Feedback und Kritik
Unsere Initiative:
Kundennähe und Spezialkompetenz. Als Spitzeninstitut für die rund 900 Genossenschaftsbanken in Deutschland fungiert die DZ BANK als Impulsgeber für die gesamte Genossenschaftliche FinanzGruppe Volksbanken Raiffeisenbanken. Zusammen verbinden wir regionale Kundennähe mit globaler Finanzmarktexpertise und bieten ein flächendeckendes Allfinanzangebot, sehr hohe Bonität und individuelle Lösungen für den Mittelstand. Alles rund um unsere Produkte erfahren Sie unter dzbank.de
EDITORIAL Feedback und Kritik
Kaspar Hauser ist Legende. Und er lebte.
Nicht anders ist es in den Künsten. Des-
Doch ganz wurde das Geheimnis um den
halb beschäftigen wir uns in diesem Heft mit
jungen Mann, der mit 16 aufgefunden wurde
dem Thema Feedback und Kritik. Und wir
und angab, ohne jeden Kontakt zu Menschen
berichten einmal mehr, was uns beschäftigt.
aufgewachsen zu sein, nie gelüftet. Aber er erregte Aufmerksamkeit – bis heute. Denn
In eigener Sache: In der letzten und in dieser
seine erfundene oder wahre Geschichte steht
Ausgabe experimentieren wir mit Layout
quer zu allen Erfahrungen, die wir mit Kin-
und Erscheinungsbild von Frankfurt in Takt.
dern machen. Kinder benötigen Nähe, Zuwen-
Wir wünschen uns, dass Sie das Magazin
dung, Menschen allen Alters um sich, zum
gerne in die Hand nehmen, darin schmökern,
Schutz, als Vorbild. Kleine Kinder schlafen
erst hier lesen, dann dort hängen bleiben.
gut in Gesellschaft, sie ängstigen sich dagegen
Denn wir wollen Ihnen von uns erzählen,
in der Stille, wenn sie keine Stimmen hören.
Einblicke in die Hochschule geben, Sie für
Sie wollen beachtet, ermuntert, gelobt werden.
Kunst und Lehre begeistern, über Studierende
Auf dem Spielplatz erscheint übertrieben,
und Lehrende informieren, Sie einladen,
wie sich Eltern für die Klettertouren ihrer
unsere Veranstaltungen zu besuchen, Freund
Sprösslinge begeistern, fast hysterisch Jubel-
und Förderer zu werden.
schreie ausstoßen über gebackene Sandkuchen. Aber was machen sie: Sie geben
Geben Sie uns gerne ein Feedback,
Feedback, bestätigen dadurch die Kinder in
was Ihnen am Magazin gefällt:
ihrem Tun. Sie meckern aber auch – tu dies,
fit@orga.hfmdk-frankfurt.de
pass auf, nicht in die Pfütze, wo ist Deine Mütze, mit Sand wirft man nicht –, so geht es
Ihr
im Wechsel von Lob und Tadel immerfort. Die Kinder scheint es nicht zu stören, im Gegenteil, sie suchen diesen Dialog. Er scheint einen Kern von Menschsein zu treffen: Wir
Elmar Fulda
wollen Bestätigung, suchen die Rückmeldung von außen zu unserem Tun.
1
Frankfurt in Takt 19/1 – Feedback und Kritik
Klassisches Tanztraining mit Nora Kimball-Mentzos und Theresa Frische
2
Altistin Dalila Djenic´ beim Meisterkurs mit Franz Hawlata
3
INHALT
Sandro Hirsch Pult-Diplomatie Was Orchestermusiker von Dirigenten erwarten
Sommersemester 2019
www.hfmdk-frankfurt.de
Tim Vogler Ich bin o.k., Du bist o.k. Über die Kunst der Kritik in Kammermusikensembles
6 18
Michael Schneider Mitleid mit den Juroren Warum Bewertungen musikalischer Wettbewerbe niemals objektiv sein können
THEMA 11 Georg Weinand
24 Vassilis Christopoulos
Tipps und Tricks statt Pflicht und Urteil
Klarinette zu hoch, Hörner zu laut!
DasArts schafft spielerische Rahmen-
Warum der Erfolg einer Orchesterprobe
bedingunen für konstruktive Feedback-
maßgeblich vom pädagogischen Geschick
Prozesse
des Dirigenten abhängt
15 Norbert Abels
28 Henrik Rabien
Gerechtigkeit
Einladung zum Ensemble-Flow
Ein kulturphilosophierender Exkurs
Kommunikations-Ideale in der
über ein heikles Thema
Orchesterarbeit
16 Thomas Schmidt
32 Henriette Meyer-Ravenstein
Möglichkeitsräume
Befreiung aus dem Hamsterrad
Über Gerechtigkeit gesellschaftliche
Vier Szenen im Umgang mit
Zukunft eröffnen
Feedback und Kritik
20 Lorna Lüers
34 Esa Tapani
Kopfüber – Grüße aus Down Under
Werkstattgespräche
Das Eliot Quartett über Publikumsfeedback
Über Feedbackprozesse zwischen
und Präsenz in den sozialen Medien
Werk, Komponist und Interpret
22 INTERVIEW
36 Ingo Diehl
Eva Maria Pollerus, Eike Wernhard
Feedback und Kommunikation zur
Die Ohren der anderen
Stärkung der Selbstkompetenz
Die heilsame Kritik fachfremder Kollegen
4
25
Sibylle Cada und Maria Spychiger Fehlerkultur & Feedbackkultur Ein wechselseitiges Verhältnis
26 HOCHSCHULE 44 Offen für das Andere Deutschlandstipendiat Leon Häder im Interview mit seinem Förderer Frank Schumann
40
Interview Gesellschaftliche Teilhabe durch Kunst Kulturdezernentin Dr. Ina Hartwig und Hochschulpräsident Elmar Fulda im Gespräch
46 Brian Ferneyhough 2019 als Stiftungsgastprofessor an der HfMDK 48 Langer Atem Michael Schneider geht in den Ruhestand 50 Suche nach klanglichen Utopien Florian Hölscher ist neuer Professor für Klavier 51 Spitzenförderung auf breiter Basis Young Academy der HfMDK 52 Tenor auf Umwegen Verschlungene Lebensläufe unserer Alumni Folge 10: Sebastian Kohlhepp
5
Frankfurt in Takt 19/1 – Feedback und Kritik
ICH BIN O.K., DU BIST O.K. Über die Kunst der Kritik in Kammermusikensembles Von Tim Vogler
Geigerin Asilkan Okeev
6
Ich bin o.k., Du bist o.k.
Konstruktives Feedback findet im Spannungsfeld von Wertschätzung, Offenheit und verschlüsselten Botschaften statt. Als ich selbst Student war in Berlin, Anfang der 80er Jahre, gehörte zu meinem Studienplan ein Kurs in Psychologie. Behalten habe ich daraus bis heute als langfristigen Denkanstoß den Titel und damit die Kernaussage des Buches von Thomas A. Harris „Ich bin o.k. Du bist o.k.“. Dieser Buchtitel versinnbildlicht in wunderbarer Weise einen Hauptgrundsatz aller gesunden menschlichen Kommunikation, und um diese geht es ja bei der Arbeit in der Kammermusik. Mir gefällt an diesem Buchtitel sehr, dass es hier nicht nur und erstrangig um die Wertschätzung der jeweils anderen geht, sondern zuallererst um ein gesundes Selbstwertgefühl. Denn nur, wenn ich mich selbst achte, mir zutraue, etwas Wertvolles sagen zu können, werde ich die Courage aufbringen, meine Meinung zu äußern. Und genau dieses Vertrauen in das eigene Selbst sollte man auch seinen Mitmenschen zugestehen. Zu einem gesunden Selbstwertgefühl gehört die Fähigkeit, Selbstkritik zu üben. Ein gutes Maß an Selbstkritik zu finden ist nicht einfach, denn sie soll ja nicht den ganzen Menschen in Frage stellen, sondern nur, sagen wir, Teilbereiche. Dafür brauchen wir Offenheit. Zum Umdenken, zum Korrigieren von Fehlern, die wir gemacht haben. In der Musik kann das zum Beispiel die Intonation betreffen. Eine Note war unsauber. Zuerst hören wir es, analysieren den Zuhörprozess und die Bewegungen und versuchen, den Fehler zu korrigieren.
7
Frankfurt in Takt 19/1 – Feedback und Kritik
Wenn jetzt der Hinweis, dass die Note nicht
Vielleicht meint derjenige, der den Vor-
Erfahrene Kammermusiker sind virtuos da-
sauber gespielt war, nicht von uns selbst
wurf des „Immer-unsauber-Spielens“ erhebt,
rin, die Kommunikationsebenen zu wechseln.
gekommen ist, sondern von einem Ensemble-
eigentlich „du hast wieder nicht geübt“ oder
So kann auch in einem lange bestehenden
kollegen, ändert das eigentlich nichts an
auch „du hörst nicht zu“ oder „du hast die
Ensemble die intuitive Ebene gut funktionie-
dem Sachverhalt, dass sie nicht sauber war.
Partitur nicht gelesen und weißt harmo-
ren, will heißen proben ohne viel zu sprechen.
Es ist also eigentlich egal, ob man sich selbst
nisch nicht Bescheid“.
Es geht eher um hören, sich aufeinander ein-
kritisiert oder ob die Kritik von jemand
lassen. Offen sein. Und in anderen Situationen
anderem kommt. Wir sollten versuchen, in
Das eine zu sagen und eigentlich etwas ganz
wird dieselbe Gruppe wild diskutieren, um
beiden Fällen die Offenheit zu besitzen, die
anderes zu meinen, diese Gefahr ist immer
musikalische Richtungen oder Entscheidun-
Kritik in eine Qualitätsverbesserung um-
vorhanden. Bei uns allen. Anderes Beispiel:
gen ringen. Welches Tempo, welche Dyna-
zusetzen.
„Kannst du in Takt X ein bisschen mehr
mik. Welcher Ausdruck. Das sind Prozesse,
spielen, man hört dich gar nicht?“ „Wieso,
in denen man sich aneinander reibt.
Vielleicht gibt der Kollege sogar einen hilf-
ich habe da Piano stehen, dann spielt doch
reichen Hinweis, wie das gewünschte Ergeb-
alle leiser!“ Es kann gut sein, dass der Kriti-
Die generelle Aussprache sollte es von Zeit
nis leichter zu erreichen ist. Das wäre dann
sierende als verschlüsselte Botschaft senden
zu Zeit auch geben. Hier können allgemeinere
Kritik plus Hilfestellung, eine wertvolle
möchte, dass der Mitspieler sich ruhig ein
Dinge thematisiert werden, alles sozusagen,
Kombination. Es kann aber auch sein, dass
bisschen mehr engagieren könnte. Und der
was das Zusammensein in dieser Gruppe
der Hinweis „Note X war nicht sauber“
Kritisierte fühlt sich zu Unrecht beschuldigt,
betrifft. Pünktlichkeit, Effizienz, Vorbereitung,
gespickt wird mit dem Hinweis „diese Note
hat er vielleicht in gerade diesem Moment
Kleidung, allgemeines Verhalten. Dinge, die
ist immer unsauber“ oder schlimmer „du
versucht, ein besonders sensibles Piano
mit der Zeit anfallen und das harmonische
spielst alles immer unsauber“.
hinzulegen.
Miteinander stören. Denn wir stecken ja als Kammermusikensemble in einem immer-
Hier befinden wir uns bereits in der riesigen
Liebe Leser, wir befinden uns in der Kunst.
währenden Prozess der Selbsterziehung.
psychologisch heiklen Grauzone der Kom-
Hier ist vieles subjektiv. Kann sein, beide
Wir wollen weiterkommen, besser werden.
munikation zwischen Menschen, in welcher
haben recht. Das ist übrigens sehr oft der
Dafür braucht es sowohl Selbstkritik als
kleine Anlässe wie diese eine unsaubere
Fall. Ein „sowohl als auch“ ist in vielen Situ-
auch Kritik untereinander. Aber solange wir
Note dazu benutzt werden, Botschaften zu
ationen möglich und sogar eine gute Lösung.
uns selbst und uns gegenseitig wertschätzen,
versenden, die, siehe oben, das gesunde
Erinnerung an Unterrichte György Kurtágs
wird es dabei auch keine andauernden
Selbstwertgefühl des Mitspielers angreifen
mit meinem Quartett: Sein „Ihr müsst das
Probleme geben.
können. Wir befinden uns plötzlich in einer
Decrescendo spielen wie ein Crescendo“
Arena. Solche Arenen gibt es überall im Leben,
oder „das Piano muss wie ein Forte gespielt
Als Letztes: Eine humorvolle Sicht auf die
wo Menschen aufeinander treffen. In der
werden, mit der gleichen Intensität“ werde
Dinge ist durchaus empfehlenswert. Und
Ehe zum Beispiel. „Berta, das Ei ist hart“,
ich nie vergessen.
wer immer einmal ein kleines Lächeln ein-
ein berühmter Sketch von Loriot, versinn-
schiebt, kommt leichter durch das (kammer-
bildlicht diese Art von Kommunikation auf
Kritik ist immer ein Balanceakt. In langjäh-
lustige Weise.
rig bestehenden Ensembles muss, wie ich glaube, die Kritikfähigkeit intensiv geschult
Tim Vogler ist Professor für
werden, und es ist unerlässlich, auch tief-
Streicherkammermusik.
gehende Problematiken zu thematisieren. Jeder von uns kennt es: Spielen wir einmalig mit wenigen Proben und noch unbekannten Partnern zusammen, kann man gerade so die Striche und gewisse Äußerlichkeiten vereinbaren, wie f oder p, cresc. Alles andere läuft auf intuitiver Ebene ab.
8
musikalische) Leben.
Sängerin Josy Santos im Meisterkurs fßr Lied mit Helmut Deutsch
9
Frankfurt in Takt 19/1 – Feedback und Kritik Probe zum SchauspielAbsolventenvorspiel 2017 mit Dozent Marc Prätsch
10
Tipps und Tricks statt Pflicht und Urteil
TIPPS & TRICKS STATT PFLICHT UND URTEIL DasArts schafft spielerische Rahmenbedingunen für konstruktive Feedback-Prozesse
Von Georg Weinand
Die künstlerische Vielfalt ist unendlich – genauso verhält es sich auch mit den Reaktionsmöglichkeiten darauf: Teilweise sind sie spontan oder gesteuert, emotional oder intellektuell, wortkarg oder wortgewaltig – um nur die verbalen Optionen zu berücksichtigen. Neben dem Inhalt der Äußerung sind vor allem das Verhältnis von Autor und Reagierendem sowie das Umfeld, in dem die Rückmeldung erfolgt, signifikant für die Wirkung jedes Feedbacks. Die Umgebung und das Verhältnis von „Feedbacker“ und Rezipient entscheiden darüber, welche Wirkung eine Äußerung entfalten kann. Ist der Kommentar korrigierend, besserwisserisch, urteilend, bewertend? Bezieht sich das Feedback auf die Person oder die Arbeit?
Feedback verzichtet auf Bewertung. Es greift vorhandenes Potenzial auf, lässt dem Künstler aber die Freiheit, wie er damit umgeht.
Diese „Zweiteffekte“ werden häufig systematisch unterschätzt und entscheiden letztendlich über die Nachhaltigkeit von Feedback – also den Lerneffekt des ExpertiseTransfers jenseits von Bewertung und persönlichem Geschmack. Die FeedbackFormate, die u. a. bei „DasArts“ in Amsterdam entwickelt und gesammelt worden sind, nehmen diese „Rahmenbedingungen“ in den Fokus. Es geht strukturell darum, Austauschsituationen zu schaffen, in denen Expertise präzise, arbeitsbezogen und direkt kollektiv artikuliert und rezipiert werden kann. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, den grundsätzlichen Unterschied zwischen Kritik und Feedback hervorzuheben. Die Kritik neigt zur Beurteilung: War eine Aufführung gut oder schlecht, falsch oder richtig, innovativ oder abgedroschen? Bei
11
Frankfurt in Takt 19/1 – Feedback und Kritik
solchen Kommentaren wird das Objekt der Betrachtung zu einem fiktiven „Ideal“ in Bezug gesetzt und hängt die Kritik von Abweichung von oder Nähe zu diesem Ideal ab. In Ermangelung eines gemeinsamen „Eichpunktes“ kann die Kritik nur sehr begrenzt wirken. Der Kommentar rutscht damit immer mehr ins Persönliche, in den
Alles Gesagte wird nicht ungefragt artikuliert, sondern ist die Antwort auf eine aufrechte Frage des Autors.
Bereich des Geschmacks ab und büßt damit an Relevanz ein. Anders ist die Situation, wenn es nicht um das Feedback auf eine künstlerische Darbietung insgesamt geht, sondern um das Erlernen einer bestimmten Technik, die als
Kritik und Urteil schauen zurück,
Geht es darum, Kreativität und Individu-
Zielvorgabe klar definiert sein kann. Hier
Feedback nach vorn
alität zu fördern, für Unbekanntes neue
kann „der Meister“ der Schülerin oder dem
Kritik bemisst Abstände und eignet sich
ästhetische Formen zu entwickeln, Autoren-
Schüler mit auf den Weg geben, wie weit
somit zum Erlernen bestehender Technik.
schaft zu erlernen – dann sind andere Mittel
weg er oder sie sich noch vom Ideal befindet;
Hier kann es hilfreich sein, „so nicht“ zu
gefragt. Dann geht es nicht darum zu beur-
was zu tun ist, um sich dem Ideal zu nähern.
sagen. Geht es hingegen um produktive
teilen, sondern vorhandene Expertise von
Gibt es stilistische, womöglich im histori-
Kommentare in einem Lernprozess bezüg-
Lehrenden und Lernenden möglichst wir-
schen Kontext verankerte Fragen? Geht es
lich kreativer Prozesse, die Einfallsreichtum
kungsvoll einzusetzen. Die letztendliche Ent-
um einen künstlerischen Schaffensprozess,
und Individualität zwangsläufig in die Kunst
scheidung über die Verwendung der Exper-
der unter Verwendung bestehender Techni-
mit einschließen, befinden wir uns in einer
tise bleibt beim Studierenden.
ken neue Formen zutagefördern will?
ganz anderen Situation. Es gibt hier keinen „Eichpunkt“, zu dem man sich verhalten
Die DasArts-Formate stellen eine solche Dis-
könnte. Beide sind und bleiben hier Lernende
position zum vielfältigen Expertise-Transfer
mit unterschiedlicher Expertise.
zur Verfügung. Sie urteilen und bewerten nicht, sie entscheiden nicht, wie es weiter
Feedback zu kreativen Prozessen unter-
geht. Sie schaffen unter kollektiver Beteili-
stützt nur dann den Lernprozess, wenn das
gung aller eine demokratische Sammlung
Gefälle in der Expertise produktiv einge-
von Beobachtungen, Eindrücken, Erfahrun-
setzt werden kann. Dem steht ein Urteil,
gen, Vorschlägen. Teils sehr konkret, teils
eine Meinung aber gerade im Weg. Soll
sehr abstrakt – aber für alle nachvollziehbar
Expertise konstruktiv fördernd eingesetzt
und vielfältig. Ohne jede Bewertung oder
werden, ist es ratsam, Beurteilung zu ver-
Vorentscheidung. Sie behandeln den Autor
bannen. Urteile verhindern das Produktive,
als Künstler in spe und nicht als Schüler
ähnlich wie Persönliches oder spontane
eines Kunsthandwerks. Dadurch eignen sie
emotionale Reaktionen. Bewertungen und
sich auch nicht als Bewertungssystem, das
produktives Feedback sollten daher unbe-
andere Parameter voraussetzt und andere
dingt voneinander getrennt werden. Beides
Aufgaben erfüllt.
hat in der künstlerischen Ausbildung zweifellos seinen Platz, aber nicht gleichzeitig und nicht mit identischen Mitteln.
12
Tipps und Tricks statt Pflicht und Urteil
Es geht um die Arbeit und
Um diesen Raum herzustellen, operieren
Erstens vermeidet sie eine „Opfer-Täter-Dy-
nicht die Person
die Feedback-Formate mit einer Reihe ganz
namik“: Ich zeige, ihr urteilt. Alles Gesagte
Nahezu alle Formate des Feedbacks beziehen
konkreter Spielregeln. Sie haben einen hohen
wird nicht ungefragt artikuliert, sondern
sich direkt auf die Arbeit und nicht auf die
Grad an Künstlichkeit und wirken vor allem
ist die Antwort auf eine aufrechte Frage des
Künstlerperson. Um das auch physisch er-
anfangs oft einschränkend. Je mehr man sie
Autors. Zweitens erfordert es seine selbstbe-
fahrbar zu machen, nimmt die Künstlerin
allerdings nutzt, umso klarer wird der krea-
zogene Standortbestimmung, die, im Gegen-
oder der Künstler in den verschiedenen Set-
tive Spielraum, umso höher der Genuss an
satz zur Nabelschau, eine Außenperspektive
tings nicht an dem Austausch aktiv teil: Hier
der präzisen Beschreibung. Die „Feedbacker“
verlangt. Dieser Aspekt der Selbst-Positionie-
findet kein Dialog oder Gruppengespräch
beginnen mit den Regeln zu spielen, und das
rung ist nachhaltiger und wirkt sich positiver
statt; hier wird nicht diskutiert oder mit Argu-
Setting entwickelt seine eigene Dynamik.
auf die weitere Entwicklung der Künstler-
menten, Macht oder Erfahrung um einen
identität aus als landläufig angenommen.
