Jazz in der Gaslaterne - wie es damals zuging - Mitte der 1950er

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Steinle Kalender 2016

JAZZ IN DER G A S L AT E R N E


1955. In Ulm. Und in Neu-Ulm. Gerade mal zehn Jahre waren ins Land gegangen seit dem Ende des II. Die verheerenden Folgen waren überall zu sehen, die Schrecken des Kriegsendes waren keineswegs vergessen, wie wohl auch die ideologischen Verirrungen des Nationalsozialismus nicht einfach aus allen Köpfen verschwunden waren. Die Soldaten einer der Nationen, die den von den Deutschen angezettelten Krieg beendet hatten, Amerikaner, waren an der Donau stationiert. Am „payday“, wenn der Sold ausbezahlt wurde, kamen sie zahlreich in die Innenstädte. 14jährige wie Günter Steinle hatten damals normalerweise mit „Amis“ wenig bis nix am Hütchen. Es sei denn, sie hatten die „Negermusik“ für sich entdeckt. Unter den Nazis war Jazz im Allgemeinen und Swing insbesondere verboten. Was in den Nachkriegsjahren von Übersee „importiert“, beispielsweise vom Sender American Forces Network (AFN), verbreitet wurde, war noch Mitte der 1950er für so manchen der Untergang des Abendlandes. Für die Jüngeren: Tonträger („Schallplatten“ – schönes Wort) hatten in der Regel als „Single“ das Format 78 Umdrehungen pro Minute, „Langspielplatten“, auf die mehrere Titel gepresst waren, drehten sich mit 33er Geschwindigkeit. Abgespielt wurden diese Vinyl-Produkte per Musiktruhen, die riesig waren und überwiegend in Wohnzimmern standen, wo die Eltern die Herrschaft über die Tonabnehmer innehatten. Als 1955 im 2. Stock Kramgasse 2 in Ulm Louis Armstrongs „Skokiaan“ aus den Lautsprechern dröhnte, raste Vater Steinle vom Geschäft 1. Stock nach oben, Filius Günter fing sich eine Watschen und die Musik wurde abrupt abgestellt. Zwar blieb die Platte heil, aber für den 14jährigen Steppke war klar, welche Musik er in Zukunft präferieren würde. Dieser Entschluss sollte Folgen haben. Schon heute 50jährige können sich kaum mehr vorstellen, dass es eine Zeit ohne Diskotheken gab. Auch sonst gab es kaum bis keine Möglichkeiten, aktuelle Musik öffentlich (in irgendwelchen Locations) zu hören. In der Oberen Stube in Ulm (Ecke Neue Straße / Kramgasse) spielten dann und wann Tanz-Kapellen, auch der Obere Berghof ganz oben auf dem Eselsberg bot Ähnliches. Vielleicht stand irgendwo (in größeren Städten) ne Wurlitzer- oder Seeburg-Jukebox oder eine Rock-Ola (bekannt aus dem Kultfilm „Rocky Horror Picture Show“). In solchen „Musik-Automaten drehten sich nach Geldeinwurf und Titelauswahl 45er Singles mit Rock’n’Roll-Nummern von Fats Domino zum Beispiel oder von Rockabilly-Cats wie Eddie Cochran, R&B-Heulern wie Roy Brown oder von Doo Wop Groups wie „The Diamonds“. Auch Country Crooner konnten gewählt werden, aber mehrheitlich war Mainstream-Pop im Angebot von Künstlern wie Pat Boone, Paul Anka, Jane Morgan, and Russ Hamilton. So war sensationell, was Ulmer Teenies Mitte der 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts ausheckten. In den Jahren, in denen der Alptraum der Ulmer bürgerlichen Gesellschaft, die Hochschule für Gestaltung (eingeweiht am 2. Oktober 1955) eine für die Münsterstadt kaum erträgliche Dynamik zu entwickeln beginnt, kommt das Trio Elmar Poss, Robert A. Schaller und Jo Müller auf die Idee, einen Kneipier gewinnen zu wollen, der ihnen die Möglichkeit lässt, Jazz-Konzerte zu veranstalten. Als Location gucken sie sich 2


die „Gaslaterne“ (später das legendäre „Aquarium“) in der Kohlgasse aus. Der Wirt, Reitmaier, macht mit. Es war für die drei Initiatoren der Hammer. Das erste Konzert erlebte ein handverlesenes Publikum Mitte 58. Bald schon war Günter Steinle mittenmang dabei. Nicht genug damit – er schrieb dann mit 16 nicht bloß Konzert-Rezensionen auch für die Reuttier Schülerzeitung „Der Schlossgeist“, sondern: Im Sommer 1957 nutze er frech die Gelegenheit der dreiwöchigen Urlaubsabwesenheit seiner Familie, um den Keller des Elternhauses (man war inzwischen von der Kramgasse in die Königstraße in Söflingen umgezogen) mit Freunden zusammen ratzeputz leerzuräumen und so umzufunktionieren, dass dort gejazzt werden konnte. Benannt wurde die Location nach der Hausnummer „Club 79“. Mit doch etwas Bibbern erwartete Steinle jr. Dann die Rückkehr vor allem des Vaters. Der machte es gnädig. Und Ulm hatte eine zweite Location, in der Jazz zu hören war, wenn auch hier eher die lokalen Größen sich zu Sessions trafen. Was sich ab dann auf dem Gebiet des Jazz in der Donau-Doppelstadt tat, soll in diesem Kalender in Bild und kurzen Texten dokumentiert werden. Wir werden dabei Menschen begegnen, wie York von Prittwitz, dessen Vater Eberhard mit seiner Württ.-Bayr. Konzertdirektion vorwiegend Klassikkonzerte veranstaltete (Symphonie- und Meisterkonzerte), während York von Prittwitz auch mit elf (!) Jahren schon vom Jazz-Virus befallen war, dann in der Ulmer Szene kräftig mitmischte, sich bald einen Namen als Jazz-Kenner machte und in der besagten „Gaslaterne“ als 18-Jähriger Vorträge über Jazz hielt, um Jahre später seine eigene Plattenfirma zu gründen, Label: YVP, unter dem um die 200 Alben erschienen sind – mit der Crème der europäischen Jazzmusiker.

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in Mann. Wurde er schlafend fotografiert? Träumt er bei Tage, ohne zu schlafen? Lauscht er mit geschlossenen Augen? Jedenfalls war es dieser Mann, der dem Jazz in Ulm das erste „Zuhause“ schenkte. Mitte der 1950er Jahre. War er tatsächlich Jazz-Fan? Oder „nur“ ein Modernem aufgeschlossener Wirt? Jedenfalls betrieb er in der Kohlgasse zwei nebeneinander liegende Lokalitäten: die „Gaslaterne“ und das „Aquarium“. Jazz wurde in der „Gaslaterne“ gemacht. Initiiert vom jazzbegeisterten Trio Robert A. Schaller, Elmar Pross und Joe Müller. Diese drei knapp 20jährigen Burschen rangen dem Wirt der „Gaslaterne“ die Möglichkeit ab, unter der Bedingung, dass sie ihre Getränke ausschließlich bei ihm im unmittelbar angrenzenden „Aquarium“ bezogen. Dabei war die „Gaslaterne“ der Schlauch, den die Nachtschwärmer der 1970er und später als „Aquarium“ kannten. Also: Das spätere „Aquarium“ hieß vorher „Gaslaterne“, und das frühere „Aquarium“ verschwand als Lokal. Der hier porträtierte Mann, schlafend, träumend oder lauschend, ist vom Alter her schwer einzuschätzen. Für die Teens und Twens war er sicher uralt. Aber die waren ja blutjung.

