Jahresbericht Baden-Württemberg Stiftung 2018

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Eine StraÃ&#x;e. Eine Gesellschaft.

JAHRESBERICHT2018 2018 JAHRESBERICHT


1 Rosis Pinte

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INHALT

2

002 008 009

Editorial Factsheet Willkommen im Viertel

SCHWABSTRASSE 193 - 12

STELP

Maries gute Stube

015 077 078

Haltung Bericht des Geschäftsführers Bericht des Geschäftsführers im Vermögensbereich

Tabacum

079

AKTIVITÄTEN

083 084 102 122 148 151

Forschung Bildung Gesellschaft & Kultur Mitarbeiter Rückblick

BILANZ

Bäckerei Bosch

153 154 160 163 170 173 178

SCHWABSTRA SSE

Zahlenteil Lagebericht für das Geschäftsjahr 2018 Anhang für das Geschäftsjahr 2018 Bestätigungsvermerk des Abschlussprüfers Schriftenreihe Impressum

5

3 Mobile Jugendarbeit

7 Stuttgarter Früchtle

6 Schwabschule

8 Die Metzgerei Büro für Auszeitkultur

10 Schüttgut

9 11

Markt

Textilpflege

14 12

Buchstäbchen

17

15

Der gestiefelte gerhardt

Farben Liebig

13

Gewand nails & more

18 Caritas

19

20

Tabak Reich

16 Café Gustav

Boss Travel


INTRO

Eine Straße. Eine Gesellschaft. Was hält unsere Gesellschaft zusammen? Sind es unsere gemeinsamen Ziele, unsere Wünsche, unsere Träume? Unsere Ideen und Ideale? Das Wir? Oder doch unsere Individualität, das konsequente Ich? – In jedem Fall: die Menschen. Wir schauen hin und erkunden den Mikrokosmos unseres Zusammenlebens: eine Straße im Umbruch, mitten im Stuttgarter Westen. Anonym und dennoch bunt. In einem Stadtviertel, in dem sich die Verhältnisse rasch und deutlich verändern: vielfältige Lebensentwürfe auf kleinstem Raum, unterschiedliche Kulturen und Subkulturen, Milieus und Einkommensverhältnisse. Alteingesessene und Neuankömmlinge prallen aufeinander und leben miteinander. Ein Labor unserer Gesellschaft. Als unabhängige und überparteiliche Stiftung des Landes sind wir in besonderem Maße den Menschen in Baden-Württemberg verpflichtet. Mit einem klaren Auftrag und mit einer klaren Haltung. Deshalb gestalten wir Wandel – in der Gesellschaft, in Kultur, Bildung und Forschung. Für eine gemeinsame Zukunft, die nicht auf das Ich, sondern auf das Wir baut.

Mehr davon:

WWW.WIR-GESELLSCHAFT-BW.DE

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JAHRESBERICHT

2018

Christoph Dahl

Baden-W체rttemberg Stiftung

Editorial Christoph Dahl

Gesch채ftsf체hrer der Baden-W체rttemberg Stiftung

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Tabacum


„Hier geht es im Kleinen um die großen Themen.“ Christoph Dahl, Geschäftsführer der Baden-Württemberg Stiftung

i Das „Tabacum“ ist seit 1979 eine Institution im Stuttgarter Westen. Christoph Dahl kommt regelmäßig auf einen Espresso und eine Zigarre oder Pfeife in die „Casa del Habano“. Seine Lieblingsecke ist der rote Salon, die Raucherlounge.

# WIR SINDS

H ER R DA H L, WAS M ACHT FÜ R SI E DEN R EIZ I N DI ESEM V I ERTEL AUS?

CD — Wenn ich durch die Schwabstraße gehe,

genieße ich, wie sich das öffentliche Leben immer mehr auf die Straßen und Plätze verlagert, wie viele Tische draußen stehen und wie viele Menschen sich dort treffen. Aus meiner Sicht ist das eine durchweg positive Entwicklung, die Berührungspunkte schafft. Räume spielen eine große Rolle für unseren Gemeinsinn. Architektur fördert im Idealfall die Gemeinschaft: Fühle ich mich wohl in einer Straße? Gibt es Begegnungsorte? In der Schwabstraße funktioniert das. Es findet sich ein Mix aus Gastronomie, Kultur, Handwerkern, mit kleinen Werkstätten in den Hinterhöfen, vielen inhabergeführten Geschäften statt großen Ketten. So entsteht ein Stadtviertel zum Wohlfühlen mit Kiezcharakter und einer sehr persönlichen Atmosphäre, geprägt von unterschiedlichsten Kreisen und Schichten auf engstem Raum.

DI E SCH WA BSTR ASSE A LS SPI EGEL DER GESELLSCH A FT: I N W I EW EIT TR I FFT DAS AUS I H R ER SICHT ZU?

CD — In einem Mikrokosmos wie diesem, in dieser einen Straße, geht es im Kleinen um die ganz großen Themen: Globalisierung, Migration und Digitalisierung. Viele gesellschaftliche Herausforderungen sind im Alltag direkt spürbar: wenn etwa die Apotheke schließen muss als eine Folge des Internethandels, oder wenn es um Verteilungsprobleme geht, zum Beispiel beim Thema Wohnraum. Wenn sich selbst das bürgerliche Milieu, etwa der Handwerkermeister mit seiner Familie, die Miete kaum noch leisten kann, wenn es plötzlich um Zwangsmaßnahmen in Kommunen geht, um Enteignungen, kann die Stimmung schnell kippen. Viele haben aktuell die Sorge, abgehängt zu werden, ihren Job zu verlieren oder beruflich nicht mehr mitzukommen, weil ihnen eine Weiterbildung fehlt. Diese Verunsicherung in Teilen der Bevölkerung kann wiederum dazu führen, dass einige Sündenböcke suchen und anfällig für simple Parolen werden. Dann heißt es: „Migranten nehmen uns die Arbeitsplätze weg.“ Verunsicherung und Misstrauen stören das Zusammenleben und beeinträch-

tigen den gesellschaftlichen Zusammenhalt – im Kleinen wie im Großen. Deswegen müssen wir uns überlegen, wie wir dieser Tendenz entgegenwirken können.

U N D W I E KÖN NTE DAS AUS I H R ER SICHT AUSSEH EN?

CD — Jeder Einzelne muss befähigt werden, selbst Verantwortung zu übernehmen. Das Stichwort: Bildung, angefangen bei der frühkindlichen Erziehung. Es geht um Teilhabe. An erster Stelle steht dabei die Frage: Was ist Demokratie? Was leistet sie und wie kann ich mich dafür einbringen? Das müssen schon die jüngsten Bürger lernen. Bürgerschaftliches Engagement ist dafür entscheidend, sich gemeinsam zu organisieren, ein Projekt anzugehen, zusammen sein Quartier zu gestalten, wie die Händler und Anwohner hier am Hölderlinplatz. Ähnliche Interessen und Ziele verbinden. Auch wenn im Gemeinwesen oft Kompromisse notwendig sind und wir immer wieder vom eigenen Standpunkt abweichen müssen, um auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen.

W ELCH E W ERTE U N D VOR AUS SETZU NGEN SI N D DA FÜ R ENTSCH EI DEN D?

CD — Wer gesellig und tolerant ist, hat es einfacher. Wer sich verschließt, hat es oft schwerer. Doch auch jene dürfen wir nicht außer Acht lassen. Wir brauchen gemeinsame Regeln, für die wir alle einstehen. Heruntergebrochen auf eine Stadt wie Stuttgart ist es wichtig, nicht zu trennen, nicht abzuspalten: Wir müssen eine Ghettoisierung verhindern, den Rechtsstaat bewahren. Sicherheit spielt in solch einer Straße eine ganz entscheidende Rolle. Wer seine Mitmenschen im Blick hat, die Nachbarin, die zu vereinsamen droht, oder wer aufmerksam durch das Viertel geht, kann sehr viel dafür tun, dass unsere Gesellschaft funktioniert. Und wer sich sozial engagiert, profitiert letztlich auch selbst davon.

WAS IST DER SOZI A LE K LEBSTOFF, DER U NS V ER BI N DET?

CD — Gemeinsam genießen, zusammenkommen, sich austauschen, das ist elementar. Kultur, Kunst und eine gemeinsame Sprache sind natürlich gerade im Bereich der Integration elementar – Ausdrucksformen, die wir mit unserer Stiftungsarbeit fördern. Aber wir müssen auch anerkennen, dass es andere Prägungen gibt, andere Familienstrukturen und Lebensformen. In einem starken Gemeinwesen müssen wir uns gegenseitig respektieren und Verständnis zeigen und dabei die demokratischen Spielregeln einhalten. Vielfalt erfordert Offenheit. Sie kann bedeuten, dass Ängste und Abwehr entstehen, wenn andere Sprachen, andere Lebensformen aufeinanderprallen. Vielfalt kann im besten Sinne aber auch positiv wirken und befruchten, wenn wir Ideen aufgreifen und es keine Ausgrenzung gibt.

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JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

Giulia Cardascia (24)

Aslan Önen (35) & Ulas Yalcin (30)

„Wir sitzen alle an einem Tisch.“ Siegfried Schäuble (70)

„Nur mit Willkommenskultur haben wir eine Chance.“

„Zusammenhalt ist für mich an erster Stelle Loyalität, zueinanderhalten, ehrlich sein. Wir lieben das Viertel, unser Revier. Wenn wir Bock haben, tanzen wir auf der Straße, machen Saltos, wir machen den Westen bunter.“

Ekici Halit (54)

„Die Deutschen nehmen viele Dinge, die ihnen von Politik oder Wirtschaft aufgedrückt werden, viel zu einfach hin. Diese fehlende Demonstrationskultur gefährdet den Zusammenhalt.“ 004

„Mensch ist Mensch. Leben und leben lassen, das ist unser Motto. Leider gibt es in Deutschland nicht so viel Zusammenhalt. Seit der Flüchtlingswelle merken wir erst, wie die andern uns anschauen. Dabei leben wir schon immer hier.“ Harry Lahm (51)

„Zusammenhalt heißt, sich um sich selbst kümmern, nicht dem Nachbarn vorschreiben, wie er leben soll.“


Was hält uns zusammen? Felix Rieger (29)

Alexander Buresch (46)

„Wir sind Herdentiere – und brauchen andere, um uns zu spüren.“ Donatella Conte (39)

„Was mir fehlt, ist die Kommunikation zwischen den Schichten. Die Leute sollten mal offen über die Dinge des Lebens reden und den Standpunkt des anderen verstehen lernen.“ Martin Fischer (38)

„Durch die Hektik, den Stress und die Schnelllebigkeit denken viele nur noch an sich und ihren eigenen Vorteil.“

„Fehlt jemandem etwas, helfen wir uns. Wir spüren, dass wir dazugehören.“

Waldemar Neufeld (37) & Tatiana Neufeld (32)

„Wenn wir uns trauen, aufeinander zuzugehen, uns einander vorstellen und mehr miteinander statt übereinander reden, hat die gesamte Gesellschaft etwas davon.“ 005


006

Kunst am Bau. Die vielen Altbauten begeistern insbesondere die junge Generation.


Heilig's Blechle tifft Urban Art. Eine StraĂ&#x;e voller Gegensätze.

Kirche. Markt. Treffpunkt. Der Bismarckplatz ist in vielerlei Hinsicht ein Ort der Begegnung.


JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

/. Factsheet Stuttgart-West ABB.1

STAND

2019

Allgemeines

ABB.2

STAND

2019

Migrationsstruktur

ABB.3

STAND

Mietpreise

Griechenland 6,3 % Schwabstraße Stuttgart-West

Sonstige 31 %

Stuttgart

18,70 15,29

Italien 10,6 %

Türkei 7,7 %

Kroatien 13 % 1.864,3 ha

Einwohner:

GPS:

N 48° O 9°

Einwohner/km2: 2.800

ABB.4

Haushalte 4 Personen 5,6 %

52.214

STAND

2019

5+ Personen 1,8 %

Gesamtanzahl der Haushalte in Stuttgart-West:

008

18,15

Gesamtmigrantenanteil in Stuttgart-West:

ABB.5

2017

20,1 % STAND

2019

Kaufkraft

2018

2019

17,93 €

Aktuelle Monatsmiete/m2

ABB.6

STAND

Fahrzeuge PKW 84,1 %

3 Personen 8,1 %

2 Personen 22,8 %

übrige EU 27,3 %

Serbien 4,1 %

Fläche:

2019

2019

Anhänger 4 % Lastwagen 4 % Krafträder 8,6 %

1 Person 61,7 %

31.462

Kaufkraft/ Person netto

30.552 €

Private PKW pro Person

0,32 PKW


ELISABETHENSTRASSE 30, 70197 STUTTGART

Die Metzgerei

I N T E R V I E W P A R T N E R Hadi Tandawardaja, Reinhard Möhrle, Yilmaz Yogurtcu

/. Willkommen im Viertel Ein Ur-Schwabe, ein türkischer Szene-Gastronom und ein Top-Architekt mit indonesischen Wurzeln. Es ist eine interessante Gesellschaft, die sich im Restaurant „Metzgerei“ zusammengefunden hat. Was sie verbindet? Die große Wertschätzung für den „Kiez“, den jeder der drei auf unterschiedliche Art liebt und aktiv mitgestaltet. Thema des Gesprächs: Der „Gesellschaftsentwurf Schwabstraße“ – und wohin er sich entwickelt.

W I R BEFI N DEN U NS I M H ER ZEN DER SCH WA BSTR ASSE. W ELCH E BEDEUTU NG H AT SI E FÜ R DI E STA DT? RM — Die Schwabstraße ist die einzig große Querverbindung durch den Stuttgarter Westen und hat daher auch ein entsprechendes Verkehrsaufkommen. Ihre Bedeutung lässt sich auch schon daran erkennen, dass die dort fahrende Buslinie 42 diejenige mit der höchsten Auslastung in ganz Stuttgart ist. Zudem verfügt die Straße über mehrere sogenannte Unterzentren – also Bereiche, in denen die wesentlichen Einrichtungen der Grundversorgung vorhanden sind. Und wo dies der Fall ist, gibt es natürlich auch sehr viele Menschen mit unterschiedlichsten Ansichten und Bedürfnissen. Y Y — Einen Teil dieser Bedürfnisse – Hunger, Durst, aber eben auch Erlebnis und Kommunikation – erfüllt die Gastronomie.

Hadi Tandawardaja, Architekt

Und die hat sich entlang der Schwabstraße

in den letzten Jahren enorm entwickelt. Das Angebot ist deutlich größer, hochwertiger, vielfältiger und kreativer geworden. Mit den entsprechenden Auswirkungen auf das Miteinander und die Bedeutung der Straße als Ort der Begegnung.

Reinhard Möhrle, Bezirks-

HT — Richtig. Und Locations wie die

vorsteher

„Metzgerei“ haben sicherlich dazu beigetragen, dass aus dem bürgerlichen Westen mit seiner gewachsenen Bevölkerungsstruktur ein echtes In-Viertel geworden ist. Die Kehrseite der Medaille ist allerdings, dass der Westen aus meiner Sicht kein Stadtteil mehr für jedermann ist.

Y Y — Wobei die Geschäfte schon von dieser Entwicklung profitieren. Die Marktstandbetreiber auf dem Bismarckplatz haben mir beispielsweise schon mehrfach versichert, dass sie mehr Zulauf hätten, seit es die „Metzgerei“ dort gibt. Und ich freue mich andersherum, wenn die Leute nach dem Markt auf einen Kaffee oder zum Frühstücken mit ihren Kindern zu uns kommen. Yilmaz Yogurtcu,

RM — Genau das beschreibt das hohe Gut

Gastronom

des Stuttgarter Westens – und die Tatsache, dass das Viertel als Lebens- und Wohnraum so beliebt ist. Die Infrastruktur ist perfekt. Gastro, Kultur, Einzelhandel, medizinische Versorgung, Schulen. Alles ist da – und fußläufig zu erreichen. Das findet man in dieser Form leider nicht mehr überall. Wobei

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JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

man natürlich auch sehen muss, dass wir hier nicht die Insel der Glückseligen sind. Auch in der Umgebung der Schwabstraße existieren Probleme. Insbesondere mit dem Verkehr sowie der Parkplatzsituation.

U N D WAS IST M IT DEN I N DEN LETZTEN JA H R EN HOR R EN D GESTI EGEN EN M I ETEN? STICH WORT: GENTR I FIZI ERU NG? RM — Um das zu beantworten, sollte man erst einmal einige Zeit zurückblicken. Vor 20, 30 Jahren gab es fast so etwas wie eine Flucht von Familien aus dem Westen. Viele verließen das Viertel in Richtung „Stuttgarter Speckgürtel“, um dort Einfamilienhäuser mit Gärten zu beziehen. Als Grund wurde damals oft gesagt, dass man hier mit Kindern nicht leben könne. Das hat sich im letzten Jahrzehnt komplett geändert. Der Westen ist wieder wahnsinnig attraktiv geworden. Den Familien ist bewusst geworden, wie viel eine vorhandene Infrastruktur wert ist. Aber klar: Von den Mieten her droht das Viertel natürlich zu kippen. Daher sind Projekte wie das Olga-Areal enorm wichtig. Dort entsteht gerade ein ganzes Quartier mit 50 % gefördertem Wohnraum und Baugemeinschaften. Dies ist übrigens nur deshalb möglich, weil sich so viele Menschen gemeinsam dafür engagiert haben. Das ist auch ein Zeichen einer funktionierenden Gesellschaft. YY — Dennoch muss man sagen, dass die Eigentümer genau wissen, wie sie von der aktuellen Situation profitieren können. Eine leer gewordene Wohnung wird renoviert und dann für mehr als 20 Euro auf den Quadratmeter vermietet. Oder noch teurer, wenn sie möbliert angeboten wird. Dementsprechend ändert sich auch die Durchmischung des Viertels: Ich sehe immer mehr Akademiker und Gutverdiener. Das empfinde ich schon als Problem – obwohl ich von dieser Klientel als Gastronom ja profitiere. Aber wenn immer mehr sozial Schwache verdrängt werden, finde ich das traurig. HT — So ein bisschen tragen wir dafür ja auch selbst die Verantwortung. Unsere Konzepte sind sicherlich eher für Wohlhabendere attraktiv. Und das ist jetzt nicht unbedingt im Sinne eines wild durchmischten, lebendigen Stadtviertels. Wir brauchen die Rentner genauso wie die Jungen und die Arbeiterfamilie genauso wie das Akademikerpärchen. Die Gefährdung dieses Gleich-

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gewichts ist aber natürlich in erster Linie der Mietpreissituation geschuldet.

R M — Wobei der Stuttgarter Westen immer noch sehr gut durchmischt ist. Es gibt nach wie vor genügend Altwestler – und von denen sind viele keine Gutverdiener. Aber ja – durch die überproportional gestiegenen Mieten und Immobilienpreise ist es für Leute aus den unteren Einkommensschichten nicht mehr möglich, hierher zu ziehen. Wobei die Gentrifizierung kein Phänomen des Viertels ist. Sie ist nur schon weiter fortgeschritten. Hier fangen eben nicht nur positive, sondern auch negative Entwicklungen an. Der Leiter des statistischen Amts hat mir mal gesagt: Wenn er Trends in Stuttgart sehen will, dann müsste er nur in den Westen kommen. Hier könne er am besten sehen, wohin sich unsere Gesellschaft gerade entwickelt.

U N D WOH I N ENTW ICK ELT SI E SICH? Y Y — Was ich beobachte, ist die Vielzahl der Kinder, die im Westen auf die Welt kommen. Vor fünf Jahren habe ich Kinderwagen in der Schwabstraße nur vereinzelt gesehen. Heute stehen im Sommer unzählige davon vor meinem Lokal – und die Kinder toben vor der Elisabethenkirche herum, während die Eltern einen Kaffee trinken. Und

„Wir haben hier nicht die Insel der Glückseligen. Es gibt auch Probleme.“ Reinhard Möhrle


ELISABETHENSTRASSE 30, 70197 STUTTGART

Die Metzgerei

auch sonst ist das Viertel wegen seiner zunehmenden Kinderfreundlichkeit bei Familien sehr gefragt. Da frage ich mich: Sind die Kitas und Schulen auf den wachsenden Zulauf überhaupt vorbereitet?

RM — Diese Entwicklung ist den Verantwortlichen selbstverständlich bewusst. Aber wie in nahezu jeder Großstadt ist die Bildungsproblematik nicht einfach zu lösen. Auf der anderen Seite sind gerade Schulen die Stätten, die den Zusammenhalt und das Miteinander fördern. Weil man dort, egal ob arm oder reich, mit oder ohne Migrationshintergrund, zusammen ist. Und nicht nur dort. Man ist auch gemeinsam auf den Spielplätzen, beim Einkaufen, in den Lokalen – überall. An diesen Orten begegnet man sich, lernt sich kennen und schätzen. Das ist das, was die Gesellschaft hier prägt und sie funktionieren lässt.

SI E SPR ECH EN BEW USST AUCH VON DER GASTRONO MIE, H ER R MÖH R LE. DA H ER DI E FR AGE A N DI E BEI DEN A N DER EN H ER R EN A M TISCH: SI E PL A N EN GER A DE DAS DR ITTE GEM EI NSA M E PROJ EKT I N DER SCH WA B STR ASSE. W Ü R DEN SI E I H R E LOK A LE AUCH A LS BEGEGN U NGSSTÄTTEN BEZEICH N EN? YY — Absolut. Wir planen die Konzepte ja auch so. Und der Zulauf gibt uns recht. Genauso wie die vielen Gespräche und Kontakte, die jeden Tag entstehen. Die Menschen sehnen sich nach solchen Orten. HT — Unser erstes gemeinsames Projekt

war das „Lumen“ – rund 200 Meter die Straße runter. Das war damals die erste etwas andere Gastro in der Straße – und wurde sehr gut angenommen. Was uns gezeigt hat: Da verändert sich etwas in der Schwabstraße – und wir können mit unseren Ideen wirklich was bewegen. Dann kam die die „Metzgerei“. Damit ist es uns gelungen, im Zusammenspiel mit der Eisdiele – das „Fragola“ – auf der anderen Seite des Platzes, ein echtes Spannungsfeld aufzubauen, das den Bismarckplatz deutlich stärker belebt hat.

YY — Vor einigen Jahren gab es hier so

gut wie keine Außengastro. Abends herrschte draußen Totenstille. Jetzt gibt es innerhalb

I N T E R V I E W P A R T N E R Hadi Tandawardaja, Reinhard Möhrle, Yilmaz Yogurtcu

„Früher herrschte hier abends Totenstille draußen. Jetzt gibt es viele Lokale, vor denen bis spät Menschen miteinander sitzen, reden und lachen.“ Yilmaz Yogurtcu

von 200 Metern vier Lokale, vor denen bis 22 oder 23 Uhr Menschen miteinander sitzen, reden und lachen. Damit müssen natürlich auch die älteren Menschen zurecht kommen, die schon lange da sind. Und da muss man auch akzeptieren, dass die der Entwicklung mit Ablehnung begegnen. Dennoch finde ich, dass der Erfolg belegt, dass die Leute so etwas wollen. Und deswegen machen wir etwas Gutes für die Gesellschaft.

HT — Wobei es nicht immer zwingend gut ist, was „die Leute“ wollen. Die wollen im Sommer natürlich bis um drei Uhr im Freien sitzen und trinken.

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JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

„Wir brauchen Mut, uns zu zeigen und einzubringen. Das Viertel als seine eigene ‚Hood‘ anzunehmen und aktiv für alle mitzugestalten.“ Hadi Tandawardaja

YY — Deswegen muss man immer beide

Seiten betrachten – und Verständnis für den anderen haben. Geben und nehmen. Daher sorgen wir dafür, dass spätestens um 23 Uhr Ruhe vor dem Lokal ist. Und wenn ich das meinen Gästen vernünftig erkläre, funktioniert das auch. Letzten Sommer hatten wir zum Beispiel nicht einmal Polizeibesuch wegen Ruhestörung.

GLAU BEN SIE, DAS LIEGT AUCH DA R A N, DASS DIE MEN SCHEN HIER – V IELLEICHT JA AUCH W EGEN DER DICHTEN BESIEDLU NG ZW ISCHEN SCH WA BTU N N EL U N D HÖL DERLINPLATZ – TOLER ANTER, GESPR ÄCHS U N D KOMPRO MISSBER EITER SI N D? RM — In ganz großen Teilen ist das so – sonst würde das hier alles auch nicht so gut funktionieren. Es gibt natürlich immer

Reinhard Möhrle (67)

Yilmaz Yogurtcu (49)

Menschen, die sich ganz besonders gestört fühlen und auch nicht bereit sind, in Kommunikation zu treten. Aber das sind absolute Ausnahmen. Im Wesentlichen herrscht hier ein ausgesprochen gutes und konstruktives Miteinander der Bevölkerung. Das sieht man auch an der Entwicklung des Sanierungsgebietes Bismarckplatz. Hier gibt es eine sehr hohe Bürgerbeteiligung – und das ist auch von der Stadt so gewünscht. Wenn wir den Bewohnern zuhören, ihre Bedürfnisse berücksichtigen, sie zum Diskurs auffordern und das alles transparent darstellen, entstehen gute Kompromisse.

WAS KÖN N EN W I R TU N, U M DEN BESON DER EN SPI R IT I M M I K ROKOSMOS SCH WA B STR ASSE ZU ER H A LTEN? YY — Wir müssen das funktionierende Miteinander bewahren. Es ist wunderschön, dass hier im Sommer so viele Kinder gemeinsam spielen und die Eltern dadurch ins Gespräch kommen. Solche Begegnungen fördern das Zusammenwachsen und den Zusammenhalt im Viertel immens. RM — Ich sage immer: Kümmert euch um euren Bezirk. Engagiert euch. Sucht den Kontakt zu anderen Menschen. Dazu muss man auch nicht in einen Verein eintreten. Es gibt hier im Westen so viele kleine Orte, die zum Mitmachen einladen. Das sollte man annehmen. HT — Dafür braucht es als natürlich immer auch Mut. Mut, sich zu zeigen und einzubringen. Das Viertel als seine eigene „Hood“ anzunehmen und aktiv für alle mitzugestalten. So entsteht ein lebendiges Miteinander, das die Gesellschaft zusammenhält.

Hadi Tandawardaja (41)

ist ehrenamtlicher Bezirksvorsteher von

gilt als Pionier und Wegbereiter der

gründete 2017 mit Tobias Bochmann das

Stuttgart-West. Der Stadtteil, in dem er

neuen Gastronomie in der Schwabstraße,

Stuttgarter Architekturbüro SOMAA. Auf

bis auf seine Studienzeit immer wohnte, ist

wo er mit seiner Familie auch wohnt.

seiner Mission, Orte der Identifikation und

eine echte Herzensangelegenheit für ihn.

Nach dem „Lumen“, das er mittlerweile

Kommunikation zu schaffen, bildet er mit

Auch weil hier so viele Menschen unter-

abgegeben hat, etablierte er in einer

Lokal-Betreiber Yogurtcu ein Duo bei der

schiedlichster Herkunft, Altersstufen,

ehemaligen Metzgerei das gleichnamige

Entwicklung von neuer Gastronomie in der

verschiedenster Lebensgemeinschaften und

Restaurant am Bismarckplatz. Sein neustes

Schwabstraße – von der er großer Fan ist.

Einkommenssituationen tolerant, friedlich

Projekt, die Bar „Blau“, ist ebenfalls in

Dennoch hat er 2016 seine Wohnung im Westen

und respektvoll zusammenleben.

der Schwabstraße.

aufgegeben und lebt nun in Vaihingen.

012


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Was hält uns zusammen? Klaus Teichmann (49)

Annik Aicher (50)

JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

Axel Kreutle (34)

„Keine Minderheiten oder sozial Schwache ausschließen.“ Tobias Maucher (41)

„Unser Grundgesetz, das Sozialstaatsprinzip. Das alles garantiert Fairness und Gleichberechtigung.“ Serkan Eren (35)

„Frieden. In allen Facetten.“ 014

„Eine interessierte Freundlichkeit, die man dem anderen entgegenbringt. Offenheit. Ein freier, beweglicher Geist.“

„Zivilcourage. Sich aufeinander verlassen können, zueinanderstehen, auch wenn es hart auf hart kommt.“ Justin Bosch (38)

„Gemeinsam Ziele verfolgen, sich gegenseitig unterstützen, Höflichkeit und direkte Kommunikation.“


/. Schwabstraße 193 – 104 /. Schloßstraße 98

015


Klaus Teichmann ist Soziologe, Journalist und neuerdings Kneipier. Er lebt seit 2005 im Stuttgarter Westen. 2019 hat er als neuer Pächter „Rosis Pinte“ übernommen. Urwirtin und Namensgeberin Rosi, eine Österreicherin, soll sie vor gut vierzig Jahren gegründet haben.

Klaus Teichmann

JAHRESBERICHT

Baden-Württemberg Stiftung

016

2018

Schwabstraße

193

1

Rosis Pinte


SCHWABSTRASSE

Rosis Pinte

193,

70193

STUTTGART

KNEIPIER

Klaus Teichmann

# WIR SINDS

„Wir brauchen eine lebendige Diskussionskultur.“ Klaus Teichmann (49)

1

2

3

FRAGE

FRAGE

FRAGE

K L AUS TEICH M A N N, W I E W I R D ZUSA M M EN H A LT I N I H R ER PI NTE GELEBT?

DI E K L ASSISCH E ECK K N EI PE STI R BT AUS. SI E K Ä M PFEN FÜ R DEN ER H A LT. WA RU M?

WAS M ACHT DI ESES V I ERTEL FÜ R SI E SO BESON DERS?

KT — Der persönliche Bezug ist intensiv. Wir kennen uns mit Namen. Ich weiß bei den meisten Gästen gleich, welches Getränk sie wollen. Als Soziologe sage ich: Zusammenhalt bedeutet, niemanden auszuschließen. Rentner, Studenten, Arbeiter, Alteingesessene, Zugezogene, Linke, Konservative sitzen nebeneinander an der Theke. Die Diskussionskultur ist lebhaft. Andere Meinungen aushalten können, das ist entscheidend. So unterschiedlich die Leute und Ansichten auch sind, sie respektieren sich. Hier erklärt ein Hip-Hopper schon mal den Stammgästen, was Rappen und Scratchen ist, also das kratzende Hin- und Herbewegen einer Schallplatte. Und die zeigen ihm, wie eine E-Zigarette funktioniert. Unsere Kneipe soll wie ein Marktplatz sein, wo alle willkommen sind und sich austauschen. Manche sitzen jeden Tag am gleichen Platz. Für einige Westler ist das ihr zweites Wohnzimmer, ein Ort gegen die Alterseinsamkeit. Das Klischee stimmt: Als Kneipier bist du Zuhörer, Psychologe. Und notfalls bringen wir auch mal einen Gast nach Hause, wenn er zu viel getrunken hat.

KT — Viele der Gäste leben schon immer hier. Wir wollen ein Nachbarschaftstreff sein. Hochglanzläden gibt es genug, Edelgastronomie mit teuren Cocktails. Über den Preis findet Ausschluss statt. Wir wollen originell sein, ein schräges Lokal. Den OldschoolCharme übersetzen wir ironisch ins Trashige mit röhrendem Hirsch an der Wand und Plastikrosen in der Vase. Nur Schlager lassen wir weg. Den Stammgästen habe ich erklärt: Fast alles soll bleiben, wie es ist. Zugleich will ich die Kneipe für neues Publikum öffnen, Ausstellungen organisieren, Konzerte, Vorträge über Feminismus und Klimawandel. Als Team von zehn Freunden ziehen wir die Pinte gemeinsam auf. Die Nachbarschaft findet gut, dass hier was passiert. Wir haben am Anfang einen Brief geschrieben, uns vorgestellt, zur Eröffnungsfeier waren viele Anwohner da. Wenn wir unsere laute Klimaanlage nachts vergessen auszumachen, kriegen wir schon mal einen Verweis. Wir versuchen, dass niemand sich gestört fühlt von uns. Die Stadt ist hinterher, dass keine Partymeile entsteht. Doch das wollen wir gar nicht.

KT — Die Durchmischung, das bunte Metropolpublikum, lebendig, immer im Wandel. Hier lebt eine aufgeklärte Stadtbevölkerung, wo Milieus aufeinanderprallen. Wir haben beispielsweise einen Stammgast, der schon ewig in Deutschland ist, seinen türkischen Pass nicht abgeben will, Erdogan gut findet. Er hat sich mit Paul angefreundet, der einen sehr liberalen, alternativen Verlag leitet. Nun spielen sie jeden zweiten Tag Darts, sind in einer Fußballmannschaft und lernen gemeinsam für seinen Personenbeförderungsschein. Leute mit unterschiedlichsten Hintergründen und Ansichten kommen zusammen, die sonst keine Berührungspunkte hätten. Politische Meinungsverschiedenheiten räumen sie beim Bier aus – oder diskutieren zumindest und entdecken Gemeinsamkeiten. So entsteht Gemeinschaft. In der Schwabstraße gibt es so eine Westidentität, eben dieses Gemeinschaftsgefühl. Was ich mir wünsche: Mehr Fahrräder, weniger Verkehr, dass die Mieten nicht explodieren. Dass wir den Mut haben, aktiv zu werden, uns für unser Quartier einsetzen – wenn es sein muss, auch mal ein Haus besetzen.

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JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

i

# WIR SINDS

Annik Aicher ist Kunsthistorikerin. Am Traubenplätzle hat sie eine Garage aus den 1950ern zum vermutlich kleinsten Museum der Stadt umgebaut: „Maries gute Stube“ – mit historischen Bildern und Geschichten aus dem Stadtteil.

„Zusammen wachsen und sich ergänzen, das heißt Zusammenhalt.“ Annik Aicher (50)

Annik Aicher Mitspracherecht

AA — Früher war hier war alles vollgeparkt mit Motorrädern. Ich hatte die Idee, einen Treffpunkt zu gestalten. Mit Flyern bin ich losgezogen, habe den anderen Anwohnern erzählt, dass ich den Platz an der Schwab-/ Ecke Traubenstraße umgestalten möchte – gemeinsam mit ihnen. Mit drei Ämtern und fünf Verantwortlichen der Stadt plus Bezirksbeirat habe ich mich abgestimmt. Nun ist ein „Geschichts-Begegnungs-Ort“ entstanden – in meiner kleinen Garage. Marie Vogel hieß die Bauherrin der Schwabstraße 120 – nach ihr ist das Mini-Museum darin benannt. Sechs Frauen und ein Mädchen aus der Nachbarschaft haben mit mir große Wein- und Whiskyfässer aufgestellt. Dort wuchert jetzt ein kleiner Weinberg für die Nachbarn – mit Tafeltrauben und heimischen Wildkräutern. Ganz unterschiedliche Pflanzen auf einem Raum wachsen darin wunderbar zusammen und ergänzen sich. Sie nehmen sich weder Platz noch Licht weg, sie bereichern sich durch Vielfältigkeit. So stelle ich mir eine ideale Gesellschaft vor. Der Nachbar nebenan tickt zwar anders als ich, aber das ist okay. Schwer wird es, wo man den Einzelnen nicht mehr sieht, sondern nur eine große anonyme Gruppe. Klar, auch ich bin in meiner Blase, in meinen Gedankengebäuden: Ich lebe „öko“, zu viele Autos nerven mich. Doch auch wenn andere anders sind, gehören wir zusammen und brauchen Verständnis füreinander. Ich wünsche mir, dass die Stadt mehr Freiräume erhält, dass auch junge Kreative sich

018

hier noch einen Platz leisten können, mehr Offenheit, etwas gemeinsam zu machen – ohne gleich an Vandalismus denken zu müssen, an Kosten, die Probleme. Darum mag ich die „Schätze des Westens“ oder unsere Hofflohmärkte so. Da funktioniert das. Ich habe mit vielen Leuten gesprochen, wie es früher hier war und recherchiert: Die Hausgemeinschaft hatte eine viel größere Bedeutung. Da haben sich alle bei der Familie versammelt, die den ersten und damals einzigen Fernseher hatte, um zusammen „Kulenkampff“ zu kucken. Es gab mehr Anlässe, sich zu treffen – und weniger Freizeitmöglichkeiten. Man ging bei den Leuten einfach vorbei – ohne sich vorher groß zu verabreden. Ich erwarte heute nicht, dass sich jeder neue Mieter mit Hefezopf bei allen im Haus vorstellt, aber ich würde mich über mehr Austausch freuen. Ich habe lang in Birmingham und Frankfurt gelebt. Vielleicht ist diese Zurückhaltung, die es hier manchmal gibt, auch der schwäbischen Mentalität geschuldet. Ich wollte immer in einem Viertel leben, wo ich herumlaufen kann, wie es mir passt, ohne beäugt zu werden. Auf dem Dorf wäre ich wohl eine Exotin. Und doch will ich die Menschen um mich herum kennen. Das habe ich in der Schwabstraße gefunden. Was ich mir wünsche: dass wir weniger auf das Smartphone kucken, sondern uns wieder mehr in die Augen schauen.

ABB.7

Anonymität ICH ??? Jeder zweite Deutsche kennt seinen Nachbarn nicht.


Erinnerungen aus dem Westen: Vom Jahr 1788, in dem das Viertel aus Weinbergen, Gärten und Feldern bestand, bis zu Erzählungen aus den 1970er-Jahren, als die Straßenbahn noch durch den Schwabtunnel fuhr.

SCHWABSTRASSE

Maries gute Stube

120

120, 70193 STUTTGART KUNSTHISTORIKERIN

Annik Aicher

Geschichten aus der sprechenden Kaffeekanne: Nachbarn haben sie Annik Aicher erzählt.

Schwabstraße

2

Maries gute Stube

019


JAHRESBERICHT

2018

Im Stadtteil verwurzelt: Gemeinsam ziehen Axel Kreutle (links) und Tobias Maucher los und bieten Jugendlichen ihre Hilfe an. Sie kennen ihre Treffpunkte, unterstützen sie zu Hause, in der Schule oder an ihrer Ausbildungsstelle.

Die Ziele der Jugendarbeit: Jugendstraffälligkeit, Sucht und Gewalt verhindern. Selbstvertrauen, Gemeinschaftsfähigkeit und Verantwortung stärken.

Axel Kreutle und Tobias Maucher Thema

Baden-Württemberg Stiftung

020


SCHLOSSSTRASSE

98,

70176

Mobile Jugendarbeit

i

STUTTGART

STREETWORKER

Axel Kreutle & Tobias Maucher

# WIR SINDS

Seit 30 Jahren sind die Streetworker der Mobilen Jugendarbeit in den Stadtteilen unterwegs. Axel Kreutle und Tobias Maucher betreuen gemeinsam den Stuttgarter

„Vielfalt schafft Zusammenhalt.“ Axel Kreutle (34) und Tobias Maucher (41)

Westen. Sie machen Einzelfallhilfe, vermitteln an Beratungsstellen. Von der Schloßstraße zieht die Einrichtung bald um, direkt an den Bismarckplatz.

AK & TM — Unsere Zielgruppe sind die am Rand der Gesellschaft. Wir sind ein Sprachrohr für Jugendliche und verleihen denen eine Stimme, die oft nicht gehört werden. In Jugendhilfegremien oder im Bezirksrat vertreten wir ihre Interessen, wenn es zum Beispiel um die Gestaltung eines neuen Treffpunkts geht. Wir wissen, wo wir „unsere“ Cliquen antreffen. Im

Winter ist das die Stadtteilbibliothek, weil es dort einen Kaffeeautomaten gibt, im Sommer grillen viele im Kräherwald oder chillen am Sportplatz. Das Freizeitverhalten hat sich spürbar verändert, die Jugendlichen gehen, so unser Eindruck, seltener vor die Tür. Stattdessen sitzen sie zu Hause vor der PlayStation. Wir sind Vermittler. Wenn es Probleme mit Lärm und Müll gibt, sprechen wir mit beiden Seiten, befragen die Anwohner. Unseren Jugendlichen machen wir klar, was es bedeutet, wenn sie zu laut sind: dass dann die kleinen Kinder aufwachen, zum Beispiel. So entwickeln sie mehr Verständnis.

In Stuttgart-West gibt es wenige Spannungen, es herrscht sozialer Frieden – auch weil sich hier so viele Gruppen zu Hause fühlen. Es klingt zunächst widersprüchlich, aber Vielfalt schafft Zusammenhalt. Sie sorgt

für Balance, ein ausgewogenes Verhältnis im sozialen Gefüge. Es gibt kaum Abgrenzung und Ausgrenzung, weil es den Menschen generell recht gut geht hier. Kriminalität und Gewalt sind auf einem niedrigen Niveau. Das spüren wir, tauschen uns auch viel mit der Polizei aus. Das Sicherheitsgefühl ist im Westen sehr hoch. Heute ist sich oft jeder selbst der Nächste. Dem müssen wir entgegensteuern in Zeiten der „Trumpisierung“, in der eine Partei wie die AfD immer mehr Zulauf bekommt. Wir sollten lernen, uns auch mal zurückzunehmen, etwas demütiger zu sein und anderen gegenüber achtsamer.

Nah dran: Als Streetworker sind Tobias Maucher (links) und Axel Kreutle oft mittendrin. Viele der Jugendlichen begleiten sie jahrelang. „Wir zeigen ihnen, dass wir für sie da sind.“

98 Schloßstraße

3 Mobile Jugendarbeit

021


JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

130 Schwabstraße

4 STELP

# WIR SINDS

Serkan Eren

„Etwas mehr Dankbarkeit, in einer der reichsten Städte Deutschlands leben zu dürfen, würde unserer Gemeinschaft nicht schaden.“ Serkan Eren (35)

022


SCHWABSTRASSE

130,

70193

STUTTGART

STELP e.V. – supporter on site

GRÜNDER

UND

Serkan Eren

VORSTAND

i Serkan Eren ist Gründer und Vorstand der Stuttgarter Hilfsorganisation STELP e.V. – supporter on site. Mit seinen Vereinskollegen und zahlreichen Ehrenamtlichen kümmert er sich seit knapp vier Jahren um Kinder in Not. Da die Vereinszentrale gerade von Erens Privatwohnung in neue Räumlichkeiten umzieht, treffen wir den ehemaligen Lehrer in der benachbarten „Bottega da Giulia“, die seine Freundin an der Ecke zur Traubenstraße betreibt.

Ein verwahrloster Junge, der auf einer Müllkippe nach Essensresten sucht, ein Mädchen, das barfuß im kalten Matsch eines provisorischen Flüchtlingslagers steht. Die Bilder, die uns Serkan Eren zeigt, gehen einem durch Mark und Bein. Auch ihn haben sie damals nicht losgelassen, als er vor vier Jahren mit seinem Freund Steffen Schuldis und weiteren Helfern selbst gesammelte Hilfsgüter an in der Türkei gestrandete Flüchtlinge verteilte. Also gründeten die beiden eine Hilfsorganisation – die sie Schritt für Schritt gemeinsam mit unzähligen Freiwilligen zu einem mittlerweile auf drei Kontinenten tätigen Verein ausgebaut haben. Der Name STELP – für STuttgart hELPs – ist dabei Programm: Vom Westen der Stadt aus werden Freiwillige begeistert und ausgebildet, die dann ehrenamtlich und vor Ort helfen. Was weit über die Verteilung von Geld- und Sachspenden hinausgeht. „Wir bauen Suppenküchen und Spielplätze, vermitteln Sprache und Bildung an die Kinder und legen Felder an, damit die Menschen vor Ort ihre Familien selbst versorgen können“, erzählt Eren, als wir ihm die Frage danach stellen, was für ihn Zusammenhalt bedeutet. „Solche Dinge funktionieren in einer starken Gemeinschaft – und sie schweißen extrem zusammen. Sowohl die Helfer und die Notleidenden unter sich – als auch uns alle miteinander.“

U NTERSCH I EDLICH E W U R ZELN – EI N E H EI M AT

In der Schwabstraße selbst – seiner „Heimat“, wie der im Schwarzwald geborene Sohn zweier türkischer Migranten seinen Lebensraum bezeichnet – empfindet er den gesellschaftlichen Zusammenhalt ebenfalls als sehr stark. „Als wir unsere jetzige Wohnung bezogen, wurden wir gefühlt alle fünf Minuten von wildfremden Leuten gefragt, ob sie uns beim Hochtragen der Umzugskartons helfen könnten“, so Eren. „Dieser Kosmos der Schwabstraße, den finde ich einfach genial. Auch, weil die Bewohner hier sowohl den Einzelhandel als auch die Lokale im Kiez unterstützen.“ Worüber sich natürlich auch seine Freundin Giulia Cardascia freut, in deren mit viel Liebe fürs Detail eingerichteten Feinkostladen wir uns getroffen haben. „Die Leute hier sind wahnsinnig offen und zeigen großes Interesse für das Leben und die Sorgen anderer“, schwärmt die Tochter einer

italienischen Gastro-Familie. Sie muss es wissen, schließlich bietet sie ihre Leckereien auch bereits fertig zubereitet als täglichen Mittagstisch an. Zum Nachkochen für zu Hause, sozusagen. „Am besten zusammen. Dann macht es am meisten Spaß“, ergänzt sie augenzwinkernd.

M IT DEM GEIST DES W ESTENS W ELTW EIT H ELFEN

Die beiden fühlen sich wohl in ihrer „Oase“. Weil das Bunte, der multikulturelle Mix zur ganz natürlichen DNA der Straße gehöre. „Ich habe schon einige schlechte Erfahrungen gemacht, bei denen mein Migrationshintergrund – oder der anderer – eine Rolle gespielt hat. Aber hier? Noch keine einzige!“, schildert der 35-Jährige. Vielleicht macht es auch dieser besondere Spirit aus, warum so viele seiner freiwilligen Helfer aus dem Westen kommen. „Diese Menschen opfern ihren Urlaub und bezahlen ihren Flug zum jeweiligen Hilfsprojekt aus der eignen Tasche, damit jeder Cent, den wir einsammeln, dort ankommt.“ Dennoch gebe es auch immer wieder Menschen, die ihn und die Arbeit des Vereins in der Anonymität der sozialen Netzwerke „haten“, w ie es neudeutsch heißt. Was er auf die grundsätzliche Unzufriedenheit von Teilen der Gesellschaft zurückführt. Diesen Leuten täte es gut, etwas mehr Dank für ihr großes Glück zu empfinden, in Mitteleuropa geboren zu sein und in einer der reichsten Städte Deutschlands zu leben. „Dann täten sie sich sicherlich leichter, etwas von diesem Glück an Ärmere abzugeben. Und das ist schon ein großer Teil meines Verständnisses von Zusammenhalt.“ Wir haben verstanden.

ABB.8

Weltweit Auf den Philippinen, in der Türkei, in Griechenland, im Jemen, im Irak, in Nepal und in Afrika finden 2019 Projekte statt.

023


Justin Bosch

Familienbande: Die Bäckerei Bosch wird von drei Geschwistern geleitet. Leonie Schoch (links) und Fanny Gutekunst arbeiten eng mit ihrem Bruder zusammen.

JAHRESBERICHT

Baden-Württemberg Stiftung

Schwabstraße

024

104 2018

5

Bäckerei Bosch


SCHWABSTRASSE

104,

Bäckerei Bosch

70193

STUTTGART

BÄCKER

Justin Bosch

# WIR SINDS

„Mehr miteinander schwätzen – nicht gegeneinander.“ Justin Bosch (38)

i Justin Bosch ist Bäcker und Vater einer kleinen Tochter. Seit fast 110 Jahren ist der Familienbetrieb in der Schwabstraße. 2013 hat Bosch die Bäckerei von seinen Eltern in vierter Generation übernommen. Er arbeitet mit seinen zwei Schwestern eng zusammen: Leonie Schoch, 43, ist Konditormeisterin und Fanny Gutekunst, 33, gelernte Hotelfachfrau.

JB — Der Zusammenhalt in unserer Familie ist für mich ganz entscheidend. Ohne meine Schwestern könnte ich das alles hier nicht machen – und sie nicht ohne mich. Wir sind aufeinander angewiesen, greifen ineinander. Es geht nur Hand in Hand. Wir ziehen an einem Strang und haben das gleiche Ziel. Wir wollen die Tradition fortführen und uns doch immer weiterentwickeln. Zu uns kommt ein Querschnitt der Gesellschaft, Alt und Jung, Ärmere und eher Wohlhabende. Brezeln und Brötchen braucht fast jeder. Wir sind gefühlt schon immer da – sind demütig und dankbar dafür. Manchmal staune ich selbst, wenn die Kunden am Samstag bis zur Straße Schlange stehen für ein paar Frühstückscroissants oder einen weiteren Weg auf sich nehmen. Damit im Winter niemand vor der Türe friert, schenken wir an den Adventswochenenden heißen Punsch aus. Es gibt an jeder Ecke einen Bäcker, oft eine Kette, und dennoch kommen sie zu uns. So selbstverständlich ist das in der heutigen Zeit nicht. Sonntags haben wir bewusst zu, auch wenn da gewiss viel los wäre. Doch mir ist die Familie wichtiger als ein paar Euro mehr Umsatz. Vor Kurzem bin ich zum ersten Mal Vater geworden. Ich merke, wie sich meine Prioritäten, die Werte nun verschieben. Mir ist es wichtig, Zeit zu Hause zu verbringen und nicht nur in der Backstube zu stehen.

Ich finde, unsere Straße hat sich positiv gewandelt: Es gibt hier einfach alles. Keiner muss im Internet bestellen – auch wenn es dennoch jeder macht, ich zugegebenermaßen auch. Die Schattenseiten: Selbst Gutverdiener können sich heute kaum noch eine Wohnung hier leisten, wenn die Miete schnell mal 2.000 Euro kostet. Das finde ich schon heftig und erschreckend. Es wird immer enger, immer mehr Autos sind unterwegs, die Parkplatzsuche ist nervenaufreibend. Bisweilen sind die Anwohner eine Stunde auf der Suche. Nur nachts, wenn ich um drei Uhr morgens zur Arbeit fahre, dann ist alles ruhig und der Bürgersteig hochgeklappt. Meine Botschaft an die nächste Generation: Sprecht mehr miteinander, geht aufeinander zu, nicht nur digital. Viele junge Leute stehen mittlerweile mit dem Smartphone in der Bäckerei. Das finde ich schade. Ich glaube, es verlagert sich zu viel in die digitale Welt. Jeder gibt dort seinen Senf dazu, viele pöbeln, sind aggressiv. Wenn ein Kunde die Brezel mal etwas „lätschig“ findet, soll er es mir persönlich sagen. Dann kann ich darauf eingehen. Auf einen anonymen Kommentar nicht. Besser wäre es ohnehin, wenn wir mehr miteinander schwätzen würden, nicht gegeneinander.

ABB.9

2.000 Brezeln Durchschnittlicher Samstagsverkauf in der Bäckerei Bosch.

025


Was hält uns zusammen? Elisabeth Tull (59)

JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

Helene Prölß (67)

„Mer brauchet älle!“ Ralf Reisch (rechts im Bild, 58)

„Menschlichkeit.“ Stefanie Wilk (41)

„Sich gegenseitig grüßen und helfen.“ 026

„Ein höflicher, freundlicher Umgang. Grüß Gott, Auf Wiedersehen! Bitteschön, Dankeschön!“

Jens-Peter Wedlich (53)

„Lächeln und freundlich sein. Denn Lächeln bekommt man immer zurück.“


/. Schwabstraße 83 – 79 /. Bismarckstraße 30 /. Gutbrodstraße 4 /. Vogelsangstraße 51

027


JAHRESBERICHT

2018

Pädagogin aus Leidenschaft: Die Schulleiterin achtet nicht nur bei Lehrplänen & Co auf die besonderen Details.

Baden-Württemberg Stiftung

Elisabeth Tull

Willkommenskultur in jeglicher Hinsicht: Frau Tull freut sich, dass die bunt gemischten Klassen während der zweijährigen Renovierungszeit der Schwabschule ein neues Zuhause in der benachbarten Friedensschule gefunden haben.