Konsens gerungen. Die Arbeit spricht für
Ein entscheidender Mechanismus, um Kritik
sich, und das Feedback bezieht sich auf das
und Beurteilung zu vermeiden, ist ein voran-
Gerade buntes, durchaus widersprüchliches
Dargebrachte. Die Autorin oder der Autor
gestelltes Statement der Autoren. Bevor eine
Feedback von Gleichgesinnten ist ein Training
nimmt vielmehr die Position eines „Zeugen
Arbeit überhaupt gezeigt wird, erläutert die
darin, sich als Künstler zu identifizieren
des Gesagten“ ein, wird aber in keiner Weise
Studierende oder der Künstler den Status
und eine eigene Position einzunehmen, von
in ein Gespräch verwickelt oder muss gar
des Dargebotenen (Woran arbeite ich? Was
der aus er oder sie die Stimme erhebt – in
Erläuterungen geben oder sich rechtfertigen.
ist mein Ziel? In welchem Stadium befinde
der Kulturlandschaft, in der Welt. Nach Jah-
Ein „Sekretär“ sammelt daher das Feedback
ich mich? Worauf will ich mit dieser Arbeit
ren der Praxis mit Feedback glaube ich daher,
und achtet auf Verständlichkeit und Präzi-
langfristig als Künstler hinaus?). Außerdem
dass gerade diese Einladung zur künstleri-
sion, so dass die ganze Gruppe kollektiv
wird aktiv geklärt, welche Fragen gerade
schen Entscheidung und die Selbstpositionie-
Kommentar um Kommentar beiträgt, bis ein
wichtig sind und wozu man Feedback braucht.
rung jenseits von Bewertung und Urteil die
sehr facettenreiches, durchaus widersprüch-
Es geht also gerade nicht darum, die Dinge
nachhaltigste Wirkung ist, die Feedback, nicht
liches Gesamtbild entsteht. Es geht um die
in eine Feedback-Runde einzubringen, bei
Kritik, zustandebringen kann.
Arbeit (nicht die Person), und es wird nicht
denen man sich sicher ist (um gute Noten
bewertet. Dieses wertfreie Gesamtbild wird
zu erhalten), sondern um diejenigen, zu
Georg Weinand war Mitglied des Ausbil-
dem/der Autorin überlassen und er/sie ist als
denen es tatsächlich noch offene Fragen gibt
dungsteams von DasArts, der Theaterfakultät
Künstler frei – und verdammt – zu entschei-
(auch das ein entscheidender Unterschied
der Amsterdamer Hochschule der Künste, und
den, wie es weitergehen kann. Hier kommen
zur Benotungs-Situation, in der man natür-
arbeitet gegenwärtig als Kurator für mehrere
sowohl sehr abstrakte wie ganz konkrete
lich „das Beste” anbieten würde).
Theater und ein internationales Tanzfestival.
Dinge zusammen wie „Tipps & Tricks“ –
Er stellte seine Feedback-Techniken im Rah-
aber als Empfehlung, nicht als Pflicht oder
Die einführende Klärung des Status und
men eines Workshops dem Ausbildungsteam
Urteil. Dieses einfache Format veranschau-
die Erläuterung der Fragen liefern das Fun-
Schauspiel der HfMDK vor.
licht auch, inwiefern hier nicht der Versuch
dament für eine Standortbestimmung der
unternommen wird, irgendetwas oder
Arbeit und des Künstlers. Gerade die Situie-
irgendjemanden zu korrigieren, sondern
rung der eigenen Darbietung in einer über-
wie das Vorhandene aufgegriffen wird, um
greifenden Lernkurve fordert den Künstler
es in eine positive Richtung weiterzuent-
zur Standortbestimmung auf. In der kon-
wickeln. Kritik und Urteil schauen zurück –
kreten Feedback-Situation hat diese einfüh-
Feedback nach vorn.
rende Klärung einen doppelten Effekt:
13
Frankfurt in Takt 19/1 – Feedback und Kritik Exzellenzworkshop mit Tobias Moretti, hier mit Nicolas Matthews und Kristin Hunold
14
Gerechtigkeit
GERECHTIGKEIT
Ein kulturphilosophierender Exkurs über ein heikles Thema Von Norbert Abels
Was ist der Wunsch nach Gerechtigkeit im Urteil – ein Urabkommen oder ein Naturzustand? Ist objektive Fairness möglich? Um Antworten ringt eine literarische und etymologische Spurensuche. Epikurs durchaus skeptischer Lehrsatz, wo-
Und nicht zu vernachlässigen ist die von
Signifikant ist die etymologische Hausnum-
nach man der Gerechtigkeit an sich keinen
John Rawls gestellte Frage nach Grundprin-
mer der sogenannten Fairness, die eigentlich
Sinn verleihen könne, weist dem Begriff eine
zipien, die sich nachhaltig als konsensgeeig-
unsere Benotungen grundieren soll. Ambi-
bestenfalls pragmatische Lizenz zu: Gerech-
net ausweisen. Gerechtigkeit und Fairness als
guität zeichnet diese Adresse schon im Ur-
tigkeit wäre demnach ein verbindlich ge-
Tugendwächter sozialer Institutionen: Wie
sprung aus. Fair kann nämlich durchaus
schlossener Kontrakt, einander gegenseitig
flink gerät da das Portrait Robespierres ins
Verschiedenes meinen.
keinen Schaden zuzufügen. Wobei es weniger
Visier, der am Ende den Terror als Ausfluss
um die Inhalte geht als um die Parität, auf
der Gerechtigkeit propagierte!
der dieser Deal gründet. Was uns fragen lässt:
Interessant, dass fagraz, die altgermanische Wurzel des Fairnessbegriffs, einmal u. a.
Gibt es dann überhaupt Gerechtigkeit außer-
Und über allem steht die Frage, welche Legi-
auch mit Schönheit konnotiert war, abhebend
halb dieser Absprache, oder anders formuliert:
timität eigentlich Dozentinnen und Dozenten
vom gleichermaßen mit ästhetischem Wohl-
Gerechtigkeit gegen eine Partei? Auf Hoch-
dazu anführen können, andere Menschen,
gefallenen ausstaffierten indogermanischen
schule bezogen: Entsteht Gerechtigkeit, wenn
welchen dieses Privileg nicht gegeben ist,
fag. Das Schöne als Hauptfacette des Fairen:
einer seine Prüfung nicht besteht, ihm also
darüber zu belehren, was sie als Fairness zu
welche verlockende Übereinkunft. Davon
Schaden entsteht?
akzeptieren haben; kurzum die Frage des
freilich hat sich hierzulande längst nichts
Cui bono, danach, wer den Vorteil hat.
mehr behauptet. Anders etwa in England,
Wir fragen uns weiter: Ist dieses Gerechtig-
wo man dem Fairen auch heute noch Wohl-
keitsinteresse ein Urabkommen aus den
Wie so oft weist Shakespeare, der große elisa-
geformtheit attestiert, was längst nicht mehr
Zeiten der kognitiven Revolution? Steht es
bethanische Poet, der sicher nicht zufällig in
den Grundregeln der Diversität und
für einen wie auch immer gearteten Natur-
die Schule des genauso großen Skeptikers
Inklusion gehorcht.
zustand, dem die Vorstellung eines Guten
Montaigne gegangen ist, einen guten Weg.
und Fairen als Erbschaft und Grundausstat-
„Fair is foul, and foul is fair, / Hover through
Um auf Epikur zurückzukommen: Gerecht
tung mit auf den Weg gegeben wird? Und
the fog and filthy air", formuliert er in
wäre damit die Einigung auf das Schöne.
wer bestimmt innerhalb des vom stummen
Macbeth.
Eine Vorstellung, wie sie einer Kunsthoch-
Zwang der Verhältnisse geprägten gesellschaft-
schule wahrhaft gut ansteht!
lichen Daseins, was fair, was gerecht ist?
Dieses Rätsel erfahren zwei Männer von
Wir erinnern uns auch an das sozialkritische
drei klugen, schicksalskundigen Frauen, den
Dr. Norbert Abels ist Chefdramaturg der
Bonmot Oscar Wildes, wonach in diesem
weird sisters. Auf Deutsch etwa: „Schlecht ist
Oper Frankfurt, Professor an der Folkwang-
Zusammenhang immer zwei Klassen von
recht und recht ist schlecht.“ Oder gar „Gut
Hochschule Essen und leitet gemeinsam
Menschen auf den Plan treten: die Gerechten
ist bös’, und bös’ ist gut.“ Wie denn nun? Was
mit Thomas Schmidt den Studiengang
und die Ungerechten. „Die Einteilung wird
wollen sie sagen? Es scheint in dieser Ato-
Theater- und Orchestermanagement.
von den Gerechten vorgenommen,“ bemerkt
misierung der Wertsphären keine eindeutige
Wilde spitz.
Semantik zu geben. Und das ist richtig so.
15
MÖGLICHKEITSRÄUME Über Gerechtigkeit gesellschaftliche Zukunft eröffnen Von Thomas Schmidt
Eine allgemeingültige Gerechtigkeit ist in einem Studium nicht anwendbar. Faire Beurteilung braucht nachvollziehbare Indikatoren und Präzision, um dem Studierenden gerecht zu werden. Nicht Noten drücken den Erfolg eines Studiums aus, sondern erworbene Kompetenzen und genutztes Potential. Kunsthochschulen bieten Exzellenzstudien-
Masterstudierende aus mehr als 50 Studien-
Fairness ist also nicht nur gerechtes, sondern
gänge an. Sie arbeiten mit Hochbegabten,
gängen gilt, kann kaum in einer allgemeinen
auch präzises Tun und Beurteilen. Jede Stu-
den Besten ihres Jahrgangs, die sich für
Studienordnung erfasst werden. Es ist nur
dierende erhält eine Einschätzung nach einem
dieses Studien- und Berufsfeld interessieren
logisch, dass in einem Masterstudiengang,
Katalog von Kriterien, die eine Benotung
und im Rahmen eines mehrstufigen Beur-
aus dem heraus die zukünftigen Managerin-
auch dort nachvollziehbar machen soll, wo
teilungs- und Auswahlverfahrens qualifizie-
nen und Manager von Kultur-Organisationen
es kein Punktesystem wie bei Klausuren gibt.
ren. So auch im Master-Studiengang Theater-
kommen, womöglich strengere Maßstäbe
Das betrifft Vorträge, Essays, Haus- und
und Orchestermanagement, in dem die
angelegt werden müssen als an einen Absol-
Abschlussarbeiten. Einen solchen Kriterien-
Studierenden zudem bereits einen ersten
venten, der später von Berufs wegen vielleicht
katalog haben wir entwickelt, indem wir
akademischen Abschluss in einer anderen
weniger Verantwortung tragen muss. Das
Einschätzungen nach Aspekten der konzep-
Fachrichtung und erste Berufserfahrung
entspricht den Regeln der natürlichen Arbeits-
tionellen Tragfähigkeit, der inhaltlichen Ent-
erworben haben.
teilung, aus der sich auch eine Theorie unter-
wicklung und Ausgestaltung sowie Aspekten
schiedlicher komparativer Vorteile und
der Form, der Sprache und des Stils treffen.
Talente ableiten lässt.
Jede Studierende sollte auf dieser Grundlage
Was bedeutet das für unsere tägliche Arbeit und unsere Prüfungen: die Maßstäbe einer
ihre eigene Bewertung nachvollziehen können.
allgemeingültigen Gerechtigkeit anzulegen
Fairness ist zugleich auch eine Abstraktion:
Es handelt sich dabei weniger um eine klas-
oder genau die Maßstäbe, die die jungen
im Rahmen einer Handlung, eine Bewer-
sische Note als um eine Potential-Analyse,
Professionals später in ihren Berufen in den
tung und Beurteilung gegenüber einem oder
mit der wir feststellen, wie die Studierende
Theatern und Orchestern erwarten?
mehreren Individuen zu finden. Hierfür
sich entwickelt hat, welche Potentiale ein-
benötigt man ein Gerüst mit nachvollzieh-
gesetzt werden und welche noch brachliegen.
Betrachtet man diesen Fall, führt sich der
baren Indikatoren, um die Leistung oder
Letztlich sollte man das Studium deshalb
Begriff einer allgemeingültigen Gerechtigkeit
Handlung des Individuums genau und fair
auch als ein Kurswerk der Kompetenz- und
schnell ad absurdum. Was für Bachelor- oder
beurteilen zu können.
Potential-Entwicklung betrachten.
16
Probe für das szenische Vordiplom „Hysterikon“ mit Simon Schwan, Annedore Antrie und Eike Hackmann.
Ein letzter wichtiger Aspekt, der uns immer
und Studierendem, zwischen den Studieren-
Studierenden nicht betriebsblind in die
wieder aufs Neue angeht: Wie gehen wir mit
den selbst? Oder ist es, wie so oft, dass der
Zukunft gehen.
der Unterschiedlichkeit der Voraussetzungen
Professor, am Ende existenziell auf sich selbst
um, mit denen Menschen ihr Studium begin-
zurückgeworfen, ein Modell entwickeln
Fairness ist hier also mehr als Schaden zu
nen: die eine hochintelligent, selbstbewusst,
muss, das allen gleichermaßen gerecht wird
begrenzen und sich gegenseitig keinen Scha-
strebsam, die andere aus einem bildungsfer-
dem Individuum wie dem Studium, um aus
den zuzufügen. Fair ist es, den Studierenden
neren Kontext kommend, aber hochbegabt,
unseren Studierenden zukünftige Professio-
einen Möglichkeitsraum zu eröffnen, in dem
mit großen Wissensrückständen, die sie auf-
nals zu machen, die an dem Tag, an dem sie
wir sie auf eine professionelle Zukunft vor-
holen muss? Unsere Aufgabe ist es deshalb
die Hochschule verlassen, in der Lage sind,
bereiten, in der sie Gerechtigkeit wie eine
auch, aus diesen Gruppen Studierender Teams
ihre Chance zu ergreifen und dort Verantwor-
Fackel in die Organisationen hineintragen
zu bilden und den Wissenstransfer unter-
tung zu übernehmen, wo man ihnen diese
müssen, deren Reform von höchster Dring-
einander auszulösen.
überträgt? Ob die im Studium entwickelte
lichkeit ist. Damit würde Fairness über ihre
Kategorie der Fairness auch dort noch greift,
Bedeutung in der Ausbildung hinaus zu einer
Aber ist es nicht fair, der einen Studierenden
ist zu bezweifeln, denn in den Kultur-Orga-
dringenden Kategorie der gesellschaftlichen
mehr Raum zur Entwicklung zu geben und –
nisationen, das ist niemandem neu, herrschen
Zukunft werden.
zumindest im ersten Semester - bei der Beno-
andere, deutlich rauere Gesetze, die von As-
tung hier und da ein Auge zuzudrücken, weil
pekten der Macht überschattet werden. Am
Thomas Schmidt ist Professor für Theater-
wir durch zu viel Rigidität zu früh ein wich-
Ende ist es deshalb nur fair, wenn wir die
und Orchestermanagement und leitet
tiges Talent verlieren? Welchen Freiraum
Fairness des Studiums diskursiv und so früh
diesen Master-Studiengang.
geben uns hier abgezirkelte Notensysteme,
wie möglich mit dieser Wirklichkeit konfron-
wo es doch um Entwicklung gehen müsste?
tieren. Woraus wiederum ersichtlich wird,
Wo beginnen und wo enden hier die Binnen-
wie notwendig es ist, die Freiräume der
verhältnisse der Fairness: zwischen Lehrer
Interpretation zu kennen, damit unsere
17
Game Jam zum Playsonic-Festival 2018
MITLEID MIT DEN JUROREN
Warum Bewertungen musikalischer Wettbewerbe niemals objektiv sein können Von Michael Schneider
Jurymitglieder beurteilen musikalische Leistungen bei Wettbewerben nach individuellen Maßstäben. Computerprogramme berechnen daraus oft Endergebnisse, die selbst die Jurymitglieder ins Staunen versetzen.
Wir alle kennen die Situation: Ein Durch-
Aus Sicht der enttäuschten Teilnehmer stellt
gang des Wettbewerbs ist gelaufen; dann
sich die Jury als eine verschworene Gruppe
endloses Warten unter Hoffen und Bangen.
dar, die in geheimen Diskussionen über je-
Der Juryvorsitzende macht‘s spannend,
den befindet – und dabei auch nach „schwar-
dankt allen nach dem Motto „Dabeisein ist
zen oder grünen Listen“ vorgeht, um die
alles“, nennt Trostpreisträger zuerst. Erst am
Schüler des einen oder anderen Lehrers ent-
Schluss dann die Verkündung der Gewinner
weder zu „pushen“ oder herunterzupunkten.
bzw. Kandidaten für den nächsten Durch-
Die meisten Wettbewerbe sehen aber von
gang. In der Folge einige wenige glückliche,
solchen Beratungen der Juroren untereinan-
aber umso mehr maßlos enttäuschte Gesich-
der ab, und zwar aus gutem Grund: Wer
ter, Tränen allerorten bis hin zu Wutaus-
kennt nicht die „opinion leaders“ in einer
brüchen. Dann: „Alle mal hergehört – in 15
Jury („Wie, Herr Kollege, Sie haben nicht
Minuten ist Beratungszeit bei den einzelnen
gehört, wie unsauber das war?“ oder „Stilis-
Juroren.“ Sofort bilden sich lange Schlangen
tisch war das ja ganz unten durch, weil…“)!
vor den Tischen.
Und prompt fühlt man sich selbst ertappt. „Sollte ich das überhört haben, warum war
Und jetzt wechsle ich zur Perspektive des Jurors: Denn nach meiner Erfahrung weiß kaum einer der Wettbewerbsteilnehmer, wie solch ein Votum überhaupt zustande gekommen ist.
18
meine Wahrnehmung eine andere?“
Mitleid mit den Juroren
Diskussionen über Teilnehmer, dann
meinsame Strategien entwickelt haben könn-
kungen verfasse, um mich später erinnern
auch mit der Möglichkeit einer Korrektur
ten. Der Computer verfügt über raffinierte
zu können. Das kann durchaus da stehen:
der Punktevergabe, kenne ich selbst nur aus
Algorithmen, z. B. was den Umgang mit
„stinklangweilig“, „grauenhafte Intonation“,
Finalrunden, wenn es um die Entscheidung
erheblich vom Durchschnitt abweichenden
„Rumgemache“ oder auch „Auftritt in
über Preise geht. Ja, wer ist denn dann für
Wertungen betrifft: Entweder werden diese
Badelatschen“. Dies sind natürlich nicht die
die Entscheidungen verantwortlich? Klare
automatisch herausgestrichen, oder der Com-
Kommentare, die man ungefiltert weiter-
Antwort: der Computer!
puter halbiert die Distanz zum Durchschnitt.
geben sollte.
Mir sind auch Programme bekannt, die bei Ich persönlich kenne keinen Wettbewerb,
drei Durchgängen zu einem bestimmten
Auf die Frage bei Jugend Musiziert „Was
bei dem die Jury in den ersten Durchgängen
Prozentsatz die Punktierung aus dem vori-
heißt eigentlich Leistungsstufe 1?“ hat
überhaupt über einen Kandidaten oder eine
gen Durchgang mit einrechnen, damit auch
ein Kollege einmal treffend geantwortet:
Kandidatin spricht! Jeder Juror fällt indi-
derjenige noch eine Chance auf einen Preis
„Leistungsstufe 1, ist, wenn man den Griffel
viduell und zumeist nach völlig eigenen
bekommt, der im zweiten Durchgang bril-
weglegt.“ Wenn man den wirklich wegge-
Maßstäben sein Votum in Form von Punk-
lant gespielt und im Finale vor großem Publi-
legt hat, weil man begeistert war, hat man
ten, die unmittelbar nach Erstellung von
kum doch eher etwas enttäuscht hat.
hinterher ein weitgehend leeres Papier. Und
einem Saaldiener abgeholt und, dann oft
trotzdem soll man dann im Beratungsge-
anonymisiert, in den Rechner gegeben wer-
Das Ergebnis läuft meist darauf hinaus, dass
spräch loyal erklären, warum es diesmal
den. Dabei kommt es vor, dass die Juroren
es ein unglaublich dichtes Mittelfeld ergibt,
nicht geklappt hat.
für sich selbst eine eigene Wertungsskala
in dem die Kandidaten wie im Hochleistungs-
haben. Für ein und dieselbe Leistung kann
sport um 100tel Millimeter nah beieinander
Und was lernen wir daraus: Objektive
einer der Juroren 21 von 25 und ein anderer
liegen. Für jeden der Juroren stellt das Ergeb-
Urteilsfindungen kann es niemals geben.