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Sie waren aber begeistert und dankbar, „ihre“ Musik in der „Gaslaterne“ machen zu dürfen, zeitweilig sogar zelebriert von Musikern, die gar in der Band von Count Basie mitgewirkt hatten und in dieser Zeit als GI in der amerikanischen Garnison Neu-Ulm ihren Dienst taten. Einige, die damals vom Engagement der drei Ulmer Jazz-Enthusiasten profitierten, erinnen sich noch des Wirtes. Wie bedeutungsvoll seine Rolle für die Anfänge der doppelstädtischen Jazz-Szene auch war / gewesen sein muss – es ist über unseren Schläfer, Träumer, Lauschenden nichts weiter mehr bekannt, nicht, wie alt er war, nicht, wie alt er geworden ist, nicht, ob er noch lebt, nichts darüber, was er später gemacht hat … nicht mal sein Vorname konnte sicher eruiert werden. Mit Nachnamen hieß er Reitmeier. Oder Reitmaier? Beide Schreibweisen finden sich in einer 2014 erschienenen Zeitzeugen-Dokumentation inerhalb von zwei Zeilen. Druckfehler? Bewusst gemacht aus Unsicherheit? Vielleicht hieß Reithmeier auch Reitmair. Oder Raitmair. Nicht nur den Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze.

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utonarren verbinden mit „Frogeye“ weit mehr als Cineasten mit „GoldenEye“. Dieser Bond-Streifen von 1997, in dem erstmals Pierre Brosnan den Agenten mit der Lizenz zum Töten spielt, ließ bei vielen die 007-Liebe erkalten. Die galt seit „James Bond jagt Dr. No“, dem ersten Streifen der auf Ian Flemings Romanen basierenden Thrillerserie, dem ehemaligen Bodybuilder und bis dahin unbekannten Schauspieler Sean Connery. Connery hatte seine erste Filmrolle in einem vergessenen, 1957 uraufgeführten Movie mit dem Titel „Hell Drivers“. Ob dieses „Duell am Steuer“ (es ging um brutale Konkurrenz unter Truckern) in Ulm damals über eine Leinwand flimmerte, war nicht zu eruieren. Fest steht, dass im oberen Stockwerk des Schuhhaus-Saal Filme vorgeführt wurden, die ein eher insiderisches Publikum fanden. Auch Jungs aus der Nachbarschaft, wie zum Beispiel der damals in der Kramgasse wohnende Günter Steinle, tummelten sich da, um so schwarz-weiß-Filme anzuschauen wie „Louisiana Legende“ (Titel des ersten dort gezeigten Films). Und – damit kriegen wir die Kurve wieder zu „Frogeye“ – eine Clique um Elmar Poss war da anzutreffen. Dieser Poss war nämlich ein „Frogeye“-Besitzer – klären wir es auf: „Froschauge“ war wegen seiner typischen Scheinwerfer der Spitzname des Austin-Healey Sprite Mark I, ein Roadster. Elmar Poss, auf unserem Januar-Kalenderblatt der Zweite von links (vorn), bildete zusammen mit Robert A. Schaller (links) und Joe Müller (rechts im Profil) das Trio, welches die „Gaslaterne“ enterte, um dort Gigs mit Jazz-Musikern zu organisieren. Der Vierte im Bund, der Zweite von rechts auf dem Foto, konnte als Helmut Nottermann identifiziert werden, und der Kugelkopf im Hintergrund, das war der „Piepmatz“, bürgerlich: Heinz-Günther Schmied, dem wir später auch noch begegnen werden. Das passte ja alles zusammen: Jungs in Existentialisten-Look, Haare ungescheitelt, Pfeife rauchen, 4


englisches Auto fahren und der Jazz, die Musik, welche – um es mal geschwollen auszudrücken – das deutsche Kultur- und Musikverständnis mit ganz anderen als den traditionellen Idealen konfrontierte. Die heutigen Sprösslinge in ihren Kuschelbeziehungen mit der „for ever young“-Eltern-Generation können sich gar nicht mehr vorstellen, welche Konfrontation das damals war, was es abzutrotzen galt, wie heavy zum Teil dieser Generationenkonflikt für die Beteiligten war. Nicht mal die Autos damals waren bequem. Schön waren sie, hatten keine Karosserien, sondern trugen handgefertigte Blechkleider, wie es ein Autonarr formulierte. „Das Kleid entstand, îndem auf ein hölzernes Modell eine Grundform gehämmert wurde, die wiederum auf der Richtplatte und dem Amboss nachgearbeitet werden musste.“ (Thomas Steinfeld). Das ermöglichte Formen, welche mit den industriellen Fertigungsstraßen lange Zeit nicht hinzukriegen waren. Damals gab’s noch keine Servolenkungen, Automatikgetriebe oder ABS, geschweige denn elektronische Abstandhalter, Rückfahrkamera oder sonstige technische Errungenschaften. Eigentlich fehlte alles, sogar die Federung, weshalb „Froschauge“ und „Verwandte“ auch Hämorrhoiden-Schaukel genannt wurden. Autos waren in den 50ern das, was für die heutige Generation unter 40 ein cooles Bike ist: Status-Symbol. Zu einer solchen „bella macchina“ gehörte: Man musste sie fahren können. Es wird kolportiert, der spätere Sportwagenbauer Feruccio Lamborghini habe sich bei Enzo Ferrari über technische Probleme beschwert, worauf der festgestellt haben soll: „Lamborghini, du kannst vielleicht einen Traktor steuern, aber einen Ferrari wird einer wie du niemals richtig fahren können.“ Ob’s damals in Ulm ähnliche verbale Scharmützel gab, kann nicht mit Sicherheit behauptet werden. Sicher ist: Elmar Poss war mehr als ein Cruiser, hat mehr geleistet als Propagandafahren mit seinem Roadster – mehr darüber beim Kalenderblatt „März“.

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enn Jazz – dann Sax! Nicht von ungefähr zeigt unser erstes Kalenderblatt mit einem Musiker-Motiv einen Saxophonisten. Das Instrument mit dem Messing-Korpus und dem hölzernen Rohrblatt zur Tonerzeugung hatte lange ein mieses Image. Es galt als Teufelszeug, als Phallussymbol. Die Gesellschaft ortete es im Prostitutions- und Drogenmilieu. Die Nationalsozialisten wollten das Instrument verbannen. Ihr Plakat in der Kampagne gegen „entartete Musik“ zeigte einen schwarzen Saxofonisten mit einem Judenstern am Revers. Der „Deutsche Frauenkampfbund gegen die Entartung des Volkslebens“ forderte das „Verbot von Saxofonen und Negertänzen“. 1840 erfunden von Adolphe Sax (bürgerlicher Name: Antoine Joseph Sax) aus dem Städtchen Dinant an der Maas in Belgien, wurde das Instrument rund hundert Jahre vorwiegend in Militärorchestern gespielt – weil es auch im Freien ausgesprochen 5