30 Bismarckstraße

028

6 Schwabschule


BISMARCKSTRASSE

30,

70176

Stuttgarter Schwabschule

i Elisabeth Tull war rund 20 Jahre Lehrerin an der Stuttgarter Schwabschule, bevor sie im Jahr 2016 die Leitung der als äußerst multikulturell geltenden Bildungsstätte übernahm. Diese Vielfalt liebt sie auch an den gastronomischen Begegnungsstätten der Schwabstraße, wo die heutige Wahl-Untertürkheimerin von 1989 bis 2000 wohnte.

STUTTGART

REKTORIN

Elisabeth Tull

# WIR SINDS

„Wir müssen allen Kindern Zugang zu guter, vielfältiger Bildung geben.“ Elisabeth Tull (59)

26 % deutsche Kinder mit Migrationshintergrund

44 % deutsche Kinder

30 % nichtdeutsche Kinder

ABB.10

Multikulturell An der Schwabschule besteht eine große kulturelle Vielfalt.

029


JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

# WIR SINDS

FR AU TU LL, W I E H AT SICH DI E SCH WA BSTR ASSE I N DEN LETZTEN 20 JA H R EN V ER Ä N DERT?

ABB.11

Pilotschule Die Schwabschule ist eine Pilotschule mit Islamischem Religionsunterricht (IRU).

ET — Die Schwabstraße ist noch multikultureller, bunter und vielfältiger geworden. Dennoch funktioniert das Miteinander nach wie vor sehr gut. Der Fokus auf den Austausch sowie gegenseitiges Verständnis ist hier im Westen für mein Empfinden sowieso extrem ausgeprägt.

WAS IST DER SCH LÜSSEL FÜ R DI ESES V ERSTÄ N DN IS?

ET — Ganz klar: Sprache und Bildung. Und natürlich Sozialkompetenz. Und die müssen wir alle unseren Kindern vermitteln.

W I E SCH W I ER IG IST DAS A N EI N ER K U LTU R ELL V I ELFÄ LTIGEN SCH U LE?

ET — Dazu möchte ich eines voranschicken: Kinder begegnen sich in der Regel erst einmal nicht ablehnend, sondern sehr offen. Konflikte entstehen immer dann, wenn sie die Regeln des sozialen Miteinanders nicht beherrschen. Das ist jedoch nicht kulturell bedingt. Gerade Flüchtlinge sind in der Regel sehr anpassungsfähig – weil sie aus einer Not heraus hierherkommen. Dennoch ist es für uns Bildungsbeauftragte nicht einfach, mit der großen Vielfalt umzugehen und die Sozialkompetenz der Kinder auf ein Level zu bringen. Dazu brauchen wir die Hilfe der Eltern. Und deren Vertrauen.

U N D W I E IST ES U M DAS V ERTR AU EN DER ELTER N U NTER EI NA N DER BESTELLT?

Elisabeth Tull

ET — Natürlich ist es so, dass Menschen gerne unter ihresgleichen bleiben. Für jemanden, der beispielsweise eine andere Lebenswelt, einen anderen Lebensstandard hat, ist es schwer, Zugang und Vertrauen in eine andere Gruppe zu finden. Das ist aus meiner Sicht eine Grundproblematik, die wir lösen müssen, um auch in Zukunft friedlich und menschlich miteinander zu leben. Kinder sind der Auslöser dazu. Wir müssen einfach mehr für die kommende Generation tun, um den Zusammenhalt unserer Gesellschaft zu fördern und zu sichern.

W ELCH E DI NGE M EI N EN SI E DA M IT KON K R ET?

030

ET — Die Basis ist es definitiv, allen Kindern – ohne Ausnahme – den Zugang zu guter und vielfältiger Bildung zu ermöglichen, damit die Schere zwischen bildungsfernen und bildungsnahen Menschen nicht noch weiter auseinander geht. Das ist die Hauptaufgabe der Gesellschaft. Und da sehe ich auch die Politik sehr stark in der Verantwortung. Von uns als Lehrkräften wird ja immer gefordert, kreative Lösungen zu finden. Fakt ist jedoch, dass wir für gute Bildung und damit mehr Zeit pro Kind, größere und schönere Räume sowie mehr Außenflächen benötigen. Zudem sollten Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass sich die Schule nach außen öffnen kann.

I N W I EFER N?

ET — Es ist wichtig, dass wir als Lehrbeauftragte unseren Schülerinnen und Schülern auch Angebote von Menschen zur Verfügung stellen, die in ihrem Bereich besser sind als wir. Sehen Sie, wir haben hier in der Umgebung so viele wunderbare Kulturschaffende, Ladenbesitzer, Kreative, Forscher und viele weitere Menschen, von deren Erfahrungen und Expertise die Kinder unglaublich profitieren könnten. Und diese wiederum von den Impulsen der Kinder. Mir ist bewusst, dass das eine Vision ist, die in nächster Zukunft schwer umzusetzen ist. Wir bemühen uns jedoch, in kleinen Schritten zu denken und uns zunehmend zu öffnen und auszutauschen. Aber dennoch: Wir müssen im schulischen Kontext neu und anders denken, um Kinder gleichberechtigt und dennoch individuell zu fördern.

U N D WAS MÖCHTEN SI E J U NGEN M ENSCH EN M ITGEBEN, U M ZUSA M M EN H A LT ZU FÖR DER N?

ET — Geht in Konflikten aufeinander zu. Sucht die Schuld nicht bei anderen. Reflektiert euer Handeln. Übernehmt Verantwortung – und habt auch Lust darauf. Es macht mich traurig, Kinder zu sehen, die noch nie erfahren durften, dass es sich lohnt und Freude macht, für etwas einzustehen und sich zu engagieren. Daher bin ich über die Fridays-for-FutureBewegung sehr glücklich. Ich freue mich, dass Schülerinnen und Schüler wieder gemeinsam für eine gesellschaftlich relevante Thematik auf die Straße gehen. Das ist gesellschaftliches Engagement und gelebte politische Bildung.


BISMARCKSTRASSE

30,

70176

STUTTGART

REKTORIN

Elisabeth Tull

Kunst und Kultur wird an der Schwabschule in jeder Hinsicht gefördert. „Das verbindet über die Sprache hinaus“, sagt Frau Tull.

Stuttgarter Schwabschule

Bitte recht freundlich: Wer Kindern und Personal eine positive Lebenseinstellung vorlebt, wird mit einem sauberen Betriebsklima belohnt.

031


SCHWABSTRASSE

83,

70197

Stuttgarter Früchtle

83

STUTTGART

BESITZERIN

Stefanie Wilk

Schwabstraße

7 Stuttgarter Früchtle

# WIR SINDS

„Mit Herz und Miteinander können wir mehr erreichen.“ Stefanie Wilk / Helene Prölß

Stefanie Wilk (41)

i SW — Für meine Mutter und mich ist Zusammenhalt ja quasi ein Lebens- und Arbeitskonzept. Wenn wir uns nicht bedingungslos unterstützen würden, gäbe es das Früchtle wohl nicht mehr. Das heißt für uns, dass jeder seine Stärken zum Wohle des gemeinsamen Ganzen einsetzt. Wenn ich also morgens in aller Herrgottsfrüh auf dem Großmarkt die frischesten Produkte für unseren Laden einkaufe, anschließend die Lieferungen für unsere Gewerbekunden wie dem Spätzlesschwob, dem Seniorenheim oder einer Werbeagentur durchführe und den smark-Automaten um die Ecke füttere, erfüllt meine Mutter im Laden die Wünsche unserer Kunden. Was sie ja schon seit vielen Jahrzehnten mit Herz und Leidenschaft macht. Das gefällt den Schülern der Schwabschule gegenüber genauso wie den älteren Menschen aus dem Viertel. Sollten diese übrigens mal aus gesundheitlichen oder körperlichen Gründen nicht den Weg zu uns machen können – ist es für mich selbstverständlich, ihnen die Waren nach Hause zu bringen.

032

Solche Gesten bekommt man dann auch zurück. Als ich beispielsweise krank war, hat sich sofort ein Nachbar angeboten, mich zum Arzt zu fahren. Allerdings wird diese Hilfsbereitschaft und das Miteinander im Viertel in den letzten Jahren etwas weniger. Vieles ist schnelllebiger und hektischer geworden. Und darunter leidet auch die Kommunikation. Genauso wie die Wahrnehmung. So kommt es immer häufiger vor, dass die Menschen vorbeigehen oder wegsehen, wenn jemand auf dem Gehsteig hinfällt oder sich Jugendliche vor der Schule prügeln. Meine Mutter schreitet da aber immer ein. Und das hat sie mir auch mit auf den Weg gegeben: ,Schau hin und helfe anderen, wo du helfen kannst, mein Kind – und schwätz mit de Leut‘ – das habe ich verinnerlicht. Und es würde mich freuen, wenn das auch die nächste Generation wieder mehr machen würde. Dann funktioniert das auch mit der Wir-Gesellschaft hier im Viertel.

Stefanie Wilk führt seit 2011 das „Stuttgarter Früchtle“. Dort bietet sie ihren Kunden täglich frische Lebensmittel sowie Gewürze und Getränke an. Ihre Mutter Annemarie, 71, die sich bereits beim Vorbesitzer in mehr als 30 Jahren hinter der Theke den Ruf als gute Seele des Ladens erarbeitet hat, unterstützt sie dabei.


GUTBRODSTRASSE

4,

70197

Büro für Auszeitkultur

STUTTGART

COACH

Helene Prölß

# WIR SINDS

„Wir brauchen einen Bürgermeister für Glück und Zusammenhalt.“ Helene Prölß (67)

4 Gutbrodstraße

8 Büro für Auszeitkultur

033


JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

Gemeinsamer Mittagstisch: Am liebsten würde Helene Prölß die ganze Straße zum Essen einladen.

i Helene Prölß hat vier Kinder großgezogen und eine PR-Agentur geleitet. Seit einem Burn-out arbeitet sie als Coach und „Sinnstifterin“. Die von ihr vor 13

Helene Prölß

Jahren gegründete Stiftung „managerohnegrenzen“ leitet sie bis heute aktiv und gibt damit deutschen Führungskräften die Chance, eine sinnvolle Auszeit zu gestalten.


GUTBRODSTRASSE

4,

70197

Büro für Auszeitkultur

STUTTGART

COACH

Helene Prölß

# WIR SINDS Buntstift-Zeichnungen von Engeln kleben an den weißen Wänden. Manche haben den Kopf gesenkt, andere spannen stolz ihre Flügel und umarmen sich. Einige sind etwas ungelenk hingekritzelt, mehrere filigran gezeichnet, jedes ist ein kleines Kunstwerk. Die Bilder stammen von Kindern aus Burkina Faso, aus Ghana und Sambia. Im Bücherregal daneben drängen sich Lebensratgeber, deren Titel allein schon beruhigend wirken: „Ein Meer an Zeit“, „Nimm dich endlich, wie du bist“, „Mut zur Langsamkeit“, „Die Entdeckung der Faulheit“. Helene Prölß führt durch ihre Räume, zeigt das Gemeinschaftsbüro, ihr Beratungszimmer, die kleine Küche.

SI N N STI FTEN

Das Prinzip „schneller, weiter, besser“, hatte sie lange im Griff. Bis zum Burn-out. Zwei Jahre lang war die erfolgreiche, rastlose PR-Managerin arbeitsunfähig. Für sie war es der Moment, um aufzuwachen, sich zu sortieren. Sie gab ihre Agentur auf und ihrem Leben eine andere Richtung: Mit 52 Jahren wagte sie einen Neuanfang. Ihre Lebensthemen heute: Wie gestalten wir unseren Alltag sinnstiftend? Wie können wir uns genug Zeit freiräumen? Und: Wie finde ich die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden? Täglich klingelt in Prölß' Büro für Auszeitkultur das Telefon. Menschen melden sich, die wie Prölß nach ihrem Zusammenbruch nicht mehr weiterwissen, die sich verrannt haben, gegen sich und ihre Widerstände ankämpfen – bis zur Selbstaufgabe. Menschen, die sich von sich selbst entfremdet haben. Fast jeder vierte Berufstätige sei von totaler Erschöpfung betroffen, etwa 50 bis 60 Prozent aller Fehltage in Unternehmen sind auf Überbelastung zurückzuführen. Prölß gibt Menschen mit Burn-out, mit zu viel Druck und zu wenig Zeit Orientierung. Sie berät in der Krise. Mittlerweile hat sie eine eigene Theorie entwickelt, wie krankmachender Stress entsteht: Wer sich an einem Platz nicht zu Hause fühlt, egal, ob in der Wohnung, in der Partnerschaft, im Beruf, der gerät früher oder später an seine Grenzen. „Wer immer gegen innerliche Widerstände ankämpfen muss, ist irgendwann überfordert.“ Wieder handlungsfähig werden, das

ist das gemeinsame Ziel, an dem sie mit den Betroffenen arbeitet. Sie selbst hätte sich damals, vor 15 Jahren, gewünscht, dass da jemand ist, der sie versteht und unterstützt. Darum hat sie angefangen, die Lücke zu schließen. Es ist ihr Angebot als Sozialmensch, ihr Beitrag für die Gesellschaft „als sozialverantwortliches Mitglied“, wie sie es ausdrückt. Die eigenen Auszeiten mindestens so ernst zu nehmen wie die Karriere und Erfolg, dafür plädiert Prölß. Für die Leerstellen im Terminkalender. Für den Spaziergang in der Mittagspause. Für die Meditation nach dem Aufwachen, die Tasse Nachmittagskaffee mit der Kollegin. Für den Freiraum. Viele der Betroffenen, die bei Prölß im Backsteinhaus mit den großen Fenstern Hilfe suchen, wollen anonym bleiben. Schwäche zeigen, das ist für viele schwer. Doch manchmal steht ein Blumenstrauß vor ihrer Tür, ohne Namensschildchen oder Gruß. Ein kleines Zeichen großer Dankbarkeit.

M EH R M ITFÜ H LEN

Was ertragen wir an Enge? Wie viel Anpassung wollen wir? Es sind Fragen, die sich Helene Prölß oft stellt, angesichts all der Menschen mit ihren unterschiedlichen Lebensentwürfen, die hier so nah beieinander sind. Sie denkt an all die Studenten-WGs in ihrer Nachbarschaft, die mit Partymusik nächtelang den Innenhof beschallen. Die einen wollen es laut, die anderen ihren Schlaf. „Die leben auch, aber anders. Wir müssen uns alle arrangieren, um uns in diesem Umfeld richtig wohlzufühlen“, sagt Prölß. „Zusammenhalt ist für mich das wichtigste Element, das Mitfühlen, Aufeinandereingehen, auch das gemeinsame Gestalten. Dann entsteht ein großes Ganzes. Ohne das ist eine Gesellschaft nicht halb so lebenswert.“ Eine Gemeinschaft lebe von der Entfaltung, der Individualität und zugleich Rücksichtnahme. Manchmal fehle es ihr an jenen Menschen, „die sich um andere sorgen“. Wenn sie aufzählt, welche Sprachen sie spricht, dann nennt sie auch: Intuition und Empathie. Und, unüberhörbar, Schwäbisch. An ihrem Viertel selbst findet sie kaum etwas noch „richtig schwäbisch“. Nur die fünf Besen im Haus und mit ihnen die „Kehrwoche“ sind geblieben. Regelmäßig geht Prölß in den „Schwabenbräukeller“ zum Schwäbischen

Stammtisch. „Wir sitzen dort zusammen, um wieder richtig Dialekt zu reden.“ Es ist ein Stückchen Heimat, Identität. Prölß ist in Stuttgart aufgewachsen, in ihren Jugendjahren war für sie die Stadt „schlicht zum Wimmern“: miefig, spießig, kleinbürgerlich, erzkonservativ. Erst mit der Internationalisierung, der Durchmischung in den letzten Jahren und Jahrzehnten hat die Stadt für sie an Atmosphäre und Wärme gewonnen. Als die ersten Italiener kamen, Eisdielen eröffneten, die Menschen begannen, die Tische herauszustellen, wie Prölß heute.

GLÜCKSBÜ RGER M EISTER

Auf dem Bürgersteig vor ihrem Büro hat Helene Prölß zwei Bänkchen in die Sonne gerückt. Angeschnittener Marmorkuchen steht bereit, daneben eine Kanne mit dampfendem Kaffee. Ihr Mann und ein Kollege nehmen Platz. Mittagspause im Büro für Auszeitkultur. Ein Touristengrüppchen wandert vorbei. „Die Bereitschaft, ein Stückchen anders leben zu können, das Potenzial gibt es hier. Ich könnte mit rosa Haaren herumlaufen, ohne jemand zu schocken. Die verrückten Typen siehst du, wenn überhaupt, hier im Westen. Und das juckt keinen. Das ist das Grundrauschen – und Andersdenkende findest du hier auch deutlich mehr.“ Zusammenhalt, das heißt auch Vielfalt. „Am liebsten“, sagt Helene Prölß, blinzelt in die Sonne und breitet die Arme aus, „würde ich eine kilometerlange Tafel aufstellen, die sich über den ganzen Gehweg zieht und alle einladen, sich doch einfach dazuzusetzen.“ Schon schießt ihr eine Idee durch den Kopf. Wie wäre es mit einer kleinen Suppenküche für die, die sich das Mittagessen im Café gegenüber nicht leisten können – oder einem monatlichen Treffen aller Nachbarn zum gemeinsamen Mahl? Wenn Prölß einen Wunsch an die Stadt hätte, wäre es ein Bürgermeister für die Menschen und für Glück: „Wir brauchen keinen Nachtbürgermeister, für den es nur um Konfliktmanagement geht. Wir brauchen mehr Gestaltung. Einen Beauftragten für Zusammenhalt. Keiner, der nur die Ordnung organisiert, sondern jemanden für die Lebensqualität.“

035


JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

036


SCHWABSTRASSE

79,

70197

Markt am Bismarckplatz

STUTTGART

MARKTHÄNDLER

Ralf Reisch

Der Markt als Treffpunkt: Für viele Kunden geht es um mehr als den Einkauf. Zum Gemüse gibt es Tipps und Rezepte von Händler Ralf Reisch.


JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

79

Ralf Reisch

Schwabstraße

9 Markt am Bismarckplatz

038


SCHWABSTRASSE

79,

70197

Markt am Bismarckplatz

STUTTGART

MARKTHÄNDLER

Ralf Reisch

# WIR SINDS

„Wir müssen uns geistig umarmen.“ Ralf Reisch (58)

i Ralf Reisch ist Markthändler und lebt im Stuttgarter Westen. Gemeinsam mit seinem Kollegen Jens Schöne verkauft er Obst und Gemüse aus dem Remstal auf dem traditionellen Wochenmarkt auf dem Bismarckplatz – eine Institution im Viertel.

R R — Nähe suchen und finden, das zeichnet eine Gesellschaft aus. Wenn jeder Einzelne für sich ein klein wenig anders mit seinem Gegenüber umgehen würde, wäre uns allen viel geholfen. Wenn wir Interesse aneinander zeigen – nicht vorgeschoben oder heuchlerisch, sondern ehrlich. Schließlich hat jeder einmal Hilfe notwendig. Mir hilft es, mich darauf verlassen zu können: Im Zweifel ist da jemand, ein Nachbar, ein Freund, ein Fremder, der mich unterstützt. Gehe ich gut mit anderen Menschen um, bin ich freundlich und respektvoll, kommt das genauso zu mir zurück. Diese Erfahrung mache ich immer wieder. Ich habe jahrelang in Spanien gelebt. Im Vergleich dazu sind wir hier oft reservierter und zurückhaltender. In unserem Haus leben viele junge Leute, wir tauschen uns aus, sprechen viel miteinander. Doch einige, so mein Eindruck, suchen gar keinen Kontakt mehr zu den anderen. Sprachbarrieren hemmen den Austausch zwischen den Kulturen, die Tür an Tür miteinander leben. Ich mag diese Mischung, die sich auch auf dem Wochenmarkt auf dem Bismarckplatz spiegelt. Da sind die jungen Familien, die Spanier, die Italiener und Türken, die Stammkunden und vor allem die vielen älteren Menschen. Bei ihnen spüre ich oft, wie wichtig ihnen die Gespräche sind. Der Austausch zählt mindestens so viel wie das

frische Gemüse. Es geht um das Erlebnis, weit über das Einkaufen hinaus. Persönlichkeit ist dabei wichtig – und die Kommunikation: Wir scherzen mit unseren Kunden, geben Rezepttipps. Sie erzählen vom geplanten Abendessen, wer zu Besuch kommt, ich zeige ihnen Fotos meiner kleinen Tochter. So lernen wir uns plötzlich auf eine andere Weise kennen, ich bin nicht mehr nur der Händler. Die meisten wollen nur das Beste: bio, gesund, ungespritzt, aber natürlich makellos und unversehrt. Doch das sind Punkte, die sich oft gegenseitig ausschließen. Dann erklären wir: Unsere Äpfel sind kleiner, weil sie ungespritzt sind. Sie sind von Obstbauern aus der Region, aber haben vielleicht die ein oder andere Macke – wie du und ich eben auch. Alles haben geht nicht und niemand ist perfekt. Den anderen geistig zu umarmen – das finde ich wichtig. Warum lernen Kinder zuerst binomische Formeln und Grammatik in der Schule? Wir sollten lieber vermitteln, wie wir uns als Mensch integrieren, wie wir fühlen, was wir miteinander sind, wie wir das Gesellschaftliche fördern – und viel öfter sollten wir die Kinder einfach machen lassen. Was bedeutet ein gutes Leben? Wie schützen wir unseren Planeten – und unsere Gemeinschaft? Darauf kommt es an.

ABB.12

30 % Karotten 10 % Äpfel 35 % Kartoffeln So viel dieser Obstund Gemüsesorten wird, zumeist aufgrund ästhetischer Standards, durchschnittlich entsorgt.

039


JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

# WIR SINDS

Jens-Peter Wedlich

„Wer der Gesellschaft Wertschätzung entgegenbringt, bekommt sie tausendfach zurück!“ Jens-Peter Wedlich (53)

51 Vogelsangstraße

040

10 Schüttgut


VOGELSANGSTRASSE

Schüttgut

51,

70197

STUTTGART

GRÜNDER

Jens-Peter Wedlich

i Jens-Peter Wedlich gründete im Jahr 2016 das „Schüttgut“ in der Vogelsangstraße. Dort bietet der in Rutesheim lebende Stuttgart-West-Fan überwiegend Produkte an, die sich die Kunden aus großen Behältern in der gewünschten Menge in eigens mitgebrachte Mehrwegverpackungen portionieren können. Ein nachhaltiges Konzept, das nicht nur im Westen immer mehr Freunde findet.

H ER R W EDLICH, SI E H A BEN VOR RU N D DR EI JA H R EN DEN ERSTEN „U N V ER PACKT“ L A DEN DER R EGION ERÖFFN ET. W I E K A M EN SI E AU F DI E I DEE?

JPW — Früher war ich auf der „dunklen Seite der Macht“ und habe als Zeitsoldat Atomsprengköpfe bewacht. Dann bin ich in der Chemieindustrie und schließlich in der Mineralölbranche gelandet. Dort ging es aber nur um „höher, schneller, weiter“ – ohne Rücksicht auf Verluste – und das hat mich zum Umdenken bewegt. Erst habe ich mich hier im Westen bei Greenpeace engagiert – und irgendwann gebar ich dann die Idee fürs „Schüttgut“ – die ich aber erst im Mai 2016 verwirklichen konnte.

WA RU M?

J PW — Weil ich keine Ladenfläche gefunden habe.

DI E J ETZT I M STUTTGA RTER W ESTEN IST. A BSICHT?

JPW — Ich kannte das Viertel schon von meiner Greenpeace-Zeit. Und habe gemerkt: Hier geht echt was ab – das ist fast schon Kiez. Da

pass ich rein – persönlich – wie auch mein Laden. Die Ecke ist eigentlich prädestiniert dafür.

AUCH, W EI L DI E K U N DEN Ü BERW I EGEN D AUS DER NACH BA RSCH A FT KOM M EN?

JPW — Die Nahversorger schon. Die kommen fast täglich und kaufen Grundnahrungsmittel wie Brot, Milch und so weiter. Aber ich habe auch viele Kunden aus dem „Speckgürtel“ von Stuttgart, die so alle zwei bis vier Wochen kommen. Und einige fahren sogar bis zu 70, 80 Kilometer, um hier alle paar Monate einen Großeinkauf zu machen.

W I E SI N D SI E H I ER AU FGENOM M EN WOR DEN?

JPW — Unwahrscheinlich herzlich. Wir haben hier inzwischen echte Freundschaften geschlossen, die weit über die Geschäftsbeziehungen hinaus gehen. Meine Mitarbeiter treffen sich sogar mit manchen Kunden – auch weil sie gemerkt haben, dass die eben ähnlich ticken – und das verbindet. Insofern hat das hier in der Vogelsang- und in der Schwabstraße rund um den Bismarckplatz fast schon dörflichen Charakter. Hier wird zusammengehalten.

AUCH I N BEZUG AU F DI E BE NACH BA RTEN GESCH Ä FTE?

J PW — Auf alle Fälle. Ob „tarte & törtchen“, das „Café Seyffer´s“, der „motchis“ Kinderladen oder der „Elektro Berg“ – wir befruchten uns gegenseitig, was ausgesprochen wichtig für das besondere Klima hier ist.

KÖN N EN SI E DI ESES K LI M A NÄ H ER BESCH R EI BEN?

J PW — Dazu möchte ich Ihnen eine Geschichte erzählen. Eine Mutter kam mit ihren drei Kindern sehr gestresst in unseren Laden – ein Kind am maulen, die anderen an der Mutter hängend – und brauchte Zutaten für Pfannkuchen. Um die Situation etwas zu entspannen und der Dame Raum zum Einkaufen zu geben, sagte ich ihnen, wie glücklich sie doch sein könnten, gleich Pfannkuchen zu bekommen. Ich zum Beispiel hätte schon Jahre keine mehr gegessen. Es funktionierte. Und stellen Sie sich vor, circa 30 Minuten nachdem die Familie den Laden verlassen hatte, kommt eines der Kinder mit einem Teller und einem mit Marmelade gefüllten Pfannkuchen darauf in den Laden zurück und stellt ihn mir hin.

041


JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

# WIR SINDS

U NGL AU BLICH...

JPW — ...aber wahr. Und solche Dinge

passieren hier ständig. Ob mir die Nachbarin Kässpätzle bringt – oder meine Mitarbeiter von dem aus hier gekauften Zutaten gebackenen Kuchen ein Stück abbekommen – hier wird eine wirklich fantastische Nachbarschaft gelebt. Und das entspricht genau unserem Credo: Wer Wertschätzung lebt und gibt, bekommt sie tausendfach zurück.

GL AU BEN SI E, DASS DI ES DEN ZUSA M M EN H A LT EI N ER GESELLSCH A FT STÄ R KT?

JPW — Absolut! Sehen Sie, in meinem

früheren Berufsleben ging‘s immer nur um die Kohle – mehr Geld verdienen. Aber manchmal würde auch ein „Gut gemacht. Ich bin stolz auf dich.“ vom Chef genügen. So eine Wertschätzung leben wir hier – gegenüber allem. Natur, Tieren, den Lieferanten, Mitarbeitern, den Produkten an sich und natürlich gegenüber dem Kunden, der bei uns selbst entscheiden kann, was er kauft und vor allem wie viel davon. Bei uns ist der Bürger also tatsächlich mündig. Und bekommt so wiederum einen anderen – wesentlich wertschätzenderen – Bezug zum Produkt. Eine Kundin von mir stellt aus unseren Produkten Putzmittel her und sagt, dass ihr Putzen jetzt viel mehr Spaß macht. Und sie so auch ein freundlicherer Mensch geworden ist.

Jens-Peter Wedlich

U N D FR EU N DLICH K EIT V ER BI N DET?

JPW — Definitiv. Dinge wie Lachen oder nett sein tun nicht weh. Wenn die Menschen das begreifen, verbessert sich das Miteinander immens. Ein „guten Morgen“, ein kurzes Gespräch, sich beim Namen zu kennen – das ist doch das, was eine gute Gesellschaft ausmacht. Und natürlich offen sein für Neues. Auch für neue Menschen.

GEBEN SI E DAS AUCH A N DI E KOM M EN DE GEN ER ATION W EITER?

JPW — Das mache ich quasi tagtäglich.

Weil die Kinder mit uns im Laden größer werden – und wir mit ihnen. Auch im wortwörtlichen Sinne. So hat mir eine Mutter mal ihr Kind in den Arm geben wollen – was ich eigentlich bei „fremden“ Kindern nicht so gerne gemacht habe. Aber ich habe es zugelassen – und es hat sich großartig angefühlt.

042

Genauso wie sich einfach mal kurz um die Kinder zu kümmern, um den Eltern mehr Zeit für entspanntes Einkaufen zu schenken. Dieses Miteinander macht das Zusammenleben wesentlich einfacher. Und fördert den Zusammenhalt.

W I E W Ü R DEN SI E ZUSA M M EN H A LT FÜ R SICH DEFI N I ER EN?

JPW — Als offene Gesellschaft, in der man Kompromisse findet und den Fokus nicht auf sich selbst, sondern auf den Gemeinnutzen legt. Einer meiner Lehrer hat einmal gesagt, dass die Freiheit des einen da aufhört, wo die des anderen eingeschränkt wird. Das beschreibt es schon sehr gut. Zusammenhalt muss man lernen – vor allem in der Familie. Denn wir leben heute in einer Ellenbogengesellschaft. Es geht darum, wer am schnellsten nach oben kommt. Und da bleiben viele auf der Strecke. Und das ist nicht gut für eine Gesellschaft, denn da endet der Zusammenhalt.

für einen Effekt auf unseren Planeten? Klar, keinen besonders großen? Aber was passiert, wenn 80 Millionen Menschen komplett auf Plastiktüten verzichten? Woher kommt das T-Shirt oder das Küchengerät, das ihr kauft? Was bedeutet das für die Wirtschaft und die Umwelt, wenn das Billigware aus Asien ist? So sollte jeder die Dinge und sein Handeln hinterfragen. Aus seinen Routinen ausbrechen, neue Wege gehen – und offen durchs Leben. Das führt die Gesellschaft zusammen. 1½ kg

Äpfel

U N D WAS M ÜSSTE DER EI NZELN E DA FÜ R TU N?

J PW — Ganzheitlich denken und Zusammenhänge erkennen. Dazu gebe ich Beispiele: Was hat eine einzige Plastiktüte

Butter

Zimt 2

Eier

WAS IST I H R E I DEE, U M ZU SA M M EN H A LT ZU STÄ R K EN?

JPW — Wir müssen an unserem Gesellschaftssystem arbeiten. Da spielt zum Beispiel Neid eine Rolle. Meiner Meinung nach kommt das bedingungslose Grundeinkommen deshalb nicht, weil es manche Leute anderen neiden, fürs „Nichtstun“ Geld zu bekommen. Obwohl sie selbst auch nichts tun müssten und dafür entlohnt werden würden. Für mich ist das bedingungslose Grundeinkommen eine hervorragende Möglichkeit, den Zusammenhalt zu stärken. Auch weil damit die Bereitschaft für ehrenamtliche Tätigkeiten und gesellschaftliches Engagement immens gesteigert werden könnte. Und in einer Industrie, in welcher durch die Digitalisierung immer mehr Menschen freigesetzt werden, muss es so etwas geben. Aber viele Bürger haben eben Angst, dass sich die Leute dann auf die faule Haut legen werden. Ich persönlich glaube, dass das Gegenteil der Fall wäre – und eine Bewegung entstünde, die die Gesellschaft wirklich voranbringt.

200 g

1½ TL

geriebene

Zitronenschale ½ TL 140 g (Teig) 100 g (Füllung)

Zucker

ABB.13

Rezept Schüttgut-Kuchen

Backpulver

500 g

Mehl

Mehl, Backpulver, Butter und Zitronenschale zu einer krümeligen Masse verarbeiten. Ei hinzugeben und zu einem geschmeidigen Teig verkneten. Für die Füllung Äpfel schälen und in eine Schüssel reiben. Mit Zucker und Zimt vermengen. Den Teig teilen und die erste Hälfte ausrollen und in die gefettete Form geben. Die Füllung darauf verteilen und die zweite Hälfte des ausgerollten Teiges darauf geben. Im vorgeheizten Backofen bei 200 Grad für 30 bis 40 Minuten goldbraun backen.


VOGELSANGSTRASSE

Schüttgut

51,

70197

STUTTGART

GRÜNDER

Jens-Peter Wedlich

So vielfältig wie der Westen selbst: Im Schüttgut bekommt der Kunde nahezu jedes Lebensmittel in der von ihm gewünschten Menge.

Die personifizierte Wertschätzung: Jens-Peter Wedlich hat in Sachen Zwischenmenschlichkeit und Miteinander jede Menge zu erzählen.


Was hält uns zusammen? Manuela Mpimpilis (45)

JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

Andreas Stiefelmeyer (55)

„Gegenseitiger Respekt.“ Myriam Kunz (41)

„Anderen helfen, aufmerksam sein, sein Drumherum sauber halten. Nichts achtlos wegwerfen – oder auch einfach einmal etwas wegräumen.“ Elisabeth Oechsle (55)

„Liebe und Herz!“ 044

„Bedingungsloses Geben.“

Patrick Lott (44)

„Leben und leben lassen.“


/. Schwabstraße 42 – 63 /. Vogelsangstraße 35 & 31

045


Andreas Stiefelmeyer zählt seit mehr als zehn Jahren zu den bekanntesten Gesichtern im Viertel. Seine „Textilpflege am Bismarckplatz“ ist sogar schon deutlich länger eine feste Institution. Und das wird sich auch durch die „neuen“ SzeneLäden in der Nachbarschaft nicht ändern. Oder vielleicht ja auch gerade deshalb.

Andreas Stiefelmeyer

JAHRESBERICHT

Baden-Württemberg Stiftung

046

2018

Vogelsangstraße

35

11

Textilpflege


VOGELSANGSTRASSE

35,

70197

STUTTGART

Textilpflege am Bismarckplatz

BESITZER

Andreas Stiefelmeyer

# WIR SINDS

„In unserer Nachbarschaft ist Zusammenhalt gelebter Alltag.“ Andreas Stiefelmeyer (55)

ABB.14

Fleck-weg-Garantie Rotwein lässt sich am besten mit Zitrone, Salz und Mineralwasser entfernen.

,Wir waschen alles, außer Ihrem Geld‘ – wer Andreas Stiefelmeyer kennt, weiß, dass der Werbespruch für seine „Textilpflege am Bismarckplatz“ mit einer gehörigen Portion Augenzwinkern verbunden ist. Schließlich kann ein Gespräch mit ihm ab und zu schnell politisch werden. Zwischen laufenden Waschmaschinen und in Folie verpackten, frisch gereinigten Hemden, Anzügen und Röcken teilt der waschechte Schwabe seine Beobachtungen über die Gesellschaft – und steht hinter seiner Meinung. Das schätzen seine Kunden, die vom Praktikanten über den Rentner bis hin zum Vorstandsvorsitzenden nahezu in jeder Alters-, Einkommens- und Gesellschaftsklasse zu finden sind. Auf rund

sechzig Prozent schätzt der Andi – wie ihn viele hier nennen – den im Viertel wohnhaften Kundenanteil. Aber auch aus dem Umland kommen einige extra wegen seinen besonderen „Fleck-Weg-Fähigkeiten“ gerne an den Bismarckplatz. So wie auch Doreen Gilke, die vor einigen Jahren nach Stuttgart-Vaihingen gezogen ist. Ihre Kleidungsstücke bringt sie zum Reinigen jedoch nach wie vor hierher.

FÜ R K U N DEN W I E FÜ R NACH BA R N DA

Als wir sie nach ihrer Meinung zum Zusammenhalt im Viertel fragen, antwortet sie wie aus der Pistole geschossen: „Dafür sorgt der Herr Stiefelmeyer schon höchstselbst.“ Der

Angesprochene wiegelt gleich etwas ab: „Der gesellschaftliche Zusammenhalt ist hier am Platz gelebter Alltag.“ Als Beispiel nennt der 55-Jährige die Gestaltung des neuen Bismarckplatzes: „Hier haben alle gemeinsam gegen die ursprünglichen Pläne gekämpft, die aus unserer Sicht auch völlig sinnfrei waren.“ Darüber hinaus habe sich die gesamte Nachbarschaft für den benachbarten Italiener eingesetzt, der durch einige Planungen starke Nachteile gehabt hätte. „Hier ist es einfach ganz natürlich, dass man seinem Nachbarn hilft oder Einkäufe für ihn erledigt, wenn er körperlich oder gesundheitlich mal nicht dazu in der Lage ist.“ Was er schon mehrfach selbst erleben durfte. Sowohl nach dem Bruch zweier

047


JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

Rippen als auch bei einer Fußfraktur im Folgejahr organisierte der Pächter der benachbarten Szene-Gastronomie „Metzgerei“ sofort vollumfängliche Hilfe, durch die der lückenlose Betrieb der Textilpflege gesichert werden konnte. Und diese Hilfsbereitschaft, so Stiefelmeyer, funktioniere selbstverständlich auch in die andere Richtung.

W ERTEGESELLSCH A FT W I LLKOM M EN

Andreas Stiefelmeyer

Aus diesem Grund hat der im Stuttgarter Süden geborene und aufgewachsene WahlWestler auch nie mit dem Gedanken gespielt, von hier wegzugehen: „Ich bin hier eigentlich wunschlos glücklich“, bemerkt er. Wenn er sich persönlich doch etwas wünschen dürfte, dann wäre das weniger Neid und mehr Selbstlosigkeit. „Die allgemeine Tendenz geht leider immer mehr in Richtung Ellenbogengesellschaft. Dabei wäre es doch gerade für uns hier kein Problem, dem anderen etwas mehr auf dem Teller zu lassen.“ Was er gerade der neueren Generation an Schwabstraßenbewohnern mit auf den Weg geben wolle: Unter ihnen sei die Hilfsbereitschaft und der Zusammenhalt weniger ausgeprägt als bei den Alteingesessenen. Daher gelte es, wieder Werte zu entwickeln und auszubauen. „Für etwas einstehen, etwas bewegen wollen – das fehlt den jüngeren Menschen zum Teil einfach noch.“ Und wenn das so bliebe, habe er die Sorge, „dass wir uns in eine Gesellschaft entwickeln, die sich vom Staat oder ‚Lauteren’ unterjochen lässt – und kritische Dinge einfach hinnimmt. Dann“, sagt Stiefelmeyer, „ist auch unser Zusammenhalt sehr stark gefährdet.“

Ein echter Platzhirsch: Die Ecke Schwab-/Bismarckstraße ist seit Jahrzehnten die erste Adresse für textilpflegebedürftige Westler.

048


VOGELSANGSTRASSE

35,

70197

STUTTGART

Textilpflege am Bismarckplatz

BESITZER

Andreas Stiefelmeyer

Besonderer Charme: Kleine Details machen das Ladeninnere zum großen Erzählkino.

049


JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

Myriam Kunz

Buchstäblich anders: Am neuen Standort hat Myriam Kunz ihren Kinderbuchladen sowohl räumlich als auch konzeptionell vielseitiger gestaltet.

48 Schwabstraße

050

12 Buchstäbchen


SCHWABSTRASSE

Buchstäbchen

i Myriam Kunz ist mit ihrem „Buchstäbchen“ vor wenigen Monaten von der Senefelder Straße an den Bismarckplatz gezogen. Dort trifft sie mit ihrem Konzept aus Kinderbuchhandlung, Workshop-Location und Galerie den Zeitgeist. Bevor sie den Laden 2016 gründete, war sie im Architekturbüro ihres Mannes in der Rosenbergstraße tätig. Das Paar wohnt mit den beiden Kindern in Botnang.

48,

70197

STUTTGART

GRÜNDERIN

Myriam Kunz

# WIR SINDS

„Es lohnt sich, emotional und sozial im Viertel zu investieren.“ Myriam Kunz (41)

FR AU K U NZ, ERST ROSEN BERG , DA N N SEN EFELDER J ETZT SCH WA BSTR ASSE. DER W ESTEN SCH EI NT ES I H N EN A NGETA N ZU H A BEN?

MK — Stimmt. Und auch gerade mit meinem Konzept, bei dem Kinder im Mittelpunkt stehen. Hier leben sehr viele Familien – die Dichte an Kitas und Grundschulen ist dementsprechend hoch. Zudem entwickelt sich der Westen als Stadtteil für mich schon seit längerer Zeit sehr positiv – und kreativ. Insbesondere im Umfeld der Schwabstraße.

W I E H AT SI E DI ESES U M FELD AU FGENOM M EN?

MK — Unwahrscheinlich herzlich. Es kommen jeden Tag Leute in den Laden, die uns sagen, dass sie uns als echte Bereicherung für den Platz empfinden. So ein Miteinander ist einfach schön. Das erleben wir tagtäglich auch hier im Haus. Eine Dame pflegt das Beet vor dem Laden. Eine andere – sie ist eigentlich nicht die Hausmeisterin – kümmert sich aber um den Wohlfühlfaktor und möchte jetzt bei uns auch Vorlesepatin werden. Das ist der Gedanke, der Geist, der unser Konzept prägt und mit Leben erfüllt. Genauso wie das Umfeld. Sei es das „Lumen“, das „Gewand“, der „Farben Liebig“ oder die „Metzgerei“ – überall bekomme ich Zuspruch, werde unterstützt und kann mich konstruktiv austauschen.

IST DAS EI N U NTERSCHIED ZU IHR EM A LTEN STA N DORT?

MK — Das empfinde ich schon so. Dort waren wir ja noch eher versteckt. Obwohl uns die neuen Medien – Instagram – schon geholfen haben, bekannter zu werden. Aber in der Schwabstraße und ihrer Umgebung ist man definitiv präsenter. Der öffentliche Nahverkehr fährt mit einer höheren Frequenz – und das Umfeld zieht durch mutige Konzepte wie das „Vogelsangatelier“, das „tarte & törtchen“ oder das „motchis“ genau die Menschen an, die unsere Zielgruppe sind. Das sind Herzensprojekte, die schon länger existieren und dem neuen Geist im Westen gewissermaßen den Weg geebnet haben.

051


JAHRESBERICHT

2018

Baden-W체rttemberg Stiftung

Myriam Kunz

Erwachsen geworden: Neben unz채hligen Kinderb체chern gibt es nun auch ausgesuchte Literatur f체r die Eltern.


SCHWABSTRASSE

Buchstäbchen

48,

70197

STUTTGART

GRÜNDERIN

Myriam Kunz

W I E W Ü R DEN SI E DI ESEN GEIST BESCH R EI BEN?

MK — Ich glaube, dass das Bedürfnis, die Sehnsucht nach mehr Gemeinschaft, Miteinander und echten Begegnungen wieder wächst. Das drückt sich auch in Projekten aus. Beispielsweise durch das „Repair Café“ im Stadtquartier West um die Ecke, wo dir Freiwillige deine kaputten Sachen reparieren. Oder Etsy – eine digitale Handels-Plattform, die hier im Westen analog wird. So entstehen wieder mehr direkte Gespräche. Man lernt sich „in echt“ kennen. Und das fördert das Miteinander enorm. Treffpunkt Allesraum: Wo normalerweise Lesungen, Ausstellungen und Kinderworkshops stattfinden.

I N W I EFER N WOLLEN SI E DI ESES M ITEI NA N DER SELBST FÖR DER N?

MK — Indem wir mehr als nur ein Kinderbuchladen sind. Dafür gibt es unseren Allesraum. Hier finden Lesungen, Kinder-Workshops und Kunstausstellungen statt – aber auch neue Konzepte wie Punch-Needling, das ist vereinfacht gesagt Malen mit Wolle, oder gesellschaftsrelevante Dinge wie Erste-Hilfe-Kurse. Eben alles. Daher der Name.

U N D DAS FU N KTION I ERT?

MK — Da bin ich sicher. Auch wegen des Standortes. Wir haben überdurchschnittlich viele Eltern, die das Allerbeste für ihre Kinder wollen. Wir haben wunderbare Kunden mit guten Umgangsformen. Ich würde sagen, dass von 1.000 Leuten, die den Laden betreten, maximal einer nicht in der Lage ist, anständig mit seinen Mitmenschen umzugehen und positiv auf andere zuzugehen.

W I E K A N N M A N SOLCH E M ENSCH EN M IT N EH M EN?

MK — Schwierig. Aber wenn überhaupt – sie wahrnehmen. Positiv ansprechen. Ihnen immer das Gefühl geben, da zu sein – und dass sich Freundlichkeit, ein Lächeln lohnt.

VERMITTELN SIE DAS AUCH AN DIE NÄCHSTE GENER ATION?

MK — Die Jungen sind schon auf einem guten Weg. Für viele ist ein eigenes Auto heute weniger wichtig als ein Fünf-Flammen-Herd. Weil sie lieber zusammen kochen als im Stau stehen. Das gefällt mir. Eines würde ich aber immer mit voller Überzeugung sagen: Es lohnt sich, sowohl emotional als auch sozial im Viertel zu investieren.

053


JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

42 Schwabstraße

Die Frisur sitzt: Der Studiohund hat einen wachsamen Blick auf sein Frauchen.

Manuela Mpimpilis

i

13 nails & more

054


SCHWABSTRASSE

42,

70197

STUTTGART

nails & more Beauty Lounge

LEITERIN

Manuela Mpimpilis

# WIR SINDS

„Zusammenhalt heißt: sich selbst akzeptieren – und die anderen.“ Manuela Mpimpilis (45)

i Manuela Mpimpilis stammt aus Neubrandenburg in Mecklenburg-Vorpommern. Seit 2010 leitet sie gemeinsam mit ihrer Frau die „nails & more Beauty Lounge“ in der Schwabstraße. Mittlerweile lebt das Ehepaar in Möhringen. Wegen Eigenbedarfs mussten sie ihre Wohnung im Westen räumen.

MM — Für mich waren Frauen im Kosmetikstudio früher Tussis. Bis ich mich in meine Partnerin verliebt habe. Ich komme aus Neubrandenburg, arbeitete dort als Konditorin. Kaum waren wir zwei Monate zusammen, zog ich nach Stuttgart und begann, in ihrem Kosmetikstudio zu helfen. Als „Ossi“ hatte ich zunächst Bauchschmerzen, doch die waren sofort weg. Ich bin zu jedem hin, offen wie ich bin. Ich glaube, das hat mir das Ankommen leicht gemacht. Wenn es um Werte geht, ticken meine Frau und ich gleich. Materielles ist schön und gut. Aber ohne Respekt und Ehrlichkeit geht nichts. Das gilt auch für unser Team. Es muss menschlich passen. Immerhin verbringe ich mit den meisten Kolleginnen mehr Zeit als mit meiner Lebensgefährtin. Wir profitieren von der Stammkundschaft. Da sind aber auch die, die sich die Maniküre vom Mund absparen. Schön und gepflegt sein wird von der Gesellschaft gefordert. Doch was ich feststelle, ist, dass viele vor allem die Zeit genießen, die sie für sich haben. Die Frauen kommen oft abgehetzt. Ich sage dann, jetzt fährst du erstmal runter, trinkst schön deinen Kaffee und entspannst . Für viele hier ist das die einzige Stunde, in der sie vom Alltag abschalten, wenn sie frisiert werden und die Nägel manikürt bekommen. Eigentlich will ich hier kein WLAN, damit die Kundinnen eine Entschuldigung haben: „Sorry, nicht erreichbar.“ Überall musst du bestehen, darfst nie schwach sein – hier schon. Sich selbst wichtig zu nehmen, das finde ich wertvoll. „Wie läuft es mit dem neuen Job? Fahrt ihr in den Urlaub? Hast du deine Mama wiedergesehen? Wie war dein

Geburtstag?“ Oft sind unsere Kundinnen ganz überrascht, fast skeptisch, wenn ich mich an so vieles erinnere. Ich merke mir

automatisch, was sie von sich erzählen. Im Westen habe ich mich das erste Mal wieder richtig zu Hause gefühlt. Es hat sowas Heimeliges. Ob ich zum Bäcker gehe, zur Apotheke – man kennt sich. Ich mag die „Metzgerei“, hole meine Blumen gegenüber, verweise meine Kundinnen an das Nagelstudio nebenan, wenn wir voll sind. Im Endeffekt wollen wir alle doch nur glücklich und gesund sein, ausgeglichen und zufrieden miteinander leben. Zusammenhalt heißt auch, Verständnis zu haben, wenn mal jemand zu spät kommt. Das ist doch nicht so schlimm. Wenn jeder auf die Bedürfnisse anderer eingeht – die Jüngeren sich in die Älteren versetzen und die Älteren nicht immer gleich über die Jüngeren meckern… Meine Botschaft an die kommende Generation: Nehmt nicht alles so selbstverständlich. Es hilft oft, einen Schritt zurückzutreten und sich zu fragen, warum sich jemand so verhält. Wenn hier Drogenabhängige unterwegs sind, die viele kritisch beäugen, denke ich: Wir können froh sein, dass wir nicht in dieser Lage sind – und sie trotzdem grüßen, mit ihnen respektvoll sprechen. Sich selbst akzeptieren, wie man ist – und den anderen: Das bedeutet Zusammenhalt. Freundlichkeit kostet nichts. Mädels „von der Straße“, Daimler-Führungskräfte, Promis: Für mich ist jeder gleich. Jeder bezahlt das gleiche, jeder bekommt die gleiche Behandlung. Mehr Geld macht niemanden zu einem besseren Menschen.

ABB.15

300 Farben

Im nails & more wartet eine riesige Farbenvielfalt an Nagellack auf den Kunden.

055


JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

31 Vogelsangstraße

# WIR SINDS

Elisabeth Oechsle

„Wir brauchen Wildwuchs und Brüche.“ Elisabeth Oechsle (55)

056

14 Gewand


VOGELSANGSTRASSE

Gewand

31,

70176

STUTTGART

UNTERNEHMERIN

&

STYLISTIN

Elisabeth Oechsle

Elisabeth Oechsle betreibt seit genau 20 Jahren das „Gewand“, einen Kostümverleih und Laden für Second-Hand-Mode am Bismarckplatz. Die gelernte Schneiderin lebt im Westen und ist Mutter eines Sohnes.

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JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

W ER I H R EN L A DEN BETR ITT, FI N DET EI N SA M M ELSU R I U M A N AUSSERGEWÖH N LICH EN K LEI DER N U N D ACCES SOI R ES …

EO — Hier gibt es uralte Zylinder vom Trödler oder Flohmarkt, Originalkleider aus den 1920er-Jahren. Schon als Kind war das meine Passion, ich habe Dachböden und Kleiderschränke von Freundinnen durchwühlt. „Verkleiderles“ war mein liebstes Spiel. Zu mir kommt die Abiturientin, die ein Ballkleid will, Leute, die zu einer Mottoparty eingeladen worden sind oder ein außergewöhnliches Foto-Shooting planen, der Oldtimer-Fahrer, der ein dazu passendes Kostüm sucht für eine Ausfahrt – und Mario Gomez, der einmal für eine Feier einen Anzug mit Melone geliehen hat. Ich hatte ihn zuerst gar nicht erkannt.

SI E V ER LEI H EN N ICHT N U R KOSTÜ M E, SON DER N TR ÄU M E. WAS M ACHT I H R E A R BEIT FÜ R SI E SO W ERTVOLL?

Elisabeth Oechsle

EO — Es macht mich glücklich, wenn die Leute hierherkommen und sich verwandeln, die Augen leuchten und sie eine andere Seite in sich entdecken. Ich liebe diese spielerischen Momente, wenn jemand plötzlich in eine andere Rolle schlüpft. Bei mir gehen die Menschen plötzlich anders, sie bewegen sich selbstbewusster oder stolz, strahlen. Immer

wieder beginnen Kunden vor dem Spiegel zu tanzen, stimmen im Abba-Aufzug „Dancing Queen“ an und wippen mit den Hüften. Manche wirken dann wie verzaubert, wenn sie den Laden verlassen. Einer sprang mal heraus – und fühlte sich, wie er sagte, plötzlich wie der König vom Bismarck platz. Das Schönste ist, wenn jemand nach einem Wochenende das Kostüm zurückbringt und sich bei mir für die wunderbare Erfahrung bedankt.

