postprison - a world beyond the prison system

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postprison welcome to 2044 A l i n a L a u ra S t o e r z i n g e r



postprison welcome to 2044 A w o r l d b e yo n d t h e p r i s o n s y s t e m .

Masterarbeit M. A. Architektur

Lehrstuhl Urban Design Prof. Benedict Boucsein Dr. Daniel Zwangsleitner

A l i n a L a u ra S t o e r z i n g e r


welco

20


om e t o

44


w w w. p o s t p r i s o n .w o r l d


introduction prologue 2044

8 10

postprison manifesto

14

fundamentals & methods

16

new normal

34

decarceration demolition transformation safeguarding mediation intervention compensation decentralised social rehabilitation centralised social rehabilitation

prison history

57

incarceration

82

former functions impact

86

abolitionism

102

context

112

panoptism quarantining

116

92

113

about epilogue process references figures

122 124 130 136



introduction

9


prologue


introduction

Ich erinnere mich noch an die Zeit von vor über 20 Jahren, als wir noch Menschen durch Strafen versucht haben zum „richtigen“ Verhalten erziehen zu wollen. Wie bestürzt ich war, zu erfahren, welche Maßnahmen wir für gerechtfertigt hielten, um Menschen wie du und ich durch unsere erlernten und anerzogenen Kenntnisse zum besseren Leben anleiten zu wollen. Wie anmaßend wir waren, und welche Möglichkeiten sich eröffneten, als wir erkannten, dass nur die Menschlichkeit das ganze Potential positiver Entwicklung hervorbringen kann. Respekt ist die grundsätzliche Voraussetzung für den Umgang miteinander und schafft alleinig die Grundlage für ein menschliches Miteinander. Sie muss für jeden – auch für die fehlenden Menschen unter uns – gelten. Fehler können jedem passieren, es ist aus heutiger Sicht wichtig zu wissen, dass Fehler zu neuen Erkenntnissen führen, die für den Einzelnen und für die Gesellschaft einen Fortschritt bedeuten können. Ihnen wohnt ein großes Potential inne. Ich bin froh, dass wir diese Erkenntnis gewinnen konnten und sie in einem positiven Sinne weiter entwickeln durften. Ich habe während meiner Berufspraxis viele Veränderungsprojekte begleitet. Ich weiß, dass Veränderungen immer schmerzen und anstrengend sind, aber letztendlich zu einer Weiterentwicklung führen.

Daniela Stern, Beraterin und Changemanagerin 11


2044


introduction

Anfang der 2020er Jahre fand ein Paradigmenwechsel statt, der in die Ära des Postprison führte. Das Gefängnissystem und seine Strukturen stellte eine Hürde zur Überwindung vieler Probleme unserer Gesellschaft dar. Auch mithilfe von Medien und Politik war ein Umschwung der Gesellschaft möglich: Sie überwanden den Drang, das Bild des Gefängnisses als Sicherheitsgarant und als Verwahrung des Bösen zu unterfüttern. Das Gefängnissystem stellte einen Knotenpunkt unserer relevantesten strukturellen Gesellschaftsprobleme wie Rassismus, Diskriminierung, Klassenkampf, Gewalt und Hierarchie dar. In einer Gesellschaft, die nach Gerechtigkeit, Gleichberechtigung und Freiheit strebt, ist kein Platz für ein solches System. Seitdem ist viel passiert. Heute im Jahr 2044, lassen sich viele Erfolge auf dem Weg in eine bessere Zukunft aufzeigen. Obwohl viele Kämpfe mit Themen unserer Gesellschaft noch nicht ausgefochten sind, ist der Grundstein für eine Welt der Gleichberechtigung und Menschlichkeit, besonders im Umgang mit Kriminalität, getan. Strukturen in der Gesellschaft wurden hinterfragt und durch Umschwünge im Kern positiv beeinflusst oder gar neu konstruiert: Gefängnisse existieren nicht mehr. Das Konzept der Strafe ist verschwunden. Man musste feststellen, dass mit Vergeltung niemals ein besseres Ganzes erreicht werden kann. So konnte das Gefängnis, das aus dem Prinzip des Strafens entstanden ist, nicht als gesellschaftliches Konstrukt fortgeführt werden.

13


postp


prison


m a n i fe s t o


postprison

1.

2.

3. 4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

Räume für Folter, Hinrichtung, Isolation oder ähnliche inhumane Behandlung dürfen nicht mehr errichtet werden. Die Auslöser für Kriminalität sind strukturelle und soziale Ungleichheiten. Es ist die Aufgabe der gesamten Gesellschaft, diese aufzulösen. Jede Person ist vor dem Recht gleich. Strafe ist aus dem Umgang mit Kriminalität verschwunden und somit auch das Gefängnis. Das Strafsystem wird durch das Reaktionssystem ersetzt. Prävention ist die wichtigste Maßnahme im Umgang mit Kriminalität. Die Resozialisierung folgt als präventive Maßnahme. Das Ziel der Reaktion auf Fehlverhalten muss immer sein, für alle Beteiligten eine bessere Situation als die Ausgangslage zu ermöglichen. Es soll kein zusätzliches Leid entstehen. Die grundlegende Komplexität, die zur kriminellen Tat geführt hat, muss festgestellt und zum Vorbeugen eines erneuten Vorfalls aufgearbeitet werden. Der/die Täter:in muss Verantwortung für seine/ihre Handlungen übernehmen. Dieser Vorgang muss von der Gesellschaft gestützt werden. Im Rahmen des Reaktionssystems müssen Selbstbestimmung, Autonomie und die Entfaltung der Individualität zugelassen, geschult und gefördert werden. Der Entzug der Freiheit kann nur begründet werden, wenn ansonsten eine akute Gefahr für die Allgemeinheit besteht.

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fundamentals & methods


postprison

Dem sich seit den 2020er Jahren entwickelten Paradigmenwechsel bezüglich der Reaktion auf Delinquenz ging die Dementierung alter und die Festsetzung neuer Werte voraus. Das vorangegangene Konzept war von der Gesellschaft aus dem Grund akzeptiert, da sich der Großteil davon abwenden konnte. Erst durch die Aufmerksamkeit gegenüber der bestehenden Diskriminierung von Teilen der Gesellschaft entstand eine breite Zustimmung für die Dekonstruktion des Gefängnisses. Der Entschluss, sich von Strafe zu lösen und sich zur Resozialisierung zu entwickeln, war aber dennoch in einer solch kurzen Zeit überraschend. Um zu einer humanen und nachhaltigen Reaktion auf Kriminalität zu kommen, musste ein Umdenken der Gesellschaft stattfinden. Anstatt Vergeltung als eigennütziges, altmodisches Ventil hieß es, einen Weg zu finden, der sich positiv auf die Lebensqualität aller auswirkt und dennoch Konsequenzen gegenüber Delinquenten für Fehltritte fordert. Es musste sichergestellt werden, dass mit der Umsetzung der Freiheitsstrafe kein zusätzliches, vergebliches Leid verursacht wird. Die neue Antwort auf kriminelles Handeln muss zum Ziel haben, das Leid der Regelbrechenden auf ein Minimum zu reduzieren, sodass die einzige Strafe die des Entzugs der körperlichen Freiheit zum Schutz der Allgemeinheit ist. Unabhängig von der Straftat muss die Würde des Menschen respektiert und auf soziale Reintegration abgezielt werden. Das Ziel einer humanen Reaktion auf Kriminalität ist also nur erreichbar, wenn der Blick von Strafe hin zu einer rationalen, weitsichtigen und kompensierenden Art des Umgangs mit Delinquenz verlagert wird. 19


Allem voran ging die Festlegung moralisch-ethischer Werte und die Definition der Methoden zu deren Umsetzung. Es entwickelte sich die Einsicht, dass nur durch das Absehen von Strafe langfristig ein menschenwürdiger und auf lange Sicht effektiver Umgang mit Kriminalität möglich sein wird. Die Bestrafung als Reaktion auf Delinquenz ging auf das „blutrünstige Grundverständnis“1 der letzten Jahrtausende zurück. Das menschengemachte Bedürfnis nach Vergeltung führte zu der Annahme, dass es keine Alternativen im Umgang mit Regelbruch geben könne. Das Konstrukt setzte sich aus der Vergeltung, der Abschreckung und den frühen Zügen der Resozialisierung2 zusammen. Die Resozialisierung diente als Legitimierung, dass das Gefängnis doch so lange Bestand hatte und von der Gesellschaft akzeptiert wurde. Obwohl Vergeltung und Rache bereits weit vorher als primitiv und nicht zielführend galten, so fanden sie in der zivilisierten Gesellschaft des 20. und 21. Jahrhunderts im Strafvollzug noch immer unter der Rechtfertigung statt, dass sie notwendig war, um den/ die Täter:in zu resozialisieren und von zukünftigen Taten abzuschrecken. Mittlerweile wird vom Zufügen weiteren Leids auf ein ohnehin negatives Ereignis abgesehen. Strafe dient nicht mehr als Reaktion auf Fehler, sie kann auch das Zerstörte nicht wieder zurück bringen. Dabei ist nicht gemeint, dass jemanden, der gegen die Regeln unserer Gesellschaft verstößt, keine Konsequenzen zu erwarten hat. Weg von der Strafe, hin zur Prävention. Weg vom Strafsystem, hin zum Reaktionssystem. Es ist also von ganz entscheidender Bedeutung, zu erkennen, wie Vergeltung, Schuld, Reue, Wiedergutmachung und Vergebung zusammenhängen und wie diese Elemente dazu dienen, einerseits und gegenseitige Verletzungen zu reduzieren und andererseits die Bindung der Menschen zueinander zu stärken. Rache fördert jedoch in aller Regel nur weitere Angst und Gewalt.3

1

Ferrari, Pavarini, 2018, S. 171

2

Ehlers, 12.07.2020, Addendum

3

Galli 2020, S. 123

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postprison

Das übergeordnete Ziel ist es, entweder bereits vor einer eventuellen Tat die Beweggründe aus dem Weg zu schaffen, oder, sollte es doch zu einem Regelbruch gekommen sein, mit der Reaktion den vorherigen oder gar einen besseren Zustand herzustellen. Es geht um die Suche nach einer Lösung für alle drei Parteien, den Staat, den/ die Täter:in und das Opfer. Die Frage, warum die Tat begangen wurde und wie sie zukünftig vermieden werden könnte, rückt so ins Zentrum. Trotz der Unterteilung der Punkte in Grundwerte und Methoden ist anzumerken, dass keiner der Ansätze alleine hätte funktionieren können. Jede Situation ist individuell zu werten und einzuschätzen und erfordert unterschiedliche Herangehensweisen. Die folgenden Punkte stellen also eine Verbindung von Instrumenten und den dazu gehörenden moralischen Grundwerten dar und zeigen die neue Zielsetzung des Umgangs mit Kriminalität. Unter dem Begriff „Kriminalität“ fassen wir die unterschiedlichsten Formen von gesellschaftlich unerwünschtem Verhalten zusammen. Die Reaktion darauf muss diesen Unterschieden Rechnung tragen. Eine Möglichkeit bei uns wäre, Straftätern, die zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurden, etwas für sie Sinnvolles anzubieten, was sie mit dieser Zeit anfangen können: eine Ausbildung, eine Therapie oder auch direkt einen Arbeitsplatz, damit sie Geld verdienen, mit dem sie das Opfer entschädigen können.4

4

Großekathöfer, 2020

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fundamentals

Wiedergutmachung Schutz der Gesellschaft

Gesellschaftliche Akzeptanz

Respekt & Selbstbestimmung

Enthierarchisierung

Angleichung

Transparenz

Wirtschaftlichkeit

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methods

Prävention

Resozialisierung

Deinstitutionalisierung

VerantwortungsĂźbernahme

Transformative Justice

Bildung und faire Arbeit

Therapie und Sozialhilfe

Ă–ffnung

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fundamentals Die fundamentals beschreiben die Grundsätze des neuen Reaktionssystems, mit dem heute Fehltritte bewältigt werden.

Wiedergutmachung Indem eine Person einer anderen Unrecht antut, entsteht ein Ungleichgewicht, welches wieder ausgeglichen werden muss. Dabei muss gegenüber dem vorher gültigen Grundsatz unterschieden werden, der besagte, dass ein Ausgleich nur durch Zufügen eines weiteren Schadens geschehen könne. Auf einen Regelbruch oder eine kriminelle Tat folgt eine Reaktion, die erneut eine Balance der Gerechtigkeit herstellt. Dabei werden die Bedürfnisse des Opfers in den Vordergrund gestellt. Der Rache- oder Vergeltungsgedanke allerdings verschwindet aus der Debatte: Die Folge auf Delinquenz ist die Auseinandersetzung mit den Fragen, warum ist es passiert und wie ist der Zustand zuvor wiederherzustellen. Die Reaktion auf Verbrechen darf in der modernen, humanen Gesellschaft, nach der wir streben, keinen weiteren Schaden hervorrufen, auch nicht für die Seite, die den Schaden verursachte.

Schutz der Gesellschaft Der Wunsch nach Schutz und Sicherheit ist tief in uns verankert. Dennoch verursachte Angst als Antrieb viele Konflikte und erzeugt Emotionen, resultierend aus dem Wunsch nach körperlicher und seelischer Unversehrtheit. Jede Person hat ein Recht auf diese Unversehrtheit, daher muss sie möglichst dauerhaft sichergestellt werden. Sollte ebendiese Unversehrtheit gefährdet werden, so muss der Auslöser - also die Gründe, die den/die Täter:in zu seiner/ihrer Tat brachten - ausfindig gemacht und behoben werden. So kann die Gesellschaft effektiv und langfristig geschützt werden. 24


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Das Schutzziel für die Mitglieder dieser Gesellschaft bezieht sich aber auch auf die Menschen, die Verbrechen verübt haben. Dennoch muss es weiter in Einzelfällen möglich sein, die Gesellschaft vor potentiellen Tätern durch Freiheitsentzug zu schützen.

Gesellschaftliche Akzeptanz Die Existenz von Gefängnissen wurde früher von der Gesellschaft aufgrund der Angst, verletzt oder viktimisiert zu werden, gutgeheißen. Um also innerhalb der Gesellschaft die Akzeptanz des Reaktionssystems, anstelle des Strafsystems zu erhöhen, muss immer noch Aufklärung betrieben werden. Nicht ansatzweise jeder/jede Kriminelle ist eine Gefahr für die Allgemeinheit, stattdessen geht eine größere Gefahr von ihm oder ihr aus, sollte er oder sie keinen Anschluss in der Gesellschaft finden5. Das Gefängnissystem entstand aus sozialen Ungerechtigkeiten, die abgeschafft werden müssen. Doch das Umdenken fordert mehr: Personen, die mit dem Recht in Konflikt geraten sind, werden nicht mehr vor der Gesellschaft versteckt. Ein offener Umgang mit diesen Themen war wichtig zur Einführung neuer Werte und Prozesse. Von einer in sozialen Strukturen eingegliederten, zufriedenen Person geht weniger Gefahr aus. Dies kann zum einen durch reine Aufklärung erfolgen, aber auch durch räumlich-urbane Koexistenz im Stadtraum gefördert und verstärkt werden. Um der Angst vor Verletzung und Viktimisierung entgegen zu wirken, liegt der Fokus auf der Stärkung lokaler Gemeinschaft. Diese generiert ein reelles Gefühl von Sicherheit und rückt weitere soziale Förderungsmechanismen im Vordergrund6. Unterstützung durch Politik und Medien (ist unverzichtbar), auch weil nachhaltige Resozialisierung erst durch demokratische Prozesse und Meinungsbildung in der Öffentlichkeit erreicht werden und abgesichert werden kann.7 5

Siehe hierfür im Kapitel prison die fehlgeleiteten Ziele der Institution, S. 54 ff.

6

Ferrari, Pavarini, 2018, S. 212

7

Maelicke, 2019, S. 180

25


Eine wesentliche Rolle spielen dabei die Auffassungen und Äußerungen aus der Politik und den Medien. Aus den drei Instanzen Gesellschaft, Politik und Medien entwickelt sich dann ein eigenständiger Mechanismus, der zu mehr Offenheit und Transparenz führt.