„durchsetzungsfähig“ war. Zwar haben auch berühmte Komponisten des 19. Jahrhunderts Musiken geschrieben, in denen das Saxophon aber nur eine kleine Rolle spielen durfte; „seriöse“ Musiker wollten aber lieber die Finger von diesem Instrument lassen, wie auch die meisten klassischen Komponisten sich mit diesem in Unterhaltungsorchestern verwendeten Blasinstrument nicht „kompromittieren“ wollten. Rassistische Einstellungen taten ein Übriges, wurde „die Kanne“ doch meist von farbigen Musikern geblasen. Vor der Wende zum 20. Jahrhundert, kurz bevor sein Erfinder Sax 1894 einsam und völlig mittellos in Paris starb, kam das Instrument in die Vereinigten Staaten. Das Saxophon, heute – wenn auch nicht für alle Jazz-Fans, aber doch für viele – längst DAS prägende Instrument des Jazz, wurde damals allenfalls in Salonorchestern, vorwiegend aber auch noch in Militärkapellen eingesetzt. Und als nach dem II. Weltkrieg viele militärische Einheiten aufgelöst wurden, waren Instrumente plötzlich recht preiswert zu bekommen, auch Saxophone, die dann vermehrt in Jazzformationen auftauchten, wo man das Saxophon schätzte als ein Instrument mit der Ausdrucksstärke einer Trompete und der Beweglichkeit einer Klarinette. Trompete, Klarinette, Tuba und: Saxophon bildeten somit ab der Mitte des vorigen Jahrhunderts das Standard-Bläserinstrumenten-Quartett des zeitgenössischen Jazz. Und damit sind wir auch bei unserem Februar-Kalenderblatt. Amerikanische GI, in Neu-Ulm stationiert, jazzten gleich in den Anfangszeiten der „Gaslaterne“ in der Kohlgasse. Man munkelt, es seien auch Bandmitglieder aus dem berühmten Count-Basie-Orchestra dabei gewesen. Nichts Genaues weiß man nicht, aber die eindrucksvollen Fotos lassen ahnen: Es muss ein Aufbruch in neue (musikalische) Welten gewesen sein.

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itte der 50er und in den Jahren danach war Heinz Erhardt mit seiner schönen Kunst hintersinniger Blödelei der populärste deutsche Komiker. Da hatte er aber schon eine erste Karriere hinter sich, die sich hauptsächlich während des II. Weltkriegs abspielte. Da saß er, ein schlanker, junger Mann, der übrigens zwischen 16 und 20 interessante Klavierstücke komponiert und danach zwei Jahre am Leipziger Konservatorium Komposition studiert hatte, im eleganten Anzug am Flügel und trieb scheinbar selbstvergessen musikalischen Schabernack, sang kalauernde Liebeslieder und brachte mit zungenbrecherischen Wortkaskaden das Publikum zum Lachen – ein Sprach-Artist und Musikclown, ein kabarettistischer Musiker. Als er seine zweite Karriere – eher als musikalischer Kabarettist – startet, auf Bühnen und im Rundfunk, fällt das in eine Zeit voller Aufbruchsstimmung: Wirtschaftswunder, Goggomobil, Rock ’n’ Roll und Petticoat, Nierentisch und Cocktailsessel, Italien-Ur-

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laub und erste Mallorca-Flüge. In den Kinos laufen „Wenn der Vater mit dem Sohne“ (Hauptrolle: Heinz Rühmann), „Sissi“ (Romy Schneider, Karl-Heinz Böhm) und „Die blonde Hexe“ (Marina Vlady) oder auch etwas später die Filmkomödie „Hula-Hopp, Conny“ (1959) mit Cornelia Froboess und Rex Gildo. In diese Stimmung passte immer „Noch’n Gedicht“. Bald wurde aus dem schlanken jungen Mann von ehedem der gemütliche Dicke mit der hohen Stirn, der den Schalk im Nacken hat und der dann Mitte der 50er in Leinwand-Schwänken auftauchte wie „Die gestohlene Hose“. Dieser Miniabriss des gesellschaftlich-kulturellen Mainstreams der damaligen Zeit soll genügen, um zu verdeutlichen, gegen was die Teens und Twens jener Zeit normalerweise anrennen mussten, wenn sie Jazz hören wollten. „Die Kirchgänger waren schockiert, wenn wir da im Stifterweg bei offenem Fenster Charlie Parker auflegten – oder das Modern Jazz Quartett …“, erzählt Robert A. Schaller (siehe Kalenderblatt „Januar“, ganz links). Bei ihm daheim muss wohl häufig – wie er es nennt – „Halli-Galli“ gewesen sein. Da, Im Stifterweg 5, grad‘ vis à vis der Metzgerei Höneß, traf sich Mitte der 50er eine Clique um Robert, den Ältesten von drei Söhnen des Architekten Rudolf Schaller, Elmar Poss und Joe Müller, weil die Eltern „nix gesagt“ haben, wenn Musik von Thelonius Monk, Ella Fitzgerald oder Dizzie Gillespie auch mal nicht in Zimmerlautstärke abgespielt wurde. Robert A. Schaller ging dann als 18jähriger 1957 von Ulm weg auf die Hotelfachschule. Elmar Poss, auf unserem März-Kalenderblatt abgelichtet mit seiner in der Szene gern als „Ulmer Marina Vlady“ apostrophierten damaligen Frau Nadi, war stark vom HfG-Virus infiziert. Die da oben auf dem Kuhberg, die Dozenten und Studenten an der in der Tradition des Bauhaus stehenden Hochschule für Gestaltung , die wurden „unten“ in Ulm eher misstrauisch beäugt. Zu dieser Multi-Kulti-Sippschaft zu gehören, reichte, um als schräger Vogel zu gelten. Poss hat das nie angefochten. Er fuhr nicht nur – wie erwähnt - den außergewöhnlichen Frogeye, er war nicht etwa bloß Mitläufer, sondern eher einer der Motoren in der damaligen Ulmer Jazz-Szene und: tat sich folgerichtig auch im späteren Leben mit Ungewöhnlichem hervor. Besonders herauszuheben ist der Part, den er im 1984 gegründeten gemeinnützigen „Förderkreis für tumor- und leukämiekranke Kinder Ulm e.V.“ übernommen hatte. Er gehörte zu den Gründern dieser Initiative, die nun seit über 30 Jahren ihre für die „kleinen Helden des Alltags“ und ihre Familien so segensreiche Arbeit macht. Elmar Poss, der als einer der Superstars der 50er-Jahre-Jazz-Szene in Ulm galt und bei manchem Schabernack der Rädelsführer war, setzte seine Phantasie und sein Können als Architekt sehr ernst- und mehr als ehrenhaft ein unter anderem für das der Uni-Klinik zugeordnete Elternhaus auf dem Michelsberg.