SI E SI N D SEIT GENAU ZWA NZIG JA H R EN H I ER A M BISM A RCK PL ATZ. W I E H AT SICH DAS V I ERTEL I M L AU FE DI ESER ZEIT ENTW ICK ELT?

EO — Als ich damals meinen Laden eröffnet habe, haben mich alle Freunde nur gefragt: Was willst du denn da? Keiner dachte, ich halte es lange aus. Es gab nichts, kaum Laufkundschaft. Heute brummt es. Ich glaube, ich war damals eine Art Pionierin. Im Lauf der Jahre haben sich immer mehr interessante Geschäfte angesiedelt, wenn auch viele längst wieder verschwunden sind. Vielen Stuttgartern war der Bismarckplatz früher gar kein Begriff. Das hat sich mittlerweile total gewandelt. Mittlerweile ist er für viele so etwas wie das neue Herz vom Stuttgarter Westen geworden.

WO FÜ H LEN SI E SICH A M WOH LSTEN?

EO — Zwischen Schwabtunnel und Hölderlinplatz finden sich die tollsten Dinge: vom kleinen Atelier über den charmanten Bücherladen bis hin zu verschiedensten Cafés. Am liebsten sitze ich an der Elisabethenkirche, direkt vor meinem Laden. Ich kann hier entspannen, es ist mein Ruhepol. Dort sitzen oft auch die älteren „Lebemänner“, die immer Geschichten auf Lager haben, viele „Westler“ treffen sich hier, gehen mit dem Hund Gassi. Wir harmonieren hier. Ich befürchte, dass unsere Nachbarschaft und der Bismarckplatz direkt vor meiner Tür seinen Frieden verliert, dass das kippt, der Platz zum Rummel wird, mehr Touristen kommen und sich weniger Anwohner treffen. ABB.16

Roaring Twenties Kostüme im Stil der Zwanziger Jahre sind derzeit am beliebtesten.

058

WA RU M?

EO — Noch ist es so schön grün. Doch durch die Neugestaltung des Bismarckplatzes, die bald beginnt, wird sich einiges

ändern. Ich fürchte, dass das kleine Stück Natur vertrieben wird, die Wildbienen, die im Sommer in den Büschen brummen. In Zeiten von Artensterben müsste das doch berücksichtigt werden. Einige Bäume sollen für die Sanierung fallen, das macht mich traurig. Ich bin nicht gegen den Wandel, aber ich mag diesen Wildwuchs hier. Es ist gut, wenn auch mehr Leute aus anderen Stadtteilen kommen – aber die Anwohner sollen nicht den Kürzeren ziehen. Diejenigen, die sich bislang gern am Platz aufhalten, dürfen nicht vertrieben werden. Wir brauchen Raum, den wir bespielen können, gemeinsame Feste, nicht noch mehr totsanierte Ecken.

WAS ZEICH N ET FÜ R SI E DI E GEM EI NSCH A FT H I ER AUS, DI ESEN BESON DER EN R EIZ?

EO — „Support your local dealer“, das ist meine Devise. Ich liebe meine Nachbarn, zum Beispiel die Buchläden direkt gegenüber und nebenan. Bei Amazon bestellen finde ich ganz schlimm. Es ist hier gutbürgerlich, hip, szenisch, aber gibt eben auch die „Clochards“ mit der Bierdose. Das alles gehört für mich zusammen, das alles macht das Viertel erst aus. Wir brauchen dieses Gemisch, die Brüche. Auch die Penner gehören dazu, die müssen eingegliedert werden, damit sie nicht abdriften. Es bringt doch nichts, sie nur ins nächste Randgebiet zu vergraulen. Es ist toll, dass es einen Wandel gibt, eine neue Generation, dass sich so viel tut, neue Läden und Restaurants eröffnet werden. Und doch braucht es auch das Altbewährte, die Arbeiter, die schon lang hier wohnen. Und die sich das auch weiterhin leisten können sollen. Wäre es hier zu gestriegelt, würde unser Viertel irgendwann seinen Charme verlieren.

ZUSA M M EN H A LT, WAS H EISST DAS FÜ R SI E PERSÖN LICH?

EO — Es sind so viele kleine Puzzleteile, die dazugehören. Toleranz und Respekt, das sind für mich die wichtigsten Elemente – aber auch Kreativität, die gelebt wird. Das hält die Gesellschaft zusammen: Inspiration, Kunst. Diese Leichtigkeit, gute Laune, Spaß, den meine Kunden oft haben. Auch das fördert Zusammenhalt.


VOGELSANGSTRASSE

Gewand

31,

70176

STUTTGART

UNTERNEHMERIN

&

STYLISTIN

Elisabeth Oechsle

Vom Scheitel bis zur Sohle: Accessoires machen Leute.

„Schön, aber spießig“: Als sie ihren Kostümverleih eröffnete, war das Viertel noch im Dornröschenschlaf. Elisabeth Oechsle ist Pionierin der neuen „Gründerzeit“ im Westen.

059


Patrick Lott

Typisch Schwabstraße: Zwischen neuer Szene-Gastro und DiscounterMärkten prägen auch alteingesessene Einzelhändler das Stadtbild.

JAHRESBERICHT

Baden-Württemberg Stiftung

Schwabstraße

060

63

2018

15

Farben Liebig


SCHWABSTRASSE

Farben Liebig

i Patrick Lott lebt schon sehr lange im Stuttgarter Westen – und betreibt dort seit 2011 das Traditionsgeschäft „Farbenhaus Liebig“. Seine Frau hilft ihm dabei – auch weil er daneben noch einen handwerklichen Gewerbebetrieb führt, um den gemeinsamen Lebensunterhalt zu sichern.

63,

70197

STUTTGART

BETREIBER

Patrick Lott

# WIR SINDS

„Der Spruch ‚Geiz ist geil‘ war der Todesstoß für Traditionsgeschäfte.“ Patrick Lott (44)

12 % ABB.17

30 %

Der klassische inhabergeführte Einzelhandel hat sich in den letzten zehn Jahren mehr als halbiert. Die großen Handelsketten sind auf dem Vormarsch.

nicht filialisierter Fachhandel

1995

2015 061


JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

# WIR SINDS

H ER R LOTT, SI E BETR EI BEN IHR GESCH Ä FT SCHON LA NGE I N DER SCH WA BSTR ASSE. WAS H AT SICH I N DEN LETZ TEN JA H R EN V ER Ä N DERT?

PL — Eine ganze Menge. Die Menschen. Das Leben. Die Gastronomie. Alles wird jünger, schneller und hipper. Da müssen wir als Altwestler schon schauen, dass wir nicht auf der Strecke bleiben.

DER V ER DR Ä NGU NGSW ETT BEW ER B IST A LSO I N VOL LEM GA NGE?

PL — Stellenweise schon. Und ich sage es Ihnen ganz ehrlich: Ich bin auch persönlich ein großer Verfechter von kleinen, inhabergeführten Traditionsläden. Ich kann diese Ketten wie Media Markt, Saturn & Co., die immer größer werden, nicht mehr sehen. Die machen das typische Stadtbild kaputt, sind eh schon groß, werden immer größer – und das geht eben auf Kosten von uns Kleinen. Das ist schlimm!

H A BEN SI E SCHON M A L M IT DEM GEDA N K EN GESPI ELT, H I ER W EGZUGEH EN?

Alle werden glücklich: Ob Profi oder Heimwerker, ob Putzteufel oder Kehrwochen-Engel – in Lotts Ladengeschäft namens Liebig gibt es weit mehr als nur Farben.

PL — Ich bin gebürtiger Westler, bin hier großgeworden, und kenne die Stadt und das Viertel wie meine Westentasche. Hätten Sie mir diese Frage vor 15 Jahren gestellt, hätte ich gesagt: Niemals. Das ist meine Stadt! Heute sehe ich das ein wenig anders.

WA RU M?

Patrick Lott

PL — Weil so vieles, was ich an Stuttgart gemocht habe, verschwindet. Das Verstaubte, Dörfliche, das andere kritisiert haben, war für mich immer etwas Schönes. Früher hatte jeder Stadtteil seine typischen Geschäfte – und die Leute haben dort eingekauft. Das ist heute zum Aussterben verdammt. Und das macht mich persönlich verdammt traurig.

H I ER SCH EI N EN I H N EN DI E M ENSCH EN A BER DI E STA NGE ZU H A LTEN?

PL — Wie man es nimmt. Klar beteuern viele Kunden immer wieder, wie schön es ist, dass es uns noch gibt. Ich erwidere dann, dass sie dazu einfach mehr in Läden wie unserem einkaufen sollen. Denn ganz ehrlich – und überhaupt nicht böse gemeint: Von den drei Schrauben, die so mancher bei

062


SCHWABSTRASSE

Farben Liebig

63,

70197

STUTTGART

BETREIBER

Patrick Lott

# WIR SINDS uns nachfragt, können wir nicht überleben. Und die größeren Dinge werden dann halt bei OBI oder im Netz gekauft. Das ist eine Katastrophe. Dennoch bin ich natürlich über jeden einzelnen Kunden froh.

WOH ER KOM M EN I H R E K U N DEN?

PL — Schwerpunktmäßig aus dem Westen. Und zu den meisten habe ich ein persönliches Verhältnis. Da wird sich auch viel außerhalb des Ladens unterhalten, wenn wir uns in der Umgebung zufällig treffen. Es kommen aber auch Kunden von außerhalb.

K AU FEN SI E SELBST AUCH I M W ESTEN EI N?

PL — Na klar. Eigentlich ausschließlich. Meine Brille habe ich hier bei einem kleinen Optiker gekauft. Ich würde – auch wenn es billiger ist – nie zu einer großen Kette gehen. Da ärgert mich sogar die Werbung. Der Saturn-Slogan „Geiz ist geil“ war aus meiner Sicht der Todesstoß für unsere lokale Wirtschaft. Und leider wirkt sich das am Ende auch negativ auf die Gesellschaft aus.

HABEN SIE DIE VERÄNDERUNG AUCH I N DER STR ASSE U N D I M V ER H A LTEN DER BEWOH N ER WA H RGENOM M EN?

PL — Wissen Sie, ich kenne hier seit

vielen Jahren fast jedes Gebäude – und natürlich ganz viele Leute. Die Einwohnerzusammensetzung hat sich sehr gewandelt. Viele der alten Menschen sind verstorben, und die neuen, die hierherkommen, sind überwiegend Gutverdiener. Was man auch sein muss, denn durch die Gentrifizierung sind die Mieten hier beträchtlich gestiegen. Auch weil hier eine fast schon abartige „Luxussanierung“ von Wohnungen betrieben wird. Und als größtes Extrem gibt es Unternehmen, die dann möblierte Zweieinhalb-Zimmerwohnungen für 1.800 Euro im Monat vermieten. So ziehst du dann auch Leute an, denen der Stadtteil an sich nicht am Herzen liegt. Braucht es ja auch nicht, denn sie wissen ja schon, dass sie bald wieder weg sind. Dabei bräuchten wir hier Menschen, die hier langfristig Fuß fassen und die Schwabstraße aktiv prägen und gestalten. Das vergessen die Hauseigentümer aus dem Westen leider immer wieder. Da überwiegt die Gier gegenüber dem Verstand.

W I E M EI N EN SI E DAS?

PL — Naja, steht eine Wohnung leer,

überlegen die sich, ob sie nicht noch mehr Geld machen können, wenn sie die Zimmer einzeln vermieten. Also wird dies gerade exzessiv betrieben. Dadurch hat sich der Bestand von WGs in der Schwabstraße in den letzten fünf bis sechs Jahren sicher verdoppelt. Und das sind eben Leute, die für mich als Einzelhändler schwer zu verstehen sind. Weil es für sie überhaupt kein Thema ist, sieben Euro für zwei Cappuccino zu bezahlen – sie aber völlig verständnislos sind, wenn ein Schraubenzieher bei mir dasselbe kostet. Und an so einer Einstellung leidet dann eben auch das Zwischenmenschliche und die Werte. Aber so scheint der Zeitgeist zu sein.

WOR A N LI EGT DAS I H R ER M EI N U NG NACH?

PL — Auch viel an den sozialen Medien. Durch Facebook & Co. wird vieles anonymer. Neulich hatte ich eine Baubesprechung in einem Café. Da laufen zwei Pärchen ein – und was machen die: Jeder beschäftigt sich zwei Stunden ausschließlich mit seinem Smartphone. Wenn überhaupt kommuniziert wurde, dann nur, wenn man sich kurz einen YouTube-Clip zeigte. Für mich unfassbar. Ich hätte früher nur eins im Sinn gehabt: das Gespräch mit den Mädels.

K U R Z GESAGT: DI E GESELL SCH A FT H I ER I M W ESTEN IST H I N Ü BER?

PL — (lacht) Nein! Gott sei Dank gibt es auch immer wieder schöne und überraschende Erlebnisse. Menschen, die helfen, von denen man das gar nicht gedacht hätte. Und allgemein ist die Hilfsbereitschaft meiner Kunden hier schon sehr groß – auch untereinander. Da wird auch gerne mitangepackt.

U N D W I E IST ES U NTER DEN L A DEN BESITZER N?

PL — Unterschiedlich. Auf der einen Seite bin ich mit einigen befreundet. Aber insgesamt kommt der Austausch mit vielen anderen zu kurz. Vielleicht auch, weil jeder hier sein Päckchen zu tragen hat. Aber für mich ist die Kommunikation untereinander sehr wichtig. Ich hatte beispielsweise über Jahre ein schlechtes Verhältnis zu einem Nachbarn. Auch weil Dritte irgendwelche Gerüchte über beide Parteien verbreitet

hatten, die uns ärgerten. Aber sich dann als falsch herausstellten. Weil wir es irgendwann glücklicherweise hinbekommen haben, zu reden. Und heute verstehen wir uns prächtig.

SPR ICH: DI R EKTER AUSTAUSCH STÄ R KT DI E GESELLSCH A FT?

PL — Genau so ist es. Und daher halte ich Sprache für so wichtig. Zum Beispiel auch für die Integration von Migranten. Was im Westen eigentlich sehr gut funktioniert. Aber wenn man die Menschen gar nicht versteht – und diese die gesellschaftlichen Grundregeln, die wir hier haben, im Gegenzug auch nicht – dann wird es schwierig. Und alles dürfen wir nicht zulassen. Wenn hier zum Beispiel jemand seinen Müll einfach vor meinen Laden wirft, dann muss man ihn dafür kritisieren dürfen. Unabhängig von seiner Hautfarbe. Und wenn das dann zufälligerweise mal ein Afrikaner ist, bin ich deswegen kein Rassist, sondern ein Ladenbesitzer.

KÖN NTE DI ESE ER K L Ä RU NG VON SPR ACH E U N D R EGELN AUCH AUS DER GESELL SCH A FT SELBST KOM M EN?

PL — Das muss sie sogar. Denn auf die Politik kann man sich da nicht wirklich verlassen. Und eines sage ich Ihnen: Wenn so etwas irgendwo funktionieren könnte, dann vor allem hier rund um die Schwabstraße.

U N D WAS W Ü R DEN SI E DER KOM M EN DEN GEN ER ATION A N BEWOH N ER N R ATEN, DA M IT ZUSA M M EN H A LT H I ER AUCH I N ZU K U N FT GELEBT W ER DEN K A N N?

PL — Sich selbst nicht so wichtig nehmen. Lernen, dass es neben einem selbst auch noch andere Lebewesen gibt. Etwas bescheidener – und kritikfähiger werden. Vielleicht zurückrudern. Heutzutage ist alles immer schneller, höher, weiter und reicher geworden. Ich würde mir von den Neuwestlern weniger Prestigedenken und mehr wahre Werte wünschen. Und Kommunikation. Miteinander zu reden, aufeinander zu achten und sich in kritischen Situationen zu unterstützen – darauf kommt es an.

063


Was hält uns zusammen? Thomas Gerhardt (40)

Benjamin Martin (35)

JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

Jürgen Bauer (51)

„Wir können mit Kleinigkeiten Großes schaffen.“ Astrid Schmeel (48)

„Ehrlichkeit, auch zu sich selbst.“ Uwe Schäfer (53)

„Toleranz gegenüber anderen Lebensformen, Identitäten, Nationalitäten: den anderen sein zu lassen wie er ist.“ 064

„Offenheit.“

„Mehr Verständnis füreinander haben.“

Sabine Boss (56)

„Respekt und Rücksichtnahme.“


/. Schwabstraße 57 – 12 /. Bismarckstraße 63 /. Gutenbergstraße 71

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JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

47 Schwabstraße

# WIR SINDS

Benjamin Martin

„Weniger Scheuklappen und mehr Offenheit.“ Benjamin Martin (35)

16 Café Gustav

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SCHWABSTRASSE

47,

70197

STUTTGART

BESITZER

Benjamin Martin

Benjamin Martin eröffnete vor einem Jahr das „Café Gustav“, dessen Name eine Reminiszenz an den Namensgeber der Straße – Gustav Schwab – ist. Mit seinem „Healthy-Food“-Konzept trifft er den Puls der Zeit – mit dem er sich als Besitzer einer Werbeagentur ohnehin tagtäglich beschäftigt.

Café Gustav

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FRAGE

FRAGE

FRAGE

W I E H A BEN SI E DEN ZUSA M M EN H A LT I M V I ERTEL A LS J U NGER V ERTR ETER DER N EU EN GASTRO SZEN E K EN N ENGELER NT?

SIE SPRECHEN MIT IHREM KONZEPT EHER EINE JÜNGERE, „HIPPERE“ GENERATION AN. WIE REAGIEREN DIE ALTEIN GESESSENEN DARAUF?

WAS BEDEUTET DAS M IT EI NA N DER U N D DER ZUSA M M EN H A LT I N EI N ER GESELLSCH A FT FÜ R SI E PERSÖN LICH?

BM — Als äußerst positiv. Die Menschen – ob andere Gastronomen oder Geschäfte aus dem Handwerks-Bereich – sind sehr hilfsbereit. Seit der Eröffnung besteht ein guter Kontakt zum benachbarten Farbengeschäft, das mit seinem Handwerkspartner immer parat steht, wenn etwas schnell repariert werden muss. Gehen bei uns die Kassenrollen aus, hilft mir das gegenüberliegende BurgerHouse, das über dasselbe System verfügt, jederzeit gerne aus. Oder wenn für eine Veranstaltung spezielles Geschirr benötigt wird – das leiht man sich untereinander selbstverständlich aus. Außerdem bestehen viele Kontakte zu anderen Ladenbesitzern, wie beispielsweise dem vom Tabakladen und der Dame vom Reisebüro. Und was auch wirklich bezeichnend ist: Wir Gastromomen sind trotz Wettbewerbssituation auch oft gegenseitig beim anderen zu Gast.

BM — Ich habe überwiegend gute Erfahrungen gemacht. Obwohl der Spruch „Voulezvous Café avec moi“, den wir in der Anfangszeit auf unsere Scheibe geklebt hatten, bei manchen auch für Irritation gesorgt hat. Aber wenn Sie sich hier umschauen – hier fühlt sich auch älteres Publikum wohl. Ein wirklich schönes Beispiel ist das Paar, das gegenüber von uns wohnt. Die mögen Mitte, Ende 50 sein – und sitzen fast jeden Tag an unserem Fensterplatz, trinken ihren Wein und schauen auf das Haus, in dem sie wohnen. Warum? Weil sie sich einfach wohlfühlen. Und das gilt für jeden hier. Die Leute sind, ganz gleich ob alt oder jung, sehr offen und freundlich. Was mit Sicherheit auch daran liegt, dass wir das im Service vorleben. Das ist mir schon sehr wichtig. Weil ich damit auch einen Ort der Begegnung schaffen kann. Und das stärkt das Miteinander.

BM — Das ist für mich – gerade als Existenzgründer, aber natürlich auch als Privatperson – ausgesprochen wichtig. Andere sehen und anderen helfen. Weniger Egoismus und Scheuklappen, mehr Offenheit und Hilfsbereitschaft zeigen, das sind Dinge und Werte, die eine gute Gesellschaft aus meiner Sicht ausmachen. Aber das müssen wir selbstverständlich auch vorleben. Und da kann man schon mit Kleinigkeiten Großes schaffen. Anderen die Tür aufhalten beispielsweise. An der Supermarktkasse von sich aus jemanden vorlassen, der es offensichtlich eiliger hat als man selbst. Oder die Menschen, denen man begegnet, auf die gute alte Art und Weise freundlich grüßen – und einen schönen Tag wünschen. Ich bin ganz fest überzeugt, dass wir damit sehr viel in einer Gesellschaft bewirken.

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JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

63 Bismarckstraße

17 Der gestiefelte gerhardt

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# WIR SINDS

„Ich-Bezogenheit und Selbstdarstellung sind eine Gefahr für den Zusammenhalt.“

gehörte bereits in jungen Jahren einer alten Zunft an. Als Schuhmacher erfüllte er sich dann vor rund zehn Jahren seinen Traum vom eigenen Geschäft. „Der gestiefelte gerhardt“ ist seither der Anlaufpunkt aller im Viertel, die gut zu Fuß sein

Thomas Gerhardt (40)

Thomas Gerhardt

Thomas Gerhardt

wollen. Wenn der gebürtige Münchner mal nicht im Laden

TG — Für mich sind es die kleinen Gesten

und Dinge, die ein funktionierendes Miteinander ausmachen. Ich freue mich, wenn mich die Menschen hier im Viertel grüßen oder anlachen – und so begegne ich ihnen auch. Gerade hier in der Nachbarschaft wird Zwischenmenschlichkeit aktiv gelebt. Sei es durch meine Vermieterin, die sich politisch engagiert und Flüchtlingen den Weg zur Integration in unsere Gesellschaft ebnet. Oder durch den Nachbar, der mir heißen Kaffee gebracht hat, als ich in der Kälte auf den Schlüsseldienst gewartet habe. Hilfsbereitschaft, Rücksichtnahme, Nächstenliebe ohne

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Vorurteile – diese „biblischen“ Werte schätze ich sehr, obwohl ich selbst kein sehr religiöser Mensch bin. Leider beobachte ich in letzter Zeit so etwas wie einen Verfall dieser Werte. Social Media, Selfies, Konsum werden immer wichtiger. Und der Hang zur „Ich-Bezogenheit“ und Selbstdarstellung gefährdet den Zusammenhalt. Das bereitet mir Sorgen. Ich fände es schön, wenn wir wieder einen Schritt zurückgehen und etwas mehr Verzicht üben würden. Schließlich ist es hier sehr einfach, mit dem glücklich zu sein, was man bereits hat.

steht, findet er meist auf der Bank des angrenzenden Spielplatzes Zeit, um auszuspannen.


One-Man-Schuh-Show: Wenn gerade keine Kunden im Laden sind, bleibt der Schuhmacher alleine bei seinen Leisten.

BISMARCKSTRASSE

Der gestiefelte gerhardt

63, 70197 STUTTGART SCHUHMACHER

Thomas Gerhardt

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JAHRESBERICHT

2018

Starkes Netz: „Pro Kids“ arbeitet seit mehr als 15 Jahren mit Kindern aus suchtbelasteten Familien.

Baden-Württemberg Stiftung

Astrid Schmeel & Uwe Schäfer

Seite an Seite: Astrid Schmeel und Uwe Schäfer begleiten junge Menschen auf ihrem Weg.

63 57 Schwabstraße

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18 Caritas


SCHWABSTRASSE

57,

70197

Caritas „Pro Kids“

i

STUTTGART

SOZIALPÄDAGOGIN

&

KÜNSTLER

Astrid Schmeel & Uwe Schäfer

# WIR SINDS

Astrid Schmeel

„Abhängigkeit betrifft immer die ganze Familie. Die Kinder tragen ein höheres Risiko, später selbst süchtig zu werden.“

ist Sozialpädagogin und Systemische Therapeutin. 2016 nahm sie ihre Arbeit bei Caritas „Pro Kids“ auf, deren Mitarbeiter sich seit 15 Jahren um sucht- und psychisch belastete Familien kümmern. Uwe Schäfer ist seit einem Vierteljahrhundert „Westler“. Der Künstler mit dem Schwerpunkt Grafik und Malerei unterstützt seit einem Jahr das Team von „Pro Kids“. Zudem leitet er die Druck- und Kreativwerkstatt im Kontaktcafé

Astrid Schmeel (48) & Uwe Schäfer (53)

„High Noon“ für Substituierte und Drogenabhängige.

Alkohol

Opioide Heroin, Methadon, Fentanyl, …

40 %

* deutschlandweit

Sonstige

Cannabis

ABB.18

ABB.19

Suchtkranke Eltern

Stationäre Behandlungen

Ca. 40 % der Drogenabhängigen oder Suchtkranken hatten selbst ein suchtkrankes Elternteil.

kurzfristige Behandlungen im Krankenhaus und langfristigere Entwöhnungen in Rehaeinrichtungen aufgrund von Suchtmitteln *

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JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

Astrid Schmeel & Uwe Schäfer / Jürgen Bauer

U M W EN K Ü M M ERT SICH „PRO K I DS“?

AS — Zu uns kommen Kinder und Jugendliche aus der ganzen Stadt, deren Mütter und Väter ein Suchtproblem oder eine psychische Erkrankung haben. Oft bedingt das eine das andere. Abhängigkeit betrifft die ganze Familie. Die Kinder tragen ein hohes Risiko, später selbst süchtig oder psychisch krank zu werden. Durch die Probleme ihrer Eltern ziehen sich die Kinder zurück, viele sind ständig unter Stress. Viele verstummen, weil sie sich schämen. Sie laden niemanden nach Hause ein, weil sie nicht wissen, wann Mama besoffen in der Ecke liegt oder Papa wieder Stimmen hört. US — Sie verbindet, dass sie ihre Sorgen oft in sich hineinfressen, aus Angst. Doch das

Schweigen schadet nur. In unseren Kinderund Jugendgruppen ermöglichen wir ihnen, sich ganz offen und frei mit anderen auszutauschen. Wir malen zusammen, machen Kunst, oder gehen zum Spielplatz. Die Kinder sollen mehr Selbstbewusstsein entwickeln, ihre Stärken entdecken – und die Sorgen vergessen. Die Grundidee ist es, Gleichgesinnte zusammenzubringen, eine Gemeinschaft wachsen zu lassen. AS — Wir geben ihnen eine Struktur, einen Rahmen, Halt. Wir wollen für sie einen sicheren Raum schaffen, geregelt und vertraut, wo die Kinder einfach sein dürfen, wie sie sind. Wir haben einen Sandkasten im Büro und jede Menge Spielzeug. Doch der wichtigste Ort ist unsere Küche. Wie in einer Familie ist sie der Mittelpunkt. Wir kochen und essen zusammen. Gemeinsam am Tisch sitzen und miteinander reden, das ist in vielen Familien verloren gegangen.

U N D SI E V ER M ITTELN DI ESE GEBORGEN H EIT?

AS — Viele der jungen Menschen, die zu uns kommen, haben bei uns zum ersten Mal das Gefühl, dazuzugehören und aufgehoben zu sein. Hier muss sich niemand verstellen. So entsteht ein ganz enger, besonderer Zusammenhalt in den Gruppen. Alle wissen: Ich kann über alles reden, muss es aber nicht. In der Gruppe bewegen sie sich entspannt, müssen sich nicht erklären. Es geht darum, dass die Kinder Verlässlichkeit erleben. US — Es ist wichtig, dass sie Ansprechpartner haben im Außen. Viele kommen aus zerrütteten Familien, was nicht unbedingt bedeutet, dass sie arm oder sozial benachtei-

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ligt sind. Alkohol und Drogen sind in allen Gesellschaftsschichten ein Problem. AS — Wir beraten auch die Eltern, Großmütter und -väter, die Angehörigen. In den seltensten Fällen rufen die Eltern uns selbst an und sagen: Wir haben ein Problem. Wir brauchen Hilfe. Stattdessen kommen Lehrer oder Ärzte auf uns zu. Wir kooperieren mit Schulen, Sozialarbeitern, Erziehern, dem Jugendamt. Manche Kinder und ihre Familien begleiten wir zehn Jahre lang, sehen sie aufwachsen, wie sie sich stabilisieren, erleben dabei Rückschläge und Erfolge.

EI N E GESELLSCH A FT FÄ NGT SCH WÄCH ER E AU F, SO DAS I DEA L. W I E N EH M EN SI E DAS I M A LLTAG WA H R?

US — Ich glaube, viele Menschen vereinsamen immer mehr. Mit der Digitalisierung werden wir zurückgezogener. Man geht nicht mehr so viel raus, trifft sich seltener. Mit seinen Problemen bleibt jeder oft für sich. Sucht und psychische Krankheiten sind noch immer stigmatisiert: Umso wichtiger ist für Betroffene Teilhabe. Einmal pro Woche mache ich eine Siebdruckwerkstatt für Drogenabhängige, die in der Substitution sind. Für viele ist so ein Erlebnis ganz wichtig, gerade weil viele im Alltag separiert sind. Seit fünf Jahren bin ich dort. Anfangs habe ich viele Junkies als „Zombies“ wahrgenommen. Dort lerne ich sie nun als Menschen kennen.

ZUSA M M EN H A LT BEGI N NT OFT I M K LEI N EN. WAS SI N D I H R E ER FA H RU NGEN H I ER – U NTER NACH BA R N?

AS — Anfangs gab es Vorbehalte – auch weil diese Räume zuvor als Büro genutzt wurden. Ein älterer Herr, der hier lebt, fand es nicht so witzig, als dann wir kamen – und mit uns all die tobenden, lauten, lachenden Kinder. Im vergangenen Jahr hatten wir einen Tag der offenen Tür und luden ganz bewusst alle Anwohner ein. Um uns kennenzulernen. Der ältere Mieter hat sich unglaublich gefreut. Er blieb schließlich lange – und erzählte seine eigene Geschichte. Es stellte sich heraus, dass er ein ähnliches Schicksal hat wie viele der Kinder. Seine Mutter war auch krank. Doch damals gab es kein Hilfsangebot für ihn. Er findet es so großartig, dass es heute Anlaufstellen wie unsere gibt. Seitdem grüßen wir uns immer, sprechen ab und zu. Mittlerweile freut er sich über das neue Leben im Haus.

SI E A R BEITEN I N EI N EM V I ERTEL, DAS V I ELE N ICHT M IT A R M UT, PROBLEM EN U N D NOT V ER BI N DEN. WAS ZEICH N ET DI ESEN ORT FÜ R SI E AUS?

AS — Es ist sehr familiär. Es ist ruhig und doch zentral. Wir sind mittendrin, treffen unsere Klienten auf der Straße, beim Einkaufen. Unser Verhältnis zueinander geht weit über eine sterile Beratungssituation im Büro hinaus. Wir öffnen uns füreinander. US — Wir können alles zu Fuß erreichen und wir nutzen das auch mit den Kids, gehen in die Elisabethenanlage, zum Eisessen ins „Fragola“ oder fahren mit der Bahn nach Botnang zur Jugendfarm. In der Stadt haben wir mehr Stein, aber dafür kurze Wege. Vor 25 Jahren bin ich in den Westen gezogen, damals

das am dichtesten besiedelte Viertel Europas. So eng aufeinander zu leben geht nur, wenn wir Regeln einhalten. Sonst würde Chaos herrschen. Wenn ich am Wochenende in meinem Garten im Feuerbacher Tal oder im Atelier auf der Schwäbischen Alb war und zurückkomme, wird mir erst wieder dieser Muff in der Stadt bewusst. Dann fällt mir auf, in was für einer Betonwüste wir leben. Doch darin liegt eben auch ein Reiz: das Heterogene, die Nähe, das Miteinander. Ich fühle mich sicher. Und zu Hause. Alles ist vertraut und doch voller unbekannter Ecken. Bis heute entdecke ich beim Sonntagsspaziergang verborgene Schätze, Hinterhöfe, kleine Werkstätten: Wenn ich das Fenster öffne und den Blick über all die Häuser schweifen lasse, denke ich an all das Leben, an all die kleinen Geschichten, die Menschen mit ihrem Alltag, die ich nicht kenne und vielleicht nie kennenlernen werde.

WAS M ACHT FÜR SIE EINE STAR KE GESELLSCH AFT AUS?

US — Es gehört Vertrauen dazu, um sich fallen lassen zu können. Gemeinschaft ist ein Grundgefühl, das für mich einfach da ist. Doch wir müssen es pflegen. Zusammenhalt heißt auch Toleranz: Meine Freiheit ist auch deine Freiheit. Wenn sie dadurch nicht eingeschränkt wird, kann ein anderer tun, was er möchte. AS — Für mich ist es unglaublich wichtig, Sicherheit zu haben, ein Netz zu haben, das mich auffängt, zu wissen, dass ich mitgetragen werde. Ohne Zusammenhalt in der Gesellschaft geht das nicht. Dann wären wir alle nur Einzelkämpfer.


GUTENBERGSTRASSE

Tabak Reich

71,

70197

STUTTGART

BETREIBER

Jürgen Bauer

71 Gutenbergstraße

i Jürgen Bauer ist seit zehn Jahren das Gesicht des „Tabak Reich“. Der gelernte Kinoanlagen-Techniker wohnt gegenüber des seit 1960 bestehenden Geschäfts. Mit den meisten seiner Kunden pflegt er ein vertrauensvolles Verhältnis – weswegen er nicht nur die präferierte Zigarettenmarke jedes Einzelnen kennt.

19 Tabak Reich

# WIR SINDS

„Mit Sturheit kommen wir nicht weiter.“ Jürgen Bauer (51)

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JAHRESBERICHT

2018

Jürgen Bauer / Sabine Boss

Obwohl es im „TABAK REICH“ auch Lottoscheine gibt, glaubt Jürgen Bauer selbst, dass Geld nicht glücklich macht.

Baden-Württemberg Stiftung

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FRAGE

FRAGE

FRAGE

WAS H Ä LT AUS I H R ER SICHT U NSER E GESELLSCH A FT ZUSA M M EN?

WIE WICHTIG IST ZUSAMMEN H A LT FÜ R DI E I NTEGR ATION VON N EU EN A N WOH N ER N?

WAS KÖN N EN W I R DA R AUS FÜ R DI E W I R GESELLSCH A FT A BLEITEN?

JB — In erster Linie fördern natürlich Eigenschaften wie Freundlichkeit und Offenheit den Zusammenhalt. Denn nur so können wir mehr Verständnis füreinander entwickeln. Aber klar, dafür müssen wir alle etwas tun. Also nicht nur Dinge fordern, sondern auch selbst in Aktion treten. Insbesondere, wenn jemand neu hier ins Viertel kommt. Wir als „Eingesessene“ sollten den Leuten die Integration erleichtern, indem wir ihnen offen begegnen. Aber genauso ist es die Pflicht der neuen Bewohner, sich etwas anzupassen, die Regeln zu respektieren und auf die Menschen zuzugehen. Dann funktioniert das auch – und zwar unabhängig, woher sie kommen.

JB — Sehr wichtig. Und hier funktioniert Integration auch meistens. Aber das ist eben nicht selbstverständlich – und vor allem keine Einbahnstraße. Nebenan hat beispielsweise eine syrische Flüchtlingsfamilie vor einiger Zeit den Dönerladen übernommen. Und glauben Sie mir, selbst hier im Viertel gab es Menschen, die ihnen anfangs eher mit Skepsis oder Ablehnung begegnet sind. Aber diese Leute sind dennoch allen gegenüber immer freundlich und offen geblieben – und waren dabei sehr hartnäckig. Genauso wie mit ihrer Arbeit. Und so hat sich aus einem früher eher schlecht gehenden Laden ein sehr beliebtes Lokal entwickelt. Auch, weil sie sich durch ihr Handeln selbst sehr beliebt gemacht haben.

JB — Dass es jeder selbst in der Hand hat, Teil einer zusammenhaltenden Gesellschaft zu werden. Oder kurz gesagt: Jeder ist seines Glückes Schmied. Dazu gehört übrigens auch, Sachverhalte nicht nur aus seiner eigenen Sicht zu betrachten, sondern auch die Perspektive des anderen einzunehmen. Und daraus lässt sich ein guter Mittelwert finden, der wiederum eine wunderbare Grundlage für ein entspanntes Miteinander ist. Denn eins ist klar: Stur ausschließlich seinen eigenen Vorteil im Auge zu haben und durchzusetzen, bringt am Ende des Tages nur Missgunst. Und vor allem unsere Gesellschaft keinen Schritt weiter.

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SCHWABSTRASSE

Boss Travel

49,

70197

STUTTGART

INHABERIN

Sabine Boss

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# WIR SINDS

„Wir passen aufeinander auf.“ Sabine Boss (56)

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FRAGE

FRAGE

H A BEN SI E A NGST, I RGEN DWA N N „Ü BER FLÜSSIG“ ZU SEI N?

WAS BEDEUTET IHNEN IHR BERUF?

SB — Die Kunden sind heute informierter, sie wissen, was sie wollen. Doch gerade die Jüngeren kommen und lassen sich beraten, die Generation Internet, die ein, zwei Mal auf die Nase gefallen sind und merken, dass es online jede Menge Schmu und Mogelpackungen gibt. Im Gegensatz zu Online-Agenturen fühle ich mich für jede Reise verantwortlich. Ich kenne die Befindlichkeiten meiner Kunden, freue mich, wenn jemand nach längerer Zeit wiederkommt oder sich nach der Reise meldet – leider gibt es oft kein Feedback, wenn alles gut lief. Wenn etwas schiefgeht hingegen … Ich bin Dienstleisterin und habe inzwischen genug Menschenkenntnis und Erfahrung, um zu merken, wer nur meine Beratung „klauen“ möchte. Glücklicherweise kommt das selten vor. Ich bin über WhatsApp mit vielen meiner Kunden vernetzt. Letztes Jahr war ein Kunde während der Terroranschläge in Barcelona. Dann hake ich sofort nach, erkundige mich. Wenn so Dramen kommen, Streik, ein Vulkanausbruch, dann bin ich für sie da. Das bedeutet für mich Betreuung.

SB — Es gibt kein Schema F, jeder Tag ist anders. Ein Azubi von mir sagte einmal: „Wir verkaufen ein gutes Gefühl.“ Kommt jemand glücklich von einer Reise zurück, macht das zufrieden. Für viele ist ihr Urlaub das Highlight des Jahres. Sie dabei zu begleiten, ist schön. Das Los der Selbstständigkeit: Selbst komme ich momentan nicht viel weg, mal über die Brückentage in die Schweiz. Vor zwei Jahren war ich in Andalusien. Mit meinen Kunden reise ich an ihre Sehnsuchtsorte: Für den einen ist das Dubai, für den anderen der Bayerische Wald.

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FRAGE

H A LTEN W I R H EUTE ZUSA M M EN? SB — Wenn Jugendliche in der Bahn drei Sitze mit dem Rucksack in Beschlag nehmen und nicht für Ältere etwas Platz machen oder wenn ich die „Smombies“ sehe, die nur auf ihren Smartphone-Bildschirm starren, mache ich mir manchmal schon meine Gedanken. Mir hat man beigebracht, aufzustehen für Ältere, das sollte doch selbstverständlich sein. Dann wiederum bin ich oft überrascht, wie höflich und rücksichtsvoll viele Jugendliche sind. In der kleinsten Einheit, unserer Hausgemeinschaft, funktioniert unser Zusammenhalt sehr

gut. Wir sind eine tolle Gemeinschaft und pflegen unser Miteinander, mit Festen im Hof und vielen Gesprächen, alle sind integriert. Im fünften Stock etwa lebt eine über 90 Jahre alte Dame. Die geht zu Fuß noch die Treppen hoch. Wir Bewohner passen immer auf und kümmern uns. Wir stellen sicher, dass jemand von uns mindestens einmal am Tag danach schaut, ob alles in Ordnung ist. Es gibt diesen alten Spruch: „Wie man in den Wald ruft, so schallt es zurück …“ Die kleinen Gesten sind entscheidend, ein Lächeln, ein freundliches Wort, miteinander ist doch viel schöner als gegeneinander, weg von dieser Ellbogen-Gesellschaft.

Sabine Boss ist seit 30 Jahren in Touristik-Branche tätig. 2003 hat sie Reisebüro eröffnet.

der ihr

Schwabstraße

20 Boss Travel

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JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

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HALTUNG

Wir sichern und stärken die Zukunftsfähigkeit des Landes Baden-Württemberg mit Ideen und Investitionen in Wirtschaft und Wissenschaft. Wir engagieren uns für eine lebendige Bürgergesellschaft und fördern soziale und kulturelle Teilhabe und Nachhaltigkeit. Wir stiften Zukunft. 077


JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

BERICHT DES GESCHÄFTSFÜHRERS

GESELLSCHAFTLICHER ZUSAMMENHALT – IN UNRUHIGEN ZEITEN WICHTIGER DENN JE 2018 war ein turbulentes Jahr, das uns einmal mehr gezeigt hat, wie wichtig Zusammenhalt in unserer Gesellschaft ist und welchen Stellenwert wir ihm einräumen sollten. Vor allem in Zeiten, in denen demokratische Strukturen durch Populismus, Nationalismus, Datenskandale und manipulierte Nachrichten auf die Probe gestellt werden, ist es wichtig, dass die Menschen respektvoll miteinander umgehen – auch wenn sie unterschiedliche politische Ansichten oder gegensätzliche Lebensentwürfe haben. Deshalb widmen wir nicht nur den Jahresbericht 2018 dem gesellschaftlichen Zusammenhalt, sondern machen uns auch in unserer Stiftungsarbeit für dieses Thema stark. Dabei ist es uns ein besonderes Anliegen, dass bereits Jugendliche durch werteorientierte Demokratiebildung die Prinzipien des Zusammenlebens erkunden. Das im September neu gestartete Programm Läuft bei Dir! – Werte. Wissen. Weiterkommen. aus dem Bereich Gesellschaft und Kultur setzt genau dort an: Das Programm vermittelt Jugendlichen an der Schnittstelle zwischen Schule und Beruf in drei interaktiven Modulen demokratische Wertvorstellungen und politisches Verantwortungsbewusstsein. Das Programm leistet damit einen nachhaltigen Beitrag zur Förderung von demokratischen Kompetenzen wie Sprach- und Konfliktfähigkeit, Perspektivwechsel, Selbstreflexion, Kooperation und Verantwortungsbewusstsein. Wir müssen den Herausforderungen, die die aktuellen gesellschaft-

lichen Veränderungen mit sich bringen, mit effektiven Lösungen begegnen. Zu diesem Zweck hat der Aufsichtsrat der Baden-Württemberg Stiftung die Expertenkommission Sicherheit im Wandel – Gesellschaftlicher Zusammenhalt in Zeiten stürmischer Veränderung ins Leben gerufen. Die Expertenkommission besteht aus hochrangigen Mitgliedern aus Wissenschaft, Wirtschaft, Gewerkschaften und Kommunalpolitik und hat im Februar 2018 ihre Arbeit aufgenommen. Die Kommissionsmitglieder formulierten konkrete Handlungsempfehlungen für die Politik, um den Zusammenhalt der Gesellschaft unter anderem im Hinblick auf innere Sicherheit, Bildung und Weiterbildung sowie soziale Sicherheit zu stärken. Daten sind heute wertvoller denn je. Gleichzeitig wird es immer schwieriger, persönliche Informationen effektiv zu schützen. Das demonstrierten eindrücklich das Datenleck bei Facebook und der daraus resultierende Datenschutzskandal. Die Verunsicherung der Bevölkerung haben wir zum Anlass genommen, unser eigenes Datenschutzkonzept zu überarbeiten und anzupassen. Vor diesem Hintergrund haben wir im April die reguläre Kommunikation auf unserem Facebook-Kanal eingestellt und ihn genutzt, um unter #BesserDatenSchützen über Datenschutz zu informieren und aufzuklären. Einen Jahreshöhepunkt 2018 bildete der 9. Literatursommer unter dem Motto „Frauen in der Literatur“. Mit mehr als 200 Events bot die Veranstaltungsreihe ihren literaturbegeisterten Fans zahlreiche Lesungen, Schreibwerkstätten, Musikinszenierungen und Theaterprojekte. Es wurden aber auch aktuelle gesellschaftliche Debatten wie #MeToo thematisiert, die zeigen, welche Schieflage in Bezug auf die Gleichstellung der Geschlechter noch immer herrscht.

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Im Fachbereich Forschung der Baden-Württemberg Stiftung verstärkt seit September 2018 Dr. Angela Kalous als Abteilungsleiterin das Team. Sie konnte direkt in die Vorbereitung der neuen Bildungsinitiative expedition d einsteigen, die im Frühjahr 2019 gestartet ist. Die expedition d zeigt, wie die Digitalisierung die Berufswelt verändert und wie junge Menschen selbst daran mitarbeiten können. Das neue Programm folgt auf die Expedition N. Acht Jahre lang war die mobile Informations- und Bildungsinitiative mit einem Ausstellungsfahrzeug unterwegs, um über Nachhaltigkeit zu informieren und zum Dialog einzuladen. Im September endete die Initiative mit einer beeindruckenden Bilanz: Mehr als 700.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer besuchten das Nachhaltigkeitsmobil. Im Fachbereich Bildung hat die Stiftung in Kooperation mit dem BUND Landesverband Baden-Württemberg Wege zu einer nachhaltigen Mobilität wissenschaftlich erarbeiten lassen. Die Ergebnisse der Studie „Mobiles Baden-Württemberg – Wege der Transformation zu einer nachhaltigen Mobilität“ wurden auf der Fachtagung „Mobiles Baden-Württemberg“ im Juni diskutiert. Vor allem das Automobilland Baden-Württemberg muss sich mit dem Thema einer global verträglichen Mobilität auseinandersetzen. Auch hier sind gesamtgesellschaftliche Lösungen entscheidend, um Polarisierungen zu vermeiden und den gesellschaftlichen Zusammenhalt künftig zu stärken. Einen weiteren Höhepunkt bildete der Mittelstandskongress Mission M. Der zweitägige Kongress, der Ende Oktober im Stuttgarter Haus der Wirtschaft stattfand, bot sowohl jungen Menschen der Generation Y als auch kleinen und mittelständischen Unternehmen die Möglichkeit, durch Gespräche und Diskussionen voneinander zu lernen und den Mittelstand neu zu denken. Ich danke dem Team der Baden-Württemberg Stiftung sowie unseren Partnern für das große Engagement und die gute Zusammenarbeit und freue mich auf spannende Projekte in der Zukunft.

Christoph Dahl Geschäftsführer der Baden-Württemberg Stiftung


BERICHTE BERICHT DES GESCHÄFTSFÜHRERS IM VERMÖGENSBEREICH

GESELLSCHAFTLICHE FRAGEN UND DIE FINANZM Ä RKTE Soziale Fragen, wie die nach der künftigen Entwicklung von Preisen oder nach der Verteilung von Einkommen und Vermögen, können aufgrund ihrer ökonomischen Implikationen mittel- und langfristig entscheidend sein für den wirtschaftlichen Erfolg einzelner Vermögensanlagen. So haben beispielsweise stark gestiegene Mietpreise zu einer erheblichen Werterhöhung von Immobilien in den Ballungsräumen geführt. Ebenso könnte eine anhaltend hohe Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften in Deutschland zu weiter steigenden Löhnen, aber eben auch zu stärker steigenden Verbraucherpreisen und damit zu höheren Inflationserwartungen führen. Dies könnte enorme Auswirkungen auf die Kurse von Wertpapieren haben. Ethische, soziale und ökologische Kriterien gewinnen zunehmend an Bedeutung für die Ausrichtung von Kapitalanlagen. Auch wir haben im August 2018 Nachhaltigkeitskriterien bei unseren langfristig ausgerichteten Investmentfonds eingeführt, um neben der ökonomischen auch eine ökologische und ethisch-soziale Rendite zu erwirtschaften. Selten haben sich ganz unterschiedliche Diskussionen über politische und gesellschaftliche Themen so nachhaltig auf die Finanzmärkte ausgewirkt wie im Jahr 2018. Branchenübergreifend prägten sie im abgelaufenen Geschäftsjahr die Entwicklungen an den internationalen Börsen. Vor allem politisch motivierte Handelskonflikte, das vertraglich nicht gelöste Ausscheiden von Großbritannien aus der Europäischen Union, rückläufige Wachstumsprognosen und die weltweit enorm gestiegene Staatsverschuldung waren der Nährboden für eine nicht nur äußerst anspruchsvolle, sondern vor allem gegen Geschäftsjahresende auch unerwartet stark negative Entwicklung. Trotz aller Schwierigkeiten an den Finanzmärkten können wir für das abgelaufene Geschäftsjahr bei konstant hohem Projektvolumen nicht nur ein ausgeglichenes, sondern sogar ein leicht positives Jahresergebnis ausweisen. Das Geschäftsjahr 2018 endet im Bereich der Vermögensverwaltung mit einem Ergebnis von 51,1 Mio. Euro. Dies entspricht einer Eigenkapitalrendite von 2,4%. Damit liegt die Verzinsung des Ausstattungskapitals weit über den aktuellen Kapitalmarktzinsen. Wir profitieren dabei von den gezielten Investitionen in das Sach- und Finanzanlagevermögen in den zurückliegenden Jahren, aber auch von der erfolgreichen Geschäftspolitik unserer größten Unternehmensbeteiligung, der Südwestdeutsche Salzwerke AG. Die Südwestdeutsche Salzwerke AG hatte trotz ungünstiger Witterungsverhältnisse ein erfolgreiches Geschäftsjahr und konnte an das Vorjahresergebnis anknüpfen. Davon profitierten wir durch konstant hohe Dividendenerträge von mehr als 8 Mio. Euro. Im Immobilienbereich konnten wir im abgelaufenen Geschäftsjahr einen Umsatz von deutlich mehr als 30 Mio. Euro erzielen. Dazu trug auch die erstmals ganzjährige Vermietung der im Vorjahr erworbenen Immobilie bei. Insgesamt entwickelte sich der Immobilienbereich bei stabiler Ertragslage und geringem Leerstand erwartungsgemäß. In den kommenden Jahren ist tendenziell mit steigenden Instandhaltungs-

kosten zu rechnen. Dadurch wird der Ergebnisbeitrag voraussichtlich leicht rückläufig sein. Zentrum der Unternehmensfinanzierung ist das geschäftsbereichsübergreifende Cash-Management. Hier werden nicht nur kurz- und mittelfristige Geldanlagen getätigt sowie die gesamten Liquiditätsströme aller Geschäftsbereiche koordiniert, sondern auch die strategischen und taktischen Entscheidungen in Bezug auf die langfristigen Kapitalanlagen und Investitionen getroffen. Bei anhaltend niedrigen bzw. negativen Zinsen steht jedoch zunehmend die Vermeidung von Verwahrentgelten, sogenannter „Strafzinsen“ im Vordergrund. Dies ist uns im abgelaufenen Geschäftsjahr gut gelungen. Andererseits konnten aber auch keine nennenswerten Zinserträge mehr erzielt werden. Hierfür hätten wir sehr viel größere Einzelrisiken eingehen müssen. Nach einem äußerst schwachen Jahresende 2018 entwickelten sich die Finanzmärkte im ersten Quartal 2019 überraschend stark. Die Investitionen in unsere Investmentfonds im Dezember 2018 konnten voll an dieser positiven Kursentwicklung partizipieren und wurden dadurch mehr als bestätigt. Insgesamt stimmt der starke Jahresauftakt optimistisch für das neue Geschäftsjahr. Trotzdem dürfen die enormen Risiken für die weitere Entwicklung nicht unterschätzt werden. Unabhängig von den bestehenden Risiken ist die Finanzierung der bereits beschlossenen Projekte bis über das Jahr 2020 hinaus sichergestellt. Damit ist die Baden-Württemberg Stiftung sehr gut aufgestellt, um ihre Gesellschaftszwecke langfristig erfüllen zu können.