Selbstbestimmung Das Fehlen von Selbstbestimmung begründete sich im Gefängnis durch seine ideologische Historie8. Dem Delinquenten wurde abgesprochen, seinen Alltag frei zu gestalten. Die Selbstbestimmung gehört zu einem der Grundwerte des neuen Systems, da festgestellt wurde, das ohne die eigene Handelsbereitschaft, -möglichkeit und Entscheiden kein Mensch zu einem sozial anerkannten Leben in Autotonomie kommen kann. Die Fähigkeit und Möglichkeit, selbst über sein Leben entscheiden zu können, selbstständig zu sein und einen Sinn darin zu erkennen muss erlernt und beherrscht werden. Hinzu kommen Respekt und Vertrauen, durch die erst die Motivation zur Autonomie entwickelt werden kann. All diese Punkte sind nicht losgelöst von der Enthierarchisierung und die daraus entstehende Auseinandersetzung der Notwendigkeit von permanenter Kontrolle zu sehen.

Enthierarchisierung In vielen Bereichen des Lebens in Freiheit erfolgte in den letzten Jahrzehnten ein Abbau der Hierarchien. Durch das Abgeben von Verantwortung gleichen sich die Machtverhältnisse verschiedener Personen an und steigern gleichermaßen die Motivation, ebendieser Verantwortung gerecht zu werden. Der Abbau von Hierarchie bedeutet also nicht Kontrollverlust, sondern das gezielte Abgeben von Kontrolle, um Potentiale zu fördern und aus dem entgegengebrachten Vertrauen zu profitieren. In unterdrückenden Systemen ist eine eigene, positive Entfaltung 8

26

Siehe hierfür im Kapitel history, S. 96 ff.


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nicht oder nur schwer möglich. Hinzu kommt, dass in den meisten Fällen der/die Täter:in aus Haushalten stammt, in denen verschobene Machtverhältnisse vorherrschen9 und diese in gleicher oder ähnlicher Form weitergeben. Solchen Ausprägungen kann nur entgegen gewirkt werden, wenn sich die Konditionen verändern.

Angleichung Wie kann ein Mensch in Gefangenschaft das Leben in Freiheit erlernen? Wie kann ein Mensch lernen, sein Leben autonom zu bestreiten, wenn ein fest bestimmter, minutiöser Rhythmus seine/ihre potentielle Resozialisierung, und damit seine/ihre Transformation bestimmt? Der Grundsatz der Angleichung an das normale Leben10 fand bereits im Strafgesetzbuch bis in die 2020er Jahre seinen Platz. Nur wurde dies zugunsten von Sicherheits- und Kontrollvorgaben in den seltensten Fällen auch auf akzeptable Art umgesetzt. Nun genießt dieser Punkt eine hohe Relevanz, da ansonsten das im Interesse aller liegende Ziel der Rückführung in die Gesellschaft nicht erreicht werden kann.

Transparenz Transparenz genießt in den moralisch-ethischen Grundwerten eine besondere Aufmerksamkeit. Sie funktioniert in beiden Richtungen zwischen der regelbefolgenden Gesellschaft und dem/der Regelbrecher:in. Entgegen der früher vorherrschenden „Aus dem Auge, aus dem Sinn“-Mentalität hat die Gesellschaft nun die Aufgabe aber auch die Möglichkeit, sich mit dem Leben der Delinquenten zu befassen. So wird der/die Regelbrecher:in nicht mehr durch die Abschottung in einer Institution zur Verwahrung verborgen.

9 10

Maelicke, 2018, S. 132 StGB § 3

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We propose to make known what the prison is: who goes there, how and why they go there, what happens there, and what the life of the prisoners is, and that, equally, of the surveillance personnel; what the buildings, the food, and hygiene are like; how the internal regulations, medical control, and the workshops function; how one gets out and what it is to be, in our society, one of those who came out.11

Wirtschaftlichkeit Eines der prägnantesten Argumente für die Abschaffung der Gefängnisse war das der Finanzierung. Trotz einer hohen Rückfallquote12 zahlte der deutsche Staat im Schnitt 50 000 € pro Gefangenen pro Jahr durch Steuergelder. Obwohl die Verstaatlichung nicht aufgehoben wurde, erweist es sich als weitaus effizienter, kurzfristig mehr in Prävention zu investieren, um langfristig weniger auszugeben. Da die Kosten der Reaktion auf Delinquenz und die der Resozialisierung immer noch vom Staat getragen werden, steht der wirtschaftliche Gedanke natürlich immer noch an hoher Stelle.

11

Groupe d’Information sur les Prisons Manifesto, 1971

12

Die Rückfallqutoe betrug zwischen 2004 und 2013 48% in Deutschland. Maelicke, 2018, S. 205

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methods Prävention Zu einer der ersten Methoden zählt die Prävention: Sie ist als Weiterentwicklung der veralteten, nicht wirksamen Abschreckung13 zu verstehen. Damit bildet sie einen sehr wichtigen Teil des Umschwungs, der von der Allgemeinheit am meisten angenommen und für relevant befunden wurde. Auch wenn zuvor bereits Arbeit zur Vorbeugung von Kriminalität geleistet wurde, so wurde sie stets losgelöst vom Strafvollzug gesehen. Die Prävention lässt sich aber insofern nicht vom Umgang mit Kriminalität lösen, als dass sie am ehesten langfristig funktioniert. Der Begriff Prävention beschreibt Aktionen, die zur Folge haben sollen, Risiken oder Gefahren zu reduzieren oder ganz zu umgehen14. Er ist nicht vom Umgang mit Delinquenz trennbar, weder vor dem Begehen einer Tat, noch danach, noch von den nicht direkt betroffenen Personen. Der Präventionsbegriff beschreibt in der Erweiterung also eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft, um Kriminalität erfolgreich vorzubeugen15. Prävention wird in drei Kategorien unterteilt: Primäre, sekundäre und tertiäre Prävention, oder auch Prävention, Intervention und Postvention. Während die primäre Prävention über Wertevermittlung und dem Trainieren von Konfliktbewältigungsstrategien Fehltaten und Regelbrüche vorzubeugen versucht, bezieht sich die sekundäre Prävention konkreter auf Risikogruppen oder bereits geschehene Taten und deren Täter:innen und Opfer16. In der tertiären Prävention macht man es sich zum Ziel, die Rückfallwahrscheinlichkeit zu reduzieren.

13

Siehe hierfür im Kapitel prison die Gründe der Abschaffung des Gefängnisses und der fehlgeleiteten Ziele der Institution, S. 54 ff.

14

Bundesministerium für Gesundheit

15

Bock, 2007, S. 315

16

Gobel, Waliraff-Unzicker,

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Resozialisierung To correct is to right a wrong; to rehabilitate is to restore.17

Kommt es dennoch zu einem Regelbruch oder einer kriminellen Tat, setzen Maßnahmen zur Resozialisierung ein. Sie sind nicht trennbar von denen der Intervention und Postvention. Dem Begriff Resozialisierung geht die Annahme voraus, dass der regelbrechenden Person ohne Zutun ein Rückweg in den sozialen Alltag nicht möglich ist18. Um also eine Verschiebung der Prioritäten, die zu der Straftat geführt haben, zu vollziehen, muss die Motivation, ein straffreies Leben im Rahmen der gesellschaftlichen Norm zu führen, gestärkt werden. Der Fokus muss auf den Erfolg der Heilung der Beteiligten, also Täter:in und Opfer, liegen. Um dieses Ziel zu erreichen, bedarf es einer ebenso heilenden Umgebung19, sowie des Willens und Motivation der Beteiligten. Ein legal handelnder Freundeskreis, die Instandhaltung oder gar die Neuentwicklung sozialer Kontakte und der daraus resultierende soziale und finanzielle Rückhalt, Bildung und die Möglichkeit auf eine sinnstiftende Arbeit sind grundlegend für ein Leben fernab der Kriminalität. Dieses für die Resozialisierung festgesteckte Ziel besteht aus komplexen Prozessen, die bei jedem/r Täter:in variieren und nur wechselseitig funktionieren – Täter:in und Gesellschaft müssen zusammen arbeiten. Dazu gehören in der konkreten Umsetzung beispielsweise Wohngruppen, Betreuungsbeamte, therapeutische Gemeinschaften, Einzel- und Gruppentherapien, begleitete Übergänge, Entlassungsurlaub und nachgehende Betreuung, also wiederum Teile der Prävention20. Die Aufgabe der Gesellschaft liegt darin, Stigmatisierung zu vermei-

17

Mossburg, Almasy, 11.09.2020

18

Maelicke, 2019, S. 11

19

Himada, Lee, S. 61

20

Hagenmaier, 07.01.2016, Süddeutsche Zeitung

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den21 und den/die Täter:in wieder aufzunehmen, um einen Teufelskreis zurück in die Kriminalität zu verhindern. Der respektvolle, humanistische Umgang mit den Regelbrechern und das Prinzip der Normalität, also des Angleichungsgrundsatzes22, stellen Schlüsselfunktionen dar.

Deinstitutionalisierung An institution is not just a place, but a mindset.23

Obwohl eine Institution erst einmal nicht unbedingt negativ konnotiert sein muss, bringt sie im großen Maßstab aufgrund von Organisations- und Strukturierungsmaßnahmen negative Auswirkungen auf die Entwicklung und Entfaltung des Individuums mit sich, beziehungsweise lässt diese nicht zu. Damit ist die Deinstitutionalisierung, also die Auflösung der Institution, der anonymen Maschine die dahinter wirkt eine Methode der Entgegnung auf Kriminalität. Die Deinstitutionalisierung kann als Transfer von Menschen mit psychischen, intellektuellen oder entwicklungsbedingten Einschränkungen aus staatlichen Institutionen oder Kliniken in kleinmaßstäbliche, betreute Gemeinden definiert werden24. Sie geht einher mit der Schließung der Institution. Im Kontext der Deinstitutionalisierung steht der Begriff decarceration: Besonders bei kleinen Delikten ist durch eine Unterbrechung des Lebens aufgrund des Freiheitsentzug mit negativen Folgen zu rechnen25. Decarceration beschrieb also den Prozess die Notwendigkeit des Freiheitsentzuges zu hinterfragen und diesen anschließend nur dann zu verhängen, wenn damit eine akute Gefährdung der Gesellschaft einher geht. Dieser Prozess wurde in den letzten Jahren bereits erfolgreich etabliert26. 21

Siehe hierfür im Kapitel prison die Gründe der Abschaffung des Gefängnisses und dessen Auswirkungen, S. 54 ff.

22

Siehe hierfür im vorangegangenen Kapitel Angleichung, S. 25

23

Himada, Lee, 2014, S. 22

24

Himada, Lee, 2014, S. 13

25

Siehe hierfür im Kapitel prison die Gründe der Abschaffung des Gefängnisses und dessen Auswirkungen, S. 54 ff.

26

Siehe hierfür das new normal S. 34 ff.

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Verantwortungsübernahme Die Übernahme von Verantwortung durch den/die Täter:in ist ausschlaggebend für den Erfolg des Reaktionssystems. Anstatt der reinen Zuweisung von Schuld wird versucht, den/die Täter:in durch die Übernahme der Verantwortung für seine/ihre Tat zur Einsicht zu bewegen, um eine eventuelle Wiederholung der Tat zu verhindern. Nach dieser Einsicht werden Maßnahmen zur Wiedergutmachung entwickelt. Das Stichwort hierfür ist Restorative Justice. Ziel ist durch die Übernahme von Verantwortung und weiterer fallbezogener Konsequenzen die Situation vor der Tat wiederherzustellen. Obwohl Restorative Justice unseren aktuellen Grundwerten folgt, sollte die Wiederherstellung der Gerechtigkeit nicht mit Vergeltung verwechselt werden. Zwei Methoden des Restorative Justice sind dabei die Mediation und der Täter-Opfer-Ausgleich27. Während ersteres eine Methode der Konfliktbearbeitung darstellt, wird letzteres als tatsächliche rechtliche Folge oder als Kriterium der Konsequenzzumessung angewendet.

Transformative Justice Transformative justice means finding ways to hold each other accountable not through state-sanctioned means. Not through the courts, not through the police, not through punishment, not through the carceral system. Why not focus on designing more community centres for youth, health clinics, schools, and recreation facilities rather than prisons? What would it mean to move away from building carceral spaces?28

27

Mingus, Transform Harm

28

Lambert, 2016, S. 49

32


postprison

Die Implementierung von Strategien im Sinne des Transformative Justice ist für einen humanen Umgang mit Kriminalität unumgänglich. Dabei geht es darum, auf Gewalt nicht mit mehr Gewalt zu reagieren, sondern durch die Abwandlung sozialer Strukturen ebendiese Taten langfristig zu beeinflussen und zu unterbrechen. Transformative Justice ist als eine erweiterte Form des Restorative Justice zu verstehen. Die Übernahme von Verantwortung für die begangene Tat und die Wiedergutmachung wird ergänzt durch die Suche nach einer Antwort: Wie ist es dazu gekommen? Transformative Justice verknüpft gewalttätige oder andere kriminelle Vorkommnisse mit der Situation und den Umständen, die sie erzeugt und verstärkt haben. Es wird anerkannt, dass die negativen Seiten des Kapitalismus, Armut, Trauma, Isolation, White Supremacy, Frauenfeindlichkeit, Krieg, Geschlechterunterdrückung und Fremdenfeindlichkeit komplett aus der Gesellschaft verschwinden müssen, um Gewalt großflächig zu verhindern. Oft bedeutet dies, dass schädliche, unterdrückende Systeme, sowie Beziehungen untereinander und innerhalb der Gesellschaft umgewandelt werden müssen, damit gewaltfördernde Konditionen verschwinden.29 Strategien und Maßnahmen des Transformative Justice verfolgen die Entkräftung und die Auflösung von gewaltverherrlichenden Strukturen der Unterdrückung oder der Selbstjustiz und kultivieren aktiv Methoden, die Gewalt verhindern, also Heilung, Verantwortungsübernahme, Resilienz und Sicherheit für alle Beteiligten30. Schon Gustav Radbruch, der Reichsjustizminister in der Weimarer Republik, hatte „nicht Verbesserung des Strafrechts, sondern Ersatz des Strafrechts mit etwas Besserem“ gefordert. Dies bedeutet eine klare Abkehr von der Tatvergeltung hin zum Sicher, Helfen und Heilen: „Nicht die Tat, sondern der Täter, nicht der Täter, sondern der Mensch.“31

29

Mingus, Transform Harm

30

Mingus, Transform Harm

31

Maelicke 2019, S. 238

33


Bildung und faire Arbeit Bildung kann als Grundlage für ein sozial eingebundenes Leben in einer Gesellschaft angesehen werden. Das Fehlen von Bildung ist oft der Auslöser für Delinquenz beziehungsweise eine Hürde für den Wiedereinstieg in die Gesellschaft. Daher wurden Angebote für Ausbildung und Fortbildung deutlich erhöht. Arbeit, insbesondere fair bezahlte Arbeit wiederum, stellt einen motivierenden Faktor zur Integration und zum Wiedereinstieg in die Gesellschaft dar. Zudem wurden in diesem Rahmen Programme in der Öffentlichkeit betrieben, die entgegen potentieller Stigmatisierung wirken.

Therapie und Sozialhilfe Die meisten kriminellen Taten werden aufgrund von Armut oder Suchtproblemen verübt. Aus diesem Grund wurden therapeutische und psychologische Angebote weiterentwickelt, die die Resozialisierung fördern und beschleunigen sollen. Ohne derartige Angebote - besonders im Fall von Suchtproblematiken und Traumata32 - ist es häufig schwer, den Wiedereinstieg aus eigener Kraft zu schaffen. Ebenso trägt eine angemessene finanzielle Sozialhilfe dazu bei, kriminelle Handlungen zu verringern oder zu verhindern. Der Weg führt weg vom reinen Verwahrungsvollzug, hin zur Behandlung33.

32

Himada, Lee, 2014,S. 29

33

Meier 26.06.2020

34


Öffnung Die Öffnung bezeichnet die Abschaffung von Mauern und Zäunen und ist insofern eng verknüpft mit dem Begriff der Deinstitutionalisierung. Um die Allgemeinheit vor einigen wenigen gefährlichen Personen zu schützen, müssen diese getrennt der Gesellschaft resozialisiert werden. Dennoch sollen sichtbare Zeichen dieser Trennung von der Gesellschaft vermieden oder wenigstens reduziert werden.

