch Ă–sterreich-Ungarn hatte seinen Machtbereich auf dem Balkan ausgeweitet, 1908 Bosnien-Herzegowina annektiert und versuchte, den Aufstieg Serbiens zu verhindern.

Die KriegsbefĂźrworter im Deutschen Reich und in Ă–sterreich-Ungarn wollten diesen vermeintlich kurzen Krieg. Es ging nur um den richtigen Zeitpunkt und die passenden Voraussetzungen, unter denen er aussichtsreich erschien. Die UnterstĂźtzung durch die sozialdemokratische Arbeiterbewegung wurde dabei als notwendig erachtet. Zu erwarten war dies nur bei einem Verteidigungskrieg, in dem das zaristische RuĂ&#x;land als Aggressor erschien.

Das Deutsche Reich fĂźhlte sich vom gegnerischen BĂźndnissystem eingekreist, das seiner weiteren Expansion im Wege stand. Deutschland strebte durch den Ausbau seiner Stellung in Europa und Ăœbersee den Aufstieg zur Weltmacht an („Platz an der Sonne“). FĂźr den Fall des fĂźr unvermeidlich gehaltenen Krieges hatte die MilitärfĂźhrung bereits 1905 den „Schlieffenplan“ entwickelt. Er sah einen Ăœberraschungsangriff auf Frankreich durch das neutrale Belgien vor. Frankreich sollte in wenigen Wochen geschlagen sein, dann wĂźrde sich die gesamte Kriegsmaschinerie gegen RuĂ&#x;land wenden. Der Krieg sollte nach wenigen Monaten gewonnen sein. Damit erĂźbrigten sich Vorbereitungen fĂźr einen langdauernden Krieg.

Die tatsächliche AuslĂśsung des Krieges war ein komplexer Vorgang mit einer bewusst Hazard spielenden „Kriegspartei“. Im engsten Machtzirkel gab es Kriegstreiber, Getriebene, Zauderer und Kriegsgegner. Die allerorts Ăźbliche Geheimdiplomatie und die allgemeine Erwartung eines kommenden groĂ&#x;en Krieges begĂźnstigten die weitere Entwicklung.

Am 23. Juli richtete Ă–sterreich-Ungarn ein nahezu unerfĂźllbares Ultimatum an Serbien. Belgrad akzeptierte es fast vollständig, anders als Wien und Berlin erwartet und gehofft hatten. Die Wiener Regierung zeigte sich nicht kompromissbereit und erklärte am 28. Juli Serbien den Krieg. RuĂ&#x;land, die Schutzmacht Serbiens, beschloss am 30. Juli, seine Armee zu mobilisieren. Am 31. Juli folgt die Mobilmachung in Ă–sterreich, am 1. August in Deutschland und Frankreich. Am 1. August erklärte Kaiser Wilhelm II. RuĂ&#x;land und am 3. August Frankreich den Krieg.

Ruhmsucht ‌ und Ăœberheblichkeit

Schon am 2. August besetzten deutsche Truppen Luxemburg und marschierten am 4. August in das neutrale Belgien ein, das sich verteidigte. Die Verletzung der 1830 auch von PreuĂ&#x;en garantierten Neutralität Belgiens fĂźhrte am 4. August zur Kriegserklärung Englands an Deutschland. Ein Weltkrieg begann.

„Der hervorstechendste Zug des aktuellen Deutschland – Regierung, Diplomatie, Parlamentsmehrheit – ist die Eitelkeit. Daher rĂźhren diese parvenuehafte Ruhmsucht und jene nicht geringe Dosis von Ăœberheblichkeit, die jedem aufmerksamen Beobachter der deutschen Verhältnisse ins Auge springen.“ Der Soziologie Robert Michels (18761936) Ăźber das kaiserliche Deutschland Zitiert nach Genett, Der Fremde im Kriege

Ausgangspunkt war der Konflikt zwischen Ă–sterreich-Ungarn und Serbien. Die Ermordung des Ăśsterreichischen Thronfolgers und seiner Gemahlin durch nationalistische bosnische Serben am 28. Juni 1914 wurde zum Anlass genommen, gegen Serbien vorzugehen. Kaiser Wilhelm II. und sein Reichskanzler Theobald von Bethmann-Hollweg sagten Anfang Juli dem BĂźndnispartner Ă–sterreich-Ungarn uneingeschränkte UnterstĂźtzung zu. Dies war ein „Blankoscheck“, der den KriegsbefĂźrwortern in die Hände spielte.

Der deutsche Reichskanzler BethmannHollweg drängte in Wien darauf, gegen Serbien vorzugehen. Die ZurĂźckhaltung der Reichsleitung gegenĂźber den britischen VermittlungsbemĂźhungen fĂźhre zur Gefahr, dass „das Odium, einen Weltkrieg verschuldet zu haben, schlieĂ&#x;lich auch in den Augen des deutschen Volkes auf sie [d. h. die Reichsleitung] zurĂźckfällt. Auf einer solchen Basis aber lässt sich ein erfolgreicher Krieg nach drei Fronten nicht einleiten und fĂźhren. Es ist eine gebieterische Notwendigkeit, dass die Verantwortung fĂźr das eventuelle Ăœbergreifen des Konflikts auf die unmittelbar Beteiligten unter allen Umständen RuĂ&#x;land trifft.“

Strahlende Gesichter

Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg am 28. Juli 1914 Ă„hnlich hatte er sich schon am 25. Juli gegenĂźber dem Kaiser geäuĂ&#x;ert.

„ßberall strahlende Gesichter, - HändeschĂźtteln auf den Gängen; man gratuliert sich, daĂ&#x; man Ăźber den Graben ist.“

Zitiert nach Berghahn, Erster Weltkrieg

Aus dem Bericht des bayerischen Gesandten in Berlin, Hugo Graf von Lerchenfeld Ăźber seine Begegnungen im PreuĂ&#x;ischen Kriegsministerium am 31.7., dem Tag der Mobilmachung. Zitiert nach Geiss, Der lange Weg in die Katastrophe

Die Staaten Europas bei Kriegsbeginn 1914 Universität Mainz, ieg-maps

Kaiser Wilhelm II. Alle deutschen Kriegserklärungen trugen seine Unterschrift. Er erklärte den Krieg. Mßnchner Illustrierte Zeitung, Titelseite, August 1914

Frankreich in vier Wochen niederwerfen

VerkĂźndigung Mobilmachung auf dem MĂźnchner Marienplatz am 31. Juli 1914 MĂźnchner Illustrierte Zeitung, 9.8.1914

welches AusmaĂ&#x; ‌ wie es ausgehen wird? „Dieser Krieg wird sich zu einem Weltkrieg ausweiten, in den auch England eingreifen wird. Kaum jemand vermag heute zu sagen, welches AusmaĂ&#x; dieser Krieg annehmen wird, wie lange er dauern und wie er enden wird. Niemand kann heute wissen, wie es ausgehen wird.“ Generalstabschef Helmuth von Moltke am 1. August 1914.

Moltke zählte zu den KriegsbefĂźrwortern. Er drängte Kaiser Wilhelm II. zur Kriegserklärung und befahl eigenmächtig den Einmarsch in Belgien. Nach dem Festfahren in der Marneschlacht wurde er Mitte September 1914 als Chef der Obersten Heeresleitung abberufen und durch den preuĂ&#x;ischen Kriegsminister Erich von Falkenhayn ersetzt. Generalstabschef Helmuth von Moltke (1848-1916) MĂźnchner Illustrierte Zeitung Nr. 42, 1914

Reichskanzler Theobald von Bethmann (18561921), Reichskanzler seit 1909, 1917 ab " mit der Obersten Heeresleitung

„Preussischer Generalstab sieht Krieg mit Frankreich mit grosser Zuversicht entgegen, rechnet damit, Frankreich in 4 Wochen niederwerfen zu kĂśnnen; im franzĂśsischen Heere kein guter Geist, wenig SteilfeuergeschĂźtze und schlechteres Gewehr.“ Fernsprech-Meldung der Bayerischen Gesandtschaft in Berlin an das Ministerium des Ă„uĂ&#x;eren in MĂźnchen, 31. Juli 1914, 8 Uhr abends Bayerische Dokumente zum Kriegsausbruch und zum Versailler Schuldspruch

Zitiert nach Fromkin, Europas letzter Sommer

Wilhelm II. sagte in seiner Thronrede am 4.8.1914: „Ich kenne keine Parteien mehr, kenne nur noch Deutsche. Zum Zeichen dessen, dass Sie fest entschlossen sind, ohne Parteiunterschied, ohne Stammesunterschied, ohne Konfessionsunterschied durchzuhalten mit mir durch dick und dĂźnn, durch Not und Tod zu gehen, fordere ich die Vorstände der Parteien auf, vorzutreten und mir das in die Hand zu geloben.“

Kaiser Wilhelm II.: Ich kenne keine Parteien mehr, kenne nur noch Deutsche. #$ " & ' Landeskomitees vom Roten Kreuz: Sammlung fĂźr * + " / Archiv der MĂźnchner Arbeiterbewegung

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SOZIALDEMOKRATIE UND BURGFRIEDEN

Mit dem Bekanntwerden des Wiener Ultimatums an Serbien (23. Juli) wurde der breiten Ă–ffentlichkeit die Gefährlichkeit der Lage bewusst. Der SPD-Parteivorstand reagierte am 25. Juli 1914 mit einem Aufruf zu Friedenskundgebungen. Eine fĂźr den 27. Juli in MĂźnchen geplante Veranstaltung zur Kulturpolitik mit Kurt Eisner wurde aus „aktuellem Anlass“ umfunktioniert. Eisner stellte ein dĂźsteres Kriegsszenario vor. Welchen Beitrag die SPD leisten konnte oder sollte, um diese Gefahren abzuwehren, lieĂ&#x; er offen. Er ging davon aus, dass ein Angriff Russlands drohe.

Wir wollen keinen Krieg!

„Ein Weltkrieg, ungeheuerlich und unabsehbar in seinen Wirkungen, daĂ&#x; er gleiches Verderben fĂźr Sieger und Besiegte bringen muĂ&#x;, lauert an der Pforte der europäischen Kultur und will unseren Erdteil in ein VĂślkergrab verwandeln. Tod, Seuchen, Siechtum und VerstĂźmmelung, Arbeitslosigkeit und Hunger schicken sich an, Ăźber die Nationen zu gebieten. [‌] Ein solcher Krieg wird auch nach dem Frieden keine ErlĂśsung bringen.“

„Gefahr ist im Verzuge. Der Weltkrieg droht! Die herrschenden Klassen, die euch in Frieden knechten, verachten, ausnutzen, wollen euch als Kanonenfutter miĂ&#x;brauchen. Ăœberall muĂ&#x; den Machthabern in den Ohren klingen: Wir wollen keinen Krieg! Nieder mit dem Kriege! Es lebe die internationale VĂślkerverbrĂźderung!“

Aus der Resolution der MĂźnchner SPDVersammlung mit Kurt Eisner am 27. Juli 1914. Die sich an die Versammlung anschlieĂ&#x;ende Demonstration wurde von der Polizei aufgelĂśst

Die Reichsregierung erweckte gegenßber der SPD-Parteifßhrung erfolgreich den Eindruck, die deutsche Diplomatie bemßhe sich um eine Eindämmung der Krise. Ende Juli war noch nicht klar, wie sich die SPD-Reichstagsfraktion bei der Abstimmung ßber die Kriegskredite verhalten wßrde.

