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Hjalmar Borgstrøms Violikonzert

Hjalmar Borgstrøm

(* 1864 in Kristiania (heute Oslo) † 1925 ebenda)

Violinkonzert G-Dur op. 25 (1914)

Eine spätromantische Rarität

Die Streicher spielen den Grundton G, wie eine Frage setzt ein Paukenmotiv ein, die Streicher antworten in Bogenform mit einer auf- und sogleich wieder absteigenden Figur, um der kadenzartig auftretenden Sologeige das Feld zu überlassen – was für ein einfallsreicher Werkbeginn! Dabei hatte der skandinavische Musikologe Olav Gurvin im Standardwerk «Die Musik in Geschichte und Gegenwart» noch im Jahr 1989 befunden, der Komponist dieser originell beginnenden Musik, Hjalmar Borgstrøm, vereinige Einflüsse von Berlioz, Wagner und Strauss und sei «ohne wesentliche Originalität. Der Wert seiner Werke ist ungleich.»

Letzteres trifft auch bei den berühmtesten Komponisten zu, selbst bei Beethoven, dessen Violinkonzert mit Paukenschlägen beginnt, die Borgstrøm inspiriert haben könnten. Mit dem Klassiker teilt der norwegische Spätromantiker weitere Details. So lässt er in den Anfangstakten des langsamen Satzes seines 1914 entstandenen und in Oslo uraufgeführten Violinkonzerts alle Streichinstrumente con sordino spielen und die Violine das Finale ebenfalls mit einem einprägsamen Solo beginnen.

Werden jedoch die Klangwelten der beiden Komponisten verglichen, könnten die Unterschiede nicht grösser sein. Zollte Beethoven der Wiener Klassik mit einem formal strengen Konzept und sattem Orchesterklang unter Verwendung vieler Tutti seinen Tribut, entwickelte Borgstrøm in seinem Konzert eine mit vielen Freiheiten überraschende Musik von häufig kammermusikalischer Durchsichtigkeit. Als besonders originell dürfen im Kopfsatz die drei Solokadenzen und ein wunderbar kantabler Arioso-Einschub bezeichnet werden, der eher im folgenden Adagio zu erwarten wäre.

Aus der kurzen Streicherfigur zu Beginn des 1. Satzes schält sich das vom Soloinstrument vorgestellte Hauptthema heraus. Einzelne Teile der Motive aus den Anfangstakten und das solistisch eingeführte Scherzando- Thema tauchen in rhythmisch veränderter Form mehrmals wieder auf. Selbst in sehr hohen Lagen zeichnet sich der Solopart durch viel Klangsüsse und Expressivität aus.

Wie im rhapsodisch-freien Kopfsatz herrscht auch im Adagio eine lyrische Grundstimmung vor. Die Eckteile in E-Dur umrahmen einen bewegten Mittelteil in wechselnden Tonarten, der mit einer diskreten Pizzicato-Begleitung beginnt. Das choralartige Hauptthema dieses langsamen Satzes in dreiteiliger Liedform besteht aus einem Dialog der gedämpften Streicher mit einem Solohorn.

Das musikantische Finale schliesst sich unmittelbar an den pianissimo verhauchenden Ausklang an. Mit seinem Springtanz-Charakter beweist das von der Sologeige exponierte Thema seine Verwurzelung in der norwegischen Volksmusik. Der Solopart nimmt wiederholt kadenzartige Züge an und durchmisst wie schon im Kopfsatz weite Tonräume. Nach dem bis zuletzt aufgesparten Höhepunkt in dreifachem Forte verlischt der ausdrucksvolle Violinklang sogleich im piano, und lässt das Werk ebenso originell enden, wie es begonnen hat.

Im Gegensatz zu seinem berühmten Landsmann Edvard Grieg interessierte sich Borgstrøm wenig für eine ausgeprägt norwegische Tonsprache. Sein Ideal erblickte er in der Programmmusik der von Wagner und Liszt angeführten Neudeutschen Schule. Mit ihr hatte der 1864 in Kristiania (heute Oslo) als Hjalmar Jensen geborene Komponist und Musikkritiker – ab 1887 benutzte er den Nachnamen seiner Mutter – während des Studiums in Leipzig folgenschwere Bekanntschaft geschlossen. Sein Rüstzeug hatte er sich zuvor bei Johann Svendsen, Ludvig Mathias Lindeman und Ole Olsen in Oslo geholt. Nach 1890 lebte er in Leipzig und Berlin, wo er sich mit Ferruccio Busoni anfreundete. Erst 1903 in seine norwegische Heimat zurückgekehrt, wirkte er dort hauptsächlich als Musikkritiker. Als er 1925 in Oslo starb, hinterliess er neben mehreren symphonischen Dichtungen, zwei Symphonien, zwei Instrumentalkonzerten und vielen Liedern die Opern «Thora aus Rimo» und «Der Fischer», die mehr als hundert Jahre nach ihrer Entstehung uraufgeführt wurden.

Text von Walter Labhart

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