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new normal


postprison

Seit der Einführung der auf den neuen Werten basierenden Methoden und dem Abbau bestehender Gefängnisse hat sich viel getan. Die grundlegende Reform der Strafjustiz und ihre Umwandlung in ein Reaktionssystem mit Fokus auf dem Individuum führte zu erheblichen Veränderungen im Umgang mit gesellschaftlichem Regelbruch. Gefängnisse als Institutionen wurden ersatzlos abgeschafft, da eine funktionierende Resozialisierung lediglich vorgetäuscht wurde. Jede Art des Wegsperrens formt erneut carceral spaces. When I think of prison abolition or transformative justice, I’m not thinking that we need to come up with infrastructures or buildings to replace the prison institution.(...) And not just thinking about what it would mean to replace the prison, because then you’re already thinking carcerally. And that doesn’t mean to just stop designing prisons. But how can our cities be designed so they are more accessible and more public, rather than creating carceral spaces of surveillance and security that condition how people are allowed to move, or manage how people move in a space. Nasrim Himada

Um auf eine möglichst starke Integration hinzuwirken, wurden kleinere, meist dezentrale Interventionen zur Behandlung und Resozialisierung delinquenter Personen realisiert. Reformiert wurde außerdem der Umgang mit bereits inhaftierten Delinquenten und die konkrete Tätigkeit der Exekutive, also der Polizei.

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d e c a r c e rat i o n

Decarceration, auch Entprisonisierung, steht für den Beginn des Abbaus von Gefängnissen. Sie ist der Beginn der Humanisierung der Exekutive. Die alten Grundsätze des Umgangs mit Kriminalität wurden transformiert und bestehende Machtstrukturen umgewandelt. Der Paradigmenwechsel stellt in diesem Sinne eine Renaissance für die Menschlichkeit dar, obwohl die damit verbundenen Veränderungen nicht für möglich gehalten wurden. Die Befreiung der Schutzbedürftigen, die Heilung der vom System verletzten und die Enthüllung der verborgenen Zustände in Gefängnissen ist das Ziel. Dennoch ist Vorsicht geboten – auch wenn der Rand zerschlagen wird, kann der Kern bestehen bleiben. Dieser Kern kann wieder zur Reetablierung des alten Systems führen.

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postprison

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demolition

Die Lebensdauer aller Dinge ist endlich. Unbeständigkeit und Bedeutungslosigkeit können zu einem natürlichen Ende führen, während anderen Dingen bewusst ein Ende gesetzt wird. In this light, closure in itself is still embedded with the same circuits of power that created such institutions, unless there is an epistemic shift in the way community, punishment, dis/ability, and segregation are conceptualized. Himada, Lee, S. 21

So wie sich die Frage des Fortlebens von nicht mehr genutzter Industrie stellt, ergibt sie sich nun auch für die Gefängnisbrache. Was passiert mit den physischen Überresten der Verkörperung der Strafe? Was ist die architektonische Antwort? Die Schließung alleine bewahrt die Gebäude nicht vor einer erneuten Institutionalisierung.

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postprison

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t r a n s fo r m at i o n

Transformation – eine Metamorphose durch das Einhauchen eine Rekonfiguration. Sobald sie mit Leben und Werten durchdrungen ist, wird sie jenseits ihres früheren Nutzens umgewandelt. Diese Transformation der Dinge, ob in uns selbst, ob in den Räumen, in denen wir uns aufhalten, oder die, von denen wir uns distanzieren, ist unausweichlich. Auch negativ belastetes Erbe gestaltet durch den Erhalt und die Aufarbeitung der Vergangenheit. Anstatt Demütigung entsteht Unterstützung, anstatt Isolation greift Integration, anstatt Kontrolle gelingt Autonomie. Der Wandel lässt das Alte zu und kreiert daraus Neues.

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s a fe g u a rd i n g

Unser Ziel ist es, die Bevölkerung zu schützen, für ihr Wohlbefinden zu sorgen und ihre Rechte zu bewahren. Wir setzen uns dafür ein, der Gesellschaft ein Leben frei von Leid, Misshandlung und Vernachlässigung zu garantieren. Dabei liegt unser Fokus nicht nur auf denen, die sie erfahren, sondern auch auf jenen, die sie verursachen. Viele von uns kommen aus prekären Verhältnissen, hatten Kontakt mit Kriminalität. Wir haben Verantwortung dafür übernommen und unser Leben zum Besseren gewendet. Das macht uns empathisch und aufnahmefähig für eine andere Sichtweise der Dinge. Wir haben ähnliche Funktionen, wie die Polizei, aber wir gehören nicht dazu. Wir sind unabhängig, aber arbeiten nicht gegeneinander. Wir dazu ausgebildet, Gewalt aufzulösen, nicht um noch mehr Gewalt zu verüben. Wir wollen Kontakt zu euch, zur Gesellschaft, durch Interaktion und Kommunikation. Wir arbeiten der Eskalation entgegen, der Gewalt entgegen. Wir wollen für euch da sein.

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postprison

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m e d i at i o n

Die Luft ist schal mit einer leichten Note frischen Kaffees. Um einen runden Tisch herum sitzen Personen, die sich in ihren Unterschieden einen. Das Klirren der Tassen auf den Untertellern und das Tippen in einen der Laptops ist kurzzeitig das einzige Geräusch, bis erneut eine Person das Wort ergreift. Sie diskutieren bereits den gesamten Vormittag angeregt. Die teilweise etwas größeren Abstände zwischen ihnen machen die Unterteilung der drei Fraktionen sichtbar. Die des Täters, die des Opfers und die Mediatorengruppe aus den Fachbereichen Psychologie, Soziologie und Pädagogik. Trotz der Intensität ist eine Lösung des Konfliktes, die Einsicht und die Festlegung der Kompensation in greifbarer Nähe. Ganz ohne autoritäre Entmündigung, nur durch Kommunikation.

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i n t e r ve n t i o n

Die Gesellschaft ist ein machtvolles Organ. In ihrer Gänze ist sie in der Lage, alle Strömungen, Meinungen und Verhältnisse zu bestimmen. Sie steht in einer direkten Wechselwirkung mit der Stadt und ihren Bewohnern. Sie entspricht den Bewohnern. Sie klärt auf, sie wird aufgeklärt, sie verletzt, sie wird verletzt. Die Vernetzung und die Kommunikation untereinander verändert sich, die Gesellschaft verändert sich. Innerhalb der Stadt entstehen Orte für die Gesellschaft. Sie sind als Intervention zur Verknüpfung unterschiedlicher Quartiere und deren Bewohner, als Räume des Zusammenkommens und des sozialen Miteinanders entstanden.

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postprison

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c o m p e n s at i o n

Der Park ist wie jeden sonnigen Tag gut besucht. Einige joggen an den grünen Wiesen entlang, andere führen ihren Hund aus. Ein paar Personen arbeiten an einem Podest um Aufenthaltsstätten für Familien und andere Bürger zu schaffen. Was sie besonders macht: Sie haben die Regeln der Gesellschaft gebrochen, haben die Verantwortung dafür übernommen und leisten Wiedergutmachung. Eine Wand, ein Dach, eine Säule sind in der Lage, eine natürliche Umgebung zu bilden und sie in einen komfortablen, nützlichen und menschlichen Lebensraum zu verwandeln. Wenn eine Idee erst einmal entstanden ist, kann sie einen nährenden Prozess erzeugen.

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d e c e n t ra l i s e d s o c i a l r e h a b i l i t at i o n

Unsere Gesellschaft ist vielfältig. Es existiert eine Fehlerkultur. Fehler sind wichtig, weil man daraus lernen kann. Ohne diese Fehler würde diese Gesellschaft sich weniger schnell weiter entwickeln. Delinquenten werden in dezentralen Umgebungen mit unterschiedlichen Arbeitsangeboten integriert. Ihre Arbeit trägt zum Gemeinwohl bei, dabei lernen sie, sich an eine soziale Umgebung anzupassen und schrittweise zu integrieren. In direkter Nähe zur Gemeinschaft sind ihre betreuten Wohnungen angesiedelt. Unterschiedlichste Szenarien sind denkbar: Frauen mit Kindern, alleinstehende ältere Männer, ganze Familien, Jugendliche und so weiter. Die urbane Umgebung wird zum melting pot, der Täter und Nicht-Täter verschmilzt.

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c e n t ra l i s e d s o c i a l r e h a b i l i t at i o n

Warum Bestrafen, wenn man den Menschen auch Menschlichkeit nahebringen kann? Arne Nielsen

Autonomie und Menschenwürde. Das sind die Werte, um die es sich innerhalb der Ansammlung kleiner Gebäuden in der Peripherie dreht. Autonom zu leben zu lernen, um nicht zu kriminellen Mitteln greifen zu müssen auf der einen Seite, die eigene Menschenwürde und die Anderer zu erkennen und zu respektieren auf der anderen. Weit entfernt vom Lärm und Gewirr der Stadt in der Idylle der Natur. Einerseits losgelöst von der Gesellschaft, andererseits einsehbar und immer noch verbunden. Die Gebäude werden in das Gefüge eines Dorfes integriert und in ein bürgerliches und alltägliches Leben eingebunden. Sie beginnen das Zusammenleben, die Privatsphäre und das öffentliche Leben zu gestalten. Aus der Ferne wirken die Personen, die ihrem Alltag nachgehen, wie Ameisen. Ein Gewusel der Normalität.

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Um in das Thema Gefängnis einzusteigen, liegt erst einmal die Untersuchung der ideologischen und architektonischen Entwicklung der Gefängnisarchitektur nahe. Es ist, kurz gesagt, die Entwicklung einer paradoxen Idee, die mit dem Gefängnis entstand und bis heute mit ihm verbunden ist: einen Menschen aus der Gesellschaft auszuschließen, um ihm beizubringen, wie er sich innerhalb der Gesellschaft zu verhalten hat. Amelie Ramsbrock: Geschlossene Gesellschaft, S. 297

Die Freiheitsstrafe als solche hat sich dabei erst in den letzten 200 Jahren entwickelt und somit die Typologie Gefängnis begründet. Dabei gibt es keine klare chronologische Abfolge, sondern eine Vielzahl von Systemen, die je nach Ort und politischem System Anklang und Verwendung fanden und an anderer Stelle adaptiert und weiterentwickelt wurden. Der große Fortschritt unseres Strafsystems seit dem Mittelalter liegt darin, dass in der gesetzlich detailliert geregelten Art des Verfahrens im Gegensatz zur freien Willkür und dem Recht des Stärkeren nunmehr der Staat die Konfliktbearbeitung übernommen hat und dabei an feste Regeln gebunden ist. Er allein hat das Monopol zu strafen und kann dies mit seinem „Gewaltmonopol“ bis hin zum Freiheitsentzug auch durchsetzen. Maelicke: Das Knast-Dilemma, S. 237

Die Tatsache, dass wir uns das Gefängnis so lange nicht wegdenken konnten, zeigt, wie tief die Ideologie des Strafens in unserer Gesellschaft verankert war.

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Antike - Mittelalter

Reformation

Maison de Force

• versteckter Prozess & öffentliche Strafe • Freiheitsentzug keine anerkannte Sanktion

• Bewegung hin zum humanen Strafvollzug • Überzeugung, den Straftäter bessern zu können

18. JH

Neuzeit • Zucht- und Arbeitshäuser als Vorläufer des modernen Gefängnisses • öffentlicher Prozess, Strafe im Verborgenen

GENT, 1773

• Trennung der Strafgefangenen • Gemeinsam bei Tag, nachts in der Einzelzelle

Bridewell Prison LONDON, 1667

• Einzelhaft • Belohnung für getane Arbeit

Musterentwurf BEN HOWARD, JOHN SOANE, 1781

• Differenzierung der Insassen • Musteranstalt für 600 Insassen, unwirtschaftlich


Eastern State Penitentiary PHILADELPHIA, 1829

Panopticon JEREMY BENTHAM, 1791

• Konzept der Überwachung

absoluten

• Solitary System • Strahlenförmiger Bau zur Überwachung • Nach religiösen Vorstellungen • Absolute Einzelhaft mit ursprünglich ein Hof pro Zelle

Fresnes Prison PARIS, 1898

• Telephone Pole • Zellen in Querriegeln, Verbindungsriegel mit anderer Funktion

Pentonville

Millbank Prison LONDON, 1816

• Erweiterung des Konzeptes des Panopticons • Ineffizient aufgrund konzeptioneller Besessenheit

LONDON, 1842

• Nachfolger des Millbank Prisons • Einzelhaft • Ständige Überwachung

Chicago metropolitan correctional center CHICAGO, 1975

• Hochhausgefängnis


Rechteck

Radial

Telephone Pole

Hof

Urban

Campus

Hybrid Urban / Hof

Hybrid Urban / Campus

Piktogramme Gefängnistypen

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history

Vor dem Gefängnis Schon immer stand die Gesellschaft vor der Frage, wie mit Menschen umzugehen sei, die nicht angepasst an die bestehenden Strukturen leben. Seit der griechischen Antike kristallisierte sich die Strafe als Reaktion auf Delinquenz und Ungehorsam1. Sowohl die Art der Bestrafung und deren Durchführung, als auch der Ort der Strafe selbst haben sich dabei über die Zeit hinweg stark verändert. Die Leibesstrafe wird zu einer auf den Geist abgerichteten Bestrafung vom Staat und somit von der Gesellschaft verhängt. Eine im Vergleich recht neuartige Entwicklung seit der Nachkriegszeit des zweiten Weltkriegs ist die Resozialisierung. Aus dem Kerker wird das Zuchthaus, dann das Gefängnis und schließlich die Justizvollzugsanstalt. Bis ins Mittelalter waren körperliche Sanktionen, also Schandstrafen wie der Pranger, strenge und brutale Körperstrafen, Verbannung aus der Stadt, oder gar die Todesstrafe für Delinquenten vorgesehen. Die Ausübung dieser Strafen waren meist zeremoniellen Charakters und wurde öffentlich vor breitem Publikum ausgeführt, zum einen um Nachahmer oder Gleichgesinnte abzuschrecken, zum anderen um die Tatsache der Strafbarkeit des Vergehens zu unterstreichen2. Räume, die zum Festhalten der zu strafenden Person gedacht waren, gab es zwar auch, dabei ging es aber meist nicht um den Entzug der Freiheit als Strafe, sondern um das Fristen bis zur Verhandlung über das Strafmaß (entsprechend der heutigen Untersuchungshaft). Eine frühe Form der Freiheitsberaubung ist die Sklaverei in der Antike, die nicht unbedingt eine Relation zur Bestrafung haben musste. Bis zum Mittelalter existierten keine eigens gebauten Gefängnisse, stattdessen dienten dafür häufig Burgverliese, Keller von Rathäusern oder Teile der Stadtmauern. Der Ort des Freiheitsentzuges war somit nicht von moralischen oder humanem Sinn, sondern rein Verwahrung bestimmt. „Die öffentliche Hinrichtung dient der Wiederherstellung der Macht des Königs.“3 1

Krause, 2004, S. 20 f.