13 von 25 Punkte vergeben, ohne dass die
nis eines Durchgangs eine große Überraschung
Das hängt nicht nur mit einer grundsätz-
beiden eine grundsätzlich verschiedene
dar. Jetzt darf ich aber mangelndes Einver-
lichen Problematik der Beurteilung künst-
Einschätzung haben müssten.
ständnis mit den Ergebnissen nicht mehr
lerischer Leistungen zusammen, sondern
zum Ausdruck bringen, jetzt ist Loyalität
mit dem Jurorensystem und der Berech-
gefragt. Der Computer lügt ja nicht.
nungssysteme der Computer, die natürlich
Vergessen wir jegliche Objektivität! Es bedarf keiner schwarzen Listen oder Verschwörun-
alle gut gemeint sind, aber eigene Gesetz-
gen, damit Ergebnisse zustandekommen,
Zurück zur Ausgangssituation: In 15 Minu-
mäßigkeiten hervorrufen. „Verschwörung“
die eigentlich niemand so recht gewollt hat.
ten hat jeder der Juroren dieses Ergebnis im
der Juroren sollte man als allerletzten
Auch die eigenen Maßstäbe eines Jurors
Detail gegen meist hoch emotional erregte
Grund vermuten, wenn’s nicht geklappt
können sich während des Wettbewerbs
Kandidaten zu verteidigen, auch dann, wenn
hat. Und: Beratungen nach den Durchgän-
in beide Richtungen verändern: Höre ich
es gar nicht der eigenen Einschätzung ent-
gen sollte man sich – und den Juroren –
90 Teilnehmer im 15-Minuten-Takt an drei
spricht. Ja, und man kann sich auch gar nicht
lieber ersparen! Die Wahrheit über die Gründe
Tagen, stelle ich fest, dass sich meine Wertun-
mehr so genau erinnern: Hat man 90 Teil-
für einen Misserfolg wird man dort in der
gen erheblich modifizieren. Ich werde meist
nehmer gehört, verwischen die Eindrücke.
Regel nicht erfahren.
mer die Latte immer höher legen. Schade für
Zu retten versucht man sich mit einem
Michael Schneider war Professor
die, deren Name mit S, V oder Z beginnt!
Griff nach den Notizen, die man sich wäh-
für Blockflöte und Leiter der Abteilung
rend der Durchläufe unter permanenter
Historische Interpretationspraxis.
strenger im Verlauf, weil viele gute Teilneh-
Punkte werden also undiskutiert und
misstrauischer Beäugung von hinten durch
unabgestimmt in den Rechner gefüttert,
das Publikum aufs Papier gekrakelt hat.
von Juroren, die sich in vielen Fällen noch
Zumindest mir geht es so, dass ich diese
nie gesehen haben, geschweige denn ge-
Notizen als kurze, ganz persönliche Bemer-
19
Frankfurt in Takt 19/1 – Feedback und Kritik
KOPFÜBER GRÜSSE AUS DOWN UNDER Das Eliot Quartett über Publikumsfeedback und Präsenz in den sozialen Medien Von Lorna Lüers
„Likes“ sind der Applaus in der digitalen Welt, Social Media eine gängige Plattform, auf der sich Künstler mit ihrem Publikum austauschen. Wer auch Alltägliches postet, gewährt Einblicke jenseits des Vorhangs.
20
Kopfüber – Grüße aus Down Under
„Man muss auch online gesehen werden,
Osipova an: „Wenn wir Anfragen bekom-
Persönliches aus dem Alltag der Künstler
nicht nur auf der Bühne“, sagt Dmitry Hahalin
men, ob wir mit jemandem zusammen spie-
zu erfahren“, erläutert Kirn. Erzeugt das
vom Eliot Quartett. Der Bratscher betreibt
len möchten und die Person nicht kennen,
Druck? Nein, meint Dmitry Hahalin vom
federführend die Social Media-Aktivitäten
dann recherchieren wir im Internet, schauen
Eliot Quartett: „Ich nehme das nicht ganz so
des jungen Quartetts, das auf Facebook und
uns YouTube-Videos an und versuchen, uns
ernst – natürlich ist es gut, wenn wir etwa
Instagram aktiv ist – als Ergänzung und
auf diesem Weg ein erstes Bild zu machen.
einmal pro Woche etwas posten, aber bisher
Bereicherung zur eigenen Website.
Genauso gehen natürlich auch die anderen
gab es keine Probleme damit.“ Im Sommer
vor, und darum ist es für uns sehr wichtig,
2018 kam zu der Facebook-Seite des Eliot
Maryana Osipova (Violine), Alexander
eine positive Online-Präsenz zu haben.“
Quartetts der Instagram-Kanal dazu. „Eigent-
Sachs (Violine), Dmitry Hahalin (Viola) und
Für Veranstalter und Medien sind die Social
lich wollten wir das gar nicht unbedingt
Michael Preuß (Violoncello) – zusammen
Media-Kanäle wichtige Informationsquellen
machen, aber wir hatten das Gefühl, dass wir
das Eliot Quartett – studieren an der HfMDK
und bieten Möglichkeiten zur Kontaktauf-
auf Instagram schon präsent sein sollten“,
im Konzertexamen Streicherkammermusik
nahme – gerade dann, wenn ein junges En-
so Hahalin. Auf beiden Kanälen des Ensem-
bei Prof. Tim Vogler und außerdem an der
semble noch keine eigene Website hat. Das
bles sind die Inhalte vielfältig: Konzertan-
Escuela Superior de Música Madrid in der
war Dmitry Hahalin von Anfang an bewusst,
kündigungen, atmosphärische Eindrücke
Klasse von Prof. Günter Pichler. Gegründet
darum hat er zunächst die Facebook-Seite
von Konzert-Locations und Proben, kurze
hat sich das Quartett vor rund vier Jahren,
für das Quartett erstellt, noch bevor die
Videos aus Konzerten und ein paar persön-
und gerade das vergangene Jahr 2018 war
Website aufgesetzt werden konnte.
lichere Stimmungsbilder, zum Beispiel aus
ein besonders erfolgreiches: Im März bereits
Australien von der Chamber Music Compe-
als Preisträger des Deutschen Musikwettbe-
Die Präsenz in den sozialen Medien spielt
tition in Melbourne: Am anderen Ende der
werbs ausgezeichnet, erreichte das Ensemble
als Teil der professionellen Selbstdarstellung
Welt angekommen, steht das Streichquartett
im Juli den 2. Preis bei der Melbourne Inter-
im Netz für aufstrebende Nachwuchsensem-
kurzerhand Kopf – einfach, indem das Foto
national Chamber Music Competition. Bei
bles wie das Eliot Quartett heutzutage eine
umgedreht gepostet wird. Der Humor kommt
der Karol Szymanowski International Music
wichtige Rolle. Doch auch für das Konzert-
an: Das Foto ist neben den Wettbewerbser-
Competition im September setzten die Vier
publikum ist die heutige Zeit eine andere als
folgen einer der Posts mit den meisten
dann noch einen drauf: Sie gewannen so-
noch vor 15 Jahren: „Social Media verändert
Interaktionen.
wohl den 1. Preis als auch den Sonderpreis
in meinen Augen durchaus die Beziehung
für die beste Interpretation eines Werkes
zwischen Publikum und Künstlern“, sagt
Das Ziel all dieser Online-Aktivitäten ist
von Szymanowski.
Julia Kirn. Sie ist Professorin an der Hoch-
natürlich immer, die Menschen ins Konzert
schule Fresenius in München und unterrich-
zu locken und für die Musik zu begeistern.
Erfolge wie diese postet Dmitry Hahalin
tet Marketing im Studiengang Theater- und
„Ich glaube, es gibt viele Menschen, die
natürlich direkt auf Facebook und Instagram.
Orchestermanagement an der HfMDK. Social
eigentlich unbedingt zu uns ins Konzert
Gerade zu diesen Posts sind die Likes und
Media-Marketing und die Zusammenarbeit
kommen wollen, aber sie wissen selbst noch
Glückwunsch-Kommentare ihrer Freunde
mit Influencern im Klassikbereich beschäf-
nicht, dass sie das wollen“, sagt Dmitry Haha-
und Follower besonders zahlreich. „Wenn
tigen sie nicht zuletzt seit ihrer Tätigkeit in
lin mit einem Augenzwinkern. Wer weiß –
wir über unsere Social Media-Kanäle Gratu-
der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der
vielleicht finden einige dieser Menschen ja
lationen, Dank oder Feedback von Zuhörern
Tonhalle Düsseldorf.
über Facebook oder Instagram den Weg ins
unserer Konzerte bekommen, dann bedeutet
nächste Konzert des Eliot Quartetts.
uns das schon etwas“, sagt Maryana Osipova,
Kirn sieht Social Media heute als einen ein-
die Geigerin des Eliot Quartetts. „Das gilt
flussreichen Faktor, der eine – wenngleich
Lorna Lüers ist Mitarbeiterin für Digitale
vor allen Dingen für persönliche Nachrichten
meist nur gefühlte – größere Nähe zwischen
Kommunikation an der HfMDK.
oder Kommentare.“ Von noch größerer
Publikum und Künstler herstellen kann.
Bedeutung sind die Social Media-Kanäle
„Heutzutage erwartet das Publikum, in den
aber für die eigene Online-Präsenz, merkt
Social Media-Kanälen regelmäßig auch etwas
21
Frankfurt in Takt 19/1 – Feedback und Kritik
DIE OHREN DER ANDEREN Über die heilsame Kritik fachfremder Kollegen
Cembalisten spielen Pianisten vor und umgekehrt – anschließend üben sie sich in gegenseitiger Kritik. Cembaloprofessorin Eva Maria Pollerus und Klavierprofessor Eike Wernhard bieten diese Begegnungen als TeamteachingWorkshop an und erklären den „Mehrwert“ dieser Form von Feedback-Arbeit. Sie geben Feedback und Kritik in Form
Worin unterscheiden sich die Auf-
von Teamteaching, also gemeinsamem
fassungen grundsätzlich?
Unterricht. Was genau bieten Sie an?
Pollerus Vor allem in klanglichen Fragen.
Prof. Eva Maria Pollerus Einmal im Jahr
Dort sind die Beurteilungskriterien unter-
bringen wir für ein Wochenende die Studie-
schiedlich.
renden unserer Klavier- und Cembaloklassen zusammen und unterrichten sie dann
Inwiefern?
gemeinsam, wobei wir auch die Studierenden
Wernhard Klavier und Cembalo sind Instru-
bitten, einander kritisches Feedback zu geben.
mente, die klanglich jeweils anders „bedient“
Prof. Eike Wernhard Das Wochenende tut
werden müssen: Das moderne Klavier ist
allen Beteiligten gut, einschließlich uns
stark vom Diskantdenken geprägt, dement-
Lehrenden. Das Konzept fußt auf meinem
sprechend arbeiten Pianisten an einem eher
ursprünglichen Anliegen, Pianisten an ein
oberstimmig gefärbten Klang.
erweitertes Barockrepertoire heranzuführen.
Pollerus Beim historischen Cembalo stützt
Daher auch der Workshop-Titel „Nicht
eher die Tiefe den Klang. Der Basso continuo-
nur Bach“.
Gedanke ist hier prägend.
Pollerus Teamteaching ist ja vielleicht dann besonders spannend, wenn es unter Kollegen
Wie läuft das Teamteaching ab?
stattfindet, die eben nicht aus dem gleichen
Pollerus Wenn beispielsweise ein Pianist vor-
Fach kommen. Jeder gewinnt so eine neue
spielt, geben die Cembalistinnen und Cemba-
Perspektive auf das eigene Tun, die anregend
listen zuerst ein Feedback, dann die Klavier-
und inspirierend ist. Manchmal bleiben unter-
Studierenden, dann der fachfremde Dozent
schiedliche Meinungen im Raum stehen, aber
und schließlich der „eigene“ Lehrende.
sehr oft findet man eine Synthese, findet Lösungen, auf die man allein nicht gekommen wäre. Aber auch das StehenlassenKönnen von differierenden Auffassungen ist für die Studierenden wichtig zu erleben.
22
Die Ohren der anderen
Was löst dieses Quer-Feedback aus? Wernhard Aus meiner Perspektive schärft es ungeheuer das Gehör der Pianisten, wenn sie einem Cembalisten zuhören und ihn danach
Teamteaching fördert die Fähigkeit, die Rosen im Garten des anderen schätzen zu lernen.
beurteilen müssen, umgekehrt genauso. Das genaue Hinhören auf Artikulation und Agogik sind Parameter, für die Pianisten bei
Gibt es auch unangenehme Momente
Was hat Teamteaching nachhaltig
der Beschäftigung mit Cembalisten beson-
des Feedbacks?
bewirkt?
ders sensibilisiert werden.
Pollerus Es ist eher erfreulich, wie wert-
Wernhard Bei meinen Studierenden hat sich
schätzend die Kritik unter Kommilitoninnen
in kurzer Zeit sehr viel getan, hat sich der
Findet da nicht ein Vergleich von Äpfeln
und Kommilitonen abläuft. Zunächst ist
Zugang zur Musik bei Einzelnen sogar völlig
mit Birnen statt?
vielleicht dem einen oder anderen nicht klar,
geändert.
Pollerus Es geht ja nicht ums Vergleichen,
warum er sich überhaupt Kritik von jeman-
Pollerus Bislang Selbstverständliches zu
sondern um unterschiedliche Arten der
dem anhören soll, der auf dem eigenen Instru-
hinterfragen, schärft das Bewusstsein enorm.
Übersetzung des Notentextes. Zuerst arbei-
ment nicht Experte ist. Doch bald begreifen
Und die Abschlusskonzerte, die wir Monate
ten wir am Verständnis dafür, was der
alle Beteiligten, dass genau dieses „fach-
nach dem Workshop veranstalten, legen
Notentext meinen könnte – und dann an der
fremde“ Feedback ungeheuer wertvoll sein
davon Zeugnis ab, welch deutliche Spuren
Umsetzung am Instrument. Da erleben wir
kann. Das Konzertpublikum besteht ja auch
das Teamteaching hinterlassen hat.
häufig, dass wir beiden Lehrenden etwas
nicht nur aus Experten, sondern aus Musik-
Ähnliches wollen, aber mit unterschiedlichen
begeisterten, für deren Empfindungen wir
Welche Voraussetzungen müssen für ein
Ansätzen zum Klingen bringen.
uns brennend interessieren sollten. Jedes
fruchtbares Teamteaching gegeben sein?
Fach hat außerdem seine eigenen Vokabeln
Pollerus Die Hochschule fördert Team-
Wie schwer fällt es den Studierenden,
und Automatismen, die im Teamteaching
teaching durch einen von flachen Hierarchien
Kritik anzunehmen?
hinterfragt werden. Die Frage kann den
und interdisziplinärem Denken geprägten
Pollerus Erstaunlicherweise ist es für Studie-
Cembalisten nerven, warum er genau an
Geist. Voraussetzung dafür ist tiefer gegen-
rende oft leichter, ein Feedback einzustecken
dieser Stelle arpeggiert, was für ihn doch so
seitiger Respekt innerhalb der Kollegenschaft,
als selbst ein differenzier-tes, konstruktives
selbstverständlich erscheint. Erst im zweiten
man setzt sich ja auch als Lehrender der
und lösungsorientiertes Feedback zu geben.
Moment wird ihm klar, warum diese Frage
Kritik des Kollegen aus. Es muss hier keiner
Das Artikulieren-Müssen dessen, was man
mehr als berechtigt ist. Derlei Begegnungen
Angst haben, „enttarnt“ zu werden, dass
gehört hat, ist eine Herausforderung. Das
können aufrüttelnd sein und heilsame
nicht nur er im völligen Besitz der Weisheit
schlichte Feedback „gefällt mir“ oder „gefällt
Irritationen auslösen.
ist. Den Autoritätsglauben und das Meister-
mir nicht“ hilft nicht weiter.
Wernhard Ich kann das nur bestätigen.
Schüler-Verständnis „von früher“ gibt es bei
Das musikalische Denken eines Instrumenta-
uns kaum noch – zum Glück. Ich freue mich
Lässt sich Feedback erlernen?
listen ist häufig auch stark von den spezi-
doch als Lehrende, wenn der Studierende
Wernhard Eindeutig ja. Ich stelle bei den
fischen Bewegungsabläufen geprägt. Diese
auch außerhalb meines Unterrichtsraums
gegenseitigen Vorspielen unter den Kommi-
Tatsache gilt es jedoch so gut wie möglich zu
durch wertvolle Anregungen besser wird.
litoninnen und Kommilitonen innerhalb
transzendieren, und genau dafür kann Kritik
Und Teamteaching fördert die Fähigkeit, die
meiner Klasse mit großem Vergnügen fest,
„von außen“ anregend sein. Ich selbst spiele
Rosen im Garten des anderen schätzen zu
wie sich die Art des Feedbacks untereinan-
gern vor Konzerten Freunden und Bekannten
lernen.
der im Laufe eines Studiums ändert und
vor, die keine Pianisten sind. Diese „nicht
die Palette an Bewertungsparametern breiter
pianistisch denkenden“ Zuhörer können
wird.
mir sehr fruchtbare Anregungen geben, auf
Interview: Björn Hadem
die ich von alleine nicht gekommen wäre.
23
Frankfurt in Takt 19/1 – Feedback und Kritik
KLARINETTE ZU HOCH, HÖRNER ZU LAUT! Warum der Erfolg einer Orchesterprobe maßgeblich vom pädagogischen Geschick des Dirigenten abhängt
schwinden werden. Es bedarf Mut zum Vertrauen, den Selbstheilungskräften des Orchesters Zeit zum Wirken zu lassen. Feedback kann auch nonverbal ausfallen. Ein verständnisvoller, mahnender oder begeisterter Blick, ein Lächeln oder Daumen
Von Vassilis Christopoulos
nach oben können schnell und diskret die
Reden ist Silber, Zeigen ist Gold – oftmals sagt in der Orchesterprobe eine dirigentische Bewegung mehr als 1000 Worte. Erfahrene Dirigenten sind Meister in der methodischen Balance von Lob und Tadel, Darstellen und Reden, Eingreifen und Loslassen.
gewünschte Botschaft rüberbringen. Man darf aber nicht vergessen, dass jeder Kommentar vom Fokus des Ganzen ablenkt. Ich würde also grundsätzlich von jeder Art solcher Gesten während des Konzerts oder einer Vorstellung abraten.
Zu laut – zu lang – nicht eilen – zusammen!
Stelle zunächst einfach wiederholen – warum,
Schließlich sollte der Dirigent bereit sein,
Die Anweisungen während der Probe beste-
sollte allen klar sein. Zuweilen ist es auch
die Kommunikation innerhalb des Orchesters
hen oft aus kritischen Bemerkungen darüber,
hilfreich, mit einer allgemeinen Bemerkung
zu fördern und Feedback aus dem Orchester
was gerade schief läuft, zumindest aus der
zu beginnen, um den Musikern die Chance
selbst zu empfangen. Das passiert leichter
Sicht des Dirigenten. Das kann schnell ner-
zu geben, sich selbst um ein Problem zu
bei kleineren Ensembles, wo meist eine ent-
ven. Es gibt vieles, was ein Dirigent falsch
kümmern, anstatt sofort eine „Schuld“ zuzu-
spanntere, kammermusikalische Atmosphäre
machen kann: zu früh zu kritisch sein, zu
weisen. „Lassen Sie uns auf die Intonation bei
herrscht und sich die Musiker auf Augen-
viele Problemstellen auf einmal ansprechen,
diesem Akkord achten“, kann angenehmer als
höhe mit dem Dirigenten wähnen. Bei großen
zu lange reden, zu oft unterbrechen, sich
„Klarinette ist zu hoch“ und „Bitte hören Sie
Orchestern kann nicht jeder Spieler etwas
in Details verlieren, wenn das musikalische
auf die Melodie der Flöte“ wirkungsvoller
sagen, sonst wird es schnell chaotisch. Dafür
Gerüst noch nicht steht, Selbstverständliches
als „Hörner zu laut“ sein. Ob das auch reicht,
gibt es eine geregelte Hierarchie. Wenn aber
unnötig erklären, Sachen beschreiben, die er
hängt maßgeblich vom Niveau des Orchesters
der Konzertmeister oder ein Solo-Bläser einen
hätte zeigen können, zu wenig loben … Dafür
ab. Schwächere oder unerfahrenere Orchester
Hinweis gibt, sollte man diesen dankbar
gibt es keine einfache Lösung; die hierarchi-
(z. B. Jugendorchester) brauchen in der Regel
annehmen; die Musiker in Schlüsselpositio-
sche Natur der Orchesterarbeit birgt viel Frus-
klarere Anweisungen. Freilich sollte sich
nen sollten wiederum ein offenes Ohr für
trationspotenzial. Auch wenn der Dirigent
der Dirigent vor seiner Verantwortung nicht
jeden Kollegen aus ihrer Gruppe haben.
immer wieder die Leistung der Musiker lobt,
verstecken. Mitunter ist es seine Rolle, Pro-
Bei jeder Form von Feedback im Orchester
kann das als schwach, anbiedernd oder sogar
bleme anzusprechen. Aber gerade jüngere
ist es am wichtigsten, klarzustellen, dass es
bevormundend empfunden werden.