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it dem Kalenderblatt „April“ portraitieren wir einen weiteren Superstar der Ulmer Jazz-Szene der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts: Harald Eckstein. Alle Zeitzeugen von damals schwärmen von ihm und heben zwei Rollen hervor, in denen er geglänzt haben soll wie kein Zweiter: als Musiker und als – womanizer. Es heißt ja bekanntlich: „Man müsste Klavier spielen können, wer Klavier spielt hat Glück bei den Frau’n“. Harald Eckstein spielte excellent Klavier. Dementsprechend war die Resonanz in der Damenwelt seiner Generation. Anerkennend sagen noch heute seine Freunde von damals über den Tastenkünstler, der als erster in Ulm übrigens mit (knallengen) Jeans auftrumpfte, vielsagend: „Der Harald …“ und pfeifen mit gespitzten Lippen. „Darum ging’s uns doch damals“, gesteht einer. Schwierig war „das“ allerdings damals. Geschlechtertrennung in der Schule, die angesagten Locations waren Cafés wie die „Milchbar“ am Münsterplatz. Eher bieder, eher bürgerlich. Muntere „Milch-Bubies“ flogen da schon mal im hohen Bogen raus, wenn sie nach Ansicht des Bäckermeisters Käßmeyer nicht anständig waren. Keller, eigentlich Zufluchtsorte im Krieg und später von Kindern eher gemiedene modrige Verließe, nur auf elterlichen Befehl aufgesuchte Lagerorte von Kartoffeln und Kohlen, wurden für den Kinderschuhen Entwachsene, aber noch nicht Erwachsene zu dating-Möglichkeiten, wo womöglich etwas abging, was „oben“ absolut unmöglich war – und wenn es nur Händchenhalten und schüchterne Kussversuche waren. Irgendwann dann das Vox, etwa da, wo heute die Metzgerei Klaiber ist. Da traf sich irgendwie plötzlich alles, was dazu gehören wollte. Ins Vox wurde auch schon mal eines der Vollblüter aus dem Bierwagengespann geschoben, dessen Kutscher irgendwo in einer Beiz versackt war. Elmar Poss & Co waren Stammgäste. In die Szene gehörten auch die „Ballett-Zwillinge“ vom Ulmer Theater. Die liefen immer in Klamotten im Leopardenlook rum. Eine dieser beiden „Raubkatzen“, die mit einer weiteren Dame ein attraktives Trio bildeten, welches überall, wo es auftauchte, für jungmännliche Aufregung sorgte, schnurrte besonders zutraulich um Eckstein herum und wusste ihn tatsächlich eine längere Zeit an sich zu binden. Dem als Musiker Erfolgreichsten aus jener Zeit war dann irgendwann Ulm zu eng. Wenn man „Harald Eckstein“ googelt, findet man den Namen immer in unmittelbarer Nachbarschaft zu allen möglichen Jazzgrößen. Und in der vita manches bekannten deutschen Jazzmusikers ist eine gern genannte Station das „Harald Eckstein Sextett“. Das wiederum spielte in den 60ern auf jedem nur denkbaren Festival und heimste Preise ein, wenn denn welche ausgelobt waren. War er im Sextett noch der Pianist, lernte Eckstein im Laufe seines Musikerlebens noch manch anderes Instrument, dem Vernehmen nach jeweils in kürzester Zeit, und wusste diese Instrumente dann auch virtuos einzusetzen.

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chwof im Mai. Robert A. Schaller mit einer ungenannt bleibenden Partnerin. In vorderster Reihe in der Mitte sehen wir Heinz-Günther „Piepmatz“ Schmied, links von ihm: Peter Dick, dem wir im nächsten Monat, im „Juni“, noch ausführlicher begegnen. Die Location? Die Gaslaterne. Der Fotograf? Hans Kruse, der alle Fotos in diesem Kalender aufgenommen hat. Keiner wusste eigentlich, wo er herkam, zu wem er gehörte. Er war immer da. Muss auch gerochen haben, dass in der Gaslaterne sich Ungewöhnliches tat. Es sind aus dieser Zeit der späten Ulm/Neu-Ulmer 1950er übrigens erstaunlich viele Foto-Dokumente erhalten. Günter Steinle hat ein beinahe unerschöpfliches Archiv mit reichlich vielen Details. Neben Kruse lieferte reichlich Bild-Material einerseits der heute im französischen Le Poujol-sur-Orb lebende Walter „Joe“ Brodbeck, der übrigens nicht nur fotografierte, sondern immer bei Konzerten und Sessions absolut leidenschaftlich Bongos bearbeitete „bis die Fingerkuppen bluteten“ (Zeitzeuge), und andererseits steuerte der in Düsseldorf lebende Winfried Jokisch Berge von Fotos bei, schon als relativ junger Kerl mit einer Pentax „bewaffnet“, die er aber Günter Steinle schenkte, als er dann mit einer noch imposanteren Kamera seine Schnappschüsse fabrizierte: mit einer Hasselblad. Für die Jazz-Szene war die „Gaslaterne“ in der Kohlgasse das non plus ultra. Zwar hatte 1957 Günter Steinle bekanntlich mit Freunden den Keller des Hauses in der Königsstraße 79 zum „Club 79“ umgebaut, aber das war ja nur begrenzt zu nutzen, von und mit Freunden, privat, nichtöffentlich. Treffs für junge Leute war schon in der ersten Hälfte der 50er Jahre die schon erwähnte „Milchbar“, Südlicher Münsterplatz, rechts neben der heutigen Mohrenapotheke, dann das Café Vox, Nördlicher Münsterplatz, etwa da, wo heute Kleiber Wurst und Fleisch verkauft. Gleich nebenan lag Jimmy Baders Samenhandlung, die innerstädtische Verkaufsstätte der an der Wiblinger Straße 95 (gegenüber der Einfahrt zur „Jacobsruhe“) situierten Samenzüchterei Straub & Banzenmacher. Jimmy Bader gehörte mit zu der Clique um Schaller, Poss und Werner Brendel (lernen wir im „September“ noch genauer kennen). Bader und Brendel spielen jeder eine gewisse Rolle im Zusammenhang mit dem Verschwinden (Bader) und dem Wiederauftauchen (Brendel) des legendären „Delta 1“, den zwei HfG-Absolventen gebaut und 1967 auf der IAA (Internationale Automobil-Ausstellung) vorgestellt hatten, einem „Sandwich-Sportler“ mit NSU-TTS-Motor, wie das Fachblatt „Auto, Motor, Sport“ den innovativen, offenen Spider taufte. und über den später noch Spannendes zu berichten sein wird. Schließen wir den Mai mal damit ab und lassen uns über weitere Locations aus im Fortschreiten des „Wandkalender-Jahres“.

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in Klavier und ein Drum-Set haben nur wenig gemeinsam. Manche halten das Schlagzeug gar nicht für ein Instrument. Aber den Schlagzeuger und den Klavierspieler verbindet der Fakt, dass beide es nicht ganz leicht haben, ihr Gerät an den jeweiligen Einsatzort zu bringen. Na gut, das, was der Rhythmusgeber bei einem Jazz-Gig in der „Gaslaterne“ bearbeitete, hatte mit den Schießbuden der späteren Großtrommler im Rock-Business à la Phil Collins zum Beispiel noch rein gar nichts zu tun. Aber wer hatte als junger Jazzer damals schon ein Auto? Und Vans oder Busse oder auch nur Kombis waren doch recht selten. Wie auch immer, einer wie unser „Juni“-Star Peter Dick wusste dann schon rechtzeitig mit den notwendigen Siebensachen pünktlich da zu sitzen und zu trommeln oder die Besen zu rühren. Dick, der Fotograf, der später ein eigenes Fachgeschäft im Stadteil Söflingen betrieb, arbeitete zu der Zeit (Mitte der 50er) noch im väterlichen Geschäft in der Zinglerstraße – also Innenstadtnah.