2

RDK Labor

3

Foucault, 1976, S. 44

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001

002

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Am Pranger stehender Titus Oates

Giovanni Battista Piranesi, Carceri d‘ invenzione, plate XVI: The Pier with Chains, 1761


history

Die Gefangenhaltung als Bestrafung in einem eigens dafür vorgesehenen Gebäude hat ihren Ursprung in klösterlichen Gemeinschaften des späten Mittelalters. Die strengen Abläufe, die Einzelunterbringung und die Räume für gemeinsame Arbeit nehmen die Struktur des Gefängnisses um einige Jahrhunderte vorweg. So ist es nicht verwunderlich, dass der Vorläufer der Justizvollzugsanstalt, die Arbeits- und Zuchthäuser, in ehemals klösterlichen Anlagen Platz fand. Dabei handelte es sich nicht um eine reine Strafanstalt, sondern um eine Verwahrungsstätte für Randgruppen, die besondere Kontrolle oder ‚Fürsorge‘ benötigten4, also Landstreicher und Obdachlose. Es begann die Wandlung vom geheimen Prozess und der öffentlich vollzogenen körperlichen Bestrafung hin zum privaten Prozess und der Haftstrafe im Verborgenen. Eine beispielhafte Institution dieser Art mit immens hoher Reichweite innerhalb Europas bildet das Rasphuis in Amsterdam: Ein in 1596 zu einem Zuchthaus umfunktioniertes Kloster, in dem verpflichtend Rotholz geraspelt wurde. Die gemeinsamen Schlafräume dienten tagsüber zur Ausführung der Zwangsarbeit5. Die Unterbringung im Arbeitshaus sollte durch streng strukturierte Abläufe, regelmäßige Arbeit und Entlohnung einen sozialen Menschen aus den dort Eingesperrten machen. Ein weiterer Zweck war die Zurschaustellung der Inhaftierten: Das Rasphuis lockte durch seinen exemplarischen Charakter Besucher an und unterstützten damit das Konzept der Betreiber der ‚Scham als erste Besserung‘6. Die Arbeitshäuser waren den europaweit zeitgleich entstehenden Zuchthäusern überlegen. Die bekannteste britische Einrichtung gleichen Konzeptes galt dabei als abschreckende Beispiel, aufgrund ihrer miserablen hygienischen, sozialen und disziplinarischen Zustände. Das Bridewell in London, 1557 von einem Schloss umgewandelt, war dabei keine typologische Besonderheit, lediglich die erste und damit wichtigste Einrichtung Englands dieser Art7. Die nach Gesichtspunkten der Arbeitsökonomie gestalteten 4

Winkelmann, Förstner, 2007, S.45

5

Seelich, 2009, S. 22

6

Seelich, 2009, S. 22

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Zuchthäuser konnten auf Dauer ihren Zweck nicht erfüllen. Wegen Überfüllung, mangelnder Hygiene und dem wahllosem Zusammensperren von Menschen unterschiedlichster Delikts- und Altersgruppe konnte weder Bridewell, noch die Zuchthäuser der Niederlanden erzieherische Erfolge aufweisen. Vielmehr unterstützen sie die Kriminalität innerhalb8.

Reformation Mit der Ablösung der körperlichen Strafen und Ehrstrafen gewann die Freiheitsstrafe gegen Ende des 18. Jahrhunderts verstärkt an Bedeutung. Gefängnisse und Zuchthäuser wurden dadurch zu Strafanstalten, die für unterschiedliche Strafzwecke – Abschreckung und insbesondere Besserung – nutzbar gemacht werden sollten. Die mangelnden Fortschritte der bestehenden Arbeits- und Zuchthäuser gerieten zunehmend in die Kritik und bedingten die Gefängnisreformation Ende des 18. Jahrhunderts durch John Howard. Er bewirkte die erste Richtlinie für staatliche Gefängnisse nach humanitärer Vorstellung, den Penitentiary Act 1779. Durch sinnvolle Arbeit, gerechte Entlohnung, angebrachte Hygienebedingungen, die Möglichkeit der Hafterleichterung bei gutem Verhalten sollte das Ziel der Verbesserung des Individuums erreicht werden. Zur Verhinderung der gegenseitigen ‚moralischen Ansteckung‘9 forderte er eine Unterteilung der Gefangenen in Gruppen nach Alter, Geschlecht, Delikt und moralischer Disposition. Um die gegenseitige „moralische Ansteckung“ der Gefangenen zu verhindern, sollten diese räumlich voneinander getrennt und an der Kontaktaufnahme gehindert werden (zunächst auf dem Wege einer „Klassifikation“ in Gruppen nach Alter, Geschlecht, Delikt und moralischer Disposition, später individualisierend durch Einzelhaft in Zellen). Außerdem war man zunehmend bestrebt, die permanente Überwachung der Sträflinge zu gewährleisten, um so erzieherischen Einfluss auf ihre Besserung ausüben zu können. Gefängnisbau wurde zur eigenen Bauaufgabe.10 8

Winkelmann, Förstner, 2007, S. 50

9

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10

RDK Labor

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003

004

Bridewell Prison, 1557, London

Rasphuis, 1596, Amsterdam

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005

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Maison de Force, Ackerghem bei Gent, 1772-75, Malfaison und Kluchmann

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Musteranstalt fĂźr 600 Insassen, John Soane, 1781

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Casa die Correzione, 1704, Rom


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Kreative Phase Als eines der ersten Gefängnisse mit Einzelzellen gilt die Casa di Correzione in Rom. Die Besserungsanstalt für schwererziehbare Jugendliche, erbaut bis 1704 von Carlo Fontana, bestand aus drei Stockwerken mit Einzelzellenblöcken, die durch Galerien erschlossen und mit je zwei Fenstern, eines nach draußen, eins in die verbindende Halle, ausgestattet waren. Die Sala Clementina (hoher Saal) diente als Arbeitsraum, Kapelle und Speisesaal. Auf der einen Seite des Saals befand sich ein Altar, auf der anderen ein Prügelblock. Die Sala Clementina lag oberhalb des Passantenniveaus, um den Insassen jeglichen Kontakt zu Passanten zu verweigern. Die dort verrichtete Arbeit sollte in absoluter Stille durchgeführt werden11. Der Typus war stark religiös beeinflusst, sowohl durch den einem Sakralbau ähnelnden Grundriss, also auch dadurch, dass der Altar in der Haupthalle von allen Zellen aus einsehbar war. Durch die permanente Vergegenwärtigung der göttlichen Ordnung (also gewissermaßen eine ständige Überwachung im übertragenen Sinne) sollte so eine Verhaltensverbesserung herbeigeführt werden12. Die schlechte wirtschaftliche Lage der Niederlande und Englands, sichtbar an den steigenden Zahlen von Bettlern, Landstreichern und Dieben, bedingte eine Steigerung der benötigten Anzahl an Arbeitshäusern. Dadurch entwickelte sich ein wesentlich klarer typologisch definiertes Gefängnis: Die Maison de Force zu Gent im Jahr 1775. Jeder trapezförmige Innenhof bildet eine Einheit mit eigenen Zellen, Speisesälen, Schulungs- und Arbeitsräumen, sodass die einzelnen Gruppen nach Alter, Geschlecht und Strafmaß voneinander getrennt bleiben13. Innerhalb des Abschnittes wurde tagsüber gemeinsam gearbeitet, die Nacht wird in Einzelzellen verbracht. Die radiale Anordnung scheint mit dem Panoptismus in Verbindung zu stehen, allerdings ist vom achteckigen Innenhof keine Sichtbeziehung zu den einzelnen Gebäudeflügeln und in die Gänge mit den Zellen möglich. Der strahlenförmiger Radialplan entwickelt sich zum Urplan des Gefängnisses. Aus diesen Überlegungen entstand in Zusammenarbeit mit dem 11

Seelich, 2009, S. 24

12

Winkelmann, Förstner, 2007, S. 50 f.

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Winkelmann, Förstner, 2007, S. 52

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britischen Architekten Sir John Soane 1781 die Männeranstalt für 600 und eine Frauenanstalt für 300 Insassen. Inspiriert von der Maison de Force und durch die starke Prägung geometrischer Grundformen unterteilten sich die Gesamtanlagen in mehrere Trakte, um so Howards Forderung der Klassenunterteilung gerecht zu werden. Trotz einiger Sichtachsen, kann bei dem enorm großzügigen Grundriss nicht von Effizienz der Überwachung oder Wirtschaftlichkeit die Rede sein. Den Höhepunkt der Überwachung bildete Jeremy Benthams Panopticon im Jahr 1791. Laut Michel Foucault stellt es die architektonische Gestalt der Machttechniken dar und dient damit als Ort zur Kontrolle und Disziplinierung der Stigmatisierten14. Jeremy Bentham rechnete dem Panopticon, auch Inspection House genannt, an, die Moral zu erneuern, die Gesundheit zu erhalten, das Gewerbe zu stärken und die Öffentlichkeit zu entlasten15. Dabei stand das Konzept nicht nur für das Gefängnis, auch Fabriken, Armenhäuser, Lazarette, Fabriken, Hospitäler, Arbeitshäuser, Irrenhäuser und Schulen sollte das Panopticon zu neuen Erfolgen leiten. Die Einzelzellen im kreisförmigen Panopticon sind radial um einen Luftraum über mehrere Geschosse hinweg organisiert. Mittig befindet sich das Haus des Aufsehers, dessen Fenster mit Lamellen bestückt werden. Die Zellensegmente sind zum Inneren mit Gitterstäben, zum Außenraum mit großen Fensteröffnungen ausgestattet. Dadurch wird jede Zelle zu einem durchleuchteten Theater für den Aufseher in der Mitte, während dieser aus dem Kontrollraum wegen der Lamellen nicht sichtbar ist16. Diese Unsichtbarkeit des Überwachenden bedingt eine Allgegenwart der Kontrolle, eine „Maschine zur Separierung und Überwachung“17. Das Konzept wurde trotz seiner Bekanntheit bis heute nur selten beim Bau von Haftanstalten angewandt, wie zum Beispiel das Arnheim Koepelgevangenis, 1886, in den Niederlanden und das Stateville Penitentiary, 1864, in Illinois, USA. Das Konzept wurde im Millbank Gefängnis in London auf die Spitze getrieben. 1816 errichtet besteht es aus einem hexagonalen Gebetsraum umgeben von sechs weiteren 14

Foucault, 1976, S. 251 f.

15

Winkelmann, Förstner, 2007, S. 67

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Winkelmann, Förstner, 2007, S. 67

17

Seelich, 2009, S. 30

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Jeremy Benthams Panopticon, 1791, Zeichnungen von Willey Reveley nach Bentham

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Hexagonen mit Zellentrakten und je einem Wachturm in der Mitte. Die Aufteilung in Höfe ermöglicht eine Segregation der Gefangenen. Das erbaute Konstrukt wurde allerdings so unübersichtlich und verwirrend für die Wachen, dass es noch vor Ende des Jahrhunderts abgetragen wurde. Michel Foucault beschreibt in seinem Buch Überwachen und Strafen das Panopticon als Höhepunkt der Disziplinargesellschaft. Die Asymmetrie in den Sichtverhältnissen kreiert das Machtverhältnis und macht es für die Beobachteten unmöglich, zwischen Situationen zu unterscheiden, die für die Bewertung ihres Verhaltens relevant oder irrelevant sind. Sie müssen sich in jedem Moment auf eine Bewertung einrichten. Die Anordnung wirkt damit unmittelbar auf die Selbstdisziplin der Personen in den Zellen ein.18

Systeme Im 19. Jahrhundert wurden aufgrund unzureichender finanzieller Mittel die meisten Forderungen nach Howard abgeschafft. Im Laufe des Jahrhunderts entwickelten sich drei Systeme in den USA und in England, die teilweise aufeinander aufbauten oder andere Gefängnisse dieser Zeit stark beeinflussten. Außerdem wandelte sich der Standort aus dem städtischen Kontext in die Peripherie, um für den Rest der Gesellschaft unsichtbarer zu werden. Silent system

Das silent system, auch Auburn System, wurde im Auburn State Prison in Staat New York, errichtet von 1816 bis 1824. Den Tag in Gemeinschaft zu verbringen und die Nacht in der Einzelzelle ist dabei nicht die Neuerung, sondern das Absitzen der gesamten Strafe in absoluter Stille. So wollte man den Willen der Gefangenen brechen und zu Einsicht und Reue führen. Der Ausgang im Hof durfte nur im sogenannten lock step durchgeführt werden, der weder Blickkontakt noch 18

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Körner, 2018, S. 216


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Millbank Penitentiary, 1812-21, London, William Williams

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010

Auburn Prison, Auburn/ New York, 1816-24

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Eastern State Penitantiary, Philadelphia, 1821-36, John Haviland

012

Pentonville Prison, 1840-42, Joshua Jebb

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Gespräche mit den Mitinsassen ermöglichte. In Auburn wurde auch die schwarz-weiß-gestreifte, einheitliche Gefängniskleidung etabliert, die bis heute deren Klischee bestimmt. Bei Ungehorsam drohten den Insassen Körperstrafen, wie Peitschenhiebe. Solitary system „Over the head and face of every prisoner who comes into this melancholy house, a black hood is drawn; and in this dark shroud, an emblem of the curtain dropped between him and the living world, he is led to the cell from which he never again comes forth, until his whole term of imprisonment has expired. ... He is a man buried alive; to be dug out in the slow round of years, and in the meantime dead to everything but torturing anxieties and horrible despair.“

So beschreibt Charles Dickens das Eastern State Penitentiary und das dort angewandte System in seinem Buch American Note im Jahr 1842. Das solitary system gilt als verschärftes silent system und wurde 1829 am Eastern State Penitentiary in den USA, Philadelphia entwickelt. Daher kam auch der Name das pennsylvanischen Systems. Ausgehend von einem Zentralbau erschließen sich die Zellen über strahlenförmige Korridore. Jeder Zelle wurde ein kleiner Hof vorgelagert, in der tagsüber gearbeitet wurde. Die Haft war darauf ausgelegt, durch die strenge Isolation - auch jeglicher Besuch war verboten – Reue und Umkehr zu bewirken. Während des Baus der Anstalt waren die Behörden gezwungen die Anstalt zweigeschossig zu errichten, was zur Folge hatte, dass die Zellen im Obergeschoss nicht mal die Möglichkeit des Austritts und stattdessen lediglich den Blick in den Himmel boten. Separate system

Die anschließende Milderung des solitary systems ist an dem Gefängnis Pentonville, 1842 in London errichtet, ersichtlich. Ursprünglich als Prototyp für künftige Gefängnisbauten in England geplant, gilt es

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nun als das weltweit meist angewandte Gefängniskonzept19. Die halbkreisförmige Halle am Kopfbau ermöglicht einen panoptischen Blick in die vier radial angeordneten, dreigeschossigen Zellenarme. Diese sind nicht, wie zuvor, als Korridore ausformuliert, sondern über Galerien. Obwohl die Insassen nun die Zellen verlassen durften, wurden stattdessen eine andere Art der Isolation vorgeschrieben: Bei Ausgang in den Hof, zum Unterricht oder zur Arbeit trägt er sogenannte Schildmützen. Die Masken verhindern den Sichtkontakt mit anderen Inhaftierten. Durch weitere bauliche Vorrichtungen wird weiterhin isoliert: In der Schule und Kirche werden Holzverschläge, sogenannte stalls, errichtet. Der Innenhof ist mit käfigartigen Spazierbereichen bestückt. Progressive System

In Pentonville wurde auch an einem neuen Haftsystem gearbeitet: Die Isolationshaft war die erste Stufe. Nach neun Monaten Einzelhaft konnten die Gefangenen bei guter Führung zu Gemeinschaftsarbeiten zugelassen werden. Insgesamt gab es dabei drei unterschiedliche Stufen, auf die der Gefangene je nach Verhalten auf- und absteigen konnte. Bei Erreichen der höchsten Stufe konnte die Gesamtlänge der Haft um ein Viertel verkürzt werden, also die erste Form der Bewährung.

