audimax ABI Südwest 1/2021

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Lesen, wie es wirklich ist: Josef erzählt von seinem «Was will ich»-Jahr.

JOB.DICH.SCHLAU.

Gefühlt alle scheinen zu wissen, was sie nach dem Abi machen wollen. Nur du nicht. „Ich kann nix so richtig“, „Ich bin in nix so richtig gut“, so Sprüche drückst du dir die ganze Zeit. Vor Corona der Selbstentdeckungs-Klassiker: Ausland, Neuseeland, Kiwis ernten, Schafe zählen. Geht nicht mehr; ausgeschaft. Einfach irgendwas studieren? Im Zweifel BWL, auch Klassiker? Muss nicht. So war zumindest bei mir die Überlegung – Wirtschaft hat mich schon interessiert, was Handwerkliches irgendwie auch, oder was mit Menschen, hmmm – Weil Gap-Year geht auch hier, auch hier gibt’s Farming, Hofmithilfe, Kühekolonnen. Freiwilligenarbeit halt. Aber - SpecialTipp: Du könntest auch so richtig arbeiten. Mal ein Jahr lang. Fabrik, Dienstleistung, Gastro, Fahrer, Supermarkt.

KLINGT ERSTMAL UNSEXY? Verständlich. Aber: Mehr echte Lebenserfahrung kannst du nirgends sammeln - und gleichzeitig wissen, dass du diesen Job nicht für immer machen wirst! Beispiel: Supermarkt. Viele Ketten suchen grade junge Leute nach dem Abi für drei Monate, Sommeraushilfe. Bei mir war’s sogar ein Bio-Supermarkt mit vielen Filialen in unserer Region, also kein Öko-Traumtänzer-Lädelchen, sondern handfestes Wirtschaften. Während der Schulzeit hatte ich noch nie längerfristig gejobbt, also war das für mich Neuland. Meine To Do’s: Kasse & Co. Ok, man muss kein Einstein sein, um die Kasse zu bedienen, aber trotzdem: Am Anfang war’s schon schissbehaftet, ich wollte natürlich nicht zu langsam sein und jedes Mal nach einer zweiten Kasse klingeln müssen, stimmen

muss die Kasse am Ende des Tages logischerweise auch und Kundenfreundlichkeit (also ich zu den Kunden, nicht andersrum, haha) ist ebenfalls ein Muss. Dazu Schichten am Wochenende, sehr gewöhnungsbedürftig, und die Frühschicht ab 6 Uhr, dito. Vorher fand ich um 8 Uhr in der Schule sei schon die Megaleistung. In diesen Monaten hab ich mehr und vor allem völlig andere Sachen als jemals am Gymnasium gelernt: Dass ich vorher auf ziemlich hohem Niveau gejammert hab, wenn ich mal acht Schulstunden am Tag hatte, wie anstrengend 40-Stunden-Wochen sind, was die Crew in so einem Markt eigentlich leistet, wie viel Führungskraft dahintersteckt, wenn der Laden laufen soll und wie wichtig Kollegialität ist. Ich bin krass aus meiner Abi-Kumpels-Blase rausgekommen und hab viele engagierte und witzige Leute kennen gelernt, auf die das irgendwie old-school klingende Wort ‚fleißig’ richtig passt. Wenn du denen erzählt hättest, dass du es bis vor vier Wochen richtig stressig fandest, deinen Biostoff zu lernen, die hätten dich nach einer 9-Stunden-Schicht zwischen Salat und Kasse für verrückt erklärt. Cool auch die Erfahrung, eine brauchbare Summe eigenes Geld zu verdienen, das hat sich schon anders angefühlt als ein 450 Euro-Job in der Eisdiele. Dann waren die drei Monate rum, ich aber immer noch nicht sicher, wo ich hinwill, also hieß es: weiterjobben. Next Stop: Hotelbranche. Rezeption. In einem kleinen, inhabergeführten Stadthotel hab ich mich beworben und wurde genommen: Wieder Schichtarbeit, Wochenenddienste auch am Sonntag und an Feiertagen, klar, Tourismus kennt jenseits von Corona keine Pausen.

Illustrationen: adekvat/depositphotos.com | Fotos: privat

Abi fertig. Und dann? Weißt nicht? Mut zur Lücke mal anders: 1 Jahr Jobben. Real-Life-Experience.


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