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Hinter den Kulissen

MASKENBILDNERIN

mit Haut und Haaren

Annette Kaim leitet die Maske am Theater St. Gallen und hilft Künstlerinnen und Künstlern bei ihrer Verwandlung. Was sie an ihrer Arbeit fasziniert und welche Rollen sie fordern, erzählt sie im Interview.

Die Welt des Theaters fasziniert Annette Kaim. Seit 1996 ist die gebürtige Deutsche am Theater St. Gallen als Maskenbildnerin tätig, seit bereits zehn Jahren leitet sie den Bereich. Mit uns spricht sie über Kreativität, Geduld, Trends und die Tücken von Perücken.

Frau Kaim, schlüpfen Sie selbst gern in andere Rollen?

Nicht unbedingt. Ich habe mich bewusst dafür entschieden, hinter der Bühne zu arbeiten und nicht auf der Bühne. Es war nicht so, dass ich Schauspielerin werden wollte und das nicht geklappt hat. Im Gegenteil: Ich wollte in die Maske.

Warum sind Sie Maskenbildnerin geworden?

Handwerkliches und kreatives Arbeiten haben mich immer interessiert. Nach dem Abschluss des Gymnasiums suchte ich einen Beruf, der beide Bereiche vereint. An der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf absolvierte ich ein Praktikum als Maskenbildnerin. Für mich war schnell klar, dass mir diese Arbeit sehr gut gefällt. Der Beruf hat eine starke handwerkliche Komponente. Gleichzeitig kann man kreativ etwas entwickeln und braucht eine künstlerische Ader. Über die Jahre stellte ich zudem fest, dass mir die Arbeit mit den Künstlerinnen und Künstlern wichtig ist.

Wie sind Sie ans Theater St. Gallen gekommen?

Nach meinem Praktikum machte ich eine Ausbildung zur Coiffeuse. Das war damals noch Bedingung für die weitere Ausbildung als Maskenbildnerin. Diese absolvierte ich anschliessend in Baden-Baden. Es folgten verschiedene Stationen: Konstanz, Mainz, München sowie die Bayreuther und Salzburger Festspiele. 1996 bin ich ans Theater St. Gallen gekommen – und bis heute geblieben.

Was gehört alles zu Ihren Tätigkeiten?

Wir kümmern uns um alles, was mit Haut und Haaren zu tun hat. Dazu gehören Make-up, Körperschminke sowie das Modellieren oder Schminken von Wunden, Verbrennungen und Gesichtsteilen. Wir stellen auch Perücken, Haarteile, Bärte und Schnäuze her und frisieren sie. Zudem gehört der Formen- und Maskenbau zu unseren Aufgaben. Als Leiterin erarbeite ich im Austausch mit Kostümbildnerinnen und Kostümbildnern die Konzepte für Make-up und Haare. Und ich kümmere mich um Ressourcenplanung, Budgetierung und Einkauf.

Welche Fertigkeiten und Talente sollte man als Maskenbildnerin mitbringen?

Es ist ein vielseitiger Beruf, entsprechend viele Fertigkeiten sind gefragt. Man braucht ein gutes Auge und ein Gespür für Ästhetik. Eine handwerkliche Begabung und Fingerspitzengefühl sind ebenfalls wichtig. Zudem sollte man zeichnen und skizzieren können sowie Geduld und ein Gespür für Menschen haben.

Ein wichtiger Teil Ihrer Arbeit sind Perücken. Was ist das Besondere bei ihrer Herstellung? Wir stellen, wenn immer möglich, individuell angepasste Perücken her. Dazu nehmen wir erst

Die Werkstatt des Theaters St. Gallen ist eine der Wirkungsstätten der Maskenbildnerin. Hier lagern zahlreiche Perücken, Haar in diversen Farben, Masken sowie die Kopfabdrücke der Künstlerinnen und Künstler.

einen Abdruck des Kopfes. Mit diesem Originalabdruck arbeiten wir. Danach fertigen wir eine leichte Montur aus Tüll an, in welche die Haare reingeknüpft werden. Wir benutzen meist Echthaar, und fast jedes Haar wird einzeln durch die Tüllwaben gezogen und geknüpft. So entsteht die Perücke praktisch Haar für Haar. Im positiven Sinne ist das eine meditative Tätigkeit. Insgesamt arbeitet man an einer Perücke zwischen 45 und 60 Stunden.

Wie hat sich Ihre Arbeit über die Jahre verändert?

Durch die Filmindustrie und Special Effects hat sich viel verändert. Im Film werden immer wieder neue Materialien ausprobiert und verwendet. Diese sind auch zu uns gekommen. Wir nutzen heute beispielsweise für den Formenbau und das Modellieren Silikone. Etwa, um Personen älter zu machen. Früher haben wir alles geschminkt. Heute modellieren wir Falten und kleben sie auf, das wirkt viel natürlicher.