Dirigenten leiden oft an Beweisdrang und
ausschließlich um die Musik geht, von jeg-
glauben, dass sie jederzeit demonstrieren
lichen persönlichen Angriffen ist abzusehen.
Wie sieht prinzipiell konstruktives Feedback
müssen, wie gut sie alles gehört haben. Eine
Ein respektvoller Umgangston ist die wich-
im Orchester aus? Zum einen sei empfohlen,
gewisse Gelassenheit, die mit der Erfahrung
tigste Voraussetzung für eine offene Kommu-
sich möglichst positiv auszudrücken: „Bitte
kommt, tut der Probenatmosphäre gut.
nikation und angenehme Zusammenarbeit.
statt „nicht zu lang“ usw. Bei offensichtlichen,
Mit Erfahrung und Souveränität lernt man
Vassilis Christopoulos ist Professor für
unüberhörbaren Problemen, wenn zum Bei-
auch besser zu unterscheiden zwischen
Orchesterdirigieren.
spiel ein Tempo-Übergang nicht klappt, ist
Stellen, die nachdrücklich geprobt werden
es sinnvoll, auf eine mündliche Beschreibung
müssen, und Problemen, die beim nächsten
der Situation zu verzichten. Man sollte die
Mal oder am nächsten Tag von allein ver-
leiser“ statt „zu laut“, „bitte kurz spielen“
24
Pult-Diplomatie Probe des Hochschulorchesters mit Dirigierstudent Frederic Mörth
Die Angst vieler Orchestermusikerinnen
Grundlage dafür sind der respektvolle
und -musiker ist es, nicht gut genug zu
Umgang mit dem Orchester und eine kon-
spielen und vom Dirigenten vorgeführt zu
struktive Arbeitsweise. Dazu gehört, dass
werden. Beispiel: Ein Musiker einer Stimm-
der Dirigent positiv auf das Orchester zu-
gruppe fühlt sich unter Druck, kann sich
geht; er sollte bestärkend wirken, motivie-
intonatorisch nicht gut einfügen. Der Diri-
rend auftreten. Wichtig ist dabei ebenfalls
gent hört dies und lässt diese Gruppe allein
eine positive, offene, zugewandte, authen-
vorspielen. Böse Blicke und cholerische
tische und anleitende Körpersprache.
Anfälle des Dirigenten. Der Musiker gerät
Gleichzeitig möchten die Orchestermusiker
in Panik. Er fühlt sich vor dem gesamten
durch den Dirigenten auch zu einer voll-
Orchester vorgeführt und vom Dirigenten
kommeneren Form in Klang, Interpretation
unter Druck gesetzt. Black-Out.
und Charakter zusammengeführt werden. Das bedeutet, dass der Dirigent nicht nur
Der Dirigent lässt verbissen immer wieder
„lieb lächeln“ sollte, sondern zum rechten
vorspielen. Die Atmosphäre der Probe
Zeitpunkt auch kritisch, fordernd und
verkrampft sich dadurch, wird angsterfüllt,
streng sein darf. Der gute Dirigent ist also
und die Leistungsfähigkeit ist gehemmt.
ein Diplomat mit modernen pädagogischen
Die Frage ist nun also: Wie kann der
Kenntnissen, Feingefühl, Führungsqualität
Dirigent nachhaltig zu einem besserem
und Authentizität.
Ergebnis verhelfen? Sandro Hirsch ist Student für Trompete und studentischer Vertreter des Hochschul-
PULT-DIPLOMATIE
orchesters.
Was Orchestermusiker von Dirigenten erwarten Von Sandro Hirsch
25
Frankfurt in Takt 19/1 – Feedback und Kritik
FEHLERKULTUR & FEEDBACKKULTUR
Ein wechselseitiges Verhältnis Von Sibylle Cada und Maria Spychiger
Fehlerkultur ausüben bedeutet, Fehler nicht zu verleugnen und nicht zu verschweigen. Dieses pädagogisch-psychologische Konzept etabliert sich seit den 1990er Jahren in mehr und mehr gesellschaftlichen Bereichen.
Rückmeldung geben – feed back – trifft den
das jetzt gerade falsch war, er oder sie einen
Bereich des Selbst und des Selbstwerts einer
Fehler gemacht hat? Mit dieser Frage befasst
Person. Rückmeldungen sind dessen Nahrung,
sich die sogenannte Fehlerkultur im Unter-
sei dies in künstlerischen, alltäglichen oder
richt. Wirksames und konstruktives Feedback
außergewöhnlichen Situationen.
zu geben und selbst kritisches Feedback anzunehmen, will beides gelernt sein. Die
Feedback geben und Feedback annehmen
Wechselseitigkeit besteht darin, dass die
Ein positives Feedback vermittelt gute
Feedback gebende Person bereit und in der
Gefühle und stärkt, es steigert das Lebens-
Lage ist, ihr Feedback an der Reaktion der
gefühl und die Motivation. „You made my
Feedback erhaltenden Person zu prüfen.
day!“, sagt man etwa im angelsächsischen Raum, wenn jemand etwas besonders Bestä-
Man kennt die Wirkung von Feedback erst,
tigendes gesagt hat. Als soziale Wesen lernen
wenn man die Reaktion darauf wahrnimmt
und entwickeln wir uns laufend im Aus-
und erlebt. Es gilt die „Goldene Regel“: Man
tausch mit der Welt.
gibt Feedback so, wie man selbst bereit wäre, es entgegenzunehmen, und man gibt Feed-
Diese Interaktivität ist für anspruchsvollere
back nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund
Situationen dann besonders interessant, wenn
der eigenen Lernbiografie, aufgrund persön-
es um Feedback in Lernsituationen geht.
licher – positiver wie auch negativer – Fehler-
Hier liegt die höhere Kunst des Lehrens und
erfahrungen.
Lernens: Korrigierendes, kritisches Feed-
Weiterführende Literatur:
back zu geben, ist pädagogisch anspruchs-
Umgang mit Fehlern in der musik- und
voller, als ein Lob auszusprechen. Soll es
instrumentalpädagogischen Arbeit
etwas bewirken, muss es angenommen
Eigene Erfahrungen mit Fehlern zu erinnern
werden können: Die Rückmeldung möchte
und im Austausch in der Gruppe reflexiv
etwas auslösen oder bestätigen, eine Verän-
in neuer Weise einzuholen, systemisch zu
derung anregen, eine Kursänderung oder
verstehen und auch in pädagogischer Di-
den Abbruch einer Handlung nahelegen.
mension bewusst zu machen, ist ein erstes
Wenn die Passung mit der Person, an die
Lernziel und Kern- und Ausgangspunkt
das Feedback adressiert ist, nicht gelingt,
für ein Seminar, welches seit mehreren
werden Chancen des Lernens verpasst und
Jahren interdisziplinär zwischen den Fach-
Entwicklungen gehemmt. Dies gilt auf der
bereichen 1 und 2 an der HfMDK durch uns
individuellen wie auf der Gruppenebene.
im Teamteaching erteilt wird.
Der Ausruf eines Chorleiters „Ihr seid der
Cada, Sibylle (2008). Resonanz und Dialog –
schlechteste Tenor Nordeuropas!“ kann eben
Schon ab der zweiten Seminarsitzung geht
Systemisches Denken und Handeln in der Instrumen-
diesen Tenor beeinträchtigen bis hin zur
es darum, Perspektiven für professionelles
talpädagogik. In: F. Grimmer & W. Lessing (Hrsg.):
Lähmung des Singenkönnens (es handelt
pädagogisches Handeln in unterrichtlichen
sich um ein nicht erfundenes Beispiel).
Fehlersituationen und Projekten kennenzu-
Künstler als Pädagogen (S. 107–116). Mainz: Schott. Kruse-Weber, Silke (Hrsg.)(2012). Exzellenz durch
lernen. Die Studierenden erhalten auch Ein-
differenzierten Umgang mit Fehlern. Kreative Potenziale beim Musizieren und Unterrichten (S. 49–69).
Feedback geben ist soziales Handeln. Es
blick in Studien über Fehlerkultur, relevante
Mainz: Schott. – In diesem Band finden sich
kann verbal und ebenso nonverbal, körper-
Begrifflichkeiten wie „Fehlerfreundlichkeit“,
sprachlich erfolgen. Wie sagt man jeman-
„Fehleroffenheit“ oder „Fehlervermeidung“
ist schmerzhaft. Zur Theorie des Negativen Wissens
dem, dass er oder sie etwas anders, mögli-
(letzteres wird sehr kritisch diskutiert!) und
und zur Praxis der Fehlerkultur. Weinheim: Beltz.
cherweise besser machen soll, oder gar, dass
Forschungsergebnisse. Es folgen konkrete
Beiträge der beiden Autorinnen. Oser, Fritz & Spychiger, Maria (2005). Lernen
26
Fehlerkultur und Feedbackkultur
Übemöglichkeiten, um Erfahrungen mit
Wir fragen uns weiter: Wie können Lehr-
Instrument. Sibylle Cada ist die Mentorin
eigenem pädagogischen Handeln machen
personen positiv und förderlich („kultiviert“)
und Modell-Lehrperson für angewandte
zu können. Weiter führen alle Beteiligten
mit Fehlersituationen umgehen? Die Studie-
Fehlerkultur, die Studierenden und Maria
außerhalb des Seminars in ihrem eigenen
renden befassen sich und eignen sich an:
Spychiger beobachten. Die Beobachterinnen
Umfeld ein konkretes „Fehlerprojekt“ durch,
und Beobachter geben Feedback auf der
z. B. mit einem Schüler oder einer Schülerin
Lernen und Lehren konstruktivistisch anzu-
Grundlage dessen, was sie wahrgenommen
im Einzelunterricht, mit dem eigenen Chor
gehen, d. h. entdeckend, in Lernschlaufen,
haben – zunächst noch ohne Interpretation.
oder mit einer Kindergruppe oder Schul-
durch eigene Tätigkeit und Erfahrung;
Erst im zweiten Schritt darf das Feedback
klasse. Letzteres ist die Teilnahmeleistung
für ein angstfreies Lern-Lehr-Klima zu sorgen;
deutende und urteilende Elemente zum
für das Seminar. Die Interventionen werden
Transparenz zu sichern;
Ausdruck bringen.
laufend entwickelt und während der Durch-
eine kooperative und konsensorientierte
führung über mehrere Wochen im Seminar
Schüler-Lehrer-Beziehung zu entwickeln;
Nur beschreiben, was man gehört und gese-
diskutiert. Alle Teilnehmenden verfassen
Professionelles Feedback zu geben – das bedeu-
hen hat, fällt erfahrungsgemäß den meisten
einen Bericht über ihr Projekt, zu welchem
tet u. a., Rückmeldungen nicht wertend,
schwer oder sogar sehr schwer. So oft will
sie – ganz sicher! – von den Seminarleiter-
sondern als Beobachtung zu formulieren;
etwa ein „Das hast du super gemacht“ erset-
innen einen ausführlichen, gemeinsam ver-
konstruktiv zu fragen (sokratisches Prinzip),
zen, was tatsächlich zu beobachten war, oder
fassten Rückmeldebericht erhalten. So bewegt
d. h. kompetent weitgehend offene Fragen
wird mit einem „Es war toll, der Schluss hat
sich die Seminararbeit in einer engen Verzah-
zu stellen mit dem Ziel, eigenständiges
mir etwas weniger gefallen“ vermieden, Aus-
nung deklarativen und prozeduralen Wissens
Gestalten und Lernen zu fördern;
sagen über das tatsächliche Spiel – Klang,
und erfolgt in einem stetig aufeinander bezo-
personenbezogene, binnendifferenzierende
Tempogestaltung, Körperhaltung, Interpreta-
genen Wechsel wissenschaftlicher und unter-
Einschätzung des Fehlers (Alter, Entwicklungs-
tion, verbale Äußerungen während des Spiels
richtspraktischer Arbeitseinheiten.
stand des Schülers/der Schülerin);
usw. – zu machen. Verbalisierungen über Be-
Vertrauensvorschuss zu geben statt Defizit-
obachtungen müssen geübt werden! Wenn
Zum Umgang mit Fehlern fragen wir uns
Orientierung;
danach bewertende Aussagen zum Feedback
grundsätzlich: Was ist ein Fehler? Wann ist
(Nicht) zuletzt auch mögliche eigene Versäum-
dazukommen, sollen diese anhand der „Gol-
ein Fehler ein Fehler? Welche Funktion hat
nisse zu identifizieren.
denen Regel“ erfolgen. Über diesen Vorgang
der Fehler? Wie schwerwiegend ist der
tauschen wir uns auf einer Meta-Ebene aus,
Fehler? Wie empfinden wir den Fehler? Wie
Um im Seminar selbst Beispiele zu haben,
die Feedback-Nehmenden melden zurück,
nutzen wir den Fehler? Wer ist „schuld“?
finden mehrere Runden statt – und ja, die
wie das Feedback bei ihnen angekommen ist.
In welcher Situation geschieht der Fehler?
Gruppe sitzt meistens im Kreis –, in welchen
Wir reflektieren und erarbeiten:
die Teilnehmenden über eigene Fehlererfah-
Es wird oft gesagt, Menschen würden aus
rungen berichten. Dies hat in aller Regel Sym-
Fehlern nichts lernen. Das ist zum einen
Den Fehler akzeptieren (nicht dramatisieren),
pathie und Anteilnahme zur Folge. Schon oft
grundsätzlich nicht wahr, Menschen lernen
Fehler-Quelle identifizieren und genau
hat dann jemand gesagt, dass er oder sie zum
laufend sehr viel aus Fehlern – nur meistens
analysieren – eine angemessene Problem-
ersten Mal realisiert, dass andere mit ähnli-
nicht von allein: Menschen lernen aus Fehlern
lösung finden und mit entsprechenden
chen Fehlern und Problemen konfrontiert
nicht, wenn niemand etwas sagt. Aber bei
Strategien trainieren;
sind oder solche Erfahrungen mit sich tragen.
Fehlern etwas zu sagen, das will gelernt sein.
Kollektiv Fehlertoleranz üben und sichern;
Das Lernpotenzial des Fehlers zu nutzen,
Dr. Maria Spychiger ist Professorin
das Konzept der „Deliberate practice“ (absichts-
erfordert Disziplin – Feedback-Disziplin!
für Empirische Musikpädagogik, Sibylle
volles, überlegtes Üben) zum Erwerb von
Ein zentraler Lernprozess erfolgt direkt
Cada Honorarprofessorin für Klavier
Expertise kennen und beherrschen;
am Instrument: Einige Studierende bringen
(Methodik/Didaktik).
eine unbedingt klare Unterscheidung zwischen
Stücke mit, an denen sie gerade arbeiten.
Lern- und Leistungssituationen machen.
Sie spielen Sequenzen auf ihrem jeweiligen
den Fehler als Lerngelegenheit verstehen, im
27
Frankfurt in Takt 19/1 – Feedback und Kritik
EINLADUNG ZUM ENSEMBLE-FLOW Kommunikations-Ideale in der Orchesterarbeit Von Henrik Rabien
Feedback im musikalischen Ensemble kann beglücken, wenn es die Aufmerksamkeit aller auf das gleiche Ziel hin bündelt: Intonation, Balance, Zusammenspiel. Selbst kurzzeitiger Mitmach-Verweigerung lässt sich mit positiver Deutung begegnen. Feedback ist im Orchester ein wichtiges
Die Thematisierung von Wünschen sollte
Aber auch beim Verbalisieren besteht
Kommunikations-Element sowohl zur
vom Essenziellen ausgehen und sich zu
die Kunst des Feedbacks darin, auch bereits
aktuellen Standortbestimmung als auch für
größerer Differenzierung weiterbewegen.
wahrgenommene „Störungen“ oder „Mit-
die multilateral ablaufenden Entwicklungs-
Klarheit und Verständlichkeit der Sprache
mach-Verweigerungen“ Einzelner noch
prozesse der Qualität von Klängen, Tönen,
sind dabei ebenso elementar wichtig wie die
nicht sofort als solche zu benennen, sondern
Phrasen, Akkorden, Ausdruck, Zusammen-
Wahrung der gegenseitigen persönlichen
diesen zunächst weiterhin mit positiver
spiel, Balance, Tempi, Timing, Rhythmus,
Würde (Augenhöhe) sowie eine gute Por-
Deutung zu begegnen und erweitert zum
musikalisch-nonverbalem Dialog etc.
tion Humor. Einen Orchesterkollegen darf
Mitmachen im Ensemble-Flow einzuladen.
man auch als „weisungsbefugter“ StimmGrundsätzlich beginnen alle Entwicklungs-
führer niemals unterrichten oder „coachen“,
Ideal ist eine Atmosphäre, die man am
prozesse beim aufmerksamen Zuhören und
weil man ihm dadurch eine Schüler- oder
häufigsten in klein besetzter Kammermusik
anschließenden Wiederholen, laufen also
Studenten-Rolle aufzwingen würde. Häufig
erleben kann: wenn immer diejenigen Musi-
anfangs nonverbal ab. Verbales Feedback
erntet man schon Verbesserungen, wenn
ker Impulse setzen dürfen, die im jeweiligen
beginnt optimalerweise dann erst dort, wo
man in einer Gruppe die gemeinsame
Moment im Fokus der Komposition stehen.
die reine Wiederholung nicht mehr zur Qua-
Ensemble-Aufmerksamkeit auf bestimmte
Wenn die Impulsgeber ständig der Musik
litätsentwicklung ausreicht, sondern wo
Parameter und Zusammenhänge lenkt:
entsprechend wechseln können und alle
Entscheidungen über das Zusammenspiel
indem man bei Bläser-Proben Akkorde
Mitspielerinnen und -spieler ebenso fähig
getroffen und unterschiedliche Vorstellungen
aufbauen lässt, bevor Anweisungen folgen;
wie bereit sind, die stetigen Verwandlungen
oder auch technische Probleme abgestimmt
indem man Balance und Klangfarben von
der Musik an jeder Stimme mit zu vollzie-
werden müssen.
den Musizierenden selbst entdecken lässt;
hen, dann gelingt das kammermusikalische
indem man bei Tutti-Proben die Aufmerk-
Ideal besonders erfüllend: und zwar immer
samkeit auf rhythmische Ensemblestellen
wieder auch im ungleich größeren und kom-
lenkt, auf spezielle Kollektivstellen, auf das
plexeren Orchester, also gewissermaßen
allgemeine Zuhören, z. T. auch durch das
in der „großen Kammermusik“.
Spielenlassen ohne Dirigent. Selbstverständlich gibt es Momente, in denen ein Dirigent
Henrik Rabien ist Professor für
oder Stimmführer eine Gestaltungsentschei-
Fagott an der HfMDK und Solo-Fagottist
dung gegen Widerstände treffen muss. Dies
im WDR Sinfonieorchester.
beginnt bei feinsten Abstimmungen im laufenden Zusammenspiel, wo nicht abgebrochen wird, sondern wo Feinheiten im Spielfluss nonverbal durch die Körpersprache (z. B. eines Stimmführers) kommuniziert werden.
28
EIN FÜLLHORN SEIT 2007
360 Mitglieder engagieren sich heute im Förderverein für die Studierenden.
Infos zur Mitgliedschaft in der Gesellschaft der Freunde und Förderer der HfMDK Frankfurt am Main finden Sie hier: www.hfmdk-foerdern.de
Seit 2007 haben die Förderer rund 2,5 Millionen Euro bereitgestellt. Für Deutschlandstipendien und Meisterkurse, studentische Projekte, seltene Instrumente, Opern- und Theaterinszenierungen, Publikationen, Tanzschuhe, neue Saiten und mehr.