Telephone Pole Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich eine weitere typologische Variante des Gefängnisbau, die weite Verbreitung fand und teils bis heute für moderne Bauten angewendet wird. An einen Telegraphenmast erinnernd werden die Zellenflügel dabei links und rechts an einen langen, zentralen Erschließungstrakt angeordnet. Viel mehr als bei den vorhergehenden radialen Gefängnisanlagen weiten sich die neuen Gefängnisanlagen zu einem Gebäudekomplex mit einer weitläufigen, fast siedlungsartigen Struktur aus.20 19

Winkelmann, Förstner, 2007, S. 80

20

Winkelmann, Förstner, 2007, S. 88

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Der Vorläufer dieses Gebäudetypus‘ und, laut Foucault, der Abstieg in unsere modernen Straftheorien und Machtstrukturen21, bildet die Gefängniskolonie Mettray in Frankreich. Die im Jahr 1940 eröffnete Arbeiterkolonie für Jugendliche, die auch durch die erstmalige Spezialisierung auf junge Straftäter eine Besonderheit in der Gefängnisgeschichte darstellt. Die Gefängniskolonie konstituiert aus parallel zueinander liegenden Pavillons, die um eine Mittelachse angeordnet sind und damit einen dörflichen Charakter mit fast urbanen Strukturen größerer Institutionen vorwegnehmen. Zu Beginn fand die Institution hohen Anklang, sie entwickelte sich jedoch bald zu einem unheilsamen Hierarchiesystem mit militärischer Organisation. Dieser Drill und die harten Körperstrafen widersprachen dem ursprünglich angestrebten humanistischen Ziel stark.22 Die bekannteste und für weitere Entwicklungen einflussreichste Anlage des Telephone-Pole-Typs stellt die Gefängniskolonie in Fresnes bei Paris im Jahr 1898 dar. Die Werkstätten, die Kapelle, ein Krankenhaus, der Verwaltungsbau und sonstige Gebäude waren von den Zellentrakten getrennt, so dass lange Wege für Häftlinge und Wärter entstanden. Die Größenordnung von 1650 Häftlingsunterbringungen und die fast unübersichtlichen Anlagen von vielen kleinen Gebäudetrakten, -flügeln und Einzelbauten überholt das Jahrzehnte lange Bestreben, einen möglichst kompakten, effizient von überall überwachbaren Raum zu entwickeln.23

Typologische Varianz Nach dem Typ des Telephone Pole entstand eine Vielzahl von baulichen Strukturen und Strafvollzugsformen. Besonders in den USA werden seit den zwanziger Jahren Gefängnisse auch als Hochhäuser errichtet. Die Vorteile eines Hochhausgefängnisses sind dabei, neben dem hohen Sicherheitsfaktor aufgrund der Höhe, die klassischen Vorzüge eines Hochhauses: Der geringen Fußabdruck und der geringe 21

Foucault, 1977, S. 293

22

www.rdklabor.de, abgerufen am 22.02.2020

23

Winkelmann, Förstner, 2007, S. 90

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Fresnes, telephone pole prison

Konzept Hochhausgefängnis, 1920


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Flächenverlust durch die Erschließung. Die dadurch mögliche Positionierung in der Stadt rechnet sich dabei besonders bei kurzfristigen Aufenthalten, wie bei Untersuchungshaft oder beim Warten auf den Gerichtstermin.24 Ein Beispiel hierfür ist das Chicago Metropolitan Correctional Center von 1976. Die 27 Stockwerke sind auf einem dreieckigem Grundriss organisiert und anstatt der klassischen Gitter vor den Fenstern wird die Fenstergröße einfach zu Schlitzen minimiert. In der Nachkriegszeit wird in westlichen Industriestaaten, wie z.B. Deutschland, Frankreich und Großbrittanien, dem Strafvollzugsziel der Resozialisierung und der Wiedereingliederung des Straftäters in die Gesellschaft eine hohe Priorität eingeräumt. Damit entsteht in dieser Zeit, auch durch die Herausgabe des Buches Prison Architecture des United Nations Social Defence Research Institutes UNSDRI eine „neue Generation“ von Gefängnisbauten25. Um eine intensive individuelle Betreuung zu ermöglichen, wurden nun Gefängnisanlagen in kleinere, voneinander unabhängige Einheiten mit eigenen Gemeinschaftsbereichen unterteilt. Die einzelnen Hafthäuser verfügen über eigene Haftleitung und Betreuer, um so den Stufenstrafvollzug, also den Nachfolger des Progressiven Systems, zu optimieren. Die Haftanstalten bestehen aus einer modularen Addition von polygonalen, quadratischen, drei- oder viereckigen Einheiten, die bewusst nicht symmetrisch oder axial angeordnet sind. Durch die neuen technischen Möglichkeiten der Videoüberwachung, automatischen Türschließung und Bewegungsmelder wird die Notwendigkeit der Einsichtigkeit von einer Perspektive aus obsolet und bieten eine gewisse Freiheit für die formal-strukturelle Gestaltung moderner Gefängnisse. Die meisten Justizvollzugsanstalten Deutschlands bestanden aus nicht mehr als vier Stockwerken hohen Zellentrakten, die in einem Raster oder einer Kammstruktur angeordnet sind. Auffällig sind dabei die starken Farbakzente und die doch anspruchsvolle architektonische Gestaltung der Fassaden. Ihre architektonische Formensprache gab keinerlei Aufschluss über ihre Funktion. Wenn man also von der Sicher24

Di Gennaro, 1970, S. 30

25

Fairweather, 2000, S. 34

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heitstechnik und den Sperrvorrichtungen absehe, könnten sie äußerlich auch Büro- oder Lagerhäuser sein. The ‘non-places for non-people’ and likened to the pure logistical concerns of an‘amazon warehouse’, with associated dehumanising effects.26

In den sechziger Jahren gab es ein weiteres Mal eine Reformbewegung zugunsten der Gefangenen. Ein wesentliches Ergebnis in diesem Wandlungsprozess war die Abkehr von der Vorstellung einer „anlagebedingten Unverbesserlichkeit“. Der Rückfalldelinquent galt also nicht mehr als „Täter aus Erbanlage“, sondern als „Opfer der Gesellschaft“27. Im Jahr 2006 wurde im Rahmen der Föderalismusreform die Aufgabe der Strafjustiz vom Bund an die Länder gegeben. Dies führt zu einer enormen Ungleichheit der Bedingungen für Inhaftierte innerhalb Deutschlands. Viele der Justizvollzugsanstalten, die im 19. oder 20. Jahrhundert errichtet worden sind, wurden trotz der neuen Erkenntnisse und der Humanisierung des Systems nicht den neuen Standards angepasst. So kam es oft vor, dass Gefängnisgebäude den Charakter der Repression oder Isolation nie verloren.28

26

Karthaus ,Block, Hu, 2019, S. 198

27

Baumann, 2006, S. 377

28

Frank, 20.02.2020

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JVA Moabit, 2018

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i n c a r c e rat i o n


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Wie sollen sich Menschen in einer Atmosphäre, die sich täglich wie ein Minenfeld anfühlt, zum Positiven verändern? Pedro Holzhey

Hohe Mauern, ein Abschluss aus Klingendraht. Dahinter karge Betonhöfe. Das Gefängnis als Konstrukt ist immer noch jedem geläufig, obwohl man meist nur wenige Berührungspunkte damit hatte. Ob dies daran liegt, dass man hin und wieder die massiven Mauern eines städtischen Gefängnisses passierte oder aufgrund der zahlreichen Darstellungen aus Film und Fernsehen. Seit jeher ist einem das Wort ein Begriff und man besitzt eine recht klare Vorstellung, wie ein Gefängnis von innen aussehen hat. Das Gefängnis setzte Menschen fest, die sich nicht an die Regeln der Gesellschaft gehalten haben und daher zumindest zeitweise von dieser getrennt werden. Durch die Beeinflussung der Medien und die Positionierung der Gefängnisse fernab des Sichtbaren, blieb bei vielen ein klischeehaftes Bild hängen, das mit der Realität nur wenig zu tun hatte. Das Wort incarceration beschreibt den Zustand des Gefangenseins, des Entzugs der Freiheit. Die persönliche Freiheit, das höchste Gut in der Demokratie, wird damit eingeschränkt, um die Freiheit und Sicherheit der restlichen Gesellschaft zu schützen - ein ideologischer Akt. Durch den Resozialisierungsgrundsatz wurde versucht, diesen Einschnitt zu legitimieren. Um der Gesellschaft jedoch ein Bild von Sicherheit zu vermitteln, verschwanden diese Einrichtungen hinter den zuvor beschriebenen Mauern.

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Prisoners are the community. They come from the community, they return to it. Protection of prisoners is protection of our communities.1

Grundsätzlich hatte das Gefängnis folgende drei Funktionen: Es sollte die Öffentlichkeit schützen, die verurteilte Person bestrafen und sie zusätzlich für die Zukunft in Freiheit rehabilitieren. Letzteres hat man auch versucht durch Abschreckung zu erreichen. Die Erreichung einer abschreckenden Wirkung wurde jedoch bereits damals stark angezweifelt, da dadurch die Wirksamkeit der Rehabilitierungsmaßnahmen reduziert wurde und die straffällige Person meist davon ausging, beim nächsten Mal nicht erwischt zu werden2. Die höchsten Richter in Karlsruhe hatten im Jahr 2006 festgestellt, dass Resozialisierung den besten Schutz vor neuen Straftaten biete. Damals wurden 96% der Inhaftierten nach Absitzen ihrer Gefängnisstrafe wieder in Freiheit entlassen3. Der Sicherheit der Allgemeinheit wäre also am besten gedient, wenn die Resozialisierung erfolgreich ist.4 Das Gefängnis und die dort zu verbüßende Freiheitsstrafe sind entwickelt worden, um zu vergelten. Die Legitimation der negativen, fast schon zerstörerische Folgen, die daraus entstanden, begründeten sich durch den altertümlichen Kerngedanken in der Entstehung5: Wer entgegen den Normen der Gesellschaften handelt, müsse bestraft werden. Da körperliche Sanktionen oder gar die Todesstrafe bereits als inhuman galten, übernahm man den Entzug der Freiheit als Sanktionsmittel. Man nahm der gefangenen Person ihren freien Willen, die Selbstbestimmung und das grundlegende Recht auf Freiheit. A prison sentence means intentionally inflicted suffering. It is not an error or a side effect (...) of an otherwise positive action.6

1

Stöver, 2010

2

Maelicke, 2015, S. 14

3

Maelicke, 2015, S. 16

4

Prantl, Heribert (14.08.2016): Haft ist nicht gleich Haft, Süddeutsche Zeitung

5

Siehe hierfür im Kapitel history, S. 96 ff.

6

Ferrari, Pavarini 2018, S. 187

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prison

Trotz der in den 2020er Jahren humanen Grundsätze und Entwicklungen sowie ständiger Reformen7, hat sich der vergeltende Grundcharakter nicht aus der Institution verabschiedet. Die angestrebten Ziele der Institution Gefängnis waren der Schutz der Gesellschaft, Abschreckung potentieller Straftäter und eine Art Generalprävention, da viele aus Furcht vor Strafe gar nicht erst in Versuchung gerieten, eine Straftat zu begehen. Ein wesentliches Ziel war jedoch die Bestrafung und gleichzeitige Resozialisierung. Gerade letzteres konnte in der damaligen Institution Gefängnis so nicht mehr umgesetzt werden, weil der Strafcharakter überwog8. Auch durch eine kriminelle Tat, darf eine Person nicht ihre Rechte oder ihren Platz in der Gesellschaft verlieren. Die Debatte wurde international relevant, obwohl anzumerken ist, dass die Standards von Land zu Land abwichen. Die Aberkennung zumindest einiger Menschenrechte bei Strafantritt blieb allerdings permanent erhalten. Da die Institution Gefängnis die Ziele des Strafvollzugs nicht erreichte, ereignete sich Mitte der 2020er Jahre der Paradigmenwechsel: Strafe verhindert Besserung des Verhaltens und der Situation, die das Verhalten begründete. Um die lang überfällige Entwicklung nachvollziehen zu können, müssen die Probleme der Institution, wie sie zuvor bestand, erläutert und die Grundpfeiler der Verbesserung, sowie die Humanisierung der Reaktion auf Delinquenz aufgezeigt werden. Postprison beschreibt eine neue Epoche des Umgangs mit Kriminalität, Prison den Auslöser. Um die unerreichten Ziele und negativen Auswirkungen einer Freiheitsstrafe, beziehungsweise den Aufenthalt im Gefängnis auf Täter:innen und die Gesellschaft zu beenden, mussten sie zuerst als solche definiert werden. Zu differenzieren ist dabei zwischen den Charakteristika, die ein Gefängnis ausmachte, sowie den zwangsläufig daraus resultierenden Strukturen.

7

Ramsbrock 2020, S. 297

8

Ferrari, Pavarini 2018,S. 174

87


fo r m e r f u n c t i o n s

Bestrafung

Wirtschaftlichkeit

Abschreckung

Totale Institution

Ăœberwachung & Kontrolle


Negative Charakteristiken der Institution Gefängnis sind bedingt durch mehrere Faktoren: Während der Strafcharakter und die Abschreckung sich direkt negativ auf die Gefangenen auswirken sollten, sind die wirtschaftlichen Faktoren, die Züge der totalen Institution und die der Überwachung eher Folgen aus dem System. Aus diesen Begebenheiten entwickelten sich Machtungleichheiten, ein fruchtbarer Boden für rassistische und sexuelle Gewalt, Diskriminierung und Unterdrückung. Hinsichtlich der Tendenz, dass der Großteil aller Gefangenen nach einer gewissen Zeit wieder in Freiheit leben würde1, ein sehr widersprüchlicher Fakt.

Bestrafung To punish means to intentionally inflict pain upon norm breakers and to make them suffer for what they did. The deeper motive of punishment might be vengeance or retribution, but the social function is always the stabilization of the normative order in the face of threats to the validity of norms occasioned by their violation.2

Strafe galt seit Jahrhunderten als das übliche Mittel, um mit unerwünschtem Verhalten umzugehen. Sie kann dabei unterschiedliche Zwecke verfolgen: einerseits straft sie durch Verlust der Macht, also durch Repression und Kontrolle, andererseits stellt sie einen symbolischen Akt dar, der den Regelbruch und die daraus entstandenen Verletzungen korrigieren soll3. Sie stellt damit eine Form der Vergeltung dar, womit der vorherige Zustand durch die Strafe nicht erreicht werden kann4. In der Natur des Gefängnisses ist die Strafe fest verankert und 1

Laut Maelicke, 2019, erlange etwa 96 % der Inhaftierten wieder die Freiheit, mehr als 40% bereits nach weniger als einem Jahr.

2

Ferrari, Pavarini, 1028, S. 42

3

Bögelein, 2015, S. 21

4

Zu differenzieren ist dabei die Kompensation: Geht es beispielsweise um eine entwendete Geldsumme, so kann der Verlust mit einer Rückzahlung kompensiert werden, dabei handelt es sich dann nicht um eine Strafe, sondern um Schadensersatz oder Wiedergutmachung. Hoerster, 2012, S. 12

89


lässt sich nicht davon lösen. Auch wenn sie seit der Aufklärung und besonders im 20. Jahrhundert durch die Resozialisierung modernisiert und akzeptabler gemacht wurde, blieb die Strafe überzogen, da sie sich nicht nur auf die körperliche Freiheit bezog. Sie verursachte Leid, verbessert aber die Gesellschaft nicht. Dennoch wurde sie hingenommen, weil sie vom Staat erteilt wurde. It is intolerable that the penal justice system practically functions only as a kind of „dispenser of suffering“. To inflict pain, even to the author of a massacre, is useless because it does not contribute in any way to the improvement of society.5

Die Überzogenheit zeigt sich besonders durch die automatische Bestrafung Dritter. Partner oder Kinder, die bei einem Haftantritt zurück gelassen wurden, hatten meist mit ähnlichen Konsequenzen, wie der materiellen Unsicherheit oder der Stigmatisierung, zu kämpfen. Until the punitive paradigm of the criminal justice system is replaced with one of rehabilitation, familiar humiliations will be housed in different spaces.6

Es wurde klar, dass ohne die Abwendung von der Strafe, niemals ein positiver Effekt im Umgang mit Delinquenz erreichbar ist. Nach psychologischen Erkenntnissen ist Strafe allgemein menschenfeindlich und grundsätzlich mit einem inhumanen Menschenbild verknüpft7.

Totale Institution Der Begriff der totalen Institution wurde in den 1960er Jahren durch Ervin Goffman eingeführt und hat sich im Anschluss schnell als Fachbegriff in der Soziologie durchgesetzt8. Er beschreibt einen Raum, 5

Ferrari, Pavarini 2018, S. 183

6

Himada, Lee 20114, S. 132

7

Ahlheim, 1986, S. 210

8

Stöver, 2010

90


der zumindest für eine gewisse Zeit von der restlichen Gesellschaft getrennt ist und eigenen, von der Außenwelt losgelösten, strikt geplanten Abläufen folgt9. Die Tätigkeiten, die innerhalb der Institution ausgeführt werden, dienen einzig dem Ziel sie auszuführen. Totale Institutionen sind gekennzeichnet von stark ausgeprägten hierarchischen Strukturen und daraus entstehenden Subkulturen, so wie im Gefängnis. Die totale Institution arbeitet gegen das Individuum, da sie versucht, die über die breite Masse zu bestimmen und sie zu kontrollieren.

Überwachung und Kontrolle Eng verbunden mit der Charakteristik der totalen Institution bedeutet das Gefängnis permanente Überwachung begründet durch das Sicherheitsbedürfnis der Gesellschaft, ebenso wie der Notwendigkeit der Unterbringung von vielen hundert Inhaftierten. Dieses Grundprinzip des Gefängniskomplexes – den Drang alles und jeden innerhalb zu kontrollieren – verursacht ein immenses Aufkommen an Sicherheitskontrollen und Personen, die diese durchführen. Im Kapitel Panoptismus wird darauf näher eingegangen10. Um die Kontrolle erfolgreich umsetzen zu können, braucht es wiederum detaillierte und konsequent durchgeführt Zeitpläne, die eine extreme Monotonie verursachen. Die Häftlinge werden jeden Morgen geweckt, bekommen Vollpension, haben nur gleichgeschlechtliche Kontakte. Alles ist reglementiert, die totale Kontrolle. Was sie lernen, befähigt sie in erster Linie zum Überleben im Knast. Wenn sie entlassen werden, sollen sie dann plötzlich Verantwortung für ihr Leben übernehmen. Wie soll das funktionieren?11

Wirtschaftlichkeit 9

Goffman, 1961, S. 13 f.

