Nr. 8
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DIE ZEIT
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ZEIT
WOCHENZEITUNG FÜR POLITIK WIRTSCHAFT WISSEN UND KULTUR
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12. Februar 2009
Festival der Frauen
! n e b e i r t e g b a n e b a h r i W
FEUILLETON SEITE 43
Heiliger Zorn
Der Streit um den Papst bedrückt die deutschen Katholiken. Doch am Ende gewinnen sie an Stärke POLITIK SEITE 7 WISSEN SEITE 34 FEUILLETON SEITE 46
R. M. A. Haupert
Merkels Oskar Die CSU wird bald für die CDU, was die Linkspartei für die SPD schon ist – ein Verhängnis VON MATTHIAS GEIS
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enn in Deutschland von bedrohten Volksparteien die Rede ist, geht es meist um die SPD. Sie rangiert in der Gunst der Wähler bei 25 Prozent und leidet unter der aggressiven Konkurrenz ihres Feind-Partners, der Linkspartei. Lange genügte der CDU nur der Blick auf die arme SPD, um sich sicher zu fühlen. Das ändert sich gerade. Nicht erst seit den Wirren um einen Wirtschaftsminister, der auf bizarre Weise und im denkbar unpassendsten Augenblick aus dem Amt flüchtet, wird deutlich, dass auch die andere Volkspartei eine Misere durchlebt, die der sozialdemokratischen ähnelt. Die Akzeptanz in den Umfragen schwindet, die 40-Prozent-Marke rückt in weite Ferne. Doch das klarste Krisensymptom im konservativen Lager sind die unablässigen Angriffe der CSU auf die große Schwesterpartei. In ihrem rücksichtslosen Profilierungswillen und in ihrer fast aberwitzigen Egozentrik ähnelt sie immer mehr der Linken. Für eine diffus gewordene CDU stellt die CSU heute eine ebenso ernsthafte Bedrohung dar wie die Linkspartei für die SPD. Fast schon wieder amüsant ist in diesem Zusammenhang, dass ausgerechnet der CSU-Mann Glos den Lafontaine mimte und sein Amt fortwarf.
Jovial-brutal nutzt Horst Seehofer jede Gelegenheit zur Konfrontation Konfliktträchtig war das Verhältnis innerhalb der Union schon immer. Doch seit der CSU bei den Landtagswahlen im vergangenen Herbst die Wähler davonliefen, wähnt sie sich im permanenten Existenzkampf. Den Verlust ihrer Dominanz in Bayern kompensiert sie seitdem durch rücksichtsloses Machtgehabe im Bund. Mit jovialer Brutalität nutzt Horst Seehofer jede Gelegenheit zur Konfrontation – am liebsten mit der Kanzlerin. Jeder Konflikt – ob Pendlerpauschale, Steuersenkung, Umweltgesetzbuch – dient zuerst der aggressiven Selbstvermarktung. Davor fürchtet sich Angela Merkel. Sie weiß, wie sehr die Anhänger der Union Harmonie und Geschlossenheit erwarten. Und sie kennt Horst Seehofer. Sicher ist Merkels Verhältnis zum CSUChef noch nicht so zerrüttet wie das zwischen Müntefering und Lafontaine. Aber weil die Kanzlerin ihrem bayerischen Konflikt-Partner so ziemlich jede politische Rücksichtslosigkeit zutraut, versucht sie seit Beginn des Wahljahres, alle Auseinandersetzungen durch Nachgiebigkeit zu ersticken. Sie selbst und ihre Partei wirken so immer konturloser, Seehofer und die CSU aber immer aggressiver, egozentrischer, unernster. Früher haben die rituellen Konflikte zwischen CDU und CSU beide Parteien weit über die 40 Prozent getragen. Heute führt der bayerische Crashkurs schnurstracks in Richtung 30 Prozent. Nach dem Motto: SPD – wir kommen! a www.zeit.de/audio
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Carl Andersson
Volker Gitt
Hoch die Solidarität Wie Deutschland durch die Weltwirtschaftskrise kommen kann: Wir alle müssen teilen – die Arbeit und den Lohn. Denn die Regierung allein kann die steigende Arbeitslosigkeit nicht verhindern VON BERND ULRICH
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ie drei Fragen zur Krise, die einen am dringlichsten interessieren, kann zurzeit niemand beantworten: Wie tief wird sie, wie lange dauert sie, wie kommen wir am schnellsten wieder raus? Doch dahinter liegt eine andere Frage, die weiter geht und die sich besser beantworten lässt: Wie viel Glück, bescheidener: Zufriedenheit, kann uns die Krise nehmen? Kaum jemand wird bestreiten, dass es diese Gesellschaft leichter hat, wenn das Bruttoinlandsprodukt wächst, wenn es mehr zu verteilen gibt, wenn man überall etwas drauflegen kann, damit es läuft wie geschmiert. Darum wäre es albern, jetzt, da dem Land deutliches Minuswachstum droht, plötzlich die Freuden der Knappheit zu entdecken. Nein, das wird keine heitere Bekehrung zu den inneren Werten, sondern eine recht harte und schmerzhafte Phase. Auf der anderen Seite beruht das in den zurückliegenden Jahrzehnten wohl entstandene Mehr an Zufriedenheit nur teilweise auf dem Wachstum an Gütern und Dienstleistungen. Vielmehr ist Deutschland alles in allem ein besserer Ort zum Leben geworden, weil es sich kulturell entwickelt hat: Die Frauen sind emanzipiert, oft auch die Männer; die Kinder können viel früher mitreden als noch vor dreißig Jahren, sie zu schlagen gilt heute gemeinhin als Schande; die Toleranz gegenüber Minderheiten hat zugenommen. Nicht zuletzt hat sich die Atmosphäre in den Betrieben geändert. Eine neue, nichtautoritäre Generation wächst in die Führungspositionen hinein, für die es ein selbstverständliches Ziel ist, bei aller Leistungsorientierung niemanden zu demütigen. (Natürlich waren auch die vermeintlich antiautoritären 68er oft autoritär, sobald sie dazu Gelegenheit hatten.) All das bestimmt die Lebensqualität in diesem Land mit – und keine Krise kann es uns nehmen, wenn wir es uns nicht nehmen lassen. All das bestimmt aber auch die Art und Weise, wie Deutschland durch die Krise kommt. Wohlgemerkt: nicht wie es heraus-, sondern wie es hindurchkommt. Dazu hat die Politik bisher wenig gesagt. Mit mehr Fleiß allein wird es angesichts dieser gewaltigen, fast unheimlichen Wirtschaftskrise nicht getan sein. Auch bloßer individueller Verzicht wird nicht genügen. Schon gar nicht kann ein allmächtiger Staat alle an die Hand nehmen und es sozusagen anstelle des Volkes richten. Was nun kommen muss, ist etwas anderes: eine Phase der Solidarität. Solidarität – sobald man dieses Wort hinschreibt, möchte man es sogleich wieder zurücknehmen, klingt es doch nach Reichensteuer, Neid und saurem Zwang. Doch ist dem Land im Moment nicht geholfen, wenn die da oben etwas mehr geben, denn das wird den Hauptfeind in der Krise nicht vertreiben: die Angst. Es hilft nicht, wenn wenige etwas tun müssen, es hilft nur, wenn (fast) alle etwas tun können.
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Aber was? Im Kern der Krise, am Grund der Angst sitzt die Arbeitslosigkeit. Die Prognosen darüber, wie sehr sie steigen wird, gehen auseinander. Aber Prognosen sind hier auch sekundär. Wenn diese Wirtschafts- und Finanzkrise unabsehbare Dimensionen hat, dann kann schon ein geringer Anstieg der Arbeitslosenzahlen dazu führen, dass die Mehrheit Angst bekommt. Das Land kriegt schwere Füße. Und seine Regierung – egal, welche – kann allein wenig dagegen tun. »Arbeit für die Menschen – das ist der Maßstab unseres Handelns.« Das sagt die Bundeskanzlerin. Doch ihr Versprechen bezieht sich nur auf die Politik, sie spricht hier ein falsches »unser«, ein verkürztes »wir« an. Schon Merkels Vorgänger hat sich daran verhoben, und dessen Wirtschaftskrise war noch relativ harmlos. Wenn heute die Politik meint, die Arbeitslosigkeit bekämpfen zu können, so treibt sie das in immer neue Schulden. Oder es verführt zu Protektionismus. Der hilft zunächst schnell und schadet dann dauerhaft. Auch das Angebot einiger großer Unternehmer, sich zum Erhalt von Arbeitsplätzen zu verpflichten, hat nur eine begrenzte Reichweite, so lobenswert der Ansatz auch sein mag. In dieser neuen Krise lässt sich die Arbeitslosigkeit wohl nur begrenzen, wenn viele von denen, die Arbeit haben, daran mittun. Und natürlich deren Arbeitgeber.
Verzicht für Kollegen oder Verzicht auf Kollegen – das ist die Frage In diesem Jahr 2009 und in den Jahren danach werden unzählige Unternehmen wie auch öffentliche Einrichtungen an den Punkt kommen, an dem es ohne die Verringerung von Personalkosten nicht mehr weitergeht. Das stellt Unternehmer und Belegschaften vor eine klare Alternative: Entweder man schmeißt die Jüngsten und die Schwächsten, die mit den ungesicherten Verträgen, raus, was, so steht zu befürchten, oft der erste Reflex sein dürfte. Oder aber: Man sucht nach solidarischen Lösungen, damit alle an Bord bleiben können, also Arbeitszeitverkürzung, vorübergehender Lohnverzicht et cetera. Modelle dafür gibt es viele, nicht nur bei VW. Die solidarische Lösung stellt Anforderungen an die Kernbelegschaften, an all jene also, die hoffen, ungeschoren durch die Krise zu kommen, wenn nur genügend Zeitarbeiter oder Pauschalisten entlassen werden. Sozusagen: Proletariat gegen Prekariat, Redakteur gegen Volontär, Facharbeiter gegen Hilfsarbeiter. Wenn es anders läuft und tatsächlich eine größere Bereitschaft zur Solidarität unter den Arbeitnehmern entstehen sollte, so sind als Nächstes die Arbeitgeber gefragt. Denn so wird es ja nicht gehen, dass alle verzichten außer den Besitzern, den Aktionären und den Vorständen. Ob Arbeitgeber und Kernbelegschaften sich solidarisch verhalten, hängt zunächst von Argu-
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menten ab. Zum Beispiel vom Qualitätsargument. Schließlich bedeutet in den meisten Branchen jeder einzelne Arbeitnehmer auch eine eigene Farbe, eine eigene Qualifikation – und seine betriebsbedingte Kündigung dementsprechend einen Qualitätsverlust. Denn es ist auch in der Krise nicht so, dass jene entlassen werden dürften, die ihre Leistung nicht bringen können oder wollen. Das deutsche Kündigungsrecht gehorcht ganz anderen Kriterien. Argumente werden jedoch nicht ausreichen, Anreize müssen hinzukommen. Da hat die Bundesregierung mit der Verlängerung der Kurzarbeiterregelung und mit der Übernahme von Sozialleistungen für Kurzarbeiter schon einen wichtigen Schritt gemacht. Auch Anreize werden jedoch kaum genügen, in einer solchen Welt leben wir nicht. Das Wichtigste ist der gesellschaftliche Druck. Es muss eine Atmosphäre entstehen, in der jedes Unternehmen – Chefs wie Angestellte – unter massiven Legitimationsdruck kommt, wenn es zu Kündigungen greift anstatt zu einer solidarischen Lösung. So wie es in den vergangenen Jahren einen erheblichen Druck zu mehr Leistung gegeben hat – was richtig war und bleibt –, so muss es nun einen Druck zu mehr Solidarität geben. Diesen Druck aufzubauen, das ist eine noch ausstehende Aufgabe der Regierung. Operativ hat sie in dieser Krise schon einiges getan, normativ noch fast nichts. Nun muss sie die Krise in eine Aufgabe verwandeln, die zu lösen unsere Gesellschaft mithelfen kann. Diese Art von Solidarität ist im Übrigen gleichbedeutend mit Zuversicht. Denn wer seine Belegschaft erhält, gibt damit zu verstehen, dass er glaubt, sie nach der Krise wieder zu brauchen, weil die Firma dann erneut wächst. Er signalisiert: Es gibt ein Leben nach der Krise. Selbstverständlich wird es trotz allen Bemühens auch Firmenpleiten geben, natürlich wären einige Unternehmen auch ohne Weltwirtschaftskrise in Nöten, weil sie einfach schlecht gewirtschaftet haben. Darum kann und soll ein gesellschaftlicher Solidarpakt nicht alle Probleme lösen. Er kann auch nicht ewig halten, weil Verzicht keine Dauerlösung sein kann. Doch ein paar Jahre hindurch kann er den Menschen helfen, die in diesem Land leben und die zu vielem imstande sind, wenn sie denn wissen, was ihre Aufgabe ist. Solidarität, Qualität, Zuversicht – das passt ganz gut zu dem toleranten, nichtautoritären Land, das wir geworden sind. Es passt auch zu einer Generation von Führungskräften, die auf Gesichtswahrung und Respekt setzen – und die sich nun biografisch bewähren müssen, indem sie zeigen, dass diese humane Art nicht bloß etwas für postmoderne Luxuszeiten ist. So könnte Deutschland durch die Krise kommen.
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Ein palästinensischer Junge verblutete im Gaza-Streifen. Kein Arzt durfte helfen DOSSIER SEITE 13–17
ONLINE Berlinale – wer gewinnt den Goldenen Bären? Außerdem: Alle Stars und alle Filme a www.zeit.de/berlinale
PROMINENT IGNORIERT
Feinripp! In der Weltgeschichte, sagt Hegel, seien die Perioden des Glücks leere Blätter. Wie erst in der Geschichte der Deutschen! Ein Glück aber hat den deutschen Mann seit Menschengedenken begleitet, das Feinrippunterhemd von Schiesser. 1875 gegründet, ist die Firma jetzt insolvent. Wer nie sein Brot im Feinripp aß, der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte. Wer hätte gedacht, dass die Krise solche Dimensionen annimmt? GRN. Kleine Fotos v.o.n.u.: Sean Gallup/Getty Images; Dario Pignatelli / Polaris/laif; Sebastian Bolesch für DZ; Kristyan Geyr/Schiesser Revival/ddp
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64. Jahrgang C 7451 C
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Warum starb Ibrahim?
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Lars-Ulrich Schlotthaus
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Fotos: Joachim Baldauf/shotview
u haben. z n e b ie r t e dazu, abg n e u a r F lche Rolle Hunderte e w n , e r e h ig a AZIN J in ren e or 38 a ZEITMAG v b h n n e ic f le f s a o u n t e q z bekannt er Seelen iegen. Jet n b w io ü t h k c ie s A s e n g n e e r r e eiheit red r spektakulä e haben die Männ F r n e o in v e ls it M n. Mehr a Bis heut le ie p s g n u Entscheid r e d i e b sie
Die Schauspielerin Kerry Fox und ihre starken Kolleginnen dominieren die Berlinale
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POLITIK
12. Februar 2009 DIE ZEIT Nr. 8
Foto: Torsten Leukert/imago; Montage: DZ (verw. Fotos: ullstein, imago (2), Keystone, action press)
WORTE DER WOCHE
»Israel hat Kadima gewählt, und wir werden die nächste Regierung bilden.« Zipi Liwni, Spitzenkandidatin der zentristischen Kadima-Partei, über den Ausgang der israelischen Parlamentswahl
»Ich werde Israels nächster Premierminister sein.« Benjamin Netanjahu, Spitzenkandidat des rechten Likud, zum selben Thema
Ich denke, ich habe Mist gebaut.« Barack Obama, US-Präsident, über seine Fehler bei der Regierungsbildung
»Es braucht mehr als eine militärische Lösung.« James Jones, Nationaler Sicherheitsberater der USA, über den Krieg in Afghanistan
»Richard Holbrooke ist das diplomatische Äquivalent zu einer Wasserstoffbombe.« Strobe Talbott, ehemaliger stellvertretender US-Außenminister, über seinen Freund, der zum US-Sondergesandten für Afghanistan und Pakistan ernannt wurde
»Diese Finanzkrise ist extremer und folgenschwerer als die in den 1930er Jahren.« Ed Balls, Wirtschaftsberater und enger Vertrauter des britischen Premierministers Gordon Brown, über die gegenwärtige Krise
»Ich habe dann selbst die Faxgeräte heimgesucht.« Horst Seehofer, Vorsitzender der CSU, über seine Suche nach dem Rücktrittsgesuch seines Parteifreunds Michael Glos
»Sie hat immer geglaubt, ich hätte von vielen Dingen keine Ahnung.« Michael Glos, scheidender Wirtschaftsminister, über seine Zusammenarbeit mit Kanzlerin Angela Merkel
»Diese Regierung gleicht einem Tollhaus.« Renate Künast, Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, nach dem Rücktritt von Michael Glos
»Unsere Worte werden verdreht und bewusst falsch ausgelegt.« Franz Schmidberger, Oberer des deutschen Distrikts der Pius-Bruderschaft, in einer öffentlichen Mitteilung
»Eluana ist keines natürlichen Todes gestorben, sie wurde ermordet.« Silvio Berlusconi, italienischer Ministerpräsident über den Tod Eluana Englaros, deren Ernährung nach 17 Jahren im Wachkoma eingestellt worden war
ZEITGESCHICHTEN
Urteil gefällt Wem gehört die weltberühmte Plakatsammlung Hans Sachs? Dem in Florida lebenden Sohn Peter oder dem Deutschen Historischen Museum? Seit 2005 wird darum gestritten (ZEIT Nr. 4/09), am 10. Februar hat das Landgericht Berlin nun ein Urteil gesprochen: Peter Sachs ist der Eigentümer. Das Deutsche Historische Museum muss das Poster Die Dogge von Thomas T. Heine aus dem Jahr 1896, das stellvertretend für die Sammlung eingeklagt wurde, herausgeben. Die Dogge war das Symbol der Zeitschrift Simplicissimus. Das Plakat ist deutlich mit dem Stempel »Hans Sachs« gekennzeichnet. Das ebenfalls eingeklagte Poster Die blonde Venus verbleibt im Museum, da nicht nachgewiesen werden konnte, dass es tatsächlich zur Sammlung gehört. Die Sammlung Sachs ist mit ihren ursprünglich 12 500 Plakaten die bedeutendste Plakatkunst-Sammlung der Welt. Der jüdische Zahnarzt Hans Sachs hatte sie zwischen 1896 und 1938 zusammengetragen, bevor die Nazis ihn enteigneten. Lange galt sie als verschollen, bis Teile von ihr in den fünfziger Jahren in einem Keller in Ost-Berlin gefunden wurden. DZ NÄCHSTE WOCHE IN DER ZEIT
Minister für Wahlkampf Karl Theodor zu Guttenberg soll den neuen Ludwig Erhard geben
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s ist ganz ohne Zweifel wichtig zu wissen, wie alt der neue Wirtschaftsminister ist (37), wie viele Vornamen er trägt (11) und wann die Burg gebaut wurde, in der er mit seiner Familie wohnt (1482). Auch ist der Hinweis nicht zu unterschätzen, dass Karl Theodor Freiherr von und zu Guttenberg mit dem Schauspieler Tom Cruise befreundet ist, dass er ihn sogar bei den Dreharbeiten zu dessen Stauffenberg-Film »beraten« (Bild), dem Freund aber gleichwohl ein paar kritische Worte zu dessen Scientology-Engagement gesagt habe (Bunte). Das alles ist wichtig, keine Frage. Schließlich will man wissen, von wem man regiert wird, und ein so bunter Vogel wie der stets korrekt gekleidete Adelsspross aus Oberfranken hat schon lange nicht mehr am Berliner Kabinettstisch Platz genommen. Als Ministerdarsteller, so viel kann man sagen, wird Guttenberg allemal besser abschneiden als sein trauriger Vorgänger Glos. Nur eine Frage ist bislang ein wenig zu kurz gekommen: Welche Wirtschaftspolitik wird Guttenberg verfolgen? Wie will er, der bislang nur als Außenpolitiker auffiel, die deutsche Wirtschaft durch eine der schwersten Krisen der Nachkriegszeit führen? Guttenbergs Mission, ohnehin schwierig genug, wird nicht einfacher dadurch, dass er auf ein Ministerium trifft, das tief verunsichert ist. Ausgerechnet in Zeiten, in denen die Grundfeste der Ökonomie ins Wanken geraten sind, in denen die Aufgaben zwischen Wirtschaft und Politik neu verteilt werden, spielt das Wirtschaftsressort kaum eine Rolle. Finanzkrise, Bankencrash, Unternehmenspleiten – ratlos haben die Beamten in der Berliner Scharnhorststraße verfolgt, wie die Kanzlerin und der Finanzminister in den vergangenen Monaten die Richtung vorgaben. Fassungslos haben sie mit angesehen, wie die CSU das Amt, das einst Ludwig Erhard und Karl Schiller innehatten, zum Spielball bayerischen Regionalproporzes gemacht hat. Wer rettet die Wirtschaft? Egal, Hauptsache ein Franke wird Minister! Immerhin, auch Erhard war Franke, allerdings Unter-, nicht Oberfranke wie Guttenberg. Guttenberg selbst fechten die Zweifel an seiner Ernennung nicht an. Wenn er sich die Aufgabe nicht zutrauen würde, hätte er ja Nein sagen können! In dieser Krise, in der jeder Professor etwas anderes sage, müssten die ökonomischen Lehrbücher ohnehin neu geschrieben werden, argumentiert der 37-Jährige. Die Frage nach seiner ökonomischen Kompetenz kontert er lässig: Das ganze Land befinde sich in einer »Wirtschaftsschnelllehre, da zählt auch ein gesunder Menschenverstand«. Meint er das ernst – der Minister als Lehrling? Auf die Frage, was die alte von der neuen CSU unterscheide, antwortete Guttenberg vor vier Monaten, die neue CSU müsse »ein Höchstmaß an Substanz liefern«. Das war, bevor ihn der große Zampano Seehofer an seine Seite holte.
Die Marktwärter Mit Karl Theodor zu Guttenberg wurde am Dienstag der jüngste Wirtschaftsminister in der Geschichte der Bundesrepublik ernannt. Der 37-jährige Franke tritt ein schweres Erbe an. Vierzehn Männer haben vor ihm versucht, Wirtschaft und Wachstum zu fördern – längst nicht alle mit Erfolg. Immer noch gilt Ludwig Erhard, der Schöpfer der sozialen Marktwirtschaft, als bedeutendster Amtsinhaber (1949–63). Karl Schiller (1966– 72) bleibt als Autor des Stabilitätsund Wachstumsgesetzes in Erinnerung. Doch schon bei Otto Graf Lambsdorff (1977–84) trübt die Flick-Affäre das Bild. Jürgen Möllemann stolperte über einen Einkaufschip (1991–93). Und Michael Glos (2005–09) gab am vergangenen Wochenende entnervt auf.
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marktliberal«. Daran haben auch die Verwerfungen der Wirtschaftskrise und die neue Nähe zu Seehofer nichts verändert. Ganz schlecht sind die Voraussetzungen, die Guttenberg für sein neues Amt mitbringt, also nicht. Doch das galt auch für Michael Glos und manchen anderen Wirtschaftsminister. Ob man die FDP-Politiker Günther Rexrodt, Martin Bangemann und Jürgen Möllemann nimmt oder im ersten Kabinett Schröder den parteilosen Manager Werner Müller: Sie alle sind nicht mit ihren wirtschaftspolitischen Überzeugungen gescheitert, sondern an einem Ministerium verzweifelt, dessen Profil im Lauf der Jahre immer mehr verschwommen ist. Nachdem Ludwig Erhard das Haus mit viel Chuzpe und klaren Vorgaben zur Hüterin der deutschen Ordnungspolitik aufgebaut hatte, krankte das Ministerium im Lauf der Jahrzehnte immer stärker an seiner wachsenden Vielfalt von Zuständigkeiten. Mal wurden ihm ein paar Abteilungen zugeschlagen, mal weggenommen – je nachdem, wie viel Spielraum die Koalitionsarithmetik dem jeweiligen Minister zugestand. Statt ein Querschnittsressort zu sein, wie ursprünglich geplant, fungierte das Ministerium immer mehr als Türöffner für Unternehmen und Anlaufstelle für Lobbyisten. So ist es bis heute. Auch in der Krise richten sich wieder viele Begehrlichkeiten an diese Adresse. Viele der kostspieligen Hilfsprogramme für notleidende Branchen werden in diesen Tagen zunächst im Büro des Wirtschaftsministers abgezeichnet. An seine Tür klopfen die Vertreter der klammen Unternehmen und bitten um Milliardenhilfe. Seine Beamten basteln am geplanten 100-MilliardenEuro-Rettungsschirm für die Wirtschaft, sie schreiben die Regeln, die Verschwendung und Willkür klein halten sollen. Je öfter die Regierung dabei Kompromisse eingehen wird, je mehr Staat sie zulässt, desto größer wird die Sehnsucht werden nach einem klaren Kurs, nach einem »neuen Ludwig Erhard« – in der Wirtschaft, im Ministerium und in der Union. Guttenberg, der Novize, hat deshalb vorsorglich erklärt, als Minister wolle er »ordnungspolitische Leitlinien« einziehen. Das ist hoch gegriffen für einen, der doch gerade erst einen »Wirtschaftsschnellkurs« angetreten hat – und dem bis zur Bundestagswahl im September nur noch sieben Monate Zeit bleiben. In 100 Tagen aber, wenn Guttenberg seine erste Bilanz vorlegen wird, befindet sich die CSU bereits mitten im Europawahlkampf. Substanz ist eine Frage von Zeit. Aber Zeit, um Substanz im Amt zu entwickeln, hat Guttenberg gar nicht. Er wird der Minister des Wahlkampfs werden, nicht der der Krise. i Weitere Berichte und Kommentare auf ZEIT ONLINE: www.zeit.de/cdu und www.zeit.de/spd
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VON: michael.thumann@zeit.de BETREFF: Die Frau auf dem Geldschein
Das konnte ja nicht ohne Ärger abgehen. Die türkische Zentralbank hat neue Scheine herausgegeben. Eine gute Sache an und für sich, die Banknoten sind kleiner, schöner, und auf dem 50-Lira-Schein ist zum ersten Mal eine Frau abgebildet. Es handelt sich um Fatma Aliye Hanim, eine Schriftstellerin und Frauenrechtlerin des späten Osmanischen Reiches. Die Heldinnen ihrer Romane waren selbstbewusste, wirtschaftlich unabhängige Frauen. Hanim kritisierte die Mannesdiktatur und riet allen Frauen, sich den Ehepartner vor der Heirat gut anzusehen. Doch nun rufen sogenannte Kräfte der Zivilgesellschaft per E-Mail und über Facebook dazu auf, die 50-Lira-Banknote zu boykottieren. Warum? Die Verbreitung von Fatmas Antlitz sei der erste Schritt, »die Türkei in einen islamischen Staat zu verwandeln«. Abgeordnete der oppositionellen säkularen CHP halten die Frau für eine Feindin des geheiligten Republikgründers Atatürk. Sie hätte schon mit 17 Jahren geheiratet und Kopftuch getragen. Das allerdings haben zu jener Zeit fast alle Türkinnen getan. Und überhaupt, auf der Banknote trägt sie kurze offene Haare. Was also tun mit dem Schein? Meine Hausbank gab mir einen Tipp. Würde jemand ihn nicht akzeptieren, sollte ich ihn wortlos umdrehen. Auf der Rückseite von Frau Fatma lächelt wie eh und je Kemal Atatürk. Und den müsse einfach jeder Türke nehmen.
VON: martin.klingst@zeit.de BETREFF: Platzangst bei Obama
VON MATTHIAS KRUPA UND PETRA PINZLER
Überhaupt: Wenn Karl Theodor zu Guttenberg in diesen turbulenten Tagen die Zeit finden würde, für einen Moment neben sich zu treten – er würde staunen. Nicht nur über die Karriere, die ihn mit sich gerissen und binnen 15 Monaten vom einfachen Bundestagsabgeordneten erst zum CSU-Bezirkschef, dann zum Generalsekretär und schließlich zum Bundeswirtschaftsminister befördert hat. Sondern auch über den Mann, der am Montag in München neben ihm stand und seine Talente pries. Denn es ist erst ein paar Jahre her, da hatte Horst Seehofer für einen wie ihn nur ätzenden Spott übrig. Als »Ichlinge« und »Ego-Taktiker« attackierte der damalige CSU-Vize die Vertreter der Jungen Union, die sich über die demografische Entwicklung und ihre politischen Folgen Gedanken machten. Dass »Ichling« sehr nach »Frischling« klang, war für Seehofer damals eine hübsche Pointe. Heute hindert es ihn nicht daran, die Jungen zu befördern – allen voran Karl Theodor zu Guttenberg. Wie die meisten Unionspolitiker seiner Generation ist auch der promovierte Jurist geprägt vom Reformdiskurs, der die rot-grünen Regierungsjahre begleitete. Mehr Eigenverantwortung und weniger Steuern: Merkels Leipziger Programm von 2003 stand ihm näher als Seehofers damalige Einwände – und als mancher Kompromiss, den die Große Koalition später beschlossen hat. Guttenberg stimmte im Bundestag gegen die Gesundheitsreform; die vorübergehende Abschaffung der Pendlerpauschale fand er »ordnungspolitisch richtig«. Bis heute vertritt er die Forderung nach Steuersenkungen aus Überzeugung. Alles in allem, sagt Guttenberg, sei er »mehr
Istanbul
Washington D. C.
Foto [M]: Rolf Schulten/www.rolf-schulten.de
Und nun das Wetter. Seit Marcel ReichRanickis Schmähkritik am Fernsehen stehen ARD und ZDF im Ruf, die Qualität ihrer Programme zu verspielen und ihren journalistischen Auftrag zu missachten. Ist an den Vorwürfen etwas dran? Stephan Lebert und Stefan Willeke schauen sich die öffentlichrechtlichen Anstalten an. DOSSIER
Elf Vornamen, aber keine Zeit. Dem neuen WIRTSCHAFTSMINISTER bleiben nur sieben Monate bis zur Wahl
MAIL AUS
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Der POTUS – President Of The United States – hat zu seiner ersten Pressekonferenz ins Weiße Haus geladen. Einige Tausend Journalisten sind in der Hauptstadt akkreditiert, aber nur 200 Platzkarten wurden vergeben. Fragen stellen dürfen ohnehin nur amerikanische Kollegen – und zwar jenes erlauchte Dutzend, das vorher vom Presseteam ausgewählt wurde. Weder wildes Herumfuchteln mit den Armen noch laute Rufe »Hello, Mister President!« helfen, Obama hält sich strikt an die vorgegebene Namensliste. Vortritt hat die große alte Dame des amerikanischen Korrespondentencorps, die alle Präsidenten seit John F. Kennedy begleitet hat. Die fast 89-jährige Helen Thomas darf wieder in der ersten Reihe sitzen, direkt vorm Präsidentenpult. George W. Bush hatte sie wegen unliebsamer Äußerungen (»Ich berichte über den schlechtesten Präsidenten Amerikas«) ganz nach hinten verbannt. Die Luft im Eastroom ist schlecht, es herrscht dichtes Gedränge. Die Spiegel beschlagen und mancher goldene Kerzenständer wackelt bedenklich. Als sich der Korrespondent mühsam einen Weg zu seinem Stuhl mit der Nummer 139 bahnt, erinnert er sich daran, was Obama neulich einem Schulkind auf die Frage geantwortet hatte, wie er sich denn so im Weißen Haus fühle. Ganz gut, antwortete Obama, nur müsse er die ganze Zeit verdammt aufpassen, dass er nichts kaputt mache.
Paris VON: gero.von.randow@zeit.de BETREFF: Krise, Lenin und die Liebe
Attacke! Ein schwarzgekleideter Japaner springt auf die noch schwärzere Bühne, hinter ihm flackern schwarzweiße Streifen über eine Leinwand, und ein Höllenlärm beginnt. Geräusche, wie sie entstehen, wenn jemand eine E-Gitarre ungeschickt mit einer massiven Lautsprecheranlage verbindet, dann ein Geknatter wie von Schützenpanzerkanonen, gefolgt von Explosionen: Musik. Wer denkt da nicht an Gaza? Der Raum ein umgewidmetes Lager der Feuerwehr, es gibt Bier, Wodka, keinen Wein. Das ist alles natürlich irrsinnig interessant, aber nicht so fesselnd, dass sich der Kunstgenuss über mehr als eine halbe Stunde erstrecken muss. Wenige Tage später in der Gegenwelt, ein Abend bei Freunden. Zwei Dutzend sind gekommen, jeder hat etwas zu essen und zu trinken mitgebracht, Köstlichkeiten, und man spielt handgemachten Jazz. Die Lautstärke ist kein Problem, die Nachbarn musizieren mit. »Die Krise? Die macht mir Angst. Gar nicht mal wegen meiner Arbeit, das wird schon irgendwie gehen. Aber die Gesellschaft wird gemeiner, die Konflikte werden brutaler«, sagt jemand, und: »Heute Abend jedenfalls haben wir die Krise ausgesperrt.« Und zwar aus dem kleinen Pariser Hinterhofhaus, in dem sich früher einmal die illegale Druckerei der Bolschewiki befand. Lenin war auch hier; damals hatte er, der verheiratete Mann, sich in Inès Armand verliebt. Dann kam die Revolution.
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Rot sehen, Schwarz ärgern War’s das mit dem Regieren? Während die Union immer mehr an der Großen Koalition leidet, freut sich die SPD auf den heraufziehenden Wahlkampf VON PETER DAUSEND UND BRIGITTE FEHRLE
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ranz Müntefering hat es an diesem Montagmorgen besonders eilig. Nichts soll von der Dynamik des Augenblicks verloren gehen, nichts von der Schubkraft, die die SPD endlich aus dem tiefen Tal reißen könnte. Er hat gewartet auf diesen Moment. Auf den Fehler. Jetzt ist er da. Der Wirtschaftsminister tritt zurück. Seehofer patzt, die Union ist verunsichert. Wo ist in dem ganzen Schlamassel die Kanzlerin? Jetzt muss Müntefering die Spannung halten. Schließlich soll aus der Gunst der politischen Stunde der Wendepunkt für die SPD im Superwahljahr werden. Müntefering steht am Pult im Lichthof des Willy-Brandt-Hauses und entwirft in Rekordgeschwindigkeit das Bild einer kampfesmutigen SPD: Streiter gegen die Gier der Manager, Hüter des Datenschutzes, Retter der Umwelt. Nichts soll mehr erinnern an die verzagte, zögerliche, zerstrittene SPD der letzten Jahre. Münteferings Botschaft: Wir greifen an! Überall dort, wo wir uns politischen Nutzen versprechen. Und überall dort, wo wir die Kanzlerin treffen können. Da werden auch Maßstäbe auf den Kopf gestellt. »Unwürdig«, sagt er, seien die Vorgänge in der Union, die den Wirtschaftsminister zum Rücktritt gebracht hätten. Man habe ihm hinterrücks die Stuhlbeine abgesägt. Er, Müntefering, hätte sich gewünscht, »die Kanzlerin hätte das eher erkannt«. Er vermisst »Führung«. Müntefering ein aufrechter Streiter für politische Fairness? Der Rücktritt seines Vorgängers Kurt Beck unter ähnlich »unwürdigen« Bedingungen ist noch nicht lange her. Wir lernen: Jetzt ist Wahlkampf! Fast dreieinhalb Jahre lang, seit Gründung des schwarz-roten Bündnisses im Herbst 2005, war die SPD in der Defensive. Gefangen in internen Flügelkämpfen im Nachklapp der umstrittenen Reformpolitik der Regierung Schröder, unglaubwürdig geworden durch den öffentlichen Strategiewechsel ihres Vorsitzenden Kurt Beck sowie den Wortbruch von Andrea Ypsilanti in Hessen, zermürbt von der Konkurrenz der Linkspartei, unorganisiert in ihrer Zentrale. Lange Zeit mussten die Genossen mit anschauen, wie die christdemokratische Kanzlerin Angela Merkel, die erste Frau im Amt, von einem historischen Umfragehoch zum nächsten flog, während sie selbst immer tiefer im Tal versanken. Und jetzt? Erstmals scheint die Chaospartei SPD wohlgeordnet – während aufseiten der Union die allgemeine Verunsicherung in der Frage nach der richtigen Politik gegen Finanz- und Wirtschaftskrise gerade zu einem Stadium fortgeschrittener Unordnung führt. Fragt man CDU-Abgeordnete, was die Bundeskanzlerin umtreibt, was Angela Merkel will, so bekommt man die Antwort: »Bleiben.« Und den Nachsatz: »Um jeden Preis.« Der Preis, den Angela Merkel zahlt, ist der Anschein von Führungsschwäche. Der Anschein. Denn was schwach aussieht und von der SPD penetrant und bohrend schwach genannt wird, ist bei Merkel Strategie. Keine Konflikte in der Koalition, keine Kontroversen in der eigenen Partei, kein Streit mit den Bürgern. Ihr Kalkül geht immer noch auf: Merkel kann sich über dauerhaft hohe Sympathiewerte freuen, die jeden SPD-Politiker, auch die beliebtesten, verzweifeln lassen. Selbst der nette, diplomatische Außenminister Frank-Walter Steinmeier landet weit abgeschlagen hinter ihr. Die Bürger sagen: Die Kanzlerin kann es. Und die Partei? In der CDU sieht man Merkels unbedingten Willen zum »Bleiben« mit gemischten Gefühlen. Denn nun, da die SPD zum Angriff bläst, gerät die gesamte Statik der Koalition ins Wanken. Den Satz, den man bisher aus beiden Parteien hörte: Wir sind nur gemeinsam gut oder gar nicht, hört man nur noch von Unionspolitikern. Die Sozialdemokraten haben den Konsens aufgekündigt. Sie wollen die Ernte der Großen Koalition einfahren. Alleine. Und die Christdemokraten nehmen erschrocken wahr, dass sie damals, vor dreieinhalb Jahren, mit dem Anspruch angetreten sind, die Große Koalition zu prägen. Jetzt stellen sie fest, dass die Koalition sie geprägt hat. Trotz oder gerade wegen der
Kanzlerin: Die Große Koalition riecht nach Sozialdemokratie. Die Parteien, die 2005 den Arbeitsmarkt flexibilisieren wollten, haben Mindestlöhne beschlossen. Sie hielten das Prinzip der Selbstverantwortung hoch und haben die Hartz-IV-Regeln aufgeweicht. Sie wollten den Staat zurückdrängen und arbeiten gerade an Gesetzesentwürfen, in deren Zentrum die Begriffe »Verstaatlichung« und – für Unionsherzen und -hirne schlimmer noch – »Enteignung« stehen. Die Union regiert – und kennt sich am Ende selbst nicht mehr? Auch ihre Bereitschaft zu Kompromissen ist weitgehend aufgebraucht. Seit die FDP wieder Wahlen gewinnt und einen sagenhaften Höhenflug erlebt, verraten die Augen von CDU-Politikern Panik. Denn jedes Prozent, das die Liberalen zulegen, verliert die Union. Wie kommunizierende Röhren verhalten sich die Parteien zueinander, so viel ist klar. »Die fischen munter in unserem Teich«, klagt man in der Union. Aber woran liegt es? An unserem unscharfen Profil!, sagen die Verfechter eines klareren wirtschaftsliberalen Kurses in der CDU. Der Erfolg der FDP sei ein »Verunsicherungsphänomen«, sagen andere. In der Krise suchten die Leute nach einfachen Wahrheiten, und die FDP sei die einzige bürgerliche Partei, die ihnen diesen Gefallen tue. Kann das sein? Der CDU-Abgeordnete Michael Fuchs vermisst konstruktive Vorschläge der FDP in der Bankenkrise. »Außer Kampfgeschrei«, sagt Fuchs, »höre ich nichts.« Aber glauben die Bürger wirklich, dass Steuersenkungen das richtige Mittel gegen die Krise sind? Sind sie so dumm, dass sie nicht merken, dass man nicht gleichzeitig Steuern senken und die Ausgaben für Bildung und Umwelt erhöhen kann? Trauen sie wirklich einem Politiker, von dem die CDU sagt, er gebe jeden Euro viermal aus? Lafontaine? Nein. Westerwelle!
Die Marktwirtschaftler der Union erkennen ihre Partei nicht wieder Der Erfolg der FDP ist mit Sicherheit eine Antwort auf die Union. Aber wohl eher auf eine Union, die sich in dieser Krise so verwandelt hat, dass ihr vormals wirtschaftsliberaler Kern nicht mehr zu erkennen ist. Das ist ja nur unsere Krisenpolitik!, ruft es aus der Union. In Wahrheit sind wir ganz anders! Doch was die CDU zurzeit erlebt, ist Dialektik. Das Sein bestimmt das Bewusstsein. Die Realität siegt über die Theorie. Die Leute glauben, was sie sehen. Und sie sehen eine CDU, die nicht sein will, was sie sein muss. Die überzeugten Marktwirtschaftler erkennen ihre Partei nicht wieder – und die letzten aufrechten Konservativen erst recht nicht. Neben der Wirtschaftskompetenz gehört das Katholische zum Markenkern der CDU. Für ihre Kritik an Papst Benedikt XVI. mag die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende Beifall von all jenen einsammeln, die ohnehin nicht CDU wählen. Die Konservativen in den eigenen Reihen hat sie gegen sich aufgebracht – nach den Wirtschaftspolitikern die zweite wichtige Gruppe innerhalb kurzer Zeit. Die innere Geschlossenheit, geheiligtes Ziel der Union in Wahlkampfzeiten, wird das kaum befördern. Nicht viel weiter hilft der Kanzlerin in dieser Lage ihr neuer Wirtschaftsminister. Karl-Theodor zu Guttenberg hat von seinem Mentor, CSU-Chef Horst Seehofer, den Kampfauftrag bekommen, das Profil der CSU vor der für sie so wichtigen Europawahl zu schärfen (siehe Seite 2). Am 7. Juni muss die CSU bundesweit über fünf Prozent kommen, will sie ihren Anspruch aufrechterhalten, die Politik über Bayern hinaus mitzubestimmen. Was ihr nutzt, muss nicht zwingend der CDU nutzen, es kann ihr gar schaden – und der Koalition insgesamt auch. Wie angespannt, zum Teil gar vergiftet, das Verhältnis der Unionsschwestern derzeit ist, mach-
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te Guttenbergs Vorgänger deutlich. Zuerst trat Michael Glos geräuschvoll zurück – und dann kräftig nach. Merkel habe in der Union stets Zweifel an seiner Eignung als Wirtschaftsminister genährt, zitiert der Münchner Merkur den Geflüchteten. Vor allem in der CDU sei der Eindruck vermittelt worden, er sei zu dumm, einen Vermerk zu lesen. Das Bundeswirtschaftsministerium wies diese Darstellung zwar zurück – in der Union widersprach ihr aber niemand. Banken zur Räson bringen, Arbeitsplätze retten, Unternehmen steuern, verstaatlichen, das passt zu einer Partei, die dem Staat im Zweifel schon immer den Vorrang vor dem Markt gegeben hat. Deshalb haben die Sozialdemokraten so viel weniger Probleme, die derzeitige Krisenpolitik der Regierung glaubwürdig zu vertreten. Und deshalb wird es ihnen womöglich besser gelingen, aus der schlechten Lage heraus eine Angriffsstrategie zu entwickeln. Den ersten Versuch startete die SPD bereits zu Jahresanfang. Als sich der Koalitionsausschuss am 5. Januar traf, um über ein zweites Konjunkturprogramm zu beraten, legte die SPD ein 19-PunkteProgramm vor, das ihr Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier über die Weihnachtstage ausgearbeitet hatte. Die Union brachte zu dem Treffen nicht mehr mit als guten Willen. Mit dem Ergebnis, dass der größte Teil des Steinmeier-Papiers ungefiltert in das Konjunkturprogramm II einfloss. Die SPD war davon so begeistert, dass Steinmeier als Kanzlerkandidat seither unumstritten ist. Wenn am 4. März der Koalitionsausschuss erneut zusammentrifft, um sich der zentralen Frage anzunehmen, wie die internationalen Finanzmärkte in Zukunft besser reguliert werden können, wird diesmal der sozialdemokratische Finanzminister Peer Steinbrück ein ausgearbeitetes Konzept dabeihaben. Seine Spitzenbeamten sammeln bereits fleißig Ideen. Läuft alles nach SPD-Plan, trägt auch das FinanzmarktKonzept der Großen Koalition am Ende eine sozialdemokratische Handschrift. Na und? Zu den ehernen Gesetzen der Politik scheint zu gehören, dass Erfolge stets mit dem Kanzler, in diesem Fall mit der Kanzlerin, nach Hause gehen. Ob nun Steinmeier Konjunkturpakete schnürt, ob
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Steinbrück Finanzmärkte regelt, ob die SPD-Minister nun die Leistungsträger im Kabinett sind – der Wähler schaut auf die Kanzlerin. Je besser die SPD in der Regierung arbeitet, desto höher steigt das Ansehen der CDUKanzlerin? Die SPD hat sich vorgenommen, dieses Gesetz zu erschüttern. Sie will es gar widerlegen. Lust am Wahlkampf blitzt auf. »Schröder«, so ein linker Sozialdemokrat, dem die Führung noch zu zahm ist, »hätte längst den Arbeiterführer gegeben.« Steinmeier und Müntefering sind vorsichtig. Aber ganz nach dem eigenen Slogan »Guter Lohn für gute Arbeit« will die SPD die Erfolgsströme der Großen Koalition umlenken. Weg von der Kanzlerin. Hin zur SPD.