Segmente

Ergebnisbeitrag nach Kosten

Anteil am Gesamtergebnis

Investmentfonds

24,8 Mio. EUR

48,6%

Immobilien

17,4 Mio. EUR

34,0%

Beteiligungen

8,1 Mio. EUR

15,9%

Cash-Management

0,8 Mio. EUR

1,6%

51,1 Mio. EUR

100,0%

Vermögensbereich gesamt

Rundungsbedingt kann es zu rechentechnischen Differenzen bei der ersten Nachkommastelle kommen.

Stuttgart, im Mai 2019

Reiner Moser Stellvertretender Geschäftsführer

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JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

STRATEGIE

ENGAGEMENT FÜR ZUKUNFT UND HEIMAT KONZENTRATION AUF DAS WESENTLICHE Der Auftrag der Baden-Württemberg Stiftung ist es, die Zukunftsfähigkeit des Landes zu stärken und zu sichern. Das unterscheidet sie von allen anderen Stiftungen in Deutschland. Sie ist die einzige, die ausschließlich und überparteilich in die Zukunft Baden-Württembergs investiert – und damit in die Zukunft der Bürgerinnen und Bürger. Doch was macht ein Land eigentlich zukunftsfähig? Die Baden-Württemberg Stiftung konzentriert sich auf entscheidende Faktoren: wirtschaftlichen Wohlstand, ökologische Modernisierung, eine lebendige Bürgergesellschaft sowie soziale und kulturelle Teilhabe. Damit jetzige und künftige Generationen im Land all dies vorfinden, engagiert sich die Baden-Württemberg Stiftung auf drei Kerngebieten: Forschung, um Innovationen in Schlüsselbereichen von Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft voranzutreiben, Bildung, um den Fachkräftebedarf zu sichern und gleiche Bildungschancen zu ermöglichen sowie interkulturelle und internationale Kompetenzen zu vermitteln, sowie Gesellschaft und Kultur,

um die Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung zu stärken, soziale Kohäsion und Teilhabe zu schaffen und Innovationen in Kunst und Kultur zu fördern. Für alle Aktivitäten der Stiftung gilt, dass sie die Anforderungen der Nachhaltigkeit erfüllen.

DREIFACH POSITIVE WIRKUNG Das Drei-Säulen-Modell hat sich über die Jahre hinweg bewährt, besitzt es doch eine dreifach positive Wirkung: Erstens wird eine thematische Breite bedient, die von frühkindlicher Bildung bis zur Stärkung des Ehrenamts reicht. Zweitens wirkt die Baden-Württemberg Stiftung – etwa mit Programmen der Spitzenforschung – in die Tiefe. Drittens wird durch die kluge Vernetzung einzelner Projekte die Wirkungskraft noch gesteigert. Mit dieser Herangehensweise stellt sich die Baden-Württemberg Stiftung zentralen Herausforderungen und bleibt dennoch flexibel genug, um Trends aufzuspüren und auf sie zu reagieren. Als operativ agierende Einrich-

tung beschränkt sich die Baden-Württemberg Stiftung nicht darauf, bestehende Projekte finanziell zu fördern, sondern initiiert eigene Programme. Die einzelnen Schwerpunkte sind dabei vielfältig und reichen von Klimawandel, Lebenswissenschaften und Gesundheit über die frühkindliche Bildung bis hin zu bürgerschaftlichem und kulturellem Engagement. Der übergreifende Fokus liegt dabei auf praxisorientierter Forschung zur Begleitung des ökologischen, gesellschaftlichen und demografischen Wandels sowie auf gesellschaftlichen und kulturellen Aspekten, Werten, Einstellungen und Bildung.

EXPERTISE ZUR QUALITÄTSSICHERUNG Ein strenger Kriterienkatalog garantiert bei der Entwicklung neuer Konzepte stets Exzellenz: Die Programme der Baden-Württemberg Stiftung sollen unter anderem innovativ, neuartig und qualitativ hochwertig sein, beispielhafte Lösungsansätze hervorbringen, durch Alltagstauglichkeit und Übertragbarkeit überzeugen sowie einen klaren Bezug zu Baden-Württemberg haben.

DIE BADEN-WÜRTTEMBERG STIFTUNG SETZT SICH DAFÜR EIN, DASS DER SÜDWESTEN AUCH ZUKÜNFTIGEN GENERATIONEN EINE LEBENSWERTE HEIMAT MIT OPTIMALEN ZUKUNFTSCHANCEN BIETET. 080


STRATEGIE

SICHERUNG UND STÄRKUNG DER ZUKUNFTSFÄHIGKEIT DES LANDES BADENWÜRTTEMBERG

WIRTSCHAFTLICHER WOHLSTAND UND ÖKOLOGISCHE MODERNISIERUNG, LEBENDIGE BÜRGERGESELLSCHAFT, SOZIALE UND KULTURELLE TEILHABE, NACHHALTIGKEIT.

FORSCHUNG

FÖRDERKRITERIEN

BILDUNG

GESELLSCHAFT & KULTUR

Innovation und Neuartigkeit / Qualität und Profilierung / Gender-Mainstreaming Beispielhafte Lösungsansätze / Vernetztes Denken / Alltagstauglichkeit und Übertragbarkeit / Nachhaltigkeit / Baden-Württemberg-Bezug

QUALITÄTSSICHERUNG

durch externe fachliche Expertise

AUFSICHTSRAT

beraten und begleiten

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STRATEGIE

JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

TRANSPARENTES VERFAHREN 1 KONZEPTENTWICKLUNG Am Anfang jeder neuen Programmlinie und jedes Projekts steht ein von der Baden-Württemberg Stiftung entwickeltes Konzept. Die neuen und auch weiterzuführenden Programme und Projekte werden auf Vorschlag des Geschäftsführers vom Aufsichtsrat beschlossen und gemäß den Verfahrensrichtlinien mit einem finanziellen Budget ausgestattet.

2 AUSSCHREIBUNG UND ENTSCHEIDUNGSFINDUNG Im Rahmen der Programmlinien werden in der Regel landesweit Ausschreibungen veröffentlicht und einem geeigneten Teilnehmerkreis zugänglich gemacht. Fachlich kompetente und unabhängige Gutachterinnen und Gutachter aus dem In- und Ausland beraten die Baden-Württemberg Stiftung bei der Entscheidungsfindung.

3 DURCHFÜHRUNG, BEGLEITUNG UND DOKUMENTATION Alle Programme und Projekte werden von Beginn der Durchführungsphase an durch Experten wissenschaftlich begleitet. Die gewonnenen Erkenntnisse werden nicht nur von den unterstützten Partnern zur Weiterentwicklung ihrer Ziele genutzt, sondern auch der interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

DEFINIERTER PROJEKTABLAUF

082

KONZEPTE

PROJEKTE

PROJEKTE

PROJEKTE

PROJEKTE

ENTWICKELN

INITIIEREN

BEGLEITEN

EVALUIEREN

DOKUMENTIEREN


Aktivitäten


JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

PROFIL

Forschung

Innovative Forschung ist ein Schlüssel zur Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen unserer Zeit. Wir investieren in die Entwicklung zukunftsfähiger Ideen, Technologien und Produkte. Im Fokus stehen dabei gesellschaftlich, wirtschaftlich und ökologisch bedeutsame Themen. Dies sichert auch kommenden Generationen Wohlstand und Arbeitsplätze und bietet Firmen optimale Voraussetzungen im globalen Wettbewerb.

084


1

Forschung 085


JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

Forschung

1 INHALT Wachsames Auge auf sensible Daten Neue Forschungsprogramme 2018 Bauwerke aus Roboterhand Interview mit Prof. Dr. Ute Kaiser Licht am Limit Dem Lärm geht’s an den Kragen

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087 090 091 094 095 096

#empowerdich Forschung: Neue Leiterin Digitalisierung begreifbar machen Wegweiser in die Industrie-Zukunft Reiche Ernte Der Trick mit der Tafel

097 097 098 100 101 101


BEREICH

PROGRAMM

Forschung

IKT-Sicherheit

WACHSAMES AUGE AUF SENSIBLE DATEN RE AVA

IKT-Sicherheit

Mit Daten lässt sich viel bewirken – im Guten, aber auch im Schlechten. Entscheidend ist, stets die Kontrolle über die eigenen Daten zu behalten. Mehrere Forschungsprojekte der Baden-Württemberg Stiftung haben die Grundlagen dafür geschaffen. 087


JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

verantwortungsvollen Umgang mit privaten Informationen, Fotos und Nachrichten. Doch auch die Wissenschaft ist gefordert. Sie muss die nötigen Techniken entwickeln, die sicherstellen, dass persönliche Daten nicht in falsche Hände geraten und missbraucht werden können. Im Forschungsprogramm IKT-Sicherheit finanziert die Baden-Württemberg Stiftung deshalb auch Projekte zum Datenschutz.

F A PR E E PS

P

ersönliche Daten sind zu einem Schatz geworden: Für Unternehmen bilden sie die Basis, um potenzielle Kunden gezielt und zur richtigen Zeit mit passgenauer Werbung anzusprechen. Für Wissenschaftler sind sie die Voraussetzung, um beispielsweise gesellschaftliche Trends zu erforschen oder neue Medikamente zu entwickeln. Doch persönliche Daten lassen sich auch auf illegitime Art verwenden: So können intime Kenntnisse zum Ausgangspunkt für Mobbing werden; Fake News können Stimmung gegen bestimmte Gruppen von Menschen erzeugen.

Forschung

EINE KAMPAGNE AUF FACEBOOK Werden Daten nicht ausreichend gegen eine unberechtigte Nutzung geschützt, schafft das Misstrauen, Ärger und Streit. Ein Beispiel ist der Datenskandal bei Facebook im Frühjahr 2018 – als bekannt wurde, dass ein britisches Unternehmen große Mengen von Nutzerdaten des sozialen Netzwerks gesammelt und für seine Zwecke verwendet hat. „Um auf die Bedeutung des Datenschutzes hinzuweisen, haben wir daraufhin unsere reguläre Kommunikation auf Facebook eingestellt und den Kanal stattdessen genutzt, um über Datensicherheit im Netz zu informieren“, sagt Christoph Dahl, Geschäftsführer der Baden-Württemberg Stiftung. „Dazu haben wir Expertinnen und Experten mit ins Boot geholt, die exklusive Beiträge oder Kommentare für uns geschrieben, Interviews gegeben oder über Veranstaltungen berichtet haben.“ Die Kampagne lief über mehrere Monate und stieß auf viel Zuspruch. Sie wies auf die Bedeutung des Datenschutzes hin, für den jeder Einzelne etwas tun kann: durch einen

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MEHR SICHERHEIT AUF DEM SMARTPHONE Ein Beispiel ist das Projekt Avare, an dem Forscher des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) und des Forschungszentrums Informatik (FZI) in Karlsruhe beteiligt sind. Das Kürzel steht für „Anwendung zur Verteilung und Auswahl rechtskonformer Datenschutzeinstellungen“. Der Fokus des Projekts liegt auf der Sicherheit bei der Nutzung von Apps. Im Internet gibt es Millionen solcher kleinen Programme für das Smartphone oder Tablet, von denen sich ein Großteil kostenlos herunterladen lässt. Dennoch zahlt der Nutzer dafür: mit seinen Daten. Viele Apps laufen nur, wenn man ihnen Zugriffsrechte erteilt: auf das Adressbuch, auf Kamera und Bildergalerie, Mikrofon oder Standortinformationen. Das geht oft weit über das hinaus, was für die Funktion der Software notwendig ist. Für die Anbieter der Apps sind die Daten ihrer Kunden wertvolles Kapital, mit dem sie Geld verdienen. Vermeiden lässt sich das kaum, wenn man mit einer App etwas anfangen will. Doch die Preisgabe der eigenen Daten lässt sich auf ein Mindestmaß begrenzen und unter Kontrolle

halten – wie die Ergebnisse des Projekts Avare belegen. Drei Jahre lang haben die beteiligten Wissenschaftler daran gefeilt, sparsamen Daten-Umgang mit rechtlicher Sicherheit und intuitiver Bedienbarkeit zu vereinen.

KONTROLLE ÜBER DIE DATENFREIGABE Wie das geht, erklärt Sascha Alpers, Forscher am FZI, am Beispiel der beliebten Messenger-App WhatsApp: „Wir haben einen Weg gesucht, um Anwendungen wie WhatsApp uneingeschränkt nutzen zu können, aber die eigenen Daten nur kontrolliert weiterzugeben.“ Dazu kann der Nutzer eines Android-Geräts eine Software, die das Avare-Projektteam entwickelt hat, auf seinem Smartphone installieren. Er schafft damit einen isolierten Bereich, in den die gesamte Kommunikation zwischen Apps

und Betriebssystem verlagert wird. Will WhatsApp beispielsweise auf die Kontakte im Adressbuch zugreifen, erkennt die Avare-Software das und ermöglicht es dem Nutzer, nur einzelne Kontakte freizugeben und zu wählen, welche Teile übermittelt werden sollen: etwa nur die Handynummer oder nur der Name. Außerdem kann das Programm aus Karlsruhe die Genauigkeit von Ortsangaben verwischen. Wenn eine App so programmiert ist, dass sie ohne pauschal erteilte Zugriffsrechte nicht funktioniert, spielt die Software „falsche“ Daten ein: Der Schnittstelle der Kamera wird etwa eine schwarze Fläche oder ein Wolkenbild als Motiv vorgegaukelt, der des Adressbuches vielleicht die Rufnummern vom Pannendienst.

AVAR E


BEREICH

PROGRAMM

Forschung

Der digitale Datenwächter ist einfach zu handhaben. Die Forscher haben einzelne Kategorien von Apps wie „Messenger“ oder „Spiele“ bereits mit voreingestellten Zugriffsrechten ausgestattet. „Diese Einstellungen kann der Nutzer jederzeit an seine Bedürfnisse anpassen“, sagt Alpers. Hat er sein Datenschutzprofil in Avare für eine App-Kategorie angelegt, kann er es auf andere Apps derselben Kategorie oder auf andere mobile Geräte übertragen. „Die Synchronisation erfolgt über einen Server des KIT. Die komplette Kommunikation wird dabei auf dem einen Endgerät verschlüsselt und erst wieder auf dem anderen Endgerät entschlüsselt“, erklärt Alpers. „Der Austausch des digitalen Schlüssels zwischen zwei Endgeräten erfolgt direkt von Gerät zu Gerät per QR-Code.“

A

VOREINSTELLUNGEN FÜR CHATS UND SPIELE

IKT-Sicherheit

RE VA

So bleiben die persönlichen Daten auch für den Betreiber des Avare-Servers verborgen.

RECHTSKONFORM UND LEICHT ZU HANDHABEN Die Wissenschaftler aus Karlsruhe haben Avare so realisiert, dass es in Einklang mit europäischem Recht steht. Außerdem haben sie das Bedienungskonzept und die grafische Oberfläche so gestaltet, dass auch Nutzer, die kein technisches Hintergrundwissen haben, damit zurechtkommen. Im Herbst 2018 wurde das Projekt erfolgreich abgeschlossen und der Avare-Code als Open-Source-Software veröffentlicht. Die Wissenschaftler hoffen darauf, dass andere Entwickler den Programmcode aufgreifen und weiterentwickeln. „Der Betrieb des Servers am KIT ist auf mehrere Jahre gesichert“, sagt Gunther Schiefer, Informatiker am KIT. Um die Funktionsweise der Software anschaulich zu erklären, ist in einer kreativen Zusammenarbeit zwischen den Forschern und der Stuttgarter Filmagentur Studio Seufz ein Trickfilm entstanden, den man im Web ansehen kann. Mehr unter

WWW.AVARE.APP AUTOS SPRECHEN MITEINANDER Am Beispiel autonomer Fahrzeuge wird deutlich, wie wichtig der gut abgesicherte Umgang mit Daten ist. Damit Passagiere ohne Zutun eines menschlichen Fahrers befördert werden können, müssen alle Pkw – ob mit oder ohne Menschen hinter dem Steuer – digital miteinander vernetzt sein. Sie tauschen kontinuierlich eine Vielzahl von Daten aus: etwa Infos

darüber, in welche Richtung ein Wagen an der nächsten Kreuzung abbiegt, Warnungen vor Unfallstellen oder einem Geisterfahrer. Auch Ampeln könnten künftig direkt mit Fahrzeugen kommunizieren. Missverständnisse oder falsche Informationen darf es da nicht geben, sonst drohen Unfälle. Die Fahrzeuge müssen sich also gegenseitig zweifelsfrei identifizieren können. Konzepte dafür haben bereits vor einigen Jahren Wissenschaftler um Professor Frank Kargl von der Universität Ulm entwickelt. „Wir haben definiert, dass vernetzte Fahrzeuge die Nachrichten digital signieren müssen. Ansonsten könnte jemand mit einem Laptop am Straßenrand sich als Fahrzeug ausgeben und mit Falschinformationen Chaos auslösen“, sagt Kargl. Gleichzeitig müssen die Fahrzeuge ihre Identität laufend wechseln, damit sie sich nicht nachverfolgen lassen und die Privatsphäre geschützt bleibt. Doch auch eine Signatur und ein Zertifikat, das die Identität eines Wagens verschleiert, können nicht vollständig die Gefahr falscher Informationen verhindern. Eine Virenattacke, ein Hacker, der die Bordelektronik „entert“ oder eine fehlerhafte Sensorik des Fahrzeugs können Gründe dafür sein, dass ein Fahrzeug anderen vernetzten Verkehrsteilnehmern eine falsche Position, Geschwindigkeit oder Fahrtrichtung meldet. Im Forschungsprojekt AutoDetect (Improving Automotive Security with Automated Misbehavior Detection) haben Kargl und sein Doktorand Rens van der Heijden

drei Jahre lang an einem Konzept dafür gearbeitet, dass vernetzte Autos künftig fehlerhafte Daten erkennen können. Das Projekt der Baden-Württemberg Stiftung ging im Herbst 2018 erfolgreich zu Ende.

SOFTWARE ENTSCHEIDET NACH VERTRAUEN Der neue Ansatz der Ulmer Forscher basiert erstens auf Plausibilitätsprüfungen in der Software des Wagens. Meldet etwa ein Auto ein Tempo von 500 Kilometern pro Stunde, wird diese offenkundig falsche Information gefiltert. Zweitens schenkt die Software solchen Fahrzeugen, die bereits über längere Zeit korrekte Daten liefern, mehr Glauben als anderen, noch unbekannten Wagen. In einem sogenannten Framework, das Kargl und van der Heijden entwickelt haben, sind alle Erkennungsmechanismen flexibel eingebunden. Die Ergebnisse werden dort zusammengeführt, gewichtet und von einem Algorithmus beurteilt. Der stützt sich auf den ermittelten Wahrheitsgehalt der Informationen und auf das Maß an Vertrauenswürdigkeit des Absenders. Am Ende fällt das System eine Entscheidung darüber, welche Daten beim Fahren genutzt werden und welche nicht. Damit leistet die Technik einen wertvollen Beitrag zur Verkehrssicherheit. Auch dem Miteinander der Menschen dient der automobile Datenwächter.

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KOMPAKT

JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

KOMPAKTMELDUNG

NEUE FORSCHUNGS PROGRAMME 2018 Neue Programme

NEU EPIGENETIK Der bereits in den 1950er-Jahren geprägte Begriff Epigenetik kombiniert den Begriff Genetik mit dem der der Embryonalentwicklung (Epigenese) und definiert vererbbare Veränderungen in der Genexpression, die nicht in der DNA-Sequenz selbst codiert sind. Als Teil der modernen Genomforschung widmet sich die interdisziplinär ausgerichtete Epigenetik dem tieferen Verständnis der hochkomplexen Organisations- und Regulationsmechanismen bei Pflanzen, Tieren und dem Menschen. Hierzu trägt das Programm bei und ermöglicht eine stärkere Vernetzung von Forschungsgruppen aus Baden-Württemberg.

NEU BIOFUNKTIONELLE MATERIALIEN UND OBERFLÄCHEN

NEU

Das Forschungsprogramm Biofunktionelle Materialien und Oberflächen setzt an der Schnittstelle von Biologie und Technikwissenschaften an und unterstützt bioinspirierte Ansätze in der Materialforschung. Im Fokus des Programms stehen unter anderem anwendungsorientierte Forschungsansätze zur Realisierung von Upscaling-Prozessen sowie Forschungsarbeiten an programmierbaren, selbstreparierenden und selbstadaptiven Materialien.

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NEU MIKROSYSTEMTECHNIK FÜR IN-VITRO-TESTSYSTEME Bedingt durch die kontinuierlich steigende Lebenserwartung wirken sich frühzeitig

auftretende Krankheiten länger als bisher auf die Gesundheit und Lebensqualität der Betroffenen aus. Vor allem in der In-vitro-Diagnostik konnten in den vergangenen Jahren effektive, sogenannte Lab-on-a-Chip-Systeme etabliert werden, um Erkrankungen rechtzeitig zu erkennen. Mit dem Forschungsprogramm Mikrosystemtechnik für In-vitro-Testsysteme trägt die Baden-Württemberg Stiftung dazu bei, die Forschung in diesem Bereich in Baden-Württemberg voranzutreiben.

NEU OPTISCHE 3D-SENSORSYSTEME FÜR MOBILE ANWENDUNGEN Bei mobilen Systemen steigt der Vernetzungsgrad, um etwa autonom fahrende Autos und autark arbeitende Service-Roboter zu realisieren. Dazu sind leistungsfähige Sensoren zur Bilderfassung, Orientierung, Navigation sowie zur Überwachung und Interaktion notwendig. Mit dem Forschungsprogramm Optische 3D-Sensorsysteme für mobile Anwendungen baut die Baden-Württemberg Stiftung die hervorragende Position des Landes im Bereich Photonik und „Mobilität von morgen“ weiter aus.

NEU WIRKSTOFFFORSCHUNG Der Bedarf an neuen Medikamenten gegen Volkskrankheiten wie Demenz, Diabetes, Krebs, chronische Entzündungen sowie Infektionen steigt kontinuierlich. In Bereichen mit hohem medizinischen Bedarf aber geringen Marktanreizen besteht ein besonderer Auftrag an die Forschung und die Forschungsfinanzierung, den das Programm Wirkstoffforschung adressiert. Darüber hinaus unterstützt das Programm die interdisziplinäre Zusammenarbeit zur Wirkstoffforschung in Baden-Württemberg.


BEREICH

Forschung

PROGRAMM

Additive Fertigung

BAUWERKE AUS ROBOTERHAND Additive Fertigung

Forscher der Universit채t Stuttgart haben ein neues Konzept f체rs Bauen entwickelt. Das Verfahren verbindet die additive Fertigung

mit einer durchgehend digitalen Planung. Es macht innovative Werkstoffe salonf채hig und hilft, Abf채lle am Bau zu vermeiden.

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JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

E

s rattert in der Fabrikhalle, die sich hinter einem Bürokomplex im Stuttgarter Stadtteil Wangen verbirgt. In diese Ecke des alten Industriegeländes verirrt sich kaum ein Besucher. Dabei würde sich ein Blick in die Halle lohnen. Denn dort wird die Zukunft des Bauens geschaffen. Und die lässt sich hören.

„ZU BEGINN DIENTE UNS DAS EXOSKELETT VON KRUSTENTIEREN WIE DEM HUMMER ALS VORBILD.“ Prof. Dr. Achim Menges

Das Rattern kommt von einer imposanten Maschine, die Forscher der Universität Stuttgart aufgebaut haben. Ihr auffälligstes Merkmal ist ein mächtiger Roboterarm, der aus fast endlos langen Fasern aus Glas oder Carbon filigrane Objekte formt – Komponenten, wie sie künftig beim Bau großer Gebäude wie Bahnhofshallen oder Fußballstadien zum Einsatz kommen könnten. Das Besondere daran: Die robusten und dennoch leichtgewichtigen Bauteile entstehen förmlich aus dem Nichts – per „additiver Fertigung“. So nennen die Experten die Herstellung von Produkten durch Hinzufügen von Material. Bei dem Verfahren, das oft auch als 3D-Druck bezeichnet wird, bleibt kein Abfall zurück. Alles, was die Maschine an Rohstoff benutzt, steckt später im fertigen Bauteil.

GESCHICKT GEWICKELT „Der Roboter zieht die Fasern durch ein Bad mit einem speziellen Harz“, erklärt Achim Menges. Die zähe Flüssigkeit tränkt die mikrometerfeinen Fibrillen, verbindet sie miteinander und verleiht ihnen nach dem Aushärten die fünffache spezifische Steifigkeit von Stahl. Kern des Objekts ist ein Grundgerüst von Glasfasern, um das herum der Arm die Carbonfasern wickelt. Gelenkt wird er von einem detaillierten digitalen Bauplan. Professor Menges leitet das Institut für Computerbasiertes Entwerfen (ICD) der Universität Stuttgart. Der Architekt koordiniert das 2017 gestartete Forschungsprojekt Additive Fertigungsmethoden für Faserverbund-Großbauteile im Bauwesen (AddFiberFab), das die Baden-Württemberg Stiftung drei Jahre lang finanziert. Ziel des Projekts aus dem Programm Additive Fertigung ist es, Leichtbau-Verbundwerkstoffe wie Carbonfasern für das Bauen nutzbar zu machen. Bislang fristen diese „Wundermaterialien“ trotz ihrer bestechenden Eigenschaften ein Nischendasein. Denn sie sind teuer.

Forschung

PUNKT FÜR PUNKT DURCH DEN RAUM Das neue Verfahren, das die Forscher am ICD gemeinsam mit Wissenschaftlern der Stuttgarter Universitätsinstitute für Tragkonstruktion und konstruktives Entwerfen (ITKE) sowie für Textiltechnik, Faserbasierte Werkstoffe und Textilmaschinenbau (ITFT) entwickelt haben, könnte die vielseitigen Fasern aus der Nische herausholen. Der Kniff, mit dem sie das schaffen wollen, ist die Verknüpfung der additiven Fertigung mit einer digitalen Planung. Damit

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lässt sich die Herstellung beliebig gestalteter Produkte zunächst am Rechner simulieren. Als Resultat entsteht eine Abfolge von Punkten im Raum: Wegweiser für den Roboter, der die virtuellen Markierungen nacheinander ansteuert, um die Fasern in die richtige Form zu bringen – bei einem minimalen Verbrauch an Material. „Mit herkömmlichen, analogen Planungsverfahren wäre das nicht möglich, vor allem bei komplexen Formen“, sagt Achim Menges. Das ressourcenschonende und flexible Fertigungsverfahren stellt herkömmliche Baukonzepte auf den Kopf. Für den Stuttgarter Architekten und Wissenschaftler ist sie ein wichtiger Schritt für die Branche. „Denn dieser fehlten bislang Visionen, wie sie sinnvoll mit der Digitalisierung umgehen kann“, meint Menges. Frühere Ansätze für digitale Techniken beim Bauen hätten stets darauf beruht, bekannte Prozesse einfach zu automatisieren – etwa in Gestalt von Maurerrobotern, die Ziegelsteine selbstständig aufeinandersetzen können. Doch erst mit dem neuen Konzept auf Basis der additiven Fertigung ist es möglich, Bauwerke von Anfang an ganzheitlich neu zu denken.

DER AMERIKANISCHE HUMMER STAND PATE Abgeschaut haben die Forscher im Projekt AddFiberFab ihr Vorgehen bei der Natur. „Zu Beginn unserer Forschung diente uns unter anderem das Exoskelett von Krustentieren wie dem amerikanischen Hummer als Vorbild“, berichtet Menges. Verschiedene Körperteile des Krustentiers haben völlig unterschiedliche Merkmale – und das, obwohl sie alle aus demselben Material bestehen: einem natürlichen Verbundwerkstoff mit Fasern aus Chitin. „Die Natur versucht, so viel wie möglich durch eine geschickte Gestaltung aus Fasermaterialien zu erreichen“, erklärt der Forscher. Mit ihren digitalen Ansätzen haben er und seine Projektpartner diese Idee technisch umgesetzt. Das macht den Einsatz von Carbonfasern wirtschaftlich rentabel, weil nur wenig von dem kostbaren Material benötigt wird. Zugleich erschließt die neue Art der additiven Fertigung Architekten eine immense Vielfalt an Möglichkeiten bei Größe und Gestalt ihrer Objekte. Nicht zuletzt kann das Verfahren „dazu beitragen, ein riesiges Problem zu lösen“, betont Achim Menges. Denn die Bauwirtschaft ist mit einem Anteil von rund 50 Prozent weltweit der größte Produzent von Abfällen. Das neue Verfahren könnte die Müllberge am Bau drastisch schrumpfen lassen.


V. l. : Serban Bodea, Christoph Zechmeister und Niccolò Dambrosio forschen im Team von Achim Menges am Institut für Computerbasiertes Entwerfen der Universität Stuttgart.

BEREICH

Forschung

PROGRAMM

Additive Fertigung

Ein Roboter fertigt filigrane Bauteile – computergesteuert und frei im Raum.

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PROGRAMM

JAHRESBERICHT

CleanTech

2018

Baden-Württemberg Stiftung

INTERVIEW MIT PROF. DR. UTE KAISER

„MIT DEM SUPERMIKROSKOP ZUR SUPER-BATTERIE“ CleanTech

Prof. Dr. Ute Kaiser ist Kristallografin und seit 2004 Professorin an der Universität Ulm. Sie ist Expertin für Elektronenmikroskopie und forscht an der detaillierten Abbildung zweidimensionaler Materialien – einer vielversprechenden Art von Werkstoffen für künftige Solarzellen oder Batterien. Sie koordiniert das Forschungsprojekt Study-2D, das die Baden-Württemberg Stiftung im Programm CleanTech finanziert.

Forschung

FRAU PROF. KAISER, 2018 HABEN SIE IM FACHMAGAZIN „NATURE“ ÜBER FORSCHUNG AN LITHIUM-ATOMEN IN GRAPHEN BERICHTET. WORUM GING ES DA? UK — Wir haben weltweit zum ersten

Prof. Dr. Ute Kaiser

Forscher aus Stuttgart und Ulm haben erstmals live beobachtet, wie Lithium-Atome zwischen zweidimensionalen Kohlenstoff-Schichten eingelagert werden – eine gute Basis, um bessere Batterien zu entwickeln, etwa für Elektroautos oder zum Speichern von Sonnen- und Windstrom.

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Mal mit atomarer Auflösung beobachtet – und letztlich verstanden –, wie sich Lithium zwischen zwei Schichten aus Graphen bewegt und einlagert. Das nur ein Atom dünne Graphen gilt seit einigen Jahren als „Wundermaterial“. Dabei hat mein Team an der Universität Ulm eng mit Kollegen am Stuttgarter Max-Planck-Institut für Festkörperforschung und am Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf zusammengearbeitet. Wir verwendeten zur Abbildung unser selbst entwickeltes „Super-Mikroskop“ SALVE, das derzeit das einzige seiner Art ist. Mit ihm können wir besonders materialschonend arbeiten und erreichen dennoch eine so hohe Auflösung und kontrastreiche Abbildung, dass wir erstmals einzelne Lithium-Atome „sehen“.

WAS IST DAS BESONDERE AN IHREN FORSCHUNGSRESULTATEN? UK — Lithium spielt bei der elektroche-

mischen Speicherung von Energie in Batterien eine zentrale Rolle. Alle Akkus, die heute etwa Smartphones, Laptops und Elektroautos mit Strom versorgen, basieren darauf: Die Energiespeicherung erfolgt durch Lithium-Ionen, die in bestimmten Materialien eingelagert werden. Überall auf der Welt wird daran geforscht, diese Technik zu verbessern, sodass die Akkus bei gleicher Größe und gleichem Gewicht mehr Energie bereithalten können. Verbindungen aus reinem Kohlenstoff – wie Graphen – eignen sich gut als Speichermaterial. Um sie nutzen zu können, ist es nötig, die grundlegenden physikalischen Vorgänge zu verstehen. Wir haben nachgewiesen, dass sich zwischen zwei Graphen-Schichten eine extrem dünne und dichtest möglich gepackte Lithium-Phase bildet.

WAS BEDEUTET DIESE ERKENNTNIS? UK — Die Resultate zeigen, dass sich

in zweidimensionalen Systemen besonders viele Ionen speichern lassen. Das könnte die Entwicklung neuer „Super-Batterien“ mit sehr hoher Speicherkapazität inspirieren. Heute ist das noch reine Grundlagenwissenschaft, aber natürlich hoffen wir, dass sich unsere Erkenntnisse in Zukunft verwerten lassen.


BEREICH

Forschung

LICHT AM LIMIT

dafür eine Art optischen Prüfkopf einsetzen. Damit wäre die Vermessung ein direkter Bestandteil des Fertigungsprozesses. Die Idee haben die Forscher am IPM im Projekt HoloCut der Baden-Württemberg Stiftung weiterentwickelt – zusammen mit Wissenschaftlern der Hochschule Aalen.

VERRÄTERISCHES INTERFERENZBILD

Photonik

Eine hundertprozentige Qualitätskontrolle innerhalb eines Fertigungsprozesses ist nicht einfach zu garantieren. Doch Forschern der Fraunhofer-Gesellschaft ist das gelungen. Mit modernen Fräsen lassen sich Bauteile aus Metall mit Toleranzen von wenigen Mikrometern fertigen – selbst wenn ihre Oberfläche eine komplizierte Geometrie hat. Trivial ist das nicht. Die Hersteller der Werkzeugmaschinen geben zwar Tipps, doch der Teufel steckt im Detail: Welcher Fräskopf eignet sich am besten? Wie schnell sollte er rotieren und sich dabei vorwärts bewegen? Und sollte er die zu bearbeitende Fläche von außen nach innen abfahren oder streifenförmig von rechts nach links? Solche Entscheidungen beeinflussen das Ergebnis. Um es zu beurteilen, bedarf es einer präzisen Qualitätskontrolle – etwa durch eine taktile Vermessung. Dabei tastet eine harte Kugel die Oberfläche ab, aber nur punktuell oder linienförmig. Daneben gibt es optische Verfahren, mit denen sich die gesamte Oberfläche erfassen lässt. Das Manko: Bisher geht das nicht direkt am eingespannten Werkstück. Denn die Messsysteme sind zu groß, um sie in eine Werkzeugmaschine zu packen. Und die Bedingungen in der Fertigung sind dafür zu rau. Zudem kann die Messzeit für eine große Fläche viele Minuten betragen – zu lang für eine Kontrolle während der Bearbeitung. „Deshalb muss das Bauteil bislang aus der Fräse genommen, vermessen und für die Weiterbearbeitung wieder eingespannt werden“, erklärt Tobias Seyler. Das kostet Zeit. Tobias Seyler forscht am Fraunhofer-Institut für Physikalische Messtechnik IPM in Freiburg. Der Ingenieur und seine Kollegen haben eine Technik entwickelt, um das Problem zu lösen. Das Prinzip: den Fräskopf entnehmen und

In dem dreijährigen Forschungsprojekt, das 2018 zu Ende ging, vereinten die Forscher aus Südbaden und Ostwürttemberg digitale Technik mit der Photonik – der Nutzung optischer Verfahren. Dabei setzten sie auf die digitale Mehrwellenlängen-Holografie. „Das zu prüfende Bauteil bestrahlen wir mit Laserlicht“, erklärt Seyler, der das Projekt leitete. „Den zurückgestreuten Anteil überlagern wir mit unbeeinflusstem Laserlicht.“ So entsteht ein Interferenzbild, das eine Kamera aufnimmt. Darin steckt die Information über die Oberflächenform des Bauteils. Sie lässt sich dann berechnen und dreidimensional visualisieren. Der Kniff der Forscher besteht darin, die Messung mit mehreren leicht unterschiedlichen Lichtwellenlängen zu wiederholen. Das erhöht die Messgenauigkeit und vergrößert den Messbereich. Ein entscheidender Punkt ist die heute verfügbare hohe Rechenleistung. Moderne schnelle Computer verkürzen die Messzeit drastisch.

PROGRAMM

Photonik

GROSSES INTERESSE DER INDUSTRIE Dass die Mehrwellenlängen-Holografie in der Praxis funktioniert, hat das Team aus Freiburg bereits demonstriert. Im Rahmen von HoloCut haben die Projektpartner die Technik nun miniaturisiert, sodass sie sich in eine Fräse integrieren lässt. Pro Messung nimmt das System bei zwei Wellenlängen insgesamt neun Bilder der Interferenzmuster auf. Jedes Bild hat neun Millionen Pixel. Zum Berechnen der resultierenden Oberfläche verarbeitet der Algorithmus rund 100 Millionen Bildpunkte. Die Messzeit ist kürzer als eine halbe Sekunde – bei einem Messfeld von vier Quadratzentimetern. Das ist 10 bis 100 Mal so groß wie bei bisherigen optischen Systemen in separaten Messräumen. Die flächige Auflösung liegt unter sieben Mikrometern, die erfassbaren Höhenunterschiede gar unter einem Mikrometer. Das Laserlicht ist so schwach, dass es sicher für die Augen ist – ein wichtiger Aspekt für den Betrieb in der Industrieproduktion. In der Industrie stößt die neue Technik auf großes Interesse. Doch ihre Möglichkeiten sind noch lange nicht ausgereizt. So arbeiten die Forscher bereits daran, sie auch für die Qualitätskontrolle von Zahnrädern nutzbar zu machen.

Fraunhofer-Forscher Tobias Seyler hat mit optischer und digitaler Technik die Qualitätssicherung neu definiert.

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PROGRAMM

JAHRESBERICHT

High Performance Computing II

DEM LÄ RM GEHT’S AN DEN KRAGEN High Performance Computing II

Forscher der Universität Stuttgart entwickeln eine Methode, um auch auf der Basis unsicherer Daten verlässliche Prognosen erstellen zu können. Dazu nutzen sie einen extrem leistungsfähigen Rechner. Von den Ergebnissen des Projekts könnten etwa Ingenieure profitieren, die technischen Lärm verringern wollen.

phase zuverlässig vorhersagen lässt. Das Werkzeug, das die Wissenschaftlerin dafür nutzt, sind aufwendige Computersimulationen.

KLEINE URSACHE, GROSSE WIRKUNG Die Herausforderung: Beim Entstehen der Geräusche spielen „nicht-lineare Effekte“ eine entscheidende Rolle. Was sie so schwer zu fassen macht, lässt sich vereinfacht so auf den Punkt bringen: Kleine Ursachen können große Wirkungen haben. Für das Fahrzeugdesign bedeutet das: Variiert nur ein feines Detail am Wagen geringfügig – zum Beispiel durch ein leicht verändertes Spaltmaß – führt das vielleicht zu einem deutlich lauteren oder leiseren Geräusch. Die Folge: „Simulationen, wie sie inzwischen bei der Fahrzeugentwicklung etabliert sind, liefern kein vollständiges Bild dieser Pfeifgeräusche“, erklärt Beck. Denn das Phänomen hat noch mehr Facetten, die es mit herkömmlichen Ansätzen schwer fassbar machen. So spielt auch die Geschwindigkeit eine Rolle: Ab einem bestimmten Tempo tritt das bei langsamer Fahrt hörbare Pfeifen womöglich gar nicht mehr auf. Auch auf die Lufttemperatur kommt es an: Ist es draußen kälter, kann das Störgeräusch schriller klingen als bei warmem Wetter.

UNSICHERHEITEN AKZEPTIEREN Die Beispiele machen deutlich, was das Manko ist, mit dem die Akustikdesigner in den Entwicklungslabors der Fahrzeughersteller ringen müssen: „Die möglichen Werte der Eingangsgrößen wie Geschwindigkeit oder Fertigungsmaße können schwanken“, sagt Andrea Beck. Deshalb beschreitet die Forscherin mit Prof. Dr. Claus-Dieter Munz und dem Team am IAG einen anderen Weg als er bislang in der Autoindustrie üblich ist: „Wir akzeptieren

Forschung

Gegenüber den dröhnenden und scheppernden Gefährten früherer Jahrzehnte sind moderne Autos deutlich leiser. Doch störende Geräusche am Wagen zu reduzieren, ist für die Ingenieure eine kniffelige Aufgabe. Zu schaffen machen ihnen vor allem Pfeiftöne, die der Fahrtwind an der Karosserie erzeugt. Um solche Strömungsgeräusche auszuschließen, ist eine geschickte Gestaltung des Fahrzeugs bis ins Detail erforderlich. „Obwohl die Hersteller darauf schon bei der Entwicklung ihr Augenmerk legen, kann es später beim Prototyp in gewissen Situationen unangenehm pfeifen“, sagt Dr. Andrea Beck. Die promovierte Luft- und Raumfahrtingenieurin am Institut für Aerodynamik und Gasdynamik (IAG) der Universität Stuttgart erforscht Methoden, mit denen sich der unerwünschte schrille Lärm bereits in der Konstruktions-

Thomas Kuhn, Jakob Dürrwächter und Claus-Dieter Munz (v.l.) bewerten die Ergebnisse einer Simulation, die turbulente Schallwellen zeigt.

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Baden-Württemberg Stiftung

die Situation, akzeptieren sozusagen die Unsicherheit – und suchen nach rechnerischen Methoden, um daraus trotzdem verlässliche Vorhersagen treffen zu können“, erklärt sie. In einem von der Baden-Württemberg Stiftung finanzierten Forschungsprojekt aus dem Programm High Performance Computing II gehen die Stuttgarter Wissenschaftler diesen Vorhersagen auf den Grund. Partner des IAG bei dem Projekt SEAL („Simulation der Entstehung und Ausbreitung von Lärm in Strömungen“), das 2016 gestartet ist und über drei Jahre läuft, ist das Institut für Angewandte Analysis und Numerische Simulation (IANS) der Universität Stuttgart um Prof. Christian Rohde.

UNMENGE AN DATEN FÜR DIE SIMULATION Die unsicheren Eingangsgrößen sorgen dafür, dass bei der Simulation der Lärmentstehung immense Datenmengen zu bewältigen sind. Denn um ein realistisches Bild der Vorgänge zu erhalten, müssen die Forscher zahlreiche mögliche Werte von Geschwindigkeit, Temperatur und Fertigungstoleranzen berücksichtigen – und die fließen allesamt zeitlich und räumlich fein aufgelöst in die Computersimulation ein. Zwei Zahlen machen die enorme Datenmenge deutlich: Jede Eingangsgröße kann in mehreren Millionen Varianten vorliegen. Und für jede Eingangsgröße müssen rund zehn Millionen Zeitschritte berechnet werden. Das geht nur mit einem echten Rechenriesen – einem modernen Supercomputer, wie er im Höchstleistungsrechenzentrum der Universität Stuttgart steht. Der nutzt mehrere Millionen Prozessorkerne, um die Datenflut zu bewältigen – und braucht dennoch etliche Stunden Rechenzeit für jede einzelne Simulation. Ein gewöhnlicher PC wäre mit dieser aufwendigen Aufgabe hoffnungslos überfordert. Bis zum Ende des Projekts im Herbst 2019 wollen die Wissenschaftler in der Lage sein, mit der neuen Methode der Lärmsimulation die zwei für die Ingenieure entscheidenden Fragen zu beantworten: Wann tritt das Pfeifen auf? Und wie lässt es sich verhindern? Doch Andrea Beck ist überzeugt, dass die Forschung im Rahmen von SEAL noch mehr Früchte tragen wird. „Der Ansatz lässt sich auf andere ingenieurwissenschaftliche Probleme übertragen“, sagt sie. Er ließe sich etwa auch verwenden, um Schwingungen von Bauteilen an Brücken zu analysieren und zu berechnen, wie sie die Stabilität des Bauwerks beeinflussen.


BEREICH

Forschung

KOMPAKT

KOMPAKTMELDUNG

#EMPOWERDICH Empowerment-Tag

Bereits zum zweiten Mal richtete die BadenWürttemberg Stiftung den Empowerment-Tag für Wissenschaftlerinnen aus. Unter dem Motto „Visionen finden, Ziele definieren“ kamen im Februar rund 60 Frauen in der Baden-Württemberg Stiftung zusammen. Am Vormittag vermittelte Coaching-Expertin Andrea Och in einem interaktiven Vortrag Strategien, um eigene berufliche Ziele zu finden. Den Nachmittag gestalteten Prof. Dr. Angelika Hirsch und Margit Wirth-Vogt von der Landeskonferenz der Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen für angewandte Wissenschaften und der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (LaKof BW). Sie stellten die Initiativen von LaKof BW und das Berufs-

bild der Professorin vor. Anschließend hatten die Frauen die Möglichkeit, an einem der drei Workshops teilzunehmen. „Karriereplanung aus Unternehmenssicht“ (Dr. Anna Schumacher, Referentin für MINT-Förderung & HR Communication, Carl Zeiss AG), „Pitch yourself – wie Sie sich selbst in 60 Sekunden wertvoll und relevant positionieren.“ (Andrea Och, Inhaberin OCH Consulting) oder „Durch klare Worte voran: Wissenschaft gut vermitteln - kompetent überzeugen“ (Prof. Dr. Christina Wege, Universität Stuttgart) standen zur Auswahl. Der Empfang am Abend gab den Teilnehmerinnen Gelegenheit, sich auszutauschen und zu netzwerken.

KOMPAKTMELDUNG

FORSCHUNG: NEUE LEITERIN Personalie

Dr. Angela Kalous verstärkt seit dem 1. September 2018 das Team der Baden-Württemberg Stiftung. Die promovierte Juristin war seit 2012 Kanzlerin der Universität Heidelberg. Zuvor leitete sie nach verschiedenen Stationen an der Universität Karlsruhe, im Wissenschafts- und im Staatsministerium Baden-Württemberg zuletzt das Referat Landesmarketing im Staatsministerium. Als Abteilungsleiterin des Bereichs Forschung verantwortet sie bei der Baden-Württemberg Stiftung unter anderem Programme aus den Bereichen Lebenswissenschaften, neue Technologien und Spitzenforschung. Außerdem treibt Dr. Angela Kalous die zahlreichen Initiativen innerhalb der MINT-Förderung weiter voran, beispielsweise das Berufsbildungsprogramm COACHING4FUTURE. Im Zentrum steht dabei die neue mobile Plattform expedition d zur digitalen Berufsbildung. Dr. Angela Kalous folgt auf Rudi Beer, der sich Anfang 2018 in den Ruhestand verabschiedet hat.

„DIE STIFTUNG IST EIN KLEINES UND SEHR KOMPETENTES TEAM, DAS VIEL HINBEKOMMT. SIE IST WENDIG UND INNOVATIV. IM SPASS SAGE ICH: ICH HABE MIR DIE ROSINEN AUS MEINEN FRÜHEREN TÄTIGKEITEN HERAUSGEPICKT. “ Dr. Angela Kalous

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JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

Forschung

An der VR-Station können die Jugendlichen in virtuelle Welten abtauchen und dort z. B. ein Fahrrad zusammenbauen oder die Planeten unseres Sonnensystems ordnen.

In der expedition d erfahren Schülerinnen und Schüler, wie die Digitalisierung die Berufswelt verändert und wie sie selbst daran mitarbeiten können.

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BEREICH

PROGRAMM

expedition d An einer riesigen Multi-Touch-Wall können die Jugendlichen selbstständig Informationen abrufen und verschiedene Aufgaben lösen.

Forschung

DIGITALI SIERUNG BEGREIFBAR MACHEN expedition d

Die Station „Computer Vision“ beschäftigt sich mit maschinellem Sehen. Im Truck können die Jugendlichen mit Hilfe einer Smart Camera einen Code knacken.

Mit der expedition d bringt die Baden-Württemberg Stiftung eine einmalige Bildungsinitiative an die Schulen, die Lehrkräften und Jugendlichen zeigt, wie die Digitalisierung die Berufswelt beeinflusst und welche Kenntnisse dafür wichtig sind. Nach acht Jahren im Einsatz endete 2018 die mobile Informations- und Bildungsinitiative Expedition N – Nachhaltigkeit für Baden-Württemberg. Damit war der große Ausstellungstruck bereit für die nächste große Bildungsaufgabe: die Digitalisierung der Berufswelt. Roboter im Operationssaal, Kryptowährungen in der Blockchain und selbstfahrende Autos auf den Straßen – die Digitalisierung ändert unsere Berufs- und Lebenswelten rasant. Welche Chancen die digitale Transformation bietet und welche Herausforderungen sie mit sich bringt, zeigt die neue Bildungsinitiative der Baden-Württemberg Stiftung und ihrer Kooperationspartner Südwestmetall und

der Bundesagentur für Arbeit, Regionaldirektion Baden-Württemberg: expedition d – Digitale Technologien | Anwendungen | Berufe. Der Aufsichtsrat der Baden-Württemberg Stiftung beschloss die Finanzierung dieses neuen Programmbausteins von COACHING4FUTURE im Februar 2018. Nach einer aufwendigen Umbauphase besucht der zweistöckige Truck der expedition d seit Mai 2019 weiterführende Schulen in Baden-Württemberg und bietet rund 11.000 Schülerinnen und Schülern pro Jahr Orientierung für die digitale Arbeitswelt. Auf der Plattform expedition.digital lässt sich das Expeditionsmobil auch online erleben. Mithilfe von 360°-Kameratechnologie und Virtual Reality werden dort außerdem verschiedene Berufe und digitale Technologien sehr realitätsnah dargestellt. Mehr unter

WWW.EXPEDITION.DIGITAL

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PROGRAMM

JAHRESBERICHT

Industrie 4.0

Industrie 4.0

Forschung

Das Schlagwort „Industrie 4.0“ steht für die Digitalisierung und Vernetzung der Produktion. Was griffig klingt, ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Forschungsprojekte der Baden-Württemberg Stiftung legen die Basis dafür, dass auch kleine und mittlere Unternehmen sie bewältigen können. Ein Beispiel ist ein Projekt aus Karlsruhe. Baden-Württemberg ist geprägt von der Industrie. Ihr Anteil an der ökonomischen Wertschöpfung liegt mit 33 Prozent deutlich höher als in allen anderen Bundesländern. Ein weiteres Merkmal des Landes – und eine tragende Säule seiner Wirtschaftskraft – ist eine große Zahl an Weltmarktführern: Unternehmen, die auf ihrem Feld dominieren. Bezogen auf die Einwohnerzahl gibt es davon im Südwesten doppelt so viele wie im deutschen Durchschnitt. Die meisten dieser Technologie führer sind mittelständische Betriebe. Damit die heute führenden Unternehmen auch künftig global an der Spitze bleiben, müssen sie in den digitalen Wandel investieren. Die Ziele sind eine schnellere und flexiblere Fertigung, ein höherer Grad an Automatisierung und neue Erlösquellen. Der Schlüssel dazu liegt in einer intelligenten Digitalisierung und der Vernetzung möglichst aller Produktionsprozesse. Die Vision einer Fabrik der Zukunft, die „Industrie 4.0“, sieht so aus: Maschinen kommunizieren mit anderen Maschinen und mit Sensoren, die Sensoren tauschen sich mit Softwaresystemen aus, und Roboter verständigen sich mit Menschen. Die gesamte Fertigung wird digital gesteuert.

REVOLUTIONÄRER UMBRUCH Allerdings: Um diese Vision Wirklichkeit werden zu lassen, ist ein geradezu revolutionärer Umbruch nötig. Und der ist vor allem für kleinere und mittlere Unternehmen eine schwierige Aufgabe. Am Willen zur Veränderung fehlt es dort nicht, wie Studien belegen.

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Doch oft mangelt es an Geld und geeignetem Personal, um den Wandel zu stemmen. Um den Mittelstand beim Wechsel von der herkömmlichen Art der Fertigung hin zur smarten Produktion der Zukunft zu unterstützen, hat die Baden-Württemberg Stiftung mehrere Forschungsprojekte im Rahmen des Programms Industrie 4.0 initiiert. Ihr Ziel: Technologien und Szenarien zu erforschen und zu entwickeln, mit denen sich die Digitalisierung des Produktionsalltags möglichst einfach bewältigen lässt.