Spendenkonto: Deutsche Bank Frankfurt IBAN: DE68500700240806507000
29
Frankfurt in Takt 19/1 – Feedback und Kritik
Showing eines Stückes von Cameron McMillan in der Abteilung Zeitgenössischer und Klassischer Tanz
30
Frankfurt in Takt 19/1 – Feedback und Kritik
BEFREIUNG AUS DEM HAMSTERRAD
Vier Szenen im Umgang mit Feedback und Kritik Von Henriette Meyer-Ravenstein
Hilfreiches Feedback setzt Vertrauen und Offenheit voraus – und die Bereitschaft, eigene Stärken nicht durch Selbstgeißelung zu relativieren. Feedback, Vertrauen und Erkenntnisgewinn bedingen sich gegenseitig.
Seit Beratungsfirmen Hochkonjunktur
rüberkommen. Inflationäres Lob sollte ver-
haben, wird oft geklagt, die Deutschen seien
mieden werden, da Studierende einem auf
zu einer Gesellschaft rücksichtsloser Selbst-
lange Sicht nicht mehr vertrauen, wenn man
optimierer geworden. Und ich denke mir:
alles wunderbar findet. Was besser werden
Wir Musiker waren das schon immer, vor
muss, muss auch benannt werden. Dazu ist
allem ohne Rücksicht auf uns selbst.
Zeit ein wichtiger Faktor – meine Absicht kann die allerbeste sein, aber wenn in einer
Unser Leben ist von klein auf von dem
Stunde zehn Studierende singen wollen,
Wunsch bestimmt, etwas Konkretes besser
macht Zeitdruck es oft unmöglich, mit aus-
zu können – klangvoller, sauberer, schneller,
führlichen Feedbackrunden auch von
korrekter –, und das am liebsten von Tag zu
Studierendenseite zu arbeiten. Und wieder
Tag. Stagnation führt schnell zu Frustration.
kommentiere nur ich.
Aber dieser Grundantrieb führt oft zu gnadenloser Selbstkritik und totaler Fixierung
Einige Fortschritte haben wir schon
auf das, was – noch – nicht funktioniert.
gemacht. Wir bleiben dran!
Wir geißeln uns gern für einen im Konzert nicht gelungenen Ton und sind manchmal
Szene 2: Nach unserer Klasseninszenierung
kaum fähig wahrzunehmen, was gut war.
von Telemanns Don Quixote 2017 hatten wir
Kritik nehmen wir ernster als Lob — der
die Gelegenheit, mit fast allen Mitwirkenden
Kritiker wird als kundig, der Lobende als
ein Feedbacktreffen unter Anleitung abzu-
naiv wahrgenommen.
halten. Unter anderem wurden auf der Pinnwand Kommentare zusammengetragen, die
Für mich als Sängerin ist das schon schwierig
wir sonst so nie geäußert und somit nicht
genug. Aber was bedeutet es für mich als
voneinander erfahren hätten. Wenn alle ehr-
Lehrende? Wie kann ich Studierenden einen
lich auspacken, kommt viel auf den Tisch.
Weg aus oft lähmender Selbstbeschau öffnen?
Es wurde klar, wo jeder einzelne – eben auch ich als Teil der Gruppe – seine Zweifel, aber
Szene 1: Erfahrungen zu einer neu durch-
auch seine Glücksmomente hat. Und für mich
dachten Feedbackkultur konnte ich in einem
besonders beglückend: Es wurde auch klar,
Workshop mit Kristin Guttenberg aus Berlin
wie unser immer wieder gesuchtes Format
machen. Lehrende und Studierende lernten,
des gemeinsamen Agierens aller auf der Büh-
nach einer Darbietung als erstes darüber
ne den einzelnen stärkt. Ein Ergebnis dieses
nachzudenken, was gelungen war, und erst
Treffens war die Entwicklung unseres Klassen-
dann zu überlegen, was besser werden
projekts 2018, eines politischen Abends, in
sollte. Das fällt gerade den Ausführenden
dessen Konzeption persönliche Statements
besonders schwer. Grundsätzlich finden sie
der Studierenden Eingang fanden.
zunächst schlecht, was sie geboten haben.
32
Bei den anderen, also von außen, fällt das
Szene 3: Ein weiteres Format, das zu
Gute viel mehr ins Auge. In der Anwendung
meiner Studienzeit mit dem allgegenwär-
dieser Technik in meinem Klassenunterricht
tigen Misstrauen unter Gesangslehrern
gibt es wunderbare Momente gegenseitiger
undenkbar gewesen wäre, ist das Teamtea-
Ermutigung, aber auch Schwierigkeiten:
ching im Gesangsunterricht – mit anderen
Bemüht positive Formulierungen können
Gesangslehrern oder einer Lehrkraft für
leicht als wenig authentische Floskeln
Körper und Bewegung.
Befreiung aus dem Hamsterrad
Wenn man sich vertrauensvoll darauf ein-
erlernen durfte. Das Schildern eines spezi-
lässt, kann man so ungeheuer viel voneinan-
fischen Falls, der einem Sorgen bereitet,
der lernen. Sich durch gemeinsames Arbeiten
und das Feedback der Kolleginnen und
mit Gesangskollegen zu sensibilisieren für
Kollegen dazu wurde durch klare Regeln
die Vielfalt der Möglichkeiten, an eine Auf-
geordnet, was sich als große Entlastung
gabe sinnvoll heranzugehen, erweitert den
herausstellte. Der Rechtfertigungsdruck,
eigenen Horizont und schützt vor Einseitig-
den man als „Fallgeber“ spürt, konnte
keit bzw. dem Glauben, man selbst sei im
ausgeschaltet werden, das Schweigen und
Besitz der absoluten Wahrheit. Und es erleich-
Zuhören bei der Diskussion der anderen
tert den Schritt, Studierende zu einem Lehrer-
entspannte und befreite die Gedanken aus
wechsel zu ermutigen, wenn man glaubt,
dem Hamsterrad. Der Blick öffnete sich für
dass sie davon profitieren würden.
nächste Schritte. Mit der Zeit sind wir alle sicherer im Umgang mit Schwierigkeiten
Das Teamteaching mit den Bewegungsleh-
geworden. Darüber hinaus hat sich unsere
rerinnen des Fachbereichs Darstellende
Feedbackkultur nach Prüfungen nachhal-
Kunst hat mein eigenes Lernen im Hinblick
tig verändert – in unseren Augen zum
auf Körperwahrnehmung und die Aus-
sehr viel Besseren.
wirkungen von Verkrampfungen auf den Gesangston stark befördert. Im Gespräch
Voraussetzungen für eine Gruppe wie diese
mit Kollegen an anderen Hochschulen wird
sind wieder Vertrauen und das Gefühl von
immer wieder deutlich, dass die Integration
Sicherheit in der Kollegenschaft. Leider er-
von Körper- und Atemarbeit in das Lehren-
schwert das das Öffnen solcher Runden über
denbewusstsein und damit auch in die
den Kreis der Festangestellten hinaus auf
Curricula der Studiengänge an vielen Orten
Lehrbeauftragte. Dabei wäre gerade das so
weniger weit fortgeschritten ist als bei uns.
zu begrüßen. Dass es sich aber im bestehen-
Ein Grund, nachhaltig dankbar für diese
den System des jederzeit kündbaren Lehrauf-
Erfahrungen zu sein.
trags sehr heikel anfühlen kann, gegenüber festen Lehrkräften ehrlich seine Ängste und
Für Studierende kann es heikel oder ver-
Zweifel zu äußern, ist nachvollziehbar.
wirrend sein, wenn plötzlich zwei Lehrende gleichzeitig mit ihnen arbeiten. Vertrauen
Fazit für mich: Kritik und Feedback sind
zu schaffen, Missverständnisse zu klären,
ein ständiges work in progress. Mal gelingt es,
Vokabular abzugleichen und eine gute Unter-
mal scheitert man, und man lernt nie aus.
richtsatmosphäre herzustellen, bleibt eine
Das gilt für uns wie für die Studierenden,
Herausforderung.
auf deren ehrliches Feedback ich als Lehrende ebenso angewiesen bin wie sie auf das
Szene 4: Die Zweifel, ob man in der lang-
meinige.
jährigen Begleitung eines jungen Menschen fachlich wie menschlich richtig liegt, können
Henriette Meyer-Ravenstein ist
schon erheblich sein und schlaflose Nächte
Professorin für Gesang.
bereiten. Eine große Hilfe wurde die Technik der Kollegialen Fallbesprechung, die unsere Fachgruppe Gesang und Sprechen im Fachbereich 2 mit einer Supervisorin
33 33
Frankfurt in Takt 19/1 – Feedback und Kritik
Das Duo Brilliante mit Jinju Oh, Klavier, und Katharina Martini, Flöte
WERKSTATTGESPRÄCHE
Über Feedbackprozesse zwischen Werk, Komponist und Interpret Von Dr. Esa Tapani
Feedback kann die Substanz verändern – zum Beispiel, wenn Komponist und Interpret gemeinsam über ein schon bestehendes Werk diskutieren, wenn sich Idee und praktische Ausführung entgegenkommen und die Glieder der Kommunikationskette schließlich zwischen Komponist, Vortragendem und Zuhörer launisch hin- und herspringen. Unter den Feedbackprozessen ist derjenige
Rückkopplung zwischen dem Klangereignis
für den Vortragenden am wichtigsten, der
und dem Vortragenden eine wesentliche
zwischen der Notation und der bei ihm
Rolle, denn gerade durch das Klangbild sam-
entstandenen Auffassung über ihre Inter-
melt der Musiker Material für wichtige Ent-
pretation stattfindet. Die Wirkung des durch
scheidungen u. a. über Tempi und Dynamik.
das Notenbild vermittelten Feedbacks ist am
34
stärksten in der Anfangsphase des Interpre-
Feedbackprozesse haben zweifelsfrei eine
tationsprozesses – vor allem dann, wenn
große Bedeutung für die Interpretation eines
sich der Musiker eine Vorstellung über das
Musikstückes. Die musikalische Deutung
Werk verschaffen möchte. Bei dem Zustan-
entsteht nicht augenblicklich, sondern
dekommen der Interpretation spielt eine
entwickelt sich meistens über einen langen
Werkstattgespräche
Zeitraum. Informationen werden in der
meinen dient die Kommunikation mit dem
gesehen waren. Diese hielten sich in den
Kommunikationskette nicht nur vom Kom-
Komponisten dem Musiker dazu, seine
Grenzen des Machbaren, aber das Ergebnis
ponisten über den Vortragenden dem Zu-
Interpretation zu vertiefen oder eine Bestä-
stellte den Tonsetzer Salonen nicht zufrieden.
hörer vermittelt, sondern sie springen – oft
tigung dafür einzuholen. Wenn das Werk
Herr Salonen bat mich, ab Takt 83 um einen
auch launisch – zwischen den Kettengliedern
noch unvollständig ist – wie in unserem
Halbton abwärts zu transponieren. Nach
hin und her.
Beispielsfall – sucht der Tonsetzer seiner-
dieser Anpassung funktionierte die Passage
seits nach Verstärkung für seine Ideen.
schon besser, aber der Komponist war immer
In Kommunikation mit dem Komponisten
Zugestandenermaßen ist dies eine grobe
noch nicht glücklich. Schließlich beschloss er,
auf Augenhöhe können Interpretationsideen
Verallgemeinerung, denn beide Parteien
die hohen Triller zu verwerfen und diese
entstehen. Gleichzeitig lernt der Musiker
können auch sehr unterschiedliche Beweg-
durch teils rasche sinkende Tonfolgen, teils
das Werk und seine Hintergründe besser
gründe haben. Obgleich es auf den ersten
gerade Töne zu ersetzen. Diese Änderungen
kennen. Das errungene Wissen unterstützt
Blick so erscheinen mag, dass es in dem letz-
bewirkten die von ihm erhoffte Intensität im
ihn bei späteren Entscheidungen über die
teren Fall für den Komponisten mehr zu
Höhepunkt des Werks.
musikalische Interpretation. Andererseits
holen gäbe, erhält auch der Vortragende
bezweifle ich nach wie vor, ob durch die
wertvolle Indizien für seine Deutung über
Am 23. Februar erhielt ich von ihm die
Kommunikation mit dem Komponisten eine
das Werk im Entstehen. Zweifelsohne öffnen
endgültige Fassung des Stückes zur Über-
„korrekte Interpretation“ zustande kommen
sich dem Vortragenden unerwartete Perspek-
prüfung. In meiner Antwort vom 25. Februar
kann – denn trotz des Gedankenaustausches
tiven auf das Werk, wenn er den Tondich-
schlug ich noch drei Präzisierungen des
bin ich als Vortragender für die Interpreta-
tungsprozess aus der Nähe verfolgen kann.
Notentexts vor.
Fehler, z. B. meine Aufnahme des Werks
Concert Étude ist ein virtuoses Werk, in
Im dargestellten Beispiel ist die Kommuni-
Concert Étude von meinem Landsmann Esa-
dem gewisse Spezialeffekte – wie simulta-
kation in erster Linie praktisch orientiert. Von
Pekka Salonen „heiligzusprechen“, nur weil
nes Singen und Spielen – vorkommen. Bei
Fall zu Fall und Person zu Person kann sich
mir die Intention des Komponisten bekannt
unserem Treffen war Herr Salonen mit mir
die Kommunikation sehr mannigfaltig ge-
war. Ich halte die Interpretation für meine
darüber einig, dass die von ihm aufgezeich-
stalten – und nicht unbedingt zweckdienlich.
eigene, obgleich meine Kommunikation mit
nete Version klanglich nicht zufriedenstel-
Herrn Salonen diese stark geprägt hat.
lend war. Ich machte alternative Vorschläge
Interpretieren heißt diskutieren. Eine her-
und spielte sie ihm vor. Er unterbreitete
meneutische Gesprächsführung ist für
Für den Vortragenden ist auch wichtig,
weitere Vorschläge, und schließlich hatten
beide von Bedeutung. Genauso bedeutungs-
was nicht ausgesprochen wird. Wenn der
wir eine Version, die klangmäßig viel besser
voll ist die gegenseitige Inspiration, die
Tonsetzer ein Detail meiner Interpretation
funktionierte als die erste Fassung.
beide Parteien aus den Auffassungen der
tion verantwortlich. Es wäre ein gewaltiger
anderen schöpfen. Der Tonsetzer kann,
kommentarlos hinnimmt, nehme ich dies als ein Zeichen der Zustimmung wahr.
Der Komponist Salonen hatte auch eine tech-
wenn er es denn möchte, dem Vortragenden
Dieser Zustimmung sollte man jedoch
nische Frage zu der Stopftechnik, der er sich
neue Perspektiven auf sein Werk eröffnen,
keinen allzu großen Wert beimessen, denn
in dem schnellen Abschnitt des Stücks reich-
denn er kennt es viel besser. Der Musiker
einem Komponisten mögen auch sehr
lich bedient hatte. Es zeigte sich, dass er –
hingegen kann dem Komponisten wichtige
unterschiedliche Interpretationen seiner
als geübter Hornist – diesen Bereich lücken-
Details mitteilen, die nur einem bekannt
Werke gefallen.
los beherrschte, denn die gesamten voll-
sein können, der seines Instrumentes
und halbgestopften Töne sowie ihre rasche
mächtig ist.
Herr Salonen hat mir am 9. Februar 2000
Abwechslung funktionierten makellos.
eine E-Mail zukommen lassen, in der er mich
Dr. Esa Tapani ist Professor für Horn.
darüber informierte, dass eine erste Version
Gegen Ende des Werks befand sich ein
der Concert Étude vorläge, und anfragte,
weiterer problematischer Abschnitt, in dem
ob ich sie ihm vorspielen möge. Im Allge-
zahlreiche Triller im hohen Register vor-
35
Frankfurt in Takt 19/1 – Feedback und Kritik
FEEDBACK UND KOMMUNIKATION ZUR STÄRKUNG DER SELBSTKOMPETENZ
Moderiertes Feedback und Reflexion sind seit
Von Ingo Diehl
passten bzw. entwickelten Feedback-Ver-
einigen Jahren Teil von choreographischen Arbeitsprozessen und zeitgenössischer Tanzausbildung. Im Master of Contemporary Dance Education (MA CoDE) arbeiten wir seit 2013 mit Adaptionen von gängigen und eigenen, für die jeweilige Situation angefahren, um Lernprozesse produktiv und motivierend zu begleiten. Die Komplexität aktueller ästhetischer Handschriften und Arbeitsweisen sowie die Individualisierung innerhalb der künstlerischen Ausbildung verlangen nach einem geschützten Raum, um Vertrauen und Distanz in sensiblen Situationen zu stärken. Die Vorlagen von DASArts1 und der Critical Response Process der kanadischen Choreografin Liz Lerman2 sind in unserem Masterprogramm dafür wichtige und hilfreiche Referenzen. Neben einer Reihe von Publikationen wurde das Thema im Rahmen von Tagungen und Studiengängen in den Darstellenden Künsten reflektiert und beständig weiterentwickelt3, was einen produktiven Kontext für die Anwendung und Fortentwicklung in der Lehrpraxis bietet.
Wahrnehmungen zu erweitern und Wertvorstellungen zu hinterfragen, sind wesentliche Komponenten von Kommunikations- und Mediationsprozessen des MA CoDE. Die Basis ist Vertrauen und der richtige Zeitpunkt.
Insbesondere im Anschluss an Lehrproben oder Präsentationen der Studierenden zeigt sich im MA CoDE ein hohes Maß an Verletzlichkeit. Klare Verabredungen in der Kommunikation sind notwendig, um den verschiedenen Sichtweisen einen produktiven Raum zu bieten. Für persönliche und unter Umständen harsche Kritik eines fachlichen Aus-
36
Feedback und Kommunikation zur Stärkung der Selbstkompetenz
1: www.atd.ahk.nl/opleidingen-theater/das-theatre/feedback-method/, www.karimbenammar.com/en/ 2: lizlerman.com/critical-response-process/ 3: bspw. Tanzplattform Deutschland in 2014, Laboratory on Feedback HZT Berlin in 2014, der Deutsche Tanzkongress in 2016, Biennale Tanzausbildung 2018. 4: siehe Handreichung der Kultusministerkonferenz S.15: www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2011/2011_09_23_GEP-Handreichung.pdf 5: damit ist die Kommunikation auf Augenhöhe zwischen Studierenden und oder Künstlerinnen und Künstlern gemeint. 6: motionbank.org/de/ Motion Bank war ein auf vier Jahre angelegtes Projekt der Forsythe Company, in dem die choreographische Praxis in einem breiten Kontext erforscht wurde. Diese Arbeit wird heute in Kooperation mit verschiedenen Partnern an der Uni Mainz fortgeführt. 7: motionbank.org/de/content/ausbildung-piecemaker.html
tausches braucht es Regeln, egal ob in Form
diese Verfahren thematisiert und begleitet
Unabhängig davon, welche Verfahren zur
von Spielen, Szenarien des Beschreibens und
werden. Zwei wesentliche Aspekte aus der
Anwendung kommen, um das eigene Han-
des Wahrnehmens oder einfach in der Gestalt
Erfahrung im Studiengang scheinen dabei
deln in konkreten Situationen zu reflektie-
von moderierten runden Tischen. Ziel ist es,
Fragen von Zeitlichkeit – wann ein Reflexions-
ren: Es werden in der Lehre entsprechende
sich der eigenen Kommunikation bewusst zu
prozess im Verhältnis zu einem Event statt-
Zeiträume und Methoden benötigt, damit
werden und damit die Selbstkompetenz zu
findet – und das Vertrauen zu sein, dass das
diese auch sinnhaft umgesetzt werden kön-
schulen – sowohl in der Rolle desjenigen, der
jeweilige Feedback bzw. der Austausch von
nen. Dabei ist es notwendig festzuhalten,
Feedback gibt oder erhält, als auch in der
allen Beteiligten im Sinne einer unterstützen-
dass Kommunikations- und Mediationspro-
Rolle des Moderators oder Vermittlers.
den Begleitung durchgeführt wird.
zesse den Diskurs durch eine bestimmte Struktur lediglich erleichtern, denn egal, ob
Den unterschiedlichen Verfahren liegt die
Ein weiteres Verfahren, das im MA CoDE
Kolloquien, die beschriebenen Peer-to-Peer-
Überlegung zu Grunde, dass es mehr als
zur Anwendung kommt, das jedoch weniger
Feedbacks oder die individuelle Videoanaly-
eine Wahrheit und vielfältige Erfahrungen
auf den Austausch zwischen Peers und eine
se mit Notationsverfahren: Es geht immer
wie auch Blickwinkel in Bezug auf Abläufe,
Kommunikation in der Gruppe zielt, ist die
um eine vertiefte Auseinandersetzung an der
Events oder fachliche Fragestellungen gibt,
Videoanalyse der eigenen Unterrichtslehr-
konkreten künstlerisch-pädagogischen wie
was eben auch der Diversifizierung aktueller
probe in Form von Annotationen als digitale
auch fachlichen Praxis, die im besten Fall
zeitgenössischer Arbeitsweisen im Tanz und
Reflexions- bzw. Lernprozesse. Dabei folgen
dabei unterstützt, Wahrnehmungen zu er-
den aktuell heterogenen Studierendengruppen
Studierende klar definierten Beobachtungs-
weitern und Wertvorstellungen zu hinter-
entspricht. Im Studiengang selbst können
kriterien, um die aufgezeichneten Unterrichte
fragen. Damit stehen nicht Produktivität und
durch die Strukturierung der Feedback-Pro-
hinsichtlich persönlicher Interessen über
Optimierung, sondern Respekt und kritisch-
zesse Hierarchien differenzierter thematisiert
einen längeren Zeitraum zu analysieren. Im
inhaltlicher Austausch im Zentrum. Ziel ist
und mögliche Konflikte zielgerichtet ange-
Rahmen des Motion Bank6-Projekts entwickelt
es folglich, die Selbstkompetenz dezidiert
sprochen werden. Der fachliche Austausch
ein Team an der Hochschule for Applied
innerhalb des fachlichen Diskurses zu stärken.
rückt in den Vordergrund, denn alle Teilneh-
Science in Mainz – seit Projektbeginn in Ko-
Diese Kompetenzerweiterungen decken sich
merinnen sind in der Verantwortung, die
operation mit MA CoDE – ein Softwarepro-
durchaus mit den aktuellen Schwerpunkt-
Kommunikation produktiv mitzugestalten.
gramm namens Piecemaker7. Dieses Pro-
projekten in den Bereichen Künstlerische
gramm ermöglicht das Markieren und Über-
Forschung und Digitales Lernen.