Peter Dick gehörte zur Ulmer Jazz-Szene von Anfang an. Die Formation, in der er zumeist auftrat: Dima Spika (ts), Günter Hermann (p), Rudi Hörl (g) und Winfried „Lupus“ Wolf (b). Diese Band trat auch in Günter Steinles „Club 79“ auf. Man traf sich allerdings auch öfters bei anderen Gelegenheiten. Einmal, irgendwann, Ende der 60er, auch im „Piepmatz“, dem von Heinz-Günther „Piepmatz“ Schmied zusammen mit Monika Rindle in der Gideon-Bacher-Straße eröffneten und vom Volksmund dann nach ihm benannten „Café plus Galerie“. Da legten in feuchtfröhlicher Runde Dick und Steinle zusammen mit Rolf Glasmeier und weietern Gästen „amtlich“ fest, welche Musik bei der jeweiligen Beerdigung zu spielen sei. Peter Dick verfügte: „Zu meiner Beerdigung muss gespielt werden: „My Funny Valentine“, einer – was „man“ damals eben wusste und worüber uns ahnungslose Heutige Wikipedia belehren muss – „Ballade aus dem Broadway-Musical, `Babes in Arms‘, komponiert von Richard Rodgers mit dem Text von Lorenz Hart aus dem Jahr 1937. Er wurde durch die Versionen von Chet Baker und Miles Davis zu einem beliebten Jazzstandard des Modern Jazz“. Als Peter Dick, der zuletzt in einem der HfG-Gebäude am Oberen Kuhberg gewohnt hatte, nach plötzlichem Tod beerdigt wurde, wollte Günter Steinle den Wunsch erfüllen. Irgendwie klappte es nicht direkt bei der Beerdigung – technische Umstände. Aber: Steinle wetzte die Scharte ein paar Tage später aus und da schallte dann aus dem eigens besorgten Ghetto-Blaster an einem kalten, regnerischen Tag durch von Söflingen unten den Berg hinan steigende Nebelschwaden in voller Lautstärke über den Söflinger Friedhof „My Funny Valentine“. Der legendäre „Piepmatz“ in der Gideon-Bacher Straße, der nach etlichen Pächterwechseln seinen „falschen“ Namen noch heute trägt, war auch Treffpunkt für alles, was mit der HfG zu tun hatte. Das Konzept „Café plus Galerie“ war innovativ, den 10


ersten bezeichnenden Stempel trug der damals noch nicht ganz so bekannte Künstler Herbert Oehm mit seiner Gestaltung des Gastraumes auf.

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em unbekannten jazzenden GI muss man mal ein Denkmal setzen. Während die Dame unten rechts im Eck sehr wohl bekannt ist, es ist Leslie Jokisch, ist der Saxophonist einer der vielen unbekannten Musiker aus dem Kreis der in Neu-Ulm stationierten US-Boys. Sie, die zum Kriegsende wahrlich nicht nur Schalmeien spielend sowie Kaugummi und Nylons verschenkend in die Doppelstadt einmarschiert waren, sondern ausweislich der Ulmer Chronik auch den einen oder anderen Siegesrausch auslebten, haben nämlich dann in den auf die erste harte Zeit folgenden Jahren so manchen „Kraut“, vor allem die jüngeren, animiert, über die (Neu-)Ulmer Tellerränder zu blicken. So wie dieser die Kanne blasende Gastmusiker in der „Gaslaterne“ haben etliche Besatzer – auch in anderen Locations und auch schon bevor die Kneipe in der Kohlgasse die Chance bot – eine musik-ästhetische Wende in etlichen Köpfen provoziert. Mit ihren Auftritten war die Basis gegeben, an verschiedenen Orten in der Stadt ein neues Lebensgefühl auszukosten. So war der Boden bereitet dafür, dass sogar in Räumlichkeiten der Wengenkirche gejazzt werden konnte. Erstmals 1956. Bei diesem ersten Mal jazzte der berühmte Attila Zoller mit Combo. Es war ein SDR-Konzert. Das moderierte der später als „Jazzpapst“ apostrophierte Joachim E. Berendt. Günter Steinle wollte für den „Schlossgeist“ berichten, die Schülerzeitung des Reuttier Internats. Weil ihn die Musik faszinierte, vergaß er auch nur die mindesten Informationen mitzuschreiben und stand am Ende mit leeren Händen da. So wandte er sich schüchtern an Berendt, um ein paar Daten und Fakts einzuholen, und: bekam das Sendemanuskript geschenkt. Das war nicht nur die Rettung, sondern damit war er dem Jazz rettungslos verfallen. Ein Jahr später etwa baute er – wie schon kurz angedeutet - in der urlaubsbedingten Absenz seiner Eltern, die drei Wochen mit seiner sehr braven älteren Schwester in Alassio weilten und „mich da nicht dabei haben wollten“ den Keller des Elternhauses zum „Club 79“ um. „Ich sollte offiziell immer daheim bleiben, um aufs Haus aufzupassen.“ Das hatte nicht ganz funktioniert. Am Ende des Umbaus wurde der Club mit einem Gartenfest eröffnet, zu dem in den Bäumen diverse Lautsprecher aufgehängt waren, welche den Kuhberg mit den blue notes von Julian Edwin „Cannonball“ Adderley und Co beschallten. Das war natürlich kein regelmäßiger, öffentlich nutzbarer Club. Mitte der 50er spielt die Jazz-Musik unter anderem in Hinterhof-Gemäuern des Fort Unterer Kuhberg, eine zeitlang auch in einem abgefahrenen Kellergewölbe beim Justizgebäude in der Olgastraße. Für die, welche guten Kontakt zu den Amerikanern hatten, war das Gebäude an der

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Neu-Ulmer Schützenstraße, welches den Jüngeren noch als Glacis-Café ein Begriff ist (vis `a vis der Römervilla) ein gesuchtes Ziel. Wer es eher traditionell wollte, nicht so auf Jazz stand, ging in die Retorte am Ulmer Marktplatz, dorthin, wo heute die Schmuckmanufaktur Ehinger-Schwarz residiert. Unten war eine Bar und oben spielten (auch italienische) Bands zum Tanz auf. Rechts daneben lag das Hofbräuhaus, in dem Harry und Peter Kretschmar ihrem Vater zur Hand gehen mussten. Das führte dazu, dass Harry mit 16 schon einen Führerschein haben durfte und einen schwarzen Mercedes mit dem Kennzeichen UL-A 106 fuhr. Das Kennzeichen war dann auch der Deckname für die Clique. Peter Kretschmar hat übrigens irgendwann den Slogan „Die deutschen Bullen“ für Magirus geboren und dieses Markenzeichen tatsächlich dem FC Bayern schmackhaft gemacht. Da war die ulmische Vergangenheit des Uli Höneß sicher alles andere als ein Hindernis – aber das ist ja eine ganz andere Geschichte.

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etzt cruisen wir ständig in den 50ern umher. In Ulm. Ein paar Mal kurvten wir dabei schon um die Hochschule für Gestaltung (HfG) herum. Da wird’s Zeit und da gehört’s sich einfach, sie für ein Kalenderblatt ins Zentrum zu rücken. Nun ist hier nicht der Platz, um die allgemeine Bedeutung dieser damals aus den Ulmer Niederungen äußerst misstrauisch beäugten Brutstätte vieler Innovationen oben auf dem Berg herauszustreichen. So wie der eine oder die andere, die damals mit dieser Bauhausnachfolgerin nix anfangen konnten, aber auch schon gar nix, so sind heute doch einige sich äußerst bewusst, welches Juwel auch mit Hilfe der Ulmer Ratsdamen und Ratsherren in den Orkus versenkt wurde. Der (auf Youtube zu findende) Film „Die Zauberlehrlinge von Ulm“ aus dem Jahre 1960 hätte schon damals den Kritikastern die Augen öffnen können. Doch damals gab’s ja das Internet noch nicht, welches heutzutage Informationen breit zugänglich macht. Es wäre vielleicht hilfreich gewesen, wenn dieser „bericht über die hochschule für gestaltung in ulm“, der „über das studentische leben an der berühmten design schule hfg ulm in den 50ern“ (buch und regie Rudi Honecker) Aufschluss gab, ein größeres Publikum gefunden hätte. Vielleicht hätte dann der Pauker, der dem Keplergymnasten nur ein „ausreichend“ im Aufsatz gab, weil er den Inhalt zwar mit „gut“ (2) bewertete, aber das nach HfG-Vorbild konsequente Kleinschreiben mit „Ungenügend“ (6). 2 (für Inhalt) plus 6 (für Rechtschreibung) ergab 8, geteilt durch 2 – das war nur 4. Es lässt sich aber herauslesen, dass diese Multi-Kulti-Gesellschaft auf dem Oberen Kuhberg eine gewisse Strahlkraft hatte, attraktiv für die junge Generation von Ulmerinnen und Ulmern war und den einen oder die andere zu Kapriolen veranlasste.