In ihrer Fraktionssitzung am 3. August entschieden sich die SPD-Reichstagsabgeordneten mit 78 zu 14 Stimmen deutlich fĂźr die Bewilligung der Kriegskredite. Am Tag darauf stimmte die Fraktion geschlossen zu. Ein wichtiger Passus in ihrer Zustimmungserklärung war vorher auf Drängen der Regierung entfernt worden: „Sollte die Regierung gestatten, daĂ&#x; der Krieg von deutscher Seite den Charakter eines Eroberungskrieges annimmt, dann werden wir uns gegen sie auf das energischste wenden.“ Ăœber die Frage Verteidigungskrieg oder Angriffskrieg zerbrach schlieĂ&#x;lich die Einheit der SPD.

Nr. 170.

Samstag den 25. Juli 1914.

Sonntag den 26. und

Nr. 171.

ng.

Nr. 172.

Aus dem Aufruf des SPD-Parteivorstands vom 25. Juli 1914

Dienstag den 28. Juli 1914.

Abstimmung im Reichstag Ăźber die Bewilligung der Kriegskredite am 4. August 1914 Foto: Richard Guschmann MĂźnchner Illustrierte Zeitung, 4. August-Nr. 1914

28. Jahrgang

Der drohende Weltkrieg.

Vorwärts, 25.7.1914

Friedenskundgebung! Nr. 174.

Donne Don nerrst stag den d 30. Juli 191

4.

28. Jahrgang

Vor der KataĂ?roph

Der verzweifelte Er

e.

nĂ? Ă? der Lage.

Sonntag den 2. und Montag den 3. AuguĂŽt 1914.

28. Jahrgang

Der KriegszuĂ?and.

„Da machen wir wahr, was wir immer betont haben: Wir lassen in der Stunde der Gefahr das eigene Vaterland nicht im Stich. ‌ Wir fordern, daĂ&#x; dem Kriege, sobald das Ziel der Sicherung erreicht ist und die Gegner zum Frieden geneigt sind, ein Ende gemacht wird durch einen Frieden, der die Freundschaft mit den NachbarvĂślkern ermĂśglicht. [‌] wir hoffen, daĂ&#x; die grausame Schule der Kriegsleiden in neuen Millionen den Abscheu vor dem Kriege wecken und sie fĂźr das Ideal des Sozialismus und des VĂślkerfriedens gewinnen wird.“

AdsD/Friedrich-Ebert-Stiftung

28. Jahrgang

i 1914.

Montag den 27. Jul

ru Vor der Kriegserklä

Nr. 177.

Hugo Haase (1863-1919), 1911-1916 einer der beiden Vorsitzenden der SPD, 1917-1919 Vorsitzender der USPD. Haase war ein engagierter Gegner des Militarismus, gegen das WettrĂźsten und fĂźr AbrĂźstungsverhandlungen. In der Reichstagsfraktion konnte er sich mit seiner Ablehnung der Kriegskredite nicht durchsetzen.

28. Jahrgang

lassen in der Stunde der Gefahr das eigene Vaterland nicht im Stich

MĂźnchener Post, 29.7.1914

Am 2. August fiel eine Vorentscheidung: Die Freien Gewerkschaften beschlossen, Arbeitskämpfe abzubrechen und fĂźr die Dauer des Krieges auf Streiks zu verzichten. Ursache dafĂźr war nicht nur die Angst vor Verbot und Verfolgung oder vor dem Angriff des despotisch regierten RuĂ&#x;land. Die Gewerkschaften sorgten sich um die Arbeitsplätze ihrer Mitglieder, die auch von der Stellung der deutschen Industrie auf dem Weltmarkt abhingen. Die GewerkschaftsfĂźhrer hofften zudem, mit ihrer UnterstĂźtzung der kaiserlichen Kriegspolitik (Burgfrieden) ihre gesellschaftliche Isolation aufzubrechen und die Anerkennung als Sozialpartner zu erreichen.

MĂźnchener PoĂ?

gleiches Verderben fĂźr Sieger und Besiegte

Nr. 180.

Donnerstag den 6.

AuguĂ? 1914.

28. Jahrgang

Der Weltkrieg. FĂźr ReĆ’t und Freih

eit!

Nr. 183.

Sonntag den 9. AuguĂ? 1914.

28. Jahrgang

Der Weltkrieg. Ein groĂ&#x;er Erfolg, LĂźttiĆ’ erobert!

Der SPD-Partei- und Fraktionsvorsitzende Hugo Haase, er gehĂśrte zu den Bewilligungsgegnern, begrĂźndete am 4. August im Reichstag die einhellig erfolgte Zustimmung der SPD-Fraktion. Die Kriegsgegner hatten sich der Fraktionsdisziplin unterworfen.

Die Schlagzeilen der „MĂźnchener Post“ lassen den Weg in die Katastrophe nachvollziehen. MĂźnchner Post, 26. Juli bis 9. August 1914 Stadtarchiv MĂźnchen

Verhandlungen des Deutschen Reichstages, 1914

Sieg oder Untergang „Nur eines wissen wir: die groĂ&#x;e Zeit der Entscheidungen ist gekommen, jetzt geht es Ăźberall um Sieg oder Untergang. Die Welt wird nach dem Kriege eine andere sein; ob sie eine bessere wird, das wird von uns abhängen; es wird davon abhängen, welches Gewicht an Kraft und Entschlossenheit wir in entscheidenden Augenblicken in die Waagschale werfen kĂśnnen. WĂźrde sich unsere Partei in solchen Augenblicken uneinig und zerrissen zeigen, wĂźrde sie, statt den Blick fest auf die Zukunft zu richten, sich in unfruchtbarem Hader Ăźber Vergangenes erschĂśpfen, dann kĂśnnte man am Ende des Weltkrieges vielen Hoffnungen das Massengrab schaufeln.“ Aus dem sozialdemokratischen Bayerischen Wochenblatt vom 10. Dezember 1914

Auch sozialdemokratische Blätter wie die satirische Zeitschrift „Der Wahre Jacob“ schlossen sich der allgemeinen nationalistischen Kriegseuphorie an. „Der Wahre Jacob“, 28. August 1914 Universitätsbibliothek Heidelberg

Die weit verbreitete Propagandapostkarte nimmt Bezug auf Bebels Bekenntnis zur Vaterlandsverteidigung. Postkarte 1914/15 Archiv der MĂźnchner Arbeiterbewegung

Tafelaufschrift: Diesem System keinen Mann und keinen Groschen! Falsch! Wir mßssen umlernen: Von heute an lautet die Parole: Sämtliche Milliarden die Moloch Militarismus fordert bewilligen wir mit Hipp, Hipp, Hurra!!! Personen von links: SPD-Reichstagsabgeordnete Scheidemann, Sßdekum (beide Befßrworter), Liebknecht, Ledebour (beide Gegner der Kriegskredite) Karikatur auf das Umschwenken der Sozialdemokratie im August 1914 Postkarte

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PROPAGANDA

Die Wahrheit stirbt im Krieg zuerst. Mit Kriegsbeginn wurde die Zensur eingefĂźhrt, Ăźber die militärische Stellen entschieden. Die weitgehende Selbstgleichschaltung der Presse wurde zunehmend durch staatliche Kontrolle ergänzt. Die „MĂźnchner Illustrierte“ berichtete fast nur noch Ăźber den Krieg und zeigte unter der Ăœberschrift „Heldensaal“ Bilder bayerischer Gefallener. Die in MĂźnchen herausgegebene Kunstund Kulturzeitschrift „Jugend“ widmete sich ganz der kĂźnstlerischen Kriegspropaganda. Im Zentrum aller BemĂźhungen stand die Aufrechterhaltung der Kampfmoral an der Front und in der Heimat. Gefordert wurde Opferbereitschaft, die sich darin ausdrĂźckte, Kriegsanleihen zu zeichnen, fĂźr Sammelaktionen zu spenden oder den „Heldentod fĂźrs Vaterland“ zu sterben. Eine kriegsbejahende Einstellung galt in der Ă–ffentlichkeit als selbstverständlich.

Alle verĂśffentlichten Texte, Berichte, Fotografien, Plakate, Zeichnungen und Gemälde mussten diesen Erwartungen entsprechen. Bei VerstĂśĂ&#x;en verhängte das Militär Verbote. Alles publizierte Material diente als Propagandaprodukt und ist kritisch zu werten. Dies gilt fĂźr die offizielle Bildberichterstattung von der Front, eingeschränkt auch fĂźr private Fotografien von Soldaten. Trotz des Massensterbens an der Front finden sich kaum Bilder von deutschen Toten. In den Bildern von Einzelgräbern und KriegsfriedhĂśfen ist der Tod ästhetisch ĂźberhĂśht.

Die toten Soldaten wurden als „Helden“ geehrt. „Deutscher Heldensaal“ mit Bildern und Namen bayerischer Gefallener 1914-16, Nr. 87 MĂźnchner Illustrierte Zeitung, Nr. 1, 1916

Rundschreiben des KĂśniglichen Staatsministerium des Innern an die Bezirksregierungen vom 7. Juli 1917 mit dem Hinweis auf die Bedeutung der „Volksaufklärung“ Bayer. Hauptstaatsarchiv Abt. IV/Kriegsarchiv

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Kritische Texte zum Krieg, zur Militär- und Staatsfßhrung, zur Kriegspolitik konnten nur unter erschwerten Bedingungen erscheinen.

Viele Postkarten zeigten idealisierte bildliche Darstellungen aus dem Kampfgeschehen. Postkarte „Aus der Schlacht um Ypres“ (Ypern) Archiv der MĂźnchner Arbeiterbewegung

Die intensive Kriegszieldiskussion und die weitgehenden Annexionsforderungen schlugen sich auch auf Postkarten nieder. Im Krieg benahmt Ihr Euch wies Vieh – Drum lernet jetzt: „Neu-Geographie“ Bildpostkarte Universität OsnabrĂźck, Slg. Prof. Giesebrecht

Deutschland muĂ&#x; leben, und wenn wir sterben mĂźssen! „LaĂ&#x; mich gehen Mutter, laĂ&#x; mich gehen! All das Weinen kann uns nicht mehr nĂźtzen, Denn wir gehen, das Vaterland zu schĂźtzen. LaĂ&#x; mich gehen, Mutter laĂ&#x; mich gehen. Deinen letzten GruĂ&#x; will ich vom Mund dir kĂźssen. Deutschland muĂ&#x; leben, und wenn wir sterben mĂźssen!“ Strophe aus dem Gedicht „Soldatenabschied“ von Heinrich Lersch Zitiert nach: Herz: AufglĂźhe dein Blut, Gedichte im Krieg

Viele PropagandabemĂźhungen richteten sich gezielt auf die sozialdemokratische Arbeiterschaft. Diese Postkarte nimmt Bezug auf Bebels Ă„uĂ&#x;erung von 1907, in einen Krieg gegen das zaristische RuĂ&#x;land zu ziehen. Postkarte „Recht so!“ mit August Bebel

Das Alltagsleben der Soldaten abseits der Kämpfe an der Front war ein beliebtes Bildmotiv.