Welche Rolle spielt beim Maskenbau die Technik, und wie wichtig ist die Handarbeit?

Handarbeit ist nach wie vor zentral. Natürlich gibt es neue Techniken, die spannend sind, beispielsweise der 3-D-Druck. Ein 3-D-Drucker ist jedoch sehr teuer. Für uns lohnt sich eine solche Investition nicht. Was wir hingegen viel nutzen, ist Airbrush. Diese Technik eignet sich zur Grundierung, für BeautyMake-up oder für Tattoos. Der Vorteil ist, dass Airbrush auch bei starkem Schwitzen gut hält.

Welche Trends sieht man derzeit auf den Bühnen?

Ich spüre einen Hang zur Natürlichkeit. Das hat sicher mit der Art der Arbeit auf der Bühne zu tun. Die Darstellerinnen und Darsteller müssen agiler und flexibler sein. Das beeinflusst unsere Arbeit. Die Frisuren sind heute oft weniger opulent und lassen mehr Bewegung zu. Ein anderer Trend sind Tattoos. Fast in jeder Produktion kommen Figuren vor, die tätowiert sind. Im Stück «Jesus Christ Superstar» hat Jesus 42 Tattoos am ganzen Körper. Daran arbeiten zwei Maskenbildnerinnen vor jeder Aufführung eine Stunde.

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Während Maskenbildnerinnen vor allem am Theater, an der Oper oder bei Film und Fernsehen tätig sind, arbeiten Visagisten eher in der Kosmetikbranche, bei Modeevents, Werbefotoshootings sowie TV- und Filmproduktionen. Für Visagisten gibt es in der Schweiz Ausbildungen mit eidgenössischem Fachausweis. Maskenbildnerinnen machen eine duale Ausbildung am Theater kombiniert mit Berufsschule in Deutschland. Dort ist auch ein Hochschulstudium möglich.

Aufwendige Arbeit: Für das Stück «Die kleine Hexe» verwandelt Annette Kaim einen Schauspieler in eine wilde Kräuterhexe.

Welche Verwandlungen sind die grösste Herausforderung?

Grundsätzlich ist jede Verwandlung möglich. Es gibt aber Dinge, die uns fordern. Glatzen sind immer ein Risiko. Die Schwierigkeit ist, dass der Kleber während der Aufführung hält. Je nachdem, wie stark eine Darstellerin oder ein Darsteller schwitzt, ist das oft eine Herausforderung.

Auf welche Kreation sind Sie besonders stolz?

«L’incoronazione di Poppea» war eine spannende Produktion, bei der alles trashig wirken musste, mit speziellen Perücken und aussergewöhnlicher Schminke. Solche Sachen sind reizvoll. Maske ist Teamarbeit: Wir arbeiten und entwickeln die Ideen gemeinsam, schminken gemeinsam und freuen uns über tolle Resultate.

Woher nehmen Sie Ihre Inspiration?

Ich bin eine intensive Museumsbesucherin. Das führt dazu, dass ich ziemlich viele Kunstbände besitze und immer wieder gern dort nachschlage. Auch Modefotografie interessiert mich sehr. Ich suche gern in Modemagazinen wie «Vogue», «Harper’s Bazaar», «Elle» oder «Madame» nach neuen Ideen. Die Grundrichtung, wie ein Stück angelegt ist oder in welcher Zeit es spielt, wird von den jeweiligen Kostümbildnerinnen und -bildnern vorgegeben. Es bleibt aber genug Raum für die eigene Kreativität.

Die Maske ist einer der letzten Orte, an denen sich die Darstellerinnen und Darsteller aufhalten, bevor sie auf die Bühne gehen. Wie gehen Sie mit ihrer Anspannung und Nervosität um?

Das braucht viel Sensibilität. Jeder und jede ist anders. Manche reden gar nicht, andere erzählen uns das halbe Leben. Die Bedürfnisse unterscheiden sich auch je nach Sparte. Bei Musicals ist viel los, die Maske wird zum Warm-up. Bei Opernproduktionen ist es ruhiger. Wir stellen uns auf die Künstlerinnen und Künstler ein und geben ihnen das, was sie vor ihren Auftritten brauchen.

Gibt es einen Charakter, den Sie gerne gestalten würden?

Ich arbeite schon lange in diesem Beruf und es gibt fast nichts, was ich noch nicht gemacht habe. Darum habe ich keine expliziten Wünsche mehr. Ich freue mich einfach, dass der Beruf für mich selbst nach all den Jahren spannend, vielseitig und inspirierend ist.

Zur Person

Wohnort: Altstätten im Kanton St. Gallen Mein Berufswunsch als Kind: Architektin Mein liebstes Make-up-Utensil: Der Rougepinsel. Rouge wirkt Wunder. Das gibt mir Kraft: Buddhismus

Text: Samantha Taylor Fotos: Herbert Zimmermann

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