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„So war’s“, bekräftigt Günter Steinle. Er war einer von denen, die es magisch da hinzog, wobei „das“ von dem Zeitpunkt an, da er mit den Eltern in die Königsstraße gezogen war, praktisch um die Ecke lag. Auch die auf unserem August-Kalenderblatt in der „Gaslaterne“ verzückt den jazzenden Musikern lauschenden Harald Eckstein, Jörg von Prittwitz und Werner Pfister waren ungeachtet aller Wege dorthin vom HfG-Virus befallen. Das gehörte einfach zum Aufbruch in die Zukunft dazu. Nicht weniger war versprochen worden als: „Diese Schule will Methoden zur Förderung des demokratischen Lebens in Deutschland lehren.“ Steinle wollte mit 16, kurz nach der offiziellen Eröffnung der HfG (1955 durch Max Bill) alles andere sausen lassen und da hoch. Sporadisch wohnte er schon im Studenten-„Turm“. Von den späteren Querelen war für die jungen Stürmer und Dränger noch nicht viel zu merken; und so war Steinle erpicht, dem amerikanischen Psychologie-Professor Marvyn Perrine, der von 1958 bis 1961 an der HfG dozierte, zu folgen, als der ihn aufforderte, doch die Aufnahmevoraussetzungen für die Abteilung „Information und Publizistik“ zu schaffen. „Der wollte, dass ich da hoch komme.“ Das war nun im Grunde nicht Steinles favorisierte Fachrichtung – fing er doch mehr an mit musisch-künstlerischen Bereichen. Aber das war auch Makulatur, denn: Der Vater hat’s überhaupt verboten und torpediert. Der einzige männliche Spross der Familie sollte ins elterliche Unternehmen einsteigen. Da wurde sogar die über viele Umwege endlich bewilligte Freistellung vom Wehrdienst verschwiegen, so dass statt des Studiums zum Beispiel in der von „meinem guten Bekannten Herbert Ohl“ (Steinle) geleiteten Abteilung Architektur oder bei Otl Aicher (Visuelle Kommunikation) der Wehrdienst in Sigmaringen anstand. Dort wusste man zwar nix von dem ja freigestellten Rekruten, aber „Wo Sie schon mal da sind …“ Wiewohl der Züricher Maler, Architekt und Designer Max Bill - Erbauer und erster Rektor der Kuhberg-Akademie – später barmte, „dilettantische fantasten und tüchtige nutznießer“ hätten „sich der ehemals guten sache bemächtigt“; und wiewohl Perrine 1962 an den Verwaltungsrat der das „Signum neuen Geistes“ (Carl Zuckmayer) tragenden Geschwister-Scholl-Stiftung schrieb: „Der gut Ruf, den Ulm sicher einmal zu Recht besaß, ist heute nur noch eine dünne Fassade aus ein paar Braun-Geräten, Möbeln und Tassen.“ und noch 1963 noch einmal nachlegte: „die Ulmer Schule“ könne „den Rang einer Hochschule kaum mehr für sich in Anspruch nehmen“ – trotz dieser vernichtenden Verdikte liefert uns die HfG für das Kalenderjahr noch einige hübsche Geschichten, die es lohnt festzuhalten. Schon der September, in dem wir den bereits erwähnten Werner Brendel näher kennenlernen, liefert uns mehr als eine Petitesse.

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S

chon mal was von „Delta 1“ gehört, dem „Sandwich-Sportler mit NSU-TTS-Motor“, wie das Fachblatt „Auto – Motor – Sport“ den auf der IAA 1967 vorgestellten offenen Sportwagen mit einer Karosserie ganz aus Kunststoff getauft hat? Er war das erste Projekt des in Stuttgart frisch gegründeten Büro „Delta Design“. Dahinter verbargen sich die beiden Absolventen der Hochschule für Gestaltung (HfG) Ulm und ehemalige Mitarbeiter der Designabteilung von Mercedes-Benz Michael Conrad und Henner Werner. Als drittes Teammitglied gesellte sich Detlef Unger hinzu. Das sportliche Auto „Delta 1“ mit innovativen Merkmalen sollte so etwas wie der Startschuss für eine erfolgreiche Entwicklung sein. Er sorgte zunächst durchaus für Furore und brachte Auto-Fans zum Träumen. Aber: „Delta 1“ ging nie in Serie und verschwand nach etlichen Presseberichten von der Bildfläche. Ausgerechnet ein Ulmer „Oberjazzer“, der Held unseres September-Kalenderblattes, der Top-Vibraphonist Werner Brendel konnte entscheidend dafür sorgen, dass „Delta 1“ nicht gänzlich in der Versenkung verschwand. Er kannte das Traumauto und seine Designer. Und somit wusste er sofort, welchen Schatz er da 1977 bei seiner Arbeit (als Dachdeckermeister) in der freien Wiese bei der Samenzüchterei Straub & Banzenmacher an der Wiblinger Straße vor sich hingammeln sehen musste. „Delta 1“ war in erbärmlichem Zustand: der Innenraum wie eine Badewanne voll Wasser, Sitze, Instrumente, die Original-Felgen fehlten wie die Vergaser und das Heckteil mit den sechs Bremslichtern, die nur dann alle leuchteten, wenn das Bremspedal voll durchgetreten wurde – was ein früher Beitrag von „Delta Design“ war zu größerer Verkehrssicherheit. Klar, dass Conrad und Werner dem Brendelschen Vorschlag zustimmten, das Auto zu retten. Sein erster Beitrag war, das Wasser im Innenraum des Delta 1 auszuschöpfen und geduldig zu warten, bis die Reste verdunstet waren. Hätte Brendel ein Loch in den Boden gebohrt, wäre der Kunststoffschaum beschädigt und die Stabilität beeinflusst worden. Es vergingen insgesamt rund zwanzig Jahre, in denen Werner Brendel dem Ansinnen eines Museums trotzte, den Spider optisch geschönt in eine Ausstellung zu nehmen. Er wollte den Oldtimer wieder fahren sehen. Und als ihn die Designer 2008 zum Besitzer von „Delta 1“ machten, setzte er alles daran, ihn wieder fahrtüchtig zu machen. Eigentlich heißt dieser Kalender ja „Jazz in der Gaslaterne“. Und Werner Brendel war einer der aktiven Musiker, die in den 50ern die Fans begeisterten. Nun gehörte er aber zu denen, die man mit gewisser Hochachtung „verrückte Hunde“ nennt. Man weiß von jenen wilden Zeiten, in denen er intensiv Motorsport betrieb, 1969 zum Beispiel auf einer Alpine A 110 deutscher Bergmeister wurde. Von daher hatte er viele Kontakte und gute Freunde, die ihm bei dem Delta 1-Projekt hilfreich zur Seite standen, zum Beispiel der Ex- Rallye-Fahrer Günter Kühlewein, der sich um die gesamte Technik des Autos kümmerte, die ursprünglich NSU beigesteuert hatte. 14


Obwohl es ausgesprochen spannend wäre, hier zu lesen, wer alles und was alles dazu beigetragen hat, wie umständlich und kostspielig es war, „Delta 1“ wieder hinzukriegen – machen wir es kurz: Brendel schaffte es, vielmals improvisierend und alles Mögliche ausprobierend: Der Prototyp wurde alltagstauglich. Die letzten Arbeiten an dem in einem strahlenden Blau lackierten Delta 1 betrafen die Innenausstattung, wobei da bezüglich der originalen Recaro-Sitze Michael Conrad helfen konnte – er hatte sie damals glücklicherweise sichergestellt, und so konnte man diese aufarbeiten. Conrad und Werner haben dem Vernehmen nach den Verlauf der Restaurierung mit Interesse verfolgt, und als der Delta 1 wieder in altem Glanz erstrahlte, freuten sie sich mit Werner Brendel über das gelungene Ergebnis. Und der Jazzer Werner Brendel? Kriegen wir später wieder rein. Schauen Sie mal in den Dezember! Sorry – schauen Sie, bitte, mal in den Dezember.