Eine Vielzahl von Plakaten, Postkarten und anderen Werbemitteln forderten die BevĂślkerung zu Spenden auf.

Soldaten beim Kartenspiel MĂźnchner Illustrierte Zeitung, Nr. 31, Juli 1916

Opfertag 1916 Postkarte, Richard Klein Archiv der MĂźnchner Arbeiterbewegung

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Der Tod an der Front wurde zumeist in ästhetisch verbrämter Form gezeigt, als wßrdig gestaltetes Grab oder Friedhof.

wertvolle vaterländische Mitarbeit

Soldatengräber im Schnee, Gemälde von Walther Pßttner (Mßnchen) Jugend, 1915 Nr. 3

„‌ ein allzuscharfes, die Eigenart des Blattes unterdrĂźckendes Vorgehen der Zensurstelle kĂśnnte die ´MĂźnchener Post´ veranlassen, ihre wertvolle vaterländische Mitarbeit aufzugeben und vielleicht sogar zur Opposition Ăźberzugehen, und wĂźrde so zur FĂśrderung der staatsgefährlichen Bestrebungen der radikalen Sozialdemokratie aufs wirksamste beitragen.“

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Aus einem Schreiben des Bayerischen Kriegsministers Hellingrath an die Oberzensurstelle des Kriegspresseamtes Berlin vom 29. Juni 1917 Bayerisches Hauptstaatsarchiv/Kriegsarchiv, MĂźnchen

Viele Plakate, Postkarten oder andere Propagandabilder sprachen die Arbeiter direkt an. Sie forderten die KriegsunterstĂźtzung am Arbeitsplatz. „Der Arbeitsmann gibt Herz und Hand wenn in Gefahr das Vaterland!“ Postkarte Archiv der MĂźnchner Arbeiterbewegung

< = & >? @ QX ‌ die glänzende Tätigkeit unserer Maschinengewehre“! MĂźnchner Illustrierte Zeitung, Nr. 33, August 1916, 106. Kriegsnummer, Titelseite Archiv der MĂźnchner Arbeiterbewegung

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AN DER FRONT

Rekruten in der Max II. Kaserne, November 1914 Foto: Wilhelm Rupp

MĂźnchen besaĂ&#x; eine lange Tradition als Garnisonsstadt mit mehreren groĂ&#x;en Kasernen. Im Krieg kamen weitere Einrichtungen wie „Rekrutendepots“ und Lazarette hinzu. Rekruten wurden nur kurz militärisch ausgebildet. Einheiten, die von MĂźnchen in den Krieg zogen, erhielten den kirchlichen Segen, dann ging es an die Front. Front, das hieĂ&#x; im August 1914 Lothringen, wo die bayerischen Einheiten unter Kronprinz Rupprecht zunächst geschlossen eingesetzt wurden. Bald kamen Belgien und Nordfrankreich als Einsatzräume hinzu, nun gemischt mit anderen Kontingenten. SchlieĂ&#x;lich standen bayerische Einheiten an allen Fronten: Im Sommer 1915 in den Dolomiten (Alpenkorps), dann in Serbien, 1916 in Rumänien und an der russischen Front, im Herbst und Winter 1917/18 an der italienischen Isonzo- und Piavefront und mit der Besetzung der Ukraine im März 1918 schlieĂ&#x;lich sogar auf der Krim. Das Hauptkampffeld bayerischer Einheiten blieb aber die Westfront mit den schweren Schlachten um Ypern, an der Somme und um Verdun. Nach dem Erstarren der Fronten im Herbst 1914 zeigte sich das neue Bild des Krieges: Weit verzweigte Stellungssysteme zogen sich Ăźber hunderte von Kilometern hin. In den SchĂźtzengräben und Bunkern suchten sich die Soldaten der gigantischen ZerstĂśrungskraft der modernen Artillerie zu entziehen. Mit „Front“ meinte man vor allem die vorderste Frontlinie, die SchĂźtzengräben. Sie und ihr Vorfeld waren im wahrsten Sinne ein „Schlachtfeld“. Im Trommelfeuer der Artillerie, im Dauerfeuer der Maschinengewehre, durch Handgranaten, Giftgas, Flammenwerfer und schlieĂ&#x;lich Tanks (Panzer) starben Hunderttausende. „Starben“? Sie wurden von Granaten zerfetzt, von MG-Salven durchsiebt und von Schrapnellkugeln durchbohrt, nicht immer tĂśdlich.

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Segnung von Einheiten des Infanterie-Leibregiments durch Msgr. Georg Widmann vor der St. Johann-Baptist-Kirche in Haidhausen, August 1914. Foto: Pettendorfer Stadtarchiv MĂźnchen

Soldaten beim Aufpacken, 1914 \ & = ] ^ & _ /

Truppenverladung am Hauptbahnhof, August 1914 MĂźnchner Illustrierte Zeitung, August 1914, Nr. 37

Viele erlitten einen grauenvollen, schmerzhaften, oft langsamen Tod zwischen den Fronten. Noch mehr wurden verwundet. Die neue Art des Krieges verursachte schwere psychische Traumata. An der Front Archiv der MĂźnchner Arbeiterbewegung, LRA Augsburg

Es gab auch ruhige Phasen fĂźr die Soldaten, wenn die oft fast aufgeriebenen Einheiten zur Erholung von der unmittelbaren Front abgezogen wurden. Nach der AuffĂźllung der LĂźcken durch neue Rekruten ging es nach wenigen Wochen wieder zurĂźck in die vorderste Linie. Die Ruhepausen an der Front und im rĂźckwärtigen Bereich waren beliebte Bildmotive fĂźr die Kriegspropaganda. Nahezu alle Kampfaufnahmen sind gestellt. Die MilitärfĂźhrungen aller Nationen nahmen keine RĂźcksicht auf die eigenen Verluste. Man betrachtete die Soldaten als beliebig verfĂźgbares „Menschenmaterial“. Von den im Ersten Weltkrieg eingesetzten 910.000 bayerischen Soldaten kamen 157.000 ums Leben, 385.000 wurden verwundet und Ăźber 86.000 blieben vermisst oder gerieten in Gefangenschaft.

Erich MĂźhsam, Kriegslied, 1917 (3.u.4. Strophe) Aus dem Bett von Lehm und Jauche zur Attacke auf dem Bauche! Trommelfeuer - Handgranaten Wunden - Leichen - Heldentaten bravo, tapfere Soldaten! So lebt der edle Kriegerstand, das Eisenkreuz am PreuĂ&#x;enband, die Tapferkeit am Bayernband, mit Gott, mit Gott, mit Gott, mit Gott fĂźr KĂśnig und Vaterland. Angeschossen - hochgeschmissen Bauch und Därme aufgerissen. Rote Häuser - blauer Ă„ther Teufel! Alle heiligen Väter! ... Mutter! Mutter!! Sanitäter!!! So stirbt der edle Kriegerstand, in Stiefel, Maul und Ohren Sand und auf das Grab drei Schippen Sand mit Gott, mit Gott, mit Gott, mit Gott fĂźr KĂśnig und Vaterland.

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AN DER HEIMATFRONT

Mit dem Krieg veränderten sich Stadtbild und Alltagsleben. Schulen wurden zu „Rekrutendepots“ umgewandelt, GroĂ&#x;gaststätten und Turnsäle wurden zu Lazaretten. Das Militär Ăźbernahm zunehmend die Kontrolle Ăźber das Ăśffentliche Leben. KriegsbedĂźrfnisse hatten absoluten Vorrang. Um die gigantischen Kriegskosten zu finanzieren, wurden Kriegsanleihen aufgenommen und zunehmend auch die Notenpresse angeworfen. Die Kommunen gaben eigene Darlehensbanknoten aus. Anders als in GroĂ&#x;britannien unterblieb eine gezielte Besteuerung der Gewinne der RĂźstungsindustrie. Die Inflation stieg zwangsläufig, insbesondere die Preise fĂźr Lebensmittel zogen dramatisch an.

Lazarette wurden in Schulen, GroĂ&#x;gaststätten, und Turnhallen eingerichtet.

Spendenpostkarten fßr den städtischen Wohlfahrtsausschuss

Darlehnskassenschein der Reichschuldenverwaltung

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Turnsaal des Männer-Turnvereins MĂźnchen von 1879 in der HäberlstraĂ&#x;e, umgebaut zum Lazarett, 1914 Stadtarchiv MĂźnchen

Gutschein der Stadtgemeinde MĂźnchen

MĂźnchner Frauen stricken fĂźr Soldaten StrĂźmpfe und Socken.

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MĂźnchner Illustrierte Zeitung, 1914, Nr. 35

FĂźr die Werbung fĂźr Kriegsanleihen wurden viele Plakate, Postkarten und andere Werbemittel gedruckt. Werbepostkarte fĂźr das Zeichnen der Kriegsanleihe, um 1916 Archiv der MĂźnchner Arbeiterbewegung

Deshalb gerieten immer mehr Arbeiterfamilien ins Elend, vor allem wenn der Ernährer eingezogen worden war. Die gewerkschaftliche und später dann Ăśffentliche UnterstĂźtzung reichte nicht aus. Um die Versorgung zu sichern, wurden Lebensmittelmarken und Bezugsscheine ausgegeben. Vieles war nur „schwarz“ und zu ĂźberhĂśhten Preisen erhältlich. Etwa ein Drittel der Lebensmittel landete beim Schleichhandel und war nur fĂźr BegĂźterte zu Wucherpreisen zu erwerben. Arbeiterfamilien konnten so oft nicht einmal die Bezugsscheine einlĂśsen. Die Qualität der Waren verschlechterte sich zudem.

Kinderspeisung des Konsum-Vereins Sendling-MĂźnchen, 1915 Archiv der MĂźnchner Arbeiterbewegung

Gerade in Arbeiterfamilien kam es zu Mangel- bzw. Unterernährung und in der Folge zu Erkrankungen. Auf dem HĂśhepunkt der Ernährungskrise im Winter 1916/17, dem „SteckrĂźben-“ oder „Dotschen-Winter“, starben Viele. Die Sterblichkeit der Frauen stieg in MĂźnchen bis 1917 gegenĂźber 1913 um ein Viertel an. Die Unzufriedenheit in der ArbeiterbevĂślkerung nahm zu. Die riesige aber wirkungslose BĂźrokratie der Lebensmittelbewirtschaftung zog den Unwillen auf sich. Ab 1916 kam es zu Hungerdemonstrationen. Die Wirklichkeit des Krieges wurde & $ verschwiegen. Aber aus dem Krieg zurĂźckkehrende Soldaten berichteten vom Leiden und Sterben an der Front. Ganze Zeitungsseiten mit Todesanzeigen fĂźr Gefallene oder einfach nur die persĂśnlichen Erfahrungen im Kreis der Familie und der Nachbarschaft ergaben ein anderes Bild.