ROBOTER WERDEN ZU KOLLEGEN So haben Forscher am FZI Forschungszentrum Informatik in Karlsruhe einen „kollaborativen, intelligenten Roboterkollegen für den Facharbeiter des Mittelstands“ entwickelt. Das Team um den Ingenieur Arne Rönnau brachte im Projekt KolRob Robotern bei, ihre Umwelt präzise zu erfassen, Objekte feinfühlig zu greifen und an Fabrikarbeitsplätzen gemeinsam mit Menschen tätig zu sein. „Wenn wir heute über Roboter in der Industrie reden, haben wir schnell die Roboter in der Automobilbranche vor Augen, die in weitgehend menschenleeren Hallen ihr Tagwerk verrichten“, sagt Rönnau. „Eine solche vollständige Automatisierung gibt es aber selbst in der Automobilindustrie nur im Rohbau und bei den Lackierstraßen. In allen anderen Bereichen ist weiterhin viel Handarbeit gefordert.“ Rönnau ist überzeugt, dass sich das auch künftig nicht ändern wird: „Denn vieles ist nicht oder nur schwer automatisierbar – und wäre dann womöglich gar nicht wirtschaftlich.“ Der FZI-Forscher und sein Team haben daher in dem dreijährigen Forschungsprojekt einen besonderen Ansatz gewählt: Sie versuchten nicht etwa, einen Fertigungsprozess rundherum zu automatisieren, sondern beschränkten sich auf einzelne Schritte, bei denen der Nutzen einer Automatisierung sofort einleuchtet. Alles Übrige bleibt weiterhin dem Menschen überlassen.

„HAND IN HAND“ AM SCHRAUBTISCH Diese Aufgabenverteilung verdeutlicht Rönnau an einem modernen Schraubarbeitsplatz, den die Forscher im Labor aufgebaut haben: Dort stehen auf einer Arbeitsfläche mehrere identische Bauteile, auf denen je eine Deckplatte mit mehreren Schrauben zu befestigen ist. Daneben ist Platz für einen menschlichen Arbeiter und für einen Roboterarm, der an dem Tisch angebracht ist. „Für einen Roboter ist es ein Riesen-

aufwand, eine Schraube zu greifen und in die vorgesehene Bohrung zu stecken – für einen Menschen dagegen nicht“, erklärt Rönnau. Umgekehrt kann ein Roboter die Schrauben, die bereits in den Bohrungen stecken, immer mit dem genau gleichen Drehmoment festziehen – und das auch gleich digital an ein System zur Qualitätssicherung melden. Zudem wird die Maschine, anders als ein Mensch, nie müde und lässt sich nicht ablenken. Solche Arbeitsplätze, meinen die Karlsruher Forscher, eignen sich ideal für ein kollegiales Miteinander von Menschen und Maschinen. Doch dabei darf es zu keinen gefährlichen Zusammenstößen kommen. Deshalb hat der Roboter am FZI gelernt, stets darauf zu achten, dass er seinem menschlichen Kollegen beim Schrauben nicht zu nahe kommt. Dass diese rücksichtsvolle Kooperation inzwischen gut funktioniert, ist ein wichtiges Ergebnis des Projekts KolRob, das Ende 2018 erfolgreich abgeschlossen wurde.

Arne Rönnau

WEGWEISER IN DIE INDUSTRIE ZUKUNFT

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Baden-Württemberg Stiftung

KAMERAS WACHEN ÜBER DIE SICHERHEIT Der Trick, den die Forscher dafür angewandt haben, basiert auf mehreren Kameras, die den gemeinsamen Aktionsraum von menschlichem Arbeiter und Roboter überwachen. „Aus ihren Bildern ermittelt ein von uns entwickelter Algorithmus ständig dreidimensional den Aufenthaltsort und die Bewegungen des Menschen“, erklärt Arne Rönnau. „Und er regelt vorausschauend die Bewegungen des Roboters, um Kollisionen zu vermeiden.“ Um dem Menschen nicht ins Gehege zu kommen, wendet sich der Roboter selbstständig einer neuen Aufgabe zu und sucht sich etwa ein anderes Bauteil. Das geht so schnell, dass eine gefährliche Situation gar nicht erst entstehen kann. Der Aufwand, um eine solche teilweise Automatisierung an einem Arbeitsplatz umzusetzen, ist recht gering. Das macht sie gerade für mittelständische Unternehmen interessant. Und es zeigt: Mit der richtigen Technik lässt sich der Wandel zur Industrie 4.0 auch dort ohne viel Mühe bewältigen.


BEREICH

Forschung

KOMPAKT

KOMPAKTMELDUNG

KOMPAKTMELDUNG

REICHE ERNTE

DER TRICK MIT DER TAFEL

Internationale Spitzenforschung

Seit 2005 Jahren fördert die Baden-Württemberg Stiftung Internationale Spitzenforschung. Dazu finanziert sie vielversprechende Projekte baden-württembergischer Forschungseinrichtungen, an denen auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem Ausland mitwirken. Die Effekte des Programms sind enorm. Das Programm Internationale Spitzenforschung ging 2018 in die fünfte Runde. Darin werden vier Projekte finanziert, die sich durch eine enge Zusammenarbeit von Forschergruppen aus dem Land mit internationalen Spitzenwissenschaftlerinnen oder -wissenschaftlern auszeichnen. Die Zahl der finanzierten Forschungsprojekte hat sich damit auf bislang 22 erhöht. Ziel des Programmes ist es, über die Grenzen Baden-Württembergs und Deutschlands hinaus sichtbare und konkurrenzfähige Forschung unter Beteiligung ausländischer Spitzenwissenschaftler zu ermöglichen – und so das internationale Profil der beteiligten Teams und Institute zu schärfen. Insgesamt hat die Stiftung dafür bislang 9 Millionen Euro bereitgestellt – Geld, das gut angelegt ist, wie die Erfolge der beteiligten Projekte belegen. Die lassen sich nicht nur an vielen Veröffentlichungen von Forschungsergebnissen in renommierten Fachmagazinen wie Science und Nature festmachen, sondern zeigen sich auch anhand der durch die erfolgreiche Forschungsarbeit eingeworbenen weiteren Förder- und Drittmittel.

ZWEI LEIBNIZ-PREISTRÄGER GEKÜRT So haben die Leiter der Projekte aus dem Programm Internationale Spitzenforschung während oder nach der Finanzierung durch die Baden-Württemberg Stiftung insgesamt

neun ERC-Grants erhalten. Dabei handelt es sich um finanzielle Zuschüsse durch den Europäischen Forschungsrat (European Research Council). Die Fördersumme je Projekt betrug zwischen 2,5 und 10 Millionen Euro. Zwei Wissenschaftler aus dem Stiftungsprogramm wurden überdies mit dem Leibniz-Preis geehrt – eine Auszeichnung, die nicht nur mit bis zu 2,5 Millionen Euro Preisgeld verbunden ist, sondern international ein hohes Maß an Aufmerksamkeit garantiert. Die Preisträger sind Prof. Jörg Wrachtrup vom 3. Physikalischen Institut der Universität Stuttgart, der die Auszeichnung 2012 für die Forschung im Projekt Quantensensoren elektrischer Felder erhielt, sowie Prof. Joachim Spatz. Er

forscht an der Universität Heidelberg und am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme in Stuttgart und Tübingen, den Leibniz-Preis erhielt er 2017. Prof. Harald Giessen koordinierte von 2012 bis 2015 das Projekt Large-area 3-dimensional metamaterials for optical sensing applications, bei dem es um die Anwendung sogenannter Metamaterialien ging – künstlich hergestellter Strukturen mit ungewöhnlichen elektrischen und magnetischen Eigenschaften. Der Physiker und Informatiker, der seit 2005 das 4. Physikalische Institut der Universität Stuttgart leitet und viel Erfahrung mit der Förderung von Forschung hat, hält das Programm der Baden-Württemberg Stiftung für beispielgebend: „Die positiven Auswirkungen des SpitzenforschungsProgramms sind gar nicht genug zu loben. Die 500.000 Euro für unser Projekt haben zu mehreren Millionen Euro für Folgeprojekte geführt“, sagt Giessen. „Ich habe noch selten ein Programm gehabt, das dermaßen viele Nachfolgeprojekte katalysiert hat.“

GEWINNER

WANTED Science Slam

Dass Wissenschaft nicht nur verständlich, sondern auch originell und mit viel Humor vermittelt werden kann, wurde beim WANTED Science Slam am 18. Mai wieder eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Sechs Slammerinnen und Slammer aus Heidelberg, Stuttgart, Freiburg, Freising und Darmstadt gaben im Stiftungshaus in maximal zehnminütigen Kurzvorträgen den Kern ihrer Forschungsarbeit zum Besten. Den ersten Platz belegte Martin Werz. Für seinen Slam verlegte der junge Maschinenbauingenieur sein Forschungslabor kurzerhand in die Küche. Als Anschauungsbeispiel diente eine Tafel Schokolade, die er in zwei Hälften knickte und anschließend mit flüssiger Kakaomasse wieder kittete. Nach dem Abkühlen waren die halben Tafeln wieder fest verbunden und die Brücke zur Materialforschung war geschlagen. Denn so wie Aussehen und Geschmack der Schokolade unter Wärme leiden, macht die Hitze beim Schmelzschweißverfahren von Aluminium dem Material ebenfalls zu schaffen. Die Lösung von Werz lautet: Rührreibschweißen. Um etwa zwei Bauteile aus Aluminium fest und materialschonend zu verbinden, wird das weiche Metall entlang der Nahtlinie bearbeitet und gründlich durchgerührt. Das zerstört die dünne Oxidschicht, die sich dem Verbinden der Teile widersetzt. Das Metall selbst bleibt beim Rührreiben unversehrt. So lassen sich auch unterschiedliche Metalle stabil zusammenschweißen. Das freut besonders Fahrzeugingenieure, die häufig vor dieser Herausforderung stehen.

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JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

PROFIL

Bildung

Gut ausgebildete Menschen tragen zum Wohlstand eines Landes bei. Eines unserer großen Anliegen ist es, allen Zugang zu unserem Bildungssystem zu ermöglichen – unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Alter oder anderen Voraussetzungen. Unsere Programme reichen von der frühkindlichen Bildung über die berufliche und Erwachsenenbildung bis hin zur gezielten Unterstützung herausragender Talente.

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Bildung 103


JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

Bildung

2 INHALT Die Seele streicheln Demokratie-Monitoring Baden-Württemberg Anpfiff für 12 Mal kicken&lesen Interview mit Philip Merz Den Mutigen gehört die Welt Das Baden-Württemberg-STIPENDIUM im Detail

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Interview mit Dr. Norman Domeier Kunst für den Naturschutz Expedition N zieht Bilanz Wissensaustausch in Europa Sicherheit für verfolgte Wissenschaftler Diskurs über nachhaltige Mobilität

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BEREICH

Bildung

PROGRAMM

Talent im Land

DIE SEELE STREICHELN

Talent im Land

Es ist der 15. Jahrgang an Stipendiatinnen und Stipendiaten, der 2018 in das Programm Talent im Land (TiL) aufgenommen worden ist. Damit gehĂśren zum TiL-Netzwerk mittlerweile 759 junge Menschen. Sie alle engagieren sich fĂźr die Gesellschaft: etwa in sozialen Projekten, in der Schule, in der Politik. 105


JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

„INSBESONDERE FÜR JUGENDLICHE AUS BENACHTEILIGTEN FAMILIEN IST BILDUNG DER SCHLÜSSEL ZU EINER SELBSTBESTIMMTEN UND ERFOLGREICHEN ZUKUNFT.“ Christoph Dahl

Bildung

D

ie Festveranstaltung für die 51 „Neuen“ im Herbst vergangenen Jahres hat auf die Stipendiatinnen und Stipendiaten großen Eindruck gemacht. „Schon alleine der Weiße Saal im Neuen Schloss in Stuttgart hat mir sehr imponiert“, sagt Mohannad Raslan, 21-jähriger Stipendiat aus Syrien. „Alle Redner haben uns viel Mut zugesprochen, und als ich dann selbst auf der Bühne stand, war das ein sehr besonderes Gefühl.“ Mohannad (mehr zu ihm auf der nächsten Seite) ist im neuen TiL-Jahrgang einer von elf Schülerinnen und Schülern, die aus Syrien stammen. 27 der Stipendiaten sind in Deutschland geboren, die anderen stammen beispielsweise aus Pakistan, Rumänien, Afghanistan, Iran, Sri Lanka, dem Libanon und von den Philippinen. Sie alle eint, dass sie es auf dem Weg zum Abitur oder der Fachhochschulreife nicht unbedingt leicht haben – sei es wegen der sozialen oder kulturellen Herkunft oder familiärer Probleme. „Insbesondere für Jugendliche aus benachteiligten Familien ist Bildung der Schlüssel zu einer selbstbestimmten und

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erfolgreichen Zukunft“, sagt Christoph Dahl, Geschäftsführer der Baden-Württemberg Stiftung. „Mit Talent im Land fördern wir diejenigen, die bisher vielleicht übersehen wurden und die sich trotz mancher Hindernisse nicht unterkriegen lassen.“

GELD MACHT EINIGES LEICHTER Zum Stipendium gehören ein abwechslungsreiches Seminarprogramm, persönliche Beratung sowie finanzielle Förderung. Von den 156 Stipendiaten, die Ende 2018 im Programm waren, wurden 147 mit 150 Euro monatlich gefördert, die übrigen mit 200 bis 400 Euro. „Das Geld macht einiges leichter. Ich muss mir nicht mehr bei jeder Klassenfahrt oder jedem Buch, das ich für die Schule brauche, überlegen, ob ich es mir überhaupt leisten kann.“ Ein Highlight des Seminarprogramms im vergangenen Jahr trug den Titel „Herausforderungen in der Schule“. In drei Workshops ging es um individuelle Lernstrategien, Zeitmanagement und Gedächtnistraining sowie um das Verhalten in Konfliktsituationen. Besonders groß war das Interesse am Kurs

2018 in Zahlen 255.050 €

Auszahlung an monatlicher Förderung

28.800 €

für die Anschaffung von Computern

23.250 €

für Nachhilfe-Förderung

19.300 €

für Klassenfahrten, außerschulische

Veranstaltungen und Sonstiges

„High Speed Gehirn“. Wie kann ich meine Zeit besser organisieren? Welche Mnemotechniken gibt es? Wie lässt sich meine Konzentration verbessern? Fragen, die unter Anleitung einer erfahrenen Trainerin erarbeitet wurden. „Uns zeigt das große Interesse an diesen Themen, dass der Alltag der Schülerinnen und Schüler immer anspruchsvoller wird“, sagt Andreas Germann vom TiL-Büro. Für ihn ist die steigende Zahl derjenigen, die die Schule nach Kursstufe eins mit der Fachhochschulreife verlassen, auch ein Indiz für vermehrte Stressfaktoren. „Diese Entwicklung beobachten wir mit Sorge. Weil das Interesse am Zeitmanagement sehr groß war, haben wir Ende 2018 ein zusätzliches Seminar veranstaltet. Das war so stark nachgefragt, dass wir es ab jetzt jährlich anbieten werden.“

SPORT HAT EINE VERBINDENDE KRAFT In der langjährigen Kooperation von TiL mit der Landeszentrale für politische Bildung gab es 2018 erstmals ein Seminar zum Thema „Fairplay oder Foulspiel – wo ist Sport politisch?“. „Viele unserer Schülerinnen und Schüler sind sehr sportbegeistert, beispielsweise fährt ein junger Syrer in der Radsport-Bundesliga“, sagt Andreas Germann. „Außerdem hat der Sport eine große verbindende Kraft. Es lag also nahe, das vielschichtige Verhältnis von Sport und Politik zu beleuchten.“ Doping, Sportförderung, Fankultur, Sport als Integrationsfaktor, die Vergabe von sportlichen Großereignissen: Die Jugendlichen diskutierten zahlreiche Aspekte und setzten sie kreativ um. So entstanden ein Filmclip, ein Essay, ein Radiobeitrag, eine Werbekampagne, eine Karikatur, ein Theaterstück. Anzuschauen und zu hören unter:

WWW.TALENTIMLAND.DE/ SPORT_POLITIK_2018 So spannend die Inhalte der Seminare auch sind – für die jungen Menschen ist es mindestens ebenso wichtig, dass sie an den Wochenenden immer wieder eine ganz besondere Art des Zusammenhalts erleben. „Alle wissen, dass sie sich hier offen begegnen können“, sagt Andreas Germann. „Niemand muss mit seinen Schwierigkeiten hinterm Berg halten. Das streichelt die Seele und hilft gegen Durchhänger.“


BEREICH

Bildung

PROGRAMM

Talent im Land

Mohannad Raslan

Mohannad Raslan hat das Buch „Aus Syrien geflüchtet“ 2018 unter dem Künstlernamen Seif Arsalan veröffentlicht.

Mohannad Raslan hat Syrien 2014 verlassen. Er lebte gemeinsam mit seiner Mutter unter anderem in der Türkei, wo er sein Abitur machte. Im Dezember 2015 war Heidelberg die erste Station in Deutschland. Da der Schulabschluss aus der Türkei nicht anerkannt wurde, besucht der 21-Jährige seit zwei Jahren das technische Gymnasium in Schorndorf. 2020 wird er seine Hochschulreife erwerben.

MR — Um mein Deutsch zu verbessern, habe ich einen Jugendroman in einfacher Sprache gelesen. ‚Abgehauen‘ hieß er, und er hat mich sehr berührt. Ich dachte: Ich habe auch einiges zu erzählen. Also habe ich mit einer Autorin Kontakt aufgenommen, die mich ermutigt hat, das erste Kapitel zu schreiben. Das hat ein paar Wochen gedauert. Die Autorin hat gesagt, dass es gut geworden ist, und ich habe weitergeschrieben. Oma Frauke hat mich unterstützt. An den Texten feilen, so hat sie das genannt. Sie ist eine von meinen deutschen Omas. Als ich nach Deutschland gekommen bin, habe ich viel Kontakt zu Deutschen gesucht, um die Sprache zu lernen. Mit mehreren älteren Frauen und Männern bin ich bis heute befreundet. Ich nenne sie meine Omas und Opas, und sie bedeuten mir viel. Es hat sehr lange gedauert, bis ich meine Anerkennung hatte. Immer wieder habe ich mir gesagt: Alles wird gut. Das erste Jahr im Gymnasium war nicht einfach. In Religion und Deutsch habe ich vieles nicht verstanden. Heute bin ich in Mathe, Spanisch und Computertechnik sehr gut, in den anderen Fächern gut. Ich möchte bald mein Abitur mit einer guten Note in der Tasche haben und studieren. Robotik oder Informatik.

Ich bin sehr glücklich, dass TiL mich unterstützt. Das Programm motiviert mich noch mehr, mein Bestes zu geben. In zehn Jahren möchte ich eine eigene Firma haben und von Deutschland aus den Menschen in Syrien helfen. Dort hat eine ganze Generation die Chance auf Bildung verloren. Ich lerne hier so viel, und davon möchte ich etwas abgeben. In meinem Buch erzähle ich von meiner Kindheit in Duma, von der Flucht mit meiner Mutter und von unserem Leben in Deutschland. Wir haben vier Mal versucht, von der Türkei aus nach Europa zu kommen. Beim zweiten Versuch hat nachts der Motor des Schlauchbootes ausgesetzt und es ist Panik ausgebrochen. Ich habe gedacht: Wir ertrinken und niemand bemerkt es. Das war die größte Angst meines Lebens.

Dann ist die türkische Marine gekommen und hat uns zurückgeschleppt. Ich habe das Buch geschrieben, um Geflüchteten eine Stimme zu geben und Vorurteile abzubauen. Auf den Lesungen diskutiere ich mit meinen Gästen über Integration und wie sie gelingt. Ich denke, dass jeder Mensch auf seine Nationalität stolz sein kann und trotzdem andere nicht ausgrenzen muss. Ich mag das Wort Flüchtling nicht. Ich rede lieber von Geflüchteten. Das bedeutet: Jetzt bin ich hier. Ich bin angekommen.

„ICH MAG DAS WORT FLÜCHTLING NICHT. ICH REDE LIEBER VON GEFLÜCHTETEN. DAS BEDEUTET: JETZT BIN ICH HIER. ICH BIN ANGEKOMMEN.“ Mohannad Raslan

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PROGRAMM

JAHRESBERICHT

Talent im Land

2018

Baden-Württemberg Stiftung

Clara Schweizer

Clara Schweizer lebt gemeinsam mit ihrer Mutter in Nürtingen. Ihre Eltern sind getrennt, die 16-Jährige sieht ihren Vater regelmäßig einmal in der Woche. Vor einem Jahr ist Clara von der Waldorfschule auf das Gymnasium gewechselt, wo sie in zwei Jahren das Abitur machen möchte.

Bildung

Clara Schweizer ist Stipendiatin und wurde im Herbst vergangenen Jahres in die TiL-Familie aufgenommen.

CS — Meine Mutter ist mein großes Vorbild. Sie stammt aus einer Arbeiterfamilie und hat sich durchgekämpft. Ihr Studium hat sie selbst finanziert. Heute arbeitet sie als Integrationsbeauftragte und hilft geflüchteten Menschen bei der Suche nach Arbeit und bei dem ganzen Papierkram. Sie unterstützt mich bei allem, was mir wichtig ist, und gibt mir Feedback. Etwa bei meiner Arbeit im Jugendgemeinderat, wenn ich einen Antrag schreibe oder eine Pressemitteilung verfasse. Im Jugendrat setzen wir uns dafür ein, dass Jugendliche in der Stadt stärker beteiligt werden und mehr Freiräume bekommen. Am Neckar gibt es Stellen, wo sich junge Menschen gerne treffen. Da haben wir uns Sitzgelegenheiten gewünscht und sie auch durchgesetzt. Ich organisiere gerne und liebe es, mit Menschen zu diskutieren. Deshalb war ich schon in der Waldorfschule in einigen Gremien aktiv, etwa in der SMV. Vor zwei Jahren habe ich eine Ausbildung zur Moderatorin gemacht. Seither moderiere ich Jugendkonferenzen und Jugendforen. Da ist es wichtig, auf alle zuzugehen und Inhalte genauso aufzugreifen, wie sie gesagt wurden.

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Ich glaube, das ist es, was Politikern manchmal fehlt: die Fähigkeit, gut zuzuhören. Ich fühle mich verantwortlich für unsere Gesellschaft, deshalb bin ich auch in der Grünen Jugend aktiv. Umwelt, soziale Gerechtigkeit und Geschlechtergerechtigkeit – das sind meine Themen. Und überall sehe ich große Probleme. Vor einiger Zeit war ich in London. Auf der einen Seite diese tollen Gebäude und Luxus und Konsum. Auf der anderen Seite viele Obdachlose. Einer von ihnen sagte uns: Je reicher die Menschen sind, desto weniger geben sie. Das hat mich sehr bedrückt. Er bekommt acht Pfund für einen trockenen Schlafplatz nicht zusammen, und direkt neben ihm steigen Leute in die dicksten Autos. Ich möchte Politikwissenschaften und Jura studieren. Immer wieder beobachte ich in verschiedenen politischen Gremien, dass Männer in höheren Positionen beschäftigt

sind als Frauen. Auch im Bundestag sind nur 30 Prozent der Abgeordneten Frauen. Das muss sich ändern. Deshalb habe ich auch ein Praktikum bei dem Bundestagsabgeordneten Matthias Gastel gemacht. Vielleicht gehe ich ja später einmal in die Politik. Talent im Land hat dieses Praktikum finanziell unterstützt. Ich bin für das Stipendium super dankbar. Beim ersten Treffen von TiL in Bad Boll habe ich so viele starke Persönlichkeiten kennengelernt, so viele berührende Geschichten gehört. Wow! Das hat mir bewusst gemacht, dass ich einen tollen Bildungsweg gehen darf. Mein Ziel im Leben? Ich möchte mit 90 im Schaukelstuhl sitzen und mir sagen können, dass ich die Welt ein Stückchen besser gemacht habe. Und bis dahin möchte ich noch ganz oft den Frühling erleben. Durch den Wald reiten, den Vögeln zuhören, das Sonnenlicht sehen, wie es durch die Blätter fällt.

„ICH MÖCHTE MIT 90 IM SCHAUKELSTUHL SITZEN UND MIR SAGEN KÖNNEN, DASS ICH DIE WELT EIN STÜCKCHEN BESSER GEMACHT HABE.“ Clara Schweizer


BEREICH

Bildung

KOMPAKT

KOMPAKTMELDUNG

DEMOKRATIE MONITORING BADEN WÜRTTEMBERG Bürgerbeteiligung und Zivilgesellschaft

Mit Maßnahmen zur politischen Bildung und Teilhabe, zur Völkerverständigung und zur Förderung von Integration möchte die Baden-Württemberg Stiftung populistischen Strömungen entgegentreten. Sie unterstützt und finanziert zahlreiche Projekte in diesen Themenfeldern. Besonders hervorzuheben ist dabei das 2012 initiierte Programm Bürgerbeteiligung und Zivilgesellschaft. Ziel des Programmes war es, mit verschiedenen Projekten unterschiedliche Bevölkerungsgruppen für Politik, Demokratie und Bürgerbeteiligung zu sensibilisieren und zu

befähigen. Ein Schwerpunkt lag dabei auf Jugendlichen, die in Baden-Württemberg seit 2014 auf kommunaler Ebene ab 16 Jahren wählen dürfen, und auf Menschen mit Migrationshintergrund. Flankiert wurden diese Qualifizierungsprojekte durch verschiedene Forschungsprojekte zum Thema Demokratie und Bürgerbeteiligung, insbesondere durch die zwei Forschungsprogramme DemokratieMonitoring Baden-Württemberg 2013/2014 sowie 2016/2017 und eine Machbarkeitsstudie zur Einführung eines Beteiligungshaushaltes auf Landesebene in Baden-Württemberg. Die

von der Baden-Württemberg Stiftung herausgegebene Publikation Demokratie-Monitoring Baden-Württemberg 2016/2017. Studien zu Demokratie und Partizipation (Wiesbaden: Springer VS, 2019) fasst die Ergebnisse der vier Forschungsprojekte des Forschungsprogramms Demokratie-Monitoring 2016/2017 in mehreren Beiträgen zusammen. Die Projekte beleuchten mit einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage das Demokratieverständnis der baden-württembergischen Bevölkerung, geben mit einer lebensweltlichen Analyse Einblick in die Gruppe der AfD-Wählerinnen und -Wähler, untersuchen das Partizipationsrecht in Baden-Württemberg, unterbreiten Vorschläge zu dessen Stärkung und analysieren die Einstellung kommunaler Entscheidungsträger zur Bürgerbeteiligung.

ANPFIFF FÜR 12 MAL KICKEN &LESEN kicken&lesen

Im Zeitalter von PC, Tablet und Smartphone verliert das Buch an Attraktivität, und das Lesen spielt bei Kindern und Jugendlichen eine untergeordnete Rolle. Vor allem Jungen lassen sich dafür kaum begeistern und verbringen ihre Zeit lieber auf dem Bolzplatz. Doch Lesen gehört nicht nur zu den Schlüsselkompetenzen. Wer liest, erweitert seinen Horizont und hat bessere Chancen im Leben. Um insbesondere Jungen aus Familien, in denen das Lesen nicht zum Alltag gehört, eine bessere Perspektive zu bieten, bringen die Baden-Württemberg Stiftung, der VfB Stuttgart und der SC Freiburg das Buch auf den Fußballplatz. Sie zeigen, dass Lesen Spaß machen kann und unterstützten 2018 insgesamt zwölf Projekte. Die kicken&lesen-Projekte in Dürmentingen, Ehrenkirchen, Freudenstadt, Konstanz, Mannheim, Reichenau, Riedlingen, Reutlingen, Schwäbisch Gmünd, Stuttgart und Ulm wurden mit bis zu 4.000 Euro unterstützt. Sie erhielten außer einer finanziellen Unterstützung weitere Angebote, wie etwa Besuche beim VfB Stuttgart und SC Freiburg, ein kicken&lesen-Camp bei den Vereinen, Rundgänge im Stadion und Redaktionsbesuche beim Medienpartner Stuttgarter Nachrichten. Zum Abschluss im Oktober wurden die Jungs mit einer Urkundenverleihung im Stadion für ihr Engagement belohnt.

ZUSAMMENHALT

KOMPAKTMELDUNG

109


JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

„EINE BOX FÜR DIE ENERGIEWENDE“

Philip Merz

INTERVIEW MIT PHILIP MERZ gekommene Anlage zunächst erneuert und auf einen modernen Stand gebracht werden. Danach schalteten wir die Box zwischen die Photovoltaikanlage und einen Kompressor in der Forschungswerkstatt der Schule. Den steuert das intelligente Gerät nun so, dass er nur anspringt, wenn Solarstrom vom Dach bereitsteht.

WIE IST DIE IDEE ZU DIESER ENTWICKLUNG ENTSTANDEN? PM — Wir haben uns Gedanken gemacht,

wie die Energiewende einfacher zu schaffen sein könnte. Dabei sind wir auf die Möglichkeit gekommen, Energie selbst herzustellen und sie direkt zu verbrauchen oder dezentral zu speichern.

GAB ES WEITERE UNTERSTÜTZUNG? PM — Unterstützt hat uns der Berufsschullehrer Bernhard Fetscher. Zudem stellte uns die

Baden-Württemberg Stiftung für die Umsetzung der Projektidee 4.700 Euro zur Verfügung. beo–Wettbewerb Berufliche Schulen

Zum elften Mal würdigte die Baden-Württemberg Stiftung kreative Projekte von Jugendlichen aus beruflichen Schulen im Land. Der Jury-Preis im beo-Wettbewerb 2017/2018 ging an Schüler der Gewerbeschule Villingen-Schwenningen – für die Entwicklung einer „Energiewende-Box“.

Bildung

Philip Merz arbeitet beim südbadischen Energieversorgungsunternehmen Energiedienst. Er war Sprecher des beo -Projekts „Energiewende-Box“. Das Projektteam bestand aus sieben Auszubildenden im dritten Lehrjahr zum Elektroniker für Betriebstechnik oder Energie- und Gebäudetechnik. Neben Philip Merz gehörten zum Team Joshua Dornfeld, Benedikt Gut, Marco Maier, Dejan Micanovic, Marcel Schwinge und Dominik Zeller.

HERR MERZ, WORUM GING ES BEI DEM SIEGREICHEN PROJEKT? PM — Ziel der Entwicklung war es, den

Besitzern einer Photovoltaikanlage dabei zu helfen, den selbst erzeugten elektrischen Strom möglichst effizient zu nutzen. Dazu entwickelten wir ein handliches Gerät, das den Betrieb der Photovoltaikanlage mit dem von Stromverbrauchern im Gebäude auf clevere Weise verknüpft.

110

WIE FUNKTIONIERT DIE „ENERGIEWENDE-BOX“? PM — Der steckbare Kasten von der

Größe einer Schuhschachtel wird mit stromverbrauchenden Energiespeichern im Wohnhaus oder Betrieb verbunden. Das kann etwa eine Gefriertruhe, ein Elektroauto oder ein Kompressor sein. Je nachdem, wie viel Strom die Photovoltaikanlage auf dem Dach gerade produziert, regelt die Box beispielsweise die Temperatur in der Kühltruhe. Steht viel elektrischer Strom aus Eigenproduktion zur Verfügung, kühlt sie besonders stark ab, bei sonnenscheinarmem Wetter hingegen lässt die Box die Temperatur in der Gefriertruhe steigen – achtet aber auch darauf, dass die Lebensmittel darin nicht auftauen. So wird gewährleistet, dass der Besitzer der PV-Anlage möglichst viel eigenen Strom auch selbst verbrauchen kann – und nicht ins Netz einspeisen und später zurückkaufen muss. Die Software zur Steuerung der Box haben wir selbst entwickelt.

Von oben links: Benedikt Gut, Joshua Dornfeld, Marco Meier, Dejan Micanovic, Marcel Schwinge, Dominik Zeller, Philip Merz.

DER BEO WETTBEWERB Mit dem Wettbewerb, der seit 2001 stattfindet, fördert die Stiftung kreative und zukunftsweisende Projekte von Schülerinnen und Schülern beruflicher Schulen sowie Auszubildenden aus Betrieben im Südwesten. Im Mittelpunkt stehen Herausforderungen, die kreative Lösungsansätze erfordern. Die

WIE HAT DAS TEAM DAS PROJEKT UMGESETZT? PM — Wir haben die Funktion der Ener-

giewende-Box mithilfe der Photovoltaikanlage der Gewerbeschule Villingen-Schwenningen getestet. Dazu musste die bereits in die Jahre

Stiftung begleitet die Projektteams von der Idee bis zur finalen Dokumentation. Als Berater stehen den Teams das Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung und zwei ehemalige Berufsschullehrer zur Seite.


BEREICH

PROGRAMM

Bildung

beo-Wettbewerb

INTERVIEW MIT PHILIP MERZ

„WIR HABEN UNS GEDANKEN GEMACHT, WIE DIE ENERGIEWENDE EINFACHER ZU SCHAFFEN SEIN KÖNNTE. DABEI SIND WIR DARAUF GEKOMMEN, ENERGIE SELBST HERZUSTELLEN UND ZU VERBRAUCHEN.“ DER PUBLIKUMSPREIS

Eine Auszeichnung erhielt 2018 nicht nur

das

Projektteam

aus

Villingen-

Schwenningen, das die Jury des Wettbewerbs zum Sieger gekürt hatte. Ein weiterer Preis ging an Schülerinnen und Schüler der Karl-Arnold-Schule Biberach. Gemeinsam

mit der Medienwerkstatt Biberach und einer Reihe von Laienschauspielern drehten sie einen Kurzfilm über Toleranz und gegensei-

tige Rücksichtnahme. Mit dem Filmprojekt

„Umbrella of Tolerance“ erhielt das

Schülerteam den meisten Zuspruch vom Publikum bei der Abschlussveranstaltung

des beo-Wettbewerbs in Stuttgart – und ein Preisgeld von 500 Euro. Die Gewinner des Jurypreises durften sich über 1.500 Euro freuen.

Der Kurzfilm ist zu sehen unter:

WWW.BEO BW.DE

Philip Merz

111


JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

DEN MUTIGEN GEHÖRT DIE WELT

Francis Shikwa Ambani, 24 Jahre alt

Kenia

Baden-Württemberg-STIPENDIUM

Ob ein Praktikum, eine Weiterbildungsmaßnahme oder ein Auslandssemester – internationale Erfahrungen sind für Schule, Studium und Beruf so wichtig wie nie zuvor. Mit den verschiedenen Programmlinien des Baden-Württemberg-STIPENDIUMs erhalten junge Menschen die Möglichkeit,

einmalige Erfahrungen im Ausland zu sammeln. Juan, Idriss, Livia, Francis und Marc sind fünf von insgesamt 1.500 Stipendiat innen und Stipendiaten jährlich, die mit Hilfe der Baden-Württemberg Stiftung den Blick über den Tellerrand gewagt haben.

„JEDER HAT SEINE ZUKUNFT IN SEINEN HÄNDEN UND IN SEINEM HIRN. ICH HABE EINEN WEITEN WEG ZURÜCKGELEGT. UND DARÜBER BIN ICH GLÜCKLICH.“

Bildung

Der Kenianer Francis Shikwa Ambani blickt auf eine bewegte Geschichte zurück. Dank des Baden-Württemberg-STIPENDIUMs für Berufstätige hat der Schreiner eine zweimonatige Weiterbildung in Karlsruhe gemacht. Seine Erfahrung gibt er nun an seine Auszubildenden in Kenia weiter. Mehr über Francis und seine Geschichte gibt es in der aktuellen Perspektive:

WWW.PERSPEKTIVE BW.DE 112


BEREICH

Bildung

PROGRAMM

Baden-Württemberg-STIPENDIUM

Juan Andrés Moreno, 26 Jahre alt

Bogotá

„IM AUSLAND ZU STUDIEREN, DAS LAND UND DIE KULTUR KENNENZULERNEN, WÄRE OHNE DAS BADEN-WÜRTTEMBERG-STIPENDIUM NICHT MÖGLICH GEWESEN.“

Der Kolumbianer studierte an der Universidad de los Andes in Bogotá die Fächer Philosophie, Sprachen und Germanistik und verbrachte mit dem Baden-Württemberg-STIPENDIUM ein Auslandssemester an der Universität Mannheim. Um mit den Stipendiaten des weltweiten Netzwerkes in Kontakt zu bleiben, organisiert der Alumnus verschiedene Aktivitäten für das Regional Chapter in Bogotá. Mehr über Juan gibt es online im Video.

Livia Oberem, 23 Jahre alt

Mit dem Baden-Württemberg-STIPENDIUM für Berufstätige machte die Klavierbauerin Livia in Norditalien bei dem berühmten Flügelhersteller

Sacile

„ICH WUSSTE NICHT, DASS ES EIN STIPENDIUM FÜR BERUFSTÄTIGE GIBT. ICH WAR ECHT GLÜCKLICH, DIE CHANCE ZU HABEN, DAS AUCH ZU NUTZEN.“

Fazioli eine Weiterbildung. Die junge Frau, die ihre Ausbildung bei Piano Fischer in Stuttgart absolviert hat, ist seither bei Fazioli fest angestellt. Im Video erzählt Livia persönlich über ihre Erfahrungen und ihre Arbeit.

Idriss Gasana Byiringiro, 28 Jahre alt

Mit dem Baden-Württemberg STIPENDIUM für

Filmproduktion studierte Idriss an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Dort konnte er seine vielen Ideen endlich zu richtigen Filmen ausarbeiten. Darüber erzählt das junge Filmtalent im Video.

Ruanda

„ICH HABE VIEL GELERNT, WAS ICH IN DER FILMINDUSTRIE MEINES HEIMATLANDES ANWENDEN KANN. OHNE DAS STIPENDIUM HÄTTE ICH NICHT HIERHER KOMMEN KÖNNEN.“ Marc Wernicke, 27 Jahre alt

Der Innenarchitektur-Student aus Stuttgart war für ein Auslandssemester in Hongkong. Über das Alumni-Netzwerk fand er schnell Anschluss und hatte keine Startschwierigkeiten. Mehr über den Stipendiaten und seine Reise gibt es online.

Hongkong

„ES IST SUPER, AUF DAS NETZWERK DES BADEN-WÜRTTEMBERG-STIPENDIUMS ZURÜCKZUGREIFEN, DADURCH HABE ICH GLEICH EINE ALUMNA-STUDENTIN KENNENGELERNT.“

Alle Videos gibt es online:

WWW.YOUTUBE.COM/ BWSTIFTUNG 113


PROGRAMM

JAHRESBERICHT

Baden-Württemberg-STIPENDIUM

2018

Baden-Württemberg Stiftung

Das Baden-WürttembergSTIPENDIUM im Detail

FÜR FILMPRODUKTION

FÜR STUDIERENDE

FÜR BERUFSTÄTIGE

Das Stipendium unterstützt den interna-

Das Stipendienangebot für Berufstätige

Studierende

tionalen Austausch von hochqualifizierten

bietet

deutschen und internationalen Studierenden

Arbeitsweise,

und

1.500

Führungskonzepte verwandter Branchen in

führt. Die künftigen Filmemacher erhal-

jungen Menschen aus aller Welt einen

anderen Ländern. Orientiert am Prinzip der

ten Einblick in die Welt Hollywoods und

Studienaufenthalt in einem anderen Land.

Gegenseitigkeit verfolgt das Stipendium

lernen die Arbeitsweise großer Studios

Der Austausch beruht auf Gegenseitigkeit:

das

aus

kennen. Im dritten Studienjahr können

Die Stipendien kommen grundsätzlich zu

Baden-Württemberg und dem Ausland einen

sich Filmstudierende für das Programm

gleichen Teilen Bewerberinnen und Bewerbern

Aufenthalt in Form eines Praktikums oder

„fiction 35“ bewerben: Rund drei Monate

von baden-württembergischen Hochschulen und

einer Weiterbildung zu ermöglichen.

lang produzieren sie mit Unterstützung

ermöglicht

jährlich

rund

spannende

Ziel,

der

Filmakademie

Baden-

in

die

Württemberg können sich um ein Stipendium

Betriebsstrukturen

und

bewerben,

jungen

Einblicke

Berufstätigen

das

sie

nach

Los

Angeles

der französischen Filmhochschule La fémis

deren Partnerhochschulen im Ausland zugute.

in Paris einen Kurzfilm.

Bildung

FÜR STUDIERENDE – BWS PLUS Mit BWS plus unterstützt die Stiftung

Das

innovative

baden-

Praktika in Verwaltungseinrichtungen im

FÜR STUDIERENDE – REGIONALE ENT WICKLUNGSPOLITISCHE KOMPONENTE

württembergischen Hochschulen im interna-

europäischen Ausland an Studierende, die

Um die Länder Afrikas, der Karibik und

tionalen Austausch. Ziel des Programms ist

sich gegen Ende des Bachelor-Studiums oder

des Pazifiks (AKP-Staaten) sowie die Least

der Auf- und Ausbau von neuen Beziehungen

im Master-Studium befinden. Im Rahmen des

Developed Countries (LDC) stärker ins

zu ausländischen Hochschulen bzw. die

Aufenthalts arbeiten die Stipendiaten an

Stipendienprogramm einzubinden, werden

nachhaltige Intensivierung bestehender

Zukunftsfeldern im europäischen Kontext.

verstärkt Studierende aus diesen Ländern

Kontakte.

Ziel des Programms ist, die innereuropä-

angesprochen. Im Rahmen der „regiona-

ische Zusammenarbeit und Vernetzung auf

len entwicklungspolitischen Komponente

Verwaltungsebene zu stärken.

(REK)“ haben die Hochschulen außerdem die

Kooperationen

von

WALTER HALLSTEIN PROGRAMM Programm

vergibt

Stipendien

für

Möglichkeit, neue bzw. bereits bestehende internationale Hochschulkooperationen mit den AKP-Staaten und LDCs aufzubauen bzw. zu vertiefen.

114


BEREICH

PROGRAMM

Bildung

Eliteprogramm für Postdocs

„EIN SICHTBARES GEHEIMNIS“

INTERVIEW MIT DR. NORMAN DOMEIER

Eliteprogramm für Postdocs

Dreizehn junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind 2018 in das Eliteprogramm für Postdocs aufgenommen worden. Ein Postdoc, der seit 2017 durch das Programm gefördert wird, ist der Stuttgarter Historiker Dr. Norman Domeier.

HERR DOMEIER, SKIZZIEREN SIE BITTE KURZ DIE FORSCHUNG, AN DER SIE ARBEITEN. ND — Es geht um eine Kooperation, die

bis 2017 unentdeckt geblieben ist – und zwar zwischen der US-Nachrichtenagentur Associated Press, AP, und dem sogenannten Büro Laux. Das war eine unbekannte Einrichtung von Reichsaußen ministerium und SS, mit der AP zwischen 1942 und 1945 täglich Bilder austauschte. Über Lissabon und später Stockholm gelangten NS-Bilder in die USA – und umgekehrt

AP-Fotos von Amerika aus nach Berlin. Mitten im Krieg kooperierte also eine weltweit angesehene Nachrichtenagentur mit Nazi-Deutschland.

WAS IST AN DEM DEAL ZWISCHEN AP UND DEM NS-REGIME DAS ÜBERRASCHENDE? ND — Diese Zusammenarbeit ist sehr

lange keinem Forscher aufgefallen, dabei war es ein offenes, weil sichtbares Geheimnis. Bis April 1945 waren die Zeitungen der kriegführenden Länder voller Fotos der jeweils anderen Seite. Aber natürlich haben es die Beteiligten, Journalisten wie Fotografen, nicht an die große Glocke gehängt. Wie wir kürzlich herausgefunden haben, waren auch die britische und italienische Presse beteiligt. Vermutlich auch die japanische.

ALSO EINE ART GLOBALER FOTOMARKT MITTEN IM KRIEG? ND — Ja, der Zweite Weltkrieg hat die

Globalisierung dieses Marktes definitiv befördert, und das ging nach 1945 nahtlos weiter, auch personell.

EIN BEISPIEL? ND — Gerd Baatz etwa. Er war vor 1939

bei AP Deutschland tätig und in der Waffen-SS. Er hat alle Nazi-Größen fotografiert und viele Front-Fotos gemacht. Nach 1945 arbeitete Baatz für die großen amerikanischen Fotozeitschriften Life und Look und krönte seine Karriere dann beim Stern in Hamburg. Das zeigt, wie stark das Foto-Business sich damals internationalisierte, befördert durch den Krieg.

WIE PASSEN EIN GLOBALER FOTO-AUSTAUSCH UND DIE AUFFASSUNG VON EINEM ISOLIERTEN NAZI-DEUTSCHLAND ZUSAMMEN? ND — Gar nicht. NS-Deutschland war

eben kein Reich der Finsternis, in das niemand schauen konnte. Bis in seine letzten Tage war das Regime auf der ganzen Welt aktiv und in globale Austauschprozesse eingebunden.

IST ES NICHT UNGEHEUER AUFWENDIG, EINE RIESIGE MENGE FOTOS AUS ZEITUNGEN WELTWEIT MITEINANDER ZU VERGLEICHEN? ND — Das ist es. Um kein gigantisches

Memory mit Zehntausenden Bildern zu spielen, kooperieren wir mit sogenannten Visualisierungs-Informatikern. Ihre Software kann aus digitalisiertem Material identische Fotos filtern. Unsere historische Fallstudie ist ideal, um die Algorithmen weiterzuentwickeln.

DIE FINANZIERUNG DURCH DIE BADEN-WÜRTTEMBERG STIFTUNG IN HÖHE VON 113.000 EURO LÄUFT BIS 2021. WAS HABEN SIE SICH FÜR DIE ZEIT VORGENOMMEN? ND — Den Großteil der historischen

Kärrnerarbeit wollen wir bis dahin geschafft haben. Am Ende soll es eine internationale Tagung geben, einen für Fachwelt und Öffentlichkeit interessanten Fotoband sowie eine Online-Datenbank, um die Bilder auch für die künftige Forschung zu nutzen.

115


JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

KUNST FÜR DEN NATUR SCHUTZ Perspektive Donau – Bildung, Kultur und Zivilgesellschaft

17 Projekte hat das Programm Perspektive Donau 2018 neu angestoßen. Besonders spektakulär: eine Wanderausstellung mit einem Bild von 1.000 Metern Länge. S Regensburg

Donaueschingen

Ulm

D

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S

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Frauennerfling

H

-

Wien

6 Bratislava

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Otter

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Bildung

Zwerg-Rohrkolben

Europäische Sumpfschildkröte

116

L

Passau

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N


BEREICH

PROGRAMM

Bildung

Perspektive Donau

Uferschwalbe

Kammmolch

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Kahnschnecke Donauneunauge

Budapest

G

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Hundsfisch

Krebsschere

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N Sulina

Vukovar Braila

Galati

Belgrad

Tutrakan

Vidin

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Schwarzpappel

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Huchen

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JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

S

ie ist mehr als 2.800 Kilometer lang und mit zehn europäischen Anrainerstaaten der internationalste Fluss der Erde: die Donau. Der Mensch hat sie sich im Laufe der vergangenen 200 Jahre angeeignet: Sie an vielen Stellen begradigt, Industrie und große Städte an den Ufern angesiedelt, Staustufen eingerichtet, Wasserkraftwerke gebaut, und bis heute ist der Fluss für die Binnenschifffahrt wichtig. Bei aller Nutzung durch den Menschen ist die Donau immer noch ein wichtiger Lebensraum für eine Vielzahl von Arten. Störe, Fischotter, Löffler und Uferschwalbe sind nur einige der Tiere, die hier beheimatet sind. Wilde Weinrebe, Krebsschere, Schwarzpappel und andere, teils seltene Pflanzen wachsen an ihren Ufern. Vor fünf Jahren machten Forscher der Universität Wien darauf aufmerksam, dass an

einigen Stellen der Donau mehr Plastikteile als Fischlarven treiben. Hochgerechnet spüle die Donau rund 4,2 Tonnen Plastikmüll ins Schwarze Meer – täglich. „Obwohl wir wissen, wie wichtig die Donau für Flora, Fauna und uns Menschen ist, steigt der Grad der Verschmutzung seit Jahren an“, sagt Mario Kümmel. Der 36-Jährige ist Projektleiter beim Freiburger Verein zum Schutz wilder Tiere, AWP (Association for Wildlife Protection). Die AWP ist ein kleiner gemeinnütziger Verein, der in zwei weit voneinander entfernten Gegenden der Welt eigene Projekte initiiert und umsetzt: in Kamerun und im Donauraum. „Das hat sich im Laufe der acht Jahre, die wir aktiv sind, so entwickelt“, sagt Kümmel. „In dem zentralafrikanischen Land konzentrieren wir uns auf die vom Aussterben bedrohten Gorillas, im Donauraum auf den Erhalt der Artenvielfalt.“

Bildung

EIN BILD, DAS IN DREI JAHREN ENTSTANDEN IST 2014 hörte Mario Kümmel erstmals von Ana Tudor, einer Malerin aus Sonta, einem Dorf in der serbischen Provinz Vojvodina. Ana hatte irgendwann begonnen, die Landschaften der Donau mit Acryl zu malen: jene Gegend, in der sie aufgewachsen ist, aber auch Landstriche, die sie besucht oder auf Fotos gesehen hatte. Herausgekommen ist ein beeindruckendes Werk auf 40 Rollen Leinwand – insgesamt 1.000 Meter lang. Schroffe Gebirgszüge, lichte

118

„WÜRDEN MEHR MENSCHEN DIE DONAU MALEN, WÜSSTEN SIE, WIE SCHÖN SIE IST UND WÜRDEN SIE SCHÜTZEN!“ Kind beim Malworkshop

Auen, dunkelgrüne Wälder, Burgen, Schlösser und Brücken und die bedrohte Artenvielfalt der Donau: Fische, Schmetterlinge, Pflanzen, Vögel. In drei Jahren intensiver Arbeit hat Ana Tudor ihr Bild der Donau auf Leinwand gebannt. „Als wir das erste Mal bei Ana in Sonta waren und sie die großen Rollen Leinwand auspackte, da haben wir sofort gespürt, auf welche direkte Art sie die Schönheit und die Kostbarkeit dieser Natur darstellt“, sagt Mario Kümmel. „Und wir wussten: Dieses Bild muss der Mittelpunkt eines Kulturprojektes werden.“

VIEL ZUSTIMMUNG UND BEGEISTERUNG Bei der Recherche nach einem passenden Förderprogramm erfuhr die AWP von Perspektive Donau: Bildung, Kultur und Zivilgesellschaft der Baden-Württemberg Stiftung – und bewarb sich umgehend. Nach der Zusage der Stiftung, das Projekt mit 42.000 Euro zu fördern, begannen für die Umweltschützer arbeitsreiche acht Monate. Der Verein plante, mit dem Bild eine Tour entlang der Donau von der Quelle bis zur Mündung zu machen und in vierzehn Städten Partner zu finden, mit denen lokale Veranstaltungen auf die Beine gestellt werden sollten. „Es war schon ein ziemlicher Kraftakt, ein Projekt in der Größenordnung zu stemmen“, sagt Mario Kümmel. „Wir haben mit unglaublich vielen Akteuren gesprochen und von Anfang an ganz viel Zustimmung und Begeisterung erlebt.“ Im Juli 2018 war es soweit: In Donaueschingen startete die Wanderausstellung

artofdanube im Juli 2018. Jenem Ort, in dem

im Fürstlich Fürstenbergischen Schlosspark der Donaubach entspringt, um nach 100 Metern unterirdischen Laufs in die Brigach zu münden, die sich fast anderthalb Kilometer weiter mit der Breg zur Donau vereinigt. Von hier aus ging es über Ulm, Regensburg, Passau, Wien, Bratislava, Budapest, Vukovar, Belgrad, Vidin, Tutrakan, Braila, Galati nach Sulina, wo die Donau ins Schwarze Meer fließt.