10

Siehe hierfür im Kapitel context ab S. 86 ff.

11

Fischhaber, 05.06.2019, Süddeutsche Zeitung

91


Auch das Gefängnis muss finanziert werden. In den 2020er Jahren wurde pro Person in Haft ca. 140€12 pro Tag im europaweiten Schnitt ausgegeben. Da diese Kosten von Steuergeldern finanziert wurden – immerhin entgegen der (Teil-)Privatisierung, die zu Kapitalmaximierung auf Kosten der Inhaftierten ausgetragen worden wäre –, besteht selbstredend ein Interesse, die Kosten möglichst gering zu halten. Im Gegensatz zu beispielsweise Schulsanierungen, rückten Investitionen von Justizvollzugsanstalten trotz unbedingter Notwendigkeit oft in den Hintergrund. Der Wirtschaftsgedanke, also die Gewinnmaximierung, steht in direktem Kontrast zur Entfaltung von Individualität und Menschlichkeit.

Abschreckung Der abschreckende Charakter ist untrennbar mit der Idee des Gefängnisses verwoben, ebenso wie die daraus resultierenden negative Folgen. Die Abschreckung besteht aus zwei unterschiedliche Formen. Zum einen die „Generalprävention“, nach der Personen durch die reine Existenz des Gefängnisses bereits vor der kriminellen Taten davon ablassen. Zum anderen versucht sie die Verminderung des Risikos, eine weitere Tat zu begehen. Der Erfolg der Abschreckung konnte nicht bewiesen werden13, da die meisten Gewalttaten aus dem Affekt und einer Auswegslosigkeit heraus passierten14. Noch dazu bewiesen die Rückfallquoten in Deutschland15, dass Abschreckung nicht ausreichend funktionierte.

12

SPACE, 2019, S. 125

13

Großekathöfer, 25.02.2020

14

Maelicke, 2018, S. 187

15

48 % auf Bundesebene zwischen den Jahren 2004 und 2013, ganz zu schweigen von den Taten, die nicht erfasst werden. Maelicke, 2018, S. 205

92


Most people who refrain from problematic conducts do so for reasons unconnected to the penal law.16

Mit dem Bau von Gebäuden eine abschreckende Wirkung erzielen zu wollen, ist ebenso sinnlos und hat in der Folge eher negative Auswirkungen auf Heilung und Resozialisierung. Dient die architektonische Ausarbeitung dennoch einem solchen Zweck, so führt sie lediglich zur Förderung eines ungesunden Klimas und gewalttätigen Verhaltens.

16

Matthiesen, 1990, S. 12

93


impact Macht und Hierarchie

Zwangsarbeit

Abschottung

(Un-) Sicherheit

punishment vs. rehabilitation

Diskriminierung

economic efficiency vs. individual

Subkultur Ăœberzogener Strafcharakter

Stigmatisierung


Die Charakteristiken des Strafvollzugs wirkten sich in stark negativer Form auf die beteiligten Personen aus. Die Auswirkungen machten Täter:innen zu Opfern des Systems und begrenzten die Möglichkeiten, wieder Anschluss an das gesellschaftliche Leben zu finden. Die Institution Gefängnis ist an der Nichterreichung ihrer Ziele gescheitert und konnte daher nicht weiter existieren. You cannot teach people to be free in captivity.1

punishment vs. rehabilitation Auch wenn der Heilungsprozess und die Resozialisierung seit der Nachkriegszeit des Zweiten Weltkrieges in den Vordergrund rückte, so verschwand sie im Laufe der Zeit wieder im Schatten des Strafens. Die Idee der Rehabilitierung habe dem Wunsch nach Vergeltung weichen müssen, die Praxis der Therapie sei durch die der Wegsperrung ersetzt worden, so auch Ramsbrock in ihrem Buch Geschlossene Gesellschaft.2 Die Bestrafung als Erziehungsmethode gilt in der Soziologie ohnehin weder abschreckend, noch bessernd3. Dass die Strafe einer Resozialisierung nicht zuträglich ist, liegt in der Gesamtheit ihrer negativen Auswirkungen. Sie spricht dem Bestraften das Potential zur Besserung und Heilung von vorneherein ab. Es drängt sich die Frage auf, wie eine Besserung der Situation eintreten kann, wenn die Resozialisierung unter solch negativen Vorzeichen beginnt.

Überzogener Strafcharakter Während in den vorher beschriebenen Funktionen des Gefängnisses die Strafe als Legitimierung für die Institution Gefängnis aufgeführt wurde, geht es hier um die über den Entzug der körperlichen 1

Ferrari, Pavarini 2018, S. 213

2

Ramsbrock, 2020, S. 297

3

Mingus, Transform Harm

95


Freiheit hinaus entstehenden Strafen. Auch verurteilte Straftäter:innen sollten ihre Würde und ihre verbrieften Menschenrechte nicht verlieren4. The idea of imprisonment ist not to drive the culprit into desperation, deprivation, and destruction.5

Der überzogene Strafcharakter verhinderte die Übermittlung der Werte einer freien und demokratischen Gesellschaft. Er verursachte Zwangsarbeit, war nicht wirtschaftlich vollziehbar und trug zur Verschlechterung des Lebens unschuldiger Dritter bei.

Diskriminierung It would be an act of honesty to rename prison institutions as houses for the poor.6

Personen, die eine Freiheitsstrafe antraten, kamen meist aus den unteren, armen Schichten der Gesellschaft, besaßen einen geringen Bildungsstand und befanden sich häufig in Arbeitslosigkeit. Viele Verbrechen sind und waren auch damals oft durch Armut begründet. Dadurch entstand eine stärkere Verbindung zwischen Armut und Gefängnis, als zwischen Gefährlichkeit und Gefängnis. So, wie die Gefängnisstrukturen und -regularien bestanden, verstärkten sie die Armut der Personen während der Haft und nahmen ihnen die Möglichkeit in ein Leben ohne Armut zurückzukehren. Das Fehlen oder der Verlust einer Krankenversicherung und einer adäquaten Altersvorsorge zur Zeit der Haft verstärkte die soziale Diskriminierung erheblich. Besonders in den Vereinigten Staaten wurde der Rassismus in Haftanstalten sehr deutlich. Viele der Gefängnisse sind aus ehemaligen Sklavenfarmen entstanden7 und die Gefängnispopulation bestand zu 4

Ferrari, Pavarini, 2018, S. 28

5

Ferrari, Pavarini, 2018, S. 28

6

Ferrari, Pavarini, 2018, S. 91

7

Zum Beispiel das Louisiana State Penitentiary, auch Angola genannt. Telley, 2011

96


33% aus Schwarzen, während sie nur 12% der Gesamtpopulation der Vereinigten Staaten ausmachten8. Auch innerhalb der Gefängnisse waren Diskriminierung und Rassismus an der Tagesordnung. Darauf wird unter dem Punkt „Subkultur“ stärker eingegangen.

Machtgefälle Bestrafung bedeutet Hierarchie: Die dominante Instanz sanktioniert die Untergeordnete und kann dies nur aufgrund der Rangordnung. Das Machtgefälle ist in der Institution Gefängnis omnipräsent. The prison system is geared up to divide. It’s controlling and terrifying, and ends up encouraging more division.9

In den meisten Fällen liegen Taten (sexueller) Gewalt Machtungleichheiten oder objektivierende soziale Strukturen zugrunde. Isolation und Demütigung tragen zur Machtungleichheit weiter bei und verstärken das Machtgefälle. Eine Person, die permanent unausgeglichenen Machtverhältnissen ausgesetzt ist, wird diese auch immer auf andere projizieren. Viele (Gewalt-)Verbrechen geschahen zum Etablieren von Macht. Allgemein entstanden durch die bestehenden Strukturen soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten. Kriminalität passierte in allen Gesellschaftsschichten, Nationalitäten und in jeder Nachbarschaft, obwohl das Lösen von (wirtschaftlichen) Problemen abhängig von Alter, Geschlecht und wirtschaftlichem Status variierte, genau wie die Schwere dieser Probleme. Gleich blieb nur die Basis an Werten, durch die illegale Optionen den legalen vorgezogen werden. The dominant culture is the predominant key to crime.10

8

Gramlich, 30.04.2019

9

Parker, 17.12.2019

10

Prison Research Education Action Project, 1976

97


Nur die potentielle Veränderungen der Sozialstrukturen innerhalb der Gesellschaft kann die Vorkommnisse der Kriminalität langfristig reduzieren.

Zwangsarbeit Neither slavery nor involuntary servitude, except as a punishment for crime whereof the party shall have been duly convicted, shall exist within the United States, or any place subject to their jurisdiction.11

Mit dem 13. Zusatzartikel zur Verfassung der USA wurde die Sklaverei abgeschafft – mit Ausnahme für Personen, die eine kriminelle Tat begangen haben12. Obwohl es diese Klausel in Europa nicht gibt, herrschten in den europäischen Haftanstalten jedoch ebenfalls erzwungene Arbeitsverhältnisse vor. Dem Häftling war eine bestimmte Arbeit mit enorm niedriger Bezahlung13 vorgeschrieben. Bereits in den 1960er Jahren gab es Bestrebungen, einen an den Mindestlohn angepassten Arbeitslohn, der es ermöglichte beispielsweise in die Rentenversicherung einzuzahlen, einzuführen14. Diese Entwicklung geriet jedoch in Vergessenheit. Weitere motivierende Faktoren wie beispielsweise eine gewisse zeitliche Freizügigkeit bei der Ausübung der Arbeit wurde zugunsten von Sicherheitsvorkehrungen nicht gewährt. Dadurch entstand ein Teufelskreis: Die häufigste Ursache für Kriminalität, nämlich Armut, kann mit geringen Löhnen nicht überwunden werden. Noch dazu wurde der Eindruck übermittelt, dass legale Arbeit sich nicht lohne15.

11

Artikel XIII, Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika, 1787

12

Artikel XIII, Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika, 1787

13 Ott, SZ, 16.04.2019: Der Stundenlohn in Deutschland betrug zwischen einem und drei Euro, während der reguläre Mindestlohn zur selben Zeit bei 9,19€ lag, obwohl die Tätigkeiten teilweise die gleichen wie „draußen“ waren. 14

Kotynek, Lebert, Müller, DIe Zeit, 16.08.2012

15

Ferrari, Pavarini, 2018, S. 29

98


Subkultur Die Subkultur ist ein kompliziertes Konstrukt, das mit dem System Strafvollzug untrennbar verwoben ist. Wo Unfreiheit herrscht, wird es immer einen mächtigen Drang nach Freiheit geben. Nach allem, was verboten ist.16

In Haftanstalten wurde von einer Schule der Kriminalität gesprochen17, so Manuel Matzke, der Vorsitzende der GG/BO18. Das Gefängnis fördert Angst und Kriminalität und schafft einen fruchtbaren Boden für Subkulturen, die für eine ganz eigene Dynamik unter den Gefangenen sorge. Es entstand eine Eigendynamik der Kontrolle unter den Inhaftierten durch erzwungene Verhaltensweisen, sowie Waren- und Drogenhandel. Trotz hoher Sicherheitsstandards und Abschottung von der Außenwelt gelangten immer wieder Sucht- und Betäubungsmittel ins Innere, die dem Ziel der Rehabilitierung entgegen wirkten. Zudem wurde während einer Freiheitsstrafe die Sexualität des Gefangenen durch erzwungene Enthaltsamkeit unterdrückt. Zwangshomosexualität, Vergewaltigung und Etablierung von Macht innerhalb der Subkulturen stellten ein häufiges Ventil für diesen künstlich erzeugten Druck dar19.

(Un-) Sicherheit Für die einen ist das Gefängnis ein Garant für Sicherheit, für die anderen stellt es die Institution dar, die Gerechtigkeit schafft, und wieder andere sehen in ihm eine Resozialisierungschance. In jedem Fall verspricht das Gefängnis die Erfüllung vieler Wünsche, die man an den Rechtsstaat haben kann, und beruhigt viele Ängste. Was das Gefängnis in Wirklichkeit bewirkt oder überhaupt 16

Kotynek, Lebert, Müller 16.08.2012, S. 04

17

Adiyaman, Gizem; Luciano, Lúcia, 07.05.2020

18 GG/BO: Die Gefangenengewerkschaft /Bundesweite Organisation ist eine 2014 in der JVA Tegel gegründete Vereinigung, die sich für die Bedürfnisse und Rechte Gefangener einsetzt. 19

Kotynek, Lebert, Müller, 16.08.2020

99


bewirken kann, spielt dabei keine große Rolle.20

Sicherheit bedeutet materielles und seelisches Wohlbefinden, Vertrauen in die Zukunft und die Freiheit von Furcht. Jeder Mensch hat ein Grundbedürfnis danach, und dies zu gewährleisten, macht sich jede Regierung (unabhängig von den Mitteln) zur Aufgabe. Die Sicherheit, die das Gefängnis symbolisiert, ist durchaus ein wichtiger Faktor für die Gesellschaft. Das Wegsperren von Kriminellen bedeutet, dass sie dem Alltag entzogen sind und keine unmittelbare Gefahr mehr darstellen. Dabei wird häufig vernachlässigt, dass die meisten Strafgefangenen irgendwann wieder entlassen werden21. Es handelte sich lediglich um eine scheinbare Sicherheit, mit der man in Kauf nahm, dass Strafgefangene den anderen hier beschriebenen Faktoren und Zuständen ausgesetzt wurden.

Abschottung Die Abschottung von Gefangenen oder Gefängnissen selbst hat sich in keiner Weise als praktikabel erwiesen. Die Notwendigkeit der logistischen Abschottung wird mit der potentiellen Fluchtgefahr begründet. Sie dient aber auch der Unsichtbarmachung gegenüber der Gesellschaft. Die durch die für notwendig gehaltenen Sicherheitskontrollen innerhalb verursachten zudem die Isolation und Entfremdung von Familie, Freunden und Alltag. Abschottung geht über in komplette Überwachung und Kontrolle. Fluchtversuche, Gewalt und Drogenkonsum erhöhten die Bemühungen zu noch stärkerer Abschottung und verursachten hohe Personalkosten und Kosten für Sicherheitsvorkehrungen. Die daraus entstandenen, stark reglementierten Abläufe schränkten die Selbstbestimmung der Gefangenen weiter ein.

20

Galli, 2020, S. 102

21

Maelicke, 2019, S. 18

100


Economic Efficiency vs. Individual In den USA beispielsweise hatte sich der Begriff prison industrial complex etabliert22. Er beschreibt die zunehmende Privatisierung von Gefängnissen zur Gewinnmaximierung. Dadurch wurde das Interesse von beispielsweise Hersteller:innen von Electronic Monitoring23-Systemen verstärkt, dass möglichst viele Menschen zum Tragen von elektronischen Fußfesseln verurteilt wurden. Der prison industrial complex profitierte von der Ausnutzung der Gefangenen. Für diese Praxis wurde der Begriff human warehousing verwendet. Zunächst nur für die Unterbringung alter Menschen in einer Pflegeeinrichtung gedacht, beschrieb er auch die Verwahrung von Menschen in einem industriell genutzten Gebäude. Ein privatisiertes Gefängnis ist nur profitabel bei voller Auslastung.24 Auch wenn es zur Privatisierung von Gefängnissen in Europa nur in den seltensten Fällen gekommen war, so bestimmte die wirtschaftliche Fähigkeit der Institution dennoch in vollem Umfang das Leben der Inhaftierten.