Die Zeichnungen nehmen Bezug auf den Kiosk vor der Residenz, im Volksmund „Dotschn-Palast“ und an den eines Morgens an der TĂźr zur Residenz gefundenen toten Kater mit dem Zettel: „Bist Du kein guter Landesvater, geht es Dir wie diesem Kater!“ Zeichnungen von Michael Wittmann Archiv der MĂźnchner Arbeiterbewegung

Auszug aus dem Bericht des Zentrum\ & & / @ & Innenministerium Ăźber die Stimmung auf dem Lande vom 9. Juli 1917 Bayer. Hauptstaatsarchiv/Kriegsarchiv MĂźnchen

„Liebe Schwägerin! [‌] denn fĂźr alte u. kränkliche Leute ist jetzt eine harte Zeit. ich selbst bin jetzt schon längere Zeit nicht mehr recht gesund wan nur das Brod nicht gar so schlecht wäre sonst will ich ja gar nicht klagen das es wenig wäre den im Alter iĂ&#x;t man ja nicht mehr so viel anstellen brauch ich mich ja auch nicht stundenlang das besorgt ja die Hanni. Jetzt ist doch die groĂ&#x;e Kälte wieder vorĂźber das war ein Januar um 3 - 4 Pfund Kohlen haben die Leute gebettelt in der ganzen Stadt kaum zum auftreiben wir haben ja gehabt. Es kommt eben heuer auch alles zusammen u. die Leute werden durch den Krieg auch nicht besser. Soviel geschimpft und resoniert ist noch nie geworden wie jetzt alles ist so verbittert u. wo komt es her, wan man die Ungerechtigkeit sieht u. weiĂ&#x; wie man jetzt mit die Leut umgeht. Die GroĂ&#x;en bei uns leiden noch keine Not die bekommen noch ohne Karten wird ihnen sogar noch ins Haus geliefert natĂźrlich um ein hĂśheren Preis da spielt eben das Geld keine Rolle u. die andern kĂśnnen sich anstellen bei der Kälte u. wan es ausgeht kĂśnnens noch dazu leer nach Hause gehn. Wan nur einmal dieser schreckliche Krieg zu Ende ginge aber es wird noch ärger kommen was werden wir wohl noch mitmachen mĂźssen vielleicht steht das schlimmste noch bevor. Wan nur unsere Lieben wieder glĂźcklich heimkehren. Bisher hatt sie der liebe Gott ja beschĂźtzt u. seine l. Mutter. Hoffen und vertrauen wir auch ferner auf ihre Hilfe u. schlieĂ&#x;et Sie auch mit in euer Gebet ein um welches ich Euch bitte.[‌] Deine l. Schwägerin Th.Stier Aus dem Brief von Th. Stier an ihre Schwägerin, 5. März 1917 Ăźber die Versorgungslage und Krieg Mohr-Villa Stadtteilarchiv Freimann, NL Grillmair/Seiferth

Die ArbeiterbevÜlkerung hasste den Krieg mehr und mehr und mit ihm jene, die sie dafßr verantwortlich machte: Kaiser und KÜnig, Militär und Rßstungsindustrie. Im Jahre 1918 waren Hungerdemonstrationen schon alltäglich. Meldung des stellv. Generalkommandos I. Armeekorps vom 7. August 1918 Die fast alle Lebensmittel und Gßter des täglichen Bedarfs wurden Bezugsscheine ausgegeben. Angesichts des Schleichhandels und der ständig steigenden Preise blieb die Versorgung der Arbeiterfamilien trotzdem unzureichend.

Bayer. Hauptstaatsarchiv/Kriegsarchiv MĂźnchen

Stundenlanges Anstehen um Lebensmittel war an der Tagesordnung und nicht immer von Erfolg gekrĂśnt.

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Anstehen um Eier vor der Schrannenhalle, 1916 Foto: Pettendorfer Stadtarchiv MĂźnchen

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ARBEITEN FĂœR DEN KRIEG

Die Strukturen der Mßnchner Wirtschaft veränderten sich während des Krieges dramatisch. Die Residenzstadt wurde auch zum Industriestandort. Die bestehenden Industriebetriebe stellten auf Rßstungsproduktion um und wurden erweitert, neue Rßstungsbetriebe entstanden: Rapp-Motorenwerke (später BMW), Otto-Flugmaschinenwerke (später Bayerische Flugzeugwerke), Kriegsmetallwerk, Sßddeutsche Bremsen-AG, Bayerische Geschßtzwerke Friedrich Krupp KG. Auch in der Pulver- und Munitionsfabrik bei Dachau arbeiteten viele Mßnchnerinnen und Mßnchner. Der Mangel an Lebensmitteln schwächte die Beschäftigten. Sie mussten unter erschwerten Arbeitsbedingungen länger und härter arbeiten. Die Gewerkschaften kooperierten mit den KriegsbehÜrden und konnten ßber Verhandlungen LohnerhÜhungen bzw. Teuerungszulagen insbesondere fßr Rßstungsarbeiter erstreiten. Aber die ständig steigenden Preise und zunehmende Versorgungsmängel entwerteten solche Erfolge. Die ReallÜhne der Arbeiter sanken während des Krieges in der Rßstungsindustrie um 20 %, in der Konsumgßterindustrie um bis zu 40%. Gewerkschaften und Belegschaften ordneten sich den vermeintlichen Kriegsnotwendigkeiten unter und verzichteten weitgehend auf Streiks. Aufbegehrenden Arbeitern drohte die Einberufung und damit die Front.

Die Zusammensetzung der Belegschaften veränderte sich. Fßr die eingezogenen Männer ßbernahmen Frauen und Jugendliche deren Arbeitsplätze. Waren Beschäftigte vom Kriegsdienst freigestellt, konnten sie ßber das Hilfsdienstgesetz an Rßstungsbetriebe gebunden werden. Die Gewerkschaften verbesserten im Krieg ihre Stellung und kamen ihrem Ziel näher, als legale Vertreter der Arbeiterschaft und als Sozialpartner in Wirtschaft und Gesellschaft anerkannt zu werden. Selbst Zugeständnisse in der Sozialpolitik konnten erreicht werden. Als sich 1916 die kriegswirtschaftliche Situation in Deutschland verschärfte, kam es zu grundlegenden Veränderungen. Die staatliche Seite erkannte die Gewerkschaften - gegen den erklärten Willen der Unternehmer - als Vertreter der Arbeiterschaft an.

General Wilhelm Groener, Leiter des ‚  @ Kriegsamts, erklärte: „Gegen die Arbeiterschaft kĂśnnten wir diesen Krieg Ăźberhaupt nicht gewinnen.“ Er berief den Sozialdemokraten und Vorsitzenden des Deutschen Metallarbeiterverbandes Alexander Schlicke als Vertreter der Arbeiterschaft ins Kriegsamt.

Hoch war der Anteil von Arbeiterinnen besonders in Pulver- und Munitionsfabriken wie in Dachau. Arbeiterinnen bei der Patronenfertigung

Das „Gesetz Ăźber den vaterländischen Hilfsdienst“ vom Dezember 1916 sah u.a. Vertreter der Gewerkschaften in SchlichtungsausschĂźssen vor. Damit wurde die lokal schon länger geĂźbte Praxis gesetzlich festgeschrieben, die Gewerkschaften an der Organisation des Arbeitskräftebedarfs und zur Steigerung der Arbeitsleistung in der RĂźstungsindustrie zu beteiligen.

MĂźnchener Illustrierte Zeitung, Nr. 32, 1916

Arbeiterinnen in einer Artilleriewerkstatt, 1914 MĂźnchener Illustrierte Zeitung, Nr. 32, 1916

Die Rapp Motorenwerke Mßnchen stellten Flugmotoren her. Die Zahl der Beschäftigten stieg von 89 im Juli 1914 auf 450 im November 1915 und 1.800 im November 1917. Der Anteil von Frauen war mit 10% niedrig. 1917 wurden die Rapp Motorenwerke in Bayerische Motorenwerke GmbH umbenannt.

1916 ging die Firma in den Bayerischen Flugzeugwerken auf. Die Zahl der Beschäftigten stieg von 500 im Jahr 1914 auf ßber 2.000 im Jahr 1917.

Einer der neuen Frauenberufe war SchweiĂ&#x;erin. In Anzeigen wurden immer wieder ausdrĂźcklich „SchweiĂ&#x;erinnen“ gesucht.

Flugmaschinenwerke Gustav Otto, Oberwiesenfeld, um 1915

SchweiĂ&#x;erin in einer Artilleriewerkstatt bei der Arbeit

Bay. Hauptstaatsarchiv, Abt. IV/Kriegsarchiv

MĂźnchener Illustrierte Zeitung, Nr. 32, 1916

Arbeiter in den Rapp Motorenwerken in MĂźnchen, MĂźnchener Illustrierte Zeitung, Nr. 14, 1916

Die Artilleriewerkstätte unterstand dem Kriegsministerium, die Arbeiter waren zivile Beschäftigte des Militärs. Arbeiter in der Artilleriewerkstätte in Mßnchen, um 1914 Bay. Hauptstaatsarchiv, Abt. IV/Kriegsarchiv

= @ & *} ~ & = von Arbeiterinnen. Die GranatenhĂźlsen verweisen auf die Arbeit fĂźr die RĂźstung.

Der Krieg veränderte auch die Produktion: Uniformen statt Kleidung. Die Arbeitsbedingungen waren schlecht, die LÜhne niedrig.

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Frauen in der Kleiderfabrik Knagge & Peitz beim Nähen von Uniformen, 1915

Stadtarchiv MĂźnchen

Stadtarchiv MĂźnchen

mit allen verfßgbaren Mitteln und aller Schärfe einzugreifen

< _ * & / & ~„ ] soweit sie nicht zum Militär eingezogen waren, zur Arbeitsleistung. Gesetz Ăźber den vaterländischen Hilfsdienst, 5.12.1916 RGBl. I, Nr. 276

(Bayer.) Kriegsministerium: „Leitsätze fĂźr das Vorgehen der Militärbefehlshaber bei Ausbruch grĂśĂ&#x;erer Streiks in der RĂźstungsindustrie“ v. 3.9.1916, Auszug Bayer. Hauptstaatsarchiv, Abt. IV/Kriegsarchiv

Streik im Werk Moosach der Firma GlĂśggl & Sohn Ăœber 600 Frauen streikten vom 7. bis 14. Dezember 1917 und setzten eine LohnerhĂśhung durch. Auszug aus dem Jahresbericht 1917 des Deutschen Metallarbeiterverbands, Verwaltung MĂźnchen, Ăźber einen Streik von Arbeiterinnen. Archiv der MĂźnchner Arbeiterbewegung

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SOZIALDEMOKRATIE UND GEWERKSCHAFT IM KRIEG

Die bayerische SPD-FĂźhrung begrĂźĂ&#x;te die Burgfriedenspolitik und die Neuausrichtung der Partei. Unter dem Einfluss des stellvertretenden Vorsitzenden und Chefredakteurs der „MĂźnchener Post“, Adolf MĂźller, schloss sie kurz nach Kriegsbeginn ein informelles BĂźndnis mit der Staatsregierung. Damit war das Verhältnis der SPD-Landesleitung zur Staatsregierung bis Kriegsende festgelegt. Die ParteifĂźhrung und die Gewerkschaften unternahmen alles, um den steigenden Unmut der Arbeiterschaft angesichts der sich verschlechternden sozialen Verhältnisse zu beschwichtigen. Im Gegenzug gewährten die bayerischen BehĂśrden dem gemäĂ&#x;igten Teil der Sozialdemokratie einen gewissen Handlungsspielraum. In MĂźnchen meldeten sich zunächst kaum oppositionelle Stimmen. Erst nach der RĂźckkehr des verwundeten SPD-Jugendfunktionärs Felix Fechenbach von der Front 1915 reorganisierte sich ein Teil der MĂźnchner Parteijugend und geriet mit ihrer kritischen Haltung rasch ins Visier der ParteifĂźhrung.