»Steinbrück klärt gut, Merkel erklärt gut« Mit Freude nehmen die sozialdemokratischen Strategen wahr, dass die Union auf die großkoalitionäre Offensive der SPD mit einer reinen Defensivtaktik reagiert: der Verhinderung. Wie bei der Lohnuntergrenze für Zeitarbeiter, als die Union eine bereits getroffene Vereinbarung wieder aufkündigte. Wie beim Umweltgesetzbuch, als die CSU in München und Teile der CDUFraktion in letzter Minute ihr Veto einlegten. Wie bei der Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze für Kinder um 35 Euro, als die CDU-Familienministerin Ursula von der Leyen ein Projekt des SPDSozialministers Olaf Scholz vorerst stoppte. All dies nutzte die SPD zur parteipolitischen Offensive. Einer Offensive auf den Nebenkriegsschauplätzen der Großen Koalition, dort, wo man sich ungefährdet wähnt, wo es nicht um die Wirtschaftskrise geht, wo nicht die Existenzangst der Menschen berührt ist. Und – wo man die Kanzlerin ins Visier nehmen kann. Warum lässt Angela Merkel es zu, dass Horst Seehofer ihr und 15 Ministerpräsidenten auf der
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Nase herumtanzt – und im Alleingang das Umweltgesetzbuch kippt? Warum setzt sie in den eigenen Reihen die Lohnuntergrenze für Zeitarbeiter nicht durch, der sie doch selbst zugestimmt hat? Wieso stoppt sie Ursula von der Leyen nicht, wenn diese Sinnvolles für arme Kinder verhindert? »Enttäuscht« sei man von der Kanzlerin, sagen Sozialdemokraten scheinheilig. Denn die Sache hat Kalkül. Der Angriff auf die Autorität der Kanzlerin hat begonnen. Franz Müntefering wählte am vergangenen Montag dafür eine elegante Form. Er verkleidete seine Kritik in ein wunderbar vergiftetes Lob über Management und Marketing in der Krise, über den Macher und seine Pressesprecherin, oder soll man sagen über Koch und Kellner? »Steinbrück klärt gut, Merkel erklärt gut«, ätzte der SPD-Chef. Geht das? Kann man die Kanzlerin beschädigen, ohne das Vertrauen der Bürger in die Regierung zu beschädigen? Eine Regierung, die immerhin die schwierigste aller denkbaren Krisen, die Weltwirtschaftskrise, zu bewältigen hat? Die sich nicht weniger vorgenommen hat, als die internationalen Finanzmärkte zu regulieren, mithin die Globalisierung zu zähmen? Glauben einem die Leute noch, dass man gemeinsam die großen Probleme lösen will, wenn man sich im »Kleinen« mit der Union bis aufs Messer streitet über den Atomausstieg, den Datenschutz, das Kindergeld, den Mindestlohn? Und ist man sich dort, im Herzen der Krisenbewältigung, im Auge des Orkans, viel uneiniger als auf den traditionellen Feldern der Politik? An der Spitze der Großen Koalition, zwischen Steinbrück und Merkel, ist immer noch weitgehend unstrittig, dass im verzweifelten Bemühen, die vom Bankrott bedrohte Hypothekenbank Hypo Real Estate zu retten – und damit auch Milliardenzuschüsse deutscher Steuerzahler –, eine Enteignung als Ultima Ratio nicht ausgeschlossen sein darf. Unter den – verbliebenen – Marktwirtschaftlern der Unionsfraktion, also unter den Parlamentariern, lösen solche Überlegungen Empörungswellen aus. »Enteigung gehört nicht ins Vokabular der CDU«, sagt etwa Michael Fuchs, Vorsitzender des Parlamentskreises Mittelstand. Eine Partei der sozialen Marktwirtschaft müsse so etwas »weit von sich weisen«. Die Union müsse hier ihre »ganz deutlichen Unterschiede zur SPD« klarmachen. Die Kanzlerin weiß, dass sie in der Fraktion noch erheblichen Widerstand überwinden muss, will sie zu einer Einigung mit den Sozialdemokraten kommen. Und die SPD weiß, dass sie Merkel und die Union an dieser Stelle erheblich piesacken könnte. Könnte. Noch ist die staatspolitische Verantwortung größer als die Versuchung, aus den Meinungsverschiedenheiten über die Krisenstrategie Bonuspunkte für den Wahlkampf zu sammeln. Noch – so könnte man es vielleicht auch sagen – ist die Angst der Sozialdemokraten vor dem großen Krach größer als die Lust am Zündeln. Schließlich ist das Wahljahr noch lang. Und die Krise noch nicht annähernd abgeschritten. Und so wenig, wie man die Dynamik der Krise einschätzen kann, ist Streit zwischen den Koalitionsparteien steuerbar. Wahlkampf ist Psychologie. Und Psychologie ist Dynamik. Was, wenn es wirklich kracht?
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ann immer andere Länder uns verstören, suchen wir dort jemanden, der uns vertraut wirkt. Obama ist unser Mann, weil George W. Bush so schrecklich anders war, texanisch ungehobelt, nicht europäisch zivilisiert. Bei den uns zutiefst fremden Iranern heißt unser Mann Mohammed Chatami. Chatami ist der wandelnde Gegensatz zu Mahmud Ahmadineschad, der so bereitwillig das perfekte Feindbild abgibt mit seiner schlechten Politik, seinem schlechten Stil, seiner schlechten Frisur. Chatami hingegen hat Kant gelesen, Habermas und Adorno. Seine Körpersprache ist vornehm, sein Bart akkurat gestutzt. Womöglich werden bald die ersten Journalisten über seinen Teheraner Friseur schreiben. Chatami kandidiert bei den Präsidentschaftswahlen im Juni. Über Obamas Chicagoer Friseur gab es schon ganze Zeitungsseiten. Irans Obama? Ist das der Mann, der Iran mit den USA aussöhnen kann? Wird er einen der gefährlichsten Konflikte des 21. Jahrhunderts entschärfen? Hinter dieser Hoffnung stecken frommer Wunsch und reelle Chance zugleich. Chatami war schon zweimal Präsident des Landes gewesen, zwischen 1997 und 2005. Eine überwältigende Mehrheit der Iraner hat ihn damals gewählt, 75 Prozent bei der ersten Wahl, 60 Prozent bei der zweiten. Die Jungen stimmten für ihn, vor allem die Frauen, aber auch sehr viele der gefürchteten Revolutionsgardisten. Im Westen reagierte man auf die Wahl dieses Mannes mit Staunen. Die Islamische Republik galt den meisten als ein finsterer Ort, bevölkert von rückständigen Fanatikern, die ein repressives System errichtet hatten. Ganz plötzlich brachte dieses Land einen Reformer hervor, der wie ein Popstar verehrt wurde und der den Blick frei gab auf eine moderne, komplexe Gesellschaft, die sich unter der Schicht der Religion entwickelt hatte. Die Außenwelt zu überraschen – das scheint ein Grundzug Irans zu sein. Kurz vor der Revolution
sklerotisiert erschien, kam Chatami. Als man 2005 den Iran endgültig auf dem Wege zu einer demokratischen Öffnung wähnte, wurde Ahmadineschad Präsident. Nun, da sich Iran endgültig radikalisiert zu haben schien, tritt Chatami wieder auf die Bühne – durchaus mit Chancen auf Erfolg. Diese Pendelschwünge zwischen extrem konservativ und relativ liberal täuschen darüber hinweg, dass das Zentrum der Macht, die unumschränkte Herrschaft des Obersten Religionsgelehrten, erstaunlich stabil bleibt. Revolutionsführer Ajatollah Chomeini beherrschte es meisterlich, die unterschiedlichen Fraktionen auszubalancieren, und der seit 1989 regierende Ajatollah Ali Chamenei steht ihm darin in nichts nach. Es geht bei diesem Balanceakt um eines: um das Überleben des Systems. Das ist die zugrunde liegende Rationalität. Chatami hatte sich bei seiner ersten Kandidatur 1997 den Segen des Obersten Führers eingeholt, und es ist davon auszugehen, dass auch die jetzige Kandidatur mit der Zustimmung von oben erfolgt. Das ist ein Zeichen dafür, dass sich die Gewichte wieder zugunsten einer weichen Revolutionsvariante verlagern. Denn Chatami ist zwar ein liberaler Mann, doch er ist ein Ajatollah geblieben, der das Erbe der Revolution verteidigt, an der Vorherrschaft der Religion will er nicht rütteln. Wie Ahmadineschad ist er auch ein Chomeinist, allerdings einer von ganz anderer Prägung. Tatsächlich attackiert er Ahmadineschad derzeit, weil dieser die Versprechen der Revolution nicht einlöse. Dass die armen Massen aus ihrer misslichen Lage befreit würden, ist eine zentrale Botschaft des revolutionären Irans. Ahmadineschad hat versucht, das Los der Armen zu lindern, indem er viele Ölmilliarden verteilte. Doch da dies ohne begleitende Strukturreformen geschah, befeuerte er die Inflation. Die Geschenke für die Armen schmelzen nun dahin. Derzeit liegt die Inflationsrate bei 30 Prozent. Das ist nicht nur eine innenpolitische Schwäche, sondern vor allem auch eine ideologi-
Fotos (Ausschnitte): Ulrich Ladurner für DIE ZEIT (o.); action press (u.)
Der gute Mann aus Teheran Mohammed Chatami will wieder Präsident werden – und mit Reformen die Revolution retten im Jahr 1979 hieß es noch, der Iran des Schahs sei eines der stabilsten Länder der Region; als Saddam Hussein 1980 Iran mit tatkräftiger Hilfe des Westens überfiel, glaubte er, das Regime würde schnell in sich zusammenfallen. Das Gegenteil geschah: Nach acht Jahren Krieg ohne Sieger war das Land zwar restlos erschöpft, aber im Inneren stabilisiert. Als das Land dann Mitte der neunziger Jahre völlig
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as wird aus Afghanistan, wenn Hamid Karsai nicht mehr Präsident des Landes sein wird? Die Frage muss man sich stellen, denn Karsai, das wurde auf der Münchner Sicherheitskonferenz klar, ist nicht mehr der Favorit des Westens, und ohne die Unterstützung insbesondere der USA wäre er nie in sein Amt gekommen. Er hätte sich dort auch nicht sieben Jahre lang halten können. Nun aber scheinen seine Tage gezählt. Am 20. August soll in Afghanistan ein neuer Präsident gewählt werden. Der Westen will Karsai nicht mehr, die Mehrheit der Afghanen wohl auch nicht. Es ist daher Zeit, Bilanz über seine Amtszeit zu ziehen, eine Bilanz, die sich auf ihn alleine nicht beschränken kann. Denn in Karsai spiegeln sich Schwächen, Widersprüche und auch Stärken westlicher Afghanistanpolitik. Fangen wir mit den Stärken an. Karsai galt bei den Afghanen zu Recht immer als ein Mann Amerikas. Das war an sich kein Nachteil, weil die Afghanen nicht etwa instinktiv und hartnäckig antiamerikanisch sind. Im Gegenteil, sie haben den Sturz der Taliban in ihrer großen Mehrheit begrüßt. Sie hatten gewaltige Erwartungen an den Westen und damit auch an Karsai. Die Hoffnung war 2001 die größte und wichtigste Ressource für die Veränderung. Nach 30 Jahren Krieg wollte die Bevölkerung endlich Frieden, damit sie ihr Land und ihr Leben wiederaufbauen konnten. Für diese Chance gingen sie massenhaft an die Wahlurne, wählten einen Präsidenten und ein Parlament, und sie taten es unter Lebensgefahr. Denn die Taliban drohten jedem, der seine Stimme abgab, mit dem Tod. Nachdem die Afghanen gewählt hatten, erwarteten sie das, was Wähler gemeinhin erwarten: eine Politik, die ihr Leben verbesserte. Doch die kam nicht. Und schon sind wir bei den Schwächen. Die Afghanen sahen, wie ihr Präsident Delegationen aus aller Welt empfing, wie er durch die Hauptstädte des Westens tourte, wie er sich dort Milliarden Dollar an Hilfsgeldern versprechen ließ. Doch in ihrem alltäglichen Leben änderte sich wenig, jedenfalls viel weniger, als sie erwartet hatten. Karsai als der Held des Wiederaufbaus entpuppte sich als Trugbild – Afghanen haben ihre Illusionen über ihn viel früher als der Westen verloren. Der Beweis für diesen Vertrauensverlust ist das Wiedererstarken der Taliban. Je schwächer das Image des einen, desto größer der Einfluss der anderen. Die Taliban sind in Afghanistan nicht so sehr wegen ihrer radikalislamischen Ideologie erstarkt, sondern weil sie scheinbar etwas im Angebot haben, was den Menschen der Präsident und sein »neues« Afghanistan nicht geben können: Ruhe, Sicherheit, Recht. Die Taliban setzen dies brachial und grausam durch. Doch Karsai setzte es überhaupt nicht durch, oder wenn, dann nur in Kabul, weswegen er auch als »Bürgermeister
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VON ULRICH LADURNER
sche, weil es das Kernstück der Islamischen Republik betrifft. Chatami will der bessere Revolutionär sein. Dazu gehört, dass er Iran einen respektierten Platz in der Weltgemeinschaft verschafft – denn die Revolution wollte Irans Selbstverständnis als Regionalmacht zur Geltung bringen. Wenn iranische Politiker von Respekt reden, dann meinen sie auch
Kabuls« verspottet wird. Karsai sagt heute, dass die Taliban auch deshalb auf dem Vormarsch seien, weil man ihnen erlaubt habe, Rückzugsgebiete in Pakistan zu finden. Außerdem habe die Kriegsführung des Westens, die viele zivile Opfer verursacht, Afghanen in die Arme der Taliban getrieben. Das stimmt – und ist doch gleichzeitig ein Ablenkungsmanöver vom eigenen Versagen. Hätte Karsai überhaupt Erfolg haben können? Und was genau heißt Erfolg? Im Unterschied zu den Afghanen glaubte man im Westen viel länger an den guten Präsidenten Karsai. Bis heute noch ist der Bann nicht gebrochen. Wenn der Mann mit seinem Umhang, seiner Karakulmütze und seinem gepflegten Bart erscheint, dann ist etwas von der verführerischen Eleganz einer politischen Diva zu spüren, einer celebrity mit exotischem Touch. Karsai verstand es sieben Jahre lang meisterhaft, sich dem Westen als einzige Hoffnung zu präsentieren. Er ist eloquent, er weiß genau, was sein Gegenüber hören will, und er sagt es in fließendem Englisch mit einer seltenen Mischung aus Schmeichelei und Klarheit. Dabei machte er vergessen, dass er im Grunde ein Stammespolitiker geblieben ist, ein Mann, der die meiste Zeit damit verbringt, die verschiedenen Interessen der Ethnien, Stämme, Clans und Familien auszutarieren, und der darüber hinaus keine Vision entwickeln kann. Das sollte man ihm nicht vorwerfen. Karsai ist ein afghanischer Politiker, der unter afghanischen Bedingungen sein Land führen muss – für visionäres Gerede ist Afghanistan entschieden der falsche Platz. Dafür gab es hier zu viel Krieg, als dass man noch Illusionen haben könnte. Für Visionen ist der Westen zuständig. Sie kommen den Politikern dort leichter über die Lippen, so lange jedenfalls, wie sich die Anzahl der getöteten Nato-Soldaten in einer für die Politik erträglichen Grenze halten. Je mehr Tote nach Hause kommen, desto schmalbrüstiger fallen die
Der Sündenbock aus Kabul Hamid Karsai war ein Hoffnungsträger im Krieg gegen den Terror. Jetzt will der Westen ihn loswerden Visionen aus. Auch das ist ein Grund für die fortschreitende Demontage Karsais. Karsai brillierte auf den verschiedenen Geberkonferenzen, da konnte er den Staatsmann geben, der mit großer, gnädiger Geste bekannt gab, dass er die Taliban – sofern sie sich von al-Qaida distanzierten - willkommen heiße. Das sind schöne Worte, und darüber vergisst man, dass Karsai dies jahrelang sagte und dass er sich von den Taliban regelmäßig eine Abfuhr einhandelte. Da stand einer auf der Tribüne und machte eine große, väter-
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dies. Ahmadineschad hat mit seinem Konfrontationskurs das Gegenteil erreicht, er hat das Land in die Isolation geführt. Hier hakt Chatami ein. Er kritisierte Ahmadineschad scharf, als der den Holocaust leugnete. Er unterstützte die Zwei-StaatenLösung, als dieser Israel bedrohte. Während seiner Amtszeit hatte Chatami das Gespräch mit den USA gesucht. Anfang 2003 bot er ein Bündnis gegen Saddam Hussein an. Dieser Vorstoß beinhaltete auch die Anerkennung Israels. 2004 setzte Iran zudem sein Urananreicherungsprogramm aus, wie es die internationale Gemeinschaft gefordert hatte. Wäre Amerika damals auf diese Entspannungssignale eingegangen, sähe der Nahe Osten heute anders aus. Doch Washington hatte Iran auf die »Achse des Bösen« gesetzt. Die interessante Frage derzeit ist, ob Chatami eine solche Allianz mit dem Erzfeind überhaupt hätte durchsetzen können – und ob er sie im Falle eines Wahlsiegs heute durchsetzen könnte. Seine Kritiker halten ihm vor, dass er seine Reden nicht in Taten umsetzen kann. Als die Studenten 1999 in Teheran massenweise auf die Straße gingen, taten sie es auch, weil sie Chatamis Rede von Demokratie, Menschenrechten und Freiheit ernst nahmen. Viele glaubten damals, für »ihren« Reformer zu demonstrieren. Doch der schwieg. Vielleicht, weil er ein Blutvergießen befürchtete. Vielleicht, weil er erkennen musste, dass seine Vision, die Vormacht der Religion mit Freiheit zu verbinden, ein Irrglaube war. Chatami schwieg auch, als die Sicherheitsapparate die Demonstrationen niederschlugen. Der Öffentlichkeit erschien er plötzlich nicht mehr als Reformer, sondern als weltfremder Gelehrter, der in seinem Elfenbeinturm forschte, während draußen das Blut seiner Anhänger floss. Das war ein verheerendes Bild. Bei allem Verständnis für die Enttäuschung seiner Anhänger war es aber auch ungerecht. Man mag Chatami Verrat an den Studenten vorhalten, doch seine Angst vor einem Blutvergießen kann man ihm schwerlich vorwerfen. Er wusste, wie weit die »Verteidiger« der Revolution gehen würden. Er wusste es, weil er einer von ihnen ist, kein Schläger, sondern eine eloquenter Gelehrter. Den Kern der Revolution tastete er nicht an. Man verglich ihn damals mit Gorbatschow, der die Sowjetunion umbauen wollte, ohne ihre ideologischen Grundlagen infrage zu stellen. Nur entpuppte sich die Islamische Republik als überlebensfähiger. Die Furcht Chatamis vor der Gewalt der Hardliner ist begründet. Gleichzeitig gibt sie den erzkonservativen Kräften ein Vetorecht. Ohne sie gibt es keine Reformen, keine Öffnung. Was also bedeutet Chatamis Kandidatur im Juni? Dieser Mann symbolisiert zweifellos die ausgestreckte Hand, die Obama bei seiner Inaugurationsrede gesucht hat. Doch je forscher und lauter die Erwartungen des Westens, desto geringer sind Chatamis Chancen.
liche Geste – doch kaum einer in seinem eigenen Land nahm ihn ernst. Nein, Karsai ist kein schlechter Politiker – er ist vielleicht sogar ein sehr guter, einer, der es versteht zu überleben, weiterzumachen, wenn andere schon längst aufgegeben hätten, trick- und fintenreich. So berechtigt die Vorwürfe der Korruption und Stammesküngelei ihm gegenüber sind – das Problem ist weniger er selbst, sondern sind die Projektionen des Westens auf seine Person. In dieser Figur verstecken sich alle Widersprüche Afghanistans. Das suggeriert er selber mit seinen Kleidungsaccessoires – jedes einzelne ein Symbol für eine Ethnie. Frieden in einer Person vereint, wo doch nur allenfalls ein prekärer Waffenstillstand herrscht. Personifiziert durch Karsai erschien Afghanistan wie ein lösbares Problem. Der Gedanke, dass Afghanistan vielleicht gar kein Problem ist, das der Westen »lösen« kann, scheint niemandem gekommen zu sein. Das Problem an Afghanistan für den Westen war al-Qaida. Solange es diese Terrororganisation nicht gab, solange sie nicht die Attentate vom 11. September ausführte, blieb Afghanistan im Windschatten der Geschichte, ein kriegsverwüstetes Armenhaus, ein ehemaliger Schauplatz des heißen Krieges zwischen Ost und West, der ausgedient hatte. Die Idee, dass Afghanistan ein »lösbares Problem« darstelle, kam erst nach der militärischen Intervention auf. Worin die Lösung bestehen solle, das kann bis heute kein westlicher Politiker durchbuchstabieren: ein Afghanistan mit befreiten Frauen? Ein Land ohne Taliban? Oder ohne Kriegsherren? Auf der Münchner Sicherheitskonferenz war viel die Rede von einer neuen Sicherheitsstrategie für Afghanistan. Sie ging einher mit der öffentlich intonierten Demontage Karsais. Auch wenn die neue Strategie noch nicht im Detail bekannt ist, so ist ihr Grundzug schon klar: weniger Militär, mehr ziviler Wiederaufbau. Das klingt gut. Doch, wo in Afghanistan verläuft die Grenze zwischen Zivilisten und Militär? Kann man eine Grenze überhaupt definieren? Es heißt nun, man müsse die Autoritäten vor Ort einbinden, Dorf für Dorf, Gemeinde für Gemeinde müsse man stabilisieren. Aber was ist, wenn diese viel zitierten Autoritäten vor Ort bewaffnete Kriegsherren sind? Meistens nämlich ist es so. Die Waffe ist die Autorität, immer noch. Die Strategie des Westens ist im Grunde jene Karsais, nämlich sich einzulassen auf die vielen kleinen tausend Akteure des Landes, mit ihnen zu verhandeln, zu feilschen, Abkommen zu schließen, die wieder gebrochen werden, um neue zu schließen. Eine endlose Mühsal, eine Sisyphosarbeit. Dafür steht Karsai, nicht für die schönen Reden. Jetzt, da der Westen sich von ihm verabschieden will, wird er sich gewahr werden müssen, wie viel Karsai in seiner eigenen »neuen« Afghanistanpolitik enthalten ist. Und wie Karsai riskiert der Westen, in Afghanistan zu versinken. U. L.
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in technologisch überlegenes Land, eine robuste Wirtschaft, eine entwickelte Demokratie, die stärkste Militärmacht im Mittleren Osten, die jederzeit an mehreren Fronten Krieg führen kann. Das ist Israel, klein aber stark und doch umgetrieben von der Sorge um sich selbst. Sicherheit vor den Feinden war das überwältigende Thema der Wahl am vergangenen Dienstag. Fast 50 Prozent der Bevölkerung Israels sehen dies laut einer neuen Umfrage als ihre drängendste Sorge an. Um diese Tatsache wird keine Regierung herumkommen, die am Ende der Koalitionsverhandlungen die Ministerwürden empfängt. Ihre größte Herausforderung heißt: Wie weiter mit den Palästinensern nach dem Januarkrieg? Die westlichen Vermittler, die in die Region reisen, werden sich die Nöte der Palästinenser im zerbombten Gaza und im Westjordanland vor Augen führen müssen. Doch sie werden sich ebenso der Frage stellen müssen: Wovor haben Israelis am meisten Angst? Vor der Abhängigkeit von anderen. Es ist die historische Erfahrung Israels, dass in der Not niemand hilft. Das war die Erfahrung im Holocaust, das war die Lehre aus den Kriegen gegen eine Überzahl arabischer Staaten und Soldaten seit 1948. »Am Ende können wir uns nur auf uns selbst verlassen«, dieser Satz ist Teil der Staatsräson. Hinzu kommt die Angst vor Abkommen, die der Gegner ausnutzt. Die Übereinkunft von Oslo gilt im Westen bis heute als großes Vorbild. In Israel schaut man mit gemischten Gefühlen darauf zurück. Damals übergab die israelische Regierung erstmals Verantwortung an die Polizei der palästinensischen Autonomiebehörde. Der Albtraum, den die Gegner des Abkommens an die Wand gemalt hatten, wurde wahr: Die Waffen dieser Polizei richteten sich kaum gegen Extremisten, sondern vor allem in der zweiten Intifada gegen Israelis. Da ist die Angst vor Iran. Der Rückzug aus Gaza 2005 gilt vielen in Israel als gescheiterte Aktion, die Iran den Weg an Israels Grenzen geöffnet hat. Iran unterstützt Hamas, und Hamas attackiert Israel, so ist die Lesart. Ein weitgehender Rückzug aus dem Westjordanland wird sich in der Bevölkerung nur schwer vermitteln lassen. Tel Aviv wie der internationale Flughafen Ben Gurion liegen nur wenige Kilometer von der Grenze des Westjordanlands entfernt. Viele Israelis fürchten, dass womöglich extremistische Gruppen, zumal Hamas mit der Unterstützung Irans, auch im Westjordanland die Macht übernehmen und auf die Wirtschafts- und Ballungszentren Israels schießen. Das wird jede israelische Regierung verhindern wollen, ob in Verhandlungen oder durch militärische Aktionen. In Europa und Amerika dominiert aber die Meinung, dass es einstweilen genug sei mit Luftangriffen und Panzerfahrten. Über 1300 Tote im Krieg Israels gegen Hamas im Gaza-Streifen haben auch in den USA Empörung ausgelöst.
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WAHLNACHT IN TEL AVIV. An Hochhäusern leuchten vorläufige Ergebnisse
Der US-Unterhändler George Mitchell will das Gespräch aller Parteien in Gang bringen. Keine allumfassenden Lösungen, sondern erträgliche Lebensbedingungen für alle sind das nächste Ziel. Die neue israelische Regierung muss zwischen den Wünschen der neuen US-Administration und den Ängsten der eigenen Bevölkerung manövrieren. Welche politische Haltung kann sie einnehmen? Da wäre zunächst mal die Igelstellung, vorstellbar unter einer möglichen Koalition zwischen der Likud-Partei unter Benjamin Netanjahu und der ultranationalischen Israel Beitanu unter Avgidor Lieberman: Die Vermittler kommen und gehen, ohne dass Jerusalem ihren Aufforderungen Taten folgen lässt. Die Israelis nicken in Gesprächen höflich und hinhaltend und tun dann das, was sie allein für richtig halten. Gaza bleibt umstellt. Wenn Raketen fliegen, folgt umgehend der massive Gegenschlag aus der Luft, notfalls auch eine kurze Panzerattacke. Die dort herrschende Hamas wird eingedämmt, nicht aber zerstört. Zu groß ist die Furcht im israelischen Sicherheitsestablishment, dass dann noch radikalere Grüppchen die Macht übernehmen könnten.
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Veto der Angst Trotz Zipi Liwnis Erfolg geht Israels Rechte gestärkt aus der Wahl hervor. Nur Amerika kann einen Frieden mit den Palästinensern erzwingen VON GISELA DACHS UND MICHAEL THUMANN
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Im Westjordanland behält Israel die Kontrolle durch massive Militärpräsenz, den Hochsicherheitszaun und die Siedlungen, die strategisch in das Palästinensergebiet hineingebaut wurden. Eine anhaltende Besetzung des Westjordanlands wäre jedoch zu kostspielig. Deshalb wird eine moderate Regierung der Palästinenser mit Geld und Gefälligkeiten gestützt, der amtierende Präsident Mahmud Abbas liefert das Vorbild. Wahrscheinlich ist der Rückzug auf Grenzen, die Israel gut verteidigen kann. Die Sicherheitsmauer weist die Richtung, hier siedeln die Israelis, dort verstreut die Palästinenser, beaufsichtigt von Armeestützpunkten. Das zweite mögliche Szenario wäre eines der ausgestreckten offenen Hand, um mit den Nachbarn der Region besser auszukommen: Die westlichen Vermittler, allen voran George Mitchell, sind gern gesehene Gäste in Jerusalem. Die Regierung hält sie nicht hin, sondern versucht, mit ihnen ernsthaft auf einen haltbaren Modus Vivendi zwischen Israelis und Palästinensern hinzuarbeiten. Die Regierung friert den Siedlungsbau tatsächlich ein, wie George Mitchell schon 2001 in einem viel beachteten Bericht gefordert hatte. Die palästinen-
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sische Autonomiebehörde im Westjordanland wird durch israelische und internationale Hilfe gestärkt. Checkpoints werden abgebaut, um das Leben erträglich zu machen und einen wirtschaftlichen Aufschwung zu ermöglichen. Israel stellt sich darauf ein, den Palästinensern künftig ein lebensfähiges Gebiet zuzugestehen. Es beginnen ernsthafte Verhandlungen mit klaren Zielen und Zeitrahmen. Die Regierung in Jerusalem verweigert nicht mehr jede Kontaktaufnahme mit Hamas. Die Verhandlungen über die Freilassung des entführten Soldaten Gilad Shalit sind der Auftakt. Über regionale Vermittler – Ägypten oder die Türkei – kommt ein stabiler Waffenstillstand zustande. Beide Seiten verzichten auf Gewalt. Sollten sich Hamas und die Fatah von Mahmud Abbas irgendwann auf eine gemeinsame Regierung oder zumindest auf eine Kooperation einigen, untergräbt Israel diese nicht, sondern sieht sie als Chance. Nur eine gestärkte palästinensische Regierung könnte Vereinbarungen auch durchsetzen, wenn sie es denn will. Diese zweite politische Handlungoption – denkbar nur bei maßgeblicher Regierungsbeteiligung der Kadima-Partei und von Zipi Liwni – wäre für das künftige israelische Kabinett weit schwieriger umzusetzen. Im Vergleich zu den frühen neunziger Jahren, als viele Israelis mit Zuversicht die Verhandlungen mit dem damaligen PLOChef Arafat sahen, ist das Land misstrauisch geworden. Es ist sicherheitsbedürftiger und hartleibiger denn je gegenüber der palästinensischen Bevölkerung. Zwischen Oslo 1993 und der Wahl 2009 liegen viele Selbstmordattentate, die zweite Intifada, der Beginn des Raketenzeitalters im GazaStreifen. EinRückzug aus den Palästinensergebieten gilt heute als Niederlage. Das Einfrieren des Siedlungsbaus wäre für jede Regierung ein Drahtseilakt, beim Abbau von Siedlungen riskierte sie das politische Ende. Doch noch etwas hat sich geändert. Der große Beschützer George W. Bush sitzt nicht mehr im Weißen Haus. Nach acht Jahren der monströsen Feldzüge unter Bush will Präsident Barack Obama auf die islamische Welt zugehen. Obama bietet dem verfeindeten Iran Verhandlungen an, wenn »dieser seine Faust öffnet«, Berater im Weißen Haus empfehlen indirekte Kontakte mit Hamas. Keine israelische Regierung kann gegen das Sicherheitsbedürfnis des Volkes handeln. Aber keine kann sich einen aufreibenden Dauerzwist mit Washington leisten. Die Regierung wird etwas Greifbares anbieten müssen, wenn die neue US-Außenministerin Hillary Clinton das erste Mal Jerusalem und Tel Aviv besucht. Der Wahlausgang in Israel, der nicht den erwarteten scharfen Rechtsruck brachte, könnte dabei hilfreich sein. i Weitere aktuelle Berichte und Kommentare zur Israel-Wahl auf ZEIT ONLINE: www.zeit.de/nahost
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12. Februar 2009 DIE ZEIT Nr. 8
Handkuss eines nicht allzu Gläubigen: SILVIO BERLUSCONI und der PAPST
Foto [M]: EPA/Osservatore Romano/picture-alliance/dpa
O weh, der Retter naht! Silvio Berlusconi interessierte sich nie für Sterbehilfe. Im Fall der Komapatientin Eluana Englaro ging es ihm nur darum, sich der Kirche und dem Volk anzudienen VON BIRGIT SCHÖNAU
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s war eine Szene, wie sie Italien seit den Zeiten des Nationalhelden Giuseppe Garibaldi nicht mehr gesehen hatte. Schauplatz war das prächtige Opernhaus von Neapel, das nach seiner Renovierung im Beisein des Staatsoberhauptes wiedereröffnet werden sollte. Als Präsident Giorgio Napolitano den Saal betrat, erhob sich die dort wartende Festgemeinde vollständig von den Sitzen. 1500 Menschen applaudierten minutenlang dem Präsidenten, einige riefen laut: »Es lebe die Verfassung!« Spontan ließ Dirigent Riccardo Muti die Nationalhymne spielen.
Der 84-jährige Napolitano hatte gewagt, was ihm in Italien kaum noch jemand zugetraut hatte: Silvio Berlusconi Einhalt zu gebieten. Bislang schien der Präsident in seinem Staatsamt langsam, aber unaufhaltsam zu erstarren. Von der Höhe seines Amtssitzes auf dem römischen Quirinalshügel pflegte der stets distanziert erscheinende Exkommunist Napolitano sich nicht in die Niederungen der Tagespolitik einzumischen. Bis zum vergangenen Samstag. Da weigerte sich der Staatspräsident Stunden vor seinem Auftritt in Neapel, eine Notverordnung von Ministerpräsident Silvio Berlusconi zu unterschreiben.
In dem Konflikt zwischen Staats- und Regierungschef ging es, jedenfalls vordergründig, um die Komapatientin Eluana Englaro. Nach einem Autounfall vor 17 Jahren war die nunmehr 38-jährige Norditalienerin nie wieder aufgewacht. Sie dämmerte in einer Klinik vor sich hin, während ihre Eltern auf Eluanas Recht zu sterben pochten: Ihre Tochter habe vor ihrem Unfall mehrfach und eindringlich erklärt, in einem solchen Fall lieber sterben als bewusstlos leben zu wollen. Sie zogen erstmals 1999 vor Gericht. Die Mutter erkrankte schwer an Krebs, der Vater ging durch alle Instanzen, bis ihm der Oberste Gerichtshof im
Juli 2008 recht gab: Die künstliche Ernährung Eluana Englaros erfolge gegen den vormals erklärten Willen der Patientin und könne deshalb unterbrochen werden. Das Verfassungsgericht bestätigte dieses Urteil. Und Berlusconi schwieg. Monatelang. Sterbehilfe und Patientenverfügung, in Italien seit Langem umstritten, waren für ihn kein Thema. Die Anregung der Opposition, ein entsprechendes Gesetz voranzubringen, war beim Regierungschef auf taube Ohren gestoßen. Um »Gedöns« wie Bioethik hatte der Machtpolitiker Berlusconi sich nie gekümmert. Das überließ er gern der Kirche – und
die Bischöfe waren ihrerseits froh darüber, wenigstens in diesem Bereich nahezu ungebremst Politik machen zu dürfen. Indem sie den Politikern sagten, wie sie sich in Sachen Patientenverfügung zu bewegen hätten: gar nicht. Dabei ist Berlusconi kein gläubiger Katholik. Zu Papst Johannes Paul II. sagte er einmal: »Wir bringen beide eine siegreiche Idee in die Welt. Sie das Christentum und ich meinen AC Mailand.« Aber dann kam Eluana. Jung, madonnenhaft schön, strahlend und gesund. Wenigstens auf den Fotos, die Tag für Tag in den Medien erschienen. Neuere Bilder von der Todkranken gab es nicht, die Familie hatte sie verweigert. Mit den alten Fotos von Eluana aber machte Berlusconi Politik. Er schwang sich zum Retter dieses schönen Mädchens auf. Er versprach, ihr höchstselbst den »Hungertod« zu ersparen. Die Eltern Englaro seien es offenbar leid, sich um ihre Tochter zu kümmern, höhnte er. Und: »Eluana ist so lebendig, dass sie ein Kind austragen könnte.« So spricht kein Regierender, der seine Bürger schützen will. Berlusconi erließ eine Notverordnung, die den Abbruch der Ernährung von Eluana Englaro untersagte – unter dem Beifall der Bischöfe, schon lange hatte die katholische Kirche gegen die Vollstreckung des Urteils mobilgemacht, weil sie dahinter einen Präzedenzfall für die Legalisierung von passiver Sterbehilfe witterte. Mit seinem Dekret konterkarierte Berlusconi nicht nur die Entscheidung des Obersten Gerichtes. Er erwies gleich drei Institutionen seine Missachtung: der Justiz, dem Staatsoberhaupt und dem zur Zustimmungsmaschine herabgewürdigten Parlament, in dessen beiden Kammern Berlusconis Rechtskoalition eine erdrückende Mehrheit besitzt. Staatspräsident Giorgio Napolitano unterzeichnete das Dekret deshalb nicht – mit der Feststellung, die Notverordnung sei verfassungswidrig. Im Falle Englaro gebe es ein höchstrichterliches Urteil, das der Gesetzgeber nicht unterlaufen könne.
Die Verfassung? Hält Berlusconi für »sowjetisch geprägt« Berlusconi schäumte. Napolitano trage mit seiner Weigerung die Verantwortung für »Euthanasie«. Der Regierungschef stellte die Rolle des Präsidenten als Garant der Verfassung infrage, er sprach Napolitano schlicht das Recht ab, die Unterschrift unter ein Dekret zu verweigern. Damit nicht genug. Die italienische Verfassung sei »sowjetisch geprägt«, hetzte der Regierungschef. Er könne Italien nun mal nicht ohne Notverordnungen regieren. »Wenn mir das verwehrt wird, werde ich das Volk bitten, diese Verfassung zu ändern.« Berlusconi kündigte an, das Dekret als »Eilgesetz« in drei Tagen durch das Parlament zu peitschen und Napolitano zur Unterzeichnung zu zwingen. Auf diese Art von zynischer Schützenhilfe wollte die Kirche dann doch lieber verzichten. Der Vatikan versicherte Staatspräsident Napolitano seiner Hochachtung. Man wolle sich nicht in die italienische Politik einmischen. Berlusconis »Eilgesetz« sei nichts weiter als der Streich eines »nihilistischen Regimes«, warnte der Verfassungsrechtler Gustavo Zagrebelsky, ehemals selbst Richter am höchsten Gericht. Berlusconi missachte die Institutionen und betreibe ohne Rücksicht auf demokratische Gepflogenheiten reine Machtpolitik, »im Unterschied zu Mussolini« sogar ohne ein politisches Projekt. Während Eluana Englaro im Sterben lag, debattierte das Parlament, angewiesen von Berlusconi, über das Gesetz, das ihr Leben im Koma verlängern sollte. Kaum erreichte am Montagabend die Todesnachricht den Senat, kam es im Oberhaus zu tumultartigen Szenen. Senatoren der Regierungsparteien schrien, Eluana sei ermordet worden. Der Fraktionsvorsitzende der Berlusconi-Partei Maurizio Gasparri bezichtigte gar den Staatspräsidenten der Sterbehilfe. Die »Kultur des Todes« habe gewonnen, setzte Berlusconi nach. Erst am Tag nach Eluanas Tod, als wiederum Präsident Napolitano mahnte, in diesem Moment »nationalen Aufruhrs« müsse man innehalten und »gemeinsam nachdenken«, gab es endlich versöhnlichere Töne. Sozialminister Maurizio Sacconi kündigte an, bald mit der Opposition über ein Gesetz zur Patientenverfügung zu reden. a www.zeit.de/audio
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Foto (Ausschnitt): Tim Wegner/laif
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ERZBISCHOF ZOLLITSCH ist seit 2008 Vorsitzender der Bischofskonferenz
Mein Gott, hilf! Nett bei »Maybrit Illner«, gemein zu Angela Merkel: Wie Deutschlands oberster Katholik trickreich für seine Kirche kämpft VON PATRIK SCHWARZ
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rzbischof Robert Zollitsch sieht nicht aus wie ein Mann, der dem Teufel einen Schrecken einjagen könnte: schütteres Haar, mildes Lächeln und eine Aktentasche. Aber wahrscheinlich kommt der Teufel auch nicht zu Maybrit Illner. Erzbischof Zollitsch dagegen hat sich zum ersten Talkshow-Auftritt seiner fast einjährigen Amtszeit als Anführer der deutschen Katholiken entschieden. Donnerstagabend, im Innenhof des ZDF Unter den Linden, ist es so heiß, dass selbst die Moderatorin stöhnt. Zollitsch muss punkten, das weiß er, der Auftritt ist nicht nur seine Premiere, diese Tage sind auch eine Premiere für den deutschen Papst in Rom: Zum ersten Mal seit der Wahl von Benedikt XVI. schlagen Flammen der Empörung aus seiner Kirche. Eine harte Woche liegt hinter Deutschlands Katholiken: Ihre Kanzlerin hat sich mit ihrem Papst angelegt. Kurienkardinäle bekennen die Inkompetenz des vatikanischen Apparats. Und der deutsche Leiter von Radio Vatikan sieht bereits eine »Austrittswelle« auf die Kirche zurollen. Ausgerechnet Benedikt, der Deutsche auf dem Papstthron, hat aus »Barmherzigkeit« einen Bischof rehabilitiert, der nebenbei ein HolocaustLeugner ist. Und bis heute findet der Papst kein Wort der Entschuldigung für seinen Fehltritt.
In Talkshows glänzen die Lauten, Zollitsch ist ein Leiser Es ist nicht leicht herauszuhören, was Robert Zollitsch, der höchste Katholik in Deutschland, dazu sagen will. Hat er den Papst kritisiert? Vielleicht. Hat er den Papst verteidigt? Vielleicht. Die Fernsehsendung jedenfalls beherrscht ein 23-jähriger Jungfunktionär des Netzwerks »Generation Benedikt«, dem jedes Argument recht ist, Hauptsache, es dient dem Papst. Ständig Kontra gibt Henryk M. Broder, der Publizist: »Kirchen tragen zum Frieden nicht mehr bei als Alkoholproduzenten zur Sicherheit im Straßenverkehr.« Im Talkshow-Zirkus glänzen die Lauten und die Extremen. Robert Zollitsch ist leise und liberal. Mit den Händen hält er sich an den Armlehnen fest, als säße er auf einem Schleudersitz, und seine Stimme geht in die Höhe, wenn er etwas Wichtiges sagen will, nicht in die Tiefe, wie es die Stimmcoaches den Fernsehprofis empfehlen. Möchte der Bischof sich zu Wort melden, rührt er kaum die Hand, ganz behutsam löst sich ein einzelner Finger von der Lehne, die er weiter umklammert hält. Der Vorsitzende der Bischofskonferenz hat es schwer, ins Gespräch zu kommen, bei Illner wie in seinem ersten Amtsjahr. Und doch ist die Krise des Prinzips Papst die starke Stunde des stillen Bischofs aus Freiburg. Im Streit um die Eingliederung der Pius-Bruderschaft in die Kirche haben die Konservativen in der Kurie ihr Spiel überreizt. Dass gerade sie, die Treuesten aller Treuen, den Papst in eine immense politische Verlegenheit gebracht haben, schwächt ihre Position zusätzlich. Beides hat Zollitsch erkannt – und in den vergangenen zwei Wochen Schritt für Schritt den Spielraum der deutschen Bischofskonferenz ausgeweitet. Der Vorsitzende führt den Streit um die Pius-Bruderschaft als Stellvertreterkrieg. Wenn es gelingt, die angebahnte Aufnahme der Ultratraditionalisten in die Kirche doch noch zu verhindern, ist die Verschiebung der innerkirchlichen Achse in diesem Pontifikat erst mal gestoppt. Während sich Kanzlerin und Medien vor allem um den Holocaust-Leugner und Pius-Bischof Williamson sorgen, geht Zollitsch weiter. Die Pius-Brüder insgesamt »wollen keine Demokratie, sie wollen eine strenge Gottesherrschaft.« Eine Heimholung der Brüder in die Kirche, wie sie manchen im Vatikan vorschwebt, hält er für nahezu unmöglich: »Sie sind bereits eine andere Kirche«. Die Hoffnung des Papstes auf die Wiederherstellung der Kircheneinheit mit den Traditionalisten erklärt er praktisch für erledigt: »Ich fürchte, es wird zu dieser Einheit nicht mehr kommen.« Satz für Satz zieht Zollitsch den Zaun um den Papst enger. Dabei weiß er die meisten deutschen Amtsbrüder auf seiner Seite. Ein Speisesaal in Berlin, das Mittagessen geht zu Ende. Es ist Freitag, da gab’s am Buffet wahl-
weise Fisch oder gefüllte Paprika. Die Pastoralkommission der Bischofskonferenz hat ihr Arbeitspensum hinter sich gebracht. »Ich bin keiner für Nachtisch«, seufzt ein Bischof und schiebt das Schälchen mit der Vanillecreme beiseite. Eigentlich habe die Entwicklung doch ein Gutes. »Jetzt liegen die Karten auf dem Tisch.« Erst die Krise habe Benedikts Kardinalstaatssekretär Bertone genötigt, der Bruderschaft unmissverständlich aufzuerlegen, alle Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils anzuerkennen. Damit sei das Reformkonzil in der Kirche fester verankert als zuvor. Noch deutlicher wird ein anderer Kirchenmann: »Der Papst ist jetzt gezwungen, sich von den Rechten abzugrenzen.« Eine fromme Hoffnung? Zollitsch steht einer Koalition auf Zeit vor. Derzeit sind sich die deutschen Bischöfe einig wie lange nicht mehr. Anders als etwa im Großkonflikt um die Schwangerenberatung gebe es diesmal keine Lagerbildung, berichten Teilnehmer der Runden. Den Holocaust-Leugner lehnen auch die konservativen Bischöfe Mixa, Meisner und Müller ab. »Die machen mir meinen Papst kaputt«, schimpfte neulich einer der »M&Ms« über die Pius-Brüder. Die deutschen Katholiken, so scheint es, sind bisher eher stärker geworden durch den Streit. Ein wenig traurig, aber auch reichlich trotzig bekennen sich in diesen Tagen Klerus wie Laien zu ihrem Recht aufs freie Denken, vor allem aber auf die freie Rede. In der Folge ist der Spielraum des Papstes in Deutschland enger geworden. Erzbischof Robert Zollitsch hat es darauf nicht abgesehen, aber er nimmt den Effekt in Kauf für ein Ziel, das nicht nur zwischen römischer Kurie und deutscher Kirche von Bedeutung ist. Zollitsch & Co sind entschieden, die Linie zwischen Liberalität und Restauration in der Kirche zu verschieben. Das geht nicht immer mit dem Papst, vor allem aber geht es nicht ohne ihn. Offen zielen Zollitsch und seine Brüder deshalb darauf ab, den Papst aus der Umklammerung seiner reaktionärsten Unterstützer in Rom zu befreien. Sie wollen ihn retten für die gute Sache, für ihre Sache. Eine Illusion?
Protestantische Kanzler und deutsche Katholiken, das war immer heikel Der stille Bischof hat auch eine harte Seite, wie zuletzt Angela Merkel zu spüren bekam. Ihre Kritik am Papst, vorgebracht bei einer Pressekonferenz mit dem kasachischen Staatspräsidenten, deckte sich mit Zollitschs Stoßrichtung. Doch mit protestantischen Kanzlern haben die deutschen Katholiken so ihre Erfahrungen, seit Otto von Bismarck sie vor 130 Jahren in einen Kirchenkampf verstrickte. »Das war das Allerletzte!«, empört sich ein hoher Kirchenmann über Merkel. »Da steht sie neben einem Diktator und pinkelt unseren Papst an!« Trotz mehrerer Anrufe der Kanzlerin kritisierte Zollitsch sie öffentlich. Er stellte den taktischen Nutzen der Abgrenzung vor die inhaltliche Übereinstimmung. Dass so viel von einem Politiker in dem stillen Männlein steckt, mag auch Merkel überrascht haben. Die verlässlichste Stütze für Zollitschs Kampf aber sind die Pius-Brüder selbst. Ein Brief, der der ZEIT vorliegt, belegt, dass die Pius-Bruderschaft den Papst offenbar hinterging. Der Generalobere, der Schweizer Bischof Bernard Fellay, hat spätestens am 21. Januar von Williamsons HolocaustLeugnung gewusst – drei Tage bevor der Papst die Aufhebung von Williamsons Exkommunikation verkünden ließ. Mit einem Schreiben an den schwedischen Fernsehsender, dem der Brite sein fatales Interview gegeben hatte, wollte Fellay die Ausstrahlung verhindern. Der Bischof sei »schändlicherweise« zu »säkularen und kontroversen Angelegenheiten« befragt worden, um der Bruderschaft zu schaden. »Dieser niederträchtige Versuch wird sein Ziel nicht erreichen.« Den Papst aber ließ der Pius-Obere weiter im Dunkeln tappen, bis es zu spät war. MITARBEIT: CAMILO JIMÉNEZ
i Weitere Informationen auf ZEIT ONLINE: www.zeit.de/kirche
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Kouchners Geschäfte Ein Buch bringt den Außenminister von Frankreich in Not VON GERO VON RANDOW
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er Journalist Pierre Péan hat schon zweimal den Lauf der französischen Geschichte geändert. Vor dreißig Jahren enthüllte er, dass der zentralafrikanische Despot Jean-Bedel Bokassa dem damaligen Präsidenten Valéry Giscard d’Estaing kostbare Diamanten geschenkt hatte. Die Affäre trug zur Niederlage d’Estaings gegen François Mitterrand bei, der 1981 Präsident wurde. Dem Sozialisten erging es nicht besser: Péan wies nach, dass Mitterrand dem profaschistischen Vichy-Regime gedient hatte, bevor er sich der Résistance anschloss – ein Umstand, über den der Präsident stets geschwiegen hatte. Der heute 70-jährige Péan ist ein Journalist der alten Schule, nimmt sich Zeit, befragt seine Zeugen mehrmals und sucht entlegene Archive auf. Jetzt hat er noch einmal zugeschlagen. Le monde selon K. heißt sein soeben erschienenes Buch, also »Die Welt, wie K. sie sieht«. K. steht für den französischen Außenminister Bernard Kouchner. Als Mitbegründer von Ärzte ohne Grenzen bekannt geworden, taucht er seit Jahren als Politiker an internationalen Krisenherden auf, möglichst zeitgleich mit den Fernsehkameras. Der ehemalige Linksradikale war Minister in mehreren sozialistischen Regierungen und ist es jetzt unter Nicolas Sarkozy. Doch nun ist Kouchners Ruf als rasendes Weltgewissen ramponiert. Péan zufolge soll er in jener Zeit, in der er zwar nicht Minister, wohl aber Chef einer staatlichen Gesundheitsorganisation war, mit afrikanischen Diktatoren hoch dotierte Beratungsaufträge über Reformen des Gesundheitswesens in deren Ländern eingefädelt haben. Als er dann Mitarbeiter der Gesundheitsorganisation mit ins Außenamt am Quai d’Orsay nahm, hätten diese mit frisch gewonnener Autorität bei den Afrikanern auf die Bezahlung offener Beträge gedrängt. Bis der Leser in Péans Buch auf die konkreten Vorwürfe stößt, muss er sich allerdings durch zweifelhafte Thesen zur Rolle Frankreichs in Ruanda und zur französischen Außenpolitik im Allgemeinen wühlen. Kouchner sei eine »öffentliche Gefahr«, schreibt Péan. Denn er träume davon, »fünfzig Jahre unabhängiger französischer Außenpolitik zunichte zu machen«. Als wenn es darauf ankäme, wovon Kouchner träumt! Schließlich werden die wichtigen Dossiers der Außenpolitik im Präsidentenpalast verfasst und nicht im Außenministerium auf der anderen Seite der Seine. Doch der Autor verbeißt sich in diese Vorstellung, wittert allenthalben antigaullistischen Selbsthass sowie Machenschaften jener »pro-amerikanischen Intellektuellen, die früher mal extrem Pierre Péan: links standen«. Gemeint ist Le monde selon K. damit vor allem Kouchners Fayard, 325 Seiten, 19 Euro Freund, der Philosoph Bernard-Henri Lévy, der im Geiste eines »angelsächsischen Kosmopolitismus« die eigene Nation verachte. Péan, wahrlich kein geschichtsvergessener Autor, wird gewusst haben, welche Töne er anschlägt. Es sind solche Formulierungen, die seinem Buch einen Teil der Wirkung nahmen. Inzwischen aber steht Kouchner wieder im Mittelpunkt der Debatte: In der Assemblée nationale zu einer Erklärung aufgefordert, windet sich der Angegriffene, baut Verteidigungsstellungen auf, die von einer mittlerweile aufgewachten Presse durch weitere Enthüllungen zunichte gemacht werden. Fällt Kouchner, so haben jene gewonnen, die als Quelle der Informationen Péans infrage kommen: die gaullistische Minderheit im Élysée, Reformverlierer am Quai d’Orsay sowie jene Linken, die dem Politstar seinen Seitenwechsel in das Kabinett Sarkozys nie verziehen haben.