GEFÄHRDUNG IST OFT NICHT BEWUSST Fünf Wochen lang schmückte Anas tausend Meter langes Bild Promenaden, Plätze, Brücken, Fassaden. Unzählige weitere Aktionen rankten sich um die Ausstellung: etwa Malworkshops, Vorträge, Live-Musik, Filmvorführungen, die Auswilderung junger Störe. „Unser Ziel war es, über die Kunst diejenigen zu erreichen, die sich von einer klassischen Umweltkampagne eher nicht ansprechen lassen“, sagt der Projektleiter. Immer wieder habe er Rückmeldungen von Menschen erhalten, denen die tatsächliche Gefährdung vieler Arten im Donauraum nicht richtig bewusst gewesen sei. Im Gedächtnis haften geblieben ist Mario Kümmel die Aussage eines Kindes bei einem Mal-Workshop. „Der vielleicht sieben Jahre alte Junge sagte: Wenn mehr Menschen die Donau malen würden, wüssten sie, wie schön sie ist und würden sie schützen! Das ist im Grunde die Essenz dessen, was wir erreichen wollten.“

WWW.ARTOFDANUBE.ORG


Das l채ngste Donaubild der Welt machte unter anderem Station in Belgrad.

BEREICH

PROGRAMM

Bildung

Perspektive Donau

Vidin

Belgrad

Bratislava

Auch in Vidin erinnerte das Kunstprojekt an die Verletzlichkeit des Flusses.

Das Donaubild reiste von der Quelle im Schwarzwald bis ans Schwarze Meer. Bei ihrer Reise flussabw채rts machte die Ausstellung in 13 St채dten verschiedener L채nder Halt.

119


PROGRAMM

JAHRESBERICHT

Expedition N

2018

Baden-Württemberg Stiftung

EXPEDITION N ZIEHT BILANZ Expedition N

Acht Jahre lang war die mobile Informations- und Bildungsinitiative Expedition N – Nachhaltigkeit für Baden-Württemberg mit einem Ausstellungsfahrzeug unterwegs, um über Nachhaltigkeit zu informieren und zum Dialog einzuladen. Im September feierte das Programm der Baden-Württemberg Stiftung in Nürtingen Abschluss – mit einer beeindruckenden Bilanz.

Laufzeit:

2010 2018

„MIT DER EXPEDITION N HABEN WIR 2010 ALS ERSTE INSTITUTION DEN BEGRIFF NACHHALTIGKEIT FÜR DIE BREITE BE VÖLKERUNG ERLEBBAR GEMACHT, INSBESONDERE FÜR SCHÜLERINNEN UND SCHÜLER.“ Christoph Dahl, Geschäftsführer der Baden-Württemberg Stiftung

Die Initiative wurde 2011, 2012 und 2013 vom Rat für Nachhaltige Entwicklung mit dem Qualitätssiegel „Werkstatt N“ und 2011 von der Initiative „Deutschland – Land der Ideen“ als „Ausgewählter Ort“ ausgezeichnet.

Besucher gesamt:

> 700.000

Bildung

Einsatztage:

1.700

Anzahl der Schüler, die im Expeditionsmobil experimentiert haben:

> 14.000 Standorte:

> 550 120

Anzahl der Jugendlichen und Erwachsenen, die sich die Vorträge des Teams der Expedition N anhörten:

~ 25.000


BEREICH

Bildung

GRENZENLOS KOMPAKTMELDUNG

WISSENS AUSTAUSCH IN EUROPA Walter-Hallstein-Programm im Baden-Württemberg-STIPENDIUM

Das Walter-Hallstein-Programm im BadenWürttemberg-STIPENDIUM unterstützt Städte, Gemeinden und weitere Akteure aus der baden-württembergischen Verwaltung bei der Umsetzung gemeinsamer Projekte mit Verwaltungen im europäischen Ausland. In 2018 gingen drei Projekte an den Start, die die Stiftung mit insgesamt rund 82.000 Euro finanziert. Mit dabei sind die Gemeinde Oberderdingen im Landkreis Karlsruhe und die Gemeinde Heinfels in Osttirol. Das Projekt fokussiert den Austausch der Auszu-

bildenden in Form von gegenseitigen Besuchen und Hospitationen. Noch bis Oktober 2020 können die zukünftigen Verwaltungsfachkräfte die Strukturen der österreichischen Kollegen kennenlernen. Die beiden anderen Projekte beschäftigen sich mit der grenzüberschreitenden Digitalisierung in Europa. Bei „Building Bridges to Digitization. Austausch von Good Practice.“ kooperieren ITEOS aus Stuttgart, eine Kommune in Schweden und ein Projekt in Dänemark, um skandinavische Leuchtturmprojekte öffentlicher Verwaltungen kennenzulernen und nach Baden-Württemberg zu importieren. Die Metropolregion Rhein-Neckar GmbH beschäftigt sich gemeinsam mit deutschen und französischen Akteuren am Oberrhein mit der intelligenten Vernetzung der Grenzregion im Bereich Digitalisierung und E-Government. Das Projekt läuft noch bis Dezember 2020.

KOMPAKTMELDUNG

SICHERHEIT FÜR VER FOLGTE WISSEN SCHAFTLER Baden-Württemberg Fonds für verfolgte Wissenschaftler

Weltweite Konflikte und die dramatisch zunehmende Verfolgung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern haben die Baden-Württemberg Stiftung dazu veranlasst, ein spezielles Förderprogramm aufzulegen. Gemeinsam mit der Max-Jarecki-Stiftung unterstützt die Baden-Württemberg Stiftung verfolgte sowie durch Krieg bedrohte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, damit sie ihre akademische Arbeit in einer sicheren Umgebung fortsetzen

können. Der Fall eines türkischen Professors, der in seinem Land Opfer von Säuberungsaktionen, Denunziationen, Verrat und Misstrauen wurde, steht nur für eines von vielen Schicksalen. Dem türkischen Professor gelang in letzter Minute die Flucht vor dem eigenen Staat und er kam in einer deutschen Asylunterkunft unter. Mit Hilfe des Baden-Württemberg Fonds für verfolgte Wissenschaftler konnte er schnell in Deutschland Fuß fassen und akademischen Anschluss finden. Insgesamt zehn weitere Personen wurden seit Start des Programms im Frühjahr 2017 mit dem Stipendienprogramm unterstützt. Die Initiative wird gemeinsam mit dem Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg umgesetzt. Die Stiftung kooperiert dabei außerdem mit dem Institute of International Education (IIE), das mit dem Scholar Rescue Fund seit mehr als zehn Jahren verfolgten Forscherinnen und Forschern weltweit hilft. Das Programm ist mit einer Million Euro ausgestattet.

KOMPAKT KOMPAKTMELDUNG

DISKURS ÜBER NACH HALTIGE MOBILITÄT Mobiles Baden-Württemberg

Im Herbst 2015 hat die Baden-Württemberg Stiftung auf Initiative des BUND Baden-Würt-

temberg die Studie Mobiles Baden-Württemberg – Wege der Transformation zu einer nachhaltigen Mobilität beauftragt und im November 2017 der Öffentlichkeit präsentiert. Wie kann eine nachhaltige Entwicklung der Mobilität in Baden-Württemberg gelingen, die neben den ökologischen Zielen auch eine nachhaltige Transformation der Mobilitätswirtschaft erreicht? Das war die zentrale Fragestellung der Untersuchung. Auf der begleitenden Fachtagung am 26. Juni 2018 im Mannheimer Technoseum wurden die Studienergebnisse ausführlich diskutiert. In Vorträgen und Podiumsdiskussionen behandelten Experten Themen wie Nachhaltigkeit, Klimaschutz, neue Mobilitätsprodukte, Veränderungen der Märkte sowie Handlungsempfehlungen für die Politik, um den Mobilitätsstandort weiterhin zukunftsfähig und innovativ zu gestalten. Die Baden-Württemberg Stiftung ist seit 2018 durch die Teilnahme an Arbeitsgruppen in den Themenfeldern „Gesellschaft und Mobilität“ und „Verkehrslösungen“ am Strategiedialog Automobilwirtschaft beteiligt. Dadurch leistet die Studie Mobiles Baden-Württemberg auch einen Beitrag zur institutionalisierten Zusammenarbeit der baden-württembergischen Landesregierung mit Wirtschaft, Wissenschaft, Arbeitnehmerverbänden, Verbraucherorganisationen, Umweltverbänden und Zivilgesellschaft und stärkt den Diskurs über nachhaltige Mobilität. Weitere Informationen zum Programm stehen auf der Website bereit:

WWW.MOBILES BW.DE 121


JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

PROFIL

Gesellschaft & Kultur

Baden-Württemberg ist vielfältig und bietet Menschen aus aller Welt ein Zuhause. Um allen ein friedliches und zufriedenes Leben zu ermöglichen, setzen wir uns insbesondere für diejenigen ein, die Unterstützung benötigen. In unseren Projekten begegnen sich die Beteiligten mit Respekt und Toleranz und gehen kreative Wege, um eine starke Gemeinschaft zu bilden – seien es Kinder, Familien, Senioren, Menschen mit Migrationshintergrund oder Menschen mit Behinderungen.

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3

Gesellschaft und Kultur 123


JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

Gesellschaft & Kultur

3 INHALT Der Wert der Demokratie Drei Fragen an Lothar Frick Die Stimmen junger Menschen Interview mit Katja Fritsche Drei Fragen an Ralf Fücks Keine Macht dem Mobbing! Aha-Effekt an Deck

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Alle in einem Boot Geballte Kreativität Die Lizenz zum Leben Retten Zukunft ist, was DU draus machst! Wer will fleißige Handwerker sehen? Die schönsten Seiten des Sommers

140 142 143 143 144 145


BEREICH

Gesellschaft & Kultur

PROGRAMM

Läuft bei Dir!

DER WERT DER DEMO KRATIE

Läuft bei Dir!

Viele Jugendliche wissen kaum etwas über die Werte, auf denen unsere Demokratie beruht. In den Lehrplänen berufsbildender Schulen findet das für den Zusammenhalt der Gesellschaft so wichtige Thema bislang nur wenig Platz. Mit dem Projekt Läuft bei Dir! Werte. Wissen. Weiterkommen. möchte die Baden-Württemberg Stiftung das ändern. 125


JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

Gesellschaft & Kultur

Was Zusammenhalt und Unterstützung bedeuten, lernen die Teilnehmer im Demokratietrainingsprogramm.

ACTION MIT AHA-EFFEKT

„WENN DIE POLITISCHE BILDUNG VERSTÄRKT JUGENDLICHE ERREICHEN MÖCHTE, BESTEHT IN BERUFLICHEN SCHULEN EINE GUTE GELEGENHEIT.“ Prof. Dr. Anja Besand

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unge Männer irren durch das Schulgebäude. Einer von ihnen humpelt, ein anderer hält sich benommen den Kopf und stöhnt vor Schmerz. Ein dritter ist offenbar blind und muss von einem Begleiter am Arm geführt werden. Was aussieht wie das Szenario nach einem schweren Unglück, ist in Wirklichkeit ein pfiffiges Spiel – mit einem beträchtlichen Lerneffekt für die Teilnehmer. Das Spiel soll den Jugendlichen, die ihre Verletzungen und körperlichen Beeinträchtigungen simulieren, zeigen: Bei einer Katastrophe wie der hier dargestellten Notlandung eines Flugzeugs, kommt es darauf an, zusammenzustehen und sich gegenseitig nach Kräften zu helfen. Bei dem, der das versteht – so das Ziel der Übung – kann die Einsicht reifen: Das ist der Kern einer Gesellschaft. Damit sie funktionieren kann, sind Engagement und Einstehen jedes Einzelnen für die anderen Mitglieder der Gemeinschaft gefragt.

Das Spiel, das den jungen Männern nicht nur Action bringt, sondern auch viel Einfühlungsvermögen abverlangt, ist Bestandteil eines sogenannten Demokratietrainings. Das findet in der geschilderten Szene an der Gewerblichen Schule in Schwäbisch Hall statt – und in ähnlicher Form an Dutzenden anderen beruflichen Bildungseinrichtungen und in Ausbildungsbetrieben im ganzen Land. Es ist ein zentraler Baustein des Projekts Läuft bei Dir! Werte. Wissen. Weiterkommen., das die Baden-Württemberg Stiftung gemeinsam mit der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg (LpB) und der Tübinger Stiftung Weltethos ausrichtet. Im Fokus des Projekts, das im August 2018 startete und bis Juli 2020 laufen wird, stehen Auszubildende ab dem ersten Lehrjahr sowie Schülerinnen und Schüler in Übergangsmaßnahmen zur Vorbereitung auf eine Berufsausbildung. Ziel ist es, den jungen Menschen am Übergang zwischen Schule und Beruf die Werte der Demokratie zu vermitteln und deren Bedeutung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt nahezubringen.

EINE LÜCKE IN DER POLITISCHEN BILDUNG Wie groß der Bedarf ist, belegen Zahlen aus dem Geschäftsbericht der LpB: 2017 fanden an den baden-württembergischen Gymnasien 326 Veranstaltungen zur politischen Bildung statt – an den Berufsschulen im Land aber nur 77. Dabei gibt es in Baden-Württemberg rund 425.000 Schülerinnen und Schüler an beruflichen Schulen – aber nur 300.000 Gymnasiasten. Kein Wunder, dass bei vielen Auszubildenden enorme Lücken im Wissen um das Wesen und die tragenden Säulen des demokratischen Gemeinwesens klaffen. Eine Studie der Sozialwissenschaftlerin Professorin Dr. Anja Besand von der Technischen Universität Dresden aus dem Jahr 2014 belegt das – und attestiert die größten Defizite bei Schülerinnen und Schülern im Berufsgrundschul- oder Berufsvorbereitungsjahr. Die Folge der mangelnden Kenntnisse kann bei den Jugendlichen nicht nur allgemeine Politikverdrossenheit sein. „Auch Rechtsextremismus ist kein unerhebliches Problem an beruflichen Schulen“, stellt Prof. Dr. Besand in der Studie fest: „In jeder deutschen Berufsschulklasse sitzen schätzungsweise mindestens zwei Jugendliche mit rechtsextremem Hintergrund.“ Doch die Professorin für die Didaktik der politischen Bildung sieht auch


Chancen: Gerade der Status als Azubi, die erreichte oder bevorstehende Volljährigkeit und die neue Selbstständigkeit schärfen die Sinne der Berufsschüler für politische Fragen – beispielsweise zum Wahlrecht, zu Rechten und Pflichten in der ersten eigenen Wohnung oder zur Mitbestimmung im Ausbildungsbetrieb. „Wenn die politische Bildung verstärkt Jugendliche erreichen möchte, besteht in beruflichen Schulen eine gute Gelegenheit“, sagt die Forscherin.

EIN KONZEPT AUF DREI PFEILERN Die Baden-Württemberg Stiftung hat diese Zusammenhänge erkannt – und mit Läuft bei Dir! einen Ansatz entwickelt, der jungen Menschen unaufdringlich – ohne erhobenen Zeigefinger, dafür mit viel Spaß für die Werte, auf denen die Demokratie beruht, interessieren kann. Das Projekt ist Teil des Aktionsprogramms Demokratie. Sein Konzept ruht auf drei Pfeilern:

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Die meiste Zeit verbringen die Jugendlichen beim Demokratietraining. Es setzt sich aus drei Seminarblöcken zusammen, die je zwei Tage dauern und innerhalb eines halben Jahres zu absolvieren sind. Die Themen orientieren sich an der aktuellen Lebenssituation der Auszubildenden und angehenden Berufsschüler: Arbeitswelt und berufliche Ziele, die eigene Wohnung und die Situation am Wohnungsmarkt. Zudem geht es natürlich um das Funktionieren einer demokratischen Gesellschaft sowie darum, wie das Verhalten jedes Einzelnen auf die Gemeinschaft ausstrahlt. Jeder hat die Möglichkeit, die Gesellschaft fester zusammenzuschmieden oder zu spalten: Das ist eine der Kernaussagen. Vor allem dieses Thema ist für viele Teilnehmer des Azubitrainings Läuft bei Dir! abstrakt und schwierig. Doch durch gemein-

sames Nachdenken, offene Gespräche und tiefgründige Spiele, wie die simulierte Bruchlandung, lassen sich die Schwierigkeiten bei den Jugendlichen gut überwinden. Dazu tragen nicht zuletzt die Trainerinnen und Trainer bei, die die Teilnehmer in den Seminaren begleiten. Es sind speziell geschulte freie Mitarbeiter der LpB – bei dem Training in Schwäbisch Hall etwa zwei Studentinnen der Soziologie beziehungsweise Politikwissenschaft aus Freiburg und Tübingen. Sie unterstützen die Berufsschüler auch bei beim krönenden Abschluss des Kurses: einer gemeinsamen Aktion in der Öffentlichkeit, bei der die jungen Menschen präsentieren können, was ihnen im Zusammenhang mit dem Thema Demokratie besonders am Herzen liegt.

ein Lerntagebuch, das die Jugendlichen eigenständig führen und das sie auch im Unterricht verwenden können. Das Tagebuch „Du bist dran“ fördert die Kreativität der Schülerinnen und Schüler und ihre Fähigkeit, das eigene Handeln kritisch zu reflektieren. ein Trainingsmodul zum Demokratieverständnis. Die Schülerinnen und Schüler erarbeiten in einer Gruppe von 15 bis 20 jungen Leuten Grundwissen über die werteorientierte Demokratie. Das setzen sie in kleineren lokalen Projekten um – unterstützt von zwei erfahrenen Coaches. ein medienpädagogischer Escape Room. Dort geht es darum, innerhalb einer bestimmten Zeit spielerisch eine Aufgabe zu lösen. Sie besteht aus mehreren Teilen, die sich am besten im Team bewältigen lassen. Erst, wenn die Nuss geknackt ist, „entkommt“ die Gruppe aus dem Raum.

DAS ZIEL: 600 TEILNEHMER AM AZUBITRAINING Die Initiatoren haben das Projekt der Öffentlichkeit im September 2018 vorgestellt. Seitdem können es Berufsschulen, Handelsund Gewerbevereine, kleine und mittelständische Unternehmen sowie Träger von Übergangsmaßnahmen kostenfrei buchen. Um die Zusammenstellung von Seminargruppen, geeignete Termine und Räume brauchen sie sich nicht zu kümmern. Ziel ist es, dass innerhalb der zweijährigen Laufzeit mindestens 600 Jugendliche am Azubitraining teilnehmen. Besonders groß ist das Interesse am Escape Room. Ihn werden bis Anfang 2020 rund 400 Schulklassen genutzt haben – mit insgesamt rund 10.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Für das erste Schuljahr 2018/2019 war das mobile Modul bereits kurz nach Projektstart ausgebucht.

PROGRAMM

Läuft bei Dir!

Christoph Dahl

Gesellschaft & Kultur

„SO WERDEN TATKRÄFTIGE UNTERSTÜTZUNG FÜR ANDERE UND EINSATZ FÜR DIE GESELLSCHAFT UND IHRE WERTE FÜR DIE JUGENDLICHEN SELBSTVERSTÄNDLICH.“

BEREICH

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JAHRESBERICHT

2018

Die Studentinnen vermitteln den jungen Erwachsenen Kenntnisse, die wichtig für ihren weiteren Lebensweg sind.

Baden-Württemberg Stiftung

Gesellschaft & Kultur

Gemeinsam mit den beiden Coaches erarbeiten die Jugendlichen ein Verständnis dafür, was Gesellschaft bedeutet.

Das Lerntagebuch „Du bist dran“ enthält Aufgaben, die das Selbstbewusstsein der jungen Menschen stärken und zum Nachdenken anregen.

Die jungen Frauen Anna-Maria Langer (links) und Lisa Großmann (rechts) von der LpB stellen den angehenden Azubis etliche schwierige Fragen: Was ist die Gesellschaft und was hält eine Gesellschaft zusammen?

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BEREICH

Die Spieler müssen genau hinschauen, um dem Hacker das Handwerk zu legen und die Identität der Zielperson zu entschlüsseln.

Gesellschaft & Kultur

PROGRAMM

Läuft bei Dir!

HACKERN DAS HANDWERK LEGEN Der Escape Room schafft ein spielerisches Gruppenerlebnis für die Jugendlichen unter dem Motto „Hacker Attack“. Bei der kniffeligen Rätselaufgabe plant ein Hacker einen Angriff auf eine öffentliche Person im Netz – doch wer zur Zielscheibe des Daten-Bösewichts werden soll, ist unbekannt. Es könnte eine bekannte Sportlerin sein, ein Politiker, ein Journalist oder ein YouTuber. Die Mission der Spieler ist es, das durch zielstrebiges Nachforschen und cleveres Zusammenfügen von Informationen herauszufinden – und so schließlich den Hacker dingfest zu machen, um ihm noch rechtzeitig vor dem OnlineAngriff das Handwerk zu legen. Nebenbei lernen die Schülerinnen und Schüler viel über einen verantwortungsvollen Umgang im World Wide Web: Welche Interessen verbergen sich hinter kommerziellen Angeboten im Internet? Wie lassen sich persönliche Daten sicher schützen? Wie kann man durch kritisches Prüfen von Quellen zuverlässige Nachrichten von Fake News unterscheiden? Vor allem aber machen sie bei der gemeinsamen Jagd auf den Hacker die Erfahrung, dass sie die brisante Aufgabe nur durch Kooperation schnell genug lösen. Eine Erkenntnis, die sich leicht auf das Zusammenwirken von Menschen und Institutionen im demokratischen Gemeinwesen übertragen lässt. Und die das Gefühl der Zusammengehörigkeit stärkt. „So werden tatkräftige Unterstützung für andere und Einsatz für die Gesellschaft und ihre Werte für die Jugendlichen selbstverständlich“, ist Christoph Dahl überzeugt, der Geschäftsführer der Baden-Württemberg Stiftung. Und auf diesen Einsatz füreinander können die jungen Menschen nicht nur beim Rollenspiel auf den Gängen des Schulhauses bauen, sondern überall und Tag für Tag. Mehr Infos und die Möglichkeit zum Buchen von Escape Room und Demokratietraining unter:

WWW.LÄUFT BEI DIR.DE

Herzstück des Escape Rooms ist ein Hacker-Terminal, an dem mehrere Bildschirme und Schalter angeschlossen sind. 45 Minuten hat das Ermittlerteam Zeit, das Rätsel zu lösen.

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JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

Gesellschaft & Kultur

DREI FRAGEN AN LOTHAR FRICK

„DEMOKRATIE IST KEINE SELBSTVERSTÄNDLICHKEIT. SIE MUSS VERMITTELT UND GELERNT WERDEN.“ Läuft bei Dir!

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BEREICH

PROGRAMM

Gesellschaft & Kultur

Läuft bei Dir!

DREI FRAGEN AN LOTHAR FRICK Lothar Frick ist Politikwissenschaftler und seit 2004 Direktor der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg.

WIE ENTSTAND DIE IDEE ZU DIESEM PROGRAMM? LF — Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit, das zeigen aktuelle gesellschaftspolitische Entwicklungen deutlicher denn je. Sie muss vermittelt und gelernt werden – nicht nur theoretisch, sondern auch ganz konkret. Das Programm Läuft bei Dir! regt gezielt zur praktischen Auseinandersetzung mit Demokratie an und ermuntert zu demokratischem Denken und Handeln.

WELCHES FEEDBACK ERHALTEN SIE VON TEILNEHMENDEN? LF — Unsere Angebote für Jugendliche

sind didaktisch und methodisch vielfältig. Dadurch gelingt es uns recht gut, auch skeptische Jugendliche am Ende für unsere Formate zu gewinnen. Gleichzeitig erfahren wir eine große Nachfrage bei Fachkräften, die mit Jugendlichen in dieser Lebensphase arbeiten. Pädagoginnen und Pädagogen aus der schulischen und außerschulischen Berufsvorbereitung leisten wichtige Arbeit bei der Entwicklung demokratischer Werte. Dort gibt es bislang aber wenig Unterstützungsangebote zur politischen Bildung. Diese Lücke möchten wir schließen. Das trifft auf eine große Resonanz – viele Fachkräfte haben lange händeringend nach solchen Angeboten gesucht.

Lothar Frick

WAS KANN EIN PROGRAMM WIE DIESES BEWIRKEN? LF — Die Lebensphase vieler der Jugend-

lichen unserer Zielgruppe ist geprägt von erschwerten Zugangschancen und Brüchen in der Biografie. Das bietet den Nährboden für Zukunftsängste, Skepsis gegenüber dem politischen System und somit die Gefahr einer gesellschaftlichen Entkoppelung. Dem setzen wir werteorientierte Demokratiebildung entgegen – als persönliche Ansprache. Läuft bei Dir! zeigt Aspekte des gesellschaftlichen Zusammenlebens auf und ermöglicht jungen Erwachsenen Erfahrungen von Selbstwirksamkeit, Kooperation und Empathie.

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SCHREIBWETTBEWERB

JAHRESBERICHT

(W)Orte der Demokratie

DIE STIMMEN JUNGER MENSCHEN (W)Orte der Demokratie

Was bedeuten Demokratie und Werte für junge Menschen? Ein Schreibwettbewerb lud dazu ein, (W)Orte der Demokratie zu formulieren.

Gesellschaft & Kultur

Es sind die ganz großen Worte: Toleranz, Frei-

heit, Gerechtigkeit, Mut, Verantwortung … Was denken junge Menschen über die Werte der Demokratie? Wie beschreiben und verorten sie diese Werte? Ein Schreibwettbewerb der Stiftung Kinderland Baden-Württemberg hatte im vergangenen Jahr 14- bis 19-jährige Jugendliche dazu eingeladen, sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen. Entstanden ist eine Essay-Sammlung, die dem Leser einen authentischen Blick in die Gedankenwelt junger Menschen vermittelt: (W)Orte der Demokratie umfasst 20 der Arbeiten, die zum Wettbewerb eingereicht wurden. Sie zeichnen sich durch ihre Vielgestaltigkeit aus: Manche nähern sich dem Thema durch die Reflexion einzelner Begriffe, manche erzählen von Begegnungen mit Menschen oder Büchern, andere schildern alltägliche oder erfundene Orte. Die Stiftung Kinderland ehrte die jungen Autorinnen und Autoren mit einer Preisverleihung im Rahmen der 35. Baden-Württembergischen Literaturtage in Ludwigsburg. Dort wurde die Veröffentlichung der 20 besten Essays in einer Buchpublikation gefeiert und die Nachwuchsautoren erhielten eine Urkunde. Eine Jury verlieh außerdem Sonderpreise an die beiden Gymnasiastinnen Lisa Endmeir und Angelina Schülke. Dr. Marianne Schultz-Hector, ehemalige baden-württembergische Kultusministerin, hat den Schreibwettbewerb der Stiftung Kinderland initiiert. Sie sagt: „In einer Demokratie kommt es darauf an, dass Einzelne ihre Stimme finden. Die eingereichten Arbeiten haben sehr eindrücklich gezeigt, dass junge Menschen klug und differenziert über die Demokratie und ihre Werte denken und sprechen.“

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2018

Baden-Württemberg Stiftung

Angelina Schülke

AS — Über einen Essay wusste ich, dass es eine freie Textsorte ist und ziemlich anspruchsvoll. In der Schule kam es nur ganz am Rand mal vor, und ich war unsicher, ob ich das überhaupt kann. Ich habe mich dann einfach von den verschiedenen Werten in der Ausschreibung inspirieren lassen. Freiheit – die hat mich am meisten angesprochen. Beim Schreiben habe ich gemerkt, wie groß sie als Thema ist und wie wichtig Freiheit für mich persönlich ist.

„MEINE GEDANKEN WIRKEN“

Angelina Schülke, 15 Jahre, lebt gemeinsam mit ihren Eltern, ihrem jüngeren Bruder und den Großeltern im hohenlohischen Niederstetten. Sie liest gerne die Bücher von Cornelia Funke.

Die Auszeichnung hat mich darin bestärkt, mehr zu schreiben. Meine Gedanken wirken, auch auf andere Menschen – das macht mir Mut. Im Moment ist Identität ein Thema, auf das ich neugierig bin und das ich in einem Essay bearbeiten möchte. Ich schreibe auch fiktional, Kurzgeschichten zum Beispiel. Zuletzt habe ich eine über jemanden verfasst, der versucht, immer perfekt zu sein. Er lernt dann, dass es die kleinen Makel sind, die einen ausmachen. Außerdem sammle ich seit einiger Zeit Ideen für Gedichte. Wenn ich durch die Gegend laufe oder Menschen beobachte, dann ist das oft mit dem Bedürfnis verbunden, aufzuschreiben, was ich sehe und denke. Es ist ein gutes Gefühl, sich in die Köpfe anderer hineinzudenken und Fäden miteinander zu verweben. Auch das ist eine Form von Freiheit.

Lisa Endmeir

Lisa Endmeir ist 16 Jahre jung. Sie lebt mit ihren Eltern in Stuttgart-Nord und hat einen älteren Halbbruder. Ihr liebster Schriftsteller ist Markus Zusak.

LE — Den Text für den Wettbewerb habe ich zu Beginn der Sommerferien im vergangenen Jahr geschrieben. Ich habe nicht lange nachgedacht, und nach einer Stunde war er fast fertig. Meine Eltern durften ihn lesen und dann habe ich noch Kleinigkeiten geändert. Ich hätte nie damit gerechnet, dass ich einen Preis gewinne. In meinem Kopf waren eher so Gedanken wie: das wird eh nichts … warum sollte ich überhaupt mitmachen. Als ich dann auf der Bühne stand und vor den vielen Menschen geredet habe, war das ein wunderbares Erlebnis und eine große Ehre. Der Preis hat mir die Gewissheit gegeben, dass mir das Schreiben liegt. Ich war dann noch zwei Wochen an der Kulturakademie der Stiftung Kinderland, zusammen mit 18 anderen jungen Schreiberlingen. Es war toll, sich über Bücher auszutauschen und von Autoren wertvolle Tipps fürs Schreiben zu bekommen. Diese Zeit hat mich sehr beflügelt.

„EINE GROSSE EHRE“ Über die Demokratie denke ich seit dem Wettbewerb häufiger nach. Sie ist nicht perfekt, aber das ist auch keine andere Staatsform. Aus der Demokratie können die meisten Menschen einen großen Nutzen ziehen und sie können mitentscheiden. Ich finde, dass jeder Einzelne von uns Verantwortung für sie hat. Die Essay-Sammlung (W)Orte der Demokratie finden Sie unter:

W W W.BWSTIFTUNG.DE/ PUBLIKATIONEN


BEREICH

Gesellschaft & Kultur

PROJEKTE

zugunsten jugendlicher Straftäter

INTERVIEW MIT KATJA FRITSCHE

„ERZIEHEN STATT STRAFEN“ Projekte zugunsten jugendlicher Straftäter

In der größten Strafanstalt für junge Männer im baden-württembergischen Adelsheim läuft eine Vielzahl an Projekten, die für einen Knast eher ungewöhnlich sind. Strafvollzug in Wohngruppen, Theater hinter Gittern, tiergestützte Pädagogik, um nur einige zu nennen. Die Baden-Württemberg Stiftung unterstützt seit einigen Jahren Projekte, die neue Wege im Jugendvollzug erproben. Anstaltsleiterin Katja Fritsche erläutert, welche Aufgaben sie für die Zukunft des Jugendstrafvollzugs sieht.

WAS MUSS SICH IM JUGENDSTRAFVOLLZUG ÄNDERN? KF — Der Fokus liegt zu wenig auf Erzie-

hung und Förderung, zu sehr auf Sanktionen. Junge Menschen sollten nicht primär bestraft werden, sondern erzogen. So sieht es auch das Gesetz vor. Und das bedeutet, dass wir die Probleme jedes Einzelnen anschauen und gemeinsam daran arbeiten. Ob das fehlende Ausbildung ist, Drogenkonsum oder Traumatisierungen.

WAS BEDEUTET DAS KONKRET FÜR EINE ANSTALT WIE ADELSHEIM? KF — Wir haben ein Hafthaus, das E1, in

dem wir seit vier Jahren das Konzept der sogenannten fördernden Wohngruppe umsetzen. Wenn wir unseren kompletten Vollzug in solchen Wohngruppen organisieren wollten, dann bräuchten wir neue, kleinere Gebäude und eine bessere Betreuung. Im E1 ist ein Sozialarbeiter für zehn bis zwölf Inhaftierte zuständig, im Regelvollzug für 40 bis 50 Gefangene.

WIE WIRKT SICH DER VOLLZUG IN DER WOHNGRUPPE AUS? KF — In dem Haus ist die Atmosphäre

angenehmer, weniger angespannt. Die jungen Männer sind weniger gewaltbereit, motivierter in der Schule oder der Ausbildung, und sie gehen miteinander und mit dem Personal freundlicher um. Sie denken generell kritischer über sich nach. Für mich ist das eine ganz wertvolle Eigenschaft, weil sie damit Verantwortung für ihr Verhalten übernehmen.

KÖNNEN SIE DAS ERLÄUTERN? KF — Viele hier halten sich anfangs für

das Opfer falscher Umstände, falscher Freunde oder schlechter Bedingungen. Wir sagen ihnen: Ihr entscheidet euch jeden Tag neu, und für eure Entscheidungen ist niemand anderer verantwortlich als ihr selbst.

WISSEN SIE SCHON ETWAS ÜBER DIE RÜCKFALLQUOTE? KF — Nein, wir werden noch weitere Jahre Erfahrungen sammeln müssen, bis wir da zu verlässlichen Aussagen kommen. Aber klar ist, dass der Übergang vom Knast in das normale Leben heikel ist. Wenn einer in seine Clique zurückkehrt, ist er schnell wieder in alten Verhaltensmustern. Deshalb haben wir im E1 einen Integrationsbeauftragten eingestellt, der genau in dieser Zeit unterstützen soll.

IST ES EIN SPAGAT, IN EINER ANSTALT ZWEI ARTEN VON VOLLZUG ZU MANAGEN? KF — Klar, mancher schaut etwas argwöhnisch nach E 1. Deshalb war es zu Anfang wichtig,

transparent zu machen, dass es ein Pilotprojekt ist, mit dem wir diese Art des Vollzugs perspektivisch für ganz Adelsheim umsetzen wollen. Außerdem gibt es auch in unseren anderen Häusern neue Angebote: Opfer-Empathie-Trainings, Anti-Gewalt-Trainings, Theaterprojekte, Fitness- und Powertraining.

DAS HÖRT SICH NACH SPIELRAUM FÜR NEUES AN … KF — … wofür ich sehr dankbar bin.

Gleichzeitig sehe ich noch viel Luft nach oben. Über die neuen Projekte sind viele neue Menschen zu uns gekommen, und das ist für alle hier bereichernd.

MUSS JEMAND, DER IM JUGENDKNAST ARBEITET, BESONDERE FÄHIGKEITEN HABEN? KF — Auf jeden Fall. Hier braucht man

unendlich viel Geduld, Mut und Freude am Experimentieren. Ein dickes Fell und gute Antennen. Man muss die Impulsivität und die Defizite der jungen Männer aushalten und gleichzeitig empathisch sein.

BEREITET DIE AUSBILDUNG ANGEMESSEN DARAUF VOR? KF — Derzeit ist die Ausbildung für den

Erwachsenen- und Jugendvollzug identisch. Ich würde mir wünschen, dass Menschen, die im Jugendvollzug arbeiten wollen, ein zusätzliches halbes Jahr Qualifizierung erhalten. Um zu vertiefen, was Erziehung und Förderung konkret bedeuten. Außerdem wünsche ich mir für die Kollegen hier mehr Anerkennung.

WIE MEINEN SIE DAS? KF — Viele Mitarbeiter könnten außer-

halb des Gefängnisses in anderen Jobs mit weniger Druck arbeiten und gesünder alt werden. Stattdessen leisten sie hier, weitgehend unsichtbar für die Außenwelt, eine wertvolle und zutiefst zwischenmenschliche Arbeit.

WAS MOTIVIERT SIE PERSÖNLICH? KF — Wenn junge Menschen am Ende

ihrer Zeit in Adelsheim sagen: Ich durfte hier erfahren, wer ich wirklich bin, was ich kann und was mich ausmacht. Das ist toll. Sich selber zu erkennen, das geht eben nur mit Spielräumen. Deshalb bin ich auch für die Förderung durch die Baden-Württemberg Stiftung dankbar.

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P R O G R A M M Expertenkommission „Sicherheit im Wandel“

JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

DREI FRAGEN AN RALF FÜCKS

„WIR LEBEN IN EINER ZEIT, IN DER SICH ALLES VERÄNDERT. DAS FÜHRT ZU WACHSENDER VERUNSICHERUNG.“ FÜR DIE BADEN-WÜRTTEMBERG STIFTUNG BESCHÄFTIGEN SIE SICH MIT DEM PROJEKT „SICHERHEIT IM WANDEL – GESELLSCHAFTLICHER ZUSAMMENHALT IN ZEITEN STÜRMISCHER VERÄNDERUNG“. WORUM GEHT ES DABEI? RF — Wir wollen herausarbeiten, wie man

Ralf Fücks

Gesellschaft & Kultur

Expertenkommission „Sicherheit im Wandel“

Ralf Fücks ist geschäftsführender Gesellschafter des Zentrums Liberale Moderne in Berlin und Leiter der Expertenkommission „Sicherheit im Wandel“. Die Expertenkommission, die aus 14 Mitgliedern aus Politik, Bildung und Verbänden besteht, beschäftigt sich seit Januar 2018 mit der Frage, wie die Gesellschaft gegen die Veränderungen der digitalen Revolution, des Klimawandels oder der Migration widerstandsfähiger gemacht werden kann.

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das legitime Bedürfnis nach Sicherheit und Zugehörigkeit mit Weltoffenheit und liberalen Werten verbinden kann. Wir leben in einer Zeit, in der sich alles verändert. Das führt zu wachsender Verunsicherung – und das ist der Resonanzboden für Populisten aller Couleur.

ABER DER WANDEL IST DA, WO WOLLEN SIE ANSETZEN? R F — Wir müssen den Wandel so

gestalten, dass dabei nicht große Teile unserer Gesellschaft abgehängt werden und das Gefühl haben, nur noch Objekte eines Prozesses zu sein, den sie nicht mehr beeinflussen können. Der reale oder imaginierte Kontrollverlust spielt eine zentrale Rolle bei der Polarisierung, die wir gerade erleben.

DER GESELLSCHAFTLICHE WANDEL UMFASST VIELFÄLTIGE ENTWICKLUNGEN. WO WERDEN SIE DEN SCHWERPUNKT LEGEN? RF — Wir haben vier Themen definiert:

Erstens die klassische innere Sicherheit. Das umfasst die Sicherheit im öffentlichen Raum und die Auseinandersetzung mit politischem und religiösem Extremismus. Das zweite große Thema ist die Befähigung des Einzelnen, selbstbewusst mit Veränderungen umzugehen. Da geht es vor allem um das Thema Bildung und berufliche Qualifizierung. Das dritte Feld ist die Zukunft der sozialen Sicherung und Teilhabe. Taugt unser soziales Sicherheitssystem, das ja sehr stark auf Erwerbsarbeit ausgerichtet ist, auch für die Zukunft? Oder brauchen wir neue Formen sozialer Teilhabe? Viertens geht es um die Bedeutung öffentlicher Institutionen für die demokratische Republik. Dazu zählen Bildungs- und Kultureinrichtungen, der öffentliche Verkehr, aber auch Polizei und Justiz.

WWW.SICHERHEIT IMWANDEL.DE


BEREICH

KOMPAKT

Nach einer insgesamt zweijährigen Ausbildung hat die Realschule Waibstadt als erste Schule bundesweit das Olweus-Programm inklusive Zertifizierung absolviert und darf sich nun „Olweus-Schule“ nennen.

Die OlweusCoaches werden direkt durch das norwegische Team von Olweus International ausgebildet.

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Das von dem schwedischnorwegischen Professor für Entwicklungspsychologie Dan Olweus entwickelte „Olweus Bullying Prevention Program“ gilt international als bewährtes Konzept im Kampf gegen Gewalt und Ausgrenzung.

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ANTI-MOBBING

Gesellschaft & Kultur

Die Realschule Waibstadt erhielt am 20. Juni 2018 die Zertifizierung, die alle zwei Jahre erneuert werden muss.

Finanziert wird das Programm von der BadenWürttemberg Stiftung mit rund 610.000 Euro.

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Das Programm verläuft auf Schul-, Klassen- und Personenebene und wird von Olweus-Coaches begleitet.

Insgesamt 29 Schulen in Baden-Württemberg haben sich für das Olweus-Programm angemeldet.

KOMPAKTMELDUNG

KEINE MACHT DEM MOBBING! Aktionsprogramm Psychische Gesundheit von Jugendlichen

Die Realschule Waibstadt wurde als bundesweit erste Schule für ihre Teilnahme am Olweus Mobbing-Präventionsprogramm ausgezeichnet. Sie erhält diese Zertifizierung, weil sie das umfangreiche Programm mit der Olweus-Methode umgesetzt und in der Schule implementiert hat. Das Olweus Mobbing-Präventionsprogramm gilt als das einzige wissenschaftlich geprüfte Programm, das nachweisbare Effekte erzielt und von unabhängigen Experten empfohlen wird. Aktuell organisieren die Wissenschaftler der Kinder- und Jugendpsychiatrie des Universitätsklinikums Heidelberg das Präventionsprogramm für 19 Schulen in Baden-Württemberg und begleiten diese wissenschaftlich. Finanziert wird das Programm von der Baden-Württemberg Stiftung mit rund 610.000 Euro und ist Teil ihres Aktionsprogramms Psychische Gesundheit von Jugendlichen.

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JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

AHA EFFEKT AN DECK

Gesellschaft & Kultur

mikro makro mint

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BEREICH

Gesellschaft & Kultur

So viele begeisterte Zuschauer hat Dr. Martin Wessels selten, wenn er seiner Arbeit an Bord der „Kormoran“ nachgeht. Rund ein Dutzend Mädchen und Jungen scharen sich mit mehreren erwachsenen Begleitern um den Geologen, als er ein langes leeres Rohr aus Plexiglas, beschwert durch ein sogenanntes Fall-Lot, vom Schiff aus ins Wasser lässt – und einige Zeit später an einer langen Kette wieder herausholt. Proben aus dem Bodensee zu entnehmen, ist für den Wissenschaftler am Institut für Seenforschung in Langenargen alltägliche Routine. Womit das Rohr an diesem sonnigen Tag Ende Mai 2018 gefüllt ist, lässt die Jugendlichen staunen: Ablagerungen vom Grund des Sees. Rund 190 Meter tief war das Forschungsutensil gesunken – an eine der tiefsten Stellen des Sees, wo sich eine flussähnliche Rinne am Grund entlangschlängelt. Dort, erklärt der Wissenschaftler, schwemmte einst der aus den Alpen kommende Rhein seine schlammige und sandige Fracht in das Schwäbische Meer – besonders viel davon immer dann, wenn der Fluss Hochwasser führte. Die Spuren der Fluten lassen sich heute noch erkennen, wie Wessels anhand der Bodenprobe erläutert, die auf einem Tisch ausgebreitet ist: Ein streifenartiges Muster in dem Sediment vom Seegrund spiegelt die Hinterlassenschaften der Hochwasser wider – ein detaillierter Blick auf die viele Tausend Jahre zurückliegende Klimageschichte des Bodensees und der Berge an seinem Ufer.

EINEN TAG AUF FORSCHUNGSTOUR Die Teilnehmer der Fahrt mit dem Spezialschiff sind allesamt junge Forscherinnen und Forscher, die am Programm mikro makro mint der Baden-Württemberg Stiftung mitwirken. Zwei Wochen lang begleiteten sie während der Pfingstferien Wissenschaftler auf dem Bodensee und legten bei der Arbeit selbst mit Hand an – aufgeteilt in mehrere Gruppen, die je einen Tag lang mit den Profis auf Tour gingen. Für die erlebnisreiche Aktion steht seit mehreren Jahren die „Aldebaran“ bereit: ein einzigartiges Forschungs- und Medienschiff. Es gehört der privaten Deutschen Meeres-

mikro makro mint

stiftung, ist 14 Meter lang, mit dieselelektrischem Antrieb und einem großen Segel ausgerüstet. Die „Aldebaran“ verfügt sowohl über eine umfangreiche wissenschaftliche Ausstattung – etwa Mikroskope, Sammelgefäße und moderne Analysegeräte für pH-Wert, Salzgehalt oder elektrische Leitfähigkeit – als auch über ein modernes Ton- und Filmstudio. Stiftungsgründer und Kapitän Frank Schweikert hat die „Aldebaran“ für die beiden Wochen mit den Jugendlichen extra per Lkw von ihrem Heimathaften Hamburg an den Bodensee gebracht. Das wendige Segelschiff, das sonst küstennahe Meeresgewässer erforscht, wird an diesem warmen Frühsommertag von der deutlich größeren „Kormoran“ der Seenforscher aus Langenargen eskortiert.

BIZARRE LEBEWESEN UNTERM MIKROSKOP Nach der Lehrstunde über den Seegrund und dem, was er über längst vergangene Umweltereignisse verrät, nehmen sie noch die Flora und Fauna des Bodensees ins Visier. Gemeinsam mit dem Münchner Gewässerökologen Dr. Hannes Imhof holen die Mädchen und Jungen mit einem speziellen Kescher Proben aus dem See. So zieht Julia Kristo behutsam eine Ladung Wasser heraus – mitsamt den darin schwimmenden Mikroorganismen. Was die Schülerin vom Schulzentrum Rudersberg eingesammelt hat, wird nach Ankunft im Langenargener

Dr. Martin Wessels holt auf der „Kormoran“ eine Sedimentprobe aus der Tiefe. Der Wissenschaftler vom Institut für Seenforschung begleitete mit der „Kormoran“ die Expedition der Jugendlichen.

Die Schülerinnen und Schüler befühlen das Sediment mit ihren Fingern, das vom Grund des Bodensees heraufgeholt wurde.

Ein einmaliges Abenteuer erlebten junge Erfinderinnen und Erfinder beim Programm mikro makro mint auf dem Bodensee. Mit zwei Forschungsschiffen ging es für sie auf Entdeckungsfahrt – gemeinsam mit erfahrenen Wissenschaftlern.

PROGRAMM

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JAHRESBERICHT

2018

Gesellschaft & Kultur

Biologe und „Aldebaran“-Kapitän Frank Schweikert unterstützt die jungen Erfinder bei der Umsetzung ihrer Idee.

Baden-Württemberg Stiftung

Jachthafen unters Mikroskop gelegt. Die Bilder aus dem sonst unsichtbaren Mikrokosmos überträgt Hannes Imhof auf einen großen Bildschirm unter Deck der „Aldebaran“. Sie zeigen den Jugendlichen bizarre Lebewesen, die den Bodensee bevölkern – und die den Wissenschaftlern viel über seinen ökologischen Zustand verraten. Am Heck des inzwischen ankernden Schiffs lässt Leonard Prall ein selbstentwickeltes und -gebautes Solarboot zu Wasser. Der Einsatz des ungewöhnlichen, ferngesteuerten Schiffsmodells auf dem Bodensee ist ein Härtetest für die Erfindung des Sechstklässlers vom Welfen-Gymnasium in Ravensburg. Wie erfolgreich Projekte sein können, die junge Tüftlerinnen und Tüftler im Rahmen des Programms mikro makro mint vorantreiben,

belegen Marie-Charlotte Bonfiglio und Meike Wessel. Die beiden 15- und 16-jährigen Gymnasiastinnen aus dem südbadischen Schliengen haben einen neuartigen Waschmaschinenfilter entwickelt. Damit lassen sich feine Kunststofffasern, die sich beim Waschen aus Textilien lösen, sammeln, sodass sie nicht in die Umwelt gelangen. Die Erfindung ist inzwischen patentiert und auf dem Weg zum Produkt. Wie sie funktioniert, können die beiden pfiffigen Schülerinnen an Bord der „Aldebaran“ eindrucksvoll demonstrieren.

Aha-Effekt an Deck: Die graue Masse, die sich über viele Jahrzehnte im Bett eines Unterwasserflusses angesammelt hat, verrät eine Menge über die Geschichte des Bodensees.

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BEREICH

Gesellschaft & Kultur

PROGRAMM

mikro makro mint

TÜFTELN IM TEAM Kinder und Jugendliche für Mathematik, Informatik,

Naturwissenschaften

und

Technik zu begeistern – das ist das Ziel des Programms mikro makro mint. Schülergruppen ab Klassenstufe 5 aus Baden-Württemberg können sich mit einem MINT-Projekt bewerben. Durch das praktische Arbeiten in einer Projektgruppe erfahren sie, dass die Disziplinen alles andere als theoretisch und trocken sind. Ein besonderes Highlight erwartet ausgewählte Forscherteams am Bodensee: Während den Pfingstferien erkunden die Schülerinnen und Schüler mit dem Forschungsschiff „Aldebaran“ das Schwäbische Meer und arbeiten wie echte Wissenschaftler.

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JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

ALLE IN EINEM BOOT

DREI FRAGEN AN PROF. DR. DR. OLGA POLLATOS

Komm mit in das gesunde Boot

Eine Studie zeigt, wie wirkungsvoll das Gesundheitsförderprogramm Komm mit in das gesunde Boot ist.

Gesellschaft & Kultur

und Ernährung – und tragen so bei zum Erfolg des mittlerweile seit zwölf Jahren laufenden Programms Komm mit in das gesunde Boot. Wie erfolgreich das gesunde Boot ist, belegt eine landesweite Gesundheitsstudie, die mit Mädchen und Jungen aus dem Kindergarten durchgeführt wurde. Die Ergebnisse der 2018 vorgestellten Studie zeigen beispielsweise, dass Kinder, die am Programm teilgenommen haben, ausdauernder sind: Im Durchschnitt laufen sie in drei Minuten knapp 20 Meter weiter als Kinder einer Vergleichsgruppe. Zudem sind sie körperlich insgesamt aktiver, konsumieren weniger Softdrinks und ihr Body-Mass-Index sinkt. „Diese Ergebnisse bestärken uns in dem Ansatz des Programms: Kinder, Erzieher und Eltern gemeinsam anzusprechen. Sie sitzen sprichwörtlich alle in einem Boot“, sagt Christoph Dahl, Geschäftsführer der Baden-Württemberg Stiftung. Bis Ende 2018 hat die Stiftung in das Programm 18,75 Millionen Euro investiert; es wird mit den vorhandenen Mitteln auch künftig weitergeführt.

„MAHLZEITEN ZELEBRIEREN“ Prof. Dr. Dr. Olga Pollatos ist Leiterin der Abteilung für Klinische und Gesundheitspsychologie an der Universität Ulm und beteiligt am Gesundheitsförderprogramm Komm mit in das gesunde Boot.

WAS IST EIN SCHLÜSSEL FÜR DIE POSITIVEN ERGEBNISSE DES PROGRAMMS? OP — Das gesunde Boot ist so ausgerichtet,

dass die Kinder sich als selbstverantwortlich erleben. Sie erhalten Angebote und wählen aus, was sie gerne machen wollen. Das und die Freude, die bei allen Übungen und Materialien stets vermittelt wird, halte ich für Erfolgsfaktoren.

WIE KÖNNEN ELTERN IHREN KINDERN ZU HAUSE DIE BEDEUTUNG GESUNDER ERNÄHRUNG VERMITTELN? OP — Indem sie Mahlzeiten gemeinsam

zelebrieren, die Kinder ins Zubereiten einbinden, vielleicht zusammen im Garten oder im Hochbeet Gemüse anbauen. Eltern sollten die Kinder durchaus mitentscheiden

140

Prof. Dr. Dr. Olga Pollatos

Mehr als 100.000 Kinder im Alter von drei bis zehn Jahren kennen die Piratenkinder Finn und Fine. Die beiden Identifikationsfiguren vermitteln spielerisch die Themen Bewegung

lassen, was gekocht wird. Das alles sind Erfahrungen, die einem Frust- oder Stressessen vorbeugen.