5
Im bildungspolitischen Kanon wird Selbst-
schreiben einer Videoaufzeichnung unab-
kompetenz mit Eigenschaften wie Selbst-
hängig davon, ob live oder im Nachhinein.
Prof. Ingo Diehl ist Leiter des Studiengangs
ständigkeit, Kritikfähigkeit, Selbstvertrauen,
Die Beobachtungen, die an den selbst ge-
MA CoDE.
Zuverlässigkeit, Verantwortungs- und Pflicht-
wählten Stellen im Video möglich sind,
bewusstsein umschrieben, die durch das
erlauben ein hohes Maß an Genauigkeit. Es
Einnehmen der verschiedenen Rollen im An-
sind die eigene Analyse und Einschätzung
schluss an eine Lehrproben-Situation durch-
einer Situation, die den Lernprozess beför-
aus geschult und praktisch erprobt werden.
dern. Die Bewertung erfolgt also nicht durch
Insbesondere Kritikfähigkeit und eine dis-
eine von außen gegebene Kritik.
4
tanziertere Selbsteinschätzung können durch
37
Probe von „Version 321 GO“ (Choreographie: Ayman Harper) mit Alexandros Karampatsakis und Steven Höhn
38
Probe zum Konzert der Kompositionsklassen mit Minsung Kwon, Koichiro Une und Hyunjung Kim
39
Frankfurt in Takt 19/1 – Aus der Hochschule
GESELLSCHAFTLICHE TEILHABE DURCH KUNST Kulturdezernentin Dr. Ina Hartwig und Hochschulpräsident Prof. Elmar Fulda im Gespräch
Es war ein Treffen, das parallele Überzeugungen offenbarte: Hochschulpräsident Prof. Elmar Fulda lud Frankfurts Kulturdezernentin Dr. Ina Hartwig zu einem Gespräch über das Selbstverständnis von kultureller Teilhabe ein. Was die HfMDK im Leitbild verankert hat und durch offenen, kostenfreien Zugang zu vielen Veranstaltungen realisiert, findet sein Pendant im freien Eintritt für Studierende, Kinder und Jugendliche in die städtischen Museen Frankfurts. Hartwig und Fulda diskutieren, was ihnen wichtig ist: die Türen zu den unterschiedlichen Künsten für alle zu öffnen. 40
Gesellschaftliche Teilhabe durch Kunst
Prof. Elmar Fulda Kulturelle Teilhabe war
Hartwig Naiv und illusionär war der An-
an experimentelleren Formen der Regie sind
schon in den 1970er Jahren ein großes Thema.
satz durchaus. Er vollzog sich aber auch in
hier durchaus vorhanden. Wenn man den
Da hieß es: Arbeiter und Kinder an die Kunst!
einer gänzlich anderen Gesellschaft als der
Frankfurtern mit einer zu konventionellen
Dazu gab es viele Initiativen: Stadtteilhäu-
heutigen. Gegenwärtig haben wir es mit
Inszenierung käme, würde das Publikum
ser entstanden, um mit der Kultur aus den
einer größeren sozialen Schere zu tun, zudem
rebellieren.
heiligen Tempeln zu den Menschen vor Ort
mit einer Einwanderungsgesellschaft. Das
zu gehen. Was ist aus Ihrer Perspektive
Miteinander ist bunter und vielfältiger ge-
Fulda Und wie ermöglicht man dem Nicht-
seither passiert?
worden, damit einhergehen Chancen und
Stammpublikum einen niedrigschwelligen
Herausforderungen. Auch hat sich das Selbst-
Zugang zur Kunst? Ich frage grundsätz-
Dr. Ina Hartwig Der Kunstbegriff hat sich
bild der Kinder und Jugendlichen gewandelt.
licher: Warum beschäftigen sich Menschen
seitdem kontinuierlich weiterentwickelt,
Ihre Behauptung, dass man Kunst anders
überhaupt mit Kunst? Ich glaube, sie tun es
denn Kunst hat glücklicherweise ihre Eigen-
rezipiert, wenn man das dazugehörige Hand-
deshalb, weil sie dort etwas erleben wollen,
dynamik und tut, was sie für richtig hält.
werk – oder die Sprache – erlernt hat, ist
was sie sonst nicht erleben.
Was den Zugang zu ihr angeht, hat es in der
sicher richtig. Aber ich beharre darauf, dass
Zwischenzeit so etwas wie ein „roll back“
auch Laien Zugang zur Kunst haben sollen
Hartwig Was Sie eben über die Rahmung
gegeben. In Zeiten der kommunalen Finanz-
und können. Ein womöglich schwärmerisches
gesagt haben, halte ich für einen klugen
not sind die Zugänge teilweise wieder zurück-
oder naives Bild von Kunst ist doch in Ord-
Ansatz. Wer nicht vom Elternhaus her
gebaut worden. Ich bin froh, dass ich in
nung. Ich verteidige den unbedarften Zugang.
gewohnt ist, ins Konzert zu gehen, für den
meiner Amtszeit diese Entwicklung wieder
kann ein Konzertbesuch unerwartet zu
umdrehen konnte: Ich arbeite konsequent
Fulda Wer ein Konzert für neue Musik an-
einer Offenbarung werden. Besonders
an der kulturellen Teilhabe für alle. Mir ist
bietet, erreicht in der Regel eher ein Spezia-
kleinen Kindern sagt man ja nach, ein Sen-
es wichtig, Zugänge zu öffnen, damit Kinder
listenpublikum. Wenn die gleiche Musik
sorium dafür zu haben, Exzellenz intuitiv
und Jugendliche möglichst früh in Kontakt
aber im Rahmen eines Blockbusters erklingt,
zu erkennen. Die andere Aufgabe jedoch
mit kulturellen Einrichtungen kommen und
hört ein Millionenpublikum zu und ver-
ist es, ein Angebot für diejenigen bereit-
der Kunst ohne Schwellenangst begegnen.
steht sie! Nur weil der Rezeptionskontext
zustellen, die erst über einen Umweg den
Ich bin davon überzeugt, dass das wachsen-
ein anderer ist, wird die Musik auch anders
Zugang finden, weil der Konzertbesuch
de Selbstbewusstsein, das mit der frühen
akzeptiert. Es muss also darum gehen, den
bei ihnen zunächst angstbesetzt ist oder als
Beschäftigung von Kunst einhergeht, für die
Rahmen für Kunstrezeption so zu gestalten,
langweilig gilt. Sie muss man anders an
biografische Entwicklung der jungen Men-
dass beides möglich ist: ein spontaner, in-
die Hand nehmen, und dafür braucht man
schen prägend ist. In den 70er Jahren wurden
tuitiver Kunstzugang sowie ein vertiefter,
gute Pädagogen.
diesbezüglich die richtigen Entscheidungen
reflektierter. Beide Zugänge sind möglich,
getroffen, an die ich anknüpfen möchte.
nötig und bestehen nebeneinander, siehe in
Fulda Wenn nichts mehr selbstverständlich
der Oper, um einmal ein Beispiel aus meinem
ist – und in unserer Gesellschaft ist eigent-
Fulda War der Aufbruch damals nicht auch
„früheren Leben“ als Opernregisseur zu nen-
lich immer weniger selbstverständlich, eben
eine Illusion, verbunden mit emotionalem
nen: Das, was die Regisseure und Kritiker an
als die Folge und vielleicht auch Kehrseite
Überschwang? Stimmte die Annahme, dass
einer Inszenierung interessiert, ist häufig etwas
unserer Freiheit –, wird Vermittlung tatsäch-
es reichen würde, alle Türen der Kulturinsti-
anderes als das, was das Publikum bewegt.
lich immer wichtiger. Und immer-noch das
tutionen aufzumachen, damit alle mit Kunst
direkte Erlebnis: Meine Tochter erlebte im
in Berührung kommen? Kunst hat ja immer
Hartwig Klar. Das Frankfurter Opernpub-
Konzert eine junge Pianistin gleichen Alters
auch eine eigene Sprache, die man erlernen
likum ist allerdings über viele Jahre und
und war baff, fand darüber einen Zugang zu
muss, und kann daher vertieft oft nur mit
Jahrzehnte musikästhetisch gewissermaßen
einer Musik, die sie sonst eher selten hört.
spezifischen „Sprachkenntnissen“ verstanden
erzogen worden und bringt eine gewachsene
Es entstand ein unmittelbarer Eindruck,
und genossen werden, oder?
Hör- und Seherfahrung mit. Die Ansprüche
den ich für unersetzlich halte.
41
Frankfurt in Takt 19/1 – Aus der Hochschule
Hartwig Das unmittelbare Erlebnis ist in
Fulda Denken Sie, dass es eine gesellschaft-
wichtigen Beitrag leisten. Wir tun das mit in
der Tat ganz wichtig. Und deshalb freue ich
liche Aufgabe gibt, dass junge Menschen
Kunst gegossenen Zustandsbeschreibungen
mich, ein Kunstprojekt auf den Weg gebracht
bestimmte Dinge kennenlernen sollten und
unserer Welt, und die bieten wir den
zu haben namens „You&Eye“, in dem Kinder
müssten, auch wenn es gegebenenfalls zur
Menschen an, damit sie sich daran reiben,
und Jugendliche aus zwei Frankfurter Schu-
Konfrontation von Wertevorstellungen
teilhaben, dass sie sie kritisieren und ergän-
len – oft mit Migrationsgeschichte und aus
kommt?
zen – dadurch entsteht ein Dialog. Wir als
nicht sehr begüterten Familien stammend –
Hochschule führen solch einen Diskurs schon
das Angebot wahrnehmen, einmal in der
Hartwig Ja. Und mir gefällt der Gedanke,
allein durch die vielen Menschen, die aus
Woche mit Künstlern zusammenzuarbeiten.
dabei frei von Bedenken und ideologischen
aller Welt mit ihren unterschiedlichen Vor-
Das Spektrum reicht von Musik und Male-
Vorgaben zu sein. Bemerkenswert ist übri-
stellungen zu uns kommen. Ich würde mir
rei bis zu Gestaltung, Mode und Design.
gens, dass einige der aktuellen gesell-
wünschen, dass wir ihn noch mehr nach
Die Kinder werden von fachkundigen freien
schaftlichen und ethischen Debatten in den
draußen tragen und in die Stadtgesellschaft
Künstlerinnen und Künstlern angeleitet.
Museen abgebildet werden. Der Bedeu-
aktiver einbeziehen und umgekehrt als Ort
Das Projekt ist ein großer Erfolg. Für Kinder
tungszuwachs, den Museen gerade erleben,
der Verhandlung von gesellschaftlich rele-
und Jugendliche, für die Kunst und vieles
ist interessant. Tatsächlich sind Museen ein
vanten Themen wahrgenommen werden.
andere nicht selbstverständlich ist, kann es
guter Erfahrungsraum, um die Beweglich-
Aber vielleicht gelingt uns das ja, wenn
ganz viel bedeuten, ein Vertrauensverhält-
keit von kulturellen Gütern und künstle-
wir in Bockenheim auf dem Kulturcampus
nis zu jemandem aufzubauen, der ihnen
rischen Energien zu studieren, nämlich
sind, dort ein neues Stadtquartier mit
kreative Freiräume bietet.
das Phänomen, dass kultureller Austausch
Wohnen, Forschen und Kunsterleben
in der Geschichte noch nie vor Landesgren-
gewachsen ist.
Fulda Ein ähnliches Angebot ist „Musik-
zen Halt gemacht hat. Kunst geht über
MonatMai!“, das unsere Hochschule alljährlich
Grenzen, so wie die Menschen auch.
initiiert und zu dem sie alle großen Musik-
Hartwig Der Begriff der Kulturtechnik gefällt mir sehr. Aber wir müssen aufpassen, dass
institutionen der Stadt an einen Tisch holt.
Fulda Wir leben ja in einer Zeit, in der die
wir uns nicht nur auf die Hochkultur
300 Musikerinnen und Musiker musizieren
Erfahrung mit dem Fremden von vielen
kaprizieren, wobei ich diesen Begriff gar
dabei für 4.000 Schülerinnen und Schüler
negativ bewertet wird. Doch eigentlich muss
nicht verwende, denn: Was wäre das Gegen-
aus 40 Frankfurter Schulen, besuchen sie in
man sagen, dass Kunst und Kultur sich
über von Hochkultur, wenn es sie wirklich
ihren Klassen oder laden sie in ihre Proben-
immer aus der Begegnung mit dem Fremden
gäbe? Die Sphären von „E“ und „U“, wie
räume und Konzertsäle ein.
speiste.
man früher sagte, sind doch längst durch-
Hartwig Das setzt die Stadt für Studieren-
Hartwig Ja, und vieles ehemals „andere“
Thema ist für mich: Sich mit Kunst zu
de fort: Die HfMDK profitiert seit Herbst
ist längst zur eigenen Kultur geworden.
beschäftigen, bietet eine gute Möglichkeit,
letzten Jahres vom Kulturticket der Stadt
Die Kaffeehäuser in Wien beispielsweise,
im Leben unabhängig zu sein.
Frankfurt. Ebenso mit dabei sind die Goethe-
sie sind ja bekanntlich durch die Türken
Universität sowie die University of Applied
„importiert“ worden und prägen heute das
Fulda Ja, vielleicht ist das die faszinierendste
Sciences. Es ist ein Kooperationsprojekt mit
Straßenbild ganz Westeuropas.
Eigenschaft von Kunst: Freiheit des Geistes
mischt. Die politische Botschaft zu diesem
den Studierendenvertretungen der Univer-
zu schaffen und darüber Menschen zu
sitäten und ermöglicht über 60.000 Studieren-
Fulda Kunst ist in meinem Selbstverständnis
verbinden, Identität und gesellschaftlichen
den den kostenfreien Eintritt in 18 Frank-
eine Kulturtechnik, die schon immer extrem
Zusammenhalt zu stiften! – Liebe Frau
furter Museen. Darüber freue ich mich sehr,
wichtig war. Wir sollten daher als Künstler
Hartwig, ich bedanke mich sehr herzlich für
weil ich es sehr wichtig finde, dass es einen
und auch Kunstinstitution sehr selbstbe-
das Gespräch!
Austausch der Künste gibt.
wusst sein, dass wir zur Gesellschaft einen
42
Wir sind dabei
Das Deutschlandstipendium hilft besonders leistungsstarken Studierenden. Gemeinsam engagieren sich dafür private Förderer und der Bund. Werden Sie Partner des Deutschlandstipendiums an der HfMDK, damit wir gemeinsam die künstlerische Exzellenz im Studium fördern können! 73 Stipendien möchte die HfMDK zum Wintersemester vergeben – helfen Sie mit, dieses Ziel zu erreichen. Mit einem Jahresstipendium à 1.800 Euro oder einer Spende ab 50 Euro. Der Bund verdoppelt Ihre Spende! Weitere Informationen erhalten Sie im Fundraisingbüro: Daniela Fox (Tel 069 154 007-210) und auf www.hfmdk-foerdern.de
OFFEN FÜR DAS ANDERE Deutschlandstipendiat Leon Häder im Interview mit seinem Förderer Frank Schumann Ohne das Deutschlandstipendium wären
durch das BAföG erleichtert hat. Den Aus-
sehr wie das perfekte Zusammenspiel eines
sich die beiden wahrscheinlich nie begeg-
schlag für die Förderung gaben dann zwei
Ensembles. Hinzu kommt der aufkläreri-
net: Leon Häder studiert in Frankfurt am
Punkte. Erstens: die hundertprozentige
sche Ansatz. Es regt mich zur Reflexion,
Main Schauspiel, Frank Schumann bewegt
Wirkung. Das heißt, dass mein Geld direkt
zum Nachdenken an.
sich beruflich in der Finanzwelt und pen-
an den Studenten geht. Zweitens: dass der
delt zwischen der Mainmetropole, Malta
Bund meine monatlich 150 € verdoppelt.
Herr Häder, wie sind Sie zum Schau-
und Zürich. Im Interview erzählen der
Da ich meinen Beitrag steuerlich geltend
spiel gekommen?
Stipendiat und sein Förderer, was ihnen
machen kann, ist das ein fantastisches
Leon Häder Ich bin auf eine Waldorfschule
das Schauspiel bedeutet und wie aus dem
„Preis-Leistungs-Verhältnis".
gegangen. Dort wird man früh auf die
anfangs zögerlichen Kontakt ein bereichernder Austausch wurde.
Bühne geschickt. Bei einem Theaterprojekt Sie haben Betriebswirtschaftslehre
meiner Schule fand ich die Menschen so
studiert und arbeiten im Finanzbereich.
spannend, dass ich dachte: „Das muss ich
Herr Schumann, Sie und Ihre Frau för-
Warum das Engagement im kulturellen
machen.“ Später bin ich dann noch inten-
dern privat an der Hochschule für Musik
Bereich?
siver in Kontakt mit der Schauspielerei
und Darstellende Kunst Frankfurt am
Frank Schumann Ich glaube, es braucht
gekommen und hatte das Gefühl, dass ich
Main. Wie haben Sie vom Deutschland-
beides: Wirtschaft und Kultur. Ich würde
eigentlich keine andere Wahl mehr habe.
stipendium erfahren?
aber keinen BWL-Studenten unterstützen.
Die Schauspielerei ist für mich anstren-
Frank Schumann Von einem Nachbarn, der
Die Wirtschaft sollte selber in der Lage sein,
gend, ich gebe viel preis, viel Gefühl, auch
auch fördert. Ich habe über meine eigene
ihren Nachwuchs zu fördern. Kultur all-
Unvermögen. Man macht viele Tore auf.
Studienzeit nachgedacht und mich daran
gemein und besonders das Schauspiel liegen
Man lässt die Menschen an seine Gefühle
erinnert, wie sehr mich die Unterstützung
mir am Herzen. Wenig berührt mich so
heran.
44
73 Deutschlandstipendien angestrebt An der HfMDK können maximal 73 Deutschlandstipendien vergeben werden. Das bemisst sich an der Gesamtzahl der Studierenden und über die Umverteilung nicht genutzter Kontingente anderer Universitäten in Hessen. 61 Studierende erhalten im laufenden Studienjahr die hilfreiche finanzielle Unterstützung von 300 Euro monatlich. Finanziert wird ein Jahr, zu gleichen Teilen von privaten und institutionellen Förderern sowie vom Bund. „Frankfurt liebt die Kunst, aber leider ist es teuer, hier zu leben. In der nächsten Förderrunde ab Herbst 2019 wollen wir das Maximum erreichen und die 73 möglichen Stipendien vergeben. Darum laden wir alle Musik-, Tanz- und Theaterbegeisterten herzlich ein, sich im Deutschlandstipendium für unsere Studierenden zu engagieren!“, so Elmar Fulda, der Präsident der HfMDK.
Fördern Sie Talente! Möchten Sie unsere Studierenden mit einem ganzen oder einem Teil-Stipendium fördern? Sprechen Sie mit der Koordinatorin im Fundraisingbüro: Daniela Fox, E-Mail: daniela.fox@hfmdk-frankfurt.de, Telefon: 069 154 007-210. Und erfahren Sie mehr übers Deutschlandstipendium unter hfmdk-foerdern.de/#deutschlandstipendium
Ist das Deutschlandstipendium für Sie
gibt, ohne dass dafür eine konkrete Gegen-
ich Menschen kennenlerne, die nicht in dieser
eine Erleichterung?
leistung erwartet wird, ist toll.
Theaterblase sind, sich dem aber öffnen.