Bis Jahresende wuchs der Mitgliederbestand auf ca. 300 Personen an. Die Zahl der Ăœbertritte von der „alten“ Partei, die sich nun Mehrheitssozialdemokratische Partei (MSPD) nannte, blieb sehr gering. Aus dem Kreis der engeren ParteifĂźhrung in MĂźnchen wechselte niemand zur USPD, dafĂźr aber einige Gewerkschaftsfunktionäre. Die Gewerkschaften trugen die deutsche Kriegspolitik mit, um mit der Sicherung der Weltmarktposition der deutschen Wirtschaft Arbeitsplätze zu erhalten. Unter einer Niederlage, so die Ăœberlegung, hätten auch die Arbeiter zu leiden. Doch auch in den Gewerkschaften wuchs die Zahl der Gegner des Kriegskurses. Sie kritisierten die defensive, reformistische Haltung der FĂźhrung und suchten die in der Kriegssituation entstandene Unzufriedenheit der Mitglieder fĂźr ihre politischen Forderungen zu nutzen: AufkĂźndigung der Burgfriedenspolitik, Beendigung des Krieges, grundlegende gesellschaftliche Veränderungen.

Todesanzeige fĂźr gefallene Gewerkschafter in der „MĂźnchener Post“, 30. November 1915 Archiv der MĂźnchner Arbeiterbewegung

Gedenkblatt fĂźr die Gefallenen des Fabrikarbeiterverbandes, 1915 Zeichnung: H. Feulner Archiv der MĂźnchner Arbeiterbewegung

Ehrentafel fĂźr die 30 im Jahre 1914 gefallenen Mitglieder der DMV-Verwaltung MĂźnchen Jahresbericht 1914 des Deutschen Metallarbeiterverbandes, Verwaltung MĂźnchen. Bis Kriegsende stieg die Zahl der Toten auf 437. Archiv der MĂźnchner Arbeiterbewegung

Zahlreiche Sozialdemokraten und Gewerkschafter, wie z.B. auch Felix Fechenbach und Erhard Auer wurden zum Kriegsdienst eingezogen oder meldeten sich freiwillig. Felix Fechenbach (4.v.r., mit verbundener Hand), Leiter der Parteijugend, nach seiner Verwundung im Reservelazarett Pforzheim Archiv der MĂźnchner Arbeiterbewegung

Vom Freund zum Gegner Ăœber den Krieg ging eine Männerfreundschaft in die BrĂźche. MĂźller ging 1915 in die Schweiz und bemĂźhte sich um einen Verständigungsfrieden, Eisner wurde zum Revolutionär. MĂźller hatte Eisner in der Juli-Krise RuĂ&#x;land als Angreifer dargestellt, was dieser Ăźbernommen hatte. Als Eisners Bild von den wahren Verantwortlichkeiten deutlicher wurde, ging er auf Distanz.

Nach Drohungen mit Sanktionen gegen kritische oppositionelle Sozialdemokraten, die die Burgfriedenspolitik ablehnten, grĂźndeten diese im April 1917 in Gotha die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD). Am 16. Mai 1917 entstand in MĂźnchen der Ortsverein „Unabhängige Sozialdemokratische Partei MĂźnchen, Stadt und Land“.

In Ihrer Ausgabe vom 25. Mai 1917 startete die MĂźnchener Post eine Abstimmungskampagne „FĂźr den sofortigen Frieden!“ Die Leser sollten den Vordruck ausschneiden, ausfĂźllen und an die Zeitung zurĂźcksenden. (siehe auch † ‡ MĂźnchener Post, 25. Mai 1917, Titelseite Stadtarchiv MĂźnchen

Adolf MĂźller (li.) und Kurt Eisner am Eingang zum Landtag in der PrannerstraĂ&#x;e, um 1914 Bundesarchiv Berlin, BildY 10-209/91

stĂśrt nicht die Arbeit „Die rein negative Kritik hat im Krieg manchmal zu schweigen. Das muĂ&#x; den Genossen, die nur eine solche negative Kritik Ăźben, einmal ganz deutlich gesagt werden: wenn ihr in dieser Kriegszeit nichts anderes tun kĂśnnt, dann setzt Euch meinetwegen hin und schmiert Artikel Ăźber Artikel, theoretisiert so viel Ihr wollt, aber stĂśrt nicht die Arbeit der praktisch arbeitenden Männer und Frauen! Wenn alle Arbeiter so denken wĂźrden, dann wĂźrde bei uns einmal aufgeräumt werden kĂśnnen und dann wĂźrden wir manches Uebel bei uns los. Es wäre ein Segen fĂźr die Partei. Wir wĂźrden nur einige QuerkĂśpfe und ewig graue Theoretiker los werden.“ Johannes Timm, Gewerkschaftssekretär und Vorsitzender des SPD-Gaus SĂźdbayern, in der SPD-Parteiausschusssitzung vom 20./21. Juli 1916 Ăźber die Parteilinke

Entweder Krieg bis zur ErschÜpfung ‌oder: Beseitigung dieser Regierung

Fechenbach stellte den Kontakt zu Eisner her, der die Leitung der im Dezember 1916 einsetzenden „Diskussionsabende“ Ăźbernahm. Sie bildeten das mit Abstand wichtigste Forum der Kriegsgegner in MĂźnchen. „Die 18jährigen“, von Felix Fechenbach gegrĂźndete Gruppe Arbeiterjugend, am 1. Mai 1914 Archiv der MĂźnchner Arbeiterbewegung

„Das ist das furchtbare Entweder – Oder! Entweder Krieg bis zur ErschĂśpfung, damit die deutschen Verantwortlichen des Krieges auf den Leichen des deutschen Volkes ihre Herrschaft zu erhalten vermĂśchten, oder: Beseitigung dieser Regierung und ihrer Politik und damit Rettung des deutschen Volkes und Frieden! Die sogenannte Mehrheit der deutschen Sozialdemokratie unterstĂźtzt wissentlich oder unwissentlich das noch herrschende System, verhindert damit den Frieden und hilft, das deutsche Volk in den Abgrund zu treiben. Daran darf kein deutscher Proletarier, kein deutscher Sozialdemokrat mitschuldig werden.“

„Ueber die Frage des Krieges gab es in den Diskussionsabenden nur eine Meinung, und die zeitigte die Erkenntnis, daĂ&#x; das Proletariat die Regierung stĂźrzen, die politische Macht erobern und selbst Frieden schlieĂ&#x;en mĂźsse. [‌] Die Hauptaufgabe der Eisnerschen Diskussionsabende war die Erziehung der Teilnehmer zum selbständigen politischen Denken und Urteilen, namentlich zur Emanzipation von dem LĂźgenschwall der Tagespresse.“ Felix Fechenbach Ăźber die Diskussionsabende mit Eisner Zitiert nach: Felix Fechenbach, Der Revolutionär Kurt Eisner

Schreiben Kurt Eisners vom 1. Mai 1917 an die MĂźnchener SPD-Wahlkreiskonferenz

Im Juni 1917 versuchten internationale Gewerkschafts- bzw. Sozialistenkonferenzen in † " ? ˆ & & Die BemĂźhungen scheiterten, da Vertreter aus den alliierten Staaten fehlten. Die MSPD-Delegierten hatten der Sozialistenkonferenz am 12.6. Vorschläge fĂźr einen „Verständigungsfrieden“ vorgelegt auf der Basis „Keine Annexionen, keine Entschädigungen“. Delegierte der internationalen Gewerkschaftskonferenz in Stockholm: Eduard Bernstein, Hugo Haase, Karl Kautsky (alle USPD, vorne) mit Delegierten aus Holland und Dänemark Friedrich-Ebert-Stiftung, Archiv der sozialen Demokratie, Bonn

Bundesarchiv-SAPMO, Berlin

SPD, Protokolle der Sitzungen des Parteiausschusses

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AUF DEM WEG ZUR REVOLUTION

Die zunehmende Unruhe in der BevĂślkerung zeigte sich 1917/18 in Hungerdemonstrationen und Streiks. Zu groĂ&#x; war der Unmut in der Arbeiterschaft Ăźber die schlechte Ernährungssituation im vergangenen Winter und Ăźber den immer noch andauernden Krieg. Während die Streikwelle im FrĂźhjahr 1917 Bayern nur wenig berĂźhrt hatte, griff die groĂ&#x;e, politisch motivierte Streikbewegung vom Januar 1918 auch auf MĂźnchen Ăźber. Gegen den Widerstand von MSPD und Gewerkschaften gelang es der USPD, die Belegschaften mehrerer GroĂ&#x;betriebe wie Krupp und der Bay. Motorenwerke zum Ausstand zu bewegen. Am Streik beteiligten sich in MĂźnchen Ăźber 9000 Arbeiter. Er musste aber nach wenigen Tagen erfolglos abgebrochen werden. Der Druck der staatlichen GegenmaĂ&#x;nahmen war zu groĂ&#x;. Nahezu die gesamte FĂźhrung der MĂźnchner USPD wurde in Haft genommen. Unter diesem Druck brach die Streikleitung den Ausstand ab. Nach dem Misserfolg des Januarstreiks beruhigte sich die politische Situation vorĂźbergehend. Die von groĂ&#x;em propagandistischem Aufwand begleitete FrĂźhjahrsoffensive sorgte wenig später dafĂźr, dass die Hoffnungen auf einen „Siegfrieden“ noch einmal anwuchsen. Doch die deutsche Offensive an der Westfront scheiterte. Die alliierten Armeen gingen zum Gegenangriff Ăźber und in den deutschen Truppen zeigten sich AuflĂśsungserscheinungen. Die MilitärfĂźhrung musste eingestehen, dass der Krieg verloren war. Die seit 1916 nahezu diktatorisch herrschende 3. Oberste Heeresleitung (Hindenburg und Ludendorff) forderte im Oktober 1918 die Reichsregierung zu Waffenstillstandsverhandlungen auf. Erst jetzt wurde einer breiten Ă–ffentlichkeit die bevorstehende Niederlage bewusst. Der Autoritätsverfall der staatlichen Gewalten verschärfte sich.