WAS VERÄNDERN DIE DIGITALEN MEDIEN IN PUNCTO BEWEGUNG UND ERNÄHRUNG? OP — Sie absorbieren Zeit, die eben nicht

mehr für den Spielplatz oder die Tour durch den Wald zur Verfügung steht. Deshalb ist es wichtig, dass Familien sich immer wieder fragen: Wie können wir genug Bewegung ins Leben bringen? Muss ich mein Kind wirklich zum Freund fahren oder kann es den Weg auch mit dem Rad zurücklegen? Und am Esstisch hat ein Smartphone nichts zu suchen. Das hilft Großen wie Kleinen dabei, mit allen Sinnen zu essen. Wie schmeckt etwas, in welchem Tempo esse ich, wann bin ich satt? Das verlernen auch Erwachsene zunehmend.

WWW.GESUNDES BOOT.DE


BEREICH

Gesellschaft & Kultur

PROGRAMM

Komm mit in das gesunde Boot

DREI FRAGEN AN PROF. DR. DR. OLGA POLLATOS

„AM ESSTISCH HAT EIN SMARTPHONE NICHTS ZU SUCHEN.“

Komm mit in das gesunde Boot

141


JAHRESBERICHT

2018

Gesellschaft & Kultur

ZUKUNFTSIDEEN

Baden-Württemberg Stiftung

An der Akademie Schloss Rotenfels erhielten die Jugendlichen in Workshops Einblicke in die Grundlagen der Malerei und der Plastik.

GEBALLTE KREA TIVITÄT Kulturakademie der Stiftung Kinderland

Die Nachwuchsautoren gingen in Marbach und in Stuttgart ihrer Leidenschaft nach; Die Kreativschüler aus dem MINT-Bereich konnten bei faszinierenden Experimenten und eigenen Projekten Wissenschaft und Technik zum Anfassen erleben.

142

KOMPAKTMELDUNG

160 talentierte Schülerinnen und Schüler an acht renommierten Einrichtungen aus dem Bereich Kunst, Literatur, Musik und MINT – das ergibt geballte Kreativität, Innovation und Tüftelleidenschaft. Dafür steht die Kulturakademie. Mit dem Schuljahr 2018/2019 hat die Stiftung Kinderland ihr Erfolgskonzept erweitert: So konnten neben den 80 Schülerinnen und Schülern der Klassenstufe sechs bis acht erstmals 80 weitere Jugendliche der Klassen neun bis elf an diesem einmaligen Talentförderprogramm teilnehmen. In neuen Partnereinrichtungen vertieften die Nachwuchstalente ihre Begabungen und schauten den Expertinnen und Experten über die Schulter. Die Sparte Kunst wurde vom Schloss Rotenfels und vom ZKM in Karlsruhe betreut. Die Jugendlichen besuchten Workshops für Malerei, Skulptur und Installation oder befassten sich mit analoger und digitaler Medienkunst. Die Nac hw uc hsta lente i m Bereic h Literatur verbrachten die Kreativwoche entweder im Deutschen Literaturarchiv in Marbach oder am Literaturhaus Stuttgart. Das Angebot umfasste Schreibworkshops für Lyrik und Prosa sowie individuelle Beratung bei der künstlerischen Arbeit. Workshops in den Bereichen Improvisation, Ensemblearbeit oder Singen standen auf dem Plan der Hochschule für Musik in Karlsruhe und der Landesakademie für die musizierende Jugend in Ochsenhausen. Die kreativen Köpfe aus dem MINTBereich besuchten den Förderverein Science und Technologie in Teningen bei Freiburg oder die Universität Stuttgart und den Verein Deutscher Ingenieure (VDI) Stuttgart. Dabei absolvierten sie Workshops und Experimente, erhielten individuelle Beratung bei der experimentellen Arbeit und besuchten Forschungseinrichtungen und Unternehmen.


BEREICH

Gesellschaft & Kultur

KOMPAKTMELDUNG

KOMPAKT

KOMPAKTMELDUNG

ZUKUNFT IST, WAS DU DRAUS MACHST!

Bei der Zukunftsakademie drehte sich alles um künstliche Intelligenz, Digitalisierung und kreatives Schreiben.

Zukunftsakademie der

DIE LIZENZ ZUM LEBEN RETTEN Unterstützung der Organspende

Wie wichtig es ist, die Öffentlichkeit für die Organspende zu sensibilisieren und die Spendebereitschaft zu erhöhen, macht die Statistik der vergangenen Jahre deutlich. In 2018 hat sich nach einem langen Abwärtstrend die Zahl lebensrettender Organspenden in Deutschland erstmals wieder erhöht. Auch ein neues Programm der Baden-Württemberg Stiftung, das in 2018 gestartet ist, hat die Organspende im Blick. Das Projekt Unterstützung der Organspende in Baden-Württemberg setzt genau dort an, wo eines der größten Probleme liegt: Bei der Sensibilisierung des Klinikpersonals, das für den Ernstfall vorbereitet sein muss, um bei rechtlichen, medizinischen und ethischen Fragen kompetent zur Seite stehen zu können. Ziel des Projekts ist die Entwicklung und Umsetzung eines Schulungskonzepts für die Entnahmekliniken. Das mit Mitteln in Höhe von 0,75 Mio. Euro ausgestattete Projekt wird von der Deutschen Stiftung Organtransplantation durchgeführt und über fünf Jahre lang laufen.

Stiftung Kinderland

Wie sieht die Welt von morgen aus? Und was wünschen sich Jugendliche für die Zukunft? Diese und weitere Fragen stellt die Zukunftsakademie der Stiftung Kinderland. Auch im vergangenen Jahr erhielten Jugendliche zwischen 15 und 18 Jahren an drei Workshop-Wochenenden wieder die Möglichkeit, gemeinsam mit Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Praxis einen Blick in die Zukunft zu werfen. Im Mittelpunkt der Zukunftsakademie standen die Themen: „Digitalisierung/Künstliche Intelligenz“, „CRISPR/Cas9 – der perfekte Mensch?“ und „Die Farbe, die morgen wird – eine kreative Schreibwerkstatt“. In Vorträgen, Diskussionen und Exkursionen entwickelten die Jugendlichen Ideen und Perspektiven, wie künftigen Herausforderungen begegnet werden kann. Während die Teilnehmenden des Digitalisierungs-Workshops unter anderem das Cyber Valley in Tübingen besuchten, diskutierten die Jugendlichen beim CRISPR-Wochenende mit Manne Lucha, Minister für Soziales und Integration, über ethische Fragen der Genveränderung. Die Mädchen und Jungen der kreativen Schreibwerkstatt erhielten unter Anleitung der Schriftsteller Silke Scheuermann und Matthias Göritz Schreibimpulse und verfassten Essays, Kurzgeschichten und Gedichte.

143


P R O G R A M M Innovative Werk!statt für Kinder und Jugendliche

JAHRESBERICHT

Getreu dem Motto „Wer will fleißige Handwerker sehen, der muss zu uns Kindern gehen!“ beteiligen sich 21 Institutionen aus ganz Baden-Württemberg mit kreativen Projekten an dem neuen Programm der Stiftung Kinderland. Ob Körbe flechten, Beete anlegen, Apfelsaft pressen, töpfern, schmieden oder nähen: Bei den ausgewählten handwerklichen Modellprojekten können Kinder und Jugendliche von sechs bis 16 Jahren ihre manuellen Fähigkeiten auf vielfältige Weise ausprobieren und weiterentwickeln.

WEG VOM SMARTPHONE UND RAN AN DIE WERKBANK Dass das Gehirn leichter lernt, wenn mehrere Sinne gleichzeitig angesprochen werden, ist keine neue Erkenntnis. Aber gerade in einer Zeit, in der junge Menschen ihre Freizeit zunehmend mit Tablets und Handys verbringen, sind

144

haptische Erfahrungen mit Werkstoffen wie Holz, Textilien oder Metall längst nicht mehr an der Tagesordnung. Kinder und Jugendliche lernen beim Basteln und Werken nicht nur, wie man kreativ arbeitet und aus Rohmaterialien etwas Neues erschafft. Auch für die Entwicklung des Verstandes und das Begreifen komplexer Denkmuster ist die Arbeit mit den eigenen Händen förderlich. Nicht zuletzt erleben die Kinder und Jugendlichen ein Gefühl von Selbstwirksamkeit, das auch ihr Selbstvertrauen stärkt.

ERSTE PROJEKTE ERFOLGREICH ANGELAUFEN Unter den geförderten Projekten ist unter anderem der katholische Verein für soziale Dienste in der Diözese Freiburg (SKM). Der SKM organisierte im August 2018 eine erlebnispädagogische Ferienfreizeit für 23 Kinder, die über ihre Familien Kontakt mit der Straffälligenhilfe haben. In einer sogenannten Kinder-Kunst-Waldwerkstatt entwickelten die jungen Teilnehmer ihre handwerklichen und kreativen Fähigkeiten. Gemeinsam mit dem örtlichen Förster machten die Kinder zum Beispiel einen Werkzeugführerschein und bereiteten Brennholz vor. Auch eine Näherei und ein Schmuckatelier waren Teil der Waldwerkstatt.

Christoph Dahl

Gesellschaft & Kultur

Innovative Werk!statt für Kinder und Jugendliche

„MIT DEM NEUEN PROGRAMM WOLLEN WIR MÖGLICHST VIELE KINDER VON IHREN HANDYS UND TABLETS WEGLOCKEN UND SIE DAFÜR BEGEISTERN, ETWAS MIT IHREN HÄNDEN ZU SCHAFFEN.“

WER WILL FLEISSIGE HAND WERKER SEHEN? Die Zukunft in die Hand nehmen – Innovative Werk!statt für Kinder und Jugendliche ist ein neues Programm der Stiftung Kinderland, das in Kooperation mit der Wiedeking Stiftung durchgeführt wird. Ziel ist, die handwerklichen Fähigkeiten und die Feinmotorik von Kindern zu verbessern. Alle Projekte werden über einen Zeitraum von drei Jahren unterstützt. Das Programm der Stiftung Kinderland ist mit insgesamt 1,1 Millionen Euro ausgestattet.

2018

Baden-Württemberg Stiftung


BEREICH

PROGRAMM

Literatursommer Baden-Württemberg

Lesung und Musik unter freiem Himmel: Die Tübinger Autorin Sabine Stahl las aus ihrem Gedichtband „Komm, bleib hocka“ vor. Musikalisch begleitet wurde sie von Bernd Mohl.

Gesellschaft & Kultur

Im Schloss Warthausen bei Biberach feierte der Literatursommer 2018 seinen offiziellen Auftakt.

DIE SCHÖNSTEN SEITEN DES SOMMERS Literatursommer Baden-Württemberg

Von Heidelberg bis Ravensburg, von Baden-Baden bis Schwäbisch Gmünd – mit mehr als 200 Veranstaltungen rund um das Thema „Frauen in der Literatur“ begeisterte

der Literatursommer im ganzen Land. In Schreibwerkstätten, Lese-Salons, TheaterWorkshops, Vorträgen und Diskussionen richtete der Literatursommer von Mai bis Oktober 2018 den Blick auf literarische Werke von und über Frauen. Auch der Literaturnachwuchs kam nicht zu kurz: Der Kinder- und Jugendliteratursommer bot den jungen Leseratten ein abwechslungsreiches Programm und beschäftigte sich mit der Frage, wie sich vermeintlich klassische Literatur für Jungen und Mädchen mit der Zeit verändert hat.

145


JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

Gesellschaft & Kultur

Leuchtende Farben und schwebende Klänge in alten Klostermauern – bei der begehbaren Multimedia-Installation in Maulbronn ließen Hildegard von Bingens visionäre Schriften das Kloster erleuchten.

Beim Improvisationstheater im Heidelberger Schloss wurde hitzig über Romantik diskutiert. Der Abend bot spontane Dialoge und viel Situationskomik in historischer Kulisse.

In der Fasanenhofschule in Stuttgart drehte sich alles um das Geschichtenerzählen. Das Klassenzimmer wurde zur Jurte umfunktioniert und die Geschichte der Räubertochter stimmungsvoll nacherzählt.

146


BEREICH

Gesellschaft & Kultur

PROGRAMM

Literatursommer

Bei der Open-Air-Lesung in Schillers Geburtsstadt Marbach sorgten sechs Autorinnen und Autoren bei 31 Grad mit einer kurzweiligen kabarettistisch-literarischen Show für einen unterhaltsamen Abend.

In Stuttgart-SillenBUCH öffneten private Gastgeber ihr Zuhause für eine Salonlesung der besonderen Art. Die Autorin Sudabeh Mohafez las aus ihrem Buch „Behalte den Flug im Gedächtnis“ und sprach anschließend im kleinen Kreis über ihr Werk.

Die Performance des Feministischen Frauen Gesundheitszentrums Stuttgart suchte nach Positionen, wie Frauen selbst über ihre Körper sprechen.

Wieso sind Mädchenbücher immer rosa und Bücher für Jungs immer blau? Über große Fragen und kleine Unterschiede rund um Genderaspekte in der Kinder- und Jugendliteratur diskutierten 80 Jugendliche, Studierende und Profis aus der Buchbranche im Literaturhaus Freiburg.

147


JAHRESBERICHT

2018

UNSER TEAM

WAS HÄLT UNSERE GESELLSCHAFT ZUSAMMEN?

Baden-Württemberg Stiftung

Anna Kapathanasiou

„Wertschätzung.“ Julia Kovar-Mühlhausen

„Musik.“ Dr. Philipp Jeandrée

„Vertrauen.“ Christoph Dahl

„Sympathie und Humor.“

148

Eva-Maria Hochhaus

„Empathie.“

Irene Purschke

„Werte.“

Daniel Voith

„Wir.“ Dr. Andreas Weber

„Vertrauen.“

Sven Walter

„Hashtags.“ Renate Feucht

„Loyalität.“

„Gemeinsame Erinnerungen.“

„Kreativität.“

„Fußball.“

„Hoffnung.“

Verena Kiefer

Nadia Heide

Dr. Gerlinde Bigga

Dagmar Kaiser

Zerrin Uysal

„Die Mittagspause.“

Stephan Etzel

„Schokolade.“ Julia Beier

„Lagerfeuer.“ Dr. Martina Rehnert

„Team Spirit.“


UNSER TEAM

Mitarbeiter zum 31.12.2018 bis heute.

Ute Krüger

„Kultur.“ Silja-Kristin Vogt

„Empathie.“ Kevin Sczekalla

„Gemeinsam lachen.“

Peter Kimmel

„Sharing is caring.“ Amy Yin

„Vielfalt.“ Sabine Fischer

„Toleranz.“ Dr. Angela Kalous

„Die Gravitation.“ Jessica Epple

„Kaffeemaschine.“ Hans-Dieter Schader

„Teamsport.“

Denise Uhlenbrock

„WhatsApp.“ Dr. Simone Plahuta

„Verantwortung.“

Sandra Hänel

„Barrierefreiheit.“

Anna Grimmeißen

„Rücksichtnahme.“

Jan Philipp Schewe

„Rituale.“ Carsten Fiedler

„Vertrauen.“ Sara Egenhofer

„Lebenslust.“ Dr. Volker Scheil

„Freundschaftliches Miteinander.“

Birgit Pfitzenmaier

„Fairness und Respekt.“ Karin Priebe

„Sport.“ Heike Mangold-Ruck

„Achtsamkeit.“ Ai Linh Truong

„Menschliche Kommunikation.“ 149


UNSER TEAM

JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

MITARBEITERINNEN UND MITARBEITER IM PROJEKTBEREICH ZUM 31.12.2018 Geschäftsführer

Christoph Dahl Heike Mangold-Ruck

Geschäftsführer Assistentin

Forschung/Verwaltung

Dr. Angela Kalous Dr. Gerlinde Bigga Stephan Etzel Anna Kapathanasiou Verena Kiefer Peter Kimmel Ute Krüger Karin Priebe Irene Purschke Dr. Martina Rehnert Hans-Dieter Schader Dr. Volker Scheil Zerrin Uysal

Abteilungsleiterin Forschung, Prokuristin Referentin Forschung EDV Administrator Assistentin Finanz- und Rechnungswesen Leiterin Finanz- und Rechnungswesen Haus- und Veranstaltungstechnik Empfang Buchhalterin Referentin Forschung Referentin Forschung Innenrevisor Referent Forschung Assistentin Finanz- und Rechnungswesen

Bildung

Dr. Andreas Weber Sara Egenhofer Jessica Epple Dagmar Kaiser Dr. Simone Plahuta Daniel Voith Ying Xin Amy Yin

Abteilungsleiter Bildung, Prokurist Referentin Bildung Referentin Bildung Sekretärin Bildung Referentin Bildung Referent Bildung Projektassistentin Bildung

Gesellschaft & Kultur

Birgit Pfitzenmaier Julia Beier Renate Feucht Sabine Fischer Anna Grimmeißen Eva-Maria Hochhaus Denise Uhlenbrock Sven Walter

Stellvertretende Geschäftsführerin im Projektbereich, Abteilungsleiterin Gesellschaft & Kultur / Stiftung Kinderland, Prokuristin Referentin Gesellschaft & Kultur Referentin Gesellschaft & Kultur Projektassistentin Gesellschaft & Kultur Referentin Gesellschaft & Kultur Referentin Gesellschaft & Kultur Referentin Gesellschaft & Kultur Referent Gesellschaft & Kultur

Julia Kovar-Mühlhausen Nadia Heide Dr. Philipp Jeandrée Jan Philipp Schewe

Leiterin Stabsstelle Kommunikation Referentin Stabsstelle Kommunikation Referent Stabsstelle Kommunikation Junior Referent Stabsstelle Kommunikation

Kommunikation

150


JAHRESBERICHT

RÜCKBLICK

2018

Baden-Württemberg Stiftung

RÜCKBLICK 2018 „Cybo

RÜCKBLICK

Film

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#BESSER DATEN SCHÜTZEN Der Datenschutz war auch Titelthema der Perspektive 02/18.

Der Facebook-Datenskandal hat im April die andauernde Diskussion über den Datenschutz erneut angefacht. Rund 87 Millionen Nutzer waren weltweit von dem Datenleck des Social-Media-Riesen betroffen. Als Reaktion auf den Skandal hat die Baden-Württemberg Stiftung auf ihrer Facebook-Seite und einer eigens eingerichteten Website verunsicherte Bürger informiert und über das Thema Datenschutz aufgeklärt. Unter #BesserDatenSchützen beteiligten sich zahlreiche Experten, wie der

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YouTuber MrWissen2go oder die Cybersecurity-Expertin Christine Deger an der Kampagne. Im November gab es zudem die Möglichkeit, den verantwortungsvollen Umgang mit Daten im Rahmen der „Perspektiven“-Veranstaltung in den Innenstadtkinos in Stuttgart zu diskutieren. Die Gäste konnten sich mit dem selbsternannten „Cyborg“ Ralf Neuhäuser austauschen. Er trägt drei Chips unter der Haut und versteht sich als Pionier auf dem Gebiet der Selbstoptimierung durch Chip-Implantate. Im Anschluss wurde der preisgekrönte Film „The Cleaners – im Schatten der Netzwelt“ gezeigt. Die Perspektive zum Thema „Datenschutz“ kann online gelesen oder bestellt werden:

WWW.BWSTIFTUNG.DE/ PUBLIKATIONEN

RÜCKBLICK

DIE STADT DER ZUKUNFT Wie soll die Stadt der Zukunft aussehen? Wie wollen wir wohnen, arbeiten und uns fortbewegen? Und vor allem: Wie kann die Stadt der Zukunft nachhaltig gestaltet werden? Mit diesen und weiteren Fragen beschäftigten sich circa 40 Jugendliche, als sie am 17. März 2018 in der Baden-Württemberg Stiftung zu einer Diskussionsrunde eingeladen waren. Gemeinsam mit Expertinnen und Experten des Fraunhofer IAO sprachen die 14- bis 18-Jährigen in Workshops über emissionsfreie Autos, Recycling-Häuser, Smart Cities und vieles mehr und entwickelten Ideen zur Zukunft unserer Städte. Die Stadt der Zukunft war auch das Thema

unseres Stiftungsmagazins und der Veranstaltungsreihe „Perspektiven“ am 11. April im Haus der Stiftung. Unter der Moderation von Wieland Backes diskutierten namhafte Zukunftsexperten über ihre Visionen und Kritiken einer Stadt der Zukunft. Darunter: Boris Palmer, Oberbürgermeister Tübingen; Prof. Dr. Marianne Reeb, Zukunftsforscherin Daimler; Prof. Dr. Werner Sobek, Architekt; Dr. Andrea Bräuning, Director Smart Cities bei der Robert Bosch GmbH (und Leiterin des Ludwigsburger Innovationsnetzwerks Living Lab); Matthias Schuler, Gründer des Ingenieurbüros Transsolar Energietechnik GmbH.

Einen Mitschnitt der Veranstaltung gibt es auf dem YouTube-Kanal der Stiftung:

WWW. YOUTUBE.COM/ BWSTIFTUNG

Die erste Perspektive des Jahres 2018 beschäftigte sich mit Ideen für die Metropolen von morgen.

151


RÜCKBLICK

JAHRESBERICHT

RÜCKBLICK 2018 RÜCKBLICK

MISSION M Wie lässt sich Arbeit im digitalen Zeitalter organisieren, damit Mitarbeiter und Unter-

Wi rt sc ha ft Ha us de r

t , St ut tg ar

nehmen davon nachhaltig profitieren können? Das war unter anderem Thema des Kongresses „Mission M – Mittelstand neu denken“, der am 23. und 24. Oktober im Stuttgarter Haus der Wirtschaft stattfand. In Workshops, Impulsvorträgen und anderen kreativen Formaten kamen die Macherinnen und Macher zu Wort. Sie konnten sich mit namhaften Experten aus der Wirtschaft austauschen und ihre Ideen zu den Themen Nachhaltigkeit, Arbeitsplatzgestaltung oder Work-Life-Balance einbringen. Mission M hat erfolgreich gezeigt, wie die Generation Y und kleine und mittelständische Unternehmen sich zu gegenseitigem konstruktivem Ideenaustausch anregen können. Aufgrund der hohen Nachfrage und des positiven Feedbacks wird das Erfolgsformat im Herbst 2020 fortgesetzt. Mehr Informationen unter:

WWW.MISSION M.DE

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Imp

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152

2018

Baden-Württemberg Stiftung

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Bilanz


JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

BILANZ FÜR DAS GESCH Ä FTSJAHR 2018 AKTIVA A.

ANLAGEVERMÖGEN

I.

Immaterielle Vermögensgegenstände Gewerbliche Schutzrechte und ähnliche Rechte und Werte sowie Lizenzen an solchen Rechten und Werten

II.

31.12.2018 EUR

31.12.2017 EUR

358.606,04

338.332,00

549.838.207,55

557.859.597,89

Sachanlagen 1.

Grundstücke und Gebäude

2.

Technische Anlagen

3.

Andere Anlagen, Betriebs- und Geschäftsausstattung

28.947,06

31.040,06

1.408.724,43

1.736.963,44

551.275.879,04

559.627.601,39

III. Finanzanlagen 1.

Beteiligungen

2.

Wertpapiere des Anlagevermögens

2.

Sonstige Ausleihungen

B.

UMLAUFVERMÖGEN

I.

Forderungen und sonstige Vermögensgegenstände 1. Forderungen aus Lieferungen und Leistungen 2. Sonstige Vermögensgegenstände

II.

Kassenbestand und Guthaben bei Kreditinstituten

C.

RECHNUNGSABGRENZUNGSPOSTEN

D.

SONDERVERMÖGEN

72.565.337,30

72.565.337,30

1.576.462.245,58

1.558.521.812,98

10.160.449,32

0,00

1.659.188.032,20

1.631.087.150,28

2.210.822.517,28

2.191.053.083,67

666.224,76

432.764,64

2.088.935,00

9.794.559,68

2.755.159,76

10.227.324,32

111.358.725,40

126.679.479,41

114.113.885,16

136.906.803,73

607.925,51

661.748,93

1.

Stiftung Artur Fischer Erfinderpreis Baden-Württemberg

1.796.167,27

1.747.406,23

2.

Stiftung Kulturpreis Baden-Württemberg der Volksbanken Raiffeisenbanken und der Baden-Württemberg Stiftung

502.544,65

501.762,90

3.

Stiftung Kinderland Baden-Württemberg

1.439.526,96

2.518.868,00

154

3.738.238,88

4.768.037,13

2.329.282.566,83

2.333.389.673,46


ZAHLENTEIL

Bilanz für das Geschäftsjahr 2018

PASSIVA

31.12.2018 EUR

31.12.2017 EUR

A.

EIGENKAPITAL

I.

Gezeichnetes Kapital

20.159.318,55

20.159.318,55

II.

Kapitalrücklage

21.669.954,96

21.669.954,96

54.673.473,79

54.628.090,40

III. Gewinnrücklagen

IV. B.

C.

D.

1.

Zweckgebundene Rücklagen für rechtlich unselbständige Stiftungen

2.

Andere Gewinnrücklagen

Bilanzgewinn

2.046.890.542,79

2.031.588.564,14

2.101.564.016,58

2.086.216.654,54

32.313.017,98

43.451.143,57

2.175.706.308,07

2.171.497.071,62

RÜCKSTELLUNGEN 1.

Rückstellungen für Pensionen

2.

Sonstige Rückstellungen

202.081,00

179.864,00

2.540.336,44

2.959.925,87

2.742.417,44

3.139.789,87

ZWECKGEBUNDENE MITTEL FÜR PROJEKTE 1.

Zweckgebundene Fonds

88.412.320,96

88.149.711,02

2.

Fonds Zukunftsoffensiven

40.965.944,44

46.697.198,98

129.378.265,40

134.846.910,00 11.453.287,36

VERBINDLICHKEITEN 1.

Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten

9.120.656,15

2.

Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen

6.546.008,53

5.659.659,98

3.

Sonstige Verbindlichkeiten

542.357,97

1.413.800,82

16.209.022,65

18.526.748,16

1.958.765,35

2.075.329,45

E.

RECHNUNGSABGRENZUNGSPOSTEN

F.

SONDERVERMÖGEN (DRITTANTEILE) 1.

Stiftung Artur Fischer Erfinderpreis Baden-Württemberg

898.083,64

873.703,12

2.

Stiftung Kulturpreis Baden-Württemberg der Volksbanken Raiffeisenbanken und der Baden-Württemberg Stiftung

251.272,33

250.881,46

3.

Stiftung Kinderland Baden-Württemberg

2.138.431,95

2.179.239,78

3.287.787,92

3.303.824,36

2.329.282.566,83

2.333.389.673,46

155


ZAHLENTEIL

Gewinn- und Verlustrechnung

JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

GEWINN UND VERLUSTRECHNUNG FÜR DAS GESCHÄFTSJAHR VOM 1.1. BIS ZUM 31.12.2018

1.

Umsatzerlöse

2.

Sonstige betriebliche Erträge

3.

Personalaufwand

4.

a)

Löhne und Gehälter

b)

Soziale Abgaben und Aufwendungen für Altersversorgung

Abschreibungen auf immaterielle Vermögensgegenstände des Anlagevermögens und Sachanlagen

2018 EUR

2017 EUR

32.903.507,47

29.737.412,34

638.445,98

1.957.164,20

1.371.067,87

1.451.028,96

381.442,48

409.276,35

1.752.510,35

1.860.305,31

8.117.036,18

7.193.367,86 39.600.000,00

5.

Projektaufwand

42.980.000,00

6.

Sonstige betriebliche Aufwendungen

10.507.296,81

9.773.447,67

7.

Erträge aus Beteiligungen und anderen Wertpapieren des Finanzanlagevermögens

33.748.239,90

70.881.002,50

8.

Sonstige Zinsen und ähnliche Erträge

1.199.039,58

1.388.725,35

9.

Ergebnis Sondervermögen

10.

Zinsen und ähnliche Aufwendungen

11.

Ergebnis vor sonstigen Steuern

12.

Sonstige Steuern

13.

Jahresüberschuss

14.

Gewinnvortrag

15.

Entnahme/Zuführung Sondervermögen

16.

Einstellung in andere Gewinnrücklagen

17.

Bilanzgewinn

156

49.542,79

141.791,52

241.130,12

272.620,19

4.940.802,26

45.406.354,88

747.602,25

672.036,95

4.193.200,01

44.734.317,93

43.451.143,57

27.053.760,23

970.653,05

-66.724,86

-16.301.978,65

-28.270.209,73

32.313.017,98

43.451.143,57


WIR STIFTEN ZUKUNFT

898

43

MIO. EUR

MIO. EUR

PROJEKTVOLUMEN DER BADEN-WÜRTTEMBERG STIFTUNG

BESCHLOSSENES PROJEKTVOLUMEN DER BADEN-WÜRTTEMBERG STIFTUNG 2018

NACHHALTIGER ERFOLG 2000–2018

NACHHALTIGE WIRKUNG

157


JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

ENTWICKLUNG DES ANLAGEVERMÖGENS IM GESCHÄFTSJAHR 2018 ANSCHAFFUNGS-/HERSTELLUNGSKOSTEN

I.

1.1.2018

Zugänge

Abgänge

31.12.2018

EUR

EUR

EUR

EUR

486.897,28

32.614,42

0,00

519.511,70

609.076.961,11

45.633,02

324.956,76

608.797.637,37

41.841,87

0,00

0,00

41.841,87

3.913.027,16

32.626,19

170.595,83

3.775.057,52

613.031.830,14

78.259,21

495.552,59

612.614.536,76

77.786.220,97

0,00

0,00

77.786.220,97 1.576.462.245,58

Immaterielle Vermögensgegenstände Gewerbliche Schutzrechte und ähnliche Rechte und Werte sowie Lizenzen an solchen Rechten und Werten

II.

Sachanlagen 1.

Grundstücke und Gebäude

2.

Technische Anlagen

3.

Andere Anlagen, Betriebs- und Geschäftsausstattung

III. Finanzanlagen 1.

Beteiligungen

2.

Wertpapiere des Anlagevermögens

2.

Sonstige Ausleihungen

158

1.558.521.812,98

17.940.432,60

0,00

0,00

10.160.449,32

0,00

10.160.449,32

1.636.308.033,95

28.100.881,92

0,00

1.664.408.915,87

2.249.826.761,37

28.211.755,55

495.552,59

2.277.542.964,33


ZAHLENTEIL

Entwicklung des Anlagevermögens

KUMULIERTE ABSCHREIBUNGEN

BUCHWERTE

1.1.2018

Zugänge

Abgänge

31.12.2018

31.12.2018

31.12.2017

EUR

EUR

EUR

EUR

EUR

EUR

148.565,28

12.340,38

0,00

160.905,66

358.606,04

338.332,00

51.217.363,22

7.742.066,60

0,00

58.959.429,82

549.838.207,55

557.859.597,89

10.801,81

2.093,00

0,00

12.894,81

28.947,06

31.040,06

2.176.063,72

360.536,20

170.266,83

2.366.333,09

1.408.724,43

1.736.963,44

53.404.228,75

8.104.695,80

170.266,83

61.338.657,72

551.275.879,04

559.627.601,39

5.220.883,67

0,00

0,00

5.220.883,67

72.565.337,30

72.565.337,30

0,00

0,00

0,00

0,00

1.576.462.245,58

1.558.521.812,98

0,00

0,00

0,00

0,00

10.160.449,32

0,00

5.220.883,67

0,00

0,00

5.220.883,67

1.659.188.032,20

1.631.087.150,28

58.773.677,70

8.117.036,18

170.266,83

66.720.447,05

2.210.822.517,28

2.191.053.083,67

159


JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

LAGEBERICHT FÜR DAS GESCH Ä FTSJAHR 2018

01 GRUNDLAGEN DER GESELLSCHAFT

VERMÖGENSANLAGEBEREICH Die im Anlagevermögen gehaltenen Investmentfondsanteile trugen mit EUR 25,5 Mio. (Vorjahr: EUR 62,5 Mio.) zum Gesamtergebnis

Die Baden-Württemberg Stiftung gGmbH verfolgt ausschließlich

bei. Im Vorjahresbetrag waren vorgezogene Ausschüttungen in

und unmittelbar gemeinnützige Zwecke im Sinne von § 52 Absatz

Höhe von 19,1 Mio. enthalten.

2 der Abgabenordnung. Sie ist selbstlos tätig und verfolgt nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke.

Aus den kurzfristigen Geldanlagen resultierten Erträge in Höhe von EUR 0,4 Mio. (Vorjahr: EUR 1,3 Mio.). Der Rückgang resultiert

Gesellschaftszweck ist die Förderung von Wissenschaft und For-

aus dem Wegfall höher verzinslicher Termingelder sowie aus dem

schung, Bildung und Erziehung, Kunst und Kultur, der Religion,

Rückgang der gehaltenen Cash-Positionen. Zinserträge in Höhe

der Völkerverständigung, der Entwicklungshilfe, des Umwelt-,

von EUR 0,8 Mio. resultieren aus Darlehen an den Gesellschafter.

Landschafts- und Denkmalschutzes, des Heimatgedankens, die Förderung der Jugend- und Altenhilfe, des öffentlichen Gesund-

PROJEKTBEREICH

heitswesens, des Wohlfahrtswesens und des Sports, soweit

In den Sitzungen des Aufsichtsrates vom 13. Oktober 2017

die Zwecke geeignet sind, die Zukunftsfähigkeit des Landes

und 28. Februar 2018 wurden 24 neue Projektbeschlüsse

Baden-Württemberg zu sichern.

für den Wirtschaftsplan 2018 mit einem Gesamtvolumen von EUR 39,48 Mio. gefasst. Ihrem Satzungsauftrag entsprechend

Der Gesellschaftszweck wird insbesondere durch die Durchfüh-

führt die Baden-Württemberg Stiftung überwiegend eigene

rung und Finanzierung von einzelnen Projekten und Veranstal-

Projekte durch.

tungen sowie durch die Vergabe von Stipendien verwirklicht. Das Geschäftsjahr 2018 war im Projektbereich im Wesentlichen geprägt von folgenden Schwerpunkten:

02 WIRTSCHAFTSBERICHT

Im Jahr 2018 hat sich die Baden-Württemberg Stiftung mit den sogenannten „Megathemen“ wie Klimaschutz, Globalisierung,

1 / Geschäftsverlauf 2018

Migration und Digitalisierung auseinandergesetzt. Diese sowie damit zusammenhängende Themen, wie werteorientierte Demokra-

IMMOBILIEN

tiebildung, neue Mobilität und Zukunft der Stadt haben Aus-

Den Mieterträgen in Höhe von EUR 32,1 Mio. und sonstigen

wirkungen auf das aktuelle Programmportfolio der Baden-Würt-

betrieblichen Erträgen in Höhe von EUR 0,2 Mio. stehen laufende

temberg Stiftung.

betriebliche Aufwendungen in Höhe von EUR 15,9 Mio. gegenüber. Ergebniserhöhend wirken sich das positive Zinsergebnis in Höhe

Um die Chancen und Risiken von Digitalisierung aufzuzeigen,

von EUR 0,6 Mio. sowie ein neutrales Ergebnis von EUR 0,4 Mio.

wurde zum Beispiel die Kampagne #BesserDatenSchützen ins Leben

aus. Damit trägt der Grundstücksbereich mit EUR 17,4 Mio.

gerufen. Gemeinsam mit renommierten Expertinnen und Experten

(Vorjahr: EUR 15,4 Mio.) zum Gesamtergebnis der Gesellschaft

wurde auf dem Facebook-Kanal der Baden-Württemberg Stiftung

bei. In diesem Ergebnis enthalten sind nicht regelmäßig wie-

für einige Monate ausschließlich über Datenschutz und Netzsi-

derkehrende Sonderfaktoren, im Wesentlichen Mietnachzahlungen

cherheit berichtet und aufgeklärt. Dadurch wurden über 120.000

und Zinserträge für Vorjahre, in Höhe von EUR 1,1 Mio.

User auf diesem Themengebiet informiert und sensibilisiert.

Das Segment Immobilien repräsentiert rund 25 % der Bilanzsumme

Neue Programme wie Läuft bei Dir! sollen das, v. a. bei jun-

der Gesellschaft.

gen Menschen, eingeschlafene Demokratieverständnis wieder wecken. Mit ganz neuen, erlebnisorientierten Methoden sollen

BETEILIGUNGSBEREICH

Jugendliche im Übergang zwischen Schule und Beruf erreicht

Im Geschäftsjahr 2018 wurden Beteiligungserträge in Höhe von

werden. Demokratische Wertvorstellungen und politisches Ver-

EUR 8,2 Mio. (Vorjahr: EUR 8,3 Mio.) realisiert. Diese entfallen

antwortungsbewusstsein werden so gemeinsam spielerisch erlernt

auf die Dividende der Südwestdeutsche Salzwerke AG.

und geschult.

160


LAGEBERICHT

für das Geschäftsjahr 2018

Zu dem großen Themenbereich werteorientierte Demokratiebildung

Forschung, um Innovationskraft, wirtschaftlichen Erfolg und

gehört auch die im Berichtsjahr von der Baden-Württemberg

Arbeitsplätze nachhaltig zu sichern, herausragende Bildung,

Stiftung unterstützte Expertenkommission „Sicherheit im

um individuelle Chancen zu schaffen und soziale Teilhabe zu

Wandel“, die der Frage nachgeht, welche Antworten die libe-

ermöglichen sowie Gesellschaft & Kultur, um unsere Gemeinschaft

rale Demokratie auf die gesellschaftlichen Verunsicherungen

zu stärken. Als operativ agierende Einrichtung beschränkt

durch Globalisierung, Digitalisierung, Migration, demografischen

sich die Baden-Württemberg Stiftung nicht darauf, bestehende

Wandel und Klimawandel finden kann.

Projekte finanziell zu fördern, sondern initiiert eigene Programme. Die einzelnen Schwerpunkte sind dabei vielfältig und

Die Ergebnisse der Kommission können künftig bei der Konzeption

reichen von Klimawandel, Lebenswissenschaften und Gesundheit

und Durchführung der Programme der Baden-Württemberg Stiftung

über die frühkindliche Bildung bis hin zu bürgerschaftlichem

als Orientierungshilfe dienen.

und kulturellem Engagement. Der übergreifende Fokus liegt dabei auf praxisorientierter Forschung zur Begleitung des

Die Baden-Württemberg Stiftung hat bis zum 31. Dezember 2018

ökologischen, gesellschaftlichen und demografischen Wandels

Projekte mit einem Gesamtvolumen von rund EUR 898,8 Mio.

sowie gesellschaftlichen und kulturellen Aspekten, Werten,

beschlossen. Sie nimmt somit einen Spitzenplatz unter den

Einstellungen und Bildung.

deutschen Stiftungen ein. Der Gesellschaftszweck „Sicherung der Zukunftsfähigkeit Baden-Württembergs“ wird vor allem in den Bereichen Forschung und Wissenschaft sowie Bildung, Gesellschaft und Kultur erfüllt. Insgesamt wurden Forschungsprojekte

03 PROGNOSE-, CHANCEN- UND RISIKOBERICHT

mit einem Volumen von rund EUR 313 Mio. und Bildungsprojekte mit einem Volumen von rund EUR 271 Mio. betreut. Rund EUR 230 Mio.

1 / Prognosebericht

entfallen auf den Bereich Gesellschaft und Kultur. Auf die

Nach Berücksichtigung der Sondereffekte im Geschäftsjahr 2018

Ganztagsschuloffensive sowie „Sonstige Projekte“ entfallen

wird der Grundstücksbereich im kommenden Geschäftsjahr vor-

rund EUR 55 Mio. Auf die Unterstiftungen entfällt ein Volumen

aussichtlich mit einem vergleichbaren operativen Ergebnis in

von rund EUR 30 Mio.

der Größenordnung von etwas mehr als EUR 15 Mio. zum Gesamtergebnis beitragen. In den Folgejahren muss aufgrund größe-

2 / Vermögens-, Finanz- und Ertragslage

rer Sanierungs- und Instandhaltungsmaßnahmen mit rückläufigen

Mit einem Anteil von 71 % sind mehr als zwei Drittel der Aktiva

Jahresergebnissen gerechnet werden. Langfristig dienen die

in langfristige Finanzanlagen in Form von Unternehmensbetei-

Investitionen im Grundstücksbereich der Stabilisierung der Jah-

ligungen und Investmentfonds investiert.

resergebnisse und tragen positiv zum realen Vermögenserhalt bei.

Die liquiden Mittel betragen zum Bilanzstichtag EUR 111,4 Mio.

Der laufende Ergebnisbeitrag der langfristigen Kapitalanlagen

Die Höhe orientiert sich grundsätzlich am aktuellen Verpflich-

wird im kommenden Geschäftsjahr voraussichtlich auf einem

tungsstand und dem bestehenden Projektobligo.

vergleichbaren Niveau liegen wie im Jahr 2018. Unsicherheiten bei der Ergebnisprognose für die langfristigen Kapital-

Das Stammkapital der Gesellschaft beträgt unverändert

anlagen resultieren dabei aus der weiteren Entwicklung der

EUR 20.159.318,55. Die Eigenkapitalquote beträgt 93,4 % der

Kapitalmärkte.

Bilanzsumme (Vorjahr: 93,1 %). Aufgrund des unverändert niedrigen Zinsniveaus für Neu- und Das Jahresergebnis 2018 weist einen Jahresüberschuss in Höhe

Wiederanlagen sowie der regelmäßigen Mittelabflüsse aus der lau-

von EUR 4,2 Mio. aus.

fenden Geschäftstätigkeit werden die Erträge aus den kurzfristigen Kapitalanlagen im kommenden Geschäftsjahr voraussichtlich

3 / Nichtfinanzielle Leistungsindikatoren

nochmals geringer ausfallen als im Geschäftsjahr 2018. Durch

Die Baden-Württemberg Stiftung leistet seit vielen Jahren als

ein intelligentes Cash-Management kann in gewissem Umfang

Impuls- und Ideengeber wertvolle und kompetente Unterstützung

zwar eine Kompensation erreicht werden, nennenswerte Ergeb-

für Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft. Dafür

nissteigerungen sind in den kommenden Jahren aber zunächst

wird gezielt in drei Themengebiete investiert: zukunftsweisende

nicht zu erwarten.

161


LAGEBERICHT

JAHRESBERICHT

für das Geschäftsjahr 2018

2018

Baden-Württemberg Stiftung

Für das Geschäftsjahr 2019 wird erwartet, dass Projekte mit

wird insbesondere durch laufende Beobachtung der wirtschaft-

einem Volumen von rund EUR 42 Mio. durchgeführt werden können,

lichen Entwicklung der Unternehmen begegnet.

wovon rund EUR 2,0 Mio. für Projekte der Stiftung Kinderland reserviert sind. In seiner Sitzung am 21. November 2018 hat der

VERMÖGENSANLAGEBEREICH

Aufsichtsrat bereits Projekten mit einem Gesamtvolumen von

Die stetige Kontrolle der Entwicklung der Kapitalanlagen ist

EUR 32,5 Mio. für den Wirtschaftsplan 2019 zugestimmt.

durch die laufende Berichterstattung der Kapitalverwaltungsgesellschaften und die gesellschaftsinternen Controlling-,

Unter den vorgenannten Prämissen wird für das Jahr 2019 mit

Vergleichs- und Analyseverfahren jederzeit gegeben. Den all-

einem dem abgelaufenen Geschäftsjahr vergleichbaren Gesamt-

gemeinen Marktrisiken wird durch das individuelle Anlagekon-

ergebnis gerechnet.

zept, durch vorsichtige Ertragsannahmen und die risikobewusste Anlagestrategie begegnet.

2 / Chancen- und Risikobericht Risiken, die die Entwicklung oder den Bestand der Gesellschaft

Für die Liquiditäts- und Ertragsplanung existieren kurz- und

gefährden könnten, sind zurzeit nicht erkennbar.

mittelfristige Planrechnungen, die laufend aktualisiert werden.

GRUNDSTÜCKSBEREICH

Im Übrigen wird auf die Angaben zu Sondervermögen i. S. v. § 1

Risiken, die sich aus der Wertminderung oder Leerstandzeiten

Abs. 10 KAGB im Anhang zum Jahresabschluss verwiesen.

der vermieteten Grundstücke ergeben können, werden vor allem durch laufende Renovierung, Modernisierung bzw. Instandsetzung

PROJEKTBEREICH

der Gebäude und Abschluss langfristiger Mietverträge minimiert.

Die Risiken im Projektbereich bestehen in der Möglichkeit von

Das im Zusammenhang mit dem Erwerb des ehemaligen Postareals

Fehlverwendungen bzw. steuerschädlichen Verwendungen, die im

aufgenommene Darlehen wird bis zum Ende der Zinsbindung voll-

ungünstigsten Fall die Gemeinnützigkeit der Baden-Württemberg

ständig zurückgezahlt.

Stiftung gefährden könnten. Durch einen breit angelegten Diskussionsprozess vor der Definition einzelner Programme, die

BETEILIGUNGSBEREICH

frühzeitige Einbeziehung steuerfachlichen Sachverstandes, die

Möglichen Risiken aus der wirtschaftlichen Entwicklung der Betei-

interne Revision und interne Kontrollstrukturen tragen wir

ligungsunternehmen sowie deren möglichen Gewinnausschüttungen

den Risiken Rechnung.

Stuttgart, den 3. Mai 2019

Baden-Württemberg Stiftung gGmbH, Christoph Dahl / Reiner Moser

162


ANHANG

für das Geschäftsjahr 2018

ANHANG FÜR DAS GESCHÄFTSJAHR 2018

01 ALLGEMEINES

Die steuerlichen Vereinfachungsregelungen für geringwertige

Die Baden-Württemberg Stiftung gGmbH ist eingetragen im Han-

Die Vermögensgegenstände des Finanzanlagevermögens werden zu

delsregister des Amtsgerichts Stuttgart unter HRB 10775 und

Anschaffungskosten, gegebenenfalls vermindert um Abschrei-

hat ihren Firmensitz in der Kriegsbergstr. 42, 70174 Stuttgart,

bungen auf den niedrigeren beizulegenden Wert, angesetzt.

Deutschland.

Bei der Bewertung von Wertpapieren des Finanzanlagevermögens

Wirtschaftsgüter werden nicht in Anspruch genommen.

erfolgt die Beurteilung des Vorliegens einer vermutlich dauDer Jahresabschluss wurde nach den Vorschriften des Handelsge-

erhaften Wertminderung unter analoger Anwendung der Kriterien

setzbuches für große Kapitalgesellschaften einschließlich der

des Instituts der Wirtschaftsprüfer e.V. in der Stellungnahme

ergänzenden Bestimmungen des GmbH-Gesetzes erstellt.

zur Auslegung des § 341 b HGB (IDW RS VFA 2) und des hierzu ergänzend veröffentlichten Ergebnisberichtes vom 26.9.2002

Soweit nicht anders angegeben, erfolgen Betragsangaben in TEUR.

(149. Sitzung des IDW-Versicherungsfachausschusses). Danach wird als wesentliches Aufgreifkriterium eine Wertminderung

Die Baden-Württemberg Stiftung gGmbH, Stuttgart, verfolgt

dann in Betracht gezogen, wenn der Durchschnittswert der für

ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke im Sinne

den Zeitraum der letzten 12 Monate vor dem Bilanzstichtag

von § 52 Abs. 2 der Abgabenordnung, soweit diese geeignet

festgestellten Kurswerte um mehr als 10 % unter dem Buchwert

sind, die Zukunftsfähigkeit des Landes Baden-Württemberg zu

zum Bilanzstichtag liegt und eine Wertaufholung im Betrach-

sichern. Sie ist selbstlos tätig und verfolgt nicht in ers-

tungszeitraum nach dem Bilanzstichtag bis zum Zeitpunkt der

ter Linie eigenwirtschaftliche Ziele. Die Gesellschaftszwecke

Erstellung des Jahresabschlusses nicht nachgewiesen ist.

werden insbesondere verwirklicht durch die Durchführung und Finanzierung von einzelnen Projekten, Veranstaltungen und die

Bei den Forderungen und sonstigen Vermögensgegenständen wer-

Vergabe von Stipendien im vorgenannten Sinne.

den alle erkennbaren Einzelrisiken individuell berücksichtigt. Die Forderungen und sonstigen Vermögensgegenstände sind zum

Gemäß § 265 Abs. 5 Satz 2 und Abs. 6 HGB ist zu vermerken, dass

Nennwert bilanziert.

in der Bilanz sowie in der Gewinn- und Verlustrechnung gegenüber den Gliederungsvorschriften der §§ 266, 275 HGB Posten

Die Rückstellung für Pensionen wird mit dem Erfüllungsbetrag

hinzugefügt bzw. Postenbezeichnungen geändert worden sind.

bewertet, der nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung

Die Abweichungen werden mit dem besonderen Unternehmensge-

notwendig ist (§ 253 Abs. 1 S. 2 HGB). Die Bewertung erfolgt

genstand und der Art der Finanzierung der Baden-Württemberg

nach dem Anwartschaftsbarwertverfahren.

Stiftung gGmbH sowie der dadurch verbesserten Klarheit und Übersichtlichkeit bei der Darstellung der Vermögens-, Finanz-

Es wurden folgende Annahmen zugrunde gelegt:

und Ertragslage begründet. 10-Jahres-Durchschnittszins zum 31.12.2018: 3,21 %, entsprechend des von der Deutschen Bundesbank gem. § 253 Abs. 2

02 ANGABE DER AUF DIE POSTEN DER BILANZ UND GEWINN- UND VERLUSTRECHNUNG ANGEWANDTEN BILANZIERUNGS- UND BEWERTUNGSMETHODEN

HGB (in der durch das Wohnimmobilienkreditrichtlinien-Gesetz geänderten Fassung, d.h. auf Basis eines 10-Jahres-Durchschnittszeitraumes) für Dezember 2018 veröffentlichten Rechnungszinses für eine Restlaufzeit von 15 Jahren 7-Jahres-Durchschnittszins zum 31.12.2018: 2,32 %, entspre-

Die immateriellen Vermögensgegenstände sowie das Sachanlagever-

chend des von der Deutschen Bundesbank gem. § 253 Abs. 2

mögen sind zu Anschaffungs- oder Herstellungskosten, vermindert

HGB für Dezember 2018 veröffentlichten Rechnungszinses für

um planmäßige und bei andauernder Wertminderung gegebenen-

eine Restlaufzeit von 15 Jahren

falls außerplanmäßige Abschreibungen, angesetzt. Die planmä-

Rentensteigerung: jährlich 2,5 %

ßigen Abschreibungen auf immaterielle Vermögensgegenstände

Biometrie: Richttafeln 2018 G von Prof. Dr. Klaus Heubeck

und auf Sachanlagen erfolgen grundsätzlich nach der linearen

Witwenrentenanwartschaft: individuell

Methode und entsprechen der wirtschaftlichen Nutzungsdauer.

Waisenrentenanwartschaft: nicht berücksichtigt

163


JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

Zum 31.12.2018 beträgt der handelsrechtliche Erfüllungsbetrag auf Basis des 7-Jahres-Durchschnittszinses EUR 226.916,00. Die Differenz zu dem auf Basis des 10-Jahres-Durchschnittszinses ermittelten Erfüllungsbetrag in Höhe von EUR 24.835,00 bleibt

03 ANGABEN UND ERLÄUTERUNGEN ZU EINZELNEN POSTEN DER BILANZ UND GEWINN- UND VERLUSTRECHNUNG

ausschüttungsgesperrt.

1 / Anlagevermögen Die sonstigen Rückstellungen berücksichtigen alle im Zeitpunkt

Die Entwicklung des Anlagevermögens sowie die Abschreibungen

der Bilanzaufstellung ungewissen Verpflichtungen und erkenn-

des Geschäftsjahres sind in der Anlage zum Anhang dargestellt.

baren Risiken und sind mit dem Erfüllungsbetrag bewertet, der

Die sonstigen Ausleihungen betreffen in vollem Umfang den

nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung notwendig ist

Gesellschafter.