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illi Johanns? Willi Johanns? Willi Johanns? Es heißt in einer Band-Vita (Hob Des): „Willi ist – ironischerweise – der unbesungene Held des deutschen Jazz-Gesangs.“ Als „bester Deutscher Jazzsänger“ mehrfach ausgezeichnet - weltweit vielerorts gefeiert, ist er heute völlig zu Unrecht fast vergessen. Fast. Noch im Frühjahr 2015 gab er ein gefeiertes Konzert. Mit 81! In Ulm meistens bei den Jazz-Sessions von den Instrumentalisten nur gelitten, findet man in „Jazz in Deutschland – Das Lexikon“ den Eintrag von Jürgen Wölfen über Willi Johanns: „Der bis zu seiner Pensionierung als Grafiker tätige Johanns ist ein brillianter Scatsänger, der sich vor keinem großen Namen des Jazzgesangs zu verstecken braucht.“ Robert A. Schaller wusste das schon damals, als man in der „Gaslaterne“ und anderswo in Ulm die Jazzmusik für sich entdeckte. Schaller schwärmt noch heute von „Scattin‘“, der Scheibe, auf der die Johannsche Meisterschaft zu hören war (und ist). Wer will, schaut auf Youtube und hört, was bei Johanns abgeht. Der jazzverrückte Günter Steinle war als Teenager nicht auf elektronische Medien angewiesen, sondern hörte live Willi Johanns, mit dem er sich sehr gut verstand. Ihm gefiel ganz im Gegensatz zu den sich so cool und weltmännisch gebenden Instrumentalisten der Scat-Gesang des ewig zappeligen Vollblut-Jazzers Willi Johanns. Heute freut er sich riesig über den Welterfolg des Freundes, erinnert sich aber auch an die Begegnung der dritten Art auf der Hirschstraße, bei welcher der Willi (der übrigens bezeichnender Weise überall die Ulmer Vergangenheit verschweigt) ihm freudestrahlend und mit großer Geste verkündete: „Weißt Du, welche Scheibe ich gerade bei Falschebner gekauft habe?“ Steinle kam natürlich nicht drauf.“ Willi: „Günter, das musst du dir unbedingt kaufen. Das ist das Beste, was ich je gehört habe – was für eine Stimme, was für wunderbare Balladen.“ Und dann zappelte er fröhlich weiter die Hirsch-

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straße entlang. Gekauft hatte er sich die LP (Langspielplatte), in Vinyl gepresst: „Only the Lonely“. Frank Sinatra. Ausgerechnet! Willi Johanns. Passt mal auf: Weil alles so toll und aufregend klingt, sei hier in ausführlichen Passagen wiedergegeben, wie der Rezensent Thomas Wolff das oben erwähnte Konzert am 8. Februar 2015 im „Darmstädter Echo“ bespricht und den alten Jazzern in Ulm damit indirekt ohne es zu wissen ins Stammbuch schreibt, wen sie da damals belächelt hatten: „Die alte Angst, ‚dass sie mich wieder von der Bühne runterschicken‘, braucht er an diesem Abend nicht zu haben. Jazzsänger Willi Johanns mag in frühen Tagen von den Saxofon, Klavier und Bass spielenden Kollegen oft wie ein Bittsteller behandelt worden sein. Doch an diesem Abend im Darmstädter Jazzinstitut ist er der Star, und die dreiköpfige Band gibt alles, um dem 81 Jahre alten Großmeister der Gesangsimprovisation vor allem einen Rückhalt zu bieten. Die Zuhörer im rappelvollen Gewölbekeller des Hauses feiern ihn sowieso. … … Wie Johanns über geliebten Standards klangvoll seufzt und heult, rhythmisch zischt und poltert und in flinken Silbenfolgen durch die Skalen jagt – unwiderstehlich … Ein Ereignis von einem Konzert – nicht nur fürs Publikum … … Willi Johanns, der nach einer halben Stunde erstmals auf die Bühne kommt, legt los wie ein Eilzug. Das Vorbild Gillespie spürt man deutlich: Energiegeladen und gefühlvoll zugleich haut er seine Soli raus; eine Dampflok an Dynamik. Ansatzlos steigt er in vertrackte Rhythmen ein, überrascht mit originellen und spaßigen Lauten – die Beatboxer der aktuellen Hiphop-Szene können sich von diesem Altmeister einige Scheiben abschneiden.“ Das Ensemble von „Hob Des“ zollt „seinem Talent und seinem Einsatz für Jazz die Anerkennung, die er verdient, als unser geschätzter Ehrengast“, und die Band singt sein Lob weiter, um es dann auf die Spitze zu treiben: „Irgendwann hörte ihn Jazz-Legende Jon Hendricks.“ Und der habe sich später erinnert: “Louis Armstrong, the Father of us all, invented Jazz singing and scatted like no one ever heard before or since. [...] So when you hear some cat in some land for from the USA scatting his broins out... you are not going to rest until you know who THIS cat is! I felt that way when I heard a German Bebop singer. Willi Johanns.“ Übrigens trat Johanns zusammen mit Jon Hendricks auf sowie mit Don Menza und Clark Terry. Er spielte mit den German All Stars, Kurt Edelhagen und Horst Jankowski. Leider wissen wir nicht, was Yorck von Prittwitz, der auf unserem Oktober-Kalenderblatt mit einer damaligen Freundin abgebildete Musikagent und MusikVerleger, damals von Willi Johanns hielt. Es wäre schon interessant, ob er das Talent des Sängers erkannte. Und: Ob er mit ihm eine Produktion hätte machen wollen… Wir Heutigen sollten uns jedenfalls mordsmäßig anstrengen, Willi Johanns sobald wie möglich live auf eine Ulmer Bühne zu holen. 16


I

n der lebendigen Ulmer Jazz-Szene der 1950er tummelten sich viele gute bis sehr gute, allerdings überregional nicht so bekannt gewordene Musiker, die für diese Zeit genauso wichtig, genauso prägend waren, wie die überregional Erfolgreichen, ja vielleicht wichtiger als diese, die ja dann weg gegangen sind. Wollen wir hier die Namen derer festhalten, welche damals leidenschaftlich der Jazzmusik gefrönt haben. Aktiv! Zum Beispiel Artur Rieck, der Bassist auf unserem November-Kalenderblatt, auf dem im Vordergrund nochmals der mehrfach erwähnte erfolgreiche Harald Eckstein abgelichtet ist.