Die 3. OHL entwickelte in ihrer MachtausĂźbung diktatorische ZĂźge. Sie drängte auf den uneingeschränkten U-Boot-Krieg, der dann zum Kriegseintritt der USA fĂźhrte. _ & ‰ ‡ & Š \ & & @ ‰ ‡ ? ‹‹ ] ÂŽ _ & & \ & & @ Ăźbernahmen im August 1916 als Dritte die Oberste Heeresleitung (OHL)

KriegsmĂźdigkeit und Friedenssehnsucht

Hoffnung auf baldigen FriedensschluĂ&#x;

„DaĂ&#x; nach wie vor eine groĂ&#x;e KriegsmĂźdigkeit und Friedenssehnsucht die Grundstimmung des Volkes bildet, bedarf keiner besonderen Erwähnung.“

„Die Stimmung der BevĂślkerung ist kriegsmĂźder, niedergeschlagener und verdrossener denn je. Nur die Hoffnung auf baldigen FriedensschluĂ&#x; hebt die GemĂźter.“

Stellvertretendes Generalkommando des I. Armeekorps (MĂźnchen) an das Bayer. Kriegsministerium am 5. Juni 1917 Hauptstaatsarchiv, Abt. IV/Kriegsarchiv, MĂźnchen

Stellvertretendes Generalkommando des I. Armeekorps (MĂźnchen) an das Bayer. Kriegsministerium am 4. November 1918 Bayer. Hauptstaatsarchiv, Abt. IV/Kriegsarchiv, MĂźnchen

Bundesarchiv Koblenz

„Das neue Glaubensbekenntnis! Der Bau des Werks hatte 1916 begonnen, 1918 waren bereits mehrere tausend Arbeiter dort beschäftigt. Sie waren die AnfĂźhrer des RĂźstungsarbeiterstreiks vom 30. Januar bis 3. Februar 1918.

Ich glaube an die SteckrĂźben, die allgemeine Ernährerin des deutschen Volkes und an die Marmelade, ihre stammverwandte Genossin, empfangen von der städtischen Verkaufsstelle, geboren durch die VerfĂźgung des Kriegsernährungsamtes, durch die auch meine sämtlichen Hoffnungen auf Kartoffel gestorben, gelitten unter dem Wucher der Bauern, gesammelt, gepresst und verarbeitet, auferstanden als Tafelobst, von dannen sie kommen wird als Brotaufstrich fĂźr Deutschlands HeldensĂśhne. Ich glaube an den heiligen Krieg, eine allgemeine Wuchergesellschaft, die Gemeinschaft der Hamsterer, ErhĂśhung der Steuern, KĂźrzung der Fleischrationen und ein ewiges Bestehen der Brotkarten. Amen.“

Bayerische GeschĂźtzwerke Friedrich Krupp KG, MĂźnchen, Luftaufnahme Bay. Hauptstaatsarchiv, Abt. IV/Kriegsarchiv, MĂźnchen

Die Arbeiter der Rapp Motorenwerke (seit 1917 BMW), der Bayer. Flugzeugwerke und anderer RĂźstungsbetriebe schlossen sich dem Streik an. Fabrikanlagen der Rapp Motorenwerke bzw. der Bayerischen Motorenwerke, um 1917 Bay. Hauptstaatsarchiv, Abt. IV/Kriegsarchiv, MĂźnchen

Heimlich verbreitetes Spott-Gebet auf die Versorgungslage, Juli 1917 Bayer. Hauptstaatsarchiv, Abt. IV/Kriegsarchiv, MĂźnchen

Millionen zählende neue Proletarier-Gruppe

Schon am 29. Januar wurden im Reich 250.000 Streikende gezählt.

Flugblatt während des Rßstungsarbeiterstreiks nach der Verhaftung der Streikfßhrer in Mßnchen Stadtbibliothek Mßnchen

Fßr die Verhandlungen mit den Alliierten wurde entsprechend den Forderungen des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson und angesichts der drohenden Revolution eine Parlamentarisierung eingeleitet. Prinz Max von Baden bildete eine neue Regierung, in die auch Mehrheitssozialdemokraten aufgenommen wurden.

Bericht der „MĂźnchener Post“ Ăźber „Die Streikbewegung in Deutschland“, 29. Januar 1918

Aus dem Bericht des Bayer. Kriegsministeriums (Pressereferat) vom 12.8. 1917 Ăźber die „Stimmung der ZivilbevĂślkerung“ Bay. Hauptstaatsarchiv, Abt. IV/Kriegsarchiv, MĂźnchen

Die im Oktober 1918 aus der Haft entlassenen USPD-Mitglieder kehrten nach MĂźnchen zurĂźck. Unter der FĂźhrung von Eisner machten sie sich nun daran, ihre Umsturzpläne umzusetzen. Trotz mancher Warnungen waren Regierung und MSPD Ăźberzeugt: „Es wird nichts passieren.“

Bericht des Stellvertretenden Generalkommandos des I. Armeekorps (MĂźnchen) an das Bayer. Kriegsministerium

Zur Bekämpfung der Streikwelle im Januar 1918 verbreitete das Militär massenweise Flugzettel.

Bayer. Hauptstaatsarchiv, Abt. IV/Kriegsarchiv, MĂźnchen

Bayer. Hauptstaatsarchiv, Abt. IV/Kriegsarchiv, MĂźnchen

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REVOLUTION IN MĂœNCHEN, NOVEMBER 1918

Der Aufstand der Matrosen der deutschen Hochseeflotte Ende Oktober 1918 markierte den Beginn der revolutionären Bewegung, die sich rasch ausbreitete. Am 7. November nachmittags fand in MĂźnchen eine gemeinsame Kundgebung von MSPD und USPD auf der Theresienwiese statt. Danach zogen Kurt Eisner und eine Ăźberschaubare Zahl von USPDAnhängern zu den Kasernen und besetzten sie ohne auf nennenswerten Widerstand zu treffen. In der Nacht rief Eisner im Landtag vor etwa 1.000 Anwesenden die „Republik Bayern“ aus. Nach dem Vorbild der russischen Revolution von 1905 wurden Räte gewählt. Dem Arbeiterrat standen Kurt Eisner und Hans Unterleitner vor, dem Soldatenrat Fritz Sauber, alle USPD. KĂśnig Ludwig III. flĂźchtete aus MĂźnchen. Die MSPD unter ihrem neuen Vorsitzenden Erhard Auer hatte bis zuletzt auf die Erhaltung der Monarchie gehofft. Nachdem die alte Regierung keinerlei UnterstĂźtzung mehr hatte mobilisieren kĂśnnen, schwenkte die MSPD schlieĂ&#x;lich auf einen neuen Kurs um. Am 8. November erschien die Proklamation des Rates der Arbeiter, Soldaten und Bauern „Bayern ist fortan ein Freistaat“, unterzeichnet von Eisner. Am gleichen Tag bildete Eisner als Ministerpräsident eine Koalitionsregierung aus USPD und MSPD. AuĂ&#x;erdem konstituierte sich ein „Provisorischer Nationalrat“ unter dem Vorsitz von Franz Schmitt (MSPD) und Fritz SchrĂśder (USPD). In seiner ErĂśffnungsrede kĂźndigte Eisner an, dass eine noch zu wählende Nationalversammlung „in Zeiten ruhigerer Entwicklung die endgĂźltige Verfassung Bayerns festlegen“ werde. Die Ausgestaltung der Machtbalance zwischen Räten, Regierung und kommender Nationalversammlung blieb vorerst offen. In Berlin kam es erst am 9. November zur Revolution. Philipp Scheidemann (MSPD) rief die deutsche Republik aus, Karl Liebknecht (Spartakusbund) kurz danach die sozialistische Republik. Der Kaiser wurde fĂźr abgesetzt erklärt und flĂźchtete ins Exil. Nach langwierigen Waffenstillstandsverhandlungen endete der Erste Weltkrieg schlieĂ&#x;lich am 11. November 1918.

Am 6. November rief die MSPD Ăźber die „MĂźnchener Post“ die BevĂślkerung MĂźnchens zu einer GroĂ&#x;kundgebung auf der Theresienwiese auf. Die USPD schloss sich an und stellte auch Redner. Die Veranstaltung wurde Ausgangspunkt der Revolution in MĂźnchen. MĂźnchener Post, 6. November 1918 Stadtarchiv MĂźnchen

Proklamation: „An die BevĂślkerung MĂźnchens!“; MĂźnchener Post, 8.11.18

Etwa 40.000 bis 60.000 Menschen nahmen an der Kundgebung teil. Kundgebung auf der Theresienwiese am 7. November 1918 Archiv der MĂźnchner Arbeiterbewegung

Archiv der MĂźnchner Arbeiterbewegung

Proklamation „Bayerische Republik“ Bayer. Hauptstaatsarchiv, MĂźnchen

Alle Kasernen in Mßnchen schlossen sich der Revolution an. Gruppe revolutionärer Soldaten Postkarte

Revolutionäre Soldaten vor dem Landtagsgebäude, in dem nun auch der Arbeiter- und Soldatenrat seinen Sitz hatte. Postkarte Stadtarchiv Mßnchen

Archiv der MĂźnchner Arbeiterbewegung

Es wird nichts passieren „Es gibt unruhige und unzuverlässige Elemente auch in der bayerischen Armee. Aber, meine Herren, Sie kĂśnnen ganz beruhigt sein. Die Armee als Ganzes ist noch fest in unserer Hand (!). Es wird nichts passieren.“ Kriegsminister von Hellingrath in der Besprechung mit ParteifĂźhrern am 6. November 1918

Es geschieht gar nichts „Reden sie doch nicht immer von Eisner; Eisner ist erledigt. Sie dĂźrfen sich darauf verlassen. Wir haben unsere Leute in der Hand. Ich gehe selbst mit dem Zuge. Es geschieht gar nichts.“ Erhard Auer (MSPD) in derselben Besprechung Ăźber die Kundgebung und die Gefahr eines Umsturzes Bayer. Hauptstaatsarchiv, Abt. IV/Kriegsarchiv, MĂźnchen

Schutzwache vor dem Eingang des Landtagsgebäudes, jetzt auch Sitz des Arbeiter- und Soldatenrats. Postkarte Archiv der Mßnchner Arbeiterbewegung

Vollzugsausschuss der „Arbeiter- und Soldatenräte“ im Landtag, Ende 1918 v.l. Joseph Eisenhut, Heinrich SĂźĂ&#x;, Georg Kandlbinder, Ernst Niekisch, Joseph Feinhals,, Carl KrĂśpelin, Edwin Steinmetz, Max Reuter ˆ X _ _ @ Bayer. Hauptstaatsarchiv, MĂźnchen

Kurt Eisner, Ministerpräsident des Freistaats Bayern Fotopostkarte: Germaine Krull, Ende 1918 Archiv der Mßnchner Arbeiterbewegung