Leon Häder Arbeiten ist neben dem Studium
Frank Schumann Ich zitiere mal die ver-
Frank Schumann Nach einem ersten An-
einfach nicht möglich. Ich komme um 10 Uhr,
storbene Schriftstellerin Leonie Ossowski:
nähern über E-Mail haben wir uns im
gehe um 22 Uhr und habe in der Regel kein
„Mein größter Wunsch wäre, dass unsere
letzten Jahr in Frankfurt getroffen. Dem
Wochenende. Da ich mich sonst über meine
Gesellschaft nicht nur Geld und Kapital in
Stipendium liegt ja kein Waschzettel bei,
Eltern finanziere, falle ich bei vielen Stif-
den Vordergrund stellt, sondern vor allem
wie man miteinander umgehen soll. Das
tungen durch. Die Dozenten haben mir
die Menschen.“ Die Tendenz, viele kulturelle
war für uns beide ein Herantasten. Vor
geraten, mich für das Deutschlandstipendium
Errungenschaften nur noch nach wirtschaft-
Kurzem hat die Gruppe von Leon ein Stück
zu bewerben. Die Förderung ermöglicht mir
lichen Kriterien zu beurteilen, halte ich für
in der Hochschule aufgeführt, das ich mir
ganz konkret, dass ich umziehen kann. Es
gefährlich und falsch. Ich finde es erstrebens-
angesehen habe. Das hat mich beeindruckt
ist aber vor allem ein Polster auf meinem
wert, dass sich mehr Förderer für junge
und ich bin glücklich, dass ich Leon
Konto, das mich sehr beruhigt.
Künstler einsetzen.
weiter fördern kann.
Sollten deshalb noch mehr junge Künst-
Es ist schon Ihr zweites gemeinsames
Im Februar 2019 auf www.deutschlandstipendium.de
lerinnen und Künstler gefördert werden?
Förderjahr. Wie hat sich der Kontakt
Leon Häder Ich glaube jeder, der im künst-
zueinander entwickelt?
lerischen Bereich tätig ist – sei es Musik,
Leon Häder Ich bin hier wie in einer Glocke.
Tanz oder Schauspiel – hat im Voraus schon
Gemessen an meinem Kontakt zur Außen-
viel Zeit investiert, die nicht bezahlt wurde.
welt, sind Frank und ich rege Austauschpart-
Dass mal jemand kommt und einfach Geld
ner. Für mich ist es sehr bereichernd, wenn
im Rahmen des Newsletters zum Deutschlandstipendium des Bundesministeriums für Bildung und Forschung veröffentlicht.
45
BRIAN FERNEYHOUGH 2019 ALS STIFTUNGSGASTPROFESSOR AN DER HFMDK Die HfMDK hat erstmals 2019 eine in ihrer
an die HfMDK gefolgt und hat bereits in
Leseproben. Immer mit einem Weitblick
Interdisziplinarität einzigartige Stiftungs-
seiner ersten Arbeitsphase starke Impulse für
nicht nur über eigene Werke und ihren Kon-
gastprofessur für Komposition eingerichtet,
Studierende und Lehrende gesetzt. Der viel-
text hinaus, sondern auch mit großer und
was dank der Unterstützung der 2016 ge-
fach ausgezeichnete Komponist, dessen Name
tiefer Allgemeinbildung und einer Haltung,
gründeten HfMDK-Stiftung möglich wurde.
untrennbar mit dem Begriff „Neue Komplexi-
die sich selbst als Künstler mit Verantwortung
Im Rahmen der Stiftungsgastprofessur
tät“ verbunden ist, hat sich gleichermaßen
und innerhalb größerer Zusammenhänge ver-
kommen renommierte Komponistinnen und
als erfahrener und praxisbezogener Kompo-
steht. „Die Kunst ist eines der letzten Mittel,
Komponisten jeweils für ein Jahr nach Frank-
nist sowie als Pädagoge mit Esprit und Ein-
uns selbst realistisch ins Auge zu schauen“,
furt, um mit Studierenden aller Fachbereiche
fühlungsvermögen für alle Levels und Themen
schrieb Brian Ferneyhough einmal.
zu arbeiten. Workshops mit Instrumentalis-
der Studierenden erwiesen. Mit ihm wurden
tinnen und Instrumentalisten sowie Studie-
hochkomplexe Partituren gelesen, regelrecht
Im Fokus in den Gesprächen und in der
renden der Komposition, der Darstellenden
durchgerechnet und für die Probenphasen
Arbeit mit Ferneyhough stand das Thema
Künste, aber auch Musikwissenschaft und
eingerichtet, bereits gearbeitete Kompositio-
Notation, ein Dauerbrenner bei Interpreten
Pädagogik stehen dabei ebenso auf dem Pro-
nen wurden von Instrumentalisten der Hoch-
und Komponisten gleichermaßen. Wichtige
gramm wie Lectures und öffentliche Auffüh-
schule, darunter auch Mitglieder der Interna-
Hinweise für den Umgang mit Ferneyhoughs
rungen, Gesprächsrunden und Symposien.
tionalen Ensemble Modern Akademie (IEMA),
äußerst komplexen Partituren, die höchste
gemeinsam erarbeitet und durchleuchtet,
Ansprüche an die Interpretation stellen, gab
Im Januar 2019 ist der renommierte britische
und vor allem: Es wurde viel diskutiert! In
es beispielsweise beim offenen Workshop zu
Komponist Brian Ferneyhough als erster dem
Einzelgesprächen mit den Kompositionsstu-
„Cassandras Dream Song“ mit Flötistin Sarah
Ruf als Stiftungsgastprofessor Komposition
dierenden, bei öffentlichen Workshops und
Heemann oder bei der gemeinsamen Lese-
46
probe zu „Funérailles“ für sieben Streicher und Harfe, wo Professoren und Studierende Seite an Seite saßen. Ferneyhough, der über den Unterschied von „komplex“ und „kompliziert“ sprach, brachte es auf die Formel: „Fidelity instead of exactitude!“ Wo da genau die Unterschiede liegen und wie man mit dieser Herausforderung ganz praktisch umgeht und in Spieltechnik umsetzt, daran arbeiten die Interpreten und Interpretinnen, bevor sie im Mai wieder auf den Komponisten treffen. Beim Gesprächskonzert am 28. Mai, bei dem Ferneyhough mit Lucas Fels und Stefan Fricke auf dem Podium sitzen wird, können erste Ergebnisse der Arbeit gehört werden. Die mehrdeutige Beziehung von Notation und Interpretation in der Praxis zeitgenössischer Musik rückt dann vom 8. bis 10. November im Rahmen eines internationalen Symposiums während der dritten Arbeitsinsel nochmal ganz konzentriert ins Zentrum. Interessierte Teilnehmerinnen und
Gemeinsam für das Mehr an Ausbildung in Musik, Theater und Tanz
Teilnehmer sowie Workshop-Gasthörer können sich gerne mit dem Institut für zeitgenössische Musik IzM in Verbindung setzen. Kontakt: karin.dietrich@hfmdk-frankfurt.de Arbeitsphase II: 23. bis 29. Mai 2019
Die Stiftung für die Hochschule für
Workshops mit Instrumentalisten
Musik und Darstellende Kunst Frankfurt
und Komponisten, Konzert und Podiums-
am Main fördert zwei Jahre nach ihrer
gespräch am 28. Mai
Gründung das erste Projekt: die Stiftungsgastprofessur Komposition.
Arbeitsphase III: 4. bis 11. November 2019 Workshops, Symposium Notation
Dafür danken wir unseren Gründungs-
vom 8. bis 10. November
und Zustiftern.
Ein Projekt des Instituts für zeitgenössische
Engagieren auch Sie sich als Stifterin
Musik IzM der Hochschule für Musik und
oder Stifter in der Stiftergemeinschaft
Darstellende Kunst Frankfurt am Main,
der HfMDK Frankfurt am Main!
gefördert von der Stiftung für die Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main Weitere Informationen: Fundraisingbüro der Hochschule Telefon 069 154007-137 www.hfmdk-foerdern.de
47
LANGER ATEM
Prof. Michael Schneider geht in den Ruhestand
Drei Weggefährten, drei Perspektiven: Der ehemalige Hochschulpräsident Thomas Rietschel erlebte Michael Schneider als seinen Vizepräsidenten. Martin Hublow studierte bei ihm und ist nun Lehrbeauftragter. Der Professorenkollege Karl Kaiser kennt Michael Schneider seit dessen Studienzeit. Sie schildern ihre Erfahrungen mit dem Professor für Blockflöte, der 36 Jahre an der HfMDK unterrichtete und die Abteilung für Historische Interpretationspraxis leitete.
48
Langer Atem, breiter Strom
Der Hochschulprofessor und Pädagoge
mehr ohne die Kenntnis von Avantgarde-
Frankfurt, 25 Jahre Barockmarathon, 20 Jahre
Thomas Rietschel Du warst mein erster
musik spielen kann, klingt zunächst paradox.
Barocknächte, 50-jährige Freundschaften, viele
Vizepräsident. Es war damals eine Bauchent-
Aber Du machst überzeugend vor, dass die
Jahre Herausgeber der „Tibia“, vieljährige
scheidung, die ich besser gar nicht hätte
Beherrschung der sehr speziellen Techniken
Mitgliedschaft in der Telemann-Gesellschaft
treffen können. Denn ich hatte in dir jeman-
zeitgenössischer Musik befähigt, auch Musik
Magdeburg und Frankfurt, Artikel, Vorträge,
den an meiner Seite, der sich stets für die
von Vivaldi und Händel ausdrucksvoll und
Editionen, Konzertreihen, mehr als 100 CDs
Hochschule engagiert hatte: als Dekan des
berührend zu spielen. Die Vereinigung von
und vieles mehr. Dein Leben fühlt sich an
Fachbereichs, als Mitglied von Berufungs-
Gegensätzen generiert Neues und Span-
wie ein breiter, souverän fließender Strom.
kommissionen, als Senatsmitglied und selbst-
nendes.
verständlich auch als ständiges Mitglied im
Der Mensch
Fachbereichsrat … Wenn man heute mit gutem
Der Künstler
Thomas Rietschel Du bist immer bereit Ver-
Recht sagen kann, dass die Abteilung für His-
Thomas Rietschel Äußerliche Effekthasche-
antwortung zu übernehmen und dabei einer
torische Interpretationspraxis in Frankfurt zu
rei war dir fremd, und du hast vorgelebt,
der produktivsten Menschen, die ich kenne.
einer der führenden Ausbildungsstätten für
dass ernsthafte wissenschaftliche Auseinan-
Dabei wirkst du immer eher ruhig und zurück-
Alte Musik zählt, dann ist das in ganz großen
dersetzung mit Musik ihr nichts von ihrer
haltend, bescheiden direkt – ich glaube, dass
Teilen dein Verdienst. Qualität und die har-
Lebendigkeit und Frische nimmt.
es das Wort „uneitel“ am ehesten trifft. So wie
monische Atmosphäre waren dir ungeheuer
Karl Kaiser Dein langer Atem ist ein zweiter
du in der Musik das äußere Blendwerk, den
wichtig. Dabei hast du stets eine glückliche
ganz besonderer Zug. Deine legendäre Atem-
nur effektvollen Auftritt ablehnst, so bist du
Hand bewiesen, und es ist dir gelungen, ein
führung als Flötist ist genauso umwerfend wie
auch persönlich: zurückhaltend, dich nicht in
wunderbares Team zusammenzustellen, das
deine brillante Technik und Ausdruckskraft.
den Mittelpunkt drängend.
mit viel Freude und Engagement sehr harmo-
Seit Jahrzenten führst du vor, wie der Atem
Martin Hublow Das ist überhaupt eine deiner
nisch zusammenarbeitet. Mit der HIP hat die
einen ungeheuren Bogen spannen kann.
herausragenden Eigenschaften: das besondere
HfMDK ein leuchtendes Aushängeschild,
Vertrauen, das du anderen entgegengebracht
und diese Leuchtschrift, die verdankt die
Der Macher
hast, egal, ob das Dozenten oder Studierende
Hochschule dir.
Thomas Rietschel Kein Projekt war dir zu
waren. Wer musikalisch eine eigenständige
Martin Hublow Fast alle Studierenden haben
groß: die Kooperation mit dem Rheingau
Initiative entwickelte und etwas aufbaute,
nach der Zeit bei dir ganz anders gespielt als
Musikfestival, die leicht größenwahnsinnigen
bekam von dir auf der einen Seite Unabhän-
vorher, haben also eine große Entwicklung
Opernproduktionen im Kloster Eberbach,
gigkeit und Freiraum, auf der anderen Seite
gemacht. Das lag an einer Sache, die deinen
die Weiterentwicklung der Barocknächte
jede erdenkliche Unterstützung, die man
Unterricht besonders ausgezeichnet und un-
in Weilburg, Kronberg usw.
sich nur vorstellen kann.
endlich wertvoll gemacht hat: Du hast uns
Karl Kaiser Ich bewundere deine ungewöhn-
technisch zwar sehr genau im Auge behalten,
liche Fähigkeit, Gegensätze kreativ zu bündeln
Der Ruheständler
aber stilistisch, also unsere persönlichen Spiel-
und daraus etwas ganz Neues entstehen zu
Karl Kaiser Dein neues Cembalo steht kurz
weisen, nie in Frage gestellt oder aktiv korri-
lassen. Das fing schon mit dem Studium an.
vor der Lieferung, das „Wohltemperierte
giert. Den Weg der spielerischen „Reifung“
Nach dem Abi hast du Architektur, Querflöte
Clavier“ hast du schon zweimal durch, fast
hast du uns stattdessen selbst finden lassen,
und Cello studiert. Aber dann kam im ARD-
alle Scarlatti-Sonaten ebenfalls. Du beschäf-
indem du es geschafft hast, dass wir die Spra-
Wettbewerb erstmalig die Ausschreibung für
tigst dich intensiv mit Partimentospiel. In den
che jedes Stücks, das wir gespielt haben,
Blockflöte. Du hattest immer ambitioniert
Bibliotheken schlummern unzählige Stücke,
wirklich von Grund auf verstehen und uns
auch Blockflöte gespielt und studiert. Jetzt
die du aufführen kannst. Im Mai machst du
dann in dieser Sprache auch ausdrücken
aber ein Jahr geübt wie verrückt, und der
bei den Schwetzinger Festspielen eine unbe-
können.
Preis war in der Tasche ... Die ausgeprägte
kannte Oper von Beck. Auf dein Telemann-
Karl Kaiser Du förderst die Studierenden in
Fähigkeit des langen Atems hast du aufs
Buch warten wir gespannt. Da wird noch
ihren noch so entfernten Präferenzen. Deine
Leben übertragen: 40 Jahre Hochschullehrer,
einiges kommen!
These, dass man heute Barockmusik nicht
40 Jahre Camerata Köln, 31 Jahre La Stagione
49
Foto: Helge Krückeberg
Frankfurt in Takt 19/1 – Aus der Hochschule
SUCHE NACH KLANGLICHEN UTOPIEN Florian Hölscher ist neuer Professor für Klavier Seit dem Wintersemester 2018/2019 ist
Was ist Ihre Motivation zum Musizieren?
Was hatte die Suche nach dem „Gegen-
Florian Hölscher Professor für Klavier an
Prof. Florian Hölscher Als ich, in einem kul-
gift“ ausgelöst?
der HfMDK. Der gebürtige Würzburger,
turwissenschaftlichen Umfeld aufgewachsen,
Hölscher Das Wissen um die Möglichkeiten
Jahrgang 1970, ist mit Repertoire aus vier
ein nicht-universitäres Studium aufnahm
der Kunst: Sie kann Utopien entwerfen,
Jahrhunderten auf der Bühne und widmet
und als Pianist auf die Bühne ging, fühlte
„Sinn“ auf allen erdenklichen Ebenen su-
sich mit Leidenschaft der Uraufführung
ich mich fast ein wenig rebellisch. Die Kunst
chen, Bedingungen des Menschseins aus-
neuer Werke: Er pflegt eine intensive Zusam-
wollte ich als existenzielle Notwendigkeit,
loten, Fortschritt auf eigene Weise deuten,
menarbeit mit Komponisten wie Marco
als gesellschaftlich relevantes „Gegengift“
Ernstes spielerisch ansehen, sich an Un-
Stroppa und Alberto Posadas. Hölscher stu-
ansehen. Erst nach und nach habe ich ver-
aussprechlichem versuchen, vermeintlich
dierte bei Robert Levin, Michel Béroff und
standen, dass das eine recht sanfte Rebellion
Bekanntes neu anschauen, ungeahnte Erkennt-
Pierre-Laurent Aimard in Freiburg, Paris
war. Und wenn ich nun an einer Hochschule
nisse ermöglichen, Dialoge über die Jahr-
und Köln. Entscheidende Impulse erhielt er
unterrichte, sehe ich die vermeintlichen Gegen-
hunderte führen. Und sie kann unerklär-
durch den Dirigenten Peter Eötvös. Seit 2008
pole künstlerischen Denkens und Handelns
liche Wunder erzeugen. Unsere Welt braucht
lehrte er als Professor für Klavier- und
eher als sich ergänzende Komponenten.
die Kunst nötiger, als es vielen bewusst ist.
Kammermusik an der Hochschule Luzern.
Ich liebe es, über klangliche Utopien nachzudenken. Aber auch die Umsetzung ist für
50
Spitzenförderung auf breiter Basis
mich zentraler Gegenstand des Suchens und Forschens. Daher bin ich glücklich, an einer Hochschule unterrichten zu dürfen, die das gemeinschaftliche Lehren und
SPITZENFÖRDERUNG AUF BREITER BASIS
Lernen in den Mittelpunkt stellt. Inwiefern erleben Sie die Beschäftigung mit Musik als forschende Tätigkeit? Hölscher Wenn wir Werke einstudieren, reisen wir in unterschiedliche historische, gesellschaftliche und ästhetische Situationen. Wir begegnen komponierenden Persönlichkeiten mit ihren Leidenschaften,
Mit der „Young Academy der HfMDK Frankfurt“ bietet die Hochschule Jungstudierenden ab dem kommenden Wintersemester ein noch breiteres musikalisches Fundament. Neben dem Unterricht im Hauptfach sollen sie mit Kursen und Zusatzangeboten ihren künstlerischen Horizont schon im Vorstudium erweitern.
Neurosen, Temperamenten, Sorgen, Visionen. Um dem gerecht zu werden, wenden
„Wir wollen keine ‚Zirkuspferdchen‘ heran-
Beherrschung des Instruments hinaus zu
wir unterschiedlichste Werkzeuge an:
ziehen, die lediglich ihre Kunststücke am
entwickeln: Der Besuch einer impressionis-
Neben der Intuition, der Analyse und der
Instrument beherrschen, sondern Künstler-
tischen Gemäldeausstellung als Pendant zum
Bildung kann das auch Forschung sein, mit
persönlichkeiten fördern, die nachhaltig in
eigenen Debussy-Programm – so entstehen
der wir uns insbesondere vergangene Welten
und mit der Musik tief verwurzelt sind.“
interdisziplinäre Verständnisbrücken. „Sie
wieder erschließen. Wenn wir eine Tanzsuite
So umschreibt die HfMDK-Violinprofesso-
sollen künstlerisch einen langen Atem ent-
von Bach spielen, müssen wir zunächst eine
rin Susanne Stoodt das Ziel der „Young
wickeln, um sich in der Musikszene dauer-
Fremdsprache erlernen. Ohne Forscher-Geist
Academy“, für deren Einrichtung sie sich
haft überzeugend zu behaupten“, erklärt
und Forscher-Spaß geht das nicht. Ich habe
engagiert hat und als deren künstlerische
Susanne Stoodt, die viele Jungstudierende
selbst gute Erfahrungen damit gemacht, im
Leiterin sie fortan verantwortlich ist. Mit
betreut hat und deren „Hunger“ auf neues
Tandem mit Forschenden zu arbeiten. So
diesem Zertifikatsstudium gießt die Hoch-
Wissen kennt: „Hochbegabte junge Menschen
kann ich die Werke studieren und die Bücher
schule das schon seit vielen Jahren beste-
sind eben sehr aufnahmefähig. Sie sind
lesen, die mich interessieren, ohne all die
hende Angebot eines Jungstudiums für
begierig danach, ihr Verständnis auf vielen
anderen studieren zu müssen, die man im
musikalisch exzellente Schülerinnen und
Ebenen zu erweitern.“
wissenschaftlichen Diskurs mit bedenken
Schüler im Alter zwischen 14 und 18 Jahren
muss.
in eine erweiterte Struktur: Musiktheorie
Koordinatorin der „Young Academy“ ist
und Gehörbildung sind für eingeschriebene
Isabel von Bernstorff, selbst erfolgreiche
Was reizt Sie an Neuer Musik besonders?