Stigmatisierung After a period of detention incarcerated individuals who were unemployed before, become unemployable.25

Das Verbüßen einer Freiheitsstrafe bedeutete immer auch Stigmatisierung des Gefangenen. Nach der Strafe eine Arbeit zu finden, wurde dadurch erheblich erschwert. Dies aber trug zur Erhöhung der Rückfallquote bei, da ohne Arbeit wieder die Armut drohte. Vorurteile gegenüber ehemaligen Strafgefangenen mussten erst in der Gesellschaft abgebaut werden, damit ehemaligen Strafgefangenen eine zweite Chance gegeben werden konnte. 22 Kay, 23.03.2013 23

Das Verwenden von elektronischen Fußfesseln in den Vereinigten Staaten

24 Kay, 23.03.2013 25

Ferrari, Pavarini, 2018, S. 104

101



Verurteilte in Deutschland

712 333 Personen

Strafe der Verurteilten

92,8%

7,2% Gedlstrafe | Freiheitsstrafe

Verurteilte in Deutschland Art der Straftat

712 333 Personen 3,6%

15%

42,3%

9%

22,8%

7,3%

Gegen ... den Staat | die Person | das Vermögen | Betäubungsmittelgesetz | Straßenverkehr | Sonstiges

Strafe der Verurteilten Strafgefangene in Deutschland Art der Straftat Verhältnis nach Geschlecht

92,8%

7,2%

50 589 Personen

3,6%

15%

42,3%

Gedlstrafe | Freiheitsstrafe

9%

22,8%

7,3%

94,2% 5,8% Gegen ... den Staat | die Person | das Vermögen | Betäubungsmittelgesetz | Straßenverkehr | Sonstiges Männliche Strafgefangene | Weibleiche Strafgefangene

Strafgefangene in Deutschland Verhältnis nach Alter

50 589 Personen

0,9% 3,8%

26,8%

15%

53,5%

14 bis 18 Jahre | 18 bis 21 Jahre | 21 bis 30 Jahre | 30 bis 50 Jahre | 50 und älter

Verhältnis nach Geschlecht

94,2%

Verhältnis nach Art des Vollzugs

91,1%

Freiheitsstrafe | Jugendstrafe | Sicherheitsverwahrung

0,9%

Verhältnis nach Alter

5,8% 1,1% 7,8% Männliche Strafgefangene | Weibleiche Strafgefangene

3,8%

26,8%

53,5%

15%

84,5% 14 bis 18 Jahre | 18 bis 21 Jahre | 21 bis 30 Jahre | 30 bis 50 Jahre |15,5% 50 und älter Geschlossender Vollzug | Offener Vollzug

1,1%

Verhältnis nach Art des Vollzugs Verhältnis nach Vollzugsdauer

91,1% 11,2%

33,8%

7,8% 43,1% 7,3% 4,6% Freiheitsstrafe | Jugendstrafe | Sicherheitsverwahrung

bis 3 Monate | 3 Monate bis 1 Jahr | 1 Jahr bis 5 Jahre | 5 Jahre bis 15 Jahre | lebenslang

84,5%

Verhältnis nach Vorstrafen

15,5%

68,3%

31,7% | Offener Vollzug Geschlossender Vollzug Mit Vorstrafe | Ohne Vorstrafe

Verhältnis nach Vollzugsdauer

11,2%

33,8%

Verhältnis nach Vollzugsdauer

11,2%

33,8% bis 3 Monate

43,1%

7,3% 4,6%

43,1% 4,6% | 3 Monate bis 1 Jahr | 1 Jahr bis 5 Jahre | 5 Jahre bis 15 Jahre 7,3% | lebenslang

bis 3 Monate | 3 Monate bis 1 Jahr | 1 Jahr bis 5 Jahre | 5 Jahre bis 15 Jahre | lebenslang

Verhältnis nach Vorstrafen

68,3%

Wiedereinlieferung

10,8%

Verhältnis nach Vollzugsdauer

11,2%

6,8%

12,2%

31,7%

9,4%

61,5%

Mit Vorstrafe | Ohne Vorstrafe

im 1. Jahr | im 2. Jahr | im 3. bis 5. Jahr | im 6. Jahr und später | nie

33,8%

43,1%

7,3% 4,6%

bis 3 Monate | 3 Monate bis 1 Jahr | 1 Jahr bis 5 Jahre | 5 Jahre bis 15 Jahre | lebenslang

Wiedereinlieferung

10,8%

6,8%

12,2%

9,4%

61,5% im 1. Jahr | im 2. Jahr | im 3. bis 5. Jahr | im 6. Jahr und später | nie

2019: Statistisches Bundesamt Deutschland, Fachserie Strafvollzug

103


abolitionism


prison

I feel the prison system is not separate from these bigger issues already creating power relations on the ground that further cause violence to communities of colour. Nasrim Himada in The Funambulist

Der Begriff „Abolitionismus“ stammt aus dem lateinischen und bedeutet „Abschaffung“ oder „Aufhebung“. Er beschreibt ursprünglich die weltweite Bewegung zur Abschaffung der Sklaverei ab der Mitte des 18. Jahrhunderts. Vor allem seit den 1970er Jahren wurde der Begriff auch im kriminalsoziologischen Sinne verwendet. In diesem Falle wurde er von Gegnern der Anwendung von Folter, des Vollzugs der Todesstrafe und der Verhängung von Gefängnisstrafen verwendet. Die Abolitionist:innen forderten den vollständigen Verzicht auf die Institution Gefängnis, da sie der Meinung waren, dass nicht der Staat sondern das Opfer die einzige Institution sein könnte, eine geeignete Strafe bzw. einen angemesseneren Täter-Opfer-Ausgleich festzusetzen. Durch seinen Ursprung im Kolonialismus beschreibt der Begriff Abolitionismus auch die Logik repressiver Systeme im Umfeld von Rassismus und Sexismus. Prison, we have been taught, is a necessary evil. This is wrong. Prison is an artificial, human invention, not a fact of life; a throwback to primitive times, and a blot upon the species. As such, it must be destroyed. Prison Research Education Action Project

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Vor allem seit den späten 1960er Jahren trat die Resozialisierung als herausragendes Vollzugsziel in den Vordergrund. Durch die Definition des damaligen Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) 1973 wurde die Resozialisierung als „die Wiedereingliederung des Straftäters in die Gesellschaft“1 definiert und als das „herausragende Ziel“ des Vollzuges von Freiheitsstrafen festgeschrieben. „Die Verfassung gebietet es, den Strafvollzug auf das Ziel der Resozialisierung auszurichten. Der einzelne Gefangene hat einen grundrechtlichen Anspruch darauf. Dieses Gebot folgt aus dem Selbstverständnis einer Rechtsgemeinschaft, die Menschenwürde in den Mittelpunkt ihrer Wertordnung stellt und dem Sozialstaatsprinzip verpflichtet ist“2. Faktisch hat sich zwar die Humanisierung im Strafvollzug durch den Resozialisierungsgedanken verbessert, jedoch stand der „Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten“ meist im Vordergrund.3 Abolitionismus ist die radikale Ablehnung als menschenunwürdig erkannter Institutionen. Historisch betrachtet hat eine abolitionistische Haltung ihren Ausdruck in der Forderung nach Abschaffung von Praktiken und Institutionen gefunden, in denen der Mensch ein geknechtetes, ein verächtliches, ein wertloses Wesen ist. Exemplarisch hierfür standen und stehen z.B. Forderungen nach Abschaffung der Sklaverei, der Folter oder der Todesstrafe, deren vollständige oder teilweise Beseitigung uns ermutigt, eine weitere Institution in dieses abolitionistische Bestreben einzubeziehen. Das vorliegende Manifest konzentriert sich auf den Strafvollzug in Gefängnissen, stellt aber auch die Strafe als solche in Frage.4

1

BVerfGE 35, 202, 235

2

Quelle: BVerfGE 98, 169, 200 ff.

3

Puschke, 30.03.2011

4 Gefängnisseelsorge

106


prison

Kritik am Freiheitsentzug In den 2010er und 20er Jahren wurden Stimmen laut, die die Institution Gefängnis als nicht zielführend bezeichneten. Trotz enormer Kosten in Höhe von vier Milliarden Euro jährlich in Deutschland würden 50% der entlassenen Strafgefangenen wieder rückfällig5. Der Verlust von Arbeitsplatz und Familie, der eigenen Selbstständigkeit und die Entwicklung von Minderwertigkeitsgefühlen begründen diese Kritik.6 Die hohen Rückfallquoten bestätigten diese Annahmen. Im Gefängnis gäbe es Drogen und eine gewalttätige Subkultur, der sich keiner entziehen könne und die Häftlinge noch mehr kriminalisiert, so damals der Resozialisierungsexperte Bernd Maelicke in seinem Interview mit der Süddeutschen Zeitung7. Der ehemalige Gefängnisdirektor Thomas Galli schlug vor, die existierenden Gefängnismaschinen eher zu kleineren Unterbringungsmöglichkeiten mit der Möglichkeit einer psychologischen Betreuung umzuwandeln8. Sowohl Maelicke als auch Galli räumen jedoch ein, dass es dennoch kriminelle Personen gibt, vor denen die Gesellschaft durch eine sichere Verwahrung geschützt werden muss.

5

Fischhaber 05.06.2019

6

Seelich, 08.06.2020

7

Fischhaber, 05.06.2019

8

Diskuthek, 26.09.2019

107


No Prison Manifesto A prison sentence means intentionally inflicted suffering.9

Das No prison Manifesto basiert auf einem Projekt, initiiert von Massimo Pavarini, Professor für Strafrecht Universität Bologna, und Livio Ferrari, Journalist und Schriftsteller, und wurde in dem Buch No Prison niedergelegt. In diesem Buch nahmen 13 internationale Autoren Stellung zur Notwendigkeit der Abschaffung von Gefängnissen. Dabei wurde zwar anerkannt, dass es in einigen Fällen notwendig sein kann, Menschen zum Schutz Anderer10 oder zur Sicherung eines rechtstaatlichen Verfahrens11 die Freiheit zu entziehen. Jedoch wurde dem Entzug der Freiheit zur Bestrafung und der Notwendigkeit der Freiheitsstrafe im Allgemeinen widersprochen12. Als Argumentation wurde aufgeführt, dass die resozialisierende Wirkung13 nicht nachweisbar sei, dass unbeteiligte Dritte, also Kinder und Partner, negativ betroffen seien und dass eine Abschreckungswirkung14 nur in geringem Maße nachweisbar ist. Die Freiheitsstrafe der 2020er Jahre ist zwar eine Verbesserung gegenüber der körperlichen Strafpraxis des 17. Jahrhunderts, da die Begrenzung der Freiheit humaner erschien als die zuvor üblichen körperlichen Strafen, dennoch hatte sich die Gesellschaft im Hinblick auf ihren demokratischen Grundcharakter zu dieser Zeit bereits erheblich weiterentwickelt, sodass es geboten erschien, die soziale Struktur innerhalb der Gefängnismauern weiter zu entwickeln. Die Gesellschaft der 2020er Jahre hat erkannt, dass die Herangehensweise des Gefängnisses, nämlich Herausziehen des Gefangenen aus der Gesellschaft, in die er durch Rehabilitationsmaßnahmen später wieder integriert werden soll, unlogisch ist und daher nicht funktionieren kann. 9

Ferrari, Pavarini, 2018, S. 187

10

Ferrari, Pavarini, 2018, S. 23

11

Ferrari, Pavarini, 2018, S. 41

12

Galli, 2020, S. 42; S. 69 ff.

13

Ferrari, Pavarini, 2018, S22

14

Ferrari, Pavarini, 2018, S.24 f.

108


prison

Die negativen Folgen der Inhaftierung für unbeteiligte Dritte, wie Partner und Kinder, das Verpuffen der Abschreckungswirkung sowie der unzureichende Täter-Opferausgleich führten zu einem sozialen Ungleichgewicht, erzeugt und verschärft durch die Praxis des Bestrafens mittels Freiheitsentzug, so dass der Prozess zur Abschaffung des Gefängnisses begann. Everyone knows that the absence of education, dislike of regular work, physical inability of sustained effort, misdirected love of adventure, gambling propensities, absence of energy, an untrained will and carelessness about the happiness of others are the causes which bring this class of people before the courts. Now I was deeply impressed during my imprisonment by the fact, that it is exactly these defects of human nature – each one of them – which the prison breeds in its inmates; and it is bound to breed them because it is a prison and will breed them so long as it exists.15

ADPSR – Architects/Designer/Planners for Social Responsibility Die 1981 in den USA gegründete non-profit Organisation ADPSR initiierte Projekte und andere Aktivitäten, um kritische soziale und umwelttechnische Belange sichtbar zu machen. Sie engagierten sich für nachhaltige Planung und Design für ökologische Gebäude und Stadtlandschaften. Bekannt wurden sie 2012 für eine Initiative, die die Ausübung oder das Entwerfen von Räumen oder Gebäuden, die als Gefängnis genutzt werden sollen, die Menschenwürde verletzen oder als Räume für Folter und Todesstrafe dienten, verbietet. Als bewusste Menschen und als Berufene, die sich der Verbesserung der gebauten Umwelt für alle Menschen widmen, können wir nicht an der Gestaltung von Räumen mitwirken, die das Leben und die Würde des Menschen verletzen. Die Beteiligung an der Ent15

Ferrari, Pavarini, 2018, S. 15

109


wicklung von Gebäuden, die zum Töten, Foltern oder zur inhumanen oder die Menschenwürde verletzenden Behandlung gedacht sind, ist mit einer professionellen Berufspraxis, die die Menschenrechte respektiert, grundsätzlich unvereinbar.16

Demnach sollten Mitglieder dieser Organisation nicht an der Gestaltung von Räumen und/oder Gebäuden, die zur Hinrichtung, Folter oder Bestrafung, zur herabsetzenden Behandlung von Menschen gedacht sind, inklusive dem Freiheitsentzug mitwirken. Dies richtet sich auch und besonders an die rassistische Ausprägung des Gefängnissystems. Die ADPSR initiierte und unterstützte Aktivitäten, um sozialen Fortschritt in Bezug auf die gebaute Umgebung zu fördern und voranzutreiben. So wurde beispielsweise 2017 der Aufruf We won’t build your Wall17 gestartet, der die Mitwirkung von Architekten, Designern und Planern beim Bau einer Mauer zwischen den USA und Mexico verhindern sollte. Ebenso wurde die US-amerikanische Architektenkammer (AIA, American Institute of Architects) von der ADPSR aufgefordert, durch einen Zusatz (Amendment to the codes of ethics of AIA), in eindeutiger Sprache die Beteiligung an der Gestaltung und am Bau menschenverachtender Architektur zu verbieten.18

Scapegoat 7: Incarceration Das im erstmals Jahr 2010 herausgegebenes Magazin zu Architektur, Landschaftsplanung und Politik befasste sich mit der Verbindung zwischen Marktkapitalismus und gebauter Umgebung. Schwerpunkte bildeten dabei die Untersuchung von ausbeuterischer Verwertung von Raum und Fläche, die Verschwendung von Arbeitskraft und Ressourcen, die ungleiche Verteilung von Umweltrisiken einerseits und dem Nutzen aus der Ausbeutung der Umwelt andererseits. 16

Übersezt aus ADPSR: Prison Architecture

17

ADPSR: We don‘t build your wall

18

ADPSR: AIA Ethics

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prison

Today, architects do not see themselves as metaphysicians, and yet there is unfinished metaphysical business at the core of the modern project that continually undermines this narrative of liberation.19

In der siebten Ausgabe Incarceration trugen Nasrin Himada und Chris Lee diverse Texte zusammen, die den Einfluss und die Wirkung von Architektur auf Gefängisbauten aus der Perspektive der Abolitionist:innen untersuchen. Neben vielen anderen Autoren schrieb Margarita Osipian in ihrem Text Illuminating the Margins über 2 visuelle Projekte, die die Unsichtbarkeit des Gefangenen durch das Wegsperren von der Gesellschaft außerhalb des Gefängnisses einerseits und die Sichtbarmachung des Gefangenen durch allgegenwärtige panoptische Beobachtung andererseits darstellen20. Das tatsächlich gebaute Gefängnis befindet sich nach Osipian unmittelbar auf der Verbindungsstelle zwischen der zentralistischen hierarchischen Welt der foucaultschen Disziplinargesellschaft und der vernetzten Struktur der deleuzschen Kontrollgesellschaft. In seinem Projekt Of Lenght and Measures fotografiert Stephen Tourlentes Gefängnisbauten bei Nacht. Paradoxerweise, reflektieren dann diese Bauten, die die Gesellschaft absichtlich weit außerhalb ihrer Stadtgrenzen gebaut hat durch ihre intensive nächtliche Illumination auf eben diese Gesellschaft in ihren Städten zurück. Die zentralistische und abgeschlossene Struktur des Gefängnisses wird so – wenn auch nur in der Nacht – sichtbar und erlebbar. Das 2004 gegründete Spatial Information Design Lab21 präsentiert 2006 im Museum of Modern Art New York ihr Projekt Million Dollar Blocks22. Anhand von Datenauswertungen wurde festgestellt, dass viele der damals ca. 2 Millionen Strafgefangenen in den USA aus nur wenigen Vororten großer Städte kommen. Diese Daten wurden anhand von Stadtplänen (in diesem Fall Brooklyn, New York) visualisiert. Dabei 19

Denizen, Kedzior, 2018

20

Himada, Lee, 2014, S. 285 ff.