Erhard Auer, seit 1918 bayerischer SPD-Vorsitzender und durch die Revolution Innenminister in der Regierung Eisner, war der groĂ&#x;e Kontrahent Eisners Archiv der MĂźnchner Arbeiterbewegung

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KRIEGSSCHULDFRAGE

Deutsche Pazifisten und linke Sozialdemokraten hatten schon während des Krieges Ăśffentlich auf die deutsche Verantwortung fĂźr diesen Krieg hingewiesen. Nach Ende des Krieges wurde die Frage aktuell, wer die Verantwortung fĂźr die Millionen an Toten und Verwundeten, die ZerstĂśrungen und die riesigen wirtschaftlichen Schäden zu tragen habe. Die Siegermächte forderten die Auslieferung der Verantwortlichen und die Ahndung der Kriegsverbrechen. Beides lehnte die deutsche Seite ab. Die Siegermächte schrieben die alleinige Verantwortung Deutschlands und seiner VerbĂźndeten fĂźr den Krieg im Versailler Vertrag (Art. 231) fest. Kurt Eisner publizierte schon Ende November 1918 geheime Dokumente aus dem KĂśnigl. Bayer. Ministerium des Ă„uĂ&#x;eren. Sie legten nahe, dass der Krieg im PreuĂ&#x;ischen Kriegsministerium vorbereitet worden war. Unabhängige Sozialdemokraten wie Karl Kautsky wiesen in Schriften auf die Verantwortung des Kaisers, seiner MilitärfĂźhrung sowie der Regierung hin und forderten wie auch die revolutionäre Linke die Bestrafung der Kriegstreiber, grundlegende gesellschaftlichen Reformen und SozialisierungsmaĂ&#x;nahmen. Doch alle Parteien, auĂ&#x;er USPD und KPD, beharrten weiterhin auf der Vorstellung, Deutschland habe einen legitimen Verteidigungskrieg gefĂźhrt. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss und andere Institutionen beschäftigten sich in der Weimarer Republik damit, gegenĂźber den Alliierten die „Kriegsunschuld“ Deutschlands zu beweisen. Regierung und Auswärtiges Amt blockierten alle Versuche einer kritischen Aufarbeitung. Diese Behauptung der „Kriegsunschuld“ begrĂźndete die Ablehnung des Versailler Vertrags. Sie war damit zentrales Argument aller RevisionsbemĂźhungen. Alle Deutschland auferlegten Lasten wie Reparationen, Handels- und RĂźstungsbeschränkungen sowie Gebietsverluste schienen damit unberechtigt zu sein. Die Frage der Verantwortung fĂźr den Krieg ist seit 100 Jahren Gegenstand intensiver Forschung und kontroverser Diskussionen. Erst der Hamburger Historiker Fritz Fischer demontierte in Deutschland 1961 mit seinem Buch „Griff nach der Weltmacht“ die Legende von der deutschen Unschuld und wies dem Deutschen Reich eine „maĂ&#x;gebliche Verantwortung“ zu. Das 2013 auf Deutsch erschienene Buch des Historikers Christopher Clark mit dem Titel „Die Schlafwandler“ relativierte sehr stark die deutsche Verantwortung, stieĂ&#x; dabei aber auch auf scharfe Kritik. Die Debatte bleibt kontrovers. Der Erste Weltkrieg war ein Krieg imperialistischer, kriegsbereiter Mächte. Keine von ihnen war gewillt, einem Krieg aus dem Weg zu gehen. Krieg galt als legitimes Mittel der Politik. Gute GrĂźnde sprechen nach wie vor dafĂźr, Ă–sterreichUngarn und vor allem dem Deutschen Reich die Hauptverantwortung fĂźr die KriegsauslĂśsung zuzuschreiben. Beide Mächte bestimmten in der Juli-Krise das Tempo und hätten die Entwicklung hin zum Krieg aufhalten kĂśnnen. Aber niemand gebot Einhalt, weder Kaiser noch Kanzler noch MilitärfĂźhrung, obwohl sie ahnten, dass der Krieg mit unkalkulierbaren Risiken und beispiellosen Opfern verbunden sein wĂźrde.

UnterstĂźtzt von Felix Fechenbach, Richard Kaempfer und Albert Winter jun. lieĂ&#x; Eisner als bayerischer Ministerpräsident am 23. November 1918 mehrere Dokumente aus den Akten des Ministeriums des Ă„uĂ&#x;eren publizieren, die auf eine Verantwortung Deutschlands und Ă–sterreich-Ungarns fĂźr den Krieg hindeuteten. „Die Neutralität Belgiens kann Deutschland nicht respektieren. Der Generalstabschef hat erklärt, dass selbst die englische Neutralität um den Preis einer Respektierung Belgiens zu teuer erkauft wäre, da der Angriffskrieg gegen Frankreich nur auf der Linie Belgiens mĂśglich.“

Auch auf dem Sozialistenkongress betonte Eisner die besondere Verantwortung des deutschen Militärs fßr den vergangenen Krieg. Die europäischen Staaten nach dem Ersten Weltkrieg, 1921

Eisner mit seinem Sekretär Fechenbach und anderen Delegierten auf dem internationalen Berner Sozialistenkongress im Februar 1919

Universität Mainz, ieg-maps

Archiv der sozialen Demokratie/Friedrich-Ebert-Stiftungt

von seiner Regierung aufs schmählichste betrogen und belogen

Aus dem Bericht des Gesandten Graf Lerchenfeld an den Vorsitzenden im Ministerrat, Berlin, 4. August 1914 Karl Kautsky, Wie der Weltkrieg entstand, Auszug

Bayerische Dokumente zum Kriegsausbruch und zum Versailler Schuldspruch

Archiv der MĂźnchner Arbeiterbewegungt

Fechenbach war als Sekretär von Ministerpräsident Eisner an dessen Publikation der Dokumente ßber die deutsche Kriegsschuld im November 1918 beteiligt gewesen. Deswegen entfachten der Publizist Paul Nikolaus Cossmann und andere eine Pressekampagne gegen Fechenbach. Das Mßnchner Volksgericht verurteilte Fechenbach daraufhin wegen Landesverrats zu 11 Jahren Zuchthaus. Da Deutschland unschuldig sei, mßsse also Fechenbach Dokumente gefälscht = * @ Druck hin wurde er 1924 begnadigt.

Deutschland und seine VerbĂźndeten als Urheber fĂźr alle Verluste und Schäden verantwortlich „Die alliierten und assoziierten Regierungen erklären, und Deutschland erkennt an, daĂ&#x; Deutschland und seine VerbĂźndeten als Urheber fĂźr alle Verluste und Schäden verantwortlich sind, die die alliierten und assoziierten Regierungen und ihre StaatsangehĂśrigen infolge des Krieges, der ihnen durch den Angriff Deutschlands und seiner VerbĂźndeten aufgezwungen wurde, erlitten haben.“ Artikel 231 des Versailler Vertrages

„Nieder mit der SchuldlĂźge“ Plakat eines Arbeitsausschusses, der 1922 zur Revision des Schuldanerkenntnisses im Versailler Vertrag aufrief

Felix Fechenbach zur Zeit des Prozesses, 1922/23 Archiv der MĂźnchner Arbeiterbewegungt

Bayer. Hauptstaatsarchiv, Abt. 5/Plakatsammlung

Das Buch des Hamburger Geschichtsprofessors Fritz Fischer lĂśste eine erbitterte Kontroverse aus. Fischers Sichtweise setzte sich schlieĂ&#x;lich weitgehend durch. „Da Deutschland den Ăśsterreichisch-serbischen Krieg gewollt und gedeckt hat und, im Vertrauen auf die deutsche militärische Ăœberlegenheit, es im Juli 1914 be+ Â? * " Â? & und Frankreich ankommen lieĂ&#x;, trägt die deutsche ReichsfĂźhrung den entscheidenden Teil der historischen Verantwortung fĂźr den Ausbruch des allgemeinen Krieges.“ = X ˆ ˆ ] ‘ @ & ? macht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/18

50 Jahre danach - der Erste Weltkrieg war wieder Thema Der Spiegel, Nr.11/1964, Titelseite

Ein viel versprechender Titel, den aber der Inhalt trotz umfangreicher akribischer Forschung nicht deckt. Christopher Clark, Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog. Stuttgart 2013

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KAMPF UM DIE ERINNERUNG

Jeder hatte damals den Krieg auf eine andere Weise miterlebt. Jede individuelle Erfahrung war aber nur ein winziger Bruchteil aus dem Gesamtgeschehen. Es kam darauf an, dem Erleben des Einzelnen einen Bezugsrahmen, eine Deutung zu geben, die es ihm ermĂśglichte, sich mit seinen Erfahrungen dort zu integrieren. In der Nachkriegszeit bildeten sich zwei unterschiedliche Deutungen des Krieges heraus. Das sozialdemokratische Gedenken widmete sich vor allem der Trauer um die Opfer des Krieges. Als politische Konsequenz wurde „Nie wieder Krieg“ gefordert. Im Verlauf der 1920er Jahre setzte sich die „heroische“ Deutung der bĂźrgerlich-nationalen Kräfte durch. Sie hatte eine dezidiert antirepublikanische StoĂ&#x;richtung, wertete den Krieg durch und durch positiv und sah in ihm ein politisches Mittel fĂźr die Zukunft. Die Gefallenen wurden in der Tradition des Kaiserreichs als „Helden“ ĂźberhĂśht. Die „DolchstoĂ&#x;legende“ und andere GroĂ&#x;-Mythen wie „Augusterlebnis“, „Fronterlebnis“ und die „Kriegsunschuldlegende“ gewannen letztendlich die Ăœbermacht in der Erinnerungskultur. In der Literatur zum Ersten Weltkrieg finden sich antimilitaristische, den Krieg in seiner ganzen Grausamkeit schonungslos darstellende Werke wie Erich-Maria Remarques „Im Westen nichts Neues“ oder Arnold Zweigs „Junge Frau von 1914“.

Im „DolchstoĂ&#x;prozess“ verklagte 1925 der Herausgeber der „SĂźddeutschen Monatshefte“ Paul Nikolaus Cossmann den sozialdemokratischen Journalisten Martin Gruber wegen Beleidigung. Gruber hatte die von Cossmanns Zeitschrift vertretene Auffassung, dass der Krieg durch Verrat der Heimat verloren gegangen sei, als „Geschichtsverfälschung“ bezeichnet. Gruber wurde vom Gericht fĂźr schuldig befunden und zu einer Geldstrafe verurteilt.