(§ 253 Abs. 1 Satz 2 HGB). Rückstellungen mit einer Restlaufzeit von mehr als einem Jahr werden mit dem ihrer Restlaufzeit ent-

Die Gesellschaft ist an folgenden Unternehmen beteiligt:

sprechenden durchschnittlichen Marktzinssatz der vergangenen

Anteil %

Eigenkapital 31.12.2018 TEUR

Ergebnis 2018 TEUR

Verwaltungsgesellschaft Wasseralfingen mbH, Wasseralfingen *

50

14.516

-117

nach folgender Systematik:

Südwestdeutsche Salzwerke AG, Heilbronn

49

165.118

24.450

Eine dem Grunde und der Höhe nach bestimmte und verpflichtende

Reederei Schwaben GmbH, Stuttgart

44

4.337

-346

sieben Geschäftsjahre abgezinst (§ 253 Abs. 2 Satz 1 HGB). Der Satzungszweck wird im Rahmen von einzelnen Projekten und geeigneten Veranstaltungen sowie durch die Vergabe von Stipendien verwirklicht. Die Passivierung erfolgt grundsätzlich

Zusage an Leistungsempfänger ist unter dem Posten „Zweckgebundene Mittel für Projekte“ erfasst. Wenn sich die Baden-Württem-

* Zahlenangaben betreffen das Geschäftsjahr 2017.

berg Stiftung gGmbH zur Erbringung satzungsmäßiger Leistungen gegenüber einem Dritten (z. B. Projektpartner) verpflichtet und diese Leistung hinsichtlich ihrer Höhe ungewiss ist, so

2 / Umlaufvermögen

sind diese Beträge ebenfalls hierunter erfasst. In geringem

Die Forderungen aus Lieferungen und Leistungen bestehen in

Umfang sind Aufwendungen für eigenes Personal enthalten, welche

Höhe von TEUR 579 (Vorjahr: TEUR 144) gegen den Gesellschafter.

in den jeweiligen Budgetfestsetzungsbeschlüssen pauschaliert angesetzt sind.

Die sonstigen Vermögensgegenstände beinhalten Forderungen gegen den Gesellschafter in Höhe von TEUR 105 (Vorjahr:

Wird eine Leistungszusage unter dem Vorbehalt erteilt, dass

TEUR 7.700).

zur Leistungserbringung genügend Mittel zur Verfügung stehen müssen, so handelt es sich – soweit diese Mittel zum Abschluss-

Vorsteuererstattungsansprüche gemäß § 15a UStG, die ratierlich

stichtag noch nicht vorhanden sind – um eine Verpflichtung, die

zahlungswirksam werden, bestehen zum 31.12.2018 in Höhe von

erst nach Zugang beziehungsweise Erwirtschaftung der Mittel

TEUR 525 (Vorjahr: TEUR 651). Von den sonstigen Vermögens-

zu bilanzieren ist. Gleiches gilt für Maßnahmen, die erst in

gegenständen entfallen TEUR 517 (Vorjahr: TEUR 2.567) auf

einem späteren Geschäftsjahr zur Ausführung kommen. Derartige

Forderungen mit einer Restlaufzeit von mehr als einem Jahr.

aufschiebend bedingte Verpflichtungen werden im Anhang unter der entsprechenden Position angegeben.

Sämtliche übrigen Forderungen und sonstigen Vermögensgegenstände haben – wie im Vorjahr – eine Restlaufzeit von unter

Die Verbindlichkeiten sind mit ihren jeweiligen Erfüllungsbe-

einem Jahr.

trägen passiviert.

3 / Sondervermögen Der Posten „Sondervermögen“ betrifft rechtlich unselbstständige Stiftungen, die durch die Baden-Württemberg Stiftung gGmbH gegründet wurden.

164


ANHANG

für das Geschäftsjahr 2018

Die Sondervermögen werden in einem Nebenbuch mit eigenen

5 / Sonstige Rückstellungen

Buchungs- und Bilanzkreisen geführt. Die Ergebnisse der einzel-

Die sonstigen Rückstellungen enthalten im Wesentlichen Rück-

nen Sondervermögen werden anteilig zu Gunsten beziehungsweise

stellungen für ausstehende Rechnungen.

zu Lasten der jeweiligen Sondervermögen verwendet.

6 / Zweckgebundene Mittel für Projekte Auf der Aktivseite kommen die Vermögensgegenstände der recht-

Es kommen die noch nicht verbrauchten Beträge für beschlos-

lich unselbstständigen Stiftungen zum Ausweis, soweit diese

sene und bis zum Ende des Berichtsjahres begonnene Projekte

nicht gesondert geführt werden. Die Sondervermögen auf der

zum Ansatz.

Passivseite weisen die Anteile der fremden Stifter am Vermögen der rechtlich unselbstständigen Stiftungen aus. Die

In dem Posten „Zweckgebundene Mittel für Projekte“ sind pro-

Anteile der Baden-Württemberg Stiftung gGmbH an den rechtlich

jektbezogene Verpflichtungen gegenüber dem Gesellschafter in

unselbstständigen Stiftungen werden unter den Gewinnrücklagen

Höhe von TEUR 40.447 (Vorjahr: TEUR 45.007) enthalten.

im Eigenkapital ausgewiesen. Die Verpflichtungen aus Zukunftsoffensiven sind formal inner-

4 / Eigenkapital

halb eines Jahres fällig. Bei den laufenden Projekten werden

Das gezeichnete Kapital der Gesellschaft beträgt unverändert

üblicherweise ca. EUR 40-50 Mio. innerhalb eines Jahres in

TEUR 20.159.

Anspruch genommen. Die verbleibenden Projektverpflichtungen haben eine Restlaufzeit von 1-5 Jahren.

Die Kapitalrücklage enthält Gesellschafterzuzahlungen im Sinne des § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB. Als zweckgebundene Gewinnrücklagen sind die Anteile der Baden-Württemberg Stiftung gGmbH an den rechtlich unselbstständigen Stiftungen ausgewiesen. Die Entwicklung der Anteile der Baden-Württemberg Stiftung gGmbH an den rechtlich unselbstständigen Stiftungen stellt sich wie folgt dar: Anteil BW Stiftung %

1.1.2018 TEUR

Stiftung Artur Fischer Erfinderpreis Baden-Württemberg

50,0

873

0

25

898

Stiftung Kulturpreis Baden-Württemberg der Volksbanken Raiffeisenbanken und der Baden-Württemberg Stiftung

50,0

251

0

0

251

Stiftung Kinderland Baden-Württemberg

96,0

53.504

1.000

-980

53.524

54.628

1.000

-955

54.673

Zweckgebundene Gewinnrücklagen

Zugänge Ergebnis- 31.12.2018 TEUR anteil TEUR 2018 TEUR

165


JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

7 / Verbindlichkeiten Art der Verbindlichkeiten

Gesamt

Restlaufzeit bis 1 Jahr

Restlaufzeit 1-5 Jahre

Restlaufzeit > 5 Jahre

31.12.2018 TEUR

Vorjahr TEUR

31.12.2018 TEUR

Vorjahr TEUR

31.12.2018 TEUR

Vorjahr TEUR

31.12.2018 TEUR

Vorjahr TEUR

Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten

9.121

11.453

2.378

2.332

6.743

9.121

0

0

Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen

6.546

5.660

6.546

5.660

0

0

0

0

(4)

(430)

542

1.414

542

1.265

0

120

0

29

(148)

(1.138)

(davon aus Steuern)

(0)

(0)

(davon im Rahmen der sozialen Sicherheit)

(0)

(0)

16.209

18.527

9.466

9.257

6.743

9.241

0

29

(davon gegenüber Gesellschafter) Sonstige Verbindlichkeiten (davon gegenüber Gesellschafter)

Die Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten sind durch

10 / Aufwendungen für Altersversorgung

eine Bürgschaft des Landes gesichert.

Der Posten “Soziale Abgaben und Aufwendungen für Altersversorgung“ enthält Aufwendungen für Altersversorgung in Höhe

8 / Umsatzerlöse

Miet-/Pachterträge aus Grundvermögen Verpachtung Werbeflächen Projekterträge

von TEUR 181 (Vorjahr: TEUR 213). 2018 TEUR

2017 TEUR

32.482

29.507

56

55

366

175

32.904

29.737

11 / Projektaufwand

Zuführung zu zweckgebundenen Mitteln für Projekte laut Beschlüssen des Aufsichtsrats Projektaufwand Stiftung Kinderland

Die Umsatzerlöse werden ausschließlich im Inland realisiert.

2018 TEUR

2017 TEUR

39.480

37.100

3.500

2.500

42.980

39.600

Hierin sind periodenfremde Umsatzerlöse in Höhe von TEUR 310 (Vorjahr: TEUR 1.146) enthalten.

Der Projektaufwand enthält zu einem geringen Teil mitbudgetierte Personalaufwendungen für eigene, nur fallweise für

9 / Sonstige betriebliche Erträge

Einzelprojekte eingestellte Mitarbeiter. Hierfür sind im

In den sonstigen betrieblichen Erträgen sind periodenfremde

Geschäftsjahr 2018 TEUR 666 tatsächlich angefallen, welche

Erträge in Höhe von TEUR 143 (Vorjahr: TEUR 150) enthalten.

bereits in den Jahren der entsprechenden Beschlussfassungen

Davon entfallen TEUR 143 (Vorjahr: TEUR 147) auf die Auflösung

aufwandswirksam wurden.

von Rückstellungen.

166


ANHANG

für das Geschäftsjahr 2018

12 / Sonstige betriebliche Aufwendungen

Passivierungswahlrecht des Art. 28 Abs. 1 EGHGB nicht Gebrauch

Der Posten enthält periodenfremde Aufwendungen in Höhe von

macht und die Verpflichtungen nicht auf der Basis eines versi-

TEUR 41 (Vorjahr: TEUR 183).

cherungsmathematischen Gutachtens ermittelt wurden. Es handelt sich um eine tarifvertraglich vereinbarte zusätzliche Alters-,

13 / Erträge aus Beteiligungen und anderen Wertpapieren des Finanzanlagevermögens

Erwerbsminderungs- und Hinterbliebenenversorgung gegenüber den Angestellten der BWS. Die Ausgestaltung ergibt sich aus der Satzung der VBL. Die Versorgung wird im Wege des Umlagever-

Erträge aus Beteiligungen Erträge aus Wertpapieren des Finanzanlagevermögens

2018 TEUR

2017 TEUR

8.235

8.341

25.513

62.540

33.748

70.881

fahrens über die VBL abgewickelt. Die Arbeitnehmer erwerben einen unmittelbaren Anspruch gegenüber der VBL. Der Anteil des Arbeitgebers am derzeitigen Umlagesatz beträgt 6,45 %, der Arbeitnehmeranteil 1,81 %. Neben der Umlage erhebt die VBL Sanierungsgelder von allen beteiligten Arbeitgebern mit Pflichtversicherten im Abrechnungsverband West. Die Gesamthöhe

14 / Sonstige Zinsen und ähnliche Erträge

der von den beteiligten Arbeitgebern zu leistenden Sanie-

Der Posten enthält periodenfremde Zinserträge in Höhe von

rungsgelder vermindert sich ab 2016 für den neuen Deckungsab-

TEUR 687 (Vorjahr: TEUR 0).

schnitt (bis 31.12.2022). Bisher entsprach die Gesamthöhe der Sanierungsgelder 2,0 % der jährlich um 1 % erhöhten zusatzver-

15 / Zinsen und ähnliche Aufwendungen

sorgungspflichtigen Entgelte aller Pflichtversicherten im Jahr

Unter diesem Posten sind Aufwendungen aus der Aufzinsung von

2001. Ab 2016 werden noch 0,14 % der entsprechenden Entgelte

langfristigen Rückstellungen in Höhe von TEUR 31 (Vorjahr:

verursachergerecht auf die Arbeitgeber und Arbeitgebergrup-

TEUR 27) ausgewiesen. Davon entfallen auf Pensionsrückstel-

pen verteilt. Die Summe der umlagepflichtigen Gehälter betrug

lungen TEUR 18 (Vorjahr: TEUR 13).

TEUR 1.636 (Vorjahr: TEUR 1.594). Eine Schätzung der Verteilung der Versorgungsverpflichtungen auf die anspruchsberechtigten Arbeitnehmer, ehemaligen Arbeitnehmer und Rentenbezieher ist

04 SONSTIGE PFLICHTANGABEN

nicht möglich.

2 / Sonstige finanzielle Verpflichtungen 1 / Haftungsverhältnisse

Das Volumen der durch den Aufsichtsrat beschlossenen Projekte,

Die Gesellschaft hat sich vertraglich zur Bereitstellung finan-

die noch nicht aufwandswirksam erfasst wurden (Projektobligo),

zieller Mittel an ein Beteiligungsunternehmen für den Fall ver-

beläuft sich auf TEUR 32.500 (Vorjahr: TEUR 32.680).

pflichtet, dass dieses seine Verpflichtungen aus einer möglichen Inanspruchnahme für die Übernahme von Dekontaminationskosten

Aus im abgelaufenen Geschäftsjahr beauftragten, zum Bilanz-

nicht mit eigenen Mitteln erfüllen kann. Aufgrund der vor-

stichtag noch nicht abgerechneten baulichen Maßnahmen, beste-

liegenden Indikatoren über das Ausmaß der voraussichtlichen

hen Verpflichtungen in Höhe von TEUR 3.209.

Dekontaminationskosten unter Berücksichtigung der derzeitigen Liquiditäts- und Eigenkapitalausstattung des Beteiligungsun-

3 / Derivative Finanzinstrumente

ternehmens ist mit einer Inanspruchnahme aus dem Haftungs-

Die Gesellschaft setzt selbst keine derivativen Finanzinstru-

verhältnis nicht zu rechnen.

mente ein.

Die Baden-Württemberg Stiftung gGmbH (BWS) ist Mitglied in

Im Rahmen der Investmentfonds werden, den Anlagerichtlinien

der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL). Für

der Baden-Württemberg Stiftung gGmbH entsprechend, Derivate,

die Versorgungsverpflichtungen aus der Zusatzversorgung für

im Wesentlichen Futures, eingesetzt.

aktive und ehemalige Arbeiter und Angestellte der BWS besteht eine Subsidiärhaftung seitens des Arbeitgebers. Für diese besteht unter den sonstigen Voraussetzungen eine Anhangangabepflicht nach Art. 28 Abs. 2 EGHGB, da die BWS von dem

167


JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

4 / Angaben zu den Mitgliedern der Unternehmensorgane

Minister Peter Hauk Mitglied des Landtags, Minister für Ländlichen Raum

GESCHÄFTSFÜHRUNG

und Verbraucherschutz

Als Geschäftsführer waren im Geschäftsjahr bestellt: Ministerin Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut Christoph Dahl

Mitglied des Landtags, Ministerin für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau

Herr Walter Leibold, Ministerialdirigent im Ministerium für Finanzen Baden-Württemberg (bis 16. März 2018)

Minister Manfred Lucha Mitglied des Landtags, Minister für Soziales und

Herr Reiner Moser, Ministerialdirigent im Ministerium für

Integration

Finanzen Baden-Württemberg, (ab 16. März 2018) Ministerin Edith Sitzmann Die Gesamtvergütung von Herrn Christoph Dahl für das Geschäfts-

Mitglied des Landtags, Ministerin für Finanzen

jahr 2018 setzt sich wie folgt zusammen: Minister Guido Wolf TEUR

Grundgehalt (inkl. Zusatzversorgung)

129

Sonstige geldwerte Vorteile

6 135

Mitglied des Landtags, Minister der Justiz und für Europa Staatssekretär Volker Schebesta Mitglied des Landtags Staatsministerin Theresa Schopper

Für zwei ehemalige Geschäftsführer wird auf die Angabe der Bezüge bzw. auf die Angabe der Ruhegeldbezüge sowie auf die Angabe der Pensionsrückstellung gem. § 286 Abs. 4 HGB verzichtet. Der Geschäftsführer Reiner Moser erhält keine Vergütung.

Nese Erikli Mitglied des Landtags Reinhold Gall Mitglied des Landtags, Minister a. D.

AUFSICHTSRAT Mitglieder des Aufsichtsrats:

Winfried Mack Mitglied des Landtags, Stellvertretender

Ministerpräsident Winfried Kretschmann

Fraktionsvorsitzender CDU

Mitglied des Landtags, Vorsitzender des Aufsichtsrats Claus Paal (seit 26. März 2018) Andreas Schwarz

Mitglied des Landtags

Mitglied des Landtags, Fraktionsvorsitzender Bündnis '90/Die Grünen, Erster stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrats Prof. Dr. Wolfgang Reinhart Mitglied des Landtags, Fraktionsvorsitzender CDU,

Barbara Saebel Mitglied des Landtags Emil Sänze Mitglied des Landtags

Zweiter stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrats, Minister a. D.

Georg Wacker (bis 27. Februar 2018) Mitglied des Landtags

Ministerin Theresia Bauer Mitglied des Landtags, Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst

168

Nico Weinmann Mitglied des Landtags


ANHANG

für das Geschäftsjahr 2018

Die Mitglieder des Aufsichtsrats erhalten keine Vergütung.

notierten diese Wertpapiere bereits wieder mit Kurswerten von EUR 1.481,4 Mio. Die Anteile an einem anderen Sondervermögen mit

5 / Durchschnittliche Zahl der Beschäftigten

einer langfristigen Anlagestrategie (Absolute Return) notier-

Während des Geschäftsjahres waren durchschnittlich 24 Ange-

ten am Bilanzstichtag mit einem Kurswert von EUR 69,7 Mio. um

stellte als Angehörige der Stammbelegschaft, 7 geringfügig

EUR 10,2 Mio. unter ihrem Buchwert. Am 31. März 2019 notierten

Beschäftigte und durchschnittlich 11 Angestellte, die nur

die Fondsanteile mit Kurswerten von EUR 71,1 Mio.

fallweise im Rahmen der Projektdurchführung eingestellt werden, beschäftigt.

Nach den Erfahrungen der bisherigen und der für das nachfolgende Geschäftsjahr erwarteten Wertentwicklung wird die Wert-

6 / Abschlussprüferhonorar

minderung nicht von Dauer sein. Außerplanmäßige Abschreibungen

Das auf das Geschäftsjahr 2018 auf den Abschlussprüfer entfallende

waren deshalb nicht vorzunehmen.

Gesamthonorar von TEUR 83 (einschließlich gesetzliche Umsatzsteuer) betrifft ausschließlich Abschlussprüfungsleistungen.

8 / Nachtragsbericht Nach dem Bilanzstichtag haben sich keine Vorkommnisse ergeben,

7 / Angaben zu Sondervermögen i.S.v. § 1 Abs. 10 KAGB

die einen wesentlichen Einfluss auf die Vermögens-, Finanz- und

Die Gesellschaft hält Anteile an verschiedenen Sondervermö-

Ertragslage der Gesellschaft haben.

gen mit langfristiger Anlagestrategie (langfristiger Kapitalerhalt und ausschüttungsfähige Erträge). Die Anteile dieser

9 / Ergebnisverwendungsvorschlag

Sondervermögen notierten am Bilanzstichtag mit Kurswerten

Die Geschäftsführung schlägt vor, den nach Bildung der sat-

von EUR 1.404,5 Mio. aufgrund von temporären Kursschwankun-

zungsmäßigen Rücklagen verbleibenden Bilanzgewinn in Höhe von

gen um EUR 92,0 Mio. unter ihrem Buchwert. Am 31. März 2019

TEUR 32.313 auf neue Rechnung vorzutragen.

Stuttgart, den 3. Mai 2019

Baden-Württemberg Stiftung gGmbH, Christoph Dahl / Reiner Moser

169


JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

BESTÄTIGUNGSVERMERK DES ABSCHLUSSPRÜFERS

Prüfungsurteile Wir haben den Jahresabschluss der Baden-Württemberg Stiftung gGmbH, Stuttgart, – bestehend aus der Bilanz zum 31.12.2018 und der Gewinn- und Verlustrechnung für das Geschäftsjahr vom 1.1.2018 bis zum 31.12.2018 sowie dem Anhang, einschließlich der Darstellung der Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden – geprüft. Darüber hinaus haben wir den Lagebericht der Baden-Württemberg Stiftung gGmbH, Stuttgart, für das Geschäftsjahr vom 1.1.2018 bis zum 31.12.2018 geprüft. Nach unserer Beurteilung aufgrund der bei der Prüfung gewonnenen Erkenntnisse entspricht der beigefügte Jahresabschluss in allen wesentlichen Belangen den deutschen, für Kapitalgesellschaften geltenden handelsrechtlichen Vorschriften und vermittelt unter Beachtung der deutschen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens- und Finanzlage der Gesellschaft zum 31.12.2018 sowie ihrer Ertragslage für das Geschäftsjahr vom 1.1.2018 bis zum 31.12.2018 und vermittelt der beigefügte Lagebericht insgesamt ein zutreffendes Bild von der Lage der Gesellschaft. In allen wesentlichen Belangen steht dieser Lagebericht in Einklang mit dem Jahresabschluss, entspricht den deutschen gesetzlichen Vorschriften und stellt die Chancen und Risiken der zukünftigen Entwicklung zutreffend dar. Gemäß § 322 Abs. 3 Satz 1 HGB erklären wir, dass unsere Prüfung zu keinen Einwendungen gegen die Ordnungsmäßigkeit des Jahresabschlusses und des Lageberichts geführt hat.

Grundlage für die Prüfungsurteile Wir haben unsere Prüfung des Jahresabschlusses und des Lageberichts in Übereinstimmung mit § 317 HGB unter Beachtung der vom Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) festgestellten deutschen Grundsätze ordnungsmäßiger Abschlussprüfung durchgeführt. Unsere Verantwortung nach diesen Vorschriften und Grundsätzen ist im Abschnitt „Verantwortung des Abschlussprüfers für die Prüfung des Jahresabschlusses und des Lageberichts“ unseres Bestätigungsvermerks weitergehend beschrieben. Wir sind von dem Unternehmen unabhängig in Übereinstimmung mit den deutschen handelsrechtlichen und berufsrechtlichen Vorschriften und haben unsere sonstigen deutschen Berufspflichten in Übereinstimmung mit diesen Anforderungen erfüllt. Wir sind der Auffassung, dass die von uns erlangten Prüfungsnachweise ausreichend und geeignet sind, um als Grundlage für unsere Prüfungsurteile zum Jahresabschluss und zum Lagebericht zu dienen.

Verantwortung der gesetzlichen Vertreter und des Aufsichtsrats für den Jahresabschluss und den Lagebericht Die gesetzlichen Vertreter sind verantwortlich für die Aufstellung des Jahresabschlusses, der den deutschen, für Kapitalgesellschaften geltenden handelsrechtlichen Vorschriften in allen wesentlichen Belangen entspricht, und dafür, dass der Jahresabschluss unter Beachtung der deutschen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Gesellschaft vermittelt. Ferner sind die gesetzlichen Vertreter verantwortlich für die internen Kontrollen, die sie in Übereinstimmung mit den deutschen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung als notwendig bestimmt haben, um die Aufstellung eines Jahresabschlusses zu ermöglichen, der frei von wesentlichen – beabsichtigten oder unbeabsichtigten – falschen Darstellungen ist. Bei der Aufstellung des Jahresabschlusses sind die gesetzlichen Vertreter dafür verantwortlich, die Fähigkeit der Gesellschaft zur Fortführung der Unternehmenstätigkeit zu beurteilen. Des Weiteren haben sie die Verantwortung, Sachverhalte in Zusammenhang mit der Fortführung der Unternehmenstätigkeit, sofern einschlägig, anzugeben. Darüber hinaus sind sie dafür verantwortlich, auf der Grundlage des

170


BESTÄTIGUNGSVERMERK

des Abschlussprüfers

Rechnungslegungsgrundsatzes der Fortführung der Unternehmenstätigkeit zu bilanzieren, sofern dem nicht tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten entgegenstehen. Außerdem sind die gesetzlichen Vertreter verantwortlich für die Aufstellung des Lageberichts, der insgesamt ein zutreffendes Bild von der Lage der Gesellschaft vermittelt sowie in allen wesentlichen Belangen mit dem Jahresabschluss in Einklang steht, den deutschen gesetzlichen Vorschriften entspricht und die Chancen und Risiken der zukünftigen Entwicklung zutreffend darstellt. Ferner sind die gesetzlichen Vertreter verantwortlich für die Vorkehrungen und Maßnahmen (Systeme), die sie als notwendig erachtet haben, um die Aufstellung eines Lageberichts in Übereinstimmung mit den anzuwendenden deutschen gesetzlichen Vorschriften zu ermöglichen, und um ausreichende geeignete Nachweise für die Aussagen im Lagebericht erbringen zu können. Der Aufsichtsrat ist verantwortlich für die Überwachung des Rechnungslegungsprozesses der Gesellschaft zur Aufstellung des Jahresabschlusses und des Lageberichts.

Verantwortung des Abschlussprüfers für die Prüfung des Jahresabschlusses und des Lageberichts Unsere Zielsetzung ist, hinreichende Sicherheit darüber zu erlangen, ob der Jahresabschluss als Ganzes frei von wesentlichen – beabsichtigten oder unbeabsichtigten – falschen Darstellungen ist, und ob der Lagebericht insgesamt ein zutreffendes Bild von der Lage der Gesellschaft vermittelt sowie in allen wesentlichen Belangen mit dem Jahresabschluss sowie mit den bei der Prüfung gewonnenen Erkenntnissen in Einklang steht, den deutschen gesetzlichen Vorschriften entspricht und die Chancen und Risiken der zukünftigen Entwicklung zutreffend darstellt, sowie einen Bestätigungsvermerk zu erteilen, der unsere Prüfungsurteile zum Jahresabschluss und zum Lagebericht beinhaltet. Hinreichende Sicherheit ist ein hohes Maß an Sicherheit, aber keine Garantie dafür, dass eine in Übereinstimmung mit § 317 HGB unter Beachtung der vom Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) festgestellten deutschen Grundsätze ordnungsmäßiger Abschlussprüfung durchgeführte Prüfung eine wesentliche falsche Darstellung stets aufdeckt. Falsche Darstellungen können aus Verstößen oder Unrichtigkeiten resultieren und werden als wesentlich angesehen, wenn vernünftigerweise erwartet werden könnte, dass sie einzeln oder insgesamt die auf der Grundlage dieses Jahresabschlusses und Lageberichts getroffenen wirtschaftlichen Entscheidungen von Adressaten beeinflussen. Während der Prüfung üben wir pflichtgemäßes Ermessen aus und bewahren eine kritische Grundhaltung. Darüber hinaus identifizieren und beurteilen wir die Risiken wesentlicher – beabsichtigter oder unbeabsichtigter – falscher Darstellungen im Jahresabschluss und im Lagebericht, planen und führen Prüfungshandlungen als Reaktion auf diese Risiken durch sowie erlangen Prüfungsnachweise, die ausreichend und geeignet sind, um als Grundlage für unsere Prüfungsurteile zu dienen. Das Risiko, dass wesentliche falsche Darstellungen nicht aufgedeckt werden, ist bei Verstößen höher als bei Unrichtigkeiten, da Verstöße betrügerisches Zusammenwirken, Fälschungen, beabsichtigte Unvollständigkeiten, irreführende Darstellungen bzw. das Außerkraftsetzen interner Kontrollen beinhalten können. gewinnen wir ein Verständnis von dem für die Prüfung des Jahresabschlusses relevanten internen Kontrollsystem und den für die Prüfung des Lageberichts relevanten Vorkehrungen und Maßnahmen, um Prüfungshandlungen zu planen, die unter den gegebenen Umständen angemessen sind, jedoch nicht mit dem Ziel, ein Prüfungsurteil zur Wirksamkeit dieser Systeme der Gesellschaft abzugeben.

171


BESTÄTIGUNGSVERMERK

des Abschlussprüfers

JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

beurteilen wir die Angemessenheit der von den gesetzlichen Vertretern angewandten Rechnungslegungsmethoden sowie die Vertretbarkeit der von den gesetzlichen Vertretern dargestellten geschätzten Werte und damit zusammenhängenden Angaben. ziehen wir Schlussfolgerungen über die Angemessenheit des von den gesetzlichen Vertretern angewandten Rechnungslegungsgrundsatzes der Fortführung der Unternehmenstätigkeit sowie, auf der Grundlage der erlangten Prüfungsnachweise, ob eine wesentliche Unsicherheit im Zusammenhang mit Ereignissen oder Gegebenheiten besteht, die bedeutsame Zweifel an der Fähigkeit der Gesellschaft zur Fortführung der Unternehmenstätigkeit aufwerfen können. Falls wir zu dem Schluss kommen, dass eine wesentliche Unsicherheit besteht,sind wir verpflichtet, im Bestätigungsvermerk auf die dazugehörigen Angaben im Jahresabschluss und im Lagebericht aufmerksam zu machen oder, falls diese Angaben unangemessen sind, unser jeweiliges Prüfungsurteil zu modifizieren. Wir ziehen unsere Schlussfolgerungen auf der Grundlage der bis zum Datum unseres Bestätigungsvermerks erlangten Prüfungsnachweise. Zukünftige Ereignisse oder Gegebenheiten können jedoch dazu führen, dass die Gesellschaft ihre Unternehmenstätigkeit nicht mehr fortführen kann. beurteilen wir die Gesamtdarstellung, den Aufbau und den Inhalt des Jahresabschlusses einschließlich der Angaben sowie ob der Jahresabschluss die zugrunde liegenden Geschäftsvorfälle und Ereignisse so darstellt, dass der Jahresabschluss unter Beachtung der deutschen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Gesellschaft vermittelt. beurteilen wir den Einklang des Lageberichts mit dem Jahresabschluss, seine Gesetzesentsprechung und das von ihm vermittelte Bild von der Lage der Gesellschaft. führen wir Prüfungshandlungen zu den von den gesetzlichen Vertretern dargestellten zukunftsorientierten Angaben im Lagebericht durch. Auf Basis ausreichender geeigneter Prüfungsnachweise vollziehen wir dabei insbesondere die den zukunftsorientierten Angaben von den gesetzlichen Vertretern zugrunde gelegten bedeutsamen Annahmen nach und beurteilen die sachgerechte Ableitung der zukunftsorientierten Angaben aus diesen Annahmen. Ein eigenständiges Prüfungsurteil zu den zukunftsorientierten Angaben sowie zu den zugrunde liegenden Annahmen geben wir nicht ab. Es besteht ein erhebliches unvermeidbares Risiko, dass künftige Ereignisse wesentlich von den zukunftsorientierten Angaben abweichen. Wir erörtern mit den für die Überwachung Verantwortlichen unter anderem den geplanten Umfang und die Zeitplanung der Prüfung sowie bedeutsame Prüfungsfeststellungen, einschließlich etwaiger Mängel im internen Kontrollsystem, die wir während unserer Prüfung feststellen.

Stuttgart, den 3. Mai 2019

Prof. Dr. Binder, Dr. Dr. Hillebrecht & Partner GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Steuerberatungsgesellschaft Bacher (Wirtschaftsprüfer) / Barth (Wirtschaftsprüfer)

172


SCHRIFTENREIHE

SCHRIFTENREIHE DER BADEN WÜRTTEMBERG STIFTUNG BAND

89

Informationsbroschüre Schulbegleitung / Orientierungshilfe für Schule und Eingliederungshilfe (2019)

BAND

88

Freizeitangebote für Kinder mit Fluchterfahrung / Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung (2018)

BAND

87

Mobiles Baden-Württemberg / Wege der Transformation zu einer nachhaltigen Mobilität (2017)

BAND

86 BAND

85 BAND

84

Bauprojekte visualisieren / Leitfaden für die Bürgerbeteiligung (2017)

Advances in Nanotechnology / Ergebnisse aus dem Forschungsprogramm Funktionelle Nanostrukturen III 2009-2011 (2017) Nachhaltigkeit Lernen II – Kinder gestalten Zukunft / Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung des Programms (2017)

BAND

83

INNOPÄD U3 / Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung (2017)

BAND

82

Inklusionsbegleiter bauen Brücken / Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung des Programms (2017)

BAND

81

Schulbegleitung als Beitrag zur Inklusion / Bestandsaufnahme und Rechtsexpertise (2016)

BAND

80

Kulturlotsen für Kinder / Ergebnisse der Begleitforschung (2016)

BAND

79

10 Jahre BoriS – Eine Erfolgsgeschichte / BoriS – Berufswahl-Siegel Baden-Württemberg (2015)

BAND

78

Vielfalt gefällt! 60 Orte der Integration / Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung (2015)

BAND

77

Nachhaltigkeit lernen – Kinder gestalten Zukunft / Ergebnisse der Evaluation des Programms (2015)

BAND

76 BAND

75 BAND

74

Sucht im Alter / Ergebnisse der Evaluation des Programms (2014)

Ältere Menschen mit Behinderung / Ergebnisse der Evaluation des Programms Förderung der Selbstständigkeit älterer Menschen mit Behinderung (2014) Therapie bei Demenz / Dokumentation zu Effekten körperlichen Trainings bei Menschen mit Behinderung (2014)

173


JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

BAND

73 BAND

72 BAND

71 BAND

70 BAND

69 BAND

68 BAND

67 BAND

66

Sprachliche Bildung für Kleinkinder / Sprachförderansätze: Erfahrungen und Reflexionen über die Projekte der Baden-Württemberg Stiftung zur Sprachförderung (2014) Gleichartig – aber anderswertig? / Analyse zur künftigen Rolle der (Fach-)Hochschulen im deutschen Hochschulsystem (2013) Evaluation Coaching4Future / Ergebnisse der wissenschaftlichen Untersuchung des Programms zur MINT-Nachwuchssicherung (2013) Strategische Forschung / Analyse der operativen Schwerpunkte im Bereich Forschung (2013) Advances in Nanotechnology – Physics, Chemistry, and Biology of Functional Nanostructures / Th. Schimmel, H. v. Löhneysen, M. Barczewski (2013) Botschafter für Nachhaltigkeit – die Ausbildung von Kulturlandschaftsführern in Baden-Württemberg / Eine Evaluierung der Ausbildung in drei Modellregionen (2013) Unterstützungsangebote für Kinder von psychisch kranken oder suchtkranken Eltern / Ergebnisse der Projektevaluation (2012) Medienwerkstatt Kindergarten – vom Konsumieren zum Gestalten / Ein Programm zur Förderung des kreativen Umgangs mit Medien (2012)

BAND

65

Gartenland in Kinderhand – ein Garten für die Kita / Ergebnisse der Projektevaluation (2012)

BAND

64

Aktionsprogramm Familienbesucher / Ein Programm zur Unterstützung von Müttern und Familien (2012)

BAND

63 BAND

62 BAND

61

Gesundheitsförderung in der Grundschule / „Komm mit in das gesunde Boot“ – Grundschule (2012)

Ferienzeit – Gestaltungszeit. Innovative pädagogische Freizeitangebote für Kinder und Jugendliche während der Ferienzeit / Abschlussbericht der wissenschaftlichen Begleitevaluation des Programms (2012) Da sein! – Könnt’ ich das? / Abschlussbericht des Projekts Ausbau der ambulanten Kinder- und Jugendhospizarbeit in Baden-Württemberg (2012)

BAND

60 BAND

59 BAND

58 BAND

57 BAND

56 BAND

55

174

BioLab Baden-Württemberg on Tour / Forschung, Leben, Zukunft (2011)

Gesundheitsförderung im Kindergarten / Evaluation des Programms Komm mit in das gesunde Boot der Baden-Württemberg Stiftung in Kindergärten in Baden-Württemberg (2011) Kompetenzen fördern – Erfolge schaffen / Dokumentation des Programms „KOMET 2 – Kompetenz- und Erfolgstrainings für Jugendliche“ (2011) Sag’ mal was – Sprachförderung für Vorschulkinder / Zur Evaluation des Programms der Baden-Württemberg Stiftung (2011) Nanotechnology – Fundamentals and Applications of Functional Nanostructures / Th. Schimmel, H. v. Löhneysen, M. Barczewski (2011) Fit für den Wiedereinstieg – wie sich Beruf und Familie unter einen Hut bringen lassen / Tipps für eine erfolgreiche Rückkehr in den Beruf (2010)


SCHRIFTENREIHE BAND

54 BAND

53 BAND

52

Neue Brücken bauen … zwischen Generationen, Kulturen und Institutionen / Programmdokumentation (2010)

Erzähl uns was! Kinder erzählen Geschichten und hören einander zu / Eine Förderinitiative der Stiftung Kinderland Baden-Württemberg (2010) Am Anfang ist es eine Idee – am Ende eine große Erfindung / Ein Leitfaden für die Planung und Umsetzung von naturwissenschaftlich-technischen Projekten (2010)

BAND

51 BAND

50 BAND

49

Nachhaltigkeit macht fit für die Zukunft / Energie nutzen, Umwelt schützen (2011)

Männer für erzieherische Berufe gewinnen: Perspektiven definieren und umsetzen / Impulse und Anregungen für eine größere Vielfalt in Tageseinrichtungen für Kinder (2010) Strategische Forschung 2010 / Studie zur Struktur und Dynamik der Wissenschaftsregion Baden-Württemberg (2010)

BAND

48 BAND

47 BAND

46 BAND

45 BAND

44 BAND

43

Expeditionsziel: Nachhaltigkeit / Ihr Reiseführer in die Zukunft (2011)

Familiäre Einflüsse als prägender Faktor: Herausforderung für die Suchtprävention / Wie Familien für die familienorientierte Suchtprävention zu gewinnen und welche Veränderungen möglich sind (2010) Qualifizierung von Prüfern: Entwicklung innovativer Weiterbildungskonzepte / Wie neuen Herausforderungen im Bildungswesen begegnet und Prüfungsqualität gesichert werden kann (2010) Neue Generationennetzwerke für Familien / Wissenschaftliche Evaluation des Förderprogramms der Stiftung Kinderland Baden-Württemberg (2010) Kinder und ihr Umgang mit Geld und Konsum / Dokumentation und Evaluation des Förderprogramms der Stiftung Kinderland Baden-Württemberg (2009) Musisch-ästhetische Modellprojekte in Kindergärten und anderen Tageseinrichtungen für Kinder / Dokumentation des Programms der Stiftung Kinderland Baden-Württemberg (2009)

BAND

42 BAND

41 BAND

40 BAND

39 BAND

38 BAND

37 BAND

36

Training bei Demenz / Dokumentation zum Kongress Training bei Demenz, Dezember 2008 (2009)

Hilfen und schulische Prävention für Kinder und Jugendliche bei häuslicher Gewalt / Evaluation der Aktionsprogramme „Gegen Gewalt an Kindern“ 2004–2008 in Baden-Württemberg (2009) Kommunen auf dem Weg zu mehr Familienfreundlichkeit / Dokumentation des Projekts der Landesstiftung Baden-Württemberg ZUKUNFTSFORUM Familie, Kinder & Kommune (2009) Naturwissenschaftlich-technische Modellprojekte in Kindergärten / Dokumentation des Programms der Stiftung Kinderland Baden-Württemberg (2009) Erfolgsgeschichten – Nachwuchswissenschaftler im Porträt / Ergebnisse des Eliteprogramms für Postdoktorandinnen und Postdoktoranden der Landesstiftung Baden-Württemberg (2009) Kinder nehmen Kinder an die Hand / Dokumentation des Programms der Stiftung Kinderland Baden-Württemberg (2009) Zeit nutzen – Innovative pädagogische Freizeitangebote für Kinder und Jugendliche während der Ferienzeit / Dokumentation des Förderprogramms der Stiftung Kinderland Baden-Württemberg (2008)

175


JAHRESBERICHT

2018

Baden-Württemberg Stiftung

BAND

35 BAND

34

E-LINGO – Didaktik des frühen Fremdsprachenlernens / Erfahrungen und Ergebnisse mit Blended Learning in einem Masterstudiengang (erschienen im gnv Gunter Narr Verlag, Tübingen, 2008) Visionen entwickeln – Bildungsprozesse wirksam steuern – Führung professionell gestalten / Dokumentation zum Masterstudiengang Bildungsmanagement der Landesstiftung Baden-Württemberg (erschienen im wbv W. Bertelsmann Verlag, Bielefeld, 2008)

BAND

33 BAND

32 BAND

31 BAND

30 BAND

29 BAND

28 BAND

27 BAND

26 BAND

25 BAND

24 BAND

23 BAND

22 BAND

21 BAND

20 BAND

19 BAND

18 BAND

17

176

Forschungsprogramm Klima- und Ressourcenschutz / Berichte und Ergebnisse aus den Forschungsprojekten der Landesstiftung Baden-Württemberg (2008) Nanotechnology – Physics, Chemistry, and Biology of Functional Nanostructures / Results of the first research programme Kompetenznetz „Funktionelle Nanostrukturen“ (Competence Network on Functional Nanostructures, 2008) „Früh übt sich …“ – Zugänge und Facetten freiwilligen Engagements junger Menschen / Fachtagung am 21. und 22. Juni 2007 in der Evangelischen Akademie Bad Boll (2008) beo – 6. Wettbewerb Berufliche Schulen / Ausstellung, Preisverleihung, Gewinner und Wettbewerbsbeiträge 2007 (2007) Forschungsprogramm Mikrosystemtechnik der Landesstiftung Baden-Württemberg / Berichte und Ergebnisse aus den Forschungsprojekten (2007) Frühe Mehrsprachigkeit: Mythen – Risiken – Chancen / Dokumentation zum Kongress am 5. und 6. Oktober 2006 in Mannheim (2007) „Es ist schon cool, wenn man viel weiß!“ KOMET – Kompetenz- und Erfolgstrainings für Jugendliche / Dokumentation der Programmlinie der Landesstiftung Baden-Württemberg 2005–2007 (2007) Jugend und verantwortungsvolle Mediennutzung – Medien und Gesellschaft / Untersuchungsbericht des Forschungsinstituts tifs e. V. (2007) jes – Jugend engagiert sich und jes/connection – die Modellprojekte der Landesstiftung Baden-Württemberg / Bericht der wissenschaftlichen Begleitung 2002–2005 (2007) Suchtfrei ins Leben / Dokumentation der Förderprogramme zur Suchtprävention für vorbelastete Kinder und Jugendliche (2007) Häusliche Gewalt beenden: Verhaltensänderung von Tätern als Ansatzpunkt / Eine Evaluationsstudie von Monika Barz und Cornelia Helfferich (2006) Innovative Familienbildung – Modellprojekte in Baden-Württemberg / Aktionsprogramm Familie – Förderung der Familienbildung (2006) Förderung der Selbstständigkeit und Eigenverantwortung von Menschen mit Behinderung / Dokumentation der Projekte der Ausschreibung der Landesstiftung Baden-Württemberg 2002–2006 (2006) Raus aus der Sackgasse! / Dokumentation des Programms „Hilfen für Straßenkinder und Schulverweigerer“ (2006) „Erfahrungen, die’s nicht zu kaufen gibt!“ – Bildungspotenziale im freiwilligen Engagement junger Menschen / Fachtagung 16. und 17. Juni 2005 in der Evangelischen Akademie in Bad Boll (2006) beo – 5. Wettbewerb Berufliche Schulen / Dokumentation über die Wettbewerbsbeiträge der Preisträgerinnen und Preisträger 2006 (2006) Forschungsprogramm Nahrungsmittelsicherheit der Landesstiftung Baden-Württemberg / Berichte und Ergebnisse aus den Forschungsprojekten (2006)


SCHRIFTENREIHE BAND

16 BAND

15 BAND

14 BAND

13 BAND

12 BAND

11 BAND

10 BAND

9 BAND

8 BAND

7 BAND

6 BAND

5 BAND

4 BAND

3 BAND

2 BAND

1

Medienkompetenz vermitteln – Strategien und Evaluation / Das Einsteigerprogramm start und klick! der Landesstiftung Baden-Württemberg (2006) Forschungsprogramm Optische Technologien der Landesstiftung Baden-Württemberg / Zwischenberichte aus den Forschungsprojekten (2005) Jugend. Werte. Zukunft. – Wertvorstellungen, Zukunftsperspektiven und soziales Engagement im Jugendalter / Eine Studie von Dr. Heinz Reinders (2005) 4. Wettbewerb Berufliche Schulen / Dokumentation des Wettbewerbs 2005 mit den Preisträgerinnen und Preisträgern (2005) Beruf UND Familie – wie gestalten wir das UND? / Ein Leitfaden für Praktikerinnen und Praktiker aus Unternehmen und Kommunen (2005) Strategische Forschung in Baden-Württemberg / Foresight-Studie und Bericht an die Landesstiftung Baden-Württemberg (2005) Jugend und verantwortungsvolle Mediennutzung – Medien und Gesellschaft / Untersuchungsbericht des Forschungsinstituts tifs e. V. (2005) Dialog Wissenschaft und Öffentlichkeit / Ein Ideenwettbewerb zur Vermittlung von Wissenschaft und Forschung an Kinder und Jugendliche (2005) Selbstvertrauen stärken – Ausbildungsreife verbessern / Dokumentation innovativer Projekte im Berufsvorbereitungsjahr 2001/2002 (2005) Faustlos in Kindergärten / Evaluation des Faustlos-Curriculums für den Kindergarten – dokumentiert im Zeitraum von Januar 2003 bis Oktober 2004 (2004) Hochschulzulassung: Auswahlmodelle für die Zukunft / Eine Entscheidungshilfe für die Hochschulen (2005) 3. Wettbewerb Berufliche Schulen / Dokumentation des Wettbewerbs 2004 mit den Preisträgerinnen und Preisträgern (2004) Jugend und verantwortungsvolle Mediennutzung – Medien und Persönlichkeitsentwicklung / Dokumentation des Fachtags, 4. Dezember 2003, Gospel Forum Stuttgart (2004) 2. Wettbewerb Berufliche Schulen / Dokumentation des Wettbewerbs 2003 mit den Preisträgerinnen und Preisträgern (2003) Neue Wege der Förderung freiwilligen Engagements von Jugendlichen / Eine Zwischenbilanz zu Modellen in Baden-Württemberg (2003) 1. Wettbewerb Berufliche Schulen / Dokumentation des Wettbewerbs 2002 mit den Preisträgerinnen und Preisträgern (2002)

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IMPRESSUM Herausgeberin

Fotografie

Baden-Württemberg Stiftung gGmbH Kriegsbergstraße 42, 70174 Stuttgart Tel. +49 (0) 711 248 476-0 / Fax +49 (0) 711 248 476-50 info@bwstiftung.de www.bwstiftung.de www.wir-gesellschaft-bw.de

Redaktion

AWP / Association for Wildlife Protection / Verein zum Schutz wilder Tiere e.V., BW Stiftung, Anette Cardinale, Norman Domeier, Daniel Dürbeck, Nadine Feber, Filmakademie Ludwigsburg, FLAD & FLAD, Björn Hänssler, KD Busch, Andreas Konietzko, Joachim Lerch, Ines Njers, Kevin Ouma, Sandra Potsch, Pressefoto Baumann, Hansjürgen Britsch, Wolfram Scheible, Natalie Spahr, Wolf-Peter Steinheißer, Studio Seufz, Jochen Wilms

Julia Kovar-Mühlhausen, Nadia Heide, Dr. Philipp Jeandrée

Illustrationen

Verantwortlich Christoph Dahl, Geschäftsführer Baden-Württemberg Stiftung

Strichpunkt GmbH, Bernd Schifferdecker

Text Imageteil: Isabel Stettin, Thilo Stölzle Bericht: Nadia Heide, Ralf Butscher, Dr. Philipp Jeandrée, Iris Hobler

Konzeption und Gestaltung

Quellen

Postproduction

S. 008: https://www.immowelt.de/immobilienpreise/ stuttgart-west/mietspiegel https://www.immowelt.de/leben-in/ bezirk-stuttgart-west https://www.gpskoordinaten.de/ https://de.wikipedia.org/wiki/Stuttgart-West Statistisches Amt Stuttgart S. 018: https://www.deutschlandfunkkultur. de/nachbarschaft-der-fremde-von-nebenan.976. de.html?dram:article_id=439799 S. 039: https://www.wwf.de/fileadmin/fm-wwf/ Publikationen-PDF/WWF_Studie_Das_grosse_ Wegschmeissen.pdf S. 061: https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt. einzelhandel-in-stuttgart-ketten-und-filialistensind-auf-dem-vormarsch.66decade-0bda-4eb2-939b3ddebe0c89fa.html S. 071: https://www.drogenbeauftragte.de/fileadmin/ dateien-dba/Drogenbeauftragte/Drogen_und_ Suchtbericht/pdf/DSB-2018.pdf

SCHLOSSBERG-MEDIEN www.schlossbergmedien.de

Bei allen meint die auch wenn männliche

Die Jahresberichte der Baden-Württemberg Stiftung wurden mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit Gold beim BCM-Award 2014, 2015, 2016, 2017 und 2018, mit Bronze beim ADC-Award 2017 und 2018 sowie mit dem „Red Dot: Best of the Best“-Award 2015 und 2017.

Bezeichnungen, die auf Personen bezogen sind, gewählte Formulierung beide Geschlechter, aus Gründen der leichteren Lesbarkeit nur die Form verwendet wird.

ID-Nr. 1980893

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Strichpunkt GmbH, Stuttgart / Berlin www.strichpunkt-design.de

Druckerei raff media group GmbH, Riederich (Baden-Württemberg) www.raff-mediagroup.de © Juli 2019, Stuttgart Baden-Württemberg Stiftung ISSN 2197-5418

Wir bedanken uns herzlich für die Mitwirkung bei: Giulia Cardascia, Aslan Önen, Ulas Yalcin, Siegfried Schäuble, Ekici Halit, Harry Lahm, Felix Rieger, Alexander Buresch, Donatella Conte, Martin Fischer, Waldemar & Tatjana Neufeld, Hadi Tandawardaja, Reinhard Möhrle, Yilmaz Yogurtcu, Klaus Teichmann, Annik Aicher, Tobias Maucher, Axel Kreutle, Serkan Eren, Justin Bosch, Elisabeth Tull, Helene Prölß, Ralf Reisch, Stefanie Wilk, Jens-Peter Wedlich, Manuela Mpimpilis, Andreas Stiefelmeyer, Myriam Kunz, Elisabeth Oechsle, Patrick Lott, Thomas Gerhardt, Benjamin Martin, Jürgen Bauer, Astrid Schmeel, Uwe Schäfer, Sabine Boss


H

AUSBLICK 2019

E S

S E

Heidelberg

N

Bad Mergentheim Mosbach

Neuenstein

Heilbronn

Schwäbisch Hall

Oberderdingen

Weissach im Tal

Pforzheim

Ludwigsburg

Schwäbisch Gmünd

Stuttgart

Baden-Baden

E

I

C

H

Birkenfeld

Heidenheim a.d. Brenz

R

Göppingen

N

K

Steinheim am Albuch

R

A

Reutlingen Freudenstadt

B

Freiburg

SCHWABSTRASSEN Feldberg AUF DEM LAND

Ravensburg

Für den Jahresbericht 2019 nehmen wir das Land unter die Lupe. Wie ist es um den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Waldshutländlichen Regionen bestellt? Tiengen Rietheim-Weilheim Illerkirchberg Neuenstein Weissach im Tal Steinheim am Albuch Birkenfeld Oberderdingen

R Y

RietheimWeilheim

A

VillingenSchwenningen

Biberach a.d. Riß

Sigmaringen

E

Illerkirchberg

Albstadt

N

F

Offenburg

Singen Friedrichshafen

S

C

H

W

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I

Z


Wir schauen hin und erkunden den Mikrokosmos unseres Zusammenlebens: eine StraĂ&#x;e im Umbruch, mitten im Stuttgarter Westen. Anonym und dennoch bunt. WWW.WIR-GESELLSCHAFT-BW.DE


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