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Vom Bankräuber zum Jugendberater

Ruedi Szabo (62) ist geschieden und Vater von fünf Kindern. Der ehemalige Maler-Tapezierer und Bauökologe hat ein bewegtes Leben hinter sich. Nach mehreren Überfällen und sechs Jahren im Gefängnis* bildete sich der Handwerker zum Journalisten, Arbeitsagogen, Anti-Aggressivitäts-Trainer und ADHSCoach aus. Als sogenannter Ranger für das Diakoniewerk Elim und die Stadt Basel ist Ruedi Szabo oft mit einer Sanitätsausrüstung unterwegs, um in eskalierenden Situationen zwischen Randständigen im Notfall Erste Hilfe zu leisten.

*Angeklagt wurde Ruedi Szabo zu zwölf Jahren Zuchthaus, aufgrund einer leicht verminderter Zurechnungsfähigkeit wurde das Urteil auf neun Jahre reduziert. Nach sechs Jahren wurde er aufgrund guter Führung entlassen.

VOM VERBRECHER ZUM

Versöhner

Gewalt zieht sich wie ein roter Faden durch das Leben von Ruedi Szabo. Mittlerweile unterstützt er gewalttätige junge Erwachsene im Berufsleben. Mit 62 Jahren blickt der ehemalige Bankräuber auf ein bewegtes Leben zurück.

Nach sieben Überfällen auf Banken, Postämter sowie Migros- und Coop-Filialen wird Ruedi Szabo 1996 verhaftet und zu neun Jahren Haft verurteilt. Während seiner Gefängniszeit findet der gebürtige Wiener zurück auf den rechten Weg. Wir sprechen mit ihm über Wiedergutmachung und das Prinzip von Saat und Ernte.

Herr Szabo, glauben Sie an Gerechtigkeit?

Grundsätzlich glaube ich an Gerechtigkeit, aber auf Erden gibt es sie nicht. Es gibt ein «Recht-Haben».

Sie sind gelernter Maler und Tapezierer und gründeten 1986 Ihre eigene Baufirma, die zu Beginn auch äusserst erfolgreich war. Nach acht Jahren kam es zum Konkurs – warum?

Ein grosser Teil war sicher Selbstverschulden. Ich bin nicht der Buchhaltertyp, sondern der Handwerker, der etwas naiv dachte, er müsse nur arbeiten, dann fliesse das Geld. In der Bankenkrise 1994 wehte für Handwerksbetriebe plötzlich ein rauer Wind und Kredite wurden von den Banken gekündigt – auch meiner.

Sie waren verheiratet und haben fünf Kinder. Die Scheidung ging mit dem Konkurs Ihrer Firma einher. Welchen Einfluss hatten diese Ereignisse auf Ihrem weiteren Lebensweg?

Als Vater und Unternehmer hatte ich mir einen Traum erfüllt, der meinem Leben einen Sinn gab. Mein Umgang mit Geld war problematisch und aus meinen Geldproblemen ergaben sich Eheprobleme, die letztlich zur Scheidung führten. Als ich auf einen Schlag alles verlor, sind bei mir alle Sicherungen durchgebrannt. Ich war damals nicht in der Lage, sozial kompetent darauf zu reagieren.

Haben Sie eine Erklärung für Ihre damaligen Probleme, mit Krisen und Kritik umzugehen?

Das hat sicher mit meiner Kindheit zu tun. Während der Recherchen zu meinem Buch habe ich herausgefunden, dass ich als Baby von der Tagesmutter misshandelt wurde. Das führte wohl dazu, dass ich mich zu einem schwierigen Kind entwickelte. Mein Vater konnte nicht mit mir umgehen und wandte Gewalt an. Heute weiss ich, dass jede Form von Gewalt ein Kind stark beeinflusst – und zwar negativ.

1995 begingen Sie Ihren ersten Überfall. Gab es für Sie damals keinen anderen Ausweg?

Als ich mein Geschäft aufgeben musste, quälten mich Versagensgefühle. Aufgrund meiner Konfliktunfähigkeit bildeten sich in mir Rachebilder und Schuldzuweisungsmechanismen. Die sind typisch für Kriminelle und hindern sie daran, ihr Versagen zu reflektieren. Auch ich hatte damals schwer damit zu kämpfen. Ich hätte Konkurs anmelden und einen Job annehmen müssen, um meine Schulden abzuzahlen.

Was fühlten Sie während der Überfälle?

Wenn man aus Versagensgefühlen auf die kriminelle Schiene gerät, verrennt man sich und blendet alles aus. Ich habe mir selbst eingeredet, dass ich ja nur das Geld will und den Opfern nichts tue.

Dann hatten Sie keine schlaflosen Nächte?

Als Verbrecher legt man sich ein sehr selektives Denken zu, damit man trotz schrecklicher Taten gut schlafen kann. Erst viel später – als ich bei OpferTäter-Gesprächen meine Opfer kennenlernte – wurde mir bewusst, was ich ihnen angetan hatte.

Was war denn das Schrecklichste, was Sie getan haben?

Ich habe bei einem Überfall ein kleines Mädchen mit einer geladenen Waffe bedroht. Das entspricht dem primitivsten menschlichen Niveau.

Die Polizei fasste Sie im Februar 1996. Wie hat es sich angefühlt, aufzufliegen?

Die Verhaftung war übrigens filmreif. Die Polizei wusste, dass sie es mit einem Ex-Grenadier und Scharfschützen zu tun hatte, und bot eine Spezialeinheit auf, die mir eine Falle stellte. Als es dann so weit war, spürte ich in gewisser Weise Erleichterung.