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Fotos (Ausschnitte): Martin Schutt/dpa picture-alliance (o.); Jens-Ulrich Koch/ddp (u.)
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BIRGIT DIEZEL vertritt den Ministerpräsidenten
ALTHAUS’ STUHL im Landtag
Zeit für Plan B Thüringens CDU steht offiziell weiter zu Dieter Althaus. Doch mancher in der Partei ahnt, dass das nicht reichen wird VON DAGMAR ROSENFELD
ie Tinte an der Füllerspitze ist fast getrocknet, als Birgit Diezel doch noch unterschreibt. »Ehrenbrief des Freistaates Thüringen« steht auf dem Papier, und an der Stelle, die für die Unterschrift des Ministerpräsidenten vorgesehen ist, nun auch Birgit Diezels Name. Vor den hat sie ein »i. A.« gesetzt. »Kann das nicht warten, bis er wieder da ist«, hatte sie zuvor gefragt und den Füller neben die Unterschriftenmappe auf den Schreibtisch in ihrem Büro im Finanzministerium gelegt. Mit »er« ist Dieter Althaus gemeint. Würde der Ministerpräsident nicht nach seinem Skiunfall in einer Spezialklinik am Bodensee behandelt, man könnte glauben, sie erwarte ihn in den nächsten Tagen zurück. Es ist diese demonstrative Zuversicht, die die Thüringer CDU durch die vergangenen Wochen getragen hat. Geschlossen hat sie sich zu Dieter Althaus als Spitzenkandidaten für die Landtagswahl am 30. August bekannt. Für die Christdemokraten geht es darum, die Alleinregierung zu verteidigen – gegen eine Linkspartei, die in den Umfragen bei fast 30 Prozent liegt. Doch nun hat der Spiegel über den Inhalt des technischen Gutachtens berichtet, das den Verlauf des Skiunglücks dokumentiert, bei dem eine 41-jährige Frau ums Leben gekommen ist. Demnach hat ein Fahrfehler von Althaus an Neujahr den tödlichen Zusammenprall verursacht. Die Staatsanwaltschaft im österreichischen Leoben, die wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung ermittelt, will sich dazu nicht äußern, stellt aber klar: Erst nachdem Althaus angehört worden sei, werde entschieden, ob ein Gerichtsverfahren eröffnet werde. Seine Ärzte sagen, Althaus werde frühestens im März vernehmungsfähig sein. Vergangenen Freitagabend, wenige Stunden bevor die ersten Nachrichtenagenturen über den Fahrfehler von Althaus berichteten, hatte die Parteispitze der Thüringer CDU von dem Gutachten erfahren. Seitdem ist sie redlich bemüht, nach außen und innen zu vermitteln: Es gelte nach wie vor Plan A, der daraus bestehe, dass es keinen Plan B gebe. Doch die Mauer der Geschlossenheit, die die Partei um sich errichtet hat, bekommt erste Risse. Der Fraktionsvorsitzende Mike Mohring ist in einem Interview mit dem Hamburger Abendblatt Anfang der Woche für Thüringer Verhältnisse ungewöhnlich deutlich geworden: Wenn Althaus zurückkomme, müsse er 100 Prozent einsatzfähig sein. Und er müsse nach der Sommerpause wieder da sein, dann beginne der Wahlkampf. Bisher hatte die Thüringer CDU vermieden, einen genauen Zeitpunkt für die Rückkehr ihres Ministerpräsidenten zu nennen. »Rechtzeitig«, lautete die Sprachregelung. Mohrings Äußerungen erwecken den Eindruck, bis zur Genesung von Althaus könnten noch Monate vergehen. Das impliziert auch, dass es um seine physische und psychische Verfassung womöglich schlechter bestellt ist als bisher angenommen. Die Partei weiter unter Druck gesetzt hat der thüringische Bundestagsabgeordnete Manfred Grund: Ostern werde der Zeitpunkt sein, an dem Althaus und die Partei entscheiden müssten, ob er in der Lage sei, »die Anforderungen an einen Spitzenkandidaten auch zu erfüllen«. Auch wenn Grund sich von dieser Aussage mittlerweile distanziert hat, die Wirkung seiner Worte bleibt.
»Auf Anraten der Ärzte halten wir noch alles Politische von ihm fern« Wie schwierig der entgegenzuwirken ist, offenbart ein Gespräch mit Birgit Diezel. »Frau Diezel, erstmals ist ein konkreter Zeitpunkt für die Rückkehr von Althaus genannt worden. Setzt das die Partei unter Zugzwang?« »Wir geben Dieter Althaus die Zeit, vollständig zu genesen. Wenn er eine Woche eher zurückkommt, freuen wir uns. Wenn er eine Woche länger braucht, schaffen wir das auch.« »Was macht sie so sicher, dass Althaus rechtzeitig wieder voll einsatzfähig sein wird?« »Die Prognosen der Ärzte und das, was mir seine Frau Katharina berichtet. Wir telefonieren regelmäßig, zuletzt haben wir am Samstag lange miteinander gesprochen.« »Haben Sie mit Althaus selbst reden können?« »Nein, auf Anraten der Ärzte halten wir noch alles Politische von ihm fern.«
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»Kann er auch dann Spitzenkandidat bleiben, wenn ein Strafverfahren gegen ihn eröffnet wird?« »Ich werde mich zu den laufenden Ermittlungen nicht äußern, nur so viel: Wir stehen hinter Dieter Althaus.« Mit derartigen Durchhalteparolen versucht die Parteispitze, eine öffentliche Nachfolgedebatte zu vermeiden. Denn derzeit würde die CDU daran wohl zerbrechen. Es gibt keinen Kandidaten, der eindeutig für eine Nachfolge infrage kommt, sodass er von der gesamten Partei getragen würde. Dafür ist Dieter Althaus verantwortlich – und die CDU selbst. Sie hat zugelassen, dass Althaus in fast sechs Jahren als Ministerpräsident alle Macht auf sich vereinen konnte. Sein Machtkonstrukt funktioniert wie eine Lichterkette ohne Überbrückungswiderstand: Fällt die Lampe in der Mitte aus, leuchten auch die anderen nicht mehr. Die Ergebenheit der CDU war auf dem Parteitag im November zu beobachten. Trotz einer missglückten Kabinettsumbildung und sinkender Umfragewerte hat sie Althaus mit sozialistischen 100 Prozent als Parteichef bestätigt. Allerdings haben 12 der 134 Delegierten nicht mit abgestimmt. Weil es im Foyer kostenlos Kaffee und Brezeln gab, sagen die einen. Weil sie sonst mit Nein votiert hätten, sagen die anderen. Noch hat sich die Thüringer Opposition das Althaus-Problem nicht zunutze machen können. Denn solange es den Christdemokraten gelungen war, über die Risiken ihres Plans A zu schweigen, waren auch Linkspartei und SPD zum Stillhalten verdammt.
Erstmals nach dem Unfall haben Parteifreunde Althaus jetzt getroffen Doch mit dem Gutachten gibt es eine Zeit davor und eine Zeit danach. In der Zeit bevor das Gutachten bekannt wurde, sind Anstand und Macht eins gewesen. Jeder, der gewagt hätte, die Position von Althaus infrage zu stellen, hätte sich politisch und menschlich diskreditiert. Langsam aber muss die CDU mit den Vorbereitungen für einen Wahlkampf ohne Althaus beginnen, will sie nicht vom Lauf der Ereignisse hinweggefegt werden. Nun, wo die Zeit danach begonnen hat, treten menschlicher Anstand und Machtperspektive miteinander in Konkurrenz. Vor wenigen Tagen noch hat Landtagspräsidentin Dagmar Schipanski sich an der Geschlossenheit ihrer Partei gefreut: »Wir haben von Bernhard Vogel gelernt zusammenzuhalten.« Den einstigen Ministerpräsidenten hatte in Rheinland-Pfalz ein parteiinterner Machtkampf das Amt gekostet. Das habe Vogels Führungsstil in Thüringen geprägt. Während Schipanski das erzählt, überträgt der Fernseher in ihrem Büro die Landtagssitzung. Die Kamera ist auf das Rednerpult gerichtet, rechts daneben sitzt Birgit Diezel. Der Stuhl links neben dem Pult ist leer. Es ist der Stuhl von Dieter Althaus. In der Zeit davor, vor dem Gutachten, hat die CDU diese Leere ausgehalten. »Wir dürfen uns jetzt nicht zu einer öffentlichen Nachfolgedebatte hinreißen lassen«, deutet Dagmar Schipanski die Zeichen der Zeit danach. So werden intern bereits Gespräche über eine Nachfolge geführt, berichtet ein CDU-Mitglied mit engen Kontakten in die Parteispitze. Sollte sich der Verdacht gegen Althaus erhärten und es zu einem Strafverfahren kommen, werde das Konsequenzen haben. Birgit Diezel widerspricht: Zurzeit gebe es keine Diskussion über eine Nachfolgelösung. In Parteikreisen aber werden schon erste Namen gehandelt: Neben Mike Mohring und Sozialministerin Christine Lieberknecht auch der von Birgit Diezel. Einen eindeutigen Favoriten gebe es nicht, heißt es. Doch stünden Diezels Chancen nicht schlecht – auch wenn in der CDU gern erzählt wird, Althaus habe sie nur zu seiner Stellvertreterin ernannt, weil sie damals die einzige Frau im Kabinett war. Zur Zeit danach gehört auch der Dienstag dieser Woche. An diesem Tag hat Dieter Althaus seinen Vater beerdigt. Zur Trauerfeier kamen auch Parteifreunde nach Heiligenstadt. Erstmals seit dem Unfall haben sie ihren Ministerpräsidenten persönlich erlebt. Und erstmals sei zu erkennen gewesen, wie es wirklich um ihn stehe, sagte ein Trauergast. Nicht gut.
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9 Foto: Christian Langbehn-Pool/Getty Images
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»Mord mit Ansage« Eine tote Muslimin, ihr Bruder der Täter, das Motiv: Ehre – alles klar? Der Fall Morsal taugt nicht für voreilige Schlüsse VON RAINER FRENKEL DER ANGEKLAGTE Ahmed O. im Gerichtssaal zwischen seinen beiden Verteidigern
Hamburg m zehnten Prozesstag vollzieht sich in Boris Bochnick eine seltsame Wandlung. Es ist der Tag, an dem er, der Hamburger Staatsanwalt, plädieren soll im sogenannten Ehrenmord-Prozess gegen Ahmad O., einen aus Afghanistan stammenden Deutschen, der seine Schwester Morsal mit 23 Messerstichen getötet hat. Bochnick, der in den Verhandlungstagen zuvor allenfalls durch ein paar Wutausbrüche aufgefallen war, hat sich scheinbar eine neue Stimme zugelegt. Er hebt an zu einem 45-minütigen Trauergesang. Tremolierend klagt er, Ehre verhalte sich zu Mord »wie Feuer zu Wasser«. Und dass er einen Blick getan habe ins »finstere Mittelalter« mit den dazu passenden »Rollen- und Weltbildern«. Er redet und redet, mal langsam, mal schnell, mal schneidend, mal schmeichelnd. Die Suada mündet in dem Satz: »Das hier war Mord mit Ansage.« Wie immer das Gericht entscheidet (das Urteil soll am Donnerstag verkündet werden), was immer davon zu halten ist, dass ein Staatsanwalt auf die Gefühle seiner Zuhörer zielt – der Fall ist von bedrückender Konsequenz. Er erzählt eine Geschichte von verlorener Identität und verweigerter Integration. Die Geschichte von Menschen, die glauben, Konflikte, zumal familiäre, nur mit Gewalt lösen können. Und die Geschichte eines 16-jährigen Mädchens aus Deutschland, das leben wollte wie ein 16-jähriges Mädchen in Deutschland – obwohl es in Afghanistan geboren war. Dessen Leben schließlich nachts auf einem Parkplatz nahe der S-Bahn endete. Der Körper, den man dort fand, war »übersät mit Spuren der Gewalt« (Bochnick). Ahmad O. hat die Tat gestanden. Doch von einem »Ehrenmord«, so sagen die Verteidiger, dürfe nicht die Rede sein. Einer der beiden,
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Thomas Bliwier, erklärt: Hätte der Täter als EhRegelmäßig aber ist, wie auch bei Morsal, das renmörder gehandelt, der sein Tun also auch Opfer bereits vor der Tat misshandelt worden. Die später noch gerechtfertigt hätte, hätte er ihn Schriftstellerin Necla Kelek formuliert den soziolonicht verteidigt. gischen Überbau: »Statt sich eine eigene Geschichte Mord oder Totschlag im Affekt, das bestimmt zu erarbeiten, imitieren die Söhne den Vater. Sie auch in diesem Verfahren die Höhe der Strafe. borgen sich dessen Macht oder was sie dafür halDass aber der Begriff der Familienehre, wie kru- ten. Sie lernen Macht nicht als geistige oder argude er erscheinen mag, das grausige Geschehen mentative Überlegenheit kennen, sondern als erst ermöglicht, wenn nicht geleitet hat, ist of- dumpfe Gewalt.« fenkundig. Ahmad O. hatte nach der Tat mit So war es auch im Februar 2005 in Berlin, als seiner Mutter telefoniert und ihr, die geklagt hat- der 19-jährige Ayhan Sürücü seine um vier Jahre te, er habe alles ruiniert, beschieältere Schwester Hatun durch drei LÄNDERSPIEGEL den: »Besser ruiniert als ehrlos.« Schüsse in den Kopf tötete. Ihre letzViel ist bereits geschrieben worten Worte waren angeblich: »Ich ficke, den zu diesem Thema. Demnach wen ich will.« In Hamburg starb Morgeschehen die Ehrverbrechen zusal O., als der Bruder sie fragte, ob sie sich prostituiere. »Das geht dich einen meist auf der Basis von patriarchischScheißdreck an«, antwortete die 16feudalistischen Stammesstrukturen, Jährige. Das wird die Gutachterin im die nicht infrage stehen. Die Opfer Prozess später als »narzisstische Kränsind fast ausschließlich Frauen, deren kung« werten, als Auslöser der Orgie als zu freizügig empfundener Lebensvon Gewalt. stil die patriarchalische Ordnung Morsals Leiden, ihre letzten Monabedroht. Die vermeintliche Ehre, te, werden vor Gericht auf erschreckende Weise ohne Blutvergießen ist sie nicht zu retten. Das Bundeskriminalamt hat zwischen 1996 lebendig. Seit Jahren wurde sie misshandelt – vom und 2005 in der Bundesrepublik 55 Fälle von Vater, von der Mutter, dem Bruder. Sechs Mal ist sie Ehrverbrechen registriert. Von den 70 Opfern ins Mädchenhaus des Hamburger Kinder- und starben 48. Erst im Januar dieses Jahres hat ein Jugendnotdienstes geflüchtet, sechs Mal zog es sie Hamburger Gericht einen 21-jährigen Deutsch- wie ferngesteuert zurück in die Familie. Von ihren Afghanen zu vier Monaten auf Bewährung ver- Eltern wurde sie nach Afghanistan verschleppt, urteilt, weil er seine Freundin so bedroht hatte: auch, um dort verlobt zu werden. Ein Onkel ver»Du wirst sterben wie Morsal. Ich werde noch half ihr zur Flucht zurück nach Deutschland. Immer wieder geht sie zur Polizei, immer wieder berühmter werden als Morsals Bruder.« Oft entscheidet, anders als im Fall Morsal, ein zieht sie ihre Anzeigen zurück. Am 13. Mai 2008, Familienrat über die Ehrverletzung und ihre zwei Tage vor ihrem Tod, entschließt sie sich endKonsequenzen. Und oft wird als Vollstrecker der lich, sich nachhaltig zu wehren. Sie lässt sich daher Strafe ein minderjähriger Verwandter ausgesucht, in der Gewaltambulanz des Universitätsklinikums weil er eine geringere Strafe zu erwarten habe. Hamburg-Eppendorf untersuchen. Die Mediziner Auch das war anders in diesem Fall. Ahmad O. sehen einen Körper voller Narben, wie ein Tagebuch der Gewalt. war 23, als er seine Schwester niederstach.
Aus den Akten, den Zeugnissen schimmert vor Gericht das Bild von Morsal als lebenslustige, sozial engagierte junge Frau auf. Ein Klassenlehrer beschreibt sie als »selbstbewusst und fröhlich«. Und: »Es war immer Morsal, die die Interessen der Klasse vertrat.« Sie hat sich zur Streitschlichterin ausbilden lassen. »Sie war immer freundlich und offen«, sagt eine Mitschülerin. »Sie hat oft die eigenen Probleme zurückgestellt.« Und nur gelegentlich von Schlägen und Tritten erzählt. Die junge Zeugin muss vor Weinen minutenlang innehalten, bevor sie diesen Satz sagen kann: Sie könne sich »nicht vorstellen, dass man nach Hause geht und Angst haben muss vor Eltern und Geschwistern«. Ahmad O. verharrt im Gerichtssaal in einer Art Schreckstarre. Von wenigen weinerlichen Ausbrüchen abgesehen, sagt er nichts. Das scheint die Rolle zu sein, die ihm die Verteidiger zugewiesen haben. Auch Ahmad hat Gewalt erlitten. Da ihm beruflich nichts anderes gelang, startete er eine beachtliche kriminelle Karriere. Ein paar Tage bevor er seine Schwester tötete, sollte der Intensivtäter wegen diverser Delikte für eineinhalb Jahre ins Gefängnis. Sein Antrag auf Aufschub wurde erst nach der Tat abgewiesen – bürokratische Zufälle mit Folgen. Die Eltern, die Geschwister, alle verweigern die Aussage vor Gericht. Das ist ihr Recht. Der Vater etwa hätte erzählen können, wie er als Mitglied eines wohlhabenden Clans und ehemaliger Kampfpilot im Dienste der Russen 1992 seine Heimat verlassen musste aus Angst vor den Taliban und in Deutschland politisches Asyl erhielt. Wie die Familie zwei Jahre später folgte. Wie man sich in der neuen Heimat Deutschland, die für die Familie keine war, abschottete. Dass der ehemalige Pilot nun Busse fahren musste, wie er sich dem Alkohol hingab, erst den Führerschein verlor und dann auch noch die Herrschaft über die Familie. Wie diese
Seid’s willkommen, Uiguren München will 17 Häftlinge aus Guantánamo aufnehmen. Die CSU in der Stadt stimmt dafür, ihr Innenminister hält das für »bescheuert« VON GEORG ETSCHEIT München o ganz hat sich die CSU im Münchner Maximilianeum wohl noch nicht daran gewöhnt, dass sie in der Landespolitik nicht mehr allein schalten und walten kann. Anders lässt sich kaum erklären, warum die einstige Staatspartei ohne Not einen Koalitionsstreit vom Zaun brach, der das schwarz-gelbe Bündnis auf eine erste Belastungsprobe stellte und der Opposition eine Vorlage für hämische Kommentare lieferte. Es geht um das zentralasiatische Volk der Uiguren. Konkreter um einen Antrag der bayerischen SPD-Landtagsfraktion, 17 Uiguren, die seit sieben Jahren unschuldig im US-Lager Guantánamo einsitzen, ein Aufenthaltsrecht in München zu gewähren. In der Landeshauptstadt leben bereits etwa 500 Uiguren, es ist die größte Gemeinde außerhalb Chinas. Hier befindet sich auch das Büro des Uigurischen Weltkongresses, der für die Rechte der Minderheit in China kämpft. Asgar Can, der stellvertretende Vorsitzende, empfängt seinen Gast in einem auffallend schmucklosen Büro im Bahnhofsviertel. »In München sind wir sehr gut integriert«, sagt Can. Die Abiturientenquote in der Gemeinde etwa liege über dem bayerischen Durchschnitt. Die Uiguren sind sunnitische Muslime und leben in der autonomen Provinz Xinjiang. Das rohstoffreiche Gebiet wurde 1949 von China besetzt. Seither werden die Uiguren unterdrückt. Im Schatten der Tibet-Dauerkrise nimmt die Welt davon jedoch nur wenig Notiz. Viele Menschen verschwänden spurlos, säßen in Arbeitslagern oder Gefängnissen ein oder seien auf der Flucht, sagt Can. Die Gesellschaft für bedrohte Völker berichtet, dass allein 2008, im Olympiajahr, 1295 Uiguren wegen »Gefährdung der Sicherheit des Staates« festgenommen worden seien. Uigurische Regimekritiker würden »allein aufgrund ihrer ethnischen Abstammung pauschal als Terroristen« behandelt. Die USA stützten sich bei der Verhaftung der Uiguren auf angeblich belastendes Material aus China, wonach die Männer Angehörige der Islamischen Bewegung Ostturkestan seien. Obwohl die Häftlinge seit Jahren als unschuldig eingestuft werden, kamen bislang nur fünf von 22 Uiguren aus Guantánamo frei. Sie wurden von Albanien
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aufgenommen (ZEIT Nr. 2/09). In China drohte ihnen die Todesstrafe. Die bayerische SPD verlangte nun von CSUInnenminister Joachim Herrmann, die 17 noch inhaftierten Männer nach München einreisen zu lassen. »Die Leute waren einfach zur falschen Zeit am falschen Ort«, sagt Fraktionssprecher Michael Langer. Ein entsprechender Dringlichkeitsantrag wurde vergangene Woche im Rechtsausschuss des Landtages mit der CSU-Mehrheit abgeblockt. Das Pikante daran: Zusammen mit der Opposition hatte auch der FDP-Abgeordnete Andreas Fischer gegen den Koalitionspartner gestimmt. Das Abstimmungsverhalten der CSU-Kollegen habe ihn »sehr überrascht«, sagt Fischer. »Das wäre ein Symbol gewesen in einer Frage, die man nicht unbedingt für Parteipolitik nutzen sollte.« Fischers Ansinnen erscheint etwas blauäugig. Der Neuling im Landtag hatte nicht mit den Machtreflexen der CSU aus Zeiten der Zweidrittelmehrheit gerechnet. CSU-Fraktionschef Georg Schmid jedenfalls legte öffentlich nach. Er forderte, die Partei müsse gegenüber dem kleinen Koalitionspartner »Kante zeigen«. Innenminister Herrmann wird mit den markigen Worten zitiert, man sei ja »bescheuert«, würde man sich freiwillig »Terroristen ins Land holen«. Ministerpräsident Horst Seehofer war, wie es hieß, nicht glücklich über die Kraftmeierei. Ebenso wenig wie über den einstimmigen Beschluss des Sozialausschusses des Münchner Stadtrates, in dem sich die Landeshauptstadt als erste deutsche Kommune bereit erklärte, die Uiguren aufzunehmen. Damit stellte sich auch die CSUStadtratsopposition gegen die Linie des Innenministers. »Wir sind einfach einen Schritt weiter«, spielt Josef Schmid, CSU-Fraktionschef im Stadtrat, den Dissens herunter. »Seit den Zeiten von Franz Josef Strauß setzt sich die CSU für Menschen ein, die von Kommunisten verfolgt werden.« Uigurensprecher Can hofft, dass die neue USRegierung die Bundesregierung schnell bittet, die Häftlinge aufzunehmen. Einen entsprechenden Hinweis hat Vizepräsident Joe Biden auf der Münchner Sicherheitskonferenz gegeben. »Die Leute sind wirklich unschuldig. Wir sind bereit, sie nach allen unseren Kräften zu unterstützen, damit sie sich schnell integrieren können«, sagte Biden.
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Familiengemeinschaft zerbricht unter den Schlägen und Tritten ihrer Mitglieder. Wie ein Unbeteiligter ging der Vater, dem selbst ein Verfahren wegen Misshandlung seiner Tochter droht, vor seiner Anhörung durchs Hamburger Landgericht. Ganz anders die Mutter. Immer wieder gellten ihre Schreie durch das Gericht und seine Flure, Ausdruck von Verzweiflung und Ohnmacht. Im Saal interessiert nur mehr der Streit um Gutachten und Gutachter. Den ersten, den die Staatsanwaltschaft beauftragt hatte, hat das Gericht abgelehnt, sehr zur Freude der Verteidigung. Er sei zu parteilich, kurz gesagt. So hat die Kammer bei der psychiatrischen Gutachterin Marianne Röhl ein zweites Gutachten bestellt, das nun im Gegensatz zum ersten Ahmad O. eine Intelligenzleistung »im unteren Bereich« attestiert. Dazu ein narzisstisch geprägtes Persönlichkeitsmuster, das an verminderte Schuld- und Steuerungsfähigkeit denken lasse. Also, wieder verkürzt, nicht an Mord, sondern lediglich an Totschlag im Affekt. Es folgt ein Wutausbruch des Staatsanwalts und der entsprechende Ablehnungsantrag. Der wird später abgewiesen, die Kammer hat keinen Zweifel an der fachlichen Eignung der Gutachterin. Kurz vor Ende des Verfahrens hatte der Vorsitzende Richter Wolfgang Backen, ein außerordentlich aufmerksamer, besonnener Mann, einen rechtlichen Hinweis gegeben: Es sei darüber nachzudenken, ob der Angeklagte voll schuldfähig sei oder ob man ihn mit einer Freiheitsstrafe bedenke, zusätzlich zu einer Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus. Von Ehre ist da schon lange nicht mehr die Rede. Und als das noch anders war, ging es nicht um die Ehre selbst. Sondern allenfalls um Verbrechen im Namen der Ehre. a www.zeit.de/audio
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12. Februar 2009 DIE ZEIT Nr. 8
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Ohne Ziegenbock Die Welt will Amerika wieder lieben, hat JOSEF JOFFE in München beobachtet
Foto: Mathias Bothor/photoselection
JOSEF JOFFE ist Herausgeber der ZEIT
Truppen von den Deutschen mehr. Aber es werde noch so viel gebraucht, erklärte der neue Sicherheitsberater James Jones: Ausbilder, Pioniere, Hubschrauber, Aufklärer … Biden warf auch die »Energiesicherheit« ins Spiel. Davon werden wir demnächst aus Washington hören: Energie müsse nicht nur als Klima-, sondern auch als Sicherheitsfrage behandelt werden, und Europa sei viel zu abhängig von den Russen. Den herzlichsten Applaus bekam Henry Kissinger bei einer privaten Soiree, als er bekannte, warum er so gern in München sei: »Dies ist der einzige Ort, an dem man mich nicht fragt, wo mein Akzent herkommt.«
Goldküste Wer sich an der Goldküste des Zürichsees niederlässt, der will sich erholen von einem harten Arbeitsleben im Ausland, als Rennfahrer etwa, als Schauspieler, als Popstar oder Milchbaron. Die Züricher begegnen solchen Siegertypen mit Respekt und ebenso ihrem in der Fremde erworbenen Wohlstand, den sie mit einer kaum mehr als symbolischen Pauschalsteuer belegen. Das jedenfalls galt bis zum vergangenen Wochenende. Doch selbst im Bankenund Finanzzentrum der Schweiz sinnen die Verlierer auf Rache, gärt der Geist der Revolution. Eine winzige und bislang völlig unbeachtete Alternative Liste hat nun eine Mehrheit für ein Volksbegehren gewonnen, welches das Immigrantenprivileg der Pauschalbesteuerung abschafft. Schon plant der erste Milchbaron die Flucht ins Ausland. F. D.
Foto: Reto Schneider
Joe Biden bekam auf der Münchner Sicherheitskonferenz den längsten und lautesten Applaus – trotz eines imperialen Auftrittes, der Mussolini ein »Mamma mia!« entlockt hätte. Ein eigenes Rednerpult hatte der US-Vizepräsident in den Bayerischen Hof mitgebracht; das halbe München musste lahmgelegt werden, um dem 20-Wagen-Tross das Durchpreschen zu erlauben. Und doch: Im Saal war das kollektive Aufatmen mit Händen zu greifen, »wir wollen Amerika wieder lieben« war die stumme Botschaft. Selbst der russische Vizepremier Sergej Ivanow schnurrte wie ein Kätzchen im Vergleich zu Wladimir Putin, der den USA vor zwei Jahren am selben Ort praktisch den zweiten Kalten Krieg erklärt hatte. Das erinnert an den jüdischen Witz, in dem ein armer Mann sich beim Rabbi beklagt, sein EinRaum-Häuschen mit sechs Kindern, der Frau, den Schwiegereltern teilen zu müssen. Er möge den Ziegenbock dazuholen, rät der Rabbi. Nach einer Woche kommt der Mann verzweifelt zurück; er halte es nicht mehr aus. »Gut«, sagt der Rabbi, »nimm den Stinkbock wieder raus.« Wie es ihm jetzt gehe, wollte der Weise tags drauf wissen. »Wunderbar!« Der Ziegenbock (alias George W.) ist weg, aber die Fakten bleiben. Amerika ist immer noch die einzige Weltmacht und Europa bloß die stärkste Friedensmacht. Die Interessengegensätze sind ebenso wenig verschwunden wie die vielen Leute im Häuschen. Aber die Einwohner des atlantischen Hauses wollen nach acht Jahren Bush wieder zusammenrücken. »Wir sind dabei. Wir werden zuhören. Und werden konsultieren«, rief Biden den Münchnern zu. »Amerika braucht die Welt, (und) die Welt braucht Amerika.« Der Ton macht die Musik, und deshalb herrschte noch nie so viel eitel Eintracht im Bayerischen Hof. Der einzige Misston kam von dem fürchterlichen Ali Laridschani, dem iranischen Parlamentschef, der als »moderat« gilt: Nach den üblichen Hasstiraden gegen Amerika ließ er wissen, dass es doch »verschiedene Perspektiven« auf den Holocaust gebe. (Aber das sagen Bischöfe wie Williamson inzwischen auch.) Die Amerikaner sind nur im Ton, nicht in der Sache zurückgewichen. Biden hat auf die Abwehrraketen in Osteuropa nicht verzichtet, Amerika werde »die Verbündeten und die Russen konsultieren«. Den Iranern hat er zwar Gespräche angeboten, aber zugleich »Druck und Isolierung«, so sie am Terrorismus und an der Bombe festhalten. Die Russen? »Wir werden nicht in allem mit ihnen übereinstimmen.« Afghanistan? Die Obamaner fordern keine neuen
BERLINER BÜHNE
Kauft international!
Honeckers Nachfolger
Die größte Gefahr in der Krise ist wirtschaftliche Kleinstaaterei VON UWE JEAN HEUSER Bis zu fünf Billionen Euro dürften die Staaten der Welt ausgeben, um die große Depression abzuwehren. Sie retten Banken, unterstützen Firmen und Konsumenten, setzen Steuern aus und investieren in ihre Infrastruktur – alles, damit sich das Desaster der dreißiger Jahre nicht wiederholt. Doch die wohl größte Gefahr haben sie nicht im Griff: die zersetzende Kraft des wirtschaftlichen Kleinstaaterei. Nichts setzte der Wirtschaft in den dreißiger Jahren mehr zu als die Spirale des Protektionismus. Angefangen bei den USA, wollte jedes Land seine Industrien beschützen, erhöhte Zölle – und am Ende haben sie alle miteinander den eigenen Wohlstand und die schon damals als unumkehrbar eingestufte Globalisierung zerstört. Heute sind wir schlauer, jeder Regierungschef kann im Schlaf herbeten, dass die Volkswirtschaften offen bleiben müssen, damit die Weltwirtschaft eine Chance auf Erholung erhält. Aber ob all die Schlauheit etwas nutzt? Durch jede Ritze des Freihandelssystems dringt der neue wirtschaftliche Nationalismus ins System. Besonders sichtbar wird das im Kampf der Nationen um ihre Autoindustrien. Gerade erst erzürnte der französische Präsident das Ausland mit Billigkrediten für seine Hersteller – mit der Auflage, die heimischen Beschäftigten zu schonen. Das weiß der wendige Merkantilist Nicolas Sarkozy mit Kritik an Produktionsverlagerungen zu verbinden. Allein ist er mit dieser wohlkalkulierten Kleinkariertheit nicht. Russland hat schon Zölle auf Importautos erhoben, China subventioniert neuerdings Kleinwagen, wie sie das Land bevorzugt selbst baut. Die USA tun alles, um ihre Autokonzerne zu erhalten, Großbritannien,
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Schweden und Italien ebenso, und in Deutschland wird der Ruf laut, wenn alle etwas bekämen, dann unsere Hersteller bitte auch. So schnell geht das in einer Industrie, wie sie globaler nicht sein könnte. Doch die bedrohliche Bewegung geht weit darüber hinaus. Direkt oder indirekt haben viele westliche Regierungen ihren notleidenden Banken klargemacht, dass sie bevorzugt heimische Kunden bedienen sollen. Unter dem Rückzug nach Hause leiden zunächst kapitalschwache Schwellenländer, doch am Ende droht der Weltfinanzmarkt wieder zu zerfallen. Auch damit nicht genug: Die Welt hat zurecht aufgeschrien, als übereifrige Kongressabgeordnete Buy American (»Kauft Amerikanisch«) auf ihr 800-Milliarden-Dollar-Gesetz schreiben wollten. Doch andere Länder versuchen längst auf verborgeneren Pfaden Ähnliches zu erreichen. Enorm ist die Versuchung, selbst ein bisschen egoistisch zu sein und anderen die Weltrettung zu überlassen, zumal viele Regierende den Druck der Straße spüren. In Frankreich protestierten fast 2,5 Millionen Menschen gegen die aufkommende Entlassungs- und Pleitewelle, und der britische Premier Gordon Brown musste sich mit einem kleinen Flächenbrand von Streiks auseinandersetzen, weil ein Konzern beim Ausbau einer Anlage – legalerweise – südeuropäische Arbeiter zum Zuge kommen ließ. Doch legal wird schnell egal, wenn der Bürgerzorn wächst, weshalb die EU-Kommission versprach nachzudenken, ob es nicht doch zu freizügig zugeht auf dem Arbeitsmarkt. Die Regierenden sind heute viel schlauer als vor 80 Jahren. Aber sie haben – von Merkel bis
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Obama – auch ein Problem, das die Generation Roosevelt damals nicht hatte: Den Regierungen fehlt der Vertrauensvorschuss, der sie mit einer langfristigen Perspektive handeln ließe. Gerade in den USA ist der Zynismus gegenüber Washington enorm, und es ist unklar, wie lange selbst ein Obama ihm widerstehen kann. Das Sentiment wächst: Viele Bürger der Industriestaaten sind im Boom nicht wohlhabender geworden, und sie wollen jetzt nicht die Rechnung für die Party der anderen begleichen. Trotz dieses Defizits muss es aber zuallererst der Westen sein, der die Weltwirtschaft offen hält – der dem langfristigen Denken gegenüber der kurzfristigen Verlockung zum Sieg verhilft. Er hat die Grundidee der Globalisierung verfochten, er muss sie jetzt verteidigen. Viel hängt davon ab, ob Obamas Konjunkturpaket ohne Buy American-Aufkleber verabschiedet wird. Die EU solle auf ihrem nächsten Gipfel ein Signal gegen den Protektionismus geben, verlangt Tschechien, das derzeit den EU-Ratsvorsitz innehat. Dafür ist es höchste Zeit. Auch die Gemeinschaft der großen 20 Länder (G 20) sollte nicht bloß die Finanzmärkte regulieren, sondern sich zum freien Wirtschaftsverkehr bekennen. Der Sinn ist schlicht der: Die Regierungschefs müssen zu Hause erklären können, warum sie nicht mitmachen beim ökonomischen Nationalismus. Die Ungerechtigkeiten, die sich in ihren Ländern aufgebaut haben, können sie auf diese Weise ohnehin nicht tilgen, sondern höchstens vergrößern. Die bekämpft man am besten mit einem gerechteren Sozialund Steuersystem.
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Warum Saarländer dieser Tage neidvoll nach Bayern schauen – zu Unrecht Neidvoll schaue ich als Saarländer dieser Tage nach Bayern. Nicht wegen der Berge, Seen und Täler. So was haben wir zu Hause auch, nur schöner. Nicht wegen Reiberdatschi, Obatzda und Krätzaweckla. Haben wir auch, nur heißt das Dibbelabbes, Hoorische und Gefillde. Und auch nicht wegen Franck Ribéry. Franzosen haben wir auch, nur mehr. Nein, neidvoll schaut man als Saarländer dieser Tage nach Bayern, der Heimat von Hightech und Wurzelsepp, weil es dort noch etwas gibt, was man bei uns, am südwestlichen Rand der Republik, lange schon für eine Sackgasse gesellschaftlicher Evolution hält: die Erbfolge qua regio et religio. Auf einen katholischen Franken als Wirtschaftsminister darf als Wirtschaftsminister nur ein katholischer Franke folgen. Selbst im protestantisch-preußischen Berlin. Ähnliches gilt auch für evangelische Niederbayern als Bundeskanzler, muslimische Oberpfälzer als Bundespräsidenten, jüdische Niederbayern als EU-Kommissionspräsidenten und gottlose Schwaben als Türsteher. Cuius regio, eius religio. Gäbe es das doch noch im Saarland – was hätte ich alles werden können: Nachfolger von Erich Honecker als Staatschef in der DDR! Nachfolger von Oskar Lafontaine als SPD-Flüchtling! Nachfolger von Nicole mit »Noch ein bisschen mehr Frieden«! Nachfolger von Max Ophüls als Namensgeber eines Filmfestivals! Nachfolger von Peter Hartz als … Stopp! Vielleicht stimmt das ja doch mit der Sackgasse. Vielleicht steckt Bayern ja schon drin. Und vielleicht wacht Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg morgen früh auf – und wünscht sich, er wäre wie ich – Saarländer. Willkommen zu Hause! PETER DAUSEND
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Fotos: Bildarchiv Cinetext; Murat Tueremis/WDR (u.)
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Goldrausch Wer in einem englischen Arbeitshaus aufwächst, der wird sich davon nicht so schnell erholen. Aber vielleicht wird er härter arbeiten als andere, wenn es irgendwo im Ausland das Glück zu machen gilt. Das Armenhaus ließ Charlie Chaplin bald hinter sich, den Respekt vor den Verlierern des Lebens aber bewahrte er sich. Anfangs spielte er einen Gassenjungen, berühmt wurde er in den Rollen des Landstreichers und des Industriearbeiters. Über große und kleine Diktatoren, mochten sie über Fabrikhallen herrschen oder über ganze Staaten, vergoss er kübelweise Spott. Die konservative Elite der USA hasste ihn dafür und trieb ihn schließlich außer Landes. Seinen wohlverdienten Reichtum genoss Chaplin am Ende in der Schweiz, die damals für vermögende Einwanderer wie ihn ein Steuerprivileg geschaffen hatte. F. D.
Warst du auch mal Deutscher? Das Verbot des Doppelpasses oder: Wie Jugendlichen die Bürgerrechte entzogen werden Eine Unsitte macht sich breit in Deutschland: Griechen, Franzosen, Italiener, Rumänen, Bulgadie Ausbürgerung. Der Entzug der Bürgerrechte ren, Spanier, Belgier und viele andere dürfen verläuft in unserer Demokratie rechtmäßig und mittlerweile neben der deutschen ohne Weiteres schulterzuckend. Und ist gerade deswegen ein ihre alte Staatsbürgerschaft behalten. Wenn EUSkandal. Natürlich spricht niemand offiziell von Bürger sich heute in Deutschland einbürgern »Ausbürgerung«. Der bürokratische Begriff lautet lassen, wird der Doppelpass grundsätzlich akzep»Optionspflicht«. Sie wird jetzt zum massiven tiert – und niemand nimmt Anstoß daran. 2002 unterzeichnete die rot-grüne Bundesregierung Problem. Über eine Viertelmillion eingebürgerte Ju- eine entsprechende europäische Vereinbarung. gendliche werden in den nächsten 15 Jahren Einzig Bayern und Baden-Württemberg stellten gleich nach ihrem 18. Geburtstag einen Brief sich quer und wurden vom Bundesverwaltungsvon den Behörden erhalten. In diesem Jahr be- gericht zur Ordnung gerufen, nachdem ein Grietrifft es schon über 3000 Einwandererkinder, die che aus Nürnberg geklagt hatte. Vielen Nichteuropäern wird die Doppelstaatgerade volljährig geworden sind. Die Aufforderung des deutschen Staates ist klar: Die jungen lichkeit bei der Einbürgerung ebenfalls erlaubt, etwa Leute sollen sich für einen Pass entscheiden. wenn die Ausbürgerung in der alten Heimat gar Wenn sie den deutschen behalten möchten, nicht möglich ist. Aus diesem Grund dürfen zum müssen sie ihre zweite Staatsangehörigkeit, die sie Beispiel iranische, afghanische oder marokkanische von den Eltern geerbt haben, ablegen. Tun sie das Deutsche ihren iranischen, afghanischen oder manicht, wird ihnen der deutsche Pass wieder abge- rokkanischen Pass behalten. Dasselbe gilt für nommen. Wer dieses Jahr 18 geworden ist, muss Deutschlibanesen, -tunesier und -syrer. Und polisich entscheiden, bis er 23 wird. Und wenn nicht? tisch verfolgte anerkannte Flüchtlinge müssen ihre Dann waren die Betroffenen einmal Deutsche. alte Staatsbürgerschaft bei der Einbürgerung gleichDiese sogenannte Optionspflicht im Staats- falls nicht aufgeben. angehörigkeitsrecht muss abgeschafft werden. Kein Wunder, dass sich Türken, Kroaten, Sie war von Anfang an ein Geburtsfehler der rot- Bosnier und Iraker in Deutschland auf den Arm grünen Reform im Jahr 2000. Damals wurde genommen fühlen. Denn ihnen wird die geneerstmals festgelegt, dass jeder, der in Deutsch- relle Hinnahme der Mehrstaatlichkeit in der Reland geboren wird, auch deutscher Staatsbürger gel immer noch verweigert. Wenn Migranten ist. Kinder bis zehn Jahren konnaber Rechte verwehrt werden, ten erleichtert eingebürgert werfinden sie Wege, sich diese zu den – die ersten sind im vergannehmen. Viele Deutschtürken genem Jahr 18 geworden. Gleichbeispielsweise besorgten sich in zeitig gelang es der Schröder/Fider Vergangenheit heimlich wiescher-Regierung aber nicht, die der den alten Pass. Als das vor doppelte Staatsbürgerschaft zu drei Jahren bekannt wurde, avanetablieren. Roland Koch hatte cierte der »heimliche« Doppeldamals im hessischen Landtagspass zum Wahlkampfthema in wahlkampf gegen das Vorhaben MILTIADIS OULIOS ist Nordrhein-Westfalen. Damals mobilgemacht. Rot-Grün zog freier Journalist in Köln gab NRW-Innenminister Fritz den Kopf ein und formulierte ei- und beschäftigt sich mit Behrens zu, dass eine Amnestie nen Kompromiss – die Options- Migrationspolitik möglich gewesen wäre. Allein die pflicht. Seit einem Jahr greift sie politischen Kräfteverhältnisse liezum ersten Mal. Deshalb ist es ßen es nicht zu. Über 50 000 Zeit, deutlich zu sagen: Mit dieser Regelung Menschen mussten deshalb ihren deutschen Pass können Jahr für Jahr jungen Menschen die Bür- abgeben und ihn aufs Neue beantragen. Was soll gerrechte in ihrem eigenen Land entzogen der ganze Zirkus? werden. Wir leben in Zeiten, in denen Barack Obama Bürgerrechte aber sind das Fundament einer als erster Afroamerikaner zum Präsidenten der VerDemokratie. Tausenden jungen Männern und einigten Staaten gewählt wurde – obwohl er nie Frauen die Bürgerrechte in Deutschland zu ent- einen Hehl daraus gemacht hat, dass ihn vieles auch ziehen, wäre zutiefst undemokratisch. Es ist un- mit dem Heimatland seines Vaters, mit Kenia, ververständlich, dass am Anfang des 21. Jahrhun- bindet. Wenn nun Tausenden jungen Leuten in derts Menschen de facto ausgebürgert werden Deutschland der Bürgerstatus wieder aberkannt können, nur weil sie Doppelstaatler sein möch- werden soll, nur weil sie genauso wie andere Altersten. Ironisch formuliert: Um in der DDR aus- genossen eine offizielle Verbindung zu ihrer zweiten gebürgert zu werden, musste man Dissident sein. Heimat und dem Herkunftsland ihrer Eltern doIn der Bundesrepublik reicht es heute, wenn die kumentieren möchten, ist das absurd. eigenen Wurzeln im »falschen« Land liegen. Der Doppelpass ist längst Ausdruck eines Denn es ist natürlich ein Märchen, dass der Weltbürgertums von unten. Nicht eines, das sich Doppelpass in Deutschland nicht möglich sei. Fuß- nur die Oberschicht leisten kann, so wie der Moballnationalspieler Miroslav Klose etwa besitzt zwei dedesigner Wolfgang Joop, der gern erzählt, dass Pässe, den deutschen und den polnischen. Sein Ex- New York für ihn genauso Heimat sei wie kollege im Sturm Kevin Kurányi ist sogar Bürger Deutschland. Ein solches offensives Bekenntnis dreier Staaten – Deutschland, Panama und Brasi- zur »Wahlheimat Deutschland« wird dem armen lien. Kinder mit einem deutschen und einem aus- Schlucker selten zugestanden. »You are the citizens of the world!«, rief Obama ländischen Elternteil dürfen in Deutschland mehrere Staatsbürgerschaften besitzen. Dasselbe gilt für dem Publikum bei seiner Berliner Rede zu. Auf Spätaussiedler und für Kinder, deren Eltern eben- niemanden trifft das besser zu als auf Migranten. Vielleicht sogar ganz besonders auf die sogenannfalls zwei Pässe ihr Eigen nennen. Zwar schließt das deutsche Gesetz im Grund- te zweite und dritte Generation. Auf uns, die wir satz die Mehrstaatlichkeit weiterhin aus – aber gern beides sein wollen und vor allem auch beigleichzeitig gibt es eine Menge Ausnahmen. des sein können: Deutsche und Griechen. Deut-
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sche und Türken. Deutsche und Russen. Dass deswegen heute nicht mehr der Untergang des Abendlandes ausgerufen wird, ist all den engagierten Einwanderern zu danken, die seit Jahrzehnten die Diskussion vorantreiben. Nur beim Gesetzgeber scheint dieser Mentalitätswandel, der auch bei vielen Urdeutschen längst vollzogen ist, noch nicht angekommen zu sein. Im November hat die Bundesregierung ein Gesetz verabschiedet, das eine erschlichene Einbürgerung unter falschen Angaben unter Strafe stellt. Anträge von Grünen und Linkspartei hingegen, die Mehrstaatlichkeit endlich generell zuzulassen, wurden im Bundestag abgelehnt. Zwar findet dieser Gedanke auch bei vielen SPD-Politikern Unterstützung, die Sozialdemokraten
wollen aber keinen Konflikt mit dem Koalitionspartner CDU/CSU riskieren. Zwei Einbürgerungsverständnisse stehen sich hier gegenüber. Das eine ist autoritär. Es pocht darauf, dass es sich bei der Einbürgerung um die Annahme einer Staats-Angehörigkeit handelt – so steht es auch im Gesetz. Man gehört sozusagen einem Staat (an), und dieser entscheidet, wen er aufnimmt und wen nicht. Zur generellen Gleichbehandlung ist er nicht verpflichtet. Dem steht die Betonung der Staats-Bürgerschaft entgegen. Aus der Perspektive der Migranten geht es um Emanzipation. Um Bürgerrechte. Um einen Zugang zur Demokratie, der einer globalisierten Welt angemessen ist. Ein Abstreifen der mononationalen Enge. Doppelpass für alle? Yes, we can!