Jungstudierende verpflichtende Fächer. Die
Pianistin mit Schwerpunkt Kammermusik
Hölscher Man erlebt bei der Zusammen-
Bach-Suite, die sie gerade musizieren, auch
und Korrepetition sowie Erfahrung in
arbeit mit den besten Komponistinnen und
formal zu verstehen, gar harmonisch zu
Organisationsprozessen. Ihre eigene Bio-
Komponisten „Zeitgenossenschaft“ auf eine
durchdringen – dies macht beispielsweise
grafie hat sie für die Bedürfnisse junger
besonders intensive und differenzierte Weise:
den Mehrwert der „Young Academy“ aus.
Künstler sensibilisert: „Für uns ist es wichtig,
Diese Leute reagieren auf aktuellste Fragen
Mehr noch: Das Studium möchte die jungen
mit den Jungstudierenden stets im Aus-
und formulieren möglicherweise zeitgemäße
Talente miteinander in Kontakt bringen,
tausch zu bleiben, damit wir im Blick behal-
Hoffnungen. Wenn man mit ihnen diskutiert
deren Interaktion fördern, ihnen neue Auf-
ten, welche Fragen sie wirklich beschäftigen.“
und sucht, kann man eine Ahnung davon
tritts- und Vernetzungsmöglichkeiten bieten.
bekommen, wie es gewesen sein muss, mit
Kammermusik und Neue Musik, Workshops
Bach oder Beethoven oder Schumann zu
und auch Exkursionen sollen Gelegenheiten
arbeiten.
sein, den künstlerischen Horizont über die
Interview: Björn Hadem
51
TENOR AUF UMWEGEN Verschlungene Lebensläufe unserer Alumni Folge 10: Sebastian Kohlhepp Von Björn Hadem
Einen „Spätberufenen“ nennt er sich, wenn er von seiner Sängerlaufbahn spricht. Er ist 37, wohnt in Bonn, hat mit Sängerin Charlotte Quadt, ebenfalls Alumna der HfMDK, den dreijährigen Sohn Justus – und einen stramm durchgeplanten Terminkalender. Darunter nur zwei Opernproduktionen in 2019: als „David“ in Wagners Meistersinger unter Christian Thielemann bei den Osterfestspielen in Salzburg, als „Ferrando“ in Mozarts Cosi fan tutte in der Dutch National Opera in Amsterdam. Da inszeniert sein „alter“ Intendant der Staatsoper Stuttgart, wo er zwei Jahre im Solistenensemble arbeitete. Sebastian Kohlhepp hätte länger in Stuttgart bleiben können, ebenso am Badischen Staatstheater Karlsruhe und an der Wiener Staatsoper. Doch im Sommer 2017 spürte der lyrische Tenor, dass er eine „gute Ausgangsposition“ erreicht hatte, „um mich fortan freischaffend durch die Welt zu kämpfen“. Ein überschaubares Jahrespensum an Opernproduktionen stemmt er – „sonst wäre ich so lang von zu Hause weg“ –, dazu viel Konzert und Oratorium. Der gebürtige Limburger kann sich aussuchen, welche Engagements er annimmt: Ihm stärken nicht nur zwei gut miteinander kooperierende Künstleragenturen den Rücken,
52
Foto: Julia Wesley
sondern auch ein internationaler Ruf als deutscher lyrischer Tenor.
Tenor auf Umwegen
„Bei uns durftest du noch richtig Kind sein“,
Leute trauten mir viel zu – und zwar mehr,
er dort mit berühmten Kollegen und Diri-
erinnert sich Sebastian Kohlhepp an seine
als ich es selbst getan hätte.“ Während einige
genten zusammen, hätte auch hier verlängern
Schulzeit bei den Limburger Domsing-
Mitstudierende an ihrer Hochschulkarriere
können. Er fühlte sich aber zugleich wie ein
knaben. Das Fundament seiner Leidenschaft
arbeiteten – daran, in hauseigenen Produk-
kleines Rädchen im großen Getriebe, zog
für vornehmlich geistliche Chormusik
tionen wichtige Rollen zu ergattern –, knüpfte
daher einen weiteren Wechsel vor und unter-
war damit gelegt, doch dabei blieb es nicht:
Kohlhepp außerhalb der Hochschulmauern
schrieb einen Zwei-Jahres-Vertrag an der
Der „Dritte Knabe“ in der Zauberflöte in
Kontakte, sammelte Erfahrung auf anderen
Oper Stuttgart, der bis Sommer 2017 andau-
Koblenz hieß im Jahr 1994 Sebastian Kohl-
Bühnen. „Für gute Noten im Studium kannst
erte. Seitdem ist er freischaffend – und frei
hepp, der der Chormusik auch nach dem
du dir später nichts kaufen“, wusste er schon
dafür zu entdecken, was er selbst noch
Abitur treu blieb, indem er mit der „Came-
damals. Dass er sein Gesangsdiplom nicht
entdecken möchte: große Partien, vielleicht
rata Musica Limburg“ den preisgekrönten
zu Ende brachte, hat bisher niemanden inte-
auch solche, in die seine Stimme erst noch
Ehemaligen-Chor der Domsingknaben mit
ressiert. „Ich habe immer nur das gemacht,
hineinwächst. Und das Lied? „Vor dem habe
ins Leben rief.
was mich von Herzen überzeugt hat.“ Mit dem
ich allerhöchsten Respekt, es ist für mich die
Studium an der HfMDK verbindet Sebastian
Krone der Gesangskunst.“ Kommt vielleicht
Sein Zivildienst bei der Lebenshilfe Limburg
Kohlhepp Erinnerungen an eine „sehr sym-
noch. Jetzt bleibt weiterhin Zeit für Passio-
bescherte ihm im Umgang mit geistig behin-
pathische, kleine und familiäre Gesangsabtei-
nen, Oratorien und Messen von Komponisten
derten Menschen „eines der schönsten
lung“, die ihn nie in eine Richtung drängen
wie Bach, Beethoven, Mendelssohn. Und für
Jahre, die ich bislang erlebt habe, weil mich
wollte, viele Optionen offen ließ. Dass Hed-
Justus und Charlotte – bei ihnen hat er als
diese Herausforderung so geerdet hat.“
wig Fassbender ihn spontan für Vorsingen
Familienvater ein Engagement auf Lebens-
Dermaßen, dass er sich für ein Sozialpäda-
an den Opernhäusern Dortmund und Karls-
zeit.
gogikstudium einschrieb. Erst beim Vor-
ruhe anmeldete, offenbarte sich als geschick-
diplom holte ihn der Gedanke ein, Musik
ter Schachzug, den jungen Tenor von seinen
Was bisher gut lief? „Klar, eine Portion Glück
zu seinem Beruf zu machen – er startete
eigenen Talenten zu überzeugen: Beide
ist immer dabei“, weiß er. Er setzt weiter auf
ein Studium der Musik für das Lehramt an
Häuser boten ihm Engagements an, Karls-
musikalisches Wachstum statt äußere Karrie-
Real- und Hauptschulen an der HfMDK mit
ruhe erhielt den Zuschlag. „Unglaublich
reschritte, hofft, dass sich langfristig Qualität
Hauptfach Gesang bei Johannes Kalpers.
schöne zwei Jahre“ erlebte er am Badischen
durchsetzt und nicht das Anbiedern im
Als ihn Stephan Schreckenberger, heute
Staatstheater als festes Ensemblemitglied,
Klassik-Karussell. Und: „Bei aller Wichtig-
Intendant der Weilburger Schlosskonzerte,
empfand die Szenearbeit als große Hilfe,
keit eines Studiums gilt es nie aus dem Auge
für eine solistisch besetzte Johannespassion
„die Stimme in meinem Körper zu veran-
zu verlieren, dass unser Berufsfeld ein prak-
in sein Ensemble einlud, ermutigten ihn Kom-
kern und Seiten an mir selbst zu entdecken,
tisches ist. Je früher ich dort einsteigen kann,
militonen und Professoren anschließend:
die ich noch gar nicht kannte“. Aber er spürte
desto besser. Learning by doing ist durch nichts
„Sind Sie denn wahnsinnig – was wollen Sie
auch die Gefahr, es sich in einem Festenga-
zu ersetzen.“ Sich selbst treu zu bleiben eben-
in der Schule, Sie müssen Sänger werden!“
gement dauerhaft bequem einzurichten:
so. Sebastian Kohlhepp bleibt neugierig – in
Die Aufnahmeprüfung zum Diplomstudium
„Wenn ich Erfahrungen verschiedenster Art
jedem Fall auf das, was er an sich selbst noch
Gesang war erfolgreich, die Zusammenarbeit
sammeln möchte, sollte ich jetzt weiterzie-
nicht entdeckt hat.
mit Prof. Hedwig Fassbender begann. „Ex-
hen.“ Während eines Gastspiels am Theater
trem gut an ihr fand ich die Kombination
an der Wien ließ er sich auf ein Vorsingen
von theoretischem Wissen und praktischer
an der Wiener Staatsoper ein. Die Folgen
Erfahrung“, resümiert er das, was ihm die
waren unausweichlich, ein Engagement ihm
aktive Opernsängerin geben konnte. Vor
dort sicher. 21 Partien bereitete er in Wien
allem sah sie in ihm mehr als er selbst: „Sie
für eine Saison vor, gerade einmal sechs
und auch ihr Mann, der als Opernagent ar-
davon durfte er auf der Bühne singen, die
beitete, stießen mich in die Opernwelt hinein.“
anderen in „Cover-Reserve“, falls einer der
Überhaupt sagt er heute dankbar: „Viele
großen Tenöre einmal ausfällt. Klar arbeitete
53
Frankfurt in Takt 19/1 – Aus der Hochschule
ERFOLGE UNSERER STUDIERENDEN EINE AUSWAHL
den 1. Preis „with high distinction“ in der Kategorie VIRTUOSO (20–26 Jahre) gewonnen. ● Solenn Grand, Harfe (Klasse Prof. Françoise Friedrich) gewann das Probespiel für die Stelle der 2. Harfenistin an der State Opera Prague. ● Das Klavierstück „Heim-
Pauline Hoffmann, Violine (Jungstudentin
Weg“ von Dayoung Park wurde beim 4.
Klasse Prof. Ulrich Edelmann), ist Preisträge-
Mauricio Kagel Kompositionswettbewerb als
rin der Deutschen Stiftung Musikleben beim
eines von 15 Werken aus 151 Einsendungen
27. Wettbewerb des Deutschen Musikinstru-
für die Finalrunde ausgewählt. Dayoung
mentenfonds. Sie wurde mit einer Meister-
Park studiert Komposition bei Prof. Orm
violine von Philipp Augustin, Staufen 2018,
Finnendahl und Prof. Michael Reudenbach.
ausgezeichnet. ● Sandro Hirsch, Trompete
● Malte Neidhardt, Posaune (Klasse Prof.
(Klasse Prof. Klaus Schuhwerk), hat den
Oliver Siefert), hat das Probespiel für die
Yamaha Stipendien-Wettbewerb 2018/19
Stelle einer Soloposaune im Orchester des
der Yamaha Music Foundation of Europe im
Theater Freiburg gewonnen. Seit 2017 ist er
Fach Trompete gewonnen. ● Sara Esturillo,
Akademist beim hr Sinfonieorchester. ●
Harfe (Klasse Prof. Françoise Friedrich), hat
Julie Sekinger, Sopran (Klasse Prof. Ursula
beim Vienna International Music Competition
Targler-Sell), wurde bei der Vienna International Music Competition mit einer Silver Medal in der Kategorie Virtuoso (Altersgruppe 20–26 Jahre) ausgezeichnet. ● Julian Fahrner, Violine (Klassen Prof. Sophia Jaffé und Prof. Angelika Merkle), ist bis Ende dieser Spielzeit als Erster Konzertmeister im
54
Erfolge unserer Studierenden ausgezeichnet worden. ● Eva Schomerus,
(Violoncello), wurde bei der „Karol Szyma-
Harfe (Klasse Prof. Françoise Friedrich), hat
nowski International Music Competition“
beim „Concours des Juniors“ der „Les Amis
mit dem ersten Preis und dem Sonderpreis
de la harpe“ in Nizza in ihrer Kategorie
für die beste Interpretation eines Werkes
(Niveau 10) den 1. Preis erzielt. ● Das Frank-
von Szymanowski ausgezeichnet. Das Eliot
furter Klavierduo „two4piano“ mit Katerina
Quartett studiert an der HfMDK im Master
Moskaleva (Klavierkammermusik Klasse
Streicherkammermusik bei Prof. Tim Vogler
Prof. Angelika Merkle) und Alexey Pudinov
sowie an der Escuela Superior de Musica
(Alumnus) hat bei seinem Kanada-Debüt
Madrid in der Klasse von Prof. Günther
den ersten Preis beim Wettbewerb North
Pichler. ● Thorsten Grasmück, Orgel (Jung-
West International Piano Ensemble Compe-
student Klasse Prof. Stefan Viegelahn), ge-
tition in Vancouver gewonnen. ● Julian
wann beim Wettbewerb WESPE einen der
Habermann, Gesang (Klasse Prof. Thilo
beiden Sonderpreise für Orgelimprovisation.
Dahlmann), hat beim 47. Bundeswettbewerb
● Das aus Frankfurt stammende Quartett für
Gesang den Preis der Stiftung Rosenbaum
barocke Musik 4Times Baroque erhielt im
für die besonders überzeugende Darbietung
Konzerthaus Berlin den „Opus Klassik“, den
einer Arie aus der Zeit vom Barock bis zur
Nachfolger des Echo-Preises, in der Katego-
Wiener Klassik in Höhe von 2.500 Euro
rie „Nachwuchskünstler des Jahres“. Drei
gewonnen. ● Junsun Park, Komposition
von vier Ensemblemitgliedern haben an der
(Klassen Prof. Orm Finnendahl und Prof.
HfMDK studiert: Jan Nigges Blockflöte
Michael Reudenbach), erhielt beim „3rd
bei Prof. Michael Schneider, Jonas Zschen-
Staatstheater Darmstadt engagiert. Außer-
International Younghi Pagh-Paan Compositi-
derlein Violine bei Prof. Susanne Stoodt,
dem konnte er die Leihfrist für eine Violine
on Prize“ den ersten Preis in Höhe von 4.000
Alexander von Heißen Cembalo bei Prof.
von Ferdinando Gagliano bei der Landes-
Euro. Er ist zugleich mit einer Aufführung
Eva-Maria Pollerus, Hammerklavier bei
sammlung Streichinstrumente Baden-Würt-
seines Stücks „it tags all“ im Kammermusik-
Jesper Christensen sowie Jazz-Piano bei Prof.
temberg für ein weiteres Jahr verlängern. ●
saal der Berliner Philharmonie verbunden. ●
Christoph Spendel. Der Cellist Karl Simko
Miho Kawai, Viola (Klasse Ingrid Zur), hat
Salomé Harth, Oboe (Klasse Prof. Fabian
studiert bei Peter Wolf an der Akademie
einen Zeitvertrag beim Frankfurter Opern-
Menzel), erhielt beim „Wettbewerb Oboe
für Tonkunst in Darmstadt. ● Der Kammer-
und Museumsorchester bekommen. ●
2018“ der Reinhard-Lüttmann-Stiftung den
musikpreis 2018 der Polytechnischen Gesell-
Xiaoti Guo, Viola (Klasse Ingrid Zur), ist
ersten Preis. ● Maren Schwier, Sopran
schaft e.V. ging an das Duo Tobias Reifland
Akademist beim Konzerthaus Orchester in
(Master 2017 Klasse Prof. Ursula Targler-
(Viola, München, Klasse Prof. Roland Glassl)
Berlin. ● Yun Jeong Jung, Klavier (Klasse
Sell), wurde in der aktuellen Kritikerumfrage
und Eunjoo Kang (Klavierkammermusik,
Prof. Alexej Gorlatch), hat den 2. Preis beim
der Fachzeitschrift „Opernwelt“ für ihre
Klasse Prof. Angelika Merkle) sowie an
Wettbewerb „ACCK Jeju Olomouc Internatio-
Interpretation der Aphrodite in der Urauf-
das Malion Quartett mit Sophia Stiehler
nal Competition“ in Südkorea gewonnen. ●
führung des Stückes Argo bei den Schwet-
(Violine 1), Jelena Gali (Violine 2), Ulla
Dino Niethammer aus dem 2. Jahrgang
zinger Festspielen in der Kategorie „Nach-
Knuutila (Viola) und Bettina Kessler (Vio-
Schauspiel ist im Wettbewerb um den
wuchskünstlerin des Jahres“ nominiert. ●
loncello). Alle vier sind Studierende der
Jugendfilmpreis mit dem Preis für die beste
Josy Santos, Mezzosopran (Master 2016
HfMDK aus der Streicherkammermusik-
schauspielerische Leistung für seine Rolle
Klasse Prof. Ursula Targler-Sell), gewann beim
Klasse von Prof. Tim Vogler. Damit hat sich
in dem Film Zavala von Timo Zacharias
„OPERALIA-Wettbewerb“, der unter der
das Duo ebenso wie das Malion Quartett
Schirmherrschaft von Plácido Domingo statt-
den 1. Preis erspielt.
Das Malion Quartett
fand, den „Premio CulturArte“ mit einem Preisgeld in Höhe von 10.000 Dollar. ● Das Eliot Quartett, bestehend aus Maryana Osipova (Violine), Alexander Sachs (Violine), Dmitry Hahalin (Viola) und Michael Preuß
55
Louisa Woodfull-Harris im Unterricht bei Prof. Sophia Jaffé
Impressum Frankfurt in Takt – Magazin der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main Eschersheimer Landstraße 29–39 | 60322 Frankfurt am Main
Musikhaus Werner Cleve
www.hfmdk-frankfurt.de Herausgeber Prof. Elmar Fulda, Präsident der HfMDK Frankfurt am Main Redaktion Björn Hadem Redaktionsbeirat Dr. Sylvia Dennerle, Björn Hadem, Anatol Riemer, Prof. Dr. Dagmar Borrmann, Prof. Eike Wernhard Autoren Prof. Dr. Norbert Abels, Prof. Sibylle Cada, Prof. Vassilis Christopoulos, Prof. Ingo Diehl, Prof. Elmar Fulda, Björn Hadem, Sandro Hirsch, Martin Hublow, Prof. Karl Kaiser, Lorna Lüers, Prof. Henriette Meyer-Ravenstein, Prof. Henrik Rabien,
Große Auswahl an Noten und Musikbüchern Reichhaltiges Sortiment an Blockflöten Musikinstrumente und Zubehör Auf Wunsch Versand
Thomas Rietschel, Prof. Thomas Schmidt, Prof. Michael Schneider, Prof. Dr. Maria Spychiger, Prof. Dr. Esa Tapani, Prof. Tim Vogler, Georg Weinand Fotos Björn Hadem, Helge Krückeberg, Hansjörg Rindsberg, Julia Wesely Titelfoto Hansjörg Rindsberg, Szene aus Richard Wagners „Rheingold“ Layout Opak Werbeagentur GmbH | www.opak-werbung.de Anzeigen Björn Hadem (es gilt die Preisliste 2011) Erscheinungsweise zu Beginn des Semesters Druck Druck- und Verlagshaus Zarbock GmbH & Co. KG
56
Walter-Kolb-Straße 14 (Ecke Schulstraße) 60594 Frankfurt am Main Telefon 069 612298 Telefax 069 627405 E-Mail musikhaus-cleve@gmx.de www.musikhaus-cleve.de
THE FAMILY OF STEINWAY-DESIGNED PIANOS
Jeder Mensch hat persönliche Bedürfnisse, die nicht nur Anerkennung, sondern vor allem Erfüllung suchen. Genau das schafft „t h e fa m i ly of s t e i n way-desig n e d pi a nos “. Ob Instrumente von Steinway & Sons, Boston oder Essex – hier findet jedes Talent das passende Instrument. e u.s t e i n way.com
boc k e n h e i m e r l a n ds t r a sse 47 · 6 032 5 f r a n k f u r t a m m a i n t e l : 0 69 / 9 7 0 9 79 87- 0 · be r a t u ng@s t e i n way-f r a n k f u r t. de w w w.s t e i n way-f r a n k f u r t. de
Flügel für Meisterklassen Das perfekte Instrument für Hochschulen und Konservatorien
Inspiration has a new sound. Durch die gemeinsame Entwicklung mit führenden Professoren in Europa, Russland und den USA sind die Flügel der Yamaha SX Serie die perfekten Instrumente für Konservatorien und Lehreinrichtungen. Dank ihres warmen Tones, ihrem reichen tonalen Spektrum, ihrer direkten Ansprache sowie der legendären Yamaha Stimmstabilität eignen sich alle vier Modelle für ein vielfältiges Repertoire. Lehrer und Studenten werden diese neue Meisterklasse des Klavierbaus gleichermaßen genießen. Entdecken Sie die Yamaha SX Serie bei Ihrem Yamaha Fachhändler oder unter www.yamaha.de