Danach wurden Sie zu neun Jahren Zuchthaus verurteilt. Wie ging Ihre Familie damit um?

Meine Mutter hat mich einmal pro Woche im Gefängnis besucht, wofür ich ihr noch heute dankbar bin. Die Kinder haben sehr unter der Situation gelitten. Ein Beziehungsbeistand berichtete mir regelmässig, wie es ihnen ging. Es ging ihnen schlecht, denn sie wurden in der Schule gemobbt. Meine Freunde habe ich praktisch alle verloren.

Was hat das in Ihnen ausgelöst?

Ich wurde sehr wütend. Auf mich selber, auf die Umstände. Geholfen hat mir in dieser Zeit der Gefängnispfarrer Georg Schmucki. Er hat mir klipp und klar gesagt, dass ich eine Therapie brauche, um meine Aggressionen in den Griff zu kriegen. Dank ihm fing ich eine Therapie im Gefängnis an, was ein sehr schwieriger Schritt für mich als ehemaliger Grenadier mit Männlichkeitswahn war. Und zu allem Überfluss hatte ich eine Frau als Therapeuten.

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Sie scheint erfolgreich gewesen zu sein.

Ja, sie hat mich mit einer Engelsgeduld geschliffen. Ich habe bis heute Kontakt zu ihr.

Hat sich Ihre Einstellung zum Leben oder zur Gesellschaft in den sechs Jahren Zuchthaus verändert?

Natürlich. Massgebend verantwortlich dafür ist Pfarrer Georg Schmucki. Er hat mir den christlichen Glauben nähergebracht. Er sagte immer: «Was man sät, das erntet man.» Ich hatte Gewalt gesät und erntete Staatsgewalt. Er lehrte mich, dass ich darauf achten muss, mit wem ich zu tun habe, und dass es keine Zufälle gibt, sondern ein Zu-Fallen. Ein zentraler Satz, dessen Tragweite ich erst mit der Zeit richtig verstanden habe.

Wie ist Ihr Verhältnis zu Ihrem sozialen Umfeld heute?

Vor dem Gefängnis hatte ich eine erfüllende Beziehung zu meinen Kindern und war Papi mit Leib und Seele. Entsprechend heftig war es für mich, von ihnen getrennt zu sein. Dank meiner Exfrau konnte ich den Draht zu meinen Kindern aufrechterhalten. Einer der härtesten Momente im Gefängnis war, als mein Zweitjüngster fragte: «Papi, wann kommst du nach Hause?» Nach dem Gefängnisaufenthalt hat sich unsere Beziehung sogar vertieft, darauf hatte die Therapie einen entscheidenden Einfluss. Ich bin sehr stolz auf meine Kinder und liebe sie über alles.

Was hat Ihnen denn konkret geholfen, im Alltag wieder Fuss zu fassen?

Viele Menschen, die mir Chancen geboten und an mich geglaubt haben. Während meiner Gefängniszeit habe ich mich für Wiedergutmachung eingesetzt. Zum Beispiel im Katastrophenjahr 1999, als im Juni der Rhein über die Ufer trat und der Katastrophenschutzchef von St. Gallen Freiwillige suchte, die Sandsäcke füllen und verladen. Als ich davon hörte, habe ich beim Gefängnisdirektor einen Antrag gestellt, und eine Gruppe von 20 Gefangenen durfte unter Aufsicht Sandsackmauern errichten. Die Geschichte gelangte durch einen Zufall zu einem Journalisten, der einen Artikel über die Aktion schrieb. Als ich ihm erzählte, dass ich mir vorstellen könne, nach dem Gefängnis als Journalist zu arbeiten, bot er mir eine Chance auf Arbeit – unter der Bedingung, eine Journalistenschule zu absolvieren. Durch einen weiteren Zufall wurde mir diese von einem Geschäftsmann aus Liechtenstein finanziert. Als ich Georg Schmucki davon berichtete, hat er nur gelächelt und gesagt: «Siehst du, das ist Saat und Ernte.»

Es folgten Ausbildungen als Arbeitsagoge, Anti-Aggressivitäts-Trainer und ADHS-Coach. Was hat Sie dazu motiviert?

Ich wollte straffällig gewordenen jungen Erwachsenen aufzeigen, dass jede Person eine Chance erhält. Aufgrund meiner eigenen kriminellen Vergangenheit konnte ich das auf glaubwürdige Art vermitteln und viele auf den richtigen Pfad leiten. Ich war zwei Jahre in der offenen Jugendarbeit tätig und zehn in der Arbeitsintegration von jungen Erwachsenen. Heute arbeite ich im Diakoniewerk Elim in Basel mit Suchtbetroffenen und Randständigen.

Sie haben während der letzten zehn Jahre auch Ihre Biografie geschrieben, die Anfang Jahr erschienen ist. Was möchten Sie mit Ihrem Buch erreichen?

Den Gedanken an eine Biografie gab es schon zur Gefängniszeit. Erreichen möchte ich vier Dinge: Mitgefangenen aufzeigen, dass jeder eine Chance erhält, Familien helfen, Angehörige im Gefängnis zu unterstützen, Opfer ermutigen, mit den Tätern das Gespräch zu suchen, und zeigen, dass es eine Macht gibt, an die es sich zu glauben lohnt.

Text: Monika Mingot Fotos: Fabian Hugo

Das Buch von Ruedi Szabo und dem

Co-Autor Nicolai

Franz über ein

Leben zwischen

Bankraub, Knast und der Suche nach Frieden ist im März 2021 im Verlag SCM Hänssler erschienen.

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