WIDERSPRUCH
Israels Taktik Nur wer Hamas ernst nimmt, kann die Gewalt stoppen VON DIRK SIEBELS Unter der Überschrift Die Zeit der Krieger (ZEIT Nr. 7/09) beschreibt Josef Joffe die möglichen Auswirkungen des Gaza-Krieges auf die israelischen Parlamentswahlen – und lobt die »brillante Taktik« der Israelis, die nur zehn gefallene Soldaten zu beklagen hatten. Von Toten und Verletzten auf palästinensischer Seite, neben vielen HamasKämpfern auch unschuldige Frauen und Kinder, ist nicht die Rede. Ganz zu schweigen von zerstörter Infrastruktur, zerbombten Häusern, verbrannten Feldern und Olivenbäumen. Sicher, Hamas ist keine Hilfsorganisation, sondern verfolgt eine harte Ideologie. Ist das Terrorismus? Aus westlicher und israelischer Perspektive in jedem Fall, aus arabischer Sicht dagegen vielleicht die einzig wirksame Form, eigene Ansprüche zu verfolgen. Schließlich haben nicht nur israelische Kinder das Recht, sicher und in Frieden aufzuwachsen. Aber wie sollen Kinder in Gaza Recht, Gesetz und Demokratie kennenlernen, wenn Israel sich zwar zurückzieht, aber die Grenzen abriegelt und den Aufbau von Wirtschaft und Arbeitsplätzen unmöglich macht? Theoretisch wurde die Besetzung des Gaza-Streifens vor Jahren beendet, praktisch hat sie sich nur an die Grenzen verlagert. Und als die Palästinenser tatsächlich demokratisch wählen durften, war das Ergebnis dem Westen nicht genehm. Wahlsieger Hamas wurde ignoriert, die Regierung weiter vom Wahlverlierer gebildet. Vor diesem Hintergrund schreibt Joffe von »suggestiven Bildern und aufhetzenden Kommentaren«, mit denen der TV-Sender alDschasira die »arabische Straße« zu beeinflussen suche. Ist das so? Oder sind die Macher von al-Dschasira einfach gute Verkäufer, die die Stimmung einfangen und möglichst viele Zuschauer erreichen wollen? Es kommt wohl auf die Perspektive des Betrachters an. Eines aber ist sicher: Selbst wenn wir Hamas als Terroristen wahrnehmen, ist die Organisation real, genau wie ihre Anhänger. Wer also die Gewaltspirale im Nahen Osten stoppen will, sollte diese Realität ernst nehmen. Dirk Siebels ist ZEIT-Leser in Glücksburg Jede Woche erscheint an dieser Stelle ein »Widerspruch« gegen einen Artikel aus dem politischen Ressort der ZEIT, verfasst von einem Redakteur, einem Politiker – oder einem ZEIT-Leser. Wer widersprechen will, schickt seine Replik (maximal 2000 Zeichen) an widerspruch@zeit.de Die Redaktion behält sich Auswahl und Kürzungen vor
Sie hat auf alles eine Frage: „Marktwirtschaft am Ende – Comeback der Kombinate?“
Maybrit Illner Donnerstag 22.15 Uhr
S.11
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S. 12
DIE ZEIT
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IN DER ZEIT
NR.
POLITIK 2
23
Der neue Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg VON MATTHIAS KRUPA UND
Regierung
Foto: Nicole Sturz für DIE ZEIT
Das Land in der Krise, die Regierung im Wahlkampf VON PETER Was kann Mohammed Chatami bewirken? Iran
Hamid Karsai hat abgewirtschaftet
5
Köpfe der ZEIT:
6
studierte Kommunikationswissenschaft, Politik und Ökologie in München und Journalistik in London. Er war Redakteur der Zeitschrift »Tempo«, bevor er 1996 zu uns ins Magazin kam. In seinen Reportagen beschreibt er, wie politische und gesellschaftliche Veränderungen in das Leben von Menschen eingreifen. Für diese Ausgabe traf er Männer, deren Freundinnen oder Ehefrauen abgetrieben haben. Besonders hart traf es ein Paar mit drei Kindern, dessen Ehe fast an der Entscheidung zerbrach. Magazin, S. 10
7 8
Ein Streit um Sterbehilfe provoziert eine Verfassungskrise VON BIRGIT SCHÖNAU Italien
Deutsche Katholiken nach der Papst-Krise VON PATRIK SCHWARZ Kirche
ausfällt?
29
Länderspiegel
DIE LESEEMPFEHLUNG: »Kobold und Elfenkind« – Forscher staunen über Kinder mit Williams-Beuren-Syndrom: Sie sind geistig behindert, haben aber erstaunliche Talente WISSEN SEITE 33
Der Fall Morsal,
VON RAINER FRENKEL
Warum München Häftlinge aus Guantánamo aufnehmen will VON GEORG ETSCHEIT
Foto: Stefan Thomas Kröger für DIE ZEIT
VON UWE JEAN HEUSER
56 Kaleidoskop Neue Suhrkamp-
Die Forschung mit waffenfähigem Uran wird erlaubt Stammzellen
Die Wissenschaft
forscht weiter
VON ULRICH BAHNSEN
Heimat Berlin
Reisen
33 Medizin Wie Kinder mit dem
Williams-Beuren-Syndrom leben
57 Kenia Das Land wartet auf die
VON WIEBKE SCHÖNBOHM-WILKE
Rückkehr der Touristen
34 Religionsanthropologie Was
VON JOHANNES STREMPEL
59
Sauberes Trinkwasser durch moderne Filteranlagen a
Technik
Kempinski aus dem Grand Hotel zurückzieht 62 Bildband Alberto Korda
DOSSIER
41 Kunst 100 Jahre »Futuristisches
Palästinenser verblutet, weil kein Arzt helfen darf. Chronik eines unbegreiflichen Todes
SPEZIAL PRIVATSCHULEN & INTERNATE
65
VON HANNO RAUTERBERG
und Japanisch auf der Salzmannschule in Thüringen
»The International« VON DIEDRICH DIEDERICHSEN
VON STEFFEN DOBBERT
43
für Gazale Salame auf die Straße
VON KATHLEEN FIETZ
Hermine Huntgeburth verfilmt »Effi Briest« VON ULIRCH GREINER
67 Ausland Gespräch mit einer Inter-
Starke Frauenfiguren bestimmen das Festival
68 Entscheidung Auf der Suche nach
a
natsberaterin
Berlinale
dem passenden Internat
VON KATJA NICODEMUS
VON WOLFGANG UCHATIUS
69 Grundschule Die Bugenhagen-
44 Diskothek Pop
Abb.: Frick Art & Historical Center, Pittsburgh
WIRTSCHAFT AIG ist die größte Bedrohung für das Finanzsystem VON HEIKE BUCHTER
Die Fixierung aufs Atom führt in die Irre Kernkraft
Die Deutschen von London
21 BASF Wie viele Jobs kostet die
Krise, Herr Hambrecht? Ein Interview mit dem Konzernchef
MARGRIT SCHULTE-BEERBÜHL
Englands Kaufleute regierten den Welthandel. So will es das Klischee. Tatsächlich aber waren viele dieser »englischen Kaufleute« gar keine Engländer – sondern eingewanderte Deutsche aus Hamburg, Danzig, Bremen ZEITLÄUFTE SEITE 88
22 Öffentlicher Dienst Warum Lehrer
streiken und Polizisten auf die Straße gehen VON ULRIKE MEYER-TIMPE Der Exportweltmeister braucht ein neues Erfolgsmodell Ökonom
ZEITLÄUFTE 88 Die Deutschen von London
Medien Relaunch der Wochenzeitung »Freitag« VON EVELYN FINGER
20 USA Wie will Obama die Banken
RUBRIKEN 2
46 Religion Der Fundamentalismus VON THOMAS ASSHEUER
36
Peter Zadek inszeniert Shaws »Major Barbara« in Zürich a
www.zeit.de/zukunft-der-stadt
Worte der Woche
Die Bundesliga-Profis Thomas Hitzlsperger, Philipp Lahm und Andreas Beck erklären ihre Welt. Jede Woche neu www.zeit.de/sport/alles-ausserfussball
29 Macher und Märkte
von Papst Benedikt 47
Wie das digitale Zeitalter die Metropolen der Erde verändern wird. Eine Videoserie
ALLES AUSSER FUSSBALL
Goosen sprechen über Rockmusik in Ost und West
Das Regierungspaket greift viel zu spät VON MARC BROST
STÄDTE DER ZUKUNFT
VON ALEXANDRA WERDES
45 Pop Jan Josef Liefers und Frank
Konjunktur
retten?
schulen in Hamburg
Morrissey: Years Of Refusal
Klassik W. A. Mozart: Symphonies 25, 26 & 29
19 USA Der Versicherungskonzern
a Internat Lehrer und Familienvater in einem Landerziehungsheim VON JEANNETTE OTTO
66 Sprachengymnasium Arabisch
42 Kino Tom Tykwers Thriller
schaften im Trendsport Snowkiten 18 Abschiebung Hildesheimer gehen
CHANCEN
Literatur Hat Daniel Kehlmann seine eigene Sperrfrist gebrochen?
18 Wochenschau Deutsche Meister-
Die Zigarette danach: Paul Auster über das Verhältnis von Tabak und Leidenschaft
VON BJØRN ERIK SASS
FEUILLETON
VON CAROLIN EMCKE
Der demokratische Blick: William Eggelston fotografiert Tiefkühlfächer, Telefone, Alltagsszenen. In Deutschland sind jetzt seine Bilder zu sehen
im Yukon Territory
40 Anne Barett »Mein Tiger Mitty«
Manifest«
Übersetzungshilfe: Wer im Büro sagt »Wir sind ein super Team«, meint eigentlich »Schön, dass du dir von mir alles gefallen lässt.« Ein Wörterbuch für den Büroalltag
63 Kanada Arktischer Zehnkampf
VON ULRICH BARON
Israels Taktik im Gaza-Krieg war nicht brillant, sondern brutal VON DIRK SIEBELS
13 Krieg in Gaza Ein 18-jähriger
Finnland
60 Heiligendamm Warum sich
39 KinderZEIT Das Kind Charles
Darwin
Schwitzen in der Sauna-Gondel a
VON WOLFGANG GEHRMANN
VON DIRK ASENDORPF
VON MILTIADIS OULIOS
VON ANDREAS MAIER
Taschenbuch; Büchertisch; Gedicht
Weinens auf die Seele
Widerspruch
Nächste Woche wird der junge FDP-Politiker Wirtschaftsminister in Niedersachsen. Der gebürtige Vietnamese mit eindrucksvoller Karriere hat sich vorgenommen, eine warmherzige Seite an seiner Partei zu enthüllen WIRTSCHAFT S. 30
Mirjam Pressler »Nathan und seine Kinder« VON SIGGI SEUSS
LUCHS
36 Psyche Von der Wirkung des
11 Einwanderung Bist du Deutscher
VON ELISABETH NIEJAHR
a Biodiversität Für die Bestimmung neuer Arten fehlt das Geld
Umwelt
Berliner Bühne
Was bewegt ... Philipp Rösler?
VON HILDE ELISABETH MENZEL
VON JOSEPHINA MAYER
Wirtschaftskrise Gefährliche Flucht in den Protektionismus
oder Türke?
Maggie Schneider/Jacky Gleich (Ill.) »Opa Meume und ich«
WISSEN
35
12. Februar 2009
Usatschow/Alexandra Junge (Ill.) »Geschichte ohne Ende und Anfang« VON REINHARD OSTEROTH
macht den Erfolg einer Religion aus? Ein Gespräch
VON JOSEF JOFFE
08
53 Kinder- und Jugendbuch Andrej
30 Was bewegt … Philipp Rösler?
31
VON ULRICH BARON
Carlos Ruiz Zafón »Das Spiel des Engels«
Roman
Neue Hoffnung für das insolvente Unternehmen
10 Meinung Zeitgeist
Mindestlohngesetze
Märklin
Eine Abrechnung mit Frankreichs Außenminister a
alle lieben dich«
Mitten in der Krise werden die Vorschriften absurd VON KOLJA RUDZIO a
VON ADAM SOBOCZYNSKI
52 Roman Stewart O’Nan »Alle,
VON MARK SCHIERITZ UND ARNE STORN
VON DAGMAR ROSENFELD
ein Ehrenmord?
ne Preise«
am Beispiel Deutsche Bank
Bücher machen Politik
9
51 Nachlass Thomas Bernhard »Mei-
28 Banken Die große Unsicherheit
Was tun, wenn Althaus
Thüringen
Buch im Gespräch Deborah Nelson »The War Behind Me«
VON JOHANNES VOSWINKEL
Israel Der Wahlausgang und der Friedensprozess VON GISELA DACHS a
Kaiser »Spätlese«/»Väter und Brüder« VON RÜDIGER CAMPE
rächen sich im Abschwung
UND MICHAEL THUMANN
JÖRG BURGER, 44 JAHRE,
50 Literaturwissenschaft Gerhard
27 Russland Die Fehler des Kreml
VON ULRICH LADURNER
Afghanistan
Salman Rushdie
wildem Kaffee der Natur und den Bauern hilft VON CHRISTIANE GREFE
DAUSEND UND BRIGITTE FEHRLE
4
49 Zwanzig Jahre Fatwa gegen
24 Äthiopien Wie das Geschäft mit
PETRA PINZLER
3
a Autozulieferer Die Lieferkette ist bedroht VON DIETMAR H. LAMPARTER
Foto: Dan Cermak
12
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Foto: Track’n’Field
Nr. #
Theater
a Stimmt’s? Erforscht und erfunden
44 Die Platte, die mein Leben
veränderte
LITERATUR
47
49 Geschichtsschreibung Christian
Meier »Kultur um der Freiheit willen« VON STEFAN REBENICH
a Wörterbericht/ Was mache ich hier? Das Letzte/Impressum
48 LESERBRIEFE
Die so a gekennzeichneten Artikel finden Sie als Audiodatei im »Premiumbereich« von ZEIT.de unter www.zeit.de/audio ANZEIGEN IN DIESER AUSGABE Link-Tipps (Seite 16), Spielpläne (Seite 36) Museen und Galerien (Seite 53), Bildungsangebote und Stellenmarkt (Seite 66)
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Nr. 8
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DOSSIER
12. Februar 2009 DIE ZEIT Nr. 8
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us einem Krieg eine Geschichte vom Sterben zu erzählen ist nichts Besonderes. Im Krieg wird gestorben. Menschen werden getötet, gezielt oder aus Versehen. Lange Erklärungen gibt es. Und kurze. Bomben werden eingesetzt, Raketen, Sprengfallen, Handgranaten. Körper werden durchlöchert und zerrissen, verbrannt und verstümmelt. Im Schlaf wird gestorben, im Kampf, mit geladenen Waffen, mit leeren Händen. Warum vom Tod eines einzelnen Menschen berichten, wenn auch zahllose andere gestorben sind, auf beiden Seiten? Über Schuld und Unschuld sagt diese Geschichte aus dem jüngsten Gaza-Krieg nichts aus. Trotzdem muss vom Tod eines einzelnen Menschen erzählt werden, weil nur dann verständlich wird, wie unverständlich es ist, das Sterben, so unverständlich wie ungeheuerlich. Freitag, 16. Januar 2009: Im Gaza-Streifen schießen israelische Soldaten auf einen Palästinenser und seine beiden Söhne. Der eine ist sofort tot. Der Palästinenser MoDer andere verblutet langsam in den Armen des Vaters. Kein Arzt darf helfen – Chronik eines unbegreiflichen Todes VON CAROLIN EMCKE hammed Shurab sucht noch immer nach Gründen für den Tod seiner Söhne. Sucht nach einem Fehler. Nach etwas, das ihm einen Hinweis hätte geben können. Aber da war nichts. Warum nur mussten seine Söhne sterben? Und warum in einer Feuerpause? Der 63-Jährige sitzt auf der Dachterrasse seines Hauses in der Stadt Khan Younis bei einem Glas Orangensaft und erzählt von jenem 16. Januar 2009, an dem er seine beiden Söhne verlor, obwohl die Rettung so nah war. Er erzählt sie langsam, die ganze Geschichte, als könne er sie so besser begreifen. Er sagt: »Ich hatte nie Probleme mit Israelis. Nie.« Wieder und wieder sagt er diesen Satz. Er hält ihn vor sich wie einen Schutzschild, als hätte die versöhnliche Geschichte der Begegnungen, die er mit den Menschen der anderen Seite gemacht hat, all das abwehren müssen, was ihm während des Krieges im Gaza-Streifen widerfahren ist. Nur vierhundert Meter von der israelischen Grenze entfernt liegt sein Zweithaus auf dem Land nahe dem Dorf al Foukhary, ein von Grapefruitbäumen umstandenes Idyll. Hierhin zieht sich Mohammed Shurab von Sonntag bis Donnerstag zurück, bevor er zurückfährt in die Stadt, jeden Freitag, immer über den lehmigen Sandweg, der in die asphaltierte Hauptstraße mündet, vorbei am kleinen Supermarkt, bis er ein paar Kilometer weiter in Khan Younis ankommt, der ruhigen Stadt im Süden von Gaza, wo er das Wochenende bei seiner Familie verbringt. Das Haus dort teilen sich Mohammed und sein Bruder Ibrahim mit ihren Kindern und der gebrechlichen Großmutter, die im Erdgeschoss auf einem Sofa ruht. »Ich hatte nie Probleme dort«, sagt Mohammed, »nicht während der Besetzung von Gaza und nicht danach.« Er lächelt, wenn er von den früheren Besuchen der israelischen Soldaten erzählt. Wie sie mehrmals sein Haus durchsuchten, das wie ein Grenzstein an dieser Konfliktlinie zwischen Palästinensern und Israelis stand, die ihn aber immer unbehelligt ließen. Mohammed verstand das als Bestätigung seiner Unbefangenheit, als ein Gü22 EINSCHUSSLÖCHER tesiegel vielleicht. Auch darum sucht er jetzt nach zählten Zeugen in Gründen: Weil er noch immer glaubt, dass es der der Windschutzscheibe
Foto: Sebastian Bolesch für DIE ZEIT
Warum starben Ibrahim und Kassab?
des Wagens, in dem die Shurabs saßen
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DIE ZEIT
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Fortsetzung auf Seite 14
Nr. 8
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12. Februar 2009 DIE ZEIT Nr. 8
Fortsetzung von Seite 13 Gründe bedarf, um jemanden zu töten. Weil er nicht glauben will, was so viele andere glauben: dass die andere Seite ein Feind sein müsse. Weil er den Hass, der den Krieg im Nahen Osten schürt, nicht teilt. Und weil er den Hass aus seiner Geschichte des 16. Januar heraushalten will. Wieder und wieder geht Mohammed Shurab den Ablauf dieses Tages durch, malt Wege und Straßen auf ein Blatt Papier, druckt Satellitenfotos von Google Earth aus, schützt seine Unterlagen mit Klarsichtfolien. Alles muss ordentlich sein. Wie sonst sollte er der Unordnung begegnen, die sein Leben zerstörte, an jenem Freitag, dem 16. Januar? Am Mittag, gegen 12 Uhr, waren er und seine Söhne, der 28 Jahre alte Kassab und der 18 Jahre alte Ibrahim, in den roten Landrover gestiegen und losgefahren, vom Land in Richtung Stadt, wie immer, sagt Mohammed. Mühsam bewegt er seinen verletzten linken Arm über den Tisch und zeigt auf der Landkarte den Punkt, an dem die Geschichte begann. Von 10 bis 14 Uhr sollte die tägliche Feuerpause dauern, festgelegt von der israelischen Armee, damit Zivilisten sich bewegen konnten, zum Beispiel etwas einkaufen. Dass Einheiten der israelischen Armee in der Nähe waren, wusste Mohammed Shurab. Er hatte Panzer vorbeifahren sehen. Von der Terrasse seines Landhauses hatte er einen Überblick. »Ich konnte die Bombardierungen sehen«, sagt er und malt einen Halbkreis auf seinem Lageplan, »in Rafah …«, er malt einen Punkt im Süden, für die Grenzstadt, »… in Gaza«, er malt einen weiteren Punkt für Gaza-Stadt ans andere Ende. »Ich konnte alles sehen.« Mohammed Shurab beschreibt den Krieg wie jemand, der sich in Sicherheit wähnte, auf einem entlegenen Außenposten, den die Gewalt nicht treffen konnte. All die Jahre hatten die Israelis um sein Haus gewusst, und nie hatten sie etwas zu beanstanden. Warum sollte er irgendetwas anders machen
Der 39 Jahre alte Amer Amira al Amour bestätigt die Uhrzeit. »Ich konnte Mohammeds roten Jeep sehen, wie er langsam den Weg entlangfuhr.« Als Amer das sagt, steht er auf dem Dach seines Hauses, das zwischen Mohammed Shurabs Landsitz und der Hauptstraße liegt, hier war er auch am 16. Januar. Amer trägt ein Sweatshirt mit dem Schriftzug Israel Airport Authority, es ist ein wenig ausgewaschen. Schon lange ist es her, dass jemand wie Amer, ein Beduine aus Gaza, in Israel arbeiten durfte. Er sagt: »Mohammeds roter Jeep fuhr so langsam, dass selbst ein Esel ihn hätte überholen können.«
Die ersten Schüsse fielen um kurz nach zwölf. Sie trafen den Vater Mohammed Shurab nahm die gewohnte Strecke, am Ende der Kakteenallee bog er auf die Hauptstraße. »Es war ein klarer Tag«, erzählt er, »es war sonnig.« Das ist ihm wichtig. Er wäre nicht gefahren, wenn es neblig gewesen wäre. »Im Dorf al Foukhary wurde nicht gekämpft. Alles war ruhig.« Mohammed Shurab fuhr langsam, der Kreisel am Salim Platz war nur noch wenige Hundert Meter entfernt. Links vor ihm, neben der Straße, die nach Westen führt, sah er zwei israelische Panzer. »Ich habe gestoppt«, sagt er, »und ich habe gewinkt.« Er winkt jetzt noch einmal, ganz so, als müsse er für jedes Detail einen Beweis vorlegen. Wie oft hat er diese Szene in seiner Fantasie noch einmal durchgespielt? Wenn diese Straßenkreuzung das Leben seiner Söhne zerstörte, hätte er dann nicht etwas bemerken müssen? »Es war alles in Ordnung«, sagt er, die Soldaten auf dem Panzer konnten ihn sehen, ihn und seine beiden unbewaffneten Söhne. Sie hätten ihn warnen können, ihn aufhalten können, ihn zwingen, die andere Abzweigung zu nehmen, den Weg nach Norden. Aber die Soldaten auf dem Panzer regten sich nicht. So fuhr Mohammed Shurab weiter, langsam, geradeaus, ließ die
sich und steigt die Treppe hinunter ins Erdgeschoss, die Ablenkung scheint ihm gutzutun. Er möchte etwas zeigen, geht ins Wohnzimmer und holt hinter einer Tür die Zeichnungen von Kassab hervor: Pläne des jungen Architekten, Entwürfe von Häusern und Landschaften, Utopien eines neuen Gaza-Streifens, eines Landes ohne Krieg. Mohammed Shurab zeigt ein Foto seines Sohnes Ibrahim, der sich erst wenige Monate zuvor an der Universität eingeschrieben hatte, er wollte Wirtschaft studieren wie sein Vater. »Als wir auf dem Boden lagen«, sagt er, »haben sie weiter geschossen. Tiefer.« Im Auto konnten sie nicht bleiben. Sie mussten aussteigen. Langsam. Mussten deutlich machen, dass keine Gefahr von ihnen ausging. »Kassab stieg als Erster aus«, sagt der Vater, »er öffnete die Autotür und stand aufrecht, ganz ohne Angst. Er wurde sofort erschossen.« Mit seiner Hand markiert Mohammed Shurab eine schräge Linie vor seinem eigenen Oberkörper, um die sieben Kugeln zu beschreiben, die seinem Sohn quer in der Brust einschlugen. »Kassab ging noch ein paar Schritte. Dann wurde er wieder getroffen und fiel zu Boden.« Der Vater schweigt einen Moment, dann fügt er hinzu: »Er hat sich nicht mehr gerührt.« Wo war der Fehler, der erklären könnte, weshalb sein Sohn getötet wurde? Jede Frage, die Mohammed Shurab seither an sich richtet, zieht eine weitere nach sich, weil er keine Antwort findet. Warum wurde während der Feuerpause geschossen? Warum am helllichten Tag? Warum auf einer übersichtlichen Straße in einem winzigen Dorf? Wieso hatte niemand gesehen, dass der Junge unbewaffnet war? Dass er aufrecht stand, aufrecht, wie das nur der Sohn eines Palästinensers konnte, der israelischen Soldaten vertraute? »Dann ist auch Ibrahim ausgestiegen«, sagt Mohammed Shurab, auch sein anderer Sohn verließ das Auto, »die rechte hintere Tür ließ er offen. Sie haben
Schüsse auf das Auto von Mohammed Shurab, vielleicht gibt es Gründe für den Tod von Kassab Shurab, vielleicht kennt sie Captain Rutland, aber er schweigt. Daraus lässt sich nichts folgern. Keine Absicht. Keine Motive. Keine Schuld. Für die Perspektive der israelischen Soldaten im Dorf al Foukhary gibt es einen einzigen Zeugen, einen Palästinenser, der zweisprachig ist. Er wohnt nicht in dem Gebäude, aus dem heraus geschossen wurde, sondern nebenan. Etwas linkisch sitzt er auf seinem Stuhl. Er fühlt sich unwohl bei der Erinnerung an den 16. Januar. Es ist seine eigene Rolle, die ihm nicht behagt. Er hat sie sich nicht ausgesucht. Etwas zu wissen, was gegen die israelische Armee verwendet werden könnte, macht ihm Angst. Etwas preiszugeben, was die Israelis wiederum gegen ihn verwenden könnten, macht ihm noch mehr Angst. Am Donnerstag, dem 15. Januar, so beginnt die Geschichte des Nachbarn, seien israelische Soldaten bei ihm zu Hause aufgetaucht. Sie hätten durch die Tür seines Hauses geschossen und ihn am Arm verwundet. Tatsächlich klafft im rechten Ärmel seiner Jacke ein Loch. Er sei als Geisel genommen worden, zwei Tage lang mussten er und neun andere Menschen in einem Zimmer im Erdgeschoss ausharren. Die Tür sei offen geblieben, erzählt der Nachbar, auf einem Stuhl habe ein israelischer Soldat gesessen, mit einem Gewehr auf dem Schoß, um die Geiseln zu bewachen. Seine Wunde am Arm hätten die israelischen Soldaten verarztet. Der Nachbar sagt, sein Hebräisch sei gut genug gewesen, um mit den Soldaten ins Gespräch zu kommen. Gut genug, um zu verabreden, wer auf die Toilette gehen durfte oder in die Küche. Zu essen habe es nichts gegeben, jedoch zu trinken. Sein Hebräisch, sagt der Nachbar, habe auch gereicht, um den Funkverkehr der Soldaten zu verstehen. Der Funker habe draußen direkt vor dem offenen Fenster gestanden. Zwar habe er ihn nicht sehen können, aber er habe die Stimmen verschiedener Soldaten, die über Funk mit dem Kommandeur sprachen, deutlich gehört. In dem Gespräch, das am Freitagmittag stattfand, habe eine Stimme gesagt: »Da kommt ein Wagen. Was sollen wir tun?« Eine andere Stimme habe geantwortet: »Schießen!« Ob er sich sicher sei? Ja. Keine Warnung? Keine Warnung. Danach, sagt der Nachbar, habe sich die erste Stimme wieder gemeldet: »Schon erledigt.« Dass die Worte »schon erledigt« Mohammed Shurab galten, habe er nicht geahnt. Captain Rutland kann sich zu den Ereignissen vom 16. Januar nicht äußern. Was immer es an entlastenden Erklärungen geben könnte, an Gründen für die Schüsse auf Mohammed Shurab und seine Söhne, er kann nicht darüber sprechen, bis die internen Ermittlungen der Armee abgeschlossen sind. Vielleicht hatten die Soldaten auf Befehl gehandelt, wie es der ängstliche Nachbar erzählt. Vielleicht auch nicht. Vielleicht waren es junge Soldaten, die das Auto auf sich zufahren sahen. Vielleicht waren sie unerfahren und schossen deshalb. Vielleicht waren es ältere Soldaten. Vielleicht waren sie erfahren und schossen deshalb. Vielleicht war es ein Fehler, begangen aus Müdigkeit oder Angst. Vielleicht hatte die palästinensische Organisation Hamas an diesem Tag an einem anderen Ort den Waffenstillstand gebrochen. Vielleicht waren die Soldaten angegriffen worden. Vielleicht hatten sie Freunde verloren. Damit wäre vielleicht der erste Beschuss zu erklären, die Kugel, die Mohammeds linken Arm traf. Vielleicht war es ein weiterer Irrtum, Kassab zu erschießen, den Sohn, der aufrecht aus dem Auto gestiegen war. Und vielleicht lässt sich so erklären, warum der zweite Sohn, Ibrahim, am Bein getroffen wurde.
Um 13.30 Uhr rief der Onkel einen Rettungswagen – und wurde vertröstet
Fotos (auch S. 15): Sebastian Bolesch für DIE ZEIT
14
SCHWARZ
S. 14
DIE ZEIT
DER VATER Mohammed Shurab zeigt Fotos seiner toten Söhne Kassab (l.) und Ibrahim (r.). Die Soldaten hatten durch ein Mauerloch auf sie geschossen und einen Gruß auf Hebräisch hinterlassen: »Kahane hatte recht«, in Erinnerung an den Rabbi Meir Kahane, der von einem Groß-Israel träumte
als an all den anderen Freitagen? Warum den Israelis nicht trauen? Sie hatten diese Waffenruhe versprochen, und Mohammed Shurab war ohne Furcht. Den Zeitpunkt, an dem er aufbrach, wählte er mit Bedacht. 12 Uhr, das sollte die besonders sichere Mitte der Waffenruhe sein. Normalerweise, erzählt Mohammed, fuhr er diese Strecke allein. Es war ein Zufall, dass ihn an diesem Tag seine beiden Söhne begleiteten. Der Fernseher in seinem Haus auf dem Land war ausgefallen. »Kassab wollte ihn reparieren.« Kassab, der ältere Bruder, hatte einen Abschluss in Architektur an der Universität in Gaza. Ibrahim, der jüngere, begleitete ihn. Am Mittwoch, dem 14. Januar, hatten die beiden den Vater besucht, die Satellitenschüssel gerichtet und danach zusammen ferngesehen. Als sie am Freitag ins Auto stiegen, um in die Stadt zurückzukehren, saß der Vater auf dem Fahrersitz, neben ihm Kassab, Ibrahim dahinter. Es gibt einen Zeugen für den Zeitpunkt, an dem der Vater mit seinen Söhnen das Haus verließ:
Nr. 8
DIE ZEIT
Panzer hinter sich. Er schaffte noch zweihundertfünfzig Meter, ungefähr. Dann brach es los. »Auf einmal wurden wir beschossen, aus diesem Haus in vierzig Meter Entfernung«, sagt er, »sie haben uns nicht gewarnt.« Eine der ersten Kugeln traf Mohammed Shurab im linken Oberarm. »Ich habe zu den Jungen geschrien: Runter!« Das Gewehrfeuer wollte nicht aufhören. Mohammed Shurab konnte den Wagen nicht mehr kontrollieren. Er prallte gegen eine Mauer am Straßenrand. Der Landrover ist ein stummer Zeuge. Der Wagen steht in der Werkstatt von Bilal el Khady in der Stadt Khan Younis. Der Mechaniker zeigt die Munitionssplitter, die er aus dem durchlöcherten Auto mit dem Nummernschild 3-3776-93 geklaubt hat: aus dem Motor, dem Dach, den Türen, der Rückbank. Zweiundzwanzig Einschusslöcher allein in der Windschutzscheibe, die meisten auf der Fahrerseite, in Kopfhöhe. Mohammed Shurab liebte seine Söhne. Wenn er von ihnen erzählt, funkeln seine Augen. Er erhebt
S.14
SCHWARZ
auf ihn geschossen.« Ibrahim stürzte zu Boden und versuchte noch, Mohammed zu beruhigen. Ibrahim habe gesagt: »Keine Sorge, Vater, es ist nicht so schlimm. Sie haben mich am Bein getroffen, unterhalb des Knies.« So erinnert sich der Vater. Er sitzt über den Tisch gebeugt, sagt bloß noch diesen Satz: »Das warme Blut lief über meinen Arm die Finger herunter. Mein einer Sohn war tot und mein anderer verwundet.« Captain Benjamin Rutland, ein Sprecher der israelischen Armee, kann sich zu der Geschichte von Mohammed Shurab nicht äußern. »Wir unterziehen gerade das allgemeine Auftreten der Israel Defense Forces während der Gaza-Offensive und einige Einzelfälle einer extensiven Überprüfung«, erklärt Rutland. Die Frage, warum auf Mohammed Shurab geschossen wurde, darf Rutland nicht beantworten, solange die Ermittlungen laufen. Auch die Frage, warum die Waffenpause an jenem Freitag, dem 16. Januar, im Dorf al Foukhary nicht eingehalten wurde, lässt er offen. Vielleicht gibt es Erklärungen für die
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Aber die Geschichte hat noch einen zweiten Teil. Noch lag der Vater an jenem Freitagmittag mit seinem verwundeten Sohn Ibrahim auf der Straße, etwa vierzig Meter vom Gebäude mit den Soldaten entfernt. »Das waren ja Menschen, die Israelis«, sagt Mohammed Shurab, er spricht immer von »Israelis«. Kein einziges Mal bei all den Begegnungen, in den Gesprächen, die sich über Stunden ziehen, nie verwendet er das Wort »Juden«. Die Israelis, sagt er, die waren ja nah, er konnte sie sehen. »Ibrahim hat gefleht, er brauche Hilfe«, erzählt Mohammed Shurab, »aber die Soldaten haben ihn angeschrien: Hör auf zu weinen, sonst erschießen wir dich.« Ibrahim versuchte, mit seinem Handy einen Krankenwagen zu rufen, 1–0–1, aber, so erinnert sich der Vater, ein Soldat habe gebrüllt: »Wenn du das Handy benutzt, erschießen wir dich.« Eine halbe Stunde vielleicht lagen sie auf der Straße, wenige Meter voneinander entfernt. Gegen 13 Uhr klingelte plötzlich Ibrahims Handy. Obwohl es ihm verboten war, nahm der verwundete Junge den Anruf an: Sein Onkel Ibrahim, Mohammeds Bruder, erkundigte sich ahnungslos, wann sie zu Hause einträfen. Ibrahim, der den Erinnerungen seines Bruders Mohammed wortlos zugehört hat, erzählt jetzt, da er selbst zum Zeugen der Geschehnisse wird, seinen Teil der Geschichte. Es war ungefähr 13.30 Uhr an diesem 16. Januar, als er zu versuchen begann, seinen Bruder Mohammed und dessen Sohn zu retten. Er alarmierte die Notrufstelle der Ambulanz in der Stadt Khan Younis und die Rettungsdienste des Roten Halbmonds. Er hielt es zu Hause nicht mehr aus, sondern machte sich sofort auf den Weg zu dem Parkplatz, wo die Krankenwagen standen. Er wollte dabei sein, wenn die Ambulanz losfuhr. Er würde nicht lange warten müssen, habe er gedacht, der Rote Halbmond ist eine der Partnerorganisationen des Internationalen Roten Kreuzes und hat damit die besten Kontakte, um bei den Israelis eine Genehmigung für die Evakuierung von Verwundeten zu bekommen. Anne Sophie Bonefeld vom Internationalen Roten Kreuz in Jerusalem kann zu konkreten Fäl-
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selbstverständlich so ausgebildet, dass sie Verwundete bergen und verarzten. Aber wenn es Gefechte gibt, ist es ihre oberste Pflicht, sich selbst zu verteidigen.« Ob es am Freitag, dem 16. Januar, Gefechte in der Umgebung des Dorfes al Foukhary gab, darf Captain Rutland nicht sagen. Von Kämpfen an jenem Tag weiß niemand im Dorf. Nicht Mohammed Shurab. Nicht Ibrahim, sein Bruder. Nicht Amer Amira al Amour, der erste Zeuge. Der Osten, die Gegend von Khouza, sei ein
Straße nach Khan Younis Mittelmeer
ungefährer Standort des Krankenwagens
Um 14 Uhr begann der Vater zu beten. Sein Sohn hörte nicht auf zu bluten Mohammed Shurab, der mit seinem verwundeten Sohn auf der Straße lag, ahnte nichts von diesen Verwicklungen. Er wusste nur, dass sein Sohn Hilfe brauchte. Er habe auf Hebräisch gerufen: »Bitte, Soldat, ruf einen Krankenwagen.« Er schaut ins Leere, noch immer erzählt er die Geschichte fragend, als ob er in der Wiederholung irgendwann eine Erklärung entdecken könnte. Konnte es wahr sein, dass diese Menschen das Leid nicht sahen? Denn Menschen, das waren sie doch, diese Soldaten, die da am eisernen Tor vor dem zweistöckigen Gebäude standen. Gegen 14 Uhr begann Mohammed Shurab zu beten. Sein Sohn war inzwischen näher an ihn herangerobbt. Er lag zwischen seinen Beinen. »Vater, bitte«, habe Ibrahim gesagt, »ruf Hilfe.« Wieder und wieder habe der Junge diesen Satz gesagt, erinnert sich der Vater. »Die erste Stimme hat dann noch mal nachgefragt«, sagt der Zeuge im Nachbarhaus: »Sollen wir helfen?« Die Antwort sei »Nein« gewesen, »die sollen sich selbst helfen«. Wie viel Zeit zwischen den Schüssen und dieser Frage vergangen sei? »Nicht viel.« »Für diese Offensive wurde extra ein humanitäres Koordinierungsbüro eingerichtet«, sagt Captain Rutland von der israelischen Armee. »Natürlich waren wir generell immer darum bemüht, den Ambulanzwagen Zugang zu den Gegenden zu verschaffen, an denen jemand gerettet werden musste. Aber wenn es Kämpfe in der Gegend gab, dann konnten wir diesen Zugang nicht autorisieren.« Waren nicht auch die Soldaten dazu verpflichtet, Verletzten zu helfen, unabhängig vom Roten Kreuz? »Doch. Unsere Soldaten und Sanitäter sind
Onkel die Auskunft, dass er auf einen Rettungswagen nicht mehr hoffen könne. Die Genehmigung war noch immer nicht erteilt, und der Rote Halbmond rechnete nicht mehr damit, dass sie nun, nach Einbruch der Dunkelheit, noch komme. Ibrahim rief seinen Bruder Mohammed an und sagte, dass er nichts mehr tun könne. Mohammed sei nun auf sich allein gestellt, allein mit den israelischen Soldaten. »Es waren ungefähr vier«, erinnert sich Mohammed Shurab, »die standen am Garten-
men bis ans Rondell, wenige hundert Meter von Mohammed und Ibrahim entfernt. Die Panzer waren noch immer da. Nur noch einmal abbiegen, und der Ambulanzwagen wäre am Ziel gewesen. Weil der Fahrer aber keine Erlaubnis erhielt, wagte er es nicht, sich den Verwundeten zu nähern. Im Krieg ist auch ein Rettungswagen keine Garantie, nicht beschossen zu werden. Anne Sophie Bonefeld vom Internationalen Roten Kreuz sagt, Furcht sei da verständlich. »Viele der
von Soldaten besetztes Haus
al Foukhary
GazaStadt
GAZASTREIFEN Khan Younis
Kreisel am Salim Platz
ISRAEL
Rafah
zwei israelische Panzer Beschuss des Jeeps der Shurabs
Haus des Zeugen Amer al Amour
GAZASTREIFEN
Mohammed Shurabs Landhaus
Grenze zu Israel
200 m
umkämpftes Gebiet gewesen, aber im Dorf al Foukhary sei es ruhig geblieben. Unabhängig verifizieren lässt sich das nicht. Auch das Internationale Rote Kreuz kann sich dazu nicht äußern. Um 14.30 Uhr hatte Ibrahim, der Onkel des verletzten Jungen, noch immer keine Bestätigung des Roten Kreuzes, dass ein Rettungswagen losfahren werde. Eine Stunde war seit dem ersten Notruf vergangen. Auf eigene Faust, mit einem örtlichen Ambulanzfahrer, versuchte Ibrahim nun, seinen Bruder und seinen Neffen zu evakuieren. Sie ka-
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Fahrer vom Roten Halbmond haben bei ihrer Arbeit ihr Leben riskiert.« Immer wieder mussten Rettungsversuche abgebrochen werden, weil plötzlich geschossen wurde. Ohne Genehmigung der israelischen Behörden konnte es kein Sanitäter wagen, einem Menschen in Not zu helfen. Warum die Genehmigung auf sich warten ließ, kann niemand sagen. Jede halbe Stunde, erzählt Ibrahim, der Onkel, habe er beim Roten Halbmond angerufen. Jede halbe Stunde wurde ihm gesagt, es werde daran gearbeitet. Gegen 17 Uhr erhielt der
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ZEIT-Grafik/Fotos:Google Earth
len nichts sagen. Das ist die offizielle Politik ihrer Organisation, Bonefeld ist die Medienbeauftragte. Wann das Rote Kreuz den Notruf zur Evakuierung von Mohammed und Ibrahim Shurab erhalten hat? Kann sie nicht sagen. Bonefeld erklärt die normale Prozedur während eines Krieges, der kaum normale Prozeduren zuließ. Sie sagt: »Üblicherweise erhielten wir Anrufe wegen ganz unterschiedlicher Notlagen: Familien wollten aus Gegenden evakuiert werden und brauchten sicheres Geleit. Oder es gab Notrufe, um Verwundete zu retten.« Der Rote Halbmond rief beim Internationalen Roten Kreuz an und bat um Schutz, und das Rote Kreuz setzte sich mit den israelischen Behörden in Verbindung, um eine Genehmigung zu bekommen. Bonefeld sagt: »Alles, was wir dann tun konnten, war, auf grünes Licht zu warten.« Wie lange konnte das dauern? »Manchmal Stunden. Manchmal Tage.«
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tor.« Sein Sohn war noch ansprechbar. Als es dunkel war und die Kälte hereinbrach, zog der Vater den Jungen in den Wagen, um ihn zu wärmen. Er musterte die Soldaten vor dem Haus. Was taten sie die ganze Zeit? Aus einem Loch in der Wand im ersten Stock des Hauses kann man die kleine Straße gut überblicken. Das Loch wurde auf der Höhe des Fußbodens von innen in die Mauer geschlagen, sodass man im Liegen auf die Straße schießen kann. Auf dem Boden vor dem Loch liegen noch immer Zigaretten-
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IBRAHIM SHURAB, der Onkel, an den Gräbern seiner Neffen Ibrahim und Kassab
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ZEIT DIALOG
DER ISRAELI Tom Menahe telefonierte die ganze Nacht, um Hilfe für Mohammed Shurab und dessen Söhne zu organisieren – vergeblich
Bernhard Bueb
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Stefanie Keller
Foto: Sebastian Bolesch für DIE ZEIT
Sind Privatschulen die besseren Schulen? Freitag, 20. Februar 2009, 18.30 Uhr Bucerius Law School · Moot Court Jungiusstraße 6 · 20355 Hamburg
Warum starben …? Fortsetzung von Seite 15 »Es wurde kälter«, sagt Mohammed Shurab, »ich habe Ibrahim den Rücken gerieben, um ihn warm zu halten.« Er führt es noch einmal vor, wieder und wieder dieselbe Handbewegung. »Ich habe gesagt: Bitte, Soldat, gib uns eine Decke. Wenigstens eine Decke. Die Nacht ist so kalt.« Ibrahim, der Sohn, wurde stiller. Ibrahim habe nicht mehr viel gesprochen, nur gefragt: »Warst du zufrieden mit mir, Vater?« Immer wieder habe der Vater zurückgefragt: »Bist du noch bei Bewusstsein, Junge?« Gegen Mitternacht, erinnert sich der Vater, habe sein Sohn so still dagelegen, dass nichts mehr von ihm zu hören war, nicht einmal Atemgeräusche. »Ich habe ihm die Stirn gefühlt«, sagt Mohammed Shurab, »sie war noch warm. Ich habe den Puls gefühlt. Aber er war fort.« Einen halben Tag lang hatte Mohammed Shurab mit seinem Sohn auf der Straße gelegen, dann war Ibrahim verblutet. Ein halber Tag, an dem niemand zu Hilfe kam. Vielleicht gab es Gründe, gute oder schlechte, für den Beschuss des Wagens. Vielleicht gab es Gründe, gute oder schlechte, für die Schüsse auf Kassab, für die Schüsse auf Ibrahim. Es mag Absicht gewesen sein oder ein Irrtum. Es war Krieg in Gaza. Und im Krieg wird gestorben. Aber zu jeder Stunde nach dem Beschuss hätte Ibrahim Shurab gerettet werden können. Irgendwann in jener Nacht, erinnert sich Mohammed Shurab, kamen die Soldaten aus dem Haus und zogen an ihm vorbei. Zweimal, sagt Mohammed, seien sie in Marschordnung an ihm vorübergezogen, als gehörten er und seine toten Söhne zur Kulisse. »Sie hatten zwei Sanitäter«, sagt Mohammed Shurab. »Ich war verzweifelt«, sagt er, »als irgendwann Tom anrief.« An die genaue Uhrzeit erinnert er sich nicht. »Es war spät.« Der 32-jährige Tom Menahe von der Organisation Physicians for Human Rights erinnert sich. Es war 1 Uhr in der Nacht, als er durch den Anruf einer Freundin aus Gaza von Mohammed Shurab erfuhr. Tom Menahe wählte sofort die Nummer, die er erhalten hatte, und Mohammed Shurab meldete sich, aber da war sein Sohn schon nicht mehr am Leben. »Wir haben die ganze Nacht gesprochen«, erinnert sich Tom Menahe in seinem Büro in Tel Aviv. Helfen konnte er nicht mehr, nur trösten. »Wir haben
stummel im Sand, die Reste von Zigaretten der Marken Kent und Next. Die Besitzer des Hauses rauchten nicht. Sie waren vor dem 16. Januar geflohen. Ob von hier aus geschossen wurde, vom improvisierten Schießschacht, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Oben auf der Dachterrasse wurde ein weiteres Loch in die Mauer geschlagen, etwas größer. Davor liegen grüne, mit Sand gefüllte Plastiksäcke. Mit Sicherheit lässt sich nur sagen, dass die Sicht von hier aus ungehindert war. Dass man von hier erkennen konnte, ob der Mann mit dem blutenden Sohn im Arm bewaffnet war oder nicht. Vielleicht haben sich die Soldaten einfach gelangweilt. Warum sonst sollten sie das Büro mit all den Büchern im ersten Stock verwüstet haben? Warum sonst sollten sie die Krawatten im Kleiderschrank des Schlafzimmers abgeschnitten haben? Die halbierten Schlipse hängen noch immer aufgereiht im Schrank. Und warum sonst sollten sie die Graffiti an der weißen Wand neben der Küche hinterlassen haben? »Kahane hatte recht« steht da auf Hebräisch, in Erinnerung an den Rabbi Meir Kahane, der von einem Groß-Israel träumte und der jeden Araber dazu zwingen wollte, sein Land aufzugeben.