Dima Spika (p+ts)

Kraft Otto (Bago) Steinle (tp)

Claus Frank (ts)

Rudie Hörl (git)

Uli Warlich (b)

Jörg v Schlippenbach (tb)

Günter Herrmann (p)

Alfred Mall (p)

Günter Lorenz (b)

Henri Leben (p)

Karl Heinz Pappler

Rudolf Spiegler (tp)

HP Urich (b)

Und noch „ein leidlich spielender Drummer mit singender Ehefrau, beider Namen ha‘ ich leider gerade nicht parat“, gesteht der „Lieferant“ dieses „who is who“ der Ulmer Jazzerriege der frühen Nachkriegsjahre, Günter Steinle. Und dann schiebt er nach den Namen eines guten Freundes, von dem er merkwürdig spät erfahren hat, dass der auch Jazzmusik gemacht hat: Jochen Mayer (ts). Steinle selbst trat zu der damaligen Zeit nicht nur im eigenen „Club 79“ auf, sondern an verschiedenen Orten, zum Beispiel als Pianist oder Drummer in italienischen Bands in der „Retorte” oder im legendären „Piepmatz”, auch bei einem „Blaueck Fasching“ in folgender Formation: Dima Spika (ts), HP Urich (b), Günter Herrmann (p), Günter Steinle (dr). Man könnte noch viel erzählen über den Erfindungsreichtum, mit dem Kfz-Besitzer überredet wurden, Schlagzeug zu Spielorten zu transportieren. Oder Klaviere. Wo überall gespielt wurde. Welche Bedeutung diese Live-Auftritte in einer Zeit hatten, in der niemand einen transportablen Plattenspieler besaß, nur einige wenige ein Tonbandgerät, einer Zeit vor Kassettenrekorder, Walkmann, MP3-Player, Smartphone oder sonstigen technischen Errungenschaften zum Abspielen diverser Ton-Konserven. Eine der schönsten Anekdoten ist vielleicht die, welche davon erzählt, wie einmal ein Konzert in einer Halle an der Blaubeurer Straße stattfinden sollte. In die mit großem Aufwand auch ein Klavier verfrachtet worden war. Unsachgemäßes Hantieren mit brennendem Heizöl befüllten Industrieöfen hatte zur Folge, dass der ganze Laden abbrannte. 17


Wer mehr wissen will, kann den einen oder anderen Zeitzeugen von damals befragen und bekommt bei fünf Befragten acht verschiedene Versionen geliefert. That jazz.

D

ezember 2016. Es ist noch weitgehend präsent, was uns im abgelaufenen Jahr auf den Nägeln brannte. Vielleicht blickt in 70 Jahren wieder mal jemand zurück und will beschreiben, was und wer im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts die Ulmer / Neu-Ulmer Szene prägte. Mal ehrlich: Wüssten Sie jetzt Namen, die es hier schon mit dieser Perspektive festzuhalten gilt? Eine HfG oder Vergleichbares? Fehlanzeige. Auswärtige wie die US-Boys, die mit ihren kulturellen (kulturell im weitgefassten Sinn) Importen eine Wende auslösten? Könnte sein. Auf Grund der faktischen Völkerwanderung. Aber: noch nicht abzusehen, weil die Migrations-„Welle“ noch zu jung ist. Ulmerinnen oder Ulmer Szene-Matadore? Na ja – Hellmut Hattler, Jürgen Grözinger, Joo Kraus, Jürgen Schlachter – Musiker, welche innovativ ihrer Kunstsparte einer eher nachhaltigen Stempel aufdrück(t)en – während das, was kurzfristig Berühmte, produzier(t)en – zum Beispiel im Bereich Hip-Hop wohl 2085 sehr verblasst sein wird. Klangmanufakturisten wie Andreas Usenbenz mit elektronischen Sound-Eskapaden – vielleicht. Der Weltklasse-Illusionist Florian Zimmer – ja! Ob aber ein heute 21jähriger Sänger mit dem, was er heute macht, dann mit 81 noch so durchknallt wie auch in 2015 der Bebop-Virtuose Willi Johanns (siehe Kalenderblatt „Oktober“)? Da sagen wir hier und jetzt mal frech weg: never! Lässt sich gut und ungestraft behaupten? Nennen Sie einen Namen! Bitte … Also: Heute vor 60 Jahren bestritt ein Quartett die opening-show der Serie „Jazz in der Gaslaterne“ (Kohlgasse) in der Besetzung: Werner Brendel (vib), Alfred Mall (p), Jo Burkard (b) und Gerd Habersetzer (dr). Das war die Basis für das dann viele Jahre immer wieder gern engagierte und gehörte „Ulmer Jazz-Quintett“ – der fünfte Mann war Dieter Goal (Tenorsaxophon, Harmonika). Es folgten einige Wechsel, zuletzt war die Besetzung um Werner Brendel: weiterhin Dieter Goal (†2013), Klaus Wagenleiter (p), Thomas Stabenow (b), Harald Rüschenbaum (dr). Einen überregionalen Ruf erjazzte sich Harald Eckstein mit dem nach ihm benannten Sextett. Er trat mit seinen Kollegen bei jedem Jazzfestival auf und heimste, so es welche gab, auch Preise ein. Unter der Schlagzeile „Ausbruch aus der Konvention“ berichtet Siegfried Schmidt-J am 22. Oktober 1965 in „DIE ZEIT“ vom „1. Internationales Amateur-Jazz-Festival in Düsseldorf“ unter anderem auch über den Gig des „Harald Eckstein Sextett“ (damals inzwischen Bremen. Über 450 Bands hatten sich beworben, zwanzig wurden eingeladen, Eckstein war dabei und sahnte ab. Die „ZEIT“: „Zu recht gab die Jury zwei Bands den ersten Preis im traditionellen und im modernen Bereich, die sich auf gesichertem Terrain bewegten, hier aber durch ungewöhnliche 18


Originalität und Virtuosität bestachen: dem ‚Traditional Jazz Studio Praha‘ und dem ‚Harald Eckstein Sextett‘ aus Bremen.“ Und im weiteren Verlauf folgt dann ein Urteil, das sich gewaschen hat: „So sicher die Tschechen sich in den Gefilden der Basin Street und des alten Chikago tummelten, so sicher bewältigte Harald Eckstein mit dem farbigen Trompeter William McKay und dem Tenorhornisten Erhard Kröger die Klangwelt des mit Gospel- und Bluesfiguren durchsetzten Hard Bop, die intensivste und packendste Spielform des modernen Jazz. Wüsste man nicht, dass die sechs Bremer als Werbegraphiker, Lehrer und so weiter tagsüber durchaus bürgerlichen Berufen nachgehen, man würde ihre Musik unbesehen im schwärzesten Harlem ansiedeln.“ Nicht wenige Jazz-Fans werden manch wehmütigen Gedanken auf das Verblassen der Profi-Big-Bands verschwenden. Wie viele andere Amateur-Big-Bands hatte sich auch die „Big Band Ulm“ über Jahre hin, unbeeinflusst durch Wohlstandsdenken und Beatkonkurrenz das helle Feuer der Begeisterung bewahrt und dem wohlgelaunten Publikum mit Verve auch schwierige Arrangements der Klassiker auf die Ohren gegeben. Lange Jahre saß dabei Harald Spannknebel an den Drums, den unser Foto aus den 50ern zeigt – auch eine Aufnahme von Kruse aus der „Gaslaterne“. Der beste Drummer jener Ulmer Zeit soll dem Vernehmen nach ein gewisser Strube gewesen sein. Man findet fast nix mehr über ihn. Ein Interneteintrag über Joy Fleming sagt, er sei ihr erster Ehemann gewesen, und sie hätten zusammen zwei Kinder.

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Zeitzeugen und Vorschaubilder auf den Kalender 2017

Text Fotos Gestaltung Produktion

Heinz Koch und Günter Steinle Hans Joachim Kruse Sabine und Hans Werner Spieß und Günter Steinle Wohnbau Steinle 20


www.40-jahre-steinle.de


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