Aber die nationalistischen und kriegsbejahenden Werke prägten die Kriegsdarstellungen bis 1945. Die Ăśffentliche Debatte Ăźber den Krieg wurde in der Weimarer Republik zunehmend von der sogenannten DolchstoĂ&#x;legende beherrscht. Sie stellte die Frage ins Zentrum, wer die Niederlage Deutschlands zu verantworten habe. Diese Legende besagte, der Krieg sei nicht wegen der militärischen Ăœbermacht der Gegner verloren gegangen. Die Niederlage sei vielmehr auf die Zersetzung des Kampfwillens in der Heimat und an der Front durch subversive, d. h. pazifistische, sozialistische, jĂźdische Kräfte zurĂźckzufĂźhren. Ludendorff und Hindenburg „segneten“ diese Legende persĂśnlich ab, um von der eigenen Verantwortung fĂźr die militärische Niederlage abzulenken. Die „DolchstoĂ&#x;legende“ prägte die deutsche Erinnerung an den Weltkrieg nachhaltig. Ein bleibendes Element der Ăśffentlichen WĂźrdigung der Kriegsopfer sind die in den 1920er Jahren allerorts entstehenden Kriegerdenkmäler. Ihre Errichtung wurde oft vom Volksbund Deutscher KriegsgräberfĂźrsorge, Krieger- und Veteranenvereinen betrieben und Ăśffentlich gefĂśrdert. Die Bildsprache dieser Denkmäler ist oft martialisch, ebenso ihre SinnsprĂźche wie z.B. die Zeilen aus einem Gedicht von Heinrich Lersch: „Deutschland muss leben und wenn wir sterben mĂźssen“.

Titelseite der SĂźddeutschen Monatshefte vom April 1924.

Plakat der Deutschnationalen zur Reichstagswahl im Dezember 1924

Archiv der MĂźnchner Arbeiterbewegung

Anschläge. 166 Plakate

Zahlreich waren die Publikationen der 1920er Jahre ßber den Ersten Weltkrieg. Fast alle stimmten darin ßberein: Deutschland war schuldlos. Die Darstellungen waren unkritisch und verklärend.

In der deutschnationalen und nationalsozialistischen Agitation wird der Erste Weltkrieg immer wieder thematisiert.

Die Bayern im GroĂ&#x;en Kriege 1914-1918, herausgegeben vom Bayerischen Kriegsarchiv, MĂźnchen 1923

Plakat der NSDAP zur Reichstagswahl 1928

Archiv der MĂźnchner Arbeiterbewegung

Bayer. Hautpstaatsarchiv, Plakatslg.

Die Einweihung am 14. Dezember 1924 kommentierte die „MĂźnchener Post“ wie folgt: „Die Ăœberbleibsel einer versunkenen verstaubten Zeit gaben sich bei der ErĂśffnung des in der Hauptsache aus Ăśffentlichen Mitteln vor dem Armeemuseum erstellten Denkmals fĂźr die 13.000 gefallenen MĂźnchener ein kleines monarchistisches Stelldichein. Man sah kĂśnigliche Hoheiten, Exzellenzen, den Ministerpräsidenten, ordensbesäte Offiziere, Etappenkämpfer, Biertischpatrioten und neugieriges Volk.“ Die fĂźr den gleichen Tag geplante Gedenkfeier des „Bundes republikanischer Kriegsteilnehmer“ verbot das Polizeipräsidium. Aber das Kriegerdenkmal sollte kĂźnftig auch der Ort fĂźr sozialdemokratisches Gedenken an die Opfer des Krieges werden. Zitiert nach Weyerer, MĂźnchen 1919-1933

MĂźnchner Kriegerdenkmal vor dem Armeemuseum (Hofgarten) fĂźr die 13.000 gefallenen MĂźnchner, errichtet vom Bayer. Kriegerbund. Postkarte 1927

Plakat fĂźr eine gemeinsame Gedenkveranstaltung fĂźr die Opfer des Ersten Weltkriegs, veranstaltet von sozialdemokratischen, gewerkschaftlichen, republikanischen und / # nen am 31. Juli 1922 MĂźnchner Stadtmuseum

Der Roman von Erich Maria Remarque „Im Westen nichts Neues“ zeichnete ein ungeschminktes Bild des Krieges. Gerade deswegen war er eine Ausnahme und beim national } ] + & “” Im Westen nichts Neues, Filmplakat

Die Kirche war ab 1914 Ausgangspunkt fßr die nach der Segnung an die Front abrßckenden Soldaten – viele kehrten nicht zurßck.

Der Volksbund Deutsche KriegsgräberfĂźrsorge wurde am 16. De } & Š & / † & * &hĂśfe bei den frĂźheren Schlachtfeldern. Er initiierte auch zahlreiche „Kriegerdenkmäler“ und die EinfĂźhrung des „Volkstrauertags“ als Gedenktag fĂźr die Gefallenen des Ersten Weltkriegs. Bei der Arbeiterbewegung stieĂ&#x; der Gedenktag wegen des militärischen Gepränges, der Verherrlichung der Kriegsbegeisterung und der oft republikfeindlichen Reden auf wenig Gegenliebe.

Erinnerungstafel der Vereinigung Bayerischer Reserve-Infanterie-Regimenter an ihre gefallenen Kameraden in der St. Johannis-Kirche in Haidhausen, angebracht 1923

Noch während des Krieges wurden auf SoldatenfriedhÜfen und ßber Massengräbern Grabdenkmale errichtet. Grabdenkmal ßber einem Massengrab an der Westfront

Soldatenfriedhof am Pordoijoch fĂźr die deutschen Toten an der Italienfront, Baubeginn in den 1930er Jahren, Fertigstellung 1959

Foto: Archiv der MĂźnchner Arbeiterbewegung

MĂźnchener Illustrierte Zeitung, Nr. 37, 1915

Foto, 2009 Archiv der MĂźnchner Arbeiterbewegung

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ARBEITERBEWEGUNG

UN D ERSTER WELTKRIEG

CH RON I K Der Erste Weltkrieg gilt heute als die „Urkatastrophe“ des 20. Jahrhunderts. Mit fast 70 Millionen Bewaffneten aus 40 Nationen, rd. 9 Millionen gefallenen und etwa 20 Millionen verwundeten Soldaten sowie etwa 12 Millionen toten Zivilisten war es das gewaltigste VĂślkermorden - bis dahin. Er gehĂśrt zur Vorgeschichte des Zweiten Weltkriegs mit noch gewaltigeren Opferzahlen.

1905

Š & † @ / ‰= @ * ˆ " & & ‡

1907 1912 1914

Friedenskongress der sozialistischen II. Internationale in Stuttgart SPD mit 34,8% stärkste Partei im Reichstag 28. Juni

Ermordung des Ăśsterreichisch-ungarischen Thronfolgers Erzherzog Franz-Ferdinand in Sarajevo

In der deutschen Erinnerung verblasste der Erste Weltkrieg durch die gigantischen Dimensionen des Zweiten Weltkriegs. Anders in Frankreich (Grande Guerre), GroĂ&#x;britannien (Great War), Belgien (Grande Guerre) und Italien (Grande Guerra), wo die Jahre 19141918 stets als der „GroĂ&#x;e Krieg“ mit weitaus hĂśheren Opferzahlen im Gedächtnis blieben.

Anfang Juli

Kaiser Wilhelm II. gibt Ă–sterreich-Ungarn „Blankoscheck“ zum Vorgehen gegen Serbien

25. Juli

Aufruf des SPD-Vorstands zu Massenkundgebungen gegen den Krieg

Die Hauptbeteiligten, Deutschland und Ă–sterreich-Ungarn auf der einen Seite, Frankreich, GroĂ&#x;britannien und RuĂ&#x;land auf der anderen Seite, waren auf Expansion bedachte imperialistische Militärmächte - in Europa und in Ăœbersee. In allen diesen Ländern dominierten Adel und BĂźrgertum. Die Arbeiterschaft und ihre Organisationen blieben ausgegrenzt.

27. Juli

Friedenskundgebung der MĂźnchner Sozialdemokratie

28. Juli

Kriegserklärung Ă–sterreich-Ungarns an Serbien

30. Juli

Mobilmachung in RuĂ&#x;land (Schutzmacht Serbiens)

31. Juli

Mobilmachung in Deutschland und Frankreich

1. August

Kaiser Wilhelm II. erklärt RuĂ&#x;land den Krieg

3. August

Kaiser Wilhelm II. erklärt Frankreich den Krieg

4. August

Kaiser Wilhelm II. verkĂźndet den „Burgfrieden“ SPD-Fraktion im Reichstag stimmt fĂźr die Kriegskredite Deutsche Truppen marschieren in das neutrale Belgien ein GroĂ&#x;britannien (Garantiemacht Belgiens) erklärt Deutschland den Krieg

6. August

Kriegserklärung Ă–sterreich-Ungarns an RuĂ&#x;land,

+ " „ } & / * August

Bayerische Truppen unter Kronprinz Rupprecht greifen in Lothringen und in den Vogesen an, in wenigen Wochen sind von

Die internationale Arbeiterbewegung, darunter als stärkste Kraft die deutsche Sozialdemokratie, war angetreten, Kriege zu verhindern und scheiterte damit. Die nationalen sozialdemokratischen bzw. sozialistischen Parteien unterstßtzten die Kriegsanstrengungen ihrer jeweiligen Regierungen. Die Ausstellung versucht, die Rolle der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung, vor allem am Mßnchner Beispiel, zu dokumentieren. Es geht um die Arbeiter und Arbeiterinnen an der Front und in der Heimat.

172.000 Soldaten 24.000 tot oder vermisst September ~ } & † " ] † @ /

1915

Kriegsgegner in der SPD formieren sich 23. Mai

1916

Kriegserklärung Italiens an Ă–sterreich-Ungarn Erste Hungerdemonstrationen von Frauen und Jugendlichen in MĂźnchen „Hindenburgprogramm“ unterwirft die Wirtschaft der KriegsfĂźhrung

1917

Winter 1916/17

Hungersnot in Deutschland („SteckrĂźben-“ bzw. „Dotschenwinter“)

März

Februarrevolution in RuĂ&#x;land

6. April

Kriegseintritt der USA wegen des unbeschränkten deutschen U-Bootkrieges

11. April

GrĂźndung der USPD

November #" *} ? @ & Â? &

1918

Januar-Februar

RĂźstungsarbeiterstreiks, auch in MĂźnchen

März

Diktatfrieden gegenĂźber SowjetruĂ&#x;land, Besetzung der Ukraine

Juli-August

Schwere Niederlagen des deutschen Heeres,

& = 29. September # _ ‰_ & & \ & & @‡ * & = * ? @ & & & parlamentarisch zu bildende Regierung 3. Oktober

Prinz Max von Baden wird Reichskanzler einer vom Parlament (auch SPD) gestĂźtzten Regierung

3. November ? @ & + • ^– & ? „ Matrosen- Soldaten- und Arbeiter-Kundgebungen in Kiel Beginn der Novemberrevolution 7. November

Revolution in MĂźnchen nach einer Friedenskundgebung

8. November

Kurt Eisner (USPD) Ministerpräsident, Erhard Auer (MSPD) Innenminister

9. November

Revolution in Berlin, Ausrufung der Republik, Abdankung des Kaisers, Friedrich Ebert (MSPD) neuer Reichskanzler

10. November

Bildung des Rates der Volksbeauftragten aus je drei Mitgliedern von MSPD und USPD

11. November

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