21

Interdisziplinäres Forschungsinstitut an der Columbia University Graduate School of Architecture, Planning and Preservation

22 MoMA

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wurde eine Linie zwischen der Wohnung des Häftlings und dem Ort des Gefängnisses gezogen. Das daraus entstehende visuelle Netzwerk zeigt, dass bestimmte Stadtteile überproportional viele Einwohner in entfernten Gefängnissen unterbringen. Diese Information ist für Bürger nicht sichtbar, beeinflusst jedoch in hohem Maße die Stabilität der Gesellschaft/die Population des jeweiligen Stadtteils. Die geographische Vernetzung des Gefängnisses mit der Gesellschaft und seine Wirkung auf sie wird so sichtbar gemacht. Moreover, revealing these networks works to unhinge the prison from its solitary space at the edges of society and shows how it is woven into the urban fabric.23

23

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Himada, Lee, 2014, S. 287


prison

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c o n t ex t


context

panoptism Michel Foucault (1926-1984), der französische Philosoph, Historiker, Soziologe und Psychologe, beschreibt in seinem Werk Überwachen und Strafen die „Geburt des modernen Gefängnisses als Institution“. Er führt die uniforme Gestalt, die der Strafvollzug in der ganzen Welt angenommen hat, auf die Verbreitung einer Disziplinartechnik zurück, die in vielen Institutionen gegenüber dem Individuum (Subjekt) angewendet wird, darunter beispielsweise in Schulen, Krankenhäusern, Kasernen und – in diesem Fall exemplarisch - in Gefängnissen. Er prägt daraus den Begriff der Disziplinargesellschaft. Nach Foucault wird durch die disziplinarische Ausübung der Macht in allen gesellschaftlichen Institutionen die Gesellschaft selbst zum Gefängnis. Der so entstandene Disziplinarapparat1 schafft so durch die Disziplinierung des Individuums einen Nutzen aus dem ökonomischen Wert des Individuums. Der perfekte Disziplinarapparat wäre derjenige, der es einem einzigen Blick ermöglichte, dauernd alles zu sehen. Ein zentraler Punkt wäre zugleich die Lichtquelle, die alle Dinge erhellt, und der Konvergenzpunkt für alles, was gewusst werden muss: ein vollkommenes Auge der Mitte, dem nichts entginge und auf das alle Blicke gerichtet wären.2

Das Gefängnis wird in diesem Zusammenhang als Verkörperung der Disziplinargesellschaft nach Foucault verstanden. Dabei werden die Insassen als Individuen stets sozial und physisch überwacht, also sichtbar gehalten, während die Insassen als disziplinarische Institution von außen gegenüber dem Rest der Gesellschaft im Verborgenen existieren, also unsichtbar gehalten werden.3 1

Foucault, 1977, S. 251 f.

2

Foucault, 1977, S. 224

3

Himada, Lee, 2014, S. 285

115


Die architektonische Idealverkörperung dieses gesellschaftlichen Zustands stellt das Panopticon des englischen Philosophen Jeremy Bentham (1748-1832) dar. Es beschreibt laut Foucault den Höhepunkt der Kontrolle4. Dieses Modell eines Gefängnisses besteht aus einem zentralen Wachturm mit rundherum angeordneten Zellenringen, so dass die Insassen jederzeit beobachtet und als non-konform bezeichnete Handlungen unmittelbar geahndet werden können. Das Wissen um die potenzielle Disziplinierung führt in den meisten Fällen zu einem regelkonformen Verhalten der Insassen, so dass von einem aus der Disziplinierung entstehenden (ökonomischen) Nutzen gesprochen werden kann. Bentham schlägt diese hierarchische und zentralistische architektonische Konzeption auch für weitere disziplinarische Institutionen wie Fabriken, Schulen und Kasernen vor. Aktuelle gesellschaftliche Transformationsprozesse resultieren vor allem aus der Etablierung von Internet-basierten Verfahrensund Kommunikationstechniken. Bereits 1990 schreibt Gilles Deleuze (1925-1995) über die Entwicklung von der Disziplinargesellschaft nach Foucault zu einer sogenannten „Kontrollgesellschaft“5. Darin erfolgt die Machtausübung über die Kontrollergreifung und nicht mehr über Disziplinierungsmaßnahmen. Ebenso entwickelte Zygmunt Bauman den Begriff des „Postpantoptismus“6. Die postpanoptische Gesellschaft ist zur Ausübung von Macht nicht mehr an feste Territorien gebunden, sondern nutzt elektronische Überwachungsmethoden um Macht auszuüben und zu sichern.7 Der Staat löst in uns Minderwertigkeitskomplexe aus und lässt uns an allem zweifeln. Entlassen werden wir als menschliche Häufchen Elend und sind zu nix mehr zu gebrauchen. Justizzombies halt. Werden wir nach der Entlassung die Fußabtreter der Gesellschaft sein? 8

4

Foucault, 1977, S. 257

5

Deleuze, 1993

6

Baumann, 2000

7

Young, 2020, S. 186

8

GGBO, 29.07.2020

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context

016 Jeremy Bentham, Grundriss und Schnitt Panopticon, 1791

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q u a ra n t i n i n g Anfang der 2020er Jahre breitete sich ein neuartiger Grippevirus von China über die ganze Welt aus. Innerhalb von 2 Monaten wuchs sich das Infektionsgeschehen zur weltweiten Pandemie aus. Durch die hohe Infektiösität erkrankten bis zum Oktober 2020 35 Millionen Menschen an der Virusinfektion. Circa 1 Million Menschen starben in diesem Zeitraum. Um die Ansteckungszahlen zu reduzieren und die exponentiell steigende Infektionskurve abzuflachen, wurden Maßnahmen getroffen, die – zumindest in der damals „westlichen“ Welt - viele Menschen zuvor nicht kannten. Die persönlichen Freiheitsrechte wurden stark eingeschränkt, es herrschten Ausgangsbeschränkungen bis hin zum lock-down. In einigen Ländern durften von einem Tag auf den anderen Familien nicht mehr ihre Wohnungen verlassen, Kinder nicht mehr in Schulen, Restaurants und Läden wurde geschlossen, Büros verwaisten und wer in der Lage dazu war, zog ins Home-Office. „Das geht für eine Zeit. Auch im demokratischen Staat kann man diese Rechtsbeschränkung eine Zeitlang durchhalten, es ist auch legitim, das zu machen. Aber man muss erstens immer die mildesten verfassungsrechtlichen Mittel wählen. Und zweitens sollte es nicht, wie jetzt vielerorts geschehen, so völlig an der parlamentarischen Kontrolle vorbeigehen. Das wird einfach entschieden. Und drittens ist es entscheidend, dass es nur temporär ist.9

9

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Fannrich-Lautenschläger, 06.05.2020


context

Selbstbestimmung - Fremdbestimmung In diesen Zeiten fiel den Menschen auf, welche Freiheiten wirklich Relevanz besitzen und worauf man eventuell doch verzichten könnte. Insbesondere die Fremdbestimmung durch den Staat und die Politik wurde von vielen Bürgern kritisch gesehen. Sie reagierten teilweise mit heftigen und gewalttätigen Demonstrationen. Auch die mögliche Überwachung durch App, um Infektionen digital nachvollziehen zu können, wurde kritisch aufgenommen und von vielen Bürgern abgelehnt.

Existentielle Unsicherheiten Durch den sofortigen lock-down im Frühjahr 2020 standen viele Kleinunternehmer insbesondere aus der Reisebranche, aber auch Künstler, Schauspieler, Friseure, Restaurantbesitzer und viele mehr wirtschaftlich vor dem Nichts. Obwohl in vielen Ländern Unterstützungsleistungen unbürokratisch ausgezahlt wurden, war die Dauer und der Umfang der durch die Pandemie verursachten Maßnahmen nicht abzusehen. Immer wieder rund um den Globus wiederkehrende Infektionswellen und Ausbruchsherde verhinderten eine Planung und Vorausschau der näheren Zukunft.

Aufwiegen von Grundrechten Zum Schutz von Risikogruppen, wie Älteren und Vorerkrankten, wurden Altenheime mit einem Besuchsverbot belegt, es herrschte Maskenpflicht und ein Abstandsgebot. In vielen Ländern wurde die Einhaltung der Regel strengstens durch die Polizei, teilweise sogar durch das Militär kontrolliert. Viele junge, gesunde Menschen lehnten sich gegen diese Bevormundung auf und wurde zu Regelbrechern, indem sie beispielsweise Abstandsgebote und Ausgangsbeschränkungen ignorierten.

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Quarantining und Gefängnis Durch den plötzlich eintretenden Lockdown wurden innerhalb von wenigen Tagen Millionen von Menschen aus ihrer Alltagsroutine, aus ihrer Arbeit, aus ihren Familien herausgezogen. Finanzielle Unsicherheit, Angst vor der unbekannten Zukunft, Aberkennung von vielen Grundrechten war plötzlich Realität. Obwohl weitere Merkmale wie starke Hierarchisierung, Schaffung von Subkulturen, Anwendung von Gewalt nicht für die Massen spürbar wurden, war für viele auf einmal erkennbar, wie sich das anfühlen könnte als Strafgefangener.

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context

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about

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epilogue


about

This is an imperfect book, but it is a beginning. A friction to stop the momentum. Carry on. Prison Research Education Action Project

Dieses Buch ist als Beginn zu verstehen. Es liefert keine perfekten Lösungen, kein Rezept, keine Anleitung, sondern zeigt Ausschnitte einer Zukunft, die gerechter ist als die Gegenwart. Sie beziehen sich auf ein Thema, das uns allen präsent sein muss. Zu Anfang wollte ich in der Abschlussarbeit meines Masters in Architektur ein humanes Gefängnis planen. Je mehr ich mich mit der (wie ich damals noch dachte) potentiellen Humanität der Institution auseinandersetzte, auf umso mehr verstörende Fakten am unsichtbaren Ende unsere Gesellschaft bin ich gestoßen. Letztendlich blieb mir nichts anderes übrig, als mich mit der Demontage des gesamten Systems zu konfrontieren, der Abschaffung Gefängnisses als Raum. Auch wenn die Änderung eines kleinen Teils das große Ganze auf Dauer verändern kann, so reicht dies, solange man nur an der Oberfläche kratzt, nicht aus. Manchmal muss man ganz an den Wurzeln anfangen. Das Böse wird niemals verschwinden, genauso wie Ungerechtigkeit innerhalb unserer Gesellschaft niemals verschwunden sein wird, aber das darf nicht dazu leiten, die bestehenden Systeme als gegeben hinzunehmen und von Alternativlosigkeit auszugehen. Ich habe nicht alle Antworten oder ein Allheilmittel für die Ungerechtigkeiten unserer Welt. Aber es ist der Anfang.

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process


about

Der Prozess der Arbeit war alles andere als linear. Er bestand aus vielen Diskussionen, aus Abzweigungen, Bedenken und Zweifeln. Aber auch Errungenschaften, Erkenntnisse von Zusammenhängen, die es zuvor nicht gab. Nicht alle dieser Inhalte sind direkt in dieser Zusammenschrift zu finden. Dies macht sie aber nicht weniger relevant. Um diese nicht linearen Strukturen einigermaßen plausibel - für mich genauso wie für andere - zu ordnen, bot sich an mit digitalen Whiteboards zu arbeiten. Auch nach dem Abschluss der Masterarbeit per se ist es möglich, diese zu ergänzen und an der Thematik weiterzuarbeiten.

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130


131


r e fe r e n c e s


about

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File:Bridewell_prison_rebuilt_after_the_Great_Fire.gif] 004 Gemälde: Hermanus Petrus Schouten, 1783, nach Winkelmann und Förs-

ter (Hrsg.): Gewahrsam. Räume der Überwachung, S. 47 005 Gemälde, Querschnitt und Grundriss: nach Winkelmann und Förster (Hrsg.): Gewahrsam. Räume der Überwachung, S. 50 006 links: Pläne: Maison de Force, Malfaison und Kluchmann, 1773, nach Foucault, Michel: Überwachen und Strafen, S. 202

rechts: Axonometrie: Malfaison und Kluchmann, 1772, nach Winkelmann

und Förster (Hrsg.): Gewahrsam. Räume der Überwachung, S. 54 007 links: Grundriss: John Soane, 1781, nach Seelich, Andrea: Handbuch Straf-

vollzugsarchitektur, S. 27

rechts: Gemälde: John Soane, The Male Penitentiary, 1781, nach Winkel-

mann und Förster (Hrsg.): Gewahrsam. Räume der Überwachung, S. 59

Jeremy Benthams Panopticon, 1791, Zeichnungen von Willey Reveley nach Bentham 008 Bild: N. Harou Romain, 1840, nach Foucault, Michel: Überwachen und

Strafen, S. 208 009 oben: Grundriss: G.P. Holford, nach G.P. Holford, An Account of Millbank

Penitentiary, 1828

mitte: Abbildung: Unbekannter Autor, <seanmoloneyart.wordpress.

com/2014/01/10/milbank-prision>

unten: Kupferstich, Unbekannter Autor <blackcablondon.

net/2015/03/26/long-lost-dread-the-millbank-penitentiary> 010 links: Plan, Abbildung: nach Winkelmann und Förster, Yorck (Hrsg.): Ge-

wahrsam. Räume der Überwachung

rechts: Holzstich: Unbekannter Künstler, nach Ballou‘s Pictorial Drawi-

ng-Room Companion, Boston, Massachusetts, 1855 [commons.wikimedia.org/wiki/File:State_Prison,_at_Sing_Sing,_New_York.jpg]

139


011

links: Gemälde: Unbekannter Künstler, nach Eastern State Penitentiary

Museum [www.easternstate.org/press-room/image-library]

rechts: Grundriss: nach Eastern State Penitentiary Museum

[www.easternstate.org/visit/school-group-tours/school-tours/lesson-plans]

012

links: Kupferstich: nach Historical Association [www.history.org.uk/se-

condary/categories/843/news/3828/past-time-toolkit-new-learning-resource-about-vic]

rechts: Gemälde: Zellenblock des Pentonville Prison, London, British

Library, nach Robin Evans, The Fabrication of Virtue. English Prison Architecture, 1750–1840 013

Postkarte: nach Crimino Corpus: Fresnes, les premiers temps de la prison cellulaire, par les gravures et les cartes postales [https://criminocorpus.hypotheses.org/7374]

014 Skizze: Hastings H. Hart, ca. 1920, nach Giuseppe di Gennaro (Hg.), Prison Architecture. 015

Fotografie: Ptasinski, Michel; Belhadi, Michael: Aufschluss. Deutscher Kunstverlag, Berlin München, 2018, S. 79.

016

Pläne: Jeremy Bentham, 1790, nach RDK Labor [www.rdklabor.de/wiki/ Gef%C3%A4ngnis]

Abbildungen ohne Vermerk stammen vom Autor. Teile der Inhalte sind von OpenSourcePages, wie: www.flanstudio.com www.toffu.co www.dimensions.com

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141


Texte und Bilder Alina Laura Stoerzinger

www.postprison.world

Masterarbeit M. A. Architektur

Lehrstuhl Urban Design Prof. Benedict Boucsein Dr. Daniel Zwangsleitner

Sommersemester 2020 Technische Universität Mßnchen


143


Aus dem Jahr 2044 wird auf den Wandel zurückgeblickt, der die Abschaffung des Gefängnisses bedingte. Das Gefängnissystem beschrieb einen Knotenpunkt unserer relevantesten strukturellen Gesellschaftsprobleme, wie Rassismus, Diskriminierung, Klassenkampf, Gewalt, Hierarchie. In einer Gesellschaft, die nach Gerechtigkeit, Gleichberechtigung und Freiheit strebt, ist kein Platz mehr für einen Raum, der dies fördert.

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