Am Abend telefonierte der Vater mit der BBC, danach starb sein Sohn Es war kurz nach 17 Uhr an jenem Freitag, dem 16. Januar. Ibrahim, der Onkel, wartete mit den Fahrern im Aufenthaltsraum des Krankenhauses, als einer der Sanitäter auf eine Idee kam. »Er schlug mir vor«, sagt der Onkel, »Mohammeds Handynummer an die Medien zu geben, damit die vielleicht etwas ausrichten konnten.« Von nun an ging Mohammed Shurab ans Telefon, wann immer es klingelte. »Es war mir egal, ob die israelischen Soldaten mich erschießen würden«, sagt er. Mohammed Shurab sprach in diesen Stunden mit Reportern von Al Jazeera, Al Arabia, BBC. Er kann sie gar nicht mehr alle aufzählen, so viele Journalisten meldeten sich bei ihm. Jedem Anrufer berichtete der Vater, was vorgefallen war und wo er lag und dass sein Sohn Ibrahim noch immer blutete. Stunde um Stunde verging, die Nacht kroch ins Dorf, und fremde Menschen wurden Ohrenzeugen eines unfassbaren Schicksals in einem palästinensischen Irgendwo.
geredet und geweint.« Immer wieder legte er auf und rief Mohammed aufs Neue an. In den Gesprächspausen versuchte er, die israelische Koordinierungsstelle für Rettungseinsätze zu erreichen. »Mein Ansprechpartner dort war ein Barak. Wieder und wieder habe ich ihm erklärt, dass da noch immer ein verwundeter Mann liegt, Mohammed, der friert und blutet. Und dass sie einen Rettungswagen schicken müssen. Barak behauptete, es gebe Probleme mit dem sicheren Zugang.« Tom Menahe schüttelt den Kopf. »Ich konnte doch bei jedem Telefonat mit Mohammed die Stille der Nacht um ihn hören.«
Es diskutieren: Bernhard Bueb, Autor und ehemaliger Leiter des Internats Schule Schloss Salem, Gabriele Behler, ehemalige Bildungsministerin NRW und Publizistin, German Denneborg, Ministerialdirigent am Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus, und Stefanie Keller, Personal- und Organisationsentwicklerin. Moderation: Thomas Kerstan, Ressortleiter Chancen, DIE ZEIT. Eintritt frei! Um Anmeldung wird gebeten unter presse@zeit.de oder Telefon 040/3280-145. In Kooperation mit:
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Am nächsten Mittag kam ein Rettungswagen und barg die Toten
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Wenn Mohammed Shurab von dieser Nacht erzählt, von den Stunden, in denen Ibrahim tot in seinen Armen lag, dann erzählt er vor allem von Tom, diesem jungen Israeli aus Tel Aviv, dem liebevollen Zuhörer von der anderen Seite, dem Menschen, der dieselbe Staatsangehörigkeit besitzt wie die Soldaten, die seine Söhne töteten. Und nichts daran kommt Mohammed Shurab sonderbar vor. Diese Menschlichkeit, das ist es, was er erwartet von seinen Nachbarn. Das ist es, was er ihnen zutraut, Israelis wie Palästinensern. Wie wäre der Tag verlaufen, wenn Mohammed Shurab dieses Vertrauen nicht gehabt hätte? Oder wenn die Soldaten auf der anderen Seite ebendieses Vertrauen gehabt hätten? Ob dann alles anders ausgegangen wäre? Mohammed Shurab und Tom Menahe sprachen miteinander bis halb acht am Morgen. Es war schon wieder hell, als sie sich voneinander verabschiedeten. Der Akku in Mohammed Shurabs Handy war leer. Es vergingen noch einmal fünf Stunden, bis ein Rettungswagen kam. Es war Samstag, der 17. Januar 2009, es war Mittag, 12.30 Uhr, als Mohammed Shurab mit den Leichen seiner beiden Söhne zum European Hospital nach Khan Younis gebracht wurde. Einen Tag lang hatte er auf Hilfe gewartet. Der Krankenwagen bog am Rondell links ab. An der Kreuzung, vor der Mohammed Shurab am Tag zuvor mit seinem roten Jeep gestanden hatte, nahm der Fahrer die Straße nach Norden. Da lag auch gleich das Krankenhaus. Die Fahrt dauerte vier Minuten.
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ZEIT CAMPUS CAMP
Auch Soldaten müssen helfen Bardo Fassbender, Professor für Völkerrecht, über die Ahndung von Kriegsverbrechen Ein junger Palästinenser, von israelischen Soldaten im Gaza-Streifen angeschossen, verblutet in den Armen seines Vaters. Die Sanitäter, obwohl ganz in der Nähe, dürfen nicht eingreifen. Unglück oder Kriegsverbrechen? BARDO FASSBENDER: Jede Kriegspartei hat die Pflicht, allen Verwundeten und Kranken so schnell und umfassend wie möglich medizinisch zu helfen, sowohl Kombattanten als auch Zivilisten. Diese Pflicht wäre im beschriebenen Fall von Israel verletzt worden. Nicht jede Verletzung einer kriegsvölkerrechtlichen Pflicht ist aber ein Kriegsverbrechen. ZEIT: Was versteht das Völkerrecht dann unter einem Kriegsverbrechen? FASSBENDER: Ein Kriegsverbrechen ist eine besonders schwere Verletzung des humanitären Völkerrechts. Es geht dabei um die Verantwortlichkeit von Individuen, nicht von Staaten. Das Statut des Internationalen Strafgerichtshofes von 1998 enthält einen Katalog von Kriegsverbrechen: zum Beispiel die vorsätzliche Tötung von Zivilisten, Folter, unmenschliche Behandlung. ZEIT: Angenommen, eine Militäraktion lässt sich als Kriegsverbrechen einstufen: Was folgt daraus? FASSBENDER: Die vier Genfer Rotkreuzabkommen verpflichten alle Vertragsparteien, Kriegsverbrechen in ihrem nationalen Recht strafbar zu machen und Beschuldigte vor Gericht zu stellen. Nach dem Universalitätsprinzip sind alle Staaten zur Verfolgung von Kriegsverbrechen befugt. Ein Staat, der einen mutmaßlichen Kriegsverbrecher in Gewahrsam hat, muss ihn entweder selbst vor Gericht stellen oder an einen Staat ausliefern, der dazu bereit ist.
ZEIT: Könnte ein etwaiges israelisches Kriegsverbrechen in Gaza vor den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gebracht werden? FASSBENDER: Nein. Der Internationale Strafgerichtshof ist nur für Taten zuständig, die entweder auf dem Gebiet oder von einem Angehörigen eines Staates begangen worden sind, der das Römische Statut des Strafgerichtshofs anerkannt hat. Heute sind das 108 Staaten, Israel zählt nicht dazu. Auch die Palästinensischen Autonomiegebiete sind dem Statut nicht beigetreten. Etwaige israelische Kriegsverbrechen könnten vom Haager Strafgerichts-
BARDO FASSBENDER, 45, lehrt Staats- und Völkerrecht an der Universität der Bundeswehr in München
Foto: privat
DIE ZEIT:
hof nur verfolgt werden, wenn der UN-Sicherheitsrat dem Gerichtshof den Fall unterbreiten würde. Aber ein solcher Beschluss ist unwahrscheinlich, weil er dem Vetorecht jedes ständigen Mitglieds, auch der USA, unterliegt. ZEIT: Weder Israelis noch Palästinenser können für Kriegsverbrechen zur Verantwortung gezogen werden? FASSBENDER: Doch, vor den jeweils eigenen Gerichten. Oder vor den Gerichten anderer Staaten, sofern ihre Heimatländer sie ausliefern.
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DIE ZEIT
ZEIT: War der israelische Einmarsch im GazaStreifen Ihrer Meinung nach völkerrechtlich gerechtfertigt? FASSBENDER: Jeder Staat hat im Fall eines bewaffneten Angriffs ein Recht auf Selbstverteidigung. Der Beschuss israelischen Gebiets mit Raketen durch die Hamas ist ein solcher Angriff. Die Verteidigungsmaßnahmen müssen aber im angemessenen Verhältnis zur Schwere des Angriffs stehen. Für eine Zulässigkeit des Einmarschs spricht, dass sich die Raketenstellungen der Hamas wahrscheinlich allein durch Luftangriffe nicht außer Gefecht setzen ließen. ZEIT: Ist der Beschuss von Schulen, Krankenhäusern, Kirchen, Moscheen prinzipiell unzulässig? FASSBENDER: Ja. Allgemein gilt, dass zivile Objekte kein zulässiges Angriffsziel sind. Zivile Krankenhäuser stehen unter besonderem Schutz und dürfen unter keinen Umständen angegriffen werden. Nach der Haager Landkriegsordnung von 1907 sollen alle Vorkehrungen getroffen werden, um die dem Gottesdienst, der Kunst, der Wissenschaft und der Wohltätigkeit gewidmeten Gebäude so weit wie möglich zu schonen. ZEIT: Ist es zulässig, Zivilisten als lebende Schutzschilde zu benutzen? FASSBENDER: Nein. Es ist auch unzulässig, militärische Einrichtungen in ein ziviles Umfeld zu bringen, um daraus einen militärischen Vorteil zu ziehen. Ein Beispiel ist die Verlegung einer Kommandostelle in ein Krankenhaus. In diesem Fall darf das Krankenhaus – nach vorausgehender Warnung – angegriffen werden.
Absolventen treffen Unternehmen Der beste Weg zum Traumjob 15. und 16. Mai 2009 Fielmann Akademie · Schloss Plön Eine Bewerbung – acht potenzielle Arbeitgeber Sie treffen in zwei Tagen auf Personalverantwortliche aus acht Unternehmen, die interessante Stellen vakant haben. In einem abwechslungsreichen Programm (mit Outdooraktivitäten und Abendveranstaltung) lernen Sie sich kennen. Wen wir suchen? Sie haben Ihr Studium mit überdurchschnittlichem Erfolg abgeschlossen bzw. sind kurz davor und haben im Rahmen von Praktika und/oder Auslandsaufenthalten viele unterschiedliche Erfahrungen gesammelt. Kosten Für den Aufenthalt auf Schloss Plön übernimmt der ZEIT Verlag die Kosten. Zudem erhalten Sie ein Reisebudget. Wie bewerben? Weitere Informationen und Bewerbungsmodalitäten auf www.zeit.de/veranstaltungen/camp In Kooperation mit:
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DAS GESPRÄCH FÜHRTE HEINRICH WEFING
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Fotos: Michael Petersohn (o.); action press (li.: Snowkiter bei Silvaplana, Schweiz); Stefan Kröger für DIE ZEIT/www.nophoto.de (re.)
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DIE ZEIT
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12. Februar 2009 DIE ZEIT Nr. 8
Der Schnitt der Woche
Der letzte Schrei ertönt aus Leinfelden-Echterdingen. Dort hat sich am vergangenen Wochenende die ehrbare Branche des deutschen Friseurhandwerks getroffen, um dem Sommer die Stirn zu bieten. Luftiges, Toupiertes oder Angeschrägtes für die Dame wie den Herrn. Unser Bild
zeigt, wohin das führen kann: zu den W-Fragen! Kühn ist der Buchstabe in die Haupthaarmasse hineingraviert. Der erste Schwung ganz voll, das Ohr verhüllend, der zweite wie vom Wind zart an den Hals geweht – und sofort möchte man wissen: Wer gewinnt die Bundestagswahl? Was wird aus Gesine
Schwan? Wohin fährt Märklin? Wie ist Mehdorn zu helfen? Wessen Messen liest der Papst? Wem eifert Seehofer nach? Wann verlöschen die australischen Buschbrände? Wo ist LeinfeldenEchterdingen? Fragen über Fragen, und damit spiegelt der Schnitt perfekt den aktuellen Trend hin zur Ungewissheit.
Ein öffentlicher Kampf
MAL RICHTIG einen durchziehen
In Hildesheim demonstrieren Bürger für die Rückkehr einer Frau, die vor vier Jahren in die Türkei abgeschoben wurde VON WOLFGANG UCHATIUS
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Ist das verrückt? Ja! Deutsche Meisterschaften im »Snowkiten«: Tempo, Wind und Schnee am Reschensee
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nowkite heißt Schneedrachen. Es ist ein Spiel mit dem Wind, wie Wasserski, nur ohne Boot. Das Prinzip ist alt und bewährt. Schon Reinhold Messner ließ sein Gepäck auf dem Marsch durch die Antarktis vom Wind bewegen. Auf einem Snowboard oder auf Skiern kann man Berge auch hinauffahren. Der 35-jährige Marko Peter aus Passau ist ein Snowkiter der ersten Stunde. Am vergangenen Wochenende lud er zur Deutschen Meisterschaft auf den italienischen Reschensee ein, gelegen im Dreiländereck zwischen der Schweiz und Österreich. Ja, die Deutsche Snowkite-Meisterschaft wurde in Italien ausgetragen. Und, »ja, das klingt bekloppt«, sagen selbst die Veranstalter. Vor zwei Jahren sollte der Wettbewerb noch in Deutschland auf der Rhön stattfinden. Wie hatten sich damals alle darauf gefreut! Dann lag kein Schnee. Der Reschensee ist im Winter immer zugefroren und schneebedeckt. Die riesige ebene Fläche und die Föhnwinde bieten ideale Bedingungen, um die Sieger zu ermitteln (siehe Kasten). Von der Dorfstraße aus wirken die bunten Drachensegel zwischen den Gletschern wie ein Schwarm dicker Brummer mit Menschenflöhen im Schlepp. Weil einst ein Dorf stand, wo jetzt der Stausee ist, ragt mittendrin ein Kirchturm aus dem Eis. Dagegengeflogen ist keiner. In der Nacht vor dem Turnierstart saß Marko Peter mit seinen Sportfreunden, die ihn alle »Heiter-Kiter« nennen, in der Dorfalm. Plötzlich öffnete ein Langhaariger die Tür und sprach das wichtigste aller Wörter: »Wind!« Heiter-Kiter nickte: Sie zahlten die Zeche, schnappten die Drachen und stapften zum See. Es war dunkel, sie hörten ihre Drachen surren und spürten den Schnee unter ihren Brettern. Sie fuhren, sie sprangen, sie fühlten den Punk. Dann stürzte einer und überdehnte sein Sprunggelenk. Das Schlechte an dieser Geschichte war der Sturz. Der Verletzte bekam Krücken und musste bei den Wettkämpfen zuschauen. Das Gute war, dass sich die Geschichte in der Nacht vor dem Turnier zutrug. So hatte der Mann drei Tage lang was zu erzählen – und das Erzählen gehört bei diesem Sport dazu.
Wenn man Snowkiter fragt, ob sie verrückt sind, sagen neun von zehn: »Ja!« Zu den Deutschen Meisterschaften, an denen Ausländer außer Konkurrenz teilnehmen dürfen, kamen sie aus Ungarn, Holland, Polen oder Norwegen angereist. Viele Betten am Reschensee wurden doppelt belegt, etliche Teilnehmer schliefen im Auto. Von Montag bis Freitag sind Snowkiter Kaminkehrer, Manager, Zugführer, Chemiestudenten, Hubschrauberbauer oder, wie Marko Peter, Autoverkäufer. Wenn der Wind faucht, nennen sie sich Fuchur, Detow, Hiers, Psycho-Peter, Otte, Tom-the-Ripper oder Styler-Luca. Sie lieben den
Die fliegende Iris Beim »Freestyle« treten zwei Snowkiter gegeneinander an. Wer am spektakulärsten springt, ist eine Runde weiter. Im »Race« gewinnt, wer einen Dreieckskurs am schnellsten fährt. Im Race auf Skiern wurde Markus Pompl aus Bräunlingen Deutscher Meister, auf dem Snowboard Hardy Brandstötter aus Mondsee. Sein Bruder Heinar verteidigte seinen Titel im Freestyle-Snowboard. Im Freestyle auf Skiern gewann der 15-jährige Florian Gruber aus Garmisch-Partenkirchen. Beste Frau am Kite war die in Meran lebende Iris Tonak. Sie siegte im Race und im Freestyle. Weltweit gibt es an die 40 000 Kiter, 5000 in Deutschland. Die meisten lassen sich übers Wasser ziehen (Kitesurfer), nur jeder zehnte fährt im Schnee. Da ihr Drachen 30 Meter hoch fliegt, können sie schon bei schwachem Wind fahren. Weht es mehr, springen Kiter bis zu 20 Meter hoch und 50 Meter weit. Ein Sprung kann 20 Sekunden dauern.
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DIE ZEIT
VON STEFFEN DOBBERT
Wind, den Schnee und das Tempo. Sie sind süchtig nach dem Kick des Rennens und nach dem Glücksmoment im Sprung, wenn die Seele fliegt wie der Körper. Wann es damit angefangen hat, kann keiner so genau sagen. Freaks, die sich von Fallschirmen übers Land oder Wasser ziehen ließen, gab es schon in den Siebzigern. Als Ende der Neunziger das Kitesurfen aufkam, versuchten es diejenigen, die kein Meer in der Nähe hatten, auf dem Schnee. Marko Peter war damals Windsurfer. Nachdem er im Urlaub einen Kitesurfer gesehen hatte, war es um ihn geschehen. In einem Internetforum lernte er viele seiner neuen Freunde kennen. Vor fünf Jahren lud er sie alle ein. Sie trafen sich auf dem Reschensee am Kirchturm. Sie waren insgesamt dreißig und nannten das Wochenende Kite Wildlife Camp (KWC). Ein Jahr später kamen siebzig. Im dritten Jahr waren es mehr als hundert. Marko Peter organisierte, dass jeder etwas organisierte. Den Grill brachte er aus Passau mit, die Würste kamen aus München, der Kartoffelsalat aus der Schweiz, und den Drachenfreund aus Ungarn erinnerte er daran, den Senf nicht zu vergessen. »Das war familiär und nicht kommerziell«, sagen einige, die dabei waren. In diesem Jahr stand vor dem Reschensee erstmals ein großes Zelt, aus dem Musik übers Eis donnerte, und die Steaks wurden verkauft, für fünf Euro im Brötchen. Seitdem die internationalen Deutschen Meisterschaften und das Kite Wildlife Camp des Heiter-Kiter fusionierten, organisiert eine PR-Agentur aus Hamburg das »Event« und versucht es zu vermarkten. Schließlich taugt Snowkiten wie Kitesurfen zur »Trendsportart«. Dieses Jahr kamen 70 Snowkiter aus neun Nationen an den See, dazu einige hundert Zuschauer. Manch ein Dorfbewohner wunderte sich über den Schwarm dicker Brummer und die vielen jungen Leute. Die Jugend der Region freute sich. Die sonst geschlossene Dorfdisko öffnete die Türen. Einen Gast konnte man auf Krücken tanzen sehen, und wer ihn fragte, bekam was zu hören. i Ein Video und Bilder im Internet: www.zeit.de/snowkite
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ier Jahre danach tritt Ahmed Siala vor einer Kirche aus braunem Sandstein ans Mikrofon. Etwas ungelenk steht er da, ein großer Mann in schwarzer Lederjacke, dem man anmerkt, dass er nicht oft Reden hält. Auch jetzt will er nur ein paar Worte sagen, sich den Leuten zeigen. Seinetwegen sind sie am Montag dieser Woche alle gekommen zu dieser kleinen Demonstration in der Fußgängerzone von Hildesheim, seinetwegen und wegen seiner Frau Gazale Salame, die er seit jenem Tag vor vier Jahren nicht mehr gesehen hat, als ein Polizeiwagen mit zehn Beamten vor seiner Haustür hielt. Wohl 120 Menschen stehen vor ihm. Der NDR ist gekommen, Journalisten von Nachrichtenagenturen und Lokalblättern frösteln im Winterwind. Siala kennt einige der Zuhörer, viele kennt er nicht, aber alle kennen sie ihn. Oder wenigstens kennen sie seine Geschichte, haben gehört von dem Mann und der Frau, die Mitte der Achtziger als Kinder mit ihren Eltern aus dem libanesischen Bürgerkrieg nach Deutschland flohen. Die sich hier kennenlernten, drei Kinder bekamen, bis die Ausländerbehörde herausfand, dass Gazale Salames Eltern damals von Beirut über die Türkei, die Heimat ihrer Vorväter, nach Deutschland geflohen waren, mithilfe türkischer Pässe. Also, folgerte die Behörde, sei Gazale Salame nicht, wie von den Eltern angegeben, eine staatenlose Kurdin aus dem Libanon, sondern Türkin – und schob die schwangere Frau mit ihrer jüngsten Tochter am 10. Februar 2005 in die Türkei ab. Obwohl sie 17 Jahre in Deutschland gelebt hatte und kein Türkisch sprach. Obwohl sie Mann und zwei Kinder zurücklassen musste. Seitdem kämpft der 30-jährige Siala um die Rückkehr seiner Frau, die, depressiv geworden, mit den zwei jüngsten Kindern in einem Armenviertel von Izmir lebt (ZEIT Nr. 38/07). Längst ist sein Kampf keine private Angelegenheit mehr, sondern eine öffentliche Auseinandersetzung, in der auf der einen Seite Ahmed Siala steht, Geschäftsführer einer kleinen Schlachterei, und auf der anderen Seite der niedersächsische CDU-Innenminister Uwe Schünemann. Siala fängt jetzt an zu sprechen, man versteht ihn kaum. »Lauter!«, ruft jemand. Siala zieht das Mikrofon vom Ständer, hält es sich nah an die Lippen, setzt neu an. Er sagt, er wolle sich bei allen bedanken, die bei diesem Wetter hierher gekommen seien. Er wolle nicht mehr zurückschauen auf die vergangenen vier Jahre, zu viel Leid habe er erlebt. Lieber wolle er nach vorn blicken. Die Zuversicht basiert auf der neuesten Wendung des Falls. Gazale Salames Abschiebung ist juristisch nicht mehr anfechtbar. Sie dürfte nur zurück, wenn ihr Mann eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis erhielte. Doch die bekommt er nicht, im Gegenteil, auch ihn will man abschieben. Obwohl er damals direkt von Beirut nach Deutschland kam, beruft sich die Behörde darauf, dass auch seine Vorfahren aus der Türkei stammen. Siala zog vor Gericht, und so entwickelte sich die Angelegenheit auch zu einem Beispiel dafür, dass deutsche Gerichte zwar Recht sprechen mö-
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gen, dass dies aber so lange dauern kann, dass mitunter allein dadurch Unrecht entsteht. Anderthalb Jahre nach der Abschiebung entschied das Verwaltungsgericht zugunsten Sialas. Auf Geheiß des Innenministers legte der Landkreis Hildesheim Berufung ein. Nach einem weiteren Jahr entschied das Oberverwaltungsgericht (OVG) gegen Siala, woraufhin er in Revision ging. Nach noch einmal anderthalb Jahren erklärte das Bundesverwaltungsgericht das OVG-Urteil für ungültig. Das war vor zwei Wochen. Und weil bis zur erneuten Verhandlung vor dem OVG wieder ein Jahr ins Land gehen kann und eine Familie, die so lange getrennt ist, irgendwann keine Familie mehr ist, sagte die Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts, der Fall schreie geradezu nach einem Vergleich, einer politischen Lösung.
AHMED SIALA vermisst seine Frau
Passanten hasten vorbei, ein paar bleiben stehen, schauen auf das Transparent, auf dem steht: »Alle Kinder haben Rechte! Alle Kinder?« Ahmed Siala gibt das Mikrofon weiter. Nacheinander reden nun der Superintendent der evangelischen Kirche, der Direktor der Caritas, eine Landtagsabgeordnete und die ehemalige Bürgermeisterin von Hildesheim, beide von der SPD. Sie sprechen von einer Schande für Niedersachsen, zitieren den grundgesetzlichen Schutz der Familie und appellieren an den Innenminister, der Empfehlung des Bundesverwaltungsgerichts zu folgen und einem Vergleich zuzustimmen. Der könnte darin bestehen, dass Siala zwar seinen fehlenden Anspruch auf eine Aufenthaltsgenehmigung anerkennt, aber dennoch ein Bleiberecht aus humanitären Gründen erhält und seine Frau zurückkehren darf. Und was sagt Innenminister Schünemann? Im Moment gar nichts. Man wolle, so ein Sprecher des Ministeriums gegenüber der ZEIT, die schriftliche Urteilsbegründung aus Leipzig abwarten. Das kann noch einmal vier Wochen dauern. Aber darauf kommt es wohl nicht mehr an. Nach dem Ende der Kundgebung zieht der kleine Demonstrationszug durch die Fußgängerzone zum Hildesheimer Kreishaus, dem Sitz der Ausländerbehörde. Dort versammeln sich noch einmal alle. Hundert Menschen, die Teelichter anzünden, sie in Plastikbecher legen und zu einem großen Kreis auf den Boden stellen. Die Lichter brennen nicht lange. Der Wind ist zu stark.
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WIRTSCHAFT
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12. Februar 2009 DIE ZEIT Nr. 8
Berlin in Verzug
Foto: Mark Lennihan/AP
Ein Konjunkturpaket kommt – übers nächste wird schon nachgedacht
GEBÄUDE VON AIG in Manhattan
Das schwarze Loch Der Versicherungskonzern AIG trieb Amerika tief in die Finanzkrise – und kostet das Land jetzt mehr als jede Bank
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arum redet in Deutschland niemand von AIG, wenn es um die globale Krise geht? Der weltgrößte Versicherungskonzern hat sie mit verursacht! Er bedroht das internationale Finanzsystem noch immer! Mehr als jede Bank! Außerhalb der Branche ist kaum bekannt, dass AIG eine Art Schattenimperium aufgebaut hat. In 130 Ländern. Mit 74 Millionen Kunden. Unter ihnen sind Tausende von Banken, Versicherern, Großunternehmen, Städten und Gemeinden rund um den Globus – auch in Deutschland. 152 Milliarden Dollar Steuergeld hat die USRegierung bisher an AIG überwiesen, um den Konzern vor der Pleite zu bewahren. Das entspricht dem Bruttoinlandsprodukt von Ungarn. Noch nie hat eine Regierung so viel Geld eingesetzt, um ein privates Unternehmen zu retten. Der Fall zeigt, wie Gier, gepaart mit Selbstüberschätzung, Computergläubigkeit und immenser Fahrlässigkeit, einen »perfekten Sturm« an den Kapitalmärkten erzeugte. Er belegt, dass eine staatliche Übernahme allein die Probleme mit den Giftmüllpapieren nicht stoppt. Ohne echten Umbau der Verursacher geht die Krise einfach weiter, und so zeichnet sich ab, dass die Bürger der USA weitere Milliarden für das Abenteuer AIG aufwenden müssen – ganz so, wie es den Deutschen mit ihrem größten Sanierungsfall, der gescheiterten Immobilienbank Hypo Real Estate, nach Meinung vieler Experten ergeht. Wie so manche Geschichte wird auch diese für Außenstehende erst sichtbar, als es zu spät ist. Am 15. September vergangenen Jahres brannten die Lichter im Hauptquartier der American International Group (AIG) bis in die Nacht. Ein paar Schritte entfernt von der Wall Street, in einem Hochhaus mit Art-déco-Fassade, versuchten Vorstandschef Robert Willumstad und sein Finanzchef bis zuletzt Geld aufzutreiben. In den Tagen zuvor hatten sie sich an Banker gewandt, sich bei Beteiligungsgesellschaften gemeldet, bei Staatsfonds gebettelt. Die beiden Manager brauchten ein Minimum von 14 Milliarden
Dollar – und zwar schnell. Sie erhielten es nicht. Es fand sich kein privater Investor oder Kreditgeber. Als nur noch wenige Stunden bis zur Fälligkeit der Summe verblieben, sah es so aus, als ob das Undenkbare geschehe: Der Versicherungsgigant mit einer Bilanzsumme von über einer Billion Dollar und 100 000 Mitarbeitern stand vor dem Aus. Da meldete sich der US-Finanzminister Henry Paulson bei Willumstad. Gemeinsam mit Notenbankchef Ben Bernanke traf er die historische Entscheidung: Der Staat würde AIG übernehmen. Noch 48 Stunden zuvor hatten Paulson und Bernanke die Investmentbank Lehman Brothers in den Konkurs getrieben. Doch AIG fallen zu lassen – das trauten sie sich nicht.
Das Firmenmotto: »Für jedes Risiko bieten wir eine Lösung« Bis zu diesem spektakulären Absturz kannten Amerikaner die drei Buchstaben AIG meist nur in Verbindung mit privater Altersvorsorge, vage bekannt durch biedere Hochglanzanzeigen in Magazinen und mäßig kreativen Werbespots. Gleichwohl waren AIGs Vertreter längst in allen Sparten der internationalen Finanzwelt zu Hause: Von der Unfallpolice und Lebensversicherungen über Zinsswaps bis hin zum Flugzeugleasing boten sie alles an. Insider vergleichen AIG mit jenen Riesenkraken, die – von oben unsichtbar – in der Tiefsee lauern. Als sich die Gerüchte über die Nöte des Riesen verdichteten, rief ein Verantwortlicher bei einer Wall-Street-Institution aus: »Bitte nicht AIG! Die sind überall!« Hinter dem Aufstieg des Sachversicherers zum globalen Finanzimperium steht vor allem ein Mann: Maurice Greenberg, genannt Hank. Er war als junger Soldat bei der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau dabei. Später zog er in den Koreakrieg. Nach seiner Zeit bei der Armee bewarb sich der damals 27-Jährige im Jahr 1961 bei C.V. Starr & Co – dem Vorläufer von AIG. Dessen Gründer Cornelius Vander Starr, ein ehemaliger Eiscremeverkäufer aus Kalifornien, war im Jahr 1919 nach Shanghai ausgewan-
VON HEIKE BUCHTER
dert. Dort fiel ihm auf, dass die Niederlassungen der westlichen Versicherer ihre Policen nur an Ausländer verkauften. Die Chinesen galten als unwägbare Risiken. Starr sah das anders und zog ein schwunghaftes Geschäft auf. Genau das sollte ein Markenzeichen von AIG werden. »Für jedes Risiko und Problem eine Police oder eine Lösung zu bieten, dafür war AIG bekannt – es grenzte fast schon an Überheblichkeit«, sagt Ron Shelp, der zwölf Jahre lang mit Greenberg zusammenarbeitete. Bald war C.V. Starr auch in den USA etabliert. Doch die Herkunft blieb in der Firmen-DNA. »Das ist eine eigene Mentalität – etwa im Umgang mit den Aufsichtsbehörden«, erzählt Shelp. Bei Sanktionen war die Haltung: Zahlen wir halt den Strafzettel fürs zu schnelle Fahren. Im Jahr 1968 übernahm Greenberg schließlich die Firma und beherrschte sie in den darauffolgenden 37 Jahren. Als American International Group brachte er sie an die Börse und trieb sie in immer neue Geschäftsfelder. Die Folge: Die Organisation mit zuletzt mehr als 4000 Unternehmensschachteln und Querverbindungen wurde unübersichtlich. Nur Greenberg selbst behielt alle Details im Auge. Das machte ihn unverzichtbar. Der zierliche Mann mit den durchdringenden blauen Augen und der heiseren Stimme war bei Mitarbeitern, Analysten, Journalisten, selbst bei Regulierern gefürchtet. Doch wer sein Spiel mitspielte, wurde belohnt. Die Bonuszahlungen machten Topmanager reich. »Millionäre waren nichts Besonderes. Es gab neben Greenberg mehrere Milliardäre im Haus«, berichtet Shelp. Gemeinsame Wochenenden in firmeneigenen Countryclubs gehörten genauso dazu wie Skiausflüge zu AIGs Edelenklave Stowe Mountain in Vermont, komplett mit Luxuslodge, Gipfellift und Wellnessanlage. Doch Greenbergs ehrgeizige Ziele erzeugten einen ungeheuren Druck. »Er verlangte nicht, sondern er bestand auf mindestens 15 Prozent Wachstum – Gewinn, Umsatz, Rendite«, sagt Shelp. Und er akzeptierte keine Entschuldigung. Vielleicht kam es auch deshalb im Jahr 2000 zu einer folgenreichen Transaktion zwischen AIG und Gen Re, einer Rückver-
sicherung, die zum Imperium des Großinvestors Warren Buffett gehört. Der geheime Vertrag ließ AIGs Reserven auf einen Schlag 500 Millionen Dollar höher aussehen – allerdings nur auf dem Papier. Daraufhin konnte AIG einen kleineren Wettbewerber übernehmen und mit eigenen Aktien bezahlen. Der Bilanzkosmetik war allerdings kein langes Leben beschieden: Ein anonymer Hinweis rief die Staatsanwaltschaft auf den Plan, und so wurden vier Gen-Re-Verantwortliche und ein AIG-Manager verurteilt wegen Betrugs und Verschwörung. Greenberg, der nie angeklagt wurde, musste im Jahr 2005 immerhin seinen Chefsessel räumen. Damit verlor AIG jenen Mann, der die byzantinisch-verschlungenen Zusammenhänge des Imperiums überblickte – und das ausgerechnet zu einer Zeit, als eine kleine Einheit, die er gegründet hatte, vollends außer Kontrolle geriet. Sie sollte den Ruin seines Lebenswerkes herbeiführen.
Der Konzernchef holte sich die Spekulanten selbst ins Haus Mitte der achtziger Jahre hatte Greenberg nach neuen Gewinnquellen gesucht, um unabhängiger vom Versicherungsgeschäft zu werden. Da stellte sich ihm ein Team von Investmentbankern vor, das einen neuen Arbeitgeber suchte. Die Männer kamen von Drexel Burnham Lambert, jener Bank, die mit riskanten Müllanleihen eine Spekulationsblase verursachte und schließlich unter dem Druck der Strafverfolgung zusammenbrach. Das DrexelTeam gründete AIG Financial Products. Mit dem Vehikel setzten die Banker die makellose Kreditbewertung der Versicherung gewinnbringend ein. Die beste Gelegenheit bot sich Ende der neunziger Jahre, als eine US-Großbank anklopfte. Ob AIG nicht Anleihen und Kredite gegen Ausfälle versichern wolle? Diese Credit Default Swaps – kurz CDS – sahen aus wie eine rundherum gewinnbringende Idee: Fortsetzung auf Seite 20
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Jeder Einzelne der 445 Bundestagsabgeordneten der Großen Koalition steht an diesem Freitag mit seinem Namen für eine Wette ein: die Regierungswette, dass der härteste Wirtschaftseinbruch in der Geschichte der Bundesrepublik erst Mitte des Jahres spürbar wird. Genau dieser Gedanke verbirgt sich hinter dem zweiten Konjunkturpaket, welches das Parlament in namentlicher Abstimmung beschließen soll. Die für die Bürger wichtigsten Maßnahmen – niedrigere Steuern und weniger Sozialabgaben – greifen erst zum 1. Juli. Irgendwie, so das Kalkül, werde man sich schon durchs Frühjahr mogeln, um dann, wenn die Krise zuschlägt, das Volk finanziell zu entlasten. Doch diese Wette wird kaum aufgehen. Bereits jetzt steckt das Land in der Krise. Die Industrieproduktion und die Exporte sind eingebrochen. Die Arbeitslosenzahlen steigen so schnell wie lange nicht, das drückt den privaten Konsum. Und so wird das Parlament an diesem Freitag seltsam zeitversetzt debattieren: Die Abgeordneten reden übers Konjunkturpaket zwo, wo man doch längst Paket Nummer drei auf den Weg bringen müsste. Noch sagt es in Berlin niemand laut. Aber natürlich spielen Regierungsbeamte gedanklich durch, was die Große Koalition Ende März oder Anfang April tun könnte – wenn sich die Krise weiter ausbreitet. Wenn ein Betrieb nach dem anderen in die Insolvenz geht. Wenn die Sorgen der Bürger wachsen und man sie nicht mehr bis Juli vertrösten kann. Die klassischen Instrumente staatlicher Konjunkturpolitik – höhere Investitionen und niedrigere Steuern und Abgaben – werden dann nichts mehr bringen. Zu lange dauert es, bis sie greifen. Als einzige wirksame Maßnahme wird es dann noch möglich sein, die staatlichen Transferzahlungen zu erhöhen – etwa das Arbeitslosengeld II. Die Unterstützung für HartzIV-Empfänger lässt sich von einem Monat auf den anderen steigern. So gehört wenig Fantasie dazu, sich heute vorzustellen, welche sozialpolitische Debatte in diesem Frühjahr über das Land hereinbrechen könnte: Müssen die Arbeitslosensätze rauf, und wenn ja, um wie viel? Soll der Staat noch einmal das Kindergeld erhöhen? Haben nicht auch die Rentner eine Bonuszahlung verdient? Eine Regierung, die – völlig zu Recht – die Banken mit Hunderten Milliarden Euro stützt, wird keine einzige dieser Fragen mit Nein beantworten können. Die Koalition hätte all das vermeiden können – mit einem Konjunkturpaket, das zum Jahreswechsel wirksam geworden wäre und nicht erst zur Jahresmitte. Doch eine Entscheidung darüber haben die Abgeordneten an diesem Freitag nicht mehr. MARC BROST
30 SEKUNDEN FÜR
Gehälter Banking sei ein people business, sagt Josef Ackermann. Der Chef der Deutschen Bank meint damit, dass der Erfolg einer Bank von der Qualität ihrer Leute abhängt. Und die Besten bekommt man nur, wenn man Weltklassegehälter zahlt. Barack Obama hat Ackermann schlicht ignoriert und schreibt vor, dass Chefs von USBanken unter dem Staatsschirm maximal 500 000 Dollar im Jahr verdienen dürfen. Ja, ja, wenn der neue Präsident da mal nicht einen entscheidenden Fehler begeht, weil nun die genialen Geldjongleure ins Ausland fliehen. Obama bleibt sitzen mit Allerweltsbankern vom Typ Sparkassendirektor, die meinen, es reiche, wenn eine Bank ganz klassisch Einlagen einsammle und dafür Kredite ausgebe – und die glauben, persönlich könnten sie mit einer halben Million über die Runden kommen? Herr Präsident, so wird das nichts mit der nächsten Finanzblase. UWE JEAN HEUSER
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ZWISCHENRUF
Eine Billion hier, eine da
Irrelevante Debatte
Der amerikanische Finanzminister stellt Grundzüge des neuen Rettungsplanes für Banken vor. Geht er der Wall Street auf den Leim?
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»Es geht vor allem darum, wer am Ende die Verluste tragen soll« Geithner hofft, durch die privaten Investoren das Dilemma der Bewertung zu umgehen. Private Anleger würden darauf achten, nicht zu viel zu bezahlen, während die Banken die Papiere nicht zu niedrig anböten. Der Markt regelt es? Das klingt gut, doch an der Wall Street haben viele Zweifel, dass es funktioniert. »Für Hedgefonds und Private-Equity-Investoren ist das nur ein Geschäft, wenn der Staat eine Garantie ausspricht, die sie vor weiteren Verlusten schützt«, sagt der New Yorker Bankenberater Bert Ely. »Aber wenn der Staat die Papiere garantiert, warum sollten die Banken sie dann noch verkaufen?« Joseph Mason, Finanzprofessor bei der Lousiana State University, setzt bei seiner Kritik allgemeiner an. Er hält die Bewertungsdebatte für ein Scheingefecht. »Es gibt bereits Preise für Portfolios, nur gefallen die der Wall Street nicht«, erklärt er. Sein Indiz: Die zusammengebrochenen Institute Indymac und Wachovia hätten ihre Wertpapierbestände sehr wohl verkauft – für rund 27 Prozent ihres ursprünglichen Wertes. »In Wirklichkeit geht es nur darum, wer den größten Teil der Verluste tragen muss«, sagt Mason. Vielleicht ist es also gut, dass Timothy Geithner sich noch Zeit nimmt, seine Pläne weiterzuentwickeln – und nur eine Reform umgehend durchgesetzt hat. Der Name des Hilfsprogramms für die Wall Street wurde geändert. Statt Tarp heißt es jetzt »Financial Stability Plan«.
Eine Bad Bank lehnt die Regierung ab – Privatinvestoren sollen es richten
Das schwarze Loch Fortsetzung von Seite 19
Fotos: Olivier Douliery/picture-slliance/dpa; Stephen Chernin/picture-alliance/dpa (u.)
Der Bank, die die Versicherungen kaufte, half die Garantie durch AIG, ihr Kreditengagement abzusichern. AIG würde im Gegensatz zu einer herkömmlichen Versicherung für die CDS keine Rückstellungen für den Ausfall des Kredits bilden müssen. Doch die Gebühren würden fließen. Bald entfernten sich die CDS von ihrer ursprünglichen Absicherungsfunktion und wurden zum beliebten Objekt für die Händler der Banken und die Milliardenjongleure der Hedgefonds, denn sie machten es möglich, auf die Kreditbewertung eines Unternehmens so zu spekulieren wie bis dahin nur mit Aktien. Doch es gab einen feinen Unterschied: CDS waren billig und beliebig vermehrbar. Es genügte, wenn zwei Vertragspartner sich fanden. Sie mussten noch nicht einmal im Besitz der Anleihe oder der Kredite sein, auf die ein CDS lautete. Dadurch explodierte das Marktvolumen und erreichte 2008 in der Spitze 62 Billionen Dollar – mehr als das vierfache Bruttoinlandsprodukt der USA. Bald kamen Investmentbanker von außen mit einer weiteren Anfrage. Könnte AIG nicht auch die Garantie für CDO übernehmen? Collateralized Debt Obligations waren der letzte Schrei im Finanzwesen: eine neuartige Verbriefung. Dabei wandeln die Banker Zahlungsströme aus Schulden – etwa Bündel aus Kreditkartenforderungen, Autokrediten, Flugzeugleasingverträgen oder Baudarlehen – in Wertpapiere um, die sie an Investoren weiterverkaufen. Wieder schien es nur Gewinner zu geben: Im Gegensatz zur klassischen Kreditvergabe verblieben die Darlehen bei der Verbriefung nicht in den Büchern der Bank. Deshalb mussten die Banken keine Reserven für Ausfälle bilden und kassierten doch lukrative Gebühren von Investoren für die neuartigen Wertpapiere. Die Geldgeber – Pensionskassen, Investmentfonds, Versicherungen, Stiftungen oder andere Banken – fanden sie ihrerseits attraktiv, weil sie höhere Renditen versprachen als Staatspapiere. Dass die Papiere von AIG garantiert wurden, wirkte wie ein Gütesiegel. Besonders beliebt war die Verbriefung von Immobilienkrediten. Die Wall Street konnte gar nicht genug bekommen. Deshalb lockerten Anbieter die Kreditvergabe – bis eine Spekulationsblase entstand, die historische Dimensionen erreichte. Praktisch alle größeren Finanzhäuser starteten eigene Abteilungen, meist mit jungen ehrgeizigen Mathematikern und Ingenieuren. Sie konnten frei walten, denn die eigenen Vorgesetzten verstanden die komplexen Transaktionen vielfach nicht. »Zum Teil waren die CDO so zusammengeschustert, dass Verluste unabwendbar waren«, behauptet Janet Tavakoli, eine Finanzexpertin aus Chicago. »Die Jungs produzierten wissentlich Giftmüll und suchten unwissende Abnehmer.« Der Konzern AIG panschte also von Anfang an in der toxischen Wall-Street-Buchstabensuppe aus CDS und CDO. Angetrieben wurde die Expansion von Joe Cassano, der die Leitung der hauseigenen
VON HEIKE BUCHTER
Viel Altes – und eine Neuigkeit: Geithner überraschte mit der Entscheidung, auf eine öffentliche Bad Bank zu verzichten, die den Banken ihre fragwürdigen Wertpapiere abnimmt. Stattdessen sollen private Anleger – Hedgefonds und Beteiligungsgesellschaften – maßgeblich an der Finanzierung eines »Public Private Fonds« beteiligt werden, der die Papiere aufkauft. Damit sollen die Kosten und Unwägbarkeiten für den Steuerzahler gering gehalten werden. Bis zu einer weiteren Billion Dollar soll für diesen Fonds indes bereitgestellt werden. Das Grundproblem ist bei all dem ungelöst: die Bewertung der Wertpapiere. Zahlt der Staat für sie einen zu hohen Preis, kann der Steuerzahler Hunderte von Milliarden Dollar verlieren. Bezahlt er zu wenig, müssen die Banken eine weitere Runde Abschreibungen vornehmen und verlieren weiteres Kapital – was genau das Gegenteil des erklärten Ziels wäre und sie noch länger von der Kreditvergabe abhalten würde.
arack Obama ist ein Mann der Tat, wie sein 800 Milliarden Dollar schweres Konjunkturpaket zeigt. Doch mindestens ebenso wichtig ist der Plan, mit dem er das Finanzsystem wieder ins Laufen bringen will, und die große Idee dahinter bleibt der Öffentlichkeit noch verborgen. »Ohne Kredite kann die Wirtschaft nicht wachsen, und unser Finanzsystem ist beschädigt«, mahnte Obamas Finanzminister Timothy Geithner zwar und nahm einen neuen Anlauf. Doch die erste Reaktion der Investoren Anfang dieser Woche war drastisch: Die Börsenkurse brachen ein, Experten zeigten sich enttäuscht. Die Erwartungen an Geithners Plan waren hoch gewesen, und dann stellte er am Dienstag nur eine Skizze vor. Die Botschaft: Alle bisher verfolgten Ideen sollen noch einmal mit mehr Geld ausprobiert werden. So will Geithner den Banken – wie von Anfang an geplant – eine Möglichkeit geben, ihre notleidenden Wertpapiere loszuwerden. Damit soll das Vertrauen von Investoren und anderen Banken in die Bilanzen wiederhergestellt werden. Auch der Ex-Finanzminister Henry Paulson hatte diesen Ansatz mit seinem ursprünglichen Rettungspaket von 700 Milliarden Dollar, dem Troubled Asset Relief Program, kurz Tarp, zunächst verfolgt, dann aber fallen lassen zugunsten von direkten Beteiligungen an den Banken. Die soll es unter Geithner weiter geben – mit der Vorgabe, dass die Banken einen Plan vorlegen müssen, wie sie das Geld der Steuerzahler als Kredit für Konsumenten und Unternehmen einsetzen wollen.
Auch Hausbesitzern, die ihre Kredite nicht mehr bedienen können, soll geholfen werden. Das war eine Hauptforderung der Demokraten an Geithners neues Finanzpaket. Doch dieser Punkt – Details sollen noch folgen – wirkt im Vergleich zu den anderen Teilen des Programms wie eine Fußnote. Ein Schwerpunkt von Geithners Plan ist der Versuch, den Markt für verbriefte Kredite mit dem Einsatz von bis zu einer Billion Dollar wiederzubeleben. Dabei können Kreditanbieter ihre Konsumentendarlehen, Autofinanzierungen oder Kreditkartenforderungen bei einer Zweckgesellschaft der Notenbank gegen amerikanische Staatspapiere eintauschen und diese dann für die weitere Kreditvergabe nutzen. Auch dieses Programm startete bereits Geithners Vorgänger gemeinsam mit Notenbankchef Ben Bernanke.
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FINANZMINISTER Tim Geithner hinter seinem Chef
Investmentbanker an sich gezogen hatte. Cassanos Führungsstil ähnelte dem Greenbergs – er wurde sogar eine Zeit lang als dessen Nachfolger gehandelt. Der Sohn eines New Yorker Polizisten galt als arrogant und clever, aber weniger vertraut mit den mathematischen Grundlagen der Hochfinanz als sein Vorgänger.
Der Konzern vertraute auf ein Computermodell mit Lücken Cassano verließ sich auf ein neues Instrument, um die Risiken der Verträge zu bewerten. Gary Gorton, ein Finanzprofessor an der Yale-Universität, hatte für AIG ein Computermodell erstellt, das anhand von historischen Kreditdaten die Wahrscheinlichkeit von Ausfällen errechnen sollte. Cassano fühlte sich so sicher, dass er noch im August 2007 erklärte: »Ohne kokett sein zu wollen, können wir kein Szenario erkennen, das in irgendeiner Form realistisch erscheint, bei dem wir auch nur einen Dollar verlieren.« Es schien, als hätte AIG eine Maschine zum Gelddrucken. Zwischen 1987 und 2005 warf die Operation fünf Milliarden Dollar Profit ab. Cassano verdiente dabei laut Kongress-Akten in nur acht Jahren rund 280 Millionen Dollar. Ein Risiko tauchte in Gortons Modellen und AIGs Radar jedoch nicht auf: Die Vertragspartner bei den Kreditversicherungen konnten neue Sicherheiten von AIG verlangen, falls der Wert der versicherten Kreditbündel fiel oder AIG selbst als weniger liquide eingestuft wurde. Das war die Sollbruchstelle im scheinbar sicheren System von AIG. Das Desaster begann mit dem Skandal um die Bilanzkosmetik mit der Rückversicherung Gen Re. Daraufhin stuften die RatingAgenturen AIG von der Bestmarke AAA auf AA
herunter. Es folgten die ersten Sicherheitsforderungen, und das Rechenwerk stimmte nicht mehr. Dann folgte der fatale Schlag, als im Sommer 2007 die Immobilienblase platzte. »Die Modelle der Statistiker hatten ein solches Krisenszenario, das alle 40 bis 50 Jahre vorkommt, schlicht nie in Betracht gezogen«, sagt Satyajit Das, ein einschlägiger Berater. Hausbesitzer setzten ihre Zahlungen aus, die Investoren misstrauten daraufhin den Hypothekenpapieren und damit auch den CDO, die sie beinhalteten – woraufhin die Vertragspartner der Kreditversicherungen höhere Sicherheiten in Milliardenhöhe forderten – bezahlbar in bar. Da niemand den Marktwert der notleidenden CDO bestimmen konnte, begann hinter den Kulissen ein hartes Tauziehen zwischen AIG und den Banken. Die Abwärtsspirale beschleunigte sich. Im November 2007 belief sich der Verlust in den Büchern von AIG Financial Products auf 352 Millionen Dollar. Im Dezember schätzte Greenbergs Nachfolger Martin Sullivan bereits einen Verlust von einer Milliarde Dollar aufgrund der CDS-Kontrakte. Im Februar 2008 meldete er 11 Milliarden. Cassano gab seinen Posten als Chef-Investmentbanker auf. Doch er blieb als Berater an Bord – gegen ein Honorar von einer Million Dollar monatlich und eine Abfindung von 34 Millionen Dollar. Erst im Oktober 2008 stellte er seine Tätigkeit für den Konzern ein. Ein wütender Kongressabgeordneter nannte Cassano, der mit seinem Team von einem Büro in London aus operierte – weit von der US-Aufsicht entfernt –, den »goldenen Jungen im Londoner Casino«. Als der AIG-Chef Sullivan bei der Anhörung im Kongress schließlich gefragt wurde, warum Cassano noch immer beschäftigt werde, erklärte er: »Wir wollen seine 20-jährige Erfahrung nicht missen.« Die Antwort bewies, wie wenig Einblick die Topmanager in die inneren Abläufe ihres Konzerns hatten.
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»Derivate sind wie die Hölle – man kommt leicht rein, aber schwer raus« Cassanos Nachfolger bei AIG Financial Products versucht nun verzweifelt, die Kreditversicherungen aufzulösen. Doch wie schwer das ist, beschreibt der Großinvestor Warren Buffett: »Derivate sind wie die Hölle – man kommt leicht rein, aber nur sehr schwer wieder raus.« Jeder Vertrag muss einzeln rückabgewickelt werden. Buffett ordnete schon im Jahr 2001 an, die Derivateabteilung der von ihm übernommenen Rückversicherung Gen Re aufzulösen. Fünf Jahre später waren die rund 20 000 Kontrakte im Nominalwert von rund einer Billion Dollar auf rund 3000 Kontrakte verringert. AIG hat noch heute zwischen 40 000 und 50 000 Kontrakte mit einem Nominalwert von 2,7 Billionen Dollar und mit mindestens 2000 Vertragspartnern in aller Welt. Die Gegenpartei ist oft nur bereit, die Kreditversicherung aufzulösen, wenn AIG eine angemessene Zahlung leistet und den Vertragspartner so für die Rücknahme des Risikos entschädigt. Vor allem dafür braucht AIG immer neues Geld, und genau das sollte bei deutschen Verantwortlichen Alarm auslösen: Solche Dinge geschehen, wenn ein Institut verstaatlicht wird, ohne Grundprobleme zu lösen. Angesichts der Milliardenhilfen könnte man sich die Frage stellen, ob eine Pleite billiger gewesen wäre. Doch das sollten gerade die Europäer nicht tun. Eine Fußnote im Jahresbericht 2007 lässt die Brisanz erkennen: Allein bei AIG stehen für hiesige Banken mehrere Hundert Milliarden auf dem Spiel. »Hauptsächlich europäische Banken« seien CDS-Kontrakte in Höhe von 379 Milliarden Dollar eingegangen. Ginge AIG doch noch pleite, dann »kann das eine weitere Runde Verluste für die europäischen Kreditinstitute bedeuten«, prognostiziert Chris Whalen von der New Yorker Firma Institutional Risk Analytics. Schon verdichten sich Gerüchte an der Wall Street, AIG brauche einen Nachschlag vom Staat. Das dürfte im Kongress extrem schwierig werden. DerivateExperte Satyajit Das sagt: »Das kann für die Europäer noch extrem hässlich werden.« i Weitere Informationen auf ZEIT ONLINE: www.zeit.de/finanzkrise
HINTER DIESER FASSADE in New York wurde kräftig gezockt
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Als die Verluste im vergangenen Juni 26 Milliarden Dollar überschritten, musste auch Sullivan gehen. Die Abschreibungen höhlten die Kapitalbasis aus; schließlich stuften die Rating-Agenturen AIG an jenem schicksalhaften 15. September ein weiteres Mal ab. Das löste neue Milliardenforderungen aus, die AIG überwältigten. Die Verstaatlichung ändert daran nichts. Die Vertragspartner, mehrheitlich Banken, die selbst unter Druck stehen, fordern weiteres Geld, und so ist ein Großteil des staatlichen Rettungspaketes für AIG inzwischen an sie geflossen. Nach Informationen des Wall Street Journal verlangten allein die Großbanken Goldman Sachs, Merrill Lynch, UBS und die Deutsche Bank rund 35 Milliarden Dollar.
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Schwedens Beschluss zur Kernkraft führt auf die falsche Fährte
Es ist ein bemerkenswerter Beschluss, den vergangene Woche die Vorsitzenden der vier Parteien, die Schwedens derzeitige Regierung bilden, zur Energie- und Klimapolitik gefasst haben. Das Bemerkenswerteste daran ist die Absicht, Schweden bis zum Jahr 2020 zur Hälfte mit Energie aus erneuerbaren Quellen zu versorgen. Fast ebenso bemerkenswert ist, dass die schwedische Regierung der deutschen nun nachzueifern gedenkt und sich ebenfalls zum Ziel setzt, die Treibhausgasemission bis zum Jahr 2020 um 40 Prozent zu reduzieren. Trotzdem wurde dieser Teil des Beschlusses in Deutschland so gut wie nicht zur Kenntnis genommen. Für Aufregung sorgte stattdessen die gleichzeitig von der schwedischen Regierung beschlossene Annullierung des Atomausstiegsgesetzes von Anfang der 1980er Jahre. Tatsächlich heißt es in dem erwähnten Beschluss, dass das Gesetz zum Ausstieg aus der Kernenergie aufgehoben und der Neubau von bis zu zehn Reaktoren als Ersatz für die existierenden zehn Meiler erlaubt werden soll. Dieser Beschluss mutierte hierzulande zu einem »Atom-Comeback« und zu der Nachricht, Stockholm wolle »neue Reaktoren bauen«. Dass die dortige Regierung die Haftung für die Betreiber von Atommeilern verschärfen will, Subventionen für neue Nuklearanlagen entschieden ablehnt und es deshalb Investoren nicht gerade einfach macht, fiel unter den Tisch – ebenso wie der Umstand, dass die Aufhebung des Verbots zum Bau von Kernkraftwerken erst noch vom schwedischen Reichstag beschlossen werden muss. Hauptsache, um die deutschen Atomaussteiger ist es wieder ein Stück einsamer geworden. An demselben Tag, an dem sich die Parteivorsitzenden der Allianz für Schweden auf ihren Energie- und Klimabeschluss einigten, tagte in Berlin das Deutsche Atomforum, ein Lobbyverband der Kernkraftbefürworter. Einer der geladenen Redner war Fatih Birol, der Chefökonom der Internationalen Energie Agentur (IEA) und beileibe kein Gegner der Kernenergie. Die versammelten Nuklearfans überraschte Birol allerdings mit der Botschaft, dass die von ihnen favorisierte Energieform die mit Abstand unwichtigste Technik bei der Bekämpfung der Erderwärmung ist. Den Stellenwert konnte Birol sogar beziffern: Nur neun Prozent der CO2-Emissionen, die bis zum Jahr 2030 vermieden werden müssen, soll die Erderwärmung zwei Grad nicht übersteigen, kann die vermehrte Nutzung der Kernenergie bringen; 54 Prozent müssen durch mehr Energieeffizienz erreicht werden, 23 Prozent durch mehr erneuerbare Energien und 14 Prozent durch CO2-Abscheidung bei der Kohlenutzung. Auch wenn jede einzelne der IEA-Ziffern im Detail womöglich angreifbar ist, zeigt doch die Größenordnung unmissverständlich, wo die Energiepolitik ihre Prioritäten zu setzen hat – und wo die Posterioritäten. Als wenn es diese Erkenntnis nicht gäbe, tobt allerdings hierzulande der Streit um den Wiedereinstieg in die Atomenergie. Die Herausforderungen, die unbedingt zu bewältigen sind, soll die Energieversorgung sicherer und klimaverträglicher werden, bleiben derweil unerledigt (Energieeffizienz) oder werden als Marotte weltfremder »Weltverbesserer« abgetan (erneuerbare Energiequellen). Tatsächlich ist es aber die Atomgemeinde, die mit ihrem Faible für das Irrelevante die Öffentlichkeit an der Nase herumführt. Das war bereits anlässlich der Lieferausfälle wegen des russisch-ukrainischen Gasstreits so (Lösung: Ausstieg aus dem Atomausstieg), es wiederholte sich beim schwedischen Energie- und Klimabeschluss, und der Reflex wird sich jederzeit erneut zeigen, wie unpassend auch immer die Gelegenheit sein mag. Auch das eingängige Argument, in Deutschland gehe es ja nicht um den Bau neuer Meiler, sondern nur darum, die bestehenden Reaktoren etwas länger am Netz zu halten, damit in Zukunft nicht größere Mengen der besonders klimaschädlichen Kohle verstromt werden müssen, zeugt vor allem von Ignoranz. Das Argument hat sich längst als falsch erwiesen, und zwar gutachterlich bestätigt durch Prognos und das Energiewirtschaftliche Institut der Kölner Uni. Setzt die Regierung ihre im Koalitionsvertrag vereinbarten Ziele einschließlich Atomausstieg um, sinken laut deren Expertise bis zum Jahr 2020 nicht nur die CO2Emissionen um fast 40 Prozent; obendrein sinken der Kohleverbrauch stark und der Erdgasverbrauch ein wenig. Dass diese Erkenntnisse beim Streit um die Energie der Zukunft kaum eine Rolle spielen, offenbart nicht nur das erbärmliche Niveau der bundesdeutschen Debatte. Es offenbart auch, dass die Fixierung auf die Atomfrage eine Verschwendung mentaler Energie ist. FRITZ VORHOLZ
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12. Februar 2009 DIE ZEIT Nr. 8
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»Mir sind Jobs in China ebenso wichtig« Fotos: Andy Ridder/VISUM; dpa (r.)
Wie viele ihrer 95 000 Mitarbeiter wird die BASF entlassen? Ein Gespräch mit ihrem Chef Jürgen Hambrecht über die Gewalt der Krise und mögliche Auswege
DIE ZEIT: Herr Hambrecht, im November hat die BASF wegen der Wirtschaftskrise gut ein Viertel der Chemieproduktion gestoppt. Vorübergehend, wie es hieß. Wie sieht es heute aus? JÜRGEN HAMBRECHT: Es kann sein, dass wir unsere Kapazitäten noch weiter reduzieren müssen. Die Elektronikbranche ist weltweit eingebrochen, und die Autoindustrie hat ihr Tal noch nicht erreicht. Wenn diese wichtigen Kunden plötzlich nur noch die Hälfte bestellen, gibt es wenig Alternativen. Momentan sieht es rabenschwarz aus, aber wir hoffen, dass sich die Lage stabilisiert, wenn die Kunden ihre Vorräte abgebaut haben. Auch aus Asien kann ein Schub kommen, wenn die Fabriken dort nach dem chinesischen Neujahrsfest wieder mit der Arbeit beginnen. ZEIT: Vor einem Jahr waren Sie ungleich optimistischer, obwohl die Probleme in der Finanzbranche damals schon bekannt waren. HAMBRECHT: Ich muss es zugeben: Das Ausmaß des Abschwungs hat auch mich überrascht. 1976, als ich bei der BASF anfing, war ein sogenanntes Krisenjahr. Auch danach haben wir einige Krisen durchgestanden: 1992 bis 1993 nach dem Abflauen des Wiedervereinigungsbooms, 1997 in Asien und 2001 nach den Anschlägen auf die USA. Aber dass die Probleme in Amerika, Asien und Europa synchron auftreten, habe ich in über 30 Jahren bei BASF nicht erlebt. ZEIT: Inzwischen denken Sie daran, Werke auf Dauer zu schließen, und Sie bauen Jobs in den USA und in Südkorea ab. Wie viele ihrer 95 000 Mitarbeiter werden Sie insgesamt entlassen? HAMBRECHT: Wir werden uns in Europa, Amerika und auch in Asien von weniger effizienten Anlagen trennen müssen. Unter normalen Umständen wären diese Betriebe im Lauf der Zeit durch Neuinvestitionen ersetzt worden. Jetzt machen wir manches früher zu als geplant. Wo und wie viele Jobs das kostet, kann ich nicht sagen, die Krise ist nicht zu Ende. Und weil unser Unternehmen global arbeitet, kann man leider nicht jeden, der an einer Stelle nicht mehr gebraucht wird, irgendwo anders auf der Welt einsetzen. ZEIT: In Deutschland gibt es das Instrument der Kurzarbeit für maximal 18 Monate. Reicht das, um Arbeitslosigkeit zu verhindern? HAMBRECHT: In der Chemie können wir dieses Instrument leider nur begrenzt einsetzen. In Betrieben, die nicht rund um die Uhr arbeiten und wo die Produktion täglich mehrfach angefahren wird, geht notfalls auch eine Viertagewoche. Ein Cracker aber … ZEIT: … also eine Anlage wie hier in Ludwigshafen, die Rohbenzin in seine Einzelteile zerlegt. HAMBRECHT: … so ein Cracker lässt sich nicht beliebig an- und ausschalten. Der muss sieben Tage die Woche laufen, 24 Stunden lang. Kurzarbeit ist da keine Option. Deshalb müssen wir dort vielleicht auch drastischere Maßnahmen ergreifen. ZEIT: Planen Sie, deutsche Jobs zu streichen? HAMBRECHT: Ich bin Chef eines transnationalen Unternehmens und trage Verantwortung für die gesamte Belegschaft: Unsere Mitarbeiter in China oder anderswo sind mir genauso wichtig wie die in Deutschland. ZEIT: In ihrem Werk Ludwigshafen, dem größten Chemiestandort der Welt, können Sie bis Ende 2010 niemanden entlassen. Bereuen Sie diese Zusage im Standortsicherungsvertrag? HAMBRECHT: Nein, ganz im Gegenteil. Auch eine solche Vereinbarung enthält Öffnungsklauseln für Notfälle. Und wenn die eintreten, setzt man sich zusammen und sucht mit Augenmaß nach gemeinsamen Lösungen. Der Dialog mit unseren Arbeitnehmern ist konstruktiv und nachhaltig. In Kürze reden wir über eine mögliche Folgevereinbarung. ZEIT: Eine Investition in die gute Laune Ihrer Leute? HAMBRECHT: Hier geht es nicht um gute Laune, sondern um ein gemeinsames Ziel, den Erfolg unseres Unternehmens. Und wenn wir eine neue Vereinbarung entwerfen, bilden wir alle Notwendigkeiten ab, die wir für die Zukunft sehen.
ZEIT: Worüber reden Sie: Vorruhestandsregelungen wie früher oder eine Arbeitszeitverkürzung, wie sie Bayer gerade umsetzt? HAMBRECHT: Für Details ist es noch zu früh. Aber wir sind stolz auf die Flexibilität und den Teamgeist unserer Mitarbeiter. In Ludwigshafen und Antwerpen wechseln derzeit Leute aus weniger ausgelasteten Betrieben in andere Betriebsteile, damit die Kollegen dort ihre Arbeitszeitkonten leeren können. ZEIT: Wie beurteilen Sie die Maßnahmen der Bundesregierung? HAMBRECHT: Das Konjunkturpaket war richtig. Wenn die Realwirtschaft vollends einzubrechen droht, muss man etwas tun. Ich finde es auch gut, dass die Regierung nicht gleich das gesamte Pulver verschossen hat, sondern abwartet, wie die Maßnahmen wirken. Hinterher kann man nachjustieren. Ich zum Beispiel würde mir mehr Unterstützung für die Forschung wünschen. ZEIT: Das wäre für Sie bares Geld wert. HAMBRECHT: Ich denke da vor allem an kleinere Betriebe, die oft an der Forschung sparen, wenn es knapp wird. Wenn man eine Steuergutschrift auf die gesamten Forschungsausgaben bekommen könnte, wäre das eine Hilfe. Das Gleiche gilt übrigens für Kreditzinsen. Die Zinsschranke, die den steuerlichen Abzug einschränkt, ist für viele zu einer riesigen Belastung geworden. ZEIT: Wäre es nicht besser, Sie würden auf die Ausschüttung einer Dividende verzichten, statt steuerliche Entlastungen zu verlangen? HAMBRECHT: Wir haben versprochen, auch in schwierigen Zeiten eine Dividende auf Vorjahresniveau zu zahlen. Daran halten wir uns. Schließlich haben die meisten Aktionäre schon einen enormen Wertverlust erlitten. ZEIT: Was macht Ihnen in der gegenwärtigen Krise am meisten Sorge? HAMBRECHT: Der aufkeimende Protektionismus. Die Krise hat gezeigt, wie sehr wir voneinander abhängen. Schauen Sie sich Asien an. Die meisten dachten, die Milliarden Menschen stabilisieren mit ihrer Nachfrage inzwischen diese Region. Doch als der Westen schwächelte, ging das Wachstum dort derart zurück, dass wir es auch hier wieder merken. Wenn sich immer mehr Länder abschotten, verstärkt das die Abwärtsspirale. Das darf nicht passieren. Schließlich sind wir in der Vergangenheit doch immer nur durch den Export aus der Rezession gekommen. ZEIT: Mit Zukäufen wollten Sie die BASF unabhängiger von der Konjunktur machen. Nun werden die teuren neuen Konzernteile in der Krise besonders stark getroffen. Ist Ihre Strategie gescheitert? HAMBRECHT: Überhaupt nicht. Die Chemie ist die Querschnittsindustrie schlechthin. Wir liefern in alle Branchen und spüren natürlich auch deren Ausschläge. Die BASF mit ihrer breiten Basis steht momentan besser da als andere in der Branche. ZEIT: Aber Bayer hat BASF längst an der Börse überholt. Inzwischen beträgt der Abstand beim Wert zehn Milliarden Euro. HAMBRECHT: Bayer hat vor allem Pharma, die deutlich weniger zyklisch ist. Das Bild sah auch schon umgekehrt aus. Wir haben unseren Ehrgeiz nicht verloren. ZEIT: Unglücklicherweise haben Sie vor wenigen Monaten auch noch Ciba gekauft. Das Schweizer Chemieunternehmen ist ein Sanierungsfall. HAMBRECHT: Falsch. Zwei der drei Geschäfte von Ciba sind exzellent: die Kunststoff-Additive und der Pigmentbereich. Die Papierchemie ist sowohl bei Ciba als auch bei uns problematisch. Wir führen sie zusammen, um sie nach einer harten Restrukturierung profitabel zu machen. ZEIT: Den Vertrag unterschrieben Sie ausgerechnet an dem Tag, als Lehman Brothers pleiteging. HAMBRECHT: (lacht) Das ahnten wir natürlich. ZEIT: Seither geht es mit der Weltwirtschaft steil bergab. Mit 3,8 Milliarden Euro war Ciba schon im September sehr teuer. Werden Sie den Kauf jetzt wenigstens nachverhandeln?
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HAMBRECHT: Der Deal ist zu diesen Konditionen abgeschlossen, und wir werden uns vertragskonform verhalten. ZEIT: Ihre Energietochter galt immer als Stütze des Geschäfts. Aber Risiken gibt es auch dort. Hatten Sie beim jüngsten Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine Angst, bald ohne Erdgas dazusitzen? HAMBRECHT: Nein. Unser Gas kommt zum größten Teil über Weißrussland, deutlich weniger über die Ukraine. Zusätzliche Sicherheit geben uns große Erdgasspeicher. ZEIT: Ihre russischen Geschäftsfreunde haben ein schlechtes Image. HAMBRECHT: Das ist mehr ein Problem der Wahrnehmung. Was Russland angeht, war die Darstellung des Konflikts dieses Mal in den Medien schon fairer. Und dass die Ukrainer Gas abzapfen, ist jetzt wohl allen deutlich geworden. ZEIT: Gleichwohl setzen die Russen ihre Rohstoffe als politisches Druckmittel ein. HAMBRECHT: Wir haben selbst in schwierigsten Zeiten immer Gas bekommen. Unser Verhältnis zu Gasprom ist ausgezeichnet, auch deshalb, weil unsere russischen Partner nahezu die Hälfte an der Vertriebsgesellschaft Wingas besitzen. Wir haben von Anfang an gemeinsam investiert, übrigens 1993 – auch in einer Rezession. Damals wurden
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die großen Pipelines gebaut, von denen wir heute profitieren. ZEIT: Auch das Geschäft mit der Landwirtschaft galt immer als krisenfest. Mit der Gentechnik laufen Sie aber weiter gegen Mauern. Bei der Zulassung der genmodifizierten Kartoffel Amflora sind Sie um ein weiteres Jahr zurückgeworfen worden. HAMBRECHT: Was da abläuft, ist höchst problematisch. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit hat Amflora schon zweimal freigegeben und ist dann von der Kommission ausgebremst worden – und das, obwohl wir auf dem Gebiet der gentechnisch veränderten Pflanzen nicht einen einzigen Hinweis auf Schäden für Mensch und Umwelt haben. Das hat gerade auch die deutsche Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard bestätigt. Die Amflora ist nun wirklich das Sicherste, was man machen kann. Kartoffeln vermehren sich nicht durch Pollen und fliegen auch nicht von allein durch die Luft. Wenn man dafür keine Freigabe kriegt, wofür dann? ZEIT: BASF hat Klage eingereicht. Wieso legt sich das größte Chemieunternehmen der Welt wegen einer Kartoffel mit der EU-Kommission an? HAMBRECHT: Letztlich geht es um die Frage: Wie ernähren wir eine Menschheit, die in den nächsten 30
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Die BASF wurde 1865 als Badische Anilinund Sodafabrik gegründet, um Textilfarben aus den Teerrückständen der Kohlevergasung zu gewinnen. Mit seinem künstlichen Indigo wurde das Unternehmen berühmt und galt schon im Jahr 1900 als die größte chemische Fabrik der Welt. Diesen Status verloren die Ludwigshafener durch die Teilnahme am IG-Farben-Kartell, das die Alliierten 1952 zerschlugen. Im Jahr 1999 eroberte die BASF den Platz an der Branchenspitze zurück. Aus dem ursprünglichen Geschäft hat sich das Unternehmen inzwischen komplett zurückgezogen. Dafür fertigt es heute Kunststoffe, Pflanzenschutzmittel sowie Vorprodukte für die Ernährungs-, Hygiene- und Kosmetikindustrie. Selbst Öl und Gas sind im Konzernangebot. Der Aus- und Umbau der vergangenen Jahre trägt die Handschrift von Jürgen Hambrecht, 62. Der Chemiker aus Schwaben startete seine Karriere bei der BASF 1976. Zuerst entwickelte er Dämmstoffe. Dann übernahm er eine Abteilung in der Farbsparte. Später ging er nach Hongkong, von wo aus er das China-Geschäft des Konzerns vergrößerte. Schließlich rückte er in den Vorstand auf, den er seit dem Jahr 2003 leitet. HOF
Jahren auf neun Milliarden anwächst? Da spielt die grüne Biotechnologie eine ganz wichtige Rolle. ZEIT: Amflora ist aber nicht zum Verzehr bestimmt. Es geht um industrielle Stärke-Gewinnung. HAMBRECHT: Stimmt. Für uns ist Amflora aber auch ein Türöffner in Sachen Gentechnik. Was wir uns in Europa da leisten, ist in meinen Augen absolut grenzwertig. ZEIT: Wie meinen Sie das? HAMBRECHT: Uns in Europa geht es gut. Nahrungsknappheit spielt bei uns zurzeit so gut wie keine Rolle. Rund um den Globus aber sterben laut Weltgesundheitsorganisation täglich 20 000 Menschen an Unterernährung. Mir scheint, der Respekt vor den Armen dieser Welt geht verloren. ZEIT: Sie glauben also, die Gentechnik könne das Hungerproblem lösen? HAMBRECHT: Auch deshalb, weil Wasser eine immer knappere Ressource wird. 70 Prozent des Wassers wird heute für die Landwirtschaft gebraucht. Deshalb müssen wir Pflanzen entwickeln, die auf trockenen Böden wachsen können und einen höheren Ertrag bringen. Allein mit herkömmlicher Züchtung schaffen wir das nicht. DAS GESPRÄCH FÜHRTEN JUTTA HOFFRITZ UND
RÜDIGER JUNGBLUTH
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Foto [M]: Maurizio Gambarini/dpa
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ÖKONOM
Ungleicher Lohn für gleiche Arbeit Bei den öffentlichen Arbeitgebern gibt es deutliche Gehaltsunterschiede; Summen in Euro
Überschrift 30 pt
Länder
Kommunen/Bund
Unterzeilen 10,5/14 auch bei kleinen Stücken und Kommentaren Unterzeilen Straßenwärter
1740,00 Anfangsgehalt 1842,05 2030,00 nach 3 Jahren 2140,93 2250,00 Endstufe nach 16 Jahren 2368,81 1905,00 Anfangsgehalt
Krankenschwestern
2103,75 2195,00 nach 3 Jahren 2310,51 2610,00 Endstufe nach 16 Jahren 2624,43 ZEIT-Grafik/Quelle: ver.di
FÜR MEHR GELD demonstrieren in Hamburg Polizeibeamte
Staatsdiener zweiter Klasse Die Beschäftigten der Länder wollen dasselbe verdienen wie ihre Kollegen bei den Kommunen. Ein Streik träfe Schüler, Kranke und Autofahrer
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er Dienstag vergangener Woche war ein schöner Tag für Arne. Kein Mathe, kein Englisch, keine Klausur: Der 17-jährige Gymnasiast hatte unverhofft schulfrei. Seine Lehrer in Taucha bei Leipzig streikten. Weil Sachsens Pädagogen Angestellte sind und nicht Beamte, konnten sie ihren Gehaltsforderungen so Nachdruck verleihen. Allerdings hatten sie die Eltern vorgewarnt. Und für Kinder, die nicht zu Hause bleiben konnten, gab es eine Betreuung in der Schule. »Das hat gut funktioniert«, sagt Arnes Mutter Gisela Grüneisen, Vorsitzende des sächsischen Landeselternrats. Sie hat Verständnis für die Warnstreiks der Lehrer. Am kommenden Wochenende verhandeln Arbeitgeber und Arbeitnehmer zum dritten Mal über die Bezahlung der Angestellten bei den Bundesländern.
Falls sie sich nicht einigen, könnten aus den Warnstreiks dauerhafte Streiks werden – und Arne hätte häufiger frei, als ihm mit Blick aufs Abitur lieb ist. Die Gewerkschaften fordern acht Prozent mehr Lohn binnen zwei Jahren. Genau das haben der Bund und die Kommunen ihren Angestellten schon vergangenes Jahr zugestanden. Die Mitarbeiter der Bundesländer, für die getrennt verhandelt wird, wollen nun ihren kommunalen Kollegen gleichgestellt werden. Das würde für dieses Jahr gut fünf Prozent mehr bedeuten. »Unser primäres Ziel ist, dass wir bei der Bezahlung wieder Anschluss an die Kommunen bekommen«, sagt der ver.di-Verhandlungsführer Achim Meerkamp. Eine Krankenschwester leiste ja dieselbe Arbeit, egal, ob sie in einem städtischen Krankenhaus oder einer Uni-Klinik des Landes beschäftigt sei.
Die Vertreter der Länder finden die Forderung indiskutabel. Aus ihrer Sicht war der kommunale Abschluss viel zu hoch. Bislang haben sie den Gewerkschaften noch kein Angebot vorgelegt. Doch das wird sich jetzt ändern. »Ich setze im Vorfeld keine Zahl in die Welt. Das tue ich erst am Wochenende, wenn ich mit den Gewerkschaften an einem Tisch sitze«, sagt der niedersächsische Finanzminister Hartmut Möllring, der die Arbeitgeber vertritt. Und: »Wenn wir uns auf eine Summe einigen, die in diesen Zeiten machbar ist, werden wir die Verhandlungen am Wochenende abschließen. Andernfalls müssen wir uns noch ein viertes Mal treffen.« Die Gewerkschaften hingegen drohen mit Streik, wenn es nicht endlich zu einem Abschluss kommt. Und erinnern an die letzten Verhandlungen mit
VON ULRIKE MEYER-TIMPE
den Ländern, die 2006 von einem 14-wöchigen Ausstand begleitet waren. Für Andreas Tecklenburg wäre es ein Albtraum, wenn sich das wiederholen würde. Als Vizepräsident der Medizinischen Hochschule Hannover ist er dort für die Krankenversorgung zuständig. Den Warnstreik in der vergangenen Woche fand er »wenig aufregend«, die ausgefallenen Operationen waren schnell nachgeholt. Einen wochenlangen Streik wie 2006 hingegen, als täglich verzweifelte Briefe von vertrösteten Kranken eingingen, möchte er nicht noch mal erleben. »Das war richtig schlimm«, sagt er. »Und auch innerhalb der Klinik ist viel Porzellan zerbrochen. Es hat lange gedauert, das zu kitten.« So hofft er auf eine schnelle Einigung, zumal ihm die bessere Bezahlung bei den kommunalen Häusern zu schaffen macht. Er erhält inzwischen »deutlich weniger« Bewerbungen – ein Problem besonders im hoch qualifizierten Bereich der Intensivpflege. Und vereinzelt sind schon Schwestern aus finanziellen Gründen an Hannovers städtische Kliniken gewechselt. »Wir haben da einen Wettbewerbsnachteil«, sagt Tecklenburg. »Es ist langfristig ganz wichtig, wieder gleich zu bezahlen.« Gut 700 000 Angestellte sind bei den Ländern beschäftigt. Hinzu kommen 1,25 Millionen Beamte, insbesondere Lehrer und Polizisten. Sie erhalten üblicherweise dieselbe Gehaltserhöhung, die für die Angestellten der Länder ausgehandelt wurde. Deshalb geht es bei den jetzigen Verhandlungen um mehr Geld für rund zwei Millionen Mitarbeiter. Streiken wie ihre angestellten Kollegen dürfen die Beamten nicht, stattdessen nehmen sie sich einen Tag Urlaub und beteiligen sie sich an den Demonstrationen. »Die Landesmitarbeiter haben seit Mai 2004 einen Reallohnverlust von 7,9 Prozent hinnehmen müssen«, sagt Frank Stöhr vom Deutschen Beamtenbund (dbb). »Sie haben heute weniger Geld im Portemonnaie als damals.« Und das, obwohl sich die Arbeit enorm verdichtet habe, weil die öffentliche Hand massiv Stellen strich. Auch in Niedersachsen, wo Hartmut Möllring Finanzminister ist, herrscht seit 2003 Einstellungsstopp. Früher haben ver.di und dbb getrennt mit den öffentlichen Arbeitgebern verhandelt. Jetzt sitzen sie gemeinsam am Verhandlungstisch, und auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft sowie die Gewerkschaft der Polizei sind dort vertreten. »Das stärkt die gewerkschaftliche Gruppe, wir haben doch ohnehin das gleiche Ziel«, sagt Stöhr. Die Arbeitgeber könnten nun die einzelnen Gewerkschaf-
ten nicht mehr gegeneinander ausspielen. Nur der Marburger Bund, der die Krankenhausärzte vertritt, blieb außen vor. Er fordert neun Prozent mehr Gehalt und startet jetzt separate Streiks. Am 18. Februar wird er sich mit dem Ländervertreter treffen. Möllring: »Er bekommt von mir ein Angebot, das wortgleich mit dem ver.di-Angebot übereinstimmen wird. Wir können an den Uni-Kliniken nicht nach verschiedenen Tarifen zahlen.« Bei den Verhandlungen mit den Kommunen hatte sich das Gewerkschaftsbündnis erstmals bewährt. Allerdings ging es im Frühjahr 2008 mit der Wirtschaft noch aufwärts, die Steuereinnahmen der öffentlichen Arbeitgeber stiegen. Jetzt herrscht Krisenstimmung. »Ich glaube nicht, dass nun alles total zusammenbricht«, sagt Möllring. »Aber wir dürfen jetzt nicht das Geld rausschmeißen.« Selbst vier Prozent Gehaltserhöhung für dieses Jahr seien »unbezahlbar«. Immerhin machen die Gehälter weit über 40 Prozent seines gesamten Landesetats aus. Einerseits schnellt nun die Staatsverschuldung in die Höhe, und für höhere Löhne im öffentlichen Dienst bleibt weniger Raum. Andererseits bietet die Krise auch Argumente für kräftige Erhöhungen. »Alle führenden Wirtschaftsforscher erklären, dass man jetzt die Nachfrage stärken muss«, sagt Frank Stöhr. Bei den niedrigen Einkommen der Krankenschwestern oder Straßenwärter werde die Erhöhung direkt in den Konsum fließen und somit die Konjunktur stützen. Anders ausgedrückt: Die Gehaltserhöhung ihrer Mitarbeiter könnte die öffentliche Hand auch als Konjunkturpaket verbuchen. Stöhr: »Jetzt werden Hunderte Milliarden bereitgestellt und überall Schutzschirme aufgespannt. Nur bei den Kollegen soll gespart werden – um Konjunkturpakete für andere zu bezahlen.« Dennoch ist Stöhr »verhalten optimistisch«, dass man sich am Wochenende einigen kann. Dann würde sich ein Ausstand wie 2006 erübrigen. Auch die Gewerkschafter wissen, dass Streiks im öffentlichen Dienst schwerer zu vermitteln sind, wenn ringsum Tausende arbeitslos werden. Ein Warnstreik von Lehrern mag noch auf Verständnis stoßen, dauerhafte Streiks aber kaum. Die sächsische Elternvertreterin Grüneisen jedenfalls wäre trotz allem Verständnis heilfroh, wenn sich die Tarifpartner am Wochenende einigten – und der Unterricht auch für ihren Sohn Arne dann gesichert ist. i Weitere Informationen auf ZEIT ONLINE: www.zeit.de/arbeit
ÖKONOM
Der Fluch des Exporterfolgs Die Krise zeigt: Die deutsche Wirtschaft braucht ein neues Geschäftsmodell
Die Deutschen können noch einmal auf den Titel des Exportweltmeisters hoffen. Wie in den Jahren zuvor hat Deutschland 2008 wohl mehr Waren ausgeführt als jedes andere Land der Welt. Zeigt das, wie stark die deutsche Wirtschaft ist? Aus Sicht der Politik ist das so. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht ein Berliner Koalitionär erklärt, die Unternehmen seien im Grunde »gut aufgestellt« und die Wirtschaft eigentlich in bester Verfassung. Wenn die Krise vorbei sei, würde sie ihre Kräfte in gewohnter Manier ausspielen. Man kann es aber auch ganz anders sehen. Deutschland lebt wie kaum ein anderes Land davon, dass andere Staaten seine Waren kaufen. 2007 machten die Güterexporte 40 Prozent der Wirtschaftsleistung aus, in Frankreich waren es 23 Prozent, in den USA nur 9 Prozent. Selbst das wegen seiner aggressiven Handelspolitik oft kritisierte China hat mit einem Exportanteil von 36 Prozent eine ausgeglichenere Wirtschaft. Die Politik hat die Entstehung dieser Ungleichgewichte befördert. Sie hat die Arbeitnehmer aufgefordert, Maß zu halten, um die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Und sie hat wenig getan, um die heimische Nachfrage anzukurbeln. Die Verherrlichung des Exports hat eine lange Tradition in Deutschland. Ihre Wurzeln liegen im Merkantilismus, einer im 16. Jahrhundert entstandenen Denkschule der Ökonomie, die es zum wirtschaftspolitischen Ziel erklärte, die Ausfuhren zu steigern.
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Die merkantilistische Strategie hatte ihre Vorteile. Hiesige Firmen gewannen Marktanteile, sie stellten neue Leute ein. Das Problem dabei: Die Welt insgesamt kann nichts exportieren. Wenn ein Land mehr ausführt, als es einführt, dann muss ein anderes Land zwingend mehr einkaufen, als es verkauft. Das Modell Deutschland funktioniert nur, wenn andere Staaten bereit sind, über ihre Verhältnisse zu leben. So gesehen, war die deutsche Wirtschaft auf die Exzesse in Ländern wie den USA angewiesen. Die Amerikaner nahmen ja vor allem deshalb immer neue Kredite auf, weil sie sich Waren – gerade auch aus dem Ausland – kaufen wollten. Eine Lehre aus der Krise ist aber, dass das auf die Dauer nicht gut geht. Viele Amerikaner sind überschuldet. Sie werden wahrscheinlich noch für einige Jahre kürzertreten müssen – und damit verliert die deutsche Wirtschaft einen wichtigen Teil ihrer Absatzmärkte. Der Absturz ist dramatisch: Die Auftragseingänge aus dem Ausland lagen im Dezember 31,7 Prozent unter dem Vorjahreswert. Gerade weil Deutschland so abhängig ist vom Export, dürfte die Krise das Land weitaus härter treffen als andere Staaten. Die Europäische Kommission sagt einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um 2,3 Prozent in diesem Jahr voraus – damit ist Deutschland an vorletzter Stelle in der EU und rangiert sogar noch hinter Krisenländern wie Spanien. Womöglich ist die deutsche Wirtschaftsweise genauso überholt wie die amerikanische. MARK SCHIERITZ
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Schaefflers Hilferuf Sie waren ausgezogen, um einen neuen deutschen Zulieferergiganten zu schmieden. Maria-Elisabeth Schaeffler und ihr Sohn Georg, noch Alleineigentümer der Herzogenauracher Schaeffler Gruppe, Weltmarktführer bei Wälzlagern und Präzisionsmechanik, wollten durch die trickreich eingefädelte Übernahme der dreimal größeren Continental AG (Hannover) mit ihrer starken Elektroniksparte die Zukunft ihres Familienkonzerns sichern. Beide Konzerne galten – vor der Finanz- und Konjunkturkrise – als ertragsstark. Ein Bankenkonsortium stellte für den Deal zwölf Milliarden Euro Kredit zur Verfügung. Jetzt sind die gekauften Conti-Aktien nur noch einen Bruchteil der Kreditsumme wert. Die Hannoveraner drücken selbst ähnlich hohe Schulden aus der Übernahme von Siemens VDO. Und durch die weltweite Autoabsatzkrise schmelzen Umsatz und Gewinne in Hannover und Herzogenaurach. In höchster Not hat Frau Schaeffler den Staat um »zeitlich begrenzte Unterstützung« gebeten, sie ist sogar bereit, Anteile am angestammten Unternehmen abzugeben. Würde man den Schaefflers über die schwierigen Jahre 2009/10 hinweghelfen, könnten die Unternehmen dank ihrer technologischen Kompetenz zu alter Ertragsstärke zurückfinden und von 2011 an ihren Schuldenberg dezimieren, glaubt etwa der Branchenexperte Ferdinand Dudenhöffer. Die Schaefflers wollen kurzfristig ein »tragfähiges Konzept« vorlegen. Das fordert auch die IG Metall, die um Arbeitsplätze fürchtet. Nun kommt es auf die Banken und die Politik an. Erstere stecken mittlerweile meist selbst tief in der Bredouille, bei Letzteren ist ein Engagement angesichts der Vorgeschichte des riskanten Deals heftig umstritten. Helfen Berlin und betroffene Länder wie Bayern oder Niedersachsen nicht, ist die Zerschlagung der Unternehmen wahrscheinlich. Es sei denn, das jüngste Gerücht stimmt, und ein Staatsfonds aus dem Morgenland springt den Schaefflers bei. Ansonsten hat die Familie mit ihrem öffentlichen Hilferuf am Wochenende und dem Verweis auf 80 000 Mitarbeiter in Deutschland ihre letzte Trumpfkarte ausgespielt. DHL
Goliath bangt um David
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enn Thomas Handtmann, Chef der Albert Handtmann Holding in Biberach, durch das Metallgusswerk des Oberschwäbischen Familienkonzerns geht, kann er schnell erkennen, wie die Geschäfte bei seinen Kunden aus der deutschen Automobilindustrie laufen: 700 Grad heißes Aluminium dampft im Kessel der Anlage, in der die Ölwanne des neuen Vierzylinder-Diesels für Hersteller A gegossen, abgekühlt und entgratet wird. In der nächsten Anlage, die normalerweise die Ölwannen für die Sechszylindermotoren für Hersteller B ausspuckt, ist der Ofen kalt. »Der Kunde hat keine Ware abgerufen«, sagt der Unternehmer – dies komme in diesen Tagen häufiger vor. Die Autoabsatzkrise ist in der schwäbischen Provinz angekommen. Das Metallgusswerk musste für einen Teil seiner rund 1000 Mitarbeiter Kurzarbeit anmelden. Entspannung ist nicht in Sicht: Im Januar brach die deutsche Autoproduktion um 34 Prozent ein. Und ein Auto, das nicht gebaut wird, braucht auch keine Ölwanne, keinen Kühler, keine Einspritzanlage und keine Radlager. Das solide finanzierte Biberacher Familienunternehmen will die Krise aus eigener Kraft bewältigen, aber anderswo brennt es lichterloh. Etliche Betriebe haben schon Konkurs angemeldet. Und der zweitgrößte deutsche Zulieferer Conti/Schaeffler mit zusammen fast 220 000 Beschäftigten ruft in seiner Not schon um Staatshilfe (siehe Kasten). Er wird nicht der letzte sein.
75 Prozent der Wertschöpfung eines Autos übernehmen Zulieferer Denn wie der Biberacher Alugießer oder Conti/ Schaeffler hängen alle Autozulieferer der sogenannten ersten Reihe (»Tier-1«) wie Bosch, ZF oder Behr direkt an der Produktion von Audi, BMW, Daimler, VW & Co. Umgekehrt können diese ohne deren Teile kein Auto bauen. 75 Prozent der Wertschöpfung eines hierzulande hergestellten Fahrzeugs tragen die Zulieferer bei, sagt der Verband der Automobilindustrie (VDA). Die rund 1300 Betriebe beschäftigen 330 000 Menschen. Mit den vorgelagerten Industrien hängen laut VDA, »über eine Million Arbeitsplätze von den Zulieferern ab«. Für die Boschs oder ZFs produzieren nämlich wiederum viele – oft hoch spezialisierte – Unterlieferanten, die ihrerseits wieder beliefert werden. Diese mehrstufige Zulieferpyramide ist hochsensibel: Fällt auch nur ein Betrieb aus, kann das die gesamte Lieferantenkette ins Stocken bringen. Denn seit Beginn der neunziger Jahre hat sich in der Autoindustrie die kurzfristige Lieferung direkt ans Band (just in time) durchgesetzt. Die kapitalintensive Lagerhaltung von Teilen wurde durchgehend abgeschafft. Plant ein Autobauer ein neues Modell oder einen neuen Motor, schließt er frühzeitig mit seinen Zulieferern Entwicklungs- und Lieferverträge ab. So ein Rahmenvertrag läuft meist über die gesamte Lebensdauer eines Automodells (fünf bis sieben Jahre), damit die Teilefertiger ihre Kapazitäten entsprechend einrichten können. Die konkrete Stückzahl wird dann in regelmäßigen Abständen justiert – früher alle paar Monate, in der Krise oft in Wochenfrist. Kein Hersteller kann es sich leisten, Halden unverkaufter Neuwagen aufzubauen. Entsprechend schnell und hart wird auch bei den Zulieferern auf die Bremse getreten. Auch bei der – oft mehrjährigen – Entwicklung neuer Komponenten sind die Zulieferer unentbehrlich. Kommt es infolge der Krise hier zu Verzögerungen, könnte dies auch die Einführung neuer spritsparender Modelle gefährden. Zu den rund 19 Milliarden Euro an Aufwendungen für Forschung und Entwicklung (F&E) der Autobranche im Jahr 2008 – ein Drittel der gesamtwirtschaflichen F&EAufwendungen – trugen die Zulieferer überproportional bei. Während die Autokonzerne 3 bis 5 Prozent des Umsatzes in die Entwicklung investierten, kämen ihre Lieferanten im Schnitt auf 7 bis 8 Prozent, sagt Branchenexperte Ferdinand Dudenhöffer von der Universität Duisburg-Essen. Technische Innovationen wie der Schleuderverhinderer ESP, der Spurwechsel- oder Bremsassistent, die effiziente Direkteinspritzung bei Diesel- und Benzinmotoren oder das Nachtsichtradar, mit denen sich die deutschen Premiumhersteller Mercedes, BMW, Audi oder Porsche immer wieder einen technischen Vorsprung und damit ihr hochwertiges Image sicherten, wären ohne die Ingenieure von Bosch, Conti & Co nicht denkbar gewesen. Kein deutsches Unternehmen meldet mehr Erfindungen an als Bosch, der weltgrößte Autozulieferer überhaupt: zuletzt 15 Patente – pro Arbeitstag. »Ein Großteil der technischen Neuerungen, die wir in deutschen Premiumautomobilen finden, ist durch Zulieferer entstanden«, bestätigt Gregor Matthies, Partner und Automobilexperte
der Beratungsgesellschaft Bain & Company in München, »der Erfolg der deutschen Hersteller basiert sehr stark auf der Innovationskraft der Zulieferer.« In vielen Segmenten sind deutsche Teilebauer Marktführer bei Qualität und/oder Volumen. Unternehmen wie Mahle (Kolben), Behr (Kühler, Klimaanlagen), Brose (Sitzverstellungen, Fensterheber), Vibracoustic (Motorlager), Freudenberg (Dichtungen) oder ZF (Getriebe, Lenkungen) geben in ihren Segmenten international den Takt vor. Manche hätten es mit ihrem speziellen Know-how sogar auf ein Quasimonopol mit 70 bis 80 Prozent Weltmarktanteil gebracht, sagt Bain-Experte Matthies. Ein Beispiel dafür ist der Rückspiegelhersteller Visicorp, hervorgegangen aus dem schwäbischen Mittelständler Schefenacker. Als das Unternehmen aufgrund der Absatzkrise gerade wieder in Schwierigkeiten geriet, musste nicht nur Mercedes fürchten, seine Modellpalette ohne Rückblick ausliefern zu müssen. Ein indischer Investor scheint dem Spiegelspezialisten jetzt aus der Finanzklemme zu helfen. In den vergangenen Monaten habe die Autoindustrie durch ihr Entgegenkommen die Firma bereits gestützt, ließ die Visicorp-Führung verlauten. Solch unauffällige Hilfe habe es seit Jahren immer wieder gegeben, heißt es unisono aus den Konzernzentralen in Wolfsburg, Stuttgart oder München. Vehement setzen sich Autobosse wie VW-Chef Martin Winterkorn oder sein DaimlerKollege Dieter Zetsche dafür ein, dass die Banken die Zulieferbranche nicht in die Kreditklemme laufen lassen. Doch alle Versuche der Branche, einen eigenen Rettungsfonds für ihre treuen Lieferanten aufzulegen, scheiterten bislang kläglich. Alle bedrohten Lieferanten aus eigener Kraft zu retten würde sie überfordern, sagen die Autokonzerne. Der weltweite Absatzeinbruch macht ihnen selbst zu schaffen. Für 2008 hat der VW-Konzern noch einen Rekordabschluss vorgelegt, für das erste Quartal 2009 konnte Finanzchef Hans Dieter Pötsch den Rutsch in die roten Zahlen nicht mehr ausschließen. Das dürfte für die anderen Hersteller ganz ähnlich aussehen. So sind die ersten Zulieferer wie der Bremsbelaghersteller TMD Friction oder Edscha (Türscharniere, Klappdächer) schon in die Insolvenz geschlittert. Auffällig daran: Fast alle Pleitefirmen waren zuletzt in der Hand von Finanzinvestoren. Vor allem die zu geringe Eigenkapitalquote sei angesichts des abrupten und tiefen Einbruchs der Nachfrage das Problem bei vielen kleinen und mittleren Betrieben, sagt Berater Matthies. Daran tragen freilich die Hersteller eine Mitschuld: Die Rahmenverträge sehen nämlich jährliche Preissenkungen von drei Prozent und mehr vor. Bei jeder Sparrunde pressen die Autokonzerne den Lieferanten neue Preiszugeständnisse ab.
Foto: Bernd Euler/VISUM
Die deutschen Autokonzerne brauchen ihre Zulieferer. Ohne deren Innovationen wären sie nur noch halb so gut VON DIETMAR H. LAMPARTER
CONTI-AUTOREIFEN als
Sinnbild für das Netzwerk der Autofirmen
Bei Hightech findet sich auf die Schnelle kein Ersatzlieferant Einen ausgefallenen Lieferanten zu ersetzen ist heikel. Zwar lässt sich bei Standardprodukten wie Batterien, Reifen oder Ölfiltern schnell eine Alternative finden. Bei vielen aufwendig entwickelten Hightechsystemen ist das aber kurzfristig unmöglich. Und wenn ein Unternehmen erst einmal in die Insolvenz gerutscht ist, bestehen nicht nur die Unterlieferanten auf Vorkasse. Bei der Vergabe von neuen Entwicklungsprojekten könnten die betroffenen Betriebe leicht leer ausgehen, warnt Experte Dudenhöffer. Gemeinsame Entwicklungsprojekte, etwa bei ultrasparsamen kleinen Motoren, sind auch der Grund, weshalb VW-Chef Martin Winterkorn auf eine Lösung der Probleme bei Conti setzt – obwohl er offiziell keine staatliche Rettung fordern mag. Berater Matthies hält »persönlich« nichts von politischer Einmischung, auch wenn das eine oder andere Unternehmen in der jetzigen Form die Krise nicht überlebe. Die Konsolidierung müsse die Branche selbst übernehmen, und für »technologisch und qualitativ hochwertige Produkte« fänden sich auch neue Investoren. Wohl denen also, die auch im Boom vorsichtig gewirtschaftet haben. Bei Handtmann etwa hat die Familie durch eine hohe Eigenkapitalquote und Diversifizierung in andere Industriezweige vorgesorgt. Eine ähnliche Strategie fuhr Bosch. Konzernchef Franz Fehrenbach ist da ganz klar: »Der Staat kann und darf kein Reparaturbetrieb werden, da dies den Wettbewerb verzerren und gesunde Unternehmen benachteiligen würde.« Weitere Informationen auf ZEIT ONLINE: www.zeit.de/wirtschaft/autokrise a www.zeit.de/audio
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Fotos v.o.: Bruno D‹Amicis (2); Svane Bender-Kaphengst/NABU
Der edle Wilde Wie ein findiger Kaffeehändler aus Freiburg armen Bauern in Äthiopien hilft, die Natur zu schützen – und dabei Geld verdient VON CHRISTIANE GREFE LEUCHTEND ROT sind die wilden Arabica-Bohnen im Wald von Kaffa
F
arn, Smaragd, Pistazie, Jade, so viele Grüntöne an einem Ort! Vor fast schwarzgrünen Wänden aus Urwaldriesen, Schlingund Aufsetzerpflanzen leuchten die Farben umso intensiver, wenn nach dem Regen ein paar Sonnenstrahlen durch das hohe Dach der Baumkronen dringen. Im Bergnebelwald der äthiopischen Provinz Kaffa glaubt man die Grünschattierungen sogar zu riechen zwischen Düften von Honig und feuchtem Lehm. Da raschelt das Blattwerk: Ein scheuer Mantelaffe schwingt sich von Wipfel zu Wipfel und lässt seinen Umhang aus weißen Haaren fliegen. Bleibt neben einem Artgenossen hocken und beäugt von oben herab neugierig die Eindringlinge – wie diese ihn. Unten sind auf schmalem Pfad einige Bauern aus dem Dorf Uffa auf dem Weg zu ihren Urwaldschätzen. Begleitet werden sie von Entwicklungsexperten und Naturschützern, weit gereist, die eine außergewöhnliche deutsch-äthiopische Zusammenarbeit voranbringen wollen. In ihrem Mittelpunkt stehen der 53-jährige Florian Hammerstein, ein Unternehmer aus Freiburg, und seine Firma Original Food. Seit einigen Jahren bemüht er sich in den Wäldern von Kaffa, eine dauerhafte Balance zu finden auf der »immer dünner werdenden Linie zwischen Wandel und Zerstörung«, wie der mitgereiste Naturschützer und Äthiopienexperte Michael Succow sagt. Succow ist Landschaftsökologe an der Universität Greifswald und Träger des Alternativen Nobelpreises. Und wie er erleben kann, sind Hammerstein und seine Mitstreiter schon weit gekommen: Es ist ihnen gelungen, ein Geschäft aufzubauen und dabei 6600 äthiopische Bauern mit ihren meist sehr großen Familien einem harten, dem schieren Überleben gewidmeten Einzelkampf zu entreißen. Der abgelegenen Region Kaffa haben sie zu einer besseren wirtschaftlichen Perspektive verholfen. Und zu der Hoffnung, dass auch der Urwald zu retten sei.
BOHNENLESE nach dem Regen
KAFFEETRÄGER auf dem Weg ins Dorf
40 Prozent des Landes waren mit Wald bedeckt, heute sind es drei Prozent
DER ÖKOLOGE Michael Succow in Kaffa
PROJEKTLEITER Mesfin Tekele aus Bonga
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Nil
SAUDI- AR ABIEN
SOMALIA
ERITREA
JEMEN
ÄTHIOPIEN DSCHIBUTI
Addis Abeba
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KENIA
250 km
»Kaffas Wälder bluten!« Mesfin Tekeles Warnung könnte in kaum größerem Widerspruch zur Opulenz der Sinnesreize stehen. Der Forstwirt lehnt sich an einen bemoosten Stamm und zieht eine bittere Bilanz: Allein zwischen 1980 und 2000 seien 43 Prozent des dichten Grüns gerodet worden. »Seither hat sich die Zerstörung im Bonga Forest eher noch beschleunigt«, ergänzt Svane Bender-Kaphengst vom Naturschutzbund Nabu. Und dieser Wald ist einer der letzten Äthiopiens: Noch in den siebziger Jahren lagen 40 Prozent des Landes unter einer dichten Vegetationsdecke – übrig sind keine drei Prozent mehr. Sirenenhaft sirren die Zikaden, ein Hornvogelpaar schreit. Dabei ist der Dschungel von Kaffa nicht nur seiner Schönheit und der Mannigfaltigkeit seiner 244 Pflanzen- und 294 Tierarten wegen so kostbar, wegen der nur hier vorkommenden Blumen und Heilgewächse, wegen der Käfer, Schmetterlinge, Vögel, Flusspferde, Antilopen; selbst von einzelnen Leoparden und Löwen wird er, erzählen die Bauern respektvoll, dann und wann noch durchstreift. Die Wälder sind auch eine existenzielle Ressource für alles Leben, alles Wirtschaften in der Region: Über den ewigen Kreislauf aus Wasserspeicherung und Verdunstung kühlen sie das lokale Klima. Sie speisen die fruchtbaren Äcker des südwestlichen Hochlandes mit Feuchtigkeit und nähren aus den Mooren und Feuchtgebieten in ihrer Tiefe den Gojeb-Fluss, der in die afrikanische Lebensader Omo mündet. Zu schweigen davon, wie viel Kohlenstoff die üppige Pflanzenwelt bindet. Wie kann, daran arbeiten Unternehmen, Entwicklungshelfer und Biologen, diese Wildnis erhalten werden? Vor allem: Wie verbessert man gleichzeitig die Lage der Bauern? Denn auch ihrer Armut wegen setzt sich der Raubbau an den verbliebenen rund 340 000 Hektar teils noch unberührten Waldes fort. Mit krummem Rücken schleppen die Frauen wahre Holzgebirge als Brennstoff und Baumaterial die Staubstraßen entlang. Ihre Familien werden größer und roden mächtige Urwaldriesen, um kultivierbares Land zu gewinnen.
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Selbst an erdrutschgefährdeten Steilhängen kümmern zwischen den Baumriesenstümpfen Mais- und Hirsepflanzen, die auch Zuwanderer aus Äthiopiens vertrocknendem Norden angebaut haben. Überdies wollen Investoren Plantagen anlegen, um die Ernte später zu exportieren. Oft werden sie dabei von der Regierung in der Hauptstadt Addis Abeba gefördert, die Devisen in erster Linie aus der Agrarproduktion ziehen kann.
2008 bekamen die Kaffeesammler das Doppelte des Weltmarktpreises Die Chance auf Wandel ohne Zerstörung bietet nun ein Strauch, dessen rostrote Kirschen im Dickicht des Urwalds ins Auge stechen: Coffea arabica, die edelste Kaffeeart, mit der jeden Tag Millionen Menschen weltweit ihren Tag beginnen. Ihren Ursprung hat sie genau hier: im Bergnebelwald von Kaffa. Im Schatten seiner grünen Schirme gedeiht die lichtscheue Pflanze in schier grenzenloser Vielfalt; auf zierlichen Büschen und manchmal über hundertjährigen, als heilig verehrten Stämmen bringt sie immer neue Erscheinungsformen, Widerstandsfähigkeiten, Geschmacksnoten hervor. Es ist Kaffee in seiner Urform. Seit einigen Jahren werden diese wilden Bohnen nun von Hammerstein mit wachsendem Erfolg vermarktet. Und damit zugleich noch ganz andere Dinge belegt: zum Beispiel, dass es Formen des Kapitalismus gibt, die den menschlichen Eigennutz mit dem Respekt für Gemeinschaftsgüter versöhnen; auch, dass ein Unternehmer sehr viel mehr Ziele befördern kann als nur sein eigenes Profitinteresse. Hammerstein arbeitete zuletzt als Marketingberater in der Lebensmittelbranche. Dann gründete er mit Partnern Original Food. Heute importiert er vor allem den Wildkaffee aus Äthiopien – neben nachhaltig erzeugtem Tee aus Nepal und Kakao aus Ecuador. Gerade mal zehn feste Mitarbeiter hat sein Kontor in Freiburg; vier Röster und Lagerhalter sind Auftragnehmer. Rund 145 Tonnen Wildkaffee kauft das »Sozialunternehmen« in dieser Saison in Kaffa auf. Damit sollen drei Viertel des Umsatzes von rund zwei Millionen Euro erwirtschaftet werden. Je nach Bezugsquelle sind die Verbraucher bereit, für 250 Gramm zwischen 6,95 Euro und 9,50 Euro für den – zertifizierten – ökologischen und sozialen Mehrwert des Kaffees auszugeben. Rund die Hälfte dieser Summe bleibe im Handel, sagt Florian Hammerstein. Zum hohen Preis trage auch eine Veredelungsmethode bei, die aufwendiger und teurer sei als die für Industriekaffee. Beziehen kann man den Wildkaffee über das Internet und in bisher 400 Bio-, Dritte-Welt- und Delikatessläden. Zu den Abnehmern gehören auch einige Großkunden und Edelgastronomen wie das 3-Sterne-Restaurant Schwarzwaldstube in Baiersbronn. Den Kaffeesammlern in Bonga brachte ihre rote Bohne im Jahr 2007 rund 60 Prozent mehr als den Weltmarktpreis und im vergangenen Jahr das Doppelte. Von Anfang an, sagt Florian Hammerstein, sei es ihm nicht allein um das Geschäft mit der Mischung aus Genuss und reinem Gewissen gegangen. »Ich wollte den Kleinbauern einen Weg in die positiven Dimensionen der Globalisierung ebnen«, sagt er, »damit sie deren negativen Wirkungen nicht mehr mittellos ausgeliefert sind.« Den ersten Anstoß bekam der Diplomkaufmann im Jahr 2001 von einem anderen Pionier: Reiner Klingholz, damals Geschäftsführer des Vereins Geo schützt den Regenwald, hatte es bei einer Afrikareise in Kaffas Verwaltungsstädtchen Bonga verschlagen, und immer wieder luden ihn die Bauern dort zur traditionellen Kaffeezeremonie ein. Auf niedrigen Dreibeinern hockt man dabei um ein Stövchen aus Gusseisen, der Brandgeruch der glühenden Holzkohle verflüchtigt sich im Weihrauchduft. Darüber rösten Frauen die Bohnen frisch in der Pfanne. Dann werden sie mit dem Mörser zerstampft, heiß überbrüht, in Schalen aus Bambus gegossen, und schließlich genießt man den Kaffee gewürzt mit Kardamom aus Kaffas Wäldern. Klingholz, der nicht nur Waldschützer ist, sondern auch Gourmet, war begeistert: Welch ein Geschmack!
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Dieser unverzüchtete, in der Sonne getrocknete Kaffee hatte wenig Säure und einen besonderen Reichtum an Aromen; intensiv fruchtig und süßlich. Umso erstaunlicher, dass die armen Farmer ihn allenfalls lokal verkauften. Doch auf den Weltmärkten gab es in jenen Jahren ein immenses Überangebot, und die Preise lagen tief. Da lohnte sich für die »Kaffechos«, wie sich die Nachfahren eines alten Königreiches nennen, weder der Anbau noch die Ernte im Wald. So kam die Idee auf: Wenn man den Bauern den doppelten Weltmarktpreis dafür bezahlte, dass sie den Urkaffee pflücken, dachte Klingholz; wenn man ihnen überdies die Abnahme ihrer Ernte garantierte, dann würden sie nicht nur besser verdienen, sondern zugleich ein größeres Interesse am Waldschutz entwickeln. Denn dann würde der Dschungel nicht mehr durch Raubbau zur Einkommensquelle, sondern durch langfristige Nutzung. Die Logik lag auf der Hand, doch wer sollte die neue Wertschöpfungskette bis nach Europa Glied für Glied schmieden? Zu Beginn des Jahrtausends war fairer Handel noch auf wenige Dritte-Welt-LadenGetreue beschränkt und eine Vielfalt der Kaffeesorten wie heute bei Alnatura oder Starbucks unbekannt. In Kaffa selbst gab es zudem nur Staubstraßen und weder Transportmittel noch Lagerhäuser, ja nicht mal Säcke. Als wenig hilfreich erwiesen sich die Experten des Massengeschäfts, denen Klingholz eine Probe des Waldkaffees unter die Nase hielt. Die Geschmackstester von Tchibo zum Beispiel waren zwar hingerissen. Aber dann schickten sie ihre Gewährsleute nach Bonga, um sich die hochwertigen Bohnen, die sie selbst in ihrer Welt aus internationalen Börsengeschäften und Billigmischungen nie entdeckt hatten, im Vorgriff zu sichern. Schon für die Schiffscontainer erwies sich die Menge des Wildkaffees jedoch als zu gering. Und den Bauern mehr zahlen? Anders Florian Hammerstein. Der sagte am Telefon sofort: »Das mach ich!« Dass da ein paar Deutsche für den Waldkaffee etwas bieten wollten, sprach sich in Kaffa schnell herum. Doch als die Bauern 2002 die ersten Zentner mit dem Esel zur Sammelstelle nach Bonga brachten, zeigten sich dem unbekümmert risikofreudigen Unternehmer und dem Regenwaldschützer weitere Hindernisse: Reife und noch ganz grüne, erstklassige und von Feuchtigkeit angeschimmelte Bohnen waren miteinander vermischt »wie ein französischer Premier Grand Cru Classé mit algerischem Landwein«, erinnern sich Klingholz und Hammerstein. Um Zeit bei der mühsamen Pflückerei an verstreuten Bäumchen zu sparen, hatten die Sammler alle Früchte gleichzeitig von den Sträuchern gezupft.
Sobald es regnet, eilen die Frauen herbei, um die Bohnen abzudecken Es dauerte eine Saison lang, bis zunächst 400 Bauern gelernt hatten, den europäischen Qualitätsansprüchen an ein Produkt für Feinschmecker gerecht zu werden. Nur die reifen roten Kirschen dürfen sie ernten. Überall sieht man den Kaffee jetzt auf Gerüsten statt am Boden in der Sonne trocknen, und sobald es regnet, eilen die Frauen aus ihren runden Hütten, um ihn mit einer Plane abzudecken. Ein geliehener Lkw der lokalen Regierung konnte schließlich im Juni 2003 die ersten Säcke mit Waldkaffee nach Addis Abeba bringen. Über Dschibuti reist er seither in langsam wachsenden Mengen nach Europa. Damit möglichst wenig gestritten und die Natur geschont wird, haben die Bauern Waldnutzer-Organisationen gegründet. Auch die Sammler in Uffa legen für ein abgestecktes Gebiet und meist auf der Grundlage traditioneller Übereinkünfte gemeinsam Rechte, Regeln und einen Managementplan fest, erzählt ihr Dorfvorsteher Asafa Wolde Sanbet. Reich wird zwar auch heute noch keiner. Wolde Sanbet lebt mit seiner Frau und fünf Kindern weiter von seinen Tieren, vom Brot aus einheimischem TeffGetreide oder der Enset-Banane, von Hülsenfrüchten. 4,5 Hektar Land bestellt er mit Ochsen und Hakenpflug, ein hartes Joch. So war es schon immer für den hochgewachsenen Mann mit den feinen Gesichts-
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zügen, und wenn man ihn fragt, ob er lieber etwas anderes machen würde, dann schüttelt er stolz den Kopf: »Sagen Sie doch nicht so was.« Aber er sagt auch: »Ich sehe eine hellere Zukunft vor uns liegen, seit wir ein Zusatzeinkommen haben.« Die Erfüllung seines Traumes von modernen Ackermaschinen rücke in greifbare Nähe; vielleicht auch der von einer eigenen Mühle im Dorf. Schon jetzt sei das Leben besser: »Wir haben mehr Sicherheit, dass es für unsere Kinder genug zu essen gibt. Wir können uns stabilere Häuser und genug Kleider leisten.« Früher hätten die Leute auch deshalb kaum Kaffee vermarktet, sagt der Dorfvorsteher, weil Zwischenhändler ihre Not mit willkürlichen Preisen ausnutzten; »dann hat man sie nie wieder gesehen«. Beim Direktverkauf an den Importeur indes bekämen die Subsistenzbauern nicht nur den besseren Preis: »Es gibt auch Dividenden!«
Was heißt überhaupt »wilder Kaffee« oder »Waldkaffee«? Dafür sorgt die Kaffa Forest Coffee Farmers Cooperative Union, zu der sich 25 lokale Genossenschaften zusammengeschlossen haben. Sie zahlt eine Ausschüttung, wenn sie den Kaffee gut absetzen konnte. Das gelingt immer besser; der weltweite SpezialitätenHype führt dazu, dass sich in der Region neue Abnehmer tummeln. Hitzig wird schon debattiert, welche Ware überhaupt »wild« oder »Waldkaffee« genannt werden darf. Denn die Leute in Kaffa kultivieren Pflanzen aus dem Wald auch in ihrem Garten oder lassen ihre Landsorten auf geschlagenen Lichtungen wachsen. Der Wettbewerb jedenfalls blüht, mit dem Florian Hammerstein den Bauern den Rücken stärken wollte, und der Importeur hat darin nun selbst zu bestehen: Dieses Jahr musste er sein Angebot an die Kooperative um einige Cent pro Kilo erhöhen, um den Zuschlag für die Ware zu bekommen. Auch deshalb wird Original Food vermutlich erst im Jahr 2009 in die Gewinnzone kommen. Aber dank Anteilseignern wie dem engagierten Hamburger Unternehmensberater Hans Hermann Münchmeyer hatte die Firma einen langen finanziellen Atem. Zur Wahrheit über Original Food gehört auch, dass ein so kleines Unternehmen die Aufbauarbeit in Kaffa allein nicht hätte stemmen können. Vor allem in die Kooperativen, den Aufbau ihrer Verwaltung und die Schulung der Bauern flossen insgesamt 1,5 Millionen Euro an Geld- und Sachleistungen durch Unterstützung der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ). Zu dem Helfer-Konsortium gehören außerdem Geo schützt den Regenwald, der Nahrungskonzern Kraft Jacobs und der Naturschutzbund Nabu. Die Stiftung Weltbevölkerung versucht derweil, mit Projekten zur Familienplanung zum Waldschutz beizutragen; man kooperiert überdies mit der Welternährungsorganisation FAO. Gemeinsam schufen die Beteiligten die Voraussetzung dafür, dass die Kaffeebauern ein vermarktbares Produkt anbieten können – und Pflanzen und Tiere eine Überlebenschance haben. Bisher hat die GTZ die Koordination in Bonga übernommen, die übrigen Partner sorgen sich jedoch, dass sie aussteigt. Denn die GTZ will nach eigenen Angaben eher Anstoßgeber sein als Dauerpartner. Dabei könnte der waldschützende Kaffeehandel in einer nächsten Ausbaustufe noch weitere Kreise ziehen: Ein Biosphärenreservat nach Regeln der Unesco soll in Kaffa entstehen und dem Raubbau am Urwald noch wirksamer vorbeugen. Dabei werden zwar bestimmte Zonen – wie es die Organisation für den Schutz des Weltkulturerbes verlangt – ganz für tabu erklärt. Aber andere Teile des Reservates könnten die Bewohner auch noch für sanften Tourismus erschließen. Letztlich, so die optimistische Prognose Florian Hammersteins, könnten fünfmal so viele Bauernfamilien am Edelkaffee verdienen wie heute. Die Naturschützer werden nur darauf achten müssen, dass der Erfolg nicht paradoxerweise neuen Raubbau begründet. i Weitere Informationen auf ZEIT ONLINE: www.zeit.de/afrika
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12. Februar 2009 DIE ZEIT Nr. 8
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IMMOBILIEN Viel Licht ins Dunkel bringen Dachfenster. »Ein Dachschrägenfenster lässt gut doppelt so viel Tageslicht durch wie ein gleich großes Fassadenfenster«, sagt Thomas Greiser von Velux. Dabei gilt es, die optimale sogenannte Tageslichtversorgung zu beachten. Auch hier gibt es Vorschriften: Je nach Bundesland muss die Mindestfensterfläche in einem Verhält-
Wohnen unterm Dach: Lebensqualität auf höchstem Niveau Die Nutzung des Dachbodens als Extra-Wohnraum ist populär wie nie. Mit der richtigen Planung entsteht nicht nur ein Zugewinn an Platz, sondern auch an häuslicher Lebensqualität. Und Fördermittel machen den Ausbau jetzt noch attraktiver. Es ist ein Bild, das jeder kennt: Mit Schreibfeder im Mund kauert »Der arme Poet« in seinem kalten Dachkämmerlein. Ein Regenschirm schützt ihn vorm hereintropfenden Regen, und zum Heizen muss der Dichter seine Manuskripte verbrennen. So elend wie auf Carl Spitzwegs berühmtem Gemälde aus dem Jahr 1839 geht es in deutschen Dachstuben zum Glück schon lange nicht mehr zu. »Wo sich früher Abstellräume und Trockenböden befanden, liegen heute manchmal die begehrtesten Wohnräume des Hauses«, sagt der auf Dachausbauten spezialisierte Architekt und Autor Johannes Kottjé. Nicht nur die Möglichkeit, relativ kostengünstig zusätzliche Wohnfläche zu erschließen, macht den obersten Bereich des Hauses so beliebt. Nach einer aktuellen Studie des Dachfens-
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terherstellers Velux halten 96 Prozent der Bundesbürger Wohnräume unterm Dach für etwas ganz Besonderes. Wer sich zur Umgestaltung bislang ungenutzter Dachböden entschließt, muss
Nicht jedes Dach ist zum Ausbau geeignet zunächst entscheiden, wofür die Platzreserve genutzt werden soll. Liegt die Neigung des Daches unter 20 Grad, ist der Raum nicht zum Wohnen geeignet. Ein Ausbau lohnt erst bei einer Neigung von 35 bis 55 Grad. Oft sind Mindestmaße von Amts wegen vorgeschrieben: Die meisten Bauordnungen verlangen, dass die Hälfte der Grundfläche über eine lichte Raumhöhe von mindestens 2,20 bis 2,40 Metern verfügt. Grundsätzlich sind bei der zuständigen Baubehörde drei Dinge zu klären:
1. Lässt die Bausubstanz einen Ausbau überhaupt zu? 2. Wie sind die baurechtlichen Bestimmungen? 3. Ist eine Baugenehmigung erforderlich? Der Einbau einer Gaube etwa bedarf einer bauamtlichen Zustimmung. Da Baurecht Ländersache ist, unterscheiden sich die Anforderungen regional. Bund, Länder und Gemeinden sowie Energieversorger unterstützen den Dachausbau mit Fördermitteln, wenn damit Verbesserungen in der Wärmedämmung einhergehen. Einen Überblick gibt die Fördermittel-Datenbank unter www.dach. de. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) etwa bietet für Dämmungen zinsgünstige Finanzierungen an. Eine gute Isolierung mit Dämmstoffen wie Stein- oder Glaswolle sorgt zu jeder Jahreszeit für ein angenehmes Raumklima und reduziert
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pro Quadratmeter Wohnfläche einzukalkulieren«, erklärt der Hamburger Architekt Rainer Thiemann. Bis zu 1.200 Euro der Arbeitskosten können beim Finanzamt geltend gemacht werden. Für Fenstereinbau und Wärmedämmung ist der Dachdecker zuständig, für Treppe und Innenausbau der Tischler. Reduzieren lassen sich die Ausgaben durch Eigenleistungen beim Fliesen, Tapezieren und Streichen.
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nis von 1/10 bis 1/8 zur Grundfläche des Raumes stehen. Wie viele und welche natürliche Lichtquellen es sein sollen, hängt letztlich von der Raumnutzung und vom persönlichen Geschmack ab. »Der Ausblickkomfort ist ein häufig unterschätzter Wohlfühlfaktor«, so Greiser. Um diesen auch im Sitzen zu gewährleisten, sollte die Fensterunterkante bei etwa 90 cm liegen. Ein Standarddachfenster ist ab zirka 150 Euro zu haben. Eingefasste Gauben schaffen mehr Stehhöhe und geben dem Dach auch äußerlich ein individuelles Gesicht. Sie kosten ab ca. 3.000 Euro. Das Bild von der ungemütlichen Dachkammer, in der ein »armer Poet« sein Dasein fristet, gehört heute jedenfalls ganz klar der Vergangenheit an. Eine Veröffentlichung der Anzeigenabteilung
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Hochmut kam vor dem Fall
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s war wie ein Wirtschaftsmärchen, das sogar nüchterne Analysten poetisch werden ließ: Als »Regenbogen im Sturm« wurde Russland noch im April vergangenen Jahres auf dem Londoner Wirtschaftsforum gepriesen. Doch der Boom, der dem Land sein Selbstbewusstsein wiedergab, führte erst zu Hochmut und Arroganz – und jetzt zum Fall. »Die Glamour-Periode ist vorbei«, sagte Vizepremier Igor Schuwalow vergangene Woche auf einer Investorenkonferenz in Moskau. Vertagt sind die Blütenträume, eines der Weltfinanzzentren zu werden. Vergessen ist Wladimir Putins ehrgeiziges Ziel, das Bruttoinlandsprodukt bis 2013 zu verdoppeln. Als Präsident versprach Putin noch die allumfassende Konkurrenzfähigkeit bei Waren, Dienstleistungen und Technologien – und beschwor die Kraft der »Privatinitiative«. Heute wächst die Nervosität. »Russlands Wirtschaft«, resümiert das Institut für Moderne Entwicklung (Insor) in Moskau (Insor), »erlebt offensichtlich ihre erste Marktkrise.« Putins Vize und Hauptkrisenmanager Igor Schuwalow fuhr einen Fragesteller zum möglichen weiteren Rubelverfall gegenüber dem Dollar grob an: »Man sagt viel, auch dass man Hühner melken kann.« Und der Sprecher des Chabarowsker Regionalparlaments wurde von seiner Partei Einiges Russland, der Putin-Partei, aus dem Amt gedrängt, weil er in einem Brief an den Premierminister die Erhöhung der Energietarife kritisiert hatte. Weil sie um die Loyalität des Volkes fürchtet, ist in Moskaus Führung Einheit gefragt. »Es gab in Russland einen Pakt zwischen den Menschen und der Regierung«, sagt Michail Deljagin, Direktor des Instituts für Globalisierungsfragen. »Die Gesellschaft hat gesagt: Ihr könnt Wahlen fälschen und im Fernsehen lügen, solange der Lebensstandard wächst. Putin konnte das dank der Öldollar bedienen.« Die Krise, so scheint es, hat den Pakt zerrissen. Aber Umfragen zeigen, dass sich die Gesellschaft dieser Erkenntnis bislang mit einem Restbestand an Hoffnung verweigerte. Wie lange das so bleibt, ist ungewiss. Das Wirtschaftswachstum für 2008 klingt noch tröstlich: 5,6 Prozent. Aber der Blick auf das Jahresende offenbart ein düsteres Bild. Die Industrieproduktion ging im Dezember um 10,3 Prozent zurück. Der Gütertransport mit der Eisenbahn fiel um gut ein Fünftel. Erstmals in zehn Jahren rutschte der Staatshaushalt ins Minus. Der Rubel hat in den vergangenen sechs Monaten gegenüber dem Dollar 35 Prozent seines Wertes verloren, und eine leichte Rezession gehört mittlerweile zu den optimistischen Szenarien für dieses Jahr. Das sind nicht die einzigen Hiobsbotschaften: Rusal, die Firma des reichsten Russen, Oleg Deripaska, kürzt die Aluminiumproduktion um elf Prozent und plant Entlassungen. Die Preise für Medikamente – ein Drittel der Arzneimittel kommt aus dem Ausland – könnten wegen des schwachen Rubels bis zum Ende des Jahres um mehr als 20 Prozent steigen. In St. Petersburg wurde der Bau eines neuen Zoos, der U-Bahn, von Kindergärten und Krankenhäusern gestoppt. Das alles sind, glaubt man Kritikern wie Deljagin, der zu Spott neigt und vor Weihnachten die Grußbotschaft »Merry Crisis« verschickte, nur die Vorboten der Krise. Ein Minus von fünf Prozent beim Wachstum, ein Produktionsrückgang um 20 Prozent und eine Inflation von bis zu 30 Prozent gelten als möglich. In den Köpfen der Minister aber, fürchtet der Ökonom Jewgenij Gontmacher, stecke noch ein behäbiges Gedankenmuster: »Zwei Quartale wird es schwierig, dann geht es wieder aufwärts.«
Schon jetzt hat das Land ein Drittel seiner Devisenreserven verbraucht Nach acht Jahren des »KohlenwasserstoffGlücks« glaubten viele in Russland, dass der Ölpreis ewig steige. Die Abhängigkeit von der globalen Wirtschaft wurde noch bis September 2008 unterschätzt. »Der größte Fehler war, dass wir nicht damit gerechnet haben, dass die Finanzkrise zum Abschwung führen kann«, sagt Ruslan Grinberg, Direktor am Wirtschaftsinstitut der Akademie der Wissenschaften. Den tiefen Fall der Börsenkurse verfolgten viele mit Schadenfreude gegenüber den Millionären – in einem Land, in dem nicht einmal jeder Hundertste Aktien besitzt. Erst Ende Oktober schwand die Überzeugung, die Krise sei mit etwas Geldausgeben zu beheben. Zu schnell schmolzen die drittgrößten Devisenreserven der Welt dahin. Seit Krisenbeginn hat Russland ein Drittel dieser Reserven ausgegeben, um den Rubel, die Banken und Privatfirmen zu stützen. Allein Rusal erhielt 4,5 Milliarden Dollar. Die Begehrlichkeiten wachsen. Die Auslandsschulden russischer Unternehmen belaufen sich in diesem Jahr nach Schätzungen auf 120 bis 140 Milliarden Dollar – das entspricht fast den Reserven der Zentralbank. Der Armee, Gasprom und der Eisenbahn ist Regierungshilfe zugesagt. Der Chef von Lukoil, der zweitgrößten Ölfirma im Lande, hat vorsichtshalber für die Branche Steuererleichterungen in Höhe von zehn Milliarden Dollar angemahnt, um den Produktionsrückgang des vergangenen Jahres ausgleichen zu können. Dabei droht schon jetzt ein Haushaltsdefizit von 100 Milliarden Dollar. Im Herbst
VON JOHANNES VOSWINKEL
hatte der Finanzminister verkündet, die Devisenreserven reichten noch für sieben Jahre. Ende November korrigierte er das auf drei Jahre. Gemäß dem schlechtesten Szenario des Wirtschaftsforschers Deljagin könnten sie binnen Jahresfrist erschöpft sein. Jetzt rächt sich die wirtschaftspolitische Untätigkeit in den vergangenen Jahren. »Die Zeit für die Schaffung neuer Institute und Entwicklungsinstrumente, für die Stärkung nationaler Banken und des Marktes für Firmenanleihen wurde insgesamt vertan«, resümiert das InsorInstitut. Die nötige Reform des russischen Bankensystems, das in 1200 Institute zersplittert ist, kam kaum voran. Die Börse wiederum hat sich nie zu einem Kapitalumschlagplatz nach westlicher Vorstellung entwickelt. »Unser Aktienmarkt ist klein und hängt zu drei Vierteln von Ausländern ab«, sagt Grinberg. »Sie haben ihr Geld abgezogen, und die Börse ist zusammengebrochen. Wenn man sie schlösse, würde es niemand merken.«
bar. »In Ländern wie Russland oder Haiti wird die Politik nur in den Hauptstädten gemacht«, sagt Deljagin. »Auch wenn in Moskau ein Viertel der Menschen ihren Job verlieren, hier finden sie eine neue Arbeit.« Moskau bleibt ein Sonderfall und verzeichnete im Dezember sogar noch ein Plus bei den Unternehmenssteuereinnahmen, während sie im Landesschnitt um gut 50 Prozent fielen. Ob die russische Politik die Krise als Chance zur Strukturreform nutzt, bleibt fraglich. Auf einen positiven Effekt für die einheimische Wirtschaft durch die Rubelabwertung wie nach der Finanzkrise 1998 kann sie kaum hoffen. Im Gegensatz zu damals fehlt es an unausgelasteten Produktionsanlagen, die in kurzer Zeit und zu moderaten Kosten in Betrieb genommen werden können, an Unternehmergeist und an Fachkräften. Die Masse der Ingenieure, die in den neunziger Jahren in den Handel, den Servicesektor oder in Immobilienfirmen wechselten, ist für eine Rückkehr in die Industrie verloren. »Heute muss alles von null an aufgebaut werden«, sagt Grinberg. »Aber es gibt keine Schlosser, Schweißer, Dreher, sondern Broker und Finanzfachleute. Das System der Berufsausbildung ist sehr schlecht. Die spontane Koordinierung in der Wirtschaft nach dem Prinzip ›Kaufe und verkaufe‹ und ›Rette sich, wer kann‹ hat zu einem anarchofeudalen System geführt. Es zählt nur das schnelle Geld.« Grinberg legt dennoch Wert auf Optimismus – freilich gepaart mit einem Schuss Sarkasmus. »Die Krise öffnet uns ein Fenster der Möglichkeiten«, sagt der Institutsdirektor. »Früher hatten wir eine falsche Rhetorik und eine falsche Politik. Heute stimmt immerhin die Rhetorik.«
Statt an der Wirtschaft feilte der Kreml an Hierarchie und Kontrolle Der Kreml feilte lieber an Hierarchie und Kontrollsystemen. »Putins Abschaffung der Gouverneurswahlen, die Zerstörung der unabhängigen Richterschaft und der unabhängigen Medien und die Schaffung der Staatskorporationen, die außerhalb des Rechts agieren, erhöhen vielleicht das Wachstumstempo«, erklärt Konstantin Sonin, Professor an der Moskauer New Economic School. »Aber sie verstärken zugleich das Risiko eines tiefen Absturzes in Zeiten wirtschaftlicher Abschwächung.« Russland produzierte während der vergangenen Jahre weniger Wohlstand, als es genoss. Der Importboom betraf vor allem Konsumgüter. Hohe Inflation und Lohnsteigerungen um fast 30 Prozent in den vergangenen zwei Jahren machten zugleich die heimische Warenproduktion wenig einträglich. Hinzu kommt noch eine gewisse Trägheit. Deutsche Unternehmer in Moskau sind jedenfalls erstaunt über das geringe Interesse der russischen Partner, zu lernen und Technik weiterzuentwickeln. »Was man als Technologie braucht, kauft man«, erzählt einer der Unternehmer. »Aber man versucht erst gar nicht, es zu verstehen.« Die Eindämmung der oligarchischen Wirtschaftsstrukturen unter Putin hat nicht zu einer offeneren Wirtschaft geführt. Auch staatlichen Unternehmen kommt es vor allem auf Größe an. Jetzt führt die Krise zu weiterer Nationalisierung, indem der Staat zusätzliche Anteile verschuldeter Firmen kauft. »Anfang 2008 konzentrierten sich nicht weniger als 40 bis 45 Prozent der Aktien russischer Firmen beim Staat«, resümiert das Insor-Institut. »Nach Expertenschätzung kann dieser Anteil durch das Antikrisenprogramm noch um neun bis zehn Prozent steigen.« Dabei fallen die unter Putin gebildeten Staatskorporationen dem Haushalt schon jetzt zur Last. So bittet beispielsweise der Technikgigant Rostechnologii des Putin-Vertrauten Sergej Tschemesow nach Zeitungsberichten um Geld und Staatsgarantien in Höhe von 7,22 Milliarden Dollar. In der »Vertikale der Macht« sind die Privatunternehmer von Staatsfirmen umzingelt, die den Wettbewerb behindern. Korruption ist nach Deljagins Einschätzung zu einem tragenden Element des Putinschen Systems geworden. »In China wird man dafür erschossen, in Indien ins Gefängnis geworfen und in Brasilien entlassen«, sagt er mit Blick auf andere aufstrebende Volkswirtschaften. »Nur in Russland lebt ein nicht korrumpierbarer Beamter riskant. Denn er stört alle.« Zum größten Wirtschaftsproblem des Jahres könnte sich die wachsende Arbeitslosigkeit entwickeln. Etwa 5,8 Millionen Menschen sind in Russland ohne Job. Ende des Jahres werden es nach Schätzungen fast doppelt so viele sein. Die zusätzlichen Staatsmittel für das Unterstützungsgeld, das auf maximal 120 Euro monatlich erhöht wurde, reichen allerdings nur für eine Million neuer Arbeitsloser. »Wir haben in Russland zudem eine besondere Form der Arbeitslosigkeit«, erklärt Grinberg. »Den Menschen werden Kurzarbeit und Gehaltskürzungen aufgezwungen, aber sie gehen weiter zu ihrem Arbeitsplatz.« Die größte Unzufriedenheit ist in den mehr als 400 Städten mit jeweils nur einem dominierenden Unternehmen zu befürchten. Gut 20 Millionen Russen leben in solchen »Monostädten«. Vom Schicksal des Aluminiumkonzerns Rusal etwa hängen allein 13 Städte mit 800 000 Einwohnern ab. Wenn die Fabrik stillsteht, geht es den Kindergärten, Schulen, Kantinen und Geschäften schlecht. Die soziale Mobilität der Menschen aber bleibt gering. Der Wegzug in eine Region, in der es mehr Arbeit gibt, ist schwierig: Für die Mieten, die dort oft doppelt so hoch sind, fehlt das Geld. Für stürmische Straßenproteste gibt es bisher dennoch keine Anzeichen. Soziologen beschreiben das Verhalten der Menschen in Russland als eher passiv: Die Verschlechterung werde erkannt, aber die Bereitschaft zur Veränderung fehle. Ein Teil der Menschen sei extrem leidensfähig. Eine politische Gefahr für den Kreml ist nicht abseh-
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DAS WAREN NOCH ZEITEN: Junge Reiche auf einer Millionärsmesse 2007 in Moskau
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Der lange Boom ließ in Russland Blütenträume reifen. Der Staat machte die Wirtschaft nicht krisenfest. Das rächt sich jetzt
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Die Frage des Kapitals
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Weshalb kämpfen die Banken mit Milliardenverlusten – und woher rührt die Angst, dass sich neue Löcher auftun? Erklärungen am Fall des Branchenprimus Deutsche Bank
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VON MARK SCHIERITZ UND ARNE STORN
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Staatshilfe möglich
e Die Bilanz der Deutschen Bank ist gut – sagt Vorstandschef Josef Ackermann. »Wir sind die Herrscher dieses kleinen Universums«, gab er vergangene Woche kund, stolz, bisher frei von Staatshilfe agieren zu können. Doch gibt es in diesem Universum Schwarze Löcher? Wo können in Banken die Milliarden sogartig verschwinden? Was kann ein Kreditinstitut dagegen tun – und wo kann der Staat im Notfall ansetzen? Stellvertretend für Deutschlands Banken lässt sich anhand der Bilanz des Branchenprimus erläutern, wie die Finanzkrise die Kreditinstitute beutelt. Eine Bilanz zeigt, vereinfacht gesagt, welche Geschäfte eine Bank tätigt und wie sie diese finanziert. Ersteres lässt sich an den Aktiva auf der linken Seite ablesen. Letzteres an den Passiva auf der rechten Seite. Addiert man alle
Positionen, muss auf beiden Seiten der gleiche Betrag stehen. Im Fall der Deutschen Bank, eines der größten Institute weltweit, sind das 2202 Milliarden Euro. Diese gewaltige Summe schnurrt aber auf 308 Milliarden Euro zusammen, wenn man Wertpapiere und Kredite auf der linken Seite nach dem Risiko ihres Ausfalls gewichtet – so wie es Aufsichtsbehörden und Wirtschaftsprüfer tun. Die Logik dahinter: Dass eine Bundesanleihe einmal ausfällt, ist weniger wahrscheinlich, als dass ein Firmenkredit nicht zurückgezahlt wird. Entsprechend diesen Wahrscheinlichkeiten werden die Aktiva bewertet, und nur die sich daraus ergebende Summe muss die Bank mit eigenem Kapital absichern. Wer an der Börse jongliert, soll mehr Kapital vorhalten als einer, der sichere Staatspapiere kauft.
Schrumpfen lässt die Bilanz vor allem die Tatsache, dass ein großer Teil des enormen Derivatebestands in der Gesamtbetrachtung verschwindet. Ein Beispiel: Die Deutsche Bank sichert einen Kunden über ein solches Finanzprodukt gegen Zinsschwankungen ab. Sie besorgt sich meist über andere Derivate selbst eine Absicherung. Die Positionen heben sich auf.
r Das Finanzvermögen stand bisher im Fokus aller Sorgen. Zum einen wurden in der Krise viele Finanzanlagen zunehmend als riskanter eingestuft – vor allem seit der Pleite der US-Bank Lehman Brothers. Die Banken hatten also plötzlich mehr Risiken in den Büchern – und mussten mehr Kapital zurücklegen. Zum anderen verlieren viele Finanzanlagen drastisch an
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Wert. Weil sie stets zum aktuellen Marktpreis in die Bilanz eingehen, mussten die Banken, so auch die Deutsche Bank, Abschreibungen in Milliardenhöhe vornehmen. Je höher die Abschreibungen, desto höher die Verluste – selbst wenn die fraglichen Papiere noch gar nicht verkauft wurden. Das bedeutet indes auch, dass ihr Wert wieder steigen kann, wenn sich die Märkte erholen sollten. Wo liegen nun die größten Risiken, wo steckt der »Giftmüll«? Es geht vor allem um jene komplexen Wertpapiere, die im Kern mit US-Immobilienkrediten abgesichert sind und sich hinter Kürzeln wie CDO oder RMBS verbergen. Als riskant gelten außerdem zum Verkauf oder Handel gedachte Kredite, insbesondere die für Gewerbeimmobilien und Firmenübernahmen. Die Deutsche Bank hat diese Positionen durch Verkäufe oder Abschreibungen verringert, aber verschwunden sind sie nicht. Das ist noch nicht alles: Im Finanzvermögen gibt es insgesamt Produkte über 89 Milliarden Euro, für die sich derzeit weder direkt noch über Vergleiche ein Marktpreis ermitteln lässt – damit bleibt die Deutsche Bank »eine der stärker beladenen Banken«, so Analysten von Morgan Stanley. Josef Ackermann erklärt zwar, dass seinem Haus für viele dieser Papiere noch eine »weitgehend marktnahe Bewertung« möglich sei. Analysten und Anleger beruhigt das indes nicht. Sie sehen in den 89 Milliarden Euro eine »Blackbox« mit diffusem Wert und fürchten daher weitere Abschreibungen. Eine »Bad Bank«, über die in Berlin diskutiert wird, würde den Banken genau solche Papiere abkaufen. Ackermann hat aber ausgeschlossen, dass er eine solche staatliche Giftmülldeponie in Anspruch nehmen würde.
t Im Kreditbuch, das an sich aus den üblichen
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Darlehen für Unternehmen, Bauherren oder Konsumenten besteht, weckt ein zweiter großer Block Ängste. Im Oktober erlaubten es die Behörden den Banken, Positionen aus dem Finanzvermögen, etwa aus dem Handelsbestand, ins Kreditbuch zu schieben. Das bedeutet, dass die Bank sie halten muss und nicht verkaufen kann; zugleich muss sie aber nicht mehr den Marktwert ansetzen. Damit muss sie zumindest für den Moment keine Abschreibungen mehr darauf vornehmen. Die Deutsche Bank verschob 2008 Vermögenswerte von 35,9 Milliarden Euro, darunter 6,9 Milliarden Euro an gewerblichen Immobilienkrediten sowie 8,5 Milliarden Euro an Übernahmekrediten. Risikovorstand Hugo Bänziger hält sie kaum für ausfallgefährdet – und zählt sie dennoch zur riskantesten Kategorie. Wie gut am Ende die Bonität der Schuldner tatsächlich ist und welche Lasten entstehen, weiß keiner. Gleiches gilt für die übrigen Kredite im insgesamt 269 Milliarden Euro großen Kreditbuch: Als problematisch sieht die Deutsche Bank derzeit 4,6 Milliarden Euro. Dafür hat sie vorgesorgt. Wird die Rezession aber tief und lang, könnte das nicht ausreichen. Viele Kredite dürften als riskanter eingestuft werden, die Summe der Risikoaktiva und damit der Kapitalbedarf stiegen. Würden zudem Kredite, die heute als sicher gelten, in der Tat nicht zurückgezahlt, würden neue Abschreibungen fällig. Ein Kenner schätzt, dass »allein die Deutsche Bank in den nächsten drei Jahren einen zweistelligen Milliardenbetrag abschreiben könnte«. Auch andere Banken werde es hart treffen. Vielleicht ertönt bald der Ruf nach einer Bad Bank für Problemkredite.
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u Das Eigenkapital ist das Rückgrat einer Bank. Von besonderer Bedeutung ist das Kernkapital. Das
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ist jener Anteil des Kapitals, der der Bank unverrückbar gehört. Es kommt ursprünglich in erster Linie von den Aktionären. Macht ein Institut Gewinn, können die Kapitalpuffer aufgefüllt werden; macht es Verlust, schwinden sie. Fällt das Kernkapital, bezogen auf die Summe der risikogewichteten Aktiva, unter die Quote von vier Prozent, wird die Bank von den Aufsichtsbehörden geschlossen. Bei der Deutschen Bank beträgt das Kernkapital 31,1 Milliarden Euro. Das sind 10,1 Prozent der Engagements – weit mehr als vorgeschrieben. Trotzdem fordern viele Analysten das Institut auf, die Kapitalquote weiter zu steigern – sie sehen neue Verluste auf das Haus zukommen. Frisches Kapital kann sich eine Bank besorgen, indem sie neue Aktien ausgibt. Weil Anleger derzeit darauf kaum Appetit haben, ist eine Erhöhung des Kapitals aktuell schwierig. An dieser Stelle setzt der staatliche Rettungsfonds an, der in Notlagen Kapital gegen Aktien der Bank bereitstellt – so geschehen bei der Commerzbank. Im Extremfall können Kapitalhilfen, wie im Fall Hypo Real Estate diskutiert wird, zur Nationalisierung führen. Der Staat erwägt dies auch, weil er verhindern will, dass sich die Bank saniert, indem sie ihre Kredite an Unternehmen und Haushalte zurückfährt – ein Weg, auf dem sie ihre Kapitalquote ebenfalls steigern könnte.
i Kundeneinlagen sind bei den Banken derzeit extrem populär. Während Investoren und Geschäftspartner ihr Geld oft schon beim Hauch einer Gefahr abziehen, halten die Kunden ihrem Institut in der Regel länger die Treue. Das ist für eine Bank gerade in Krisenzeiten sehr wichtig, denn damit sinkt die Gefahr, dass sie in Zahlungsschwierigkeiten gerät. Um die Abhängigkeit von den Unbilden der Märkte zu verringern, will etwa die Deutsche Bank die Postbank kaufen, die über 200 Milliarden Euro Kundeneinlagen verfügt. Allerdings: Spitzt sich die Krise zu, könnten auch die Sparer nervös werden und ihre Konten plündern. Um das zu verhindern, hat die Bundesregierung im Oktober ihre Garantie für Spareinlagen ausgesprochen. o Schulden sind die dritte Hauptfinanzierungsquelle einer Bank. Leiht sie sich Geld, kann sie ihre Geschäfte ausweiten und mehr Gewinn machen. Die Deutsche Bank hat die Verschuldung wie viele andere große Institute in den vergangenen Jahren, als Geld günstig zu haben war, deutlich gesteigert. Jetzt ist sie bemüht, diese Schulden wieder abzubauen, denn in Krisenzeiten gilt eine hohe Verschuldung als Risiko. Problematisch kann es werden, wenn eine Bank sich vor allem über kurzfristige Verbindlichkeiten finanziert, das sind etwa Kredite mit einer Laufzeit von bis zu einem Jahr. In diesem Fall müssen die Investoren immer wieder davon überzeugt werden, den Kredit zu verlängern. Seit der Pleite von Lehman ist auch der Geldmarkt eingefroren, auf dem sich die Banken untereinander mit Liquidität versorgen. Die Deutsche Bank hat am Interbankenmarkt 2008 nur 73 Milliarden Euro aufgenommen, halb so viel wie im Vorjahr. Auch will sie in diesem Jahr viel weniger Anleihen ausgeben, denn derzeit verlangen Investoren hohe Zinsen. Banken, denen der Markt sehr misstraut und die nur schwer neues Geld erhalten, können – wie die HSH Nordbank – staatliche Garantien beantragen. Dann bürgt der Bund für die Anleihen, das Misstrauen sinkt, die Zinsen fallen. Für die Deutsche Bank schließt Josef Ackermann jedoch selbst diese Möglichkeit aus.
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MACHER MÄRKTE
Strom aus »grüner« Kohle?
Merkwürdige Wohltat
In der nächsten Woche könnte ein für die deutsche Energiewirtschaft wichtiges politisches Projekt Gestalt annehmen: das Gesetz über CO₂-arme Kohlekraftwerke. Insider schließen aus dem Umstand, dass aus den beteiligten Ministerien derzeit keine Details zu dem Paragrafenwerk nach außen dringen, dass eine Einigung kurz bevorsteht. Sollten sich die Staatssekretäre Matthias Machnig (Umwelt) und Jochen Homann (Wirtschaft) verständigen, könnten die Regeln noch vor der Sommerpause wirksam werden. Es geht dabei um den rechtlichen Rahmen für Abscheidung, Transport und Lagerung von klimaschädlichem Kohlendioxid. Das Auffangen und
Wirrwarr
Wie Finanzmärkte reguliert werden könnten nötig wäre; und Finanzaufseher sollten den Banken vorschreiben, mehr Kapital zurückzulegen. Die Finanzmarktpolitik müsse sich »signifikant verändern«, so die Kommission, die von der Bundesregierung eingesetzt wurde und den Weltfinanzgipfel in London vorbereiten soll. Weil eine harte Haltung in guten Zeiten unpopulär sei, regen die Experten an, feste Regeln zu verabschieden, die die Behörden zu ihr verpflichten. Die Gruppe spricht sich außerdem für eine strengere Kontrolle von Hedgefonds und RatingAgenturen aus. Überdies sollen die Finanzdaten weltweit in einer zentralen »Risikolandkarte« gebündelt werden, sodass Fehlentwicklungen früher erkannt werden könnten. MAS
Eine weitreichende Reform des internationalen Finanzsystems fordert eine Expertengruppe unter Leitung des früheren Chefvolkswirts der Europäischen Zentralbank, Otmar Issing. Ihr zentrales Argument: Bisher haben sich Schwankungen von selbst verstärkt, etwa weil die Menschen im Boom noch mehr Risiken eingehen. Der Grund: Sie glauben, dass die guten Zeiten ewig währen. Auch die Bilanzregeln wirkten prozyklisch, so die Expertengruppe. Um Krisen vorzubeugen, müsse man Vorschriften nun so gestalten, dass Märkte im Aufschwung abgebremst werden. So sollten etwa die Zentralbanken die Zinsen stärker anheben, als es eigentlich
Foto: Jose Giribas
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enn es nicht um Millionen Menschen dings – aufgepasst! – darauf ankommt, ob jemand ginge, die zu Niedrigstlöhnen von vier, hauptsächlich privat getragene Hosen bügelt oder fünf oder sechs Euro die Stunde schuf- beruflich genutzte Beinkleider, denn das Lohnten, könnte man es fast lustig finden. Seit knapp limit gilt nur in Wäschereien, die sich eher um vier Jahren ringt die Große Koalition mit Wirt- Berufskleidung oder Hotelwäsche kümmern und schaftsverbänden, Gewerkschaften und vor allem nicht mehr als 20 Prozent ihres Umsatzes mit Prisich selbst um den Mindestlohn. Einig sind sich vatkunden erzielen. Alles klar? die Koalitionäre bis heute nicht, dennoch basteln Man kann solche abstrusen Regeln als Schönsie fleißig an immer neuen Lohnvorschriften. Auf heitsfehler abtun, wie auch die irrsinnig aufwendass ihnen niemand Untätigkeit vorwerfe. In dige Kontrolle solcher Vorschriften. Schwerer dieser Woche dürften sie ihren letzten Tätigkeits- wiegt, dass der Einsatz eines heiklen arbeitsmarktnachweis vor der Bundestagswahl erbringen. politischen Instruments letztlich vom Lobbyismus Der Bundesrat soll – inmitten der schwersten einzelner Branchen abhängt. Dieses Vorgehen ist Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit – neuen intransparent, führt manchmal zu gar nichts (etwa Lohnregeln für eine Reihe von Branchen zustim- bei Friseurinnen, für die bis heute kein Mindestmen. Für Wachdienste, Bergbaufirmen, Wäsche- lohn gilt), kann aber auch viel Schaden anrichten. reien oder Weiterbildungsträger. Zugleich wird er Denn zu hoch gesetzte Mindestlöhne treiben ein Gesetz verabschieden, das es ermöglicht, prak- Menschen erst recht in die Armut, wenn sie ihren tisch jeder Branche eigene Lohnsätze vorzuschrei- Job verlieren. Das ist keine neoliberale Angstben. Und schließlich steht im Kabinett eine Ent- mache, sondern begründete Sorge selbst jener scheidung darüber an, wie auch der angeschlage- Ökonomen, die Mindestlöhne bejahen. Man muss dazu nicht nen Zeitarbeitsbranche eine auf internationale UnterLohnuntergrenze verpasst suchungen verweisen. Inwerden kann. Was immer zwischen belegen seriöse dabei herauskommt – die Studien auch hierzulande Bilanz der Bundesregierung statt klarer Regeln wird beim Thema Mindestlohn diese Gefahr. Zum Beispiel ist miserabel. Schwarz-Rot für den Bau: Dort hat die die Koalition den hat in den vergangenen Jahvor zehn Jahren eingeführGeringverdienern ren ein kafkaeskes System te Lohnuntergrenze die Behinterlassen: So kann geschaffen. Einen kaum schäftigungschancen ostdurchschaubaren Wirrwarr deutscher Bauarbeiter deutman die Schwächsten von Einzel- und Sonderlich verschlechtert, und nicht vor Ausbeutung regeln, die weder sozial zwar unabhängig von der schützen. Es geht noch wirtschaftlich bejeweiligen Konjunkturlage. gründbar sind. Allein Das ergab eine Unterauch anders, wie Macht und protektionistisuchung von Joachim MölGroßbritannien zeigt – sche Interessen erklären ler, dem Chef des Instituts mit Mindestlöhnen, die für Arbeitsmarkt- und Beseine Struktur. So läuft dieniemandem schaden se Politik aber Gefahr, derufsforschung in Nürnberg, nen nicht zu nützen oder einem erklärten Mindestgar zu schaden, denen sie zu lohn-Befürworter. Das staathelfen vorgibt: den schlecht organisierten Gering- lich fixierte Bau-Gehalt lag im Osten im Verhältverdienern. nis zum normalen Marktlohn viel zu hoch, weit Vordergründig profitieren sie von den Min- über dem vergleichbaren Maß im Westen oder in destlöhnen – auch wenn der Staat seine Gunst anderen Ländern. Die Branchenverbände und den extrem ungleich verteilt. Wenn etwa ein angelern- Staat hat das nicht gekümmert. So genau schaut die Öffentlichkeit sowieso ter Helfer auf dem Bau eine Schippe in die Hand nimmt, muss er nach geltendem Recht wenigstens nicht hin. Hauptsache, es wird etwas getan gegen 12,85 Euro pro Stunde erhalten, für Lackierer und Hungerlöhne. Wer aber den Schwächsten wirklich Maler reichen hingegen 8,05 Euro. Im Osten gel- helfen will, darf es sich nicht so leicht machen. ten wieder andere Tarife. Nur nicht für Dach- Leider gibt es keine Formel für den richtigen Mindecker, die überall mit 10,40 Euro korrekt bezahlt destlohn. Der Freiburger Ökonom Bernd Fitzensind. Putzfrauen schließlich haben einen gesetzlich berger spricht vom »Topfschlagen«, das nötig sei, geregelten Anspruch auf 8,15 Euro, wenn sie den um ihn zu finden. Das klingt abfällig, heißt aber: Boden wischen, und 10,80 Euro, wenn sie Fens- Man muss sich vorsichtig herantasten. Ohne ter reinigen (jeweils West). Wobei das wiederum schrittweise Kontrolle einfach loszustürmen ist nur gilt, sofern sie bei einer Reinigungsfirma an- fahrlässig. Es ist erst recht gefährlich in einer Krigestellt sind – überall sonst darf zu beliebig nied- se, die ohnehin Millionen Jobs gefährdet. Dass es anders geht, zeigt das britische Beirigen Lohnsätzen gefeudelt werden. Wie solche bizarren Regeln entstehen, zeigt spiel. Dort wurde vor zehn Jahren ein für alle sich mustergültig an den Wäschereien, die jetzt geltender Mindestlohn äußerst vorsichtig, also einen Mindestlohn bekommen. Vorangetrieben auf niedrigem Niveau eingeführt. Seither überhatte das ein Verband, in dem 17 zum Teil welt- wacht eine Kommission aus Arbeitgebern, Geweit agierende Großbetriebe organisiert sind. Mit werkschaftern und unabhängigen Wisseneinem geplanten Mindestlohn von 9,20 Euro schaftlern seine Wirkung. Sie prüft, ob der hätte er viele kleinere Konkurrenten an den Rand Mindestlohn eingehalten wird und ob er Jobs gedrängt, die mit weniger Maschinen und mehr kostet, sei es auch nur in einzelnen Regionen, Personal arbeiten – ganz nach dem Muster von Branchen oder Berufsgruppen. Außerdem Postchef Klaus Zumwinkel, der mithilfe des Min- empfiehlt sie, bisher immer einstimmig, um destlohns unliebsame Konkurrenz klein hielt. Im welchen Betrag der Lohn (zurzeit 6,55 Euro) Fall der Wäschereien wehrte sich allerdings ein erhöht werden soll. Auch so – transparent, sehr etablierter Verband von 250 Mittelständlern. Das systematisch und eigentlich ziemlich deutsch – Ergebnis ist ein halbgarer Kompromiss: Der oh- kann man Politik machen. Nur wohl nicht in nehin bei den kleineren Firmen geltende Tariflohn der hiesigen Großen Koalition. wird kaum verändert zum Mindestlohn erklärt (West 7,51 Euro, Ost 6,36 Euro), wobei es aller- a www.zeit.de/audio
Fotos: Berthold Steinhilber/laif
Trotz Wirtschaftskrise: Die Bundesregierung treibt die Mindestlöhne weiter voran – aber nur für diejenigen, die laut genug schreien VON KOLJA RUDZIO
Speichern von CO₂, das in Kohlekraftwerken besonders reichlich entsteht, gilt nicht nur als wichtige Klimaschutztechnik, sondern auch als letzte Rettung für Stromerzeugung auf Kohlebasis. Vattenfall und E.on bemühen sich bereits, mit Demonstrationsanlagen die Praktikabilität des Verfahrens zu beweisen. Ein Gesetz ist auch Voraussetzung für den Zugang zu Fördertöpfen. Die Bundesregierung will Versuchsprojekte mit Erlösen aus dem Emissionshandel fördern. Brüssel winkt mit insgesamt 300 Millionen Emissionszertifikaten. Bei einem Preis von 20 Euro pro Stück wären das immerhin sechs Milliarden Euro. VO
Nobelpreisträger fordert mehr Staatsgeld
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Wenige Tage vor dem Treffen der Finanzminister der großen Industrienationen (G 7) in Rom gibt es scharfe Kritik des amerikanischen Nobelpreisträgers Robert Solow an der Finanzpolitik der Europäer. »Wir fordern die Länder des Euroraums mit Nachdruck dazu auf, sich zu einem koordinierten fiskalischen Impuls von mindestens zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu verpflichten«, heißt es in einem Manifest, das Solow am Dienstag mit einer Gruppe von Ökonomen in Berlin vorstellte. Die Maßnahmen der beiden deutschen Konjunkturpakete summieren sich auf rund 1,5 Prozent des BIP. Die Europäer hätten bislang zu unkoordiniert reagiert, sagt Solow. Gerade Deutschland müsse bei der Krisenbekämpfung eine stärkere Führungsrolle einnehmen.
Deutsche Autobauer müssen als Folge der Abwrackprämie im sogenannten Premiumbereich mit einem Rückgang der Nachfrage und sinkenden Erträgen rechnen, fürchtet Ferdinand Dudenhöffer, Direktor des Center Automotive Research (CAR) an der Universität Duisburg-Essen. Weil die Prämie zu einem Boom der Nachfrage nach Jahreswagen führe, gerieten die Preise von älteren Gebrauchtwagen unter Druck – unter denen sich besonders viele Firmenfahrzeuge befänden. Firmenwagen würden aber zu gut 75 Prozent von deutschen Autobauern hergestellt. Mit sinkenden Wiederverkaufswerten dieser Fahrzeuge müssten auch die Nachfrage bei Herstellern und – sollten Subventionierungen der Verkäufe erfolgen – die erzielbaren Margen zurückgehen, so Dudenhöffer. TEN
Zu der Gruppe um den US-Ökonomen gehören acht europäische Volkswirte, unter ihnen Gerhard Illing von der Universität München und Paul de Grauwe von der belgischen Universität Leuven. In ihrem Manifest fordern sie auch »eine verbesserte, institutionalisierte Rolle der Eurogruppe«. Bislang ist diese Runde der Finanz- und Wirtschaftsminister aller Euroländer ein informelles Gremium. Alle Vorstöße – etwa der französischen Regierung –, dies zu ändern, waren in den vergangenen Monaten vor allem von Deutschland abgewehrt worden; aus Furcht der Bundesregierung, nationale Kompetenzen abgeben zu müssen. Doch unkoordiniertes Handeln wie bisher, warnt Robert Solow, werde die Krise nur noch weiter verschärfen. BRO
Deutschlands arme Kinder Wie viel Prozent der unter 15-Jährigen in den Großstädten von Hartz IV leben 37,1 %
Berlin
36,6 %
Leipzig 30,1 %
Essen
29,5 %
Bremen
28,7 %
Duisburg
28,2 %
Dortmund
25,1 %
Dresden Köln
24,2 %
Hamburg
24,1 % 23,6 %
Frankfurt am Main
22,7 %
Düsseldorf
21,6 %
Nürnberg
21,3 %
Hannover 15,1 %
Stuttgart
12,0 %
München
26,4 %
15 Großstädte (insges.)
25,7 %
Bund (insgesamt) ZEIT-Grafik/Quelle: Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe
Vom Aufschwung der vergangenen Jahre haben Deutschlands Kinder nicht profitiert. In den 15 Großstädten mit mehr als 400 000 Einwohnern lebte ein erschreckend hoher Anteil von ihnen auch Ende September vergangenen Jahres noch in Armut, wie die jetzt vorliegenden endgültigen Zahlen belegen. Deutschlandweit hatte die Kinderarmut im März 2007 ihren Höhepunkt erreicht. Damals wohnten 1,93 Millionen Kinder unter 15 Jahren in Hartz-IV-Familien, bis Ende September 2008 sank ihre Zahl lediglich um 112 000 auf 1,82 Millionen. Weil sich seither die Wirtschaftskrise verschärft und immer mehr Eltern ihre Arbeit verlieren, ist klar: Auch die Zahl armer Kinder wird künftig wieder steigen. In Berlin und Leipzig war die Situation schon am Ende des Booms besonders erschreckend: Weit mehr als jedes dritte Kind lebte dort vom Sozialgeld. In Westdeutschland hat Essen jetzt Bremen als Spitzenreiter abgelöst. Für Heinz Hilgers, Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes, sind die Zahlen ein Alarmsignal. »Kinder in dieser Lebenssituation sind in der Schule benachteiligt«, sagt er. »Die Gesellschaft macht sie langfristig zu Leistungsempfängern statt zu Leistungsträgern. Das können wir uns schon aus demografischen Gründen nicht leisten.« UMT
Ein Spielzeug für Berater Zerstrittene Erben, planlose Finanzinvestoren und Missmanagement führten Märklin in die Insolvenz. Aber es gibt schon neue Kaufinteressenten VON ULRICH VIEHÖVER
150
Jahre Märklin – und das war’s. Ausgerechnet im Jubiläumsjahr und am Eröffnungstag der wichtigsten Branchenmesse in Nürnberg entgleist der weltweit größte Produzent von Spielzeugzügen. Die Geldgeber, voran die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) sowie die Kreissparkasse Göppingen, wollten das Missmanagement nicht länger finanzieren. »Hätten die Banken jetzt nicht gehandelt, hätte sich das Unternehmen der Konkursverschleppung schuldig gemacht«, folgert der vorläufige Insolvenzverwalter Michael Pluta nach einem Blick in die Bücher. Die Traditionsfirma aus dem württembergischen Göppingen drücken Bankschulden von gut 50 Millionen Euro. Ein tragfähiges Konzept gibt es indes noch nicht. Aus diesem Grunde und weil die Eigentümer, die britischen Finanzinvestoren Kingsbridge Capital und Goldman Sachs, plötzlich weitere Kredite in Höhe von 17 bis 20 Millionen Euro verlangten, zeigten die Geldhäuser das Stoppsignal. Ab jetzt stellt der Ulmer Anwalt Michael Pluta vorerst die Weichen. Zu seinen ersten Amtshandlungen gehörte der Rauswurf sämtlicher Märklin-Berater. Sie verschlangen Honorare von rund 40 Millionen
Euro in nur drei Jahren, so Pluta. »Allein in einem Jahr veranlasste deren Sanierungsberatung den gesamten Verlust von 18 Millionen Euro«, so der Anwalt und fügt hinzu: »Für den Rausschmiss habe ich viel Dank per E-Mails erhalten.« Die für Pluta völlig sinnlosen Beraterausgaben seien nur einige der gravierenden Fehler aus der jüngsten Zeit. Auch »das auf Zahlen orientierte, kurzfristige Denken« an der Firmenspitze werde der Marke nicht gerecht. Die Finanzinvestoren hätten ebenfalls Geld verloren. Für ein Unternehmen wie Märklin seien sie einfach nicht geeignet. Er betrachtet die Insolvenz »als eine Befreiung« von den Eigentümern Kingsbridge Capital und Goldman Sachs. Der Verwalter aus Ulm zählt zur neuen Garde von Wirtschaftsanwälten, die auf die Fortführung maroder Betriebe spezialisiert sind. Für Pluta steht außer Frage, dass nur ein Unternehmer »mit Herzblut« in der Lage sein wird, möglichst viele Arbeitsplätze in
Göppingen zu sichern: »Ich hoffe sehr, dass die Produktion in Deutschland erhalten bleibt.« Auf die Belegschaft kann er dabei sicher zählen. Nach der ersten Betriebsversammlung mit Plutas Stellvertreter Fritz Zanker haben die rund 650 Beschäftigten im Stammhaus wieder Mut gefasst. »Die Mitarbeiter erhielten positive Signale und stehen fest zur Firma und ihren Produkten«, so ein Mitglied des Betriebsrats. Er blicke wie die meisten jetzt nur nach vorn und nicht mehr zurück. Die akuten Missstände bei Märklin offenbaren einen schleichenden Niedergang des Traditionshauses. Lange bevor die Investoren aus Britannien im Frühjahr 2006 einstiegen, kriselte es bereits, stand die Firmengruppe am Abgrund: Umsätze stagnierten, Verluste wuchsen, die Zahl der Mitarbeiter schrumpfte. »Die Reise geht seit acht Jahren abwärts«, beobachtet Fachhändler Peter Kübler, der die Geschäfte bei E + E Modelleisenbahnen in Remshalden-Geradstet-
ten führt. »Manager kamen und gingen, und keiner hatte vom Produkt oder von den Wünschen der Kunden eine Ahnung«, kritisiert er. Märklin sei zum Spielzeug für Berater verkommen. Obwohl der Konzern neben Märklin mit den Marken Trix, Minitrix, Hübner und LGB auf mehreren Spuren fahre, fehle bis heute bei der Modellpolitik wie der Vermarktung ein klares Konzept. Das Management in Göppingen biete kaum die »richtigen Innovationen«, es agiere »ideenlos und ziellos«, urteilt Kübler knapp. Schon die Erben der 1859 gegründeten Firma schätzten die Dachmarke falsch ein und versäumten es, Märklin vorteilhaft neben den anderen Labels zu platzieren. Ihr Unverständnis ging so weit, dass Bausätze für Einsteiger später sogar in Penny-Märkten feilgeboten wurden. Dabei hat Märklin mit Spielzeug für Kinder so gut wie gar nichts mehr zu tun. Die Senioren lösten vor einer Generation ihre Söhne als Modellbahnfans ab. »Märklin wird zu gut 90 Prozent von Erwachsenen gekauft«, sagt Pluta – eigentlich der Idealfall für gute Geschäfte und Preise. Denn Erwachsene sind als Klientel begnadete Bastler und Sammler. Solche Liebhaber, oft in Märklin-Clubs organisiert, sparen nicht am Euro. Ähnlich wie
Sammler von Uhren oder Antiquitäten suchen sie für ihr Hobby stets den besonderen Kick. »Ein Modelleisenbahner wird nie fertig mit seiner Anlage«, freut sich ein Verkäufer im »Märklin Store« Stuttgart. »Der Kunde kauft nach Bauchgefühl«, sagt auch MärklinSpezialist Kübler. Leider würden die Emotionen vernachlässigt, ebenso Investitionen in die Werbung. Schnöde fährt Märklin stattdessen mit komplizierter Technik ohne Glamour an Männerträumen vorbei. Der Schlingerkurs unter den 22 Märklin-Erben führte am Ende dazu, dass Mitarbeiter, Banken und Handel froh waren, die Familie 2006 aufs Abstellgleis schieben zu können. Unter Beifall der Belegschaft begrüßten sie die Briten als neue Besitzer. Doch die Hoffnung verflog rasch. Für den Neustart sucht Pluta nun »einen Kämpfer, der den emotionalen Gehalt der Marke verinnerlicht hat und nach außen vertreten kann«. Erste mutige Unternehmensretter aus Hessen und Norddeutschland sollen bereits angeklopft haben. Allein die Marke ist für sie Kult. Möglich, dass die neuen Investoren schon vor dem 1. April bei Märklin einziehen werden. Das ist genau jener Tag, an dem die Insolvenz der Firma offiziell eröffnet werden soll. Foto: rtn
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WAS BEWEGT …
Fotos v.o.: Stefan Thomas Kröger für DIE ZEIT/www.nophoto.de; dpa; Torsten Krueger/Das Fotoarchiv
Philipp Rösler?
Der Heimat verbunden Nächste Woche wird er Wirtschaftsminister in Niedersachsen. In der FDP gilt er bereits als der kommende Mann. Und doch will er das Liberale sozial begründen VON ELISABETH NIEJAHR
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ls Kind hat er sich vorgestellt, er sei ein verschollenes Fürstenkind. Ein asiatischer Prinz, den politische Wirren ans andere Ende der Welt verschlagen haben und der dort von einem alleinerziehenden Vater großgezogen wird. Das ist lange her. Aber vielleicht wird der 35-jährige FDP-Politiker Philipp Rösler daran denken müssen, wenn er am kommenden Mittwoch als Minister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr des Landes Niedersachsen vereidigt wird. Er bezieht kein Schloss, aber ein eindrucksvolles Ministerbüro mit Kronleuchter, Parkett und prunkvollem schmiedeeisernen Balkon im denkmalgeschützten Wangenheimpalais in der Hannoveraner Innenstadt. Der aus Vietnam stammende, in Deutschland aufgewachsene Liberale wird stellvertretender Ministerpräsident. Er ist einer der jüngsten Minister Deutschlands und gilt als kommender Mann der FDP. Das Magazin stern hat ihn gerade allen Ernstes mit Barack Obama verglichen – weil auch er anders aussieht als die meisten Wähler. Wer also ist Philipp Rösler? Montagmittag in einem Geschäft des Wohlfahrtsverbands Caritas in der Hannoveraner Innenstadt. Rösler sitzt auf einem abgenutzten altrosa Sofa, an dem ein weißer Zettel klebt. »Verkauft« steht darauf. Vielleicht hat der neue Besitzer 50 Euro bezahlt, vielleicht waren es 80. Auf jeden Fall hat das »Faire Kaufhaus« der Caritas mit dem Sofa ein Geschäft gemacht. Alle Gegenstände hier wurden gespendet – das Sofa und drei Hammondorgeln, ein großer Fächer mit einem aufgedruckten Indianergesicht an der Wand und ein roter Plastikwecker, der hinter Rösler auf einem Regal steht. Einkaufen hier ist fast wie ein Flohmarktbesuch. Nicht gerade die Umgebung, in der aufstrebende FDP-Politiker sich normalerweise für Höheres empfehlen. Aber ein typischer RöslerTermin.
Er wirbt mit Härte für sogenannte weiche Themen Solidarität, Fairness, Teilhabe, Heimat und Familie sind Begriffe, die in seinen Reden und Aufsätzen oft vorkommen. Er wünscht sich eine FDP, die ihre warmherzige Seite zeigt – und macht sich keine Illusionen darüber, dass viele Bürger bezweifeln würden, dass es so etwas überhaupt gibt. Die FDP habe keinen Mangel an guten Konzepten, heißt es in einer von Rösler mit herausgegebenen Sammlung von Texten jüngerer FDP-Politiker, die Ende Februar erscheint. »Wir glauben aber nicht, dass eine Partei nur wegen sinnvoller Vorschläge gewählt wird«, heißt es im Vorwort. Nötig sei eine andere »Tonalität«, der Führungsanspruch der FDP müsse mit »Empathie« untermauert werden. Rösler, seit drei Jahren Landeschef der Liberalen und Mitglied im Präsidium seiner Partei, ist ein Politiker, der mit Härte für sogenannte weiche Themen wirbt. Am Ende seien aber immer Personen entscheidend, glaubt er – und die müssten »authentisch, kompetent und sympathisch« sein. All das hinderte Rösler nicht, als FDP-Fraktionschef im Landtag mit der Union die Sozialausgaben des Landes zu stutzen. Er will nicht unbedingt mehr
Cool im Fall Conti Über keinen Aspekt von Philipp Röslers Politik ist so häufig berichtet worden wie über das Ende seiner Karriere. Mit 45 soll Schluss sein mit der Politik, hat er oft behauptet. Die politische Arbeit verändere die Menschen meistens nicht zu ihrem Vorteil, man werde misstrauischer und berechnender – nicht gerade ein Kompliment an die älteren Kollegen in der eigenen Partei. Bis zum geplanten Ausstieg hat Rösler allerdings noch zehn Jahre Zeit. Einige davon wird er als Wirtschaftsminister des Landes Niedersachsen verbringen. Am 18. Februar
übernimmt er das Amt von seinem politischen Ziehvater Walter Hirche. Ob er wie Hirche auch die Interessen der Länder mit FDPBeteiligung im Bundesrat koordiniert, steht noch nicht fest. Schon vor drei Jahren trat er Hirches Erbe als Vorsitzender der niedersächsischen FDP an, die seit 2003 mit der CDU das Land regiert. Mit deren nur vier Jahre älteren CDULandesvorsitzenden David McAllister (siehe Foto) ist Rösler seit vielen Jahren eng befreundet. Als Wirtschaftsminister wird Rösler sich vor allem bei bundespolitischen Debatten etwa über Steuersenkungen, Ausgabenkürzungen und innere Sicherheit mit der Union streiten – soweit es ihm die Kabinettsdisziplin erlaubt. Bei der vorläufig wichtigsten wirtschaftspolitischen Frage fürs Land sind sich FDP und CDU hingegen einig: Der Eigentümer des niedersächsischen Reifenherstellers Conti, der Mittelständler Schaeffler, soll notfalls Bürgschaften, aber keine Subventionen bekommen. NIA
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Sozialstaat als beispielsweise Guido Westerwelle. Aber er spricht und schreibt viel mehr darüber, warum er die FDP für sozialer hält als die Volksparteien: weil das Geld, das die Regierung verteilt, bei vielen ankommt, die es nicht brauchen, weil ein Wust von komplizierten Einzelleistungen den Cleveren und nicht den Schwachen nützt und weil Rösler lieber Geld in Bildung statt Transfers stecken würde. Für solche Ideen wirbt er ausdauernder als die meisten Liberalen. Deshalb macht er auch ständig Termine mit Bürgern, die für die FDP kaum zu gewinnen sind. Selbst im Obdachlosenmagazin Asphalt gibt er große Interviews, in denen er behauptet: »Liberal ist sozial.« Als Minister will Rösler Projekte mit Gewerkschaftern anstoßen, auch die Caritas will er bald wieder besuchen. Schließlich kennt er die KaufhausGründer, seit er in einem gemeinnützigen Projekt Obdachlose betreute. Es war kurz nach seiner Ausbildung zum Arzt. An jenem Montag sitzt Rösler im Fairen Kaufhaus kopfschüttelnd neben Mitarbeitern auf der Couch. Erst hört er zu, dann fragt er: »Das Gesetz geht also komplett am Leben vorbei?« Die Ein-Euro-Jobber dürfen offiziell vom Arbeitgeber nicht weitergebildet werden, so die Vorschriften der Arbeitsagentur. Eine Regelung, die Rösler nicht einleuchtet. Als Wirtschaftsminister will er sich darum kümmern. Aber kann ein Mann, der stets mahnte, die FDP müsse mehr sein als eine Wirtschaftspartei, ein guter Wirtschaftsminister sein? »Ich rede auch über Werte, Heimat und Traditionen, wenn ich auf einer Veranstaltung beim Handwerk bin – deren Organisationen gibt es schließlich länger als jede politische Partei«, sagt er. Er hat einen sehr freundlichen Blick auf die Vertreter der Wirtschaft, was daran liegen mag, dass es in Niedersachsen jenseits von Volkswagen wenige Topmanager und Banker gibt und er als Minister vor allem mit Unternehmern zu tun haben wird. Er sieht ihr Engagement und ihre Verwurzelung in Dorf, Stadt und Region. Deshalb schreibt er im Sammelband der Nach-Westerwelle-Generation auch: »Die wenigsten Unternehmen sind ausschließlich auf kurzfristigen Gewinn orientiert.« Neujahrsempfang bei der CDU-Mittelstandsvereinigung in Wilhelmshaven. Der angemietete Konferenzraum ist so voll, dass viele Besucher stehen müssen. 150 Gäste sind zum Neujahrsempfang gekommen, viel mehr als sonst, wie der örtliche CDUBundestagsabgeordnete etwas säuerlich erzählt. Die Mittelständler scheinen neugierig auf den FDP-Minister zu sein, außerdem spricht Rösler aus, was von der Unionsspitze momentan nicht zu hören ist. »Der Staat ist nicht der bessere Unternehmer, und er ist auch nicht der bessere Reifenhersteller!«, ruft er in den Raum, um klarzumachen, dass er gegen Staatsbeteiligungen ist – auch wenn Tausende von Jobs beim niedersächsischen Reifenhersteller Conti daran hängen. Der neue Eigentümer, das Familienunternehmen Schaeffler, habe vom Staat nichts zu erwarten. »Es kann nicht sein, dass der Bürger zahlt, wenn ein Unternehmen sich verspekuliert.« Der gescheiterte Versuch der rot-grünen Regierung, den Baukonzern Philipp Holzmann zu retten, müsse doch eine Warnung sein. »Zu den Großen kommen die
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Fernsehkameras, zu den Kleinen nur die Insolvenzverwalter. Dabei ist es gerade in der Krise richtig, sich auf den Mittelstand zu konzentrieren.« Die Große Koalition habe viele mittelstandsfeindliche Gesetze gemacht, ruft Rösler in den Saal. »Die Großen kümmern sich um die Großen, und die Mittleren – das sind wir Liberalen ja seit der Hessen-Wahl – gucken auf den Mittelstand.« Die Zuhörer sind begeistert. Nicht alle trauen sich, zu klatschen, als es um die Bundesregierung geht. Schließlich ist man bei der CDU zu Gast. Erst beim Bier wird gelästert über die Verstaatlichungsdebatten. »Da würde sich Ludwig Erhard nicht nur im Grab umdrehen«, sagt ein Unternehmer, »sondern rotieren würde er wie eine Schraube an einem Schiffsheck.« Rösler präsentiert seinen Zuhörern an diesem Abend kein Rezept gegen die Krise, aber ihm gelingt eine Rede, die unterhaltsam und trotzdem faktenreich ist. Er kann sich selbst anknipsen, wenn er an einem Rednerpult steht – plötzlich strafft sich der Mann, der sonst oft eine leicht gebückte Körperhaltung hat. Und dann redet er frei, grundsätzlich, schon deswegen sind die Reden selten lang. Das Auswendiglernen hat er im Medizinstudium trainiert. Seine Ansprache ist gespickt mit kleinen Angriffen auf die politische Konkurrenz von der Union, trotzdem klingt Rösler schon wie ein Minister, wenn er mit vielen Zahlen und Beispielen erklärt, welche Mittel des geplanten Konjunkturpakets den Wilhelmshavener Betrieben nützen. Den Unternehmern dort gefällt er offensichtlich. Über seine vietnamesische Herkunft redet Rösler allerdings ungefähr so oft wie Angela Merkel über die Tatsache, dass sie eine Frau und Ostdeutsche ist. Also möglichst gar nicht. Lieber ist er offensiv niedersächsisch und erzählt, dass seine drei Monate alten Zwillingstöchter Grietje und Gesche heißen – oder dass er für die ersten Auftritte im Bundesrat die plattdeutschen Vokabeln »Schiet« und »nee« beherrscht. Er interessiert sich für Themen wie Dorferneuerung und macht gern Urlaub in Ostfriesland, wenn er nicht im Wohnmobil durch Frankreich fährt. Nur manchmal baut er in seine Reden eine kurze, etwas kokette Passage ein. »Ich komme ja nicht aus Hannover, meine Heimat ist etwas weiter südlich!«, ruft er bei einem FDP-Neujahrsempfang im westfälischen Greven in den Raum. Pause. Die Zuhörer gucken erwartungsvoll. Rösler fährt fort: »Ich stamme ja aus Bückeburg.« Gelächter. Der Mann will kein Mitgefühl, sondern Macht. Allerdings ist schwer vorstellbar, dass Rösler eine Kindheit ohne Diskriminierung hinter sich hat. Denn sie widerfährt ihm bis heute. Ein Kolumnist der Bild-Zeitung schrieb kürzlich, er habe bei einem Empfang Rösler zunächst dem Bedienungspersonal zugerechnet, um später festzustellen: »Er spricht perfekt deutsch.« Vom politischen Gegner wurde Rösler sogar als »der Chinese« verunglimpft. Aber das interessiert ihn nicht. Wer Rösler fragt, was ihn prägte, dem erzählt er erstens von der Apo und zweitens von seinem Vater, den er bis heute »meinen Papa« nennt. Mit der Apo meint er nicht die außerparlamentarische Opposition der siebziger Jahre, sondern die harten Jahre für die FDP. »Ich habe Zeiten erlebt, in denen die FDP bei
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drei ostdeutschen Landtagswahlen zusammen unter fünf Prozent blieb«, erzählt er. »Die FDP wurde am Wahlabend unter Verschiedenes abgehandelt. Und wenn in der Hannoverschen Allgemeinen mal ein Einspalter über uns erschien, waren alle begeistert, und das wurde herumgeschickt.« Solche Erfahrungen schweißen zusammen, mit der CDU, die ihren Koalitionspartner stützte – mit kleinen Gesten, etwa einem Postfach, das im Landtag eingerichtet wurde. Vor allem aber ist Rösler umgeben von Liberalen, mit denen er einiges durchgestanden hat. Zwei Legislaturperioden war die niedersächsische FDP nicht im Landtag vertreten, insgesamt neun Jahre, weil der Wahlturnus in dieser Zeit verändert wurde. Eine lange Zeit. Solche Erfahrungen können zweierlei bewirken: Entweder eine Partei verzehrt sich nach der Macht, oder sie bringt Politiker hervor, die nicht nur die Aussicht auf das Regieren reizt.
Sein Vater lehrte ihn zu tun, was er für richtig hält, egal, was andere denken »Keiner von uns hat sich in der FDP engagiert, um Staatssekretär oder Minister zu werden. Das war in diesen Jahren unglaublich weit entfernt.« Trotzdem begegnete jungen FDP-Politikern wie Philipp Rösler, dem Sozialexperten Daniel Bahr oder Otto Fricke, heute Vorsitzender des Haushaltsausschusses im Bundestag, damals der Vorwurf, Repräsentant einer machtgeilen Zwergpartei zu sein. »Insbesondere die Kampagne zur Bundestagswahl 1994 war beschämend«, heißt es im Sammelband der jüngeren FDPMandatsträger. »FDP wählen, damit Kohl Kanzler bleibt« war damals einer der Slogans der FDP. »Wir haben diese Kampagne als Offenbarungseid empfunden, weil nur noch die dienende Funktion für eine andere Partei und nicht mehr das liberale Programm im Vordergrund stand – eine Situation, die sich nie mehr wiederholen soll.« Dass Rösler FDP-Politiker wurde, war nicht vorgezeichnet. Sein Vater Uwe war lange begeisterter Sozialdemokrat. Auf seinem Auto klebte der Aufruf »Willy wählen« – damals ein ungewöhnlich klares Bekenntnis für einen Bundeswehroffizier. Und noch ungewöhnlicher war damals, in den achtziger Jahren, dass er allein ein Kind großzog. So hat ihn sein Vater sehr geprägt. »Meine Frau behauptet, ich sei ein Vaterkind«, sagt Rösler. »Und ich glaube, sie hat recht.« Die Adoptiveltern von Rösler trennten sich, als der Sohn vier war, und so verbrachte Philipp Rösler als Schulkind viel Zeit im Offizierskasino, bekam dort sein Mittagessen und machte seine Hausaufgaben. Abends guckten Vater und Sohn gemeinsam Nachrichten und redeten viel über Politik. Insgesamt imponierte dem Sohn wohl besonders die Haltung seines Vaters: tun, was man für richtig hält, egal, was andere denken, wenig Aufhabens davon machen, wenn man anders als andere ist. Um seinen Sohn habe er sich nie Sorgen gemacht, erzählt der Vater heute – höchstens wegen der Ernährung. »Hoffentlich wird er kein Zwerg unter Germanen und es deshalb schwer haben«, habe er manchmal gedacht, sagt Vater Uwe. »Der muss Dung unter die Füße bekommen, damit er ordentlich wächst.«
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12. Februar 2009 DIE ZEIT Nr. 8
Angereichert Der Bundesumweltminister erlaubt Forschung mit waffenfähigem Uran
Foto [M]: Dr Gunnar Brehm/Institut für Spezielle Zoologie und Evolutionsbiologie, Jena
DER ZOOLOGE Gunnar Brehm hat eine Lichtfalle aufgebaut. Sie lockt Falter an
Weißt du, wie viel Falter fliegen? Für die Bestandsaufnahme der Tierwelt bekommen deutsche Forscher kein Geld
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bends kommen die Falter in Schwärmen. Wenn es dunkel wird im Regenwald von Costa Rica, schaltet Gunnar Brehm den Leuchtturm an. Drei Stunden lang, von halb sieben bis halb zehn, flattern dann kleine dunkle Schatten ins Licht. Die Falle ist einfach konstruiert: eine Leuchtröhre, darüber ein Moskitonetz aus weißer Gaze. In guten Nächten sitzen nach kurzer Zeit Hunderte Falter auf dem Netz. Brehm muss nur noch ein Glas nehmen und sie einsammeln. »Den heftigsten Fang hatten wir letztes Jahr im Bergregenwald, in 2800 Meter Höhe«, erzählt er. »Ein Kollege und ich haben in einer Nacht jeweils mehr als tausend Tiere gesammelt.« Brehm arbeitet als Zoologe am Phyletischen Museum in Jena. Doch wann immer er kann, ist er in den Tropen unterwegs – die Artenvielfalt, sagt er, sei in Europa einfach nicht vergleichbar. Jedes Mal, wenn er seinen Leuchtturm ausknipst, hat er Falter in seinen Fanggläsern, die noch niemand beschrieben hat. »Ich habe allein von meiner letzten Expedition 300 neue Arten, denen ich gerne Namen geben würde«, sagt der Forscher. Doch genau dazu fehlt ihm das Geld.
Ein Förderantrag, den er bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) eingereicht hat, wurde mit deutlichen Worten zurückgewiesen. »Die DFG fördert keine Inventarisierung, wenn diese nicht mit einer wissenschaftlichen Fragestellung verbunden ist«, bekam er auf Nachfrage zu hören. Unterstützt würden nur Projekte, die sich mit einer klaren wissenschaftlichen Hypothese auseinandersetzten, welche innerhalb des Forschungsprojekts auch prüfbar sei. Auf den ersten Blick ist der Fall nicht besonders spektakulär: Viele Forscher scheitern mit ihren Anträgen bei der DFG, und das meist nicht ohne Grund. Pikant sind allerdings die Begründung und der Hintergrund: Noch kein Jahr ist es her, dass in Bonn die große UN-Naturschutzkonferenz stattfand. Deutschland betonte als Gastgeberland seine ehrgeizigen Pläne für den internationalen Artenschutz, und die Bundeskanzlerin erntete viel Lob, als sie mehrere Milliarden Euro Unterstützung versprach. Die Finanzspritze war großzügig, aber sie ist auch dringend notwendig: Nach Schätzungen der Vereinten Nationen sterben auf der Erde bereits heute jeden Tag 50 Arten aus, der Klimawandel
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Voreiliger Jubel Die Stammzellforschung ist noch nicht am Ziel
VON JOSEPHINA MAIER
wird den Prozess noch beschleunigen. Die meisten Tiere erregen mit ihrem Verschwinden kein großes Aufsehen – weil es sich nicht um populäre Säugetiere wie Pandas, Eisbären oder Wale handelt, sondern um unscheinbare Insekten. Folgenlos wird das Aussterben dieser Arten trotzdem nicht bleiben, da ist Alexander Haas sich sicher (siehe Interview Seite 32). Der Hamburger Zoologe hat in den vergangenen Jahren eine Bestandsaufnahme der Frösche auf Borneo gemacht und leidet ebenso wie Brehm unter fehlenden Fördermitteln. »Ich wüsste nicht, welche Stelle in Deutschland ein rein taxonomisches Inventurprojekt finanzieren würde«, sagt Haas. Dass der Nutzen von Bestandsaufnahmen nicht jedem sofort einleuchtet, kann er zwar verstehen. Man könne kaum vorhersagen, welche Tiere und Pflanzen sich als besonders wertvoll für die Menschen erweisen werden, sagt er. Deswegen sei es wichtig, zumindest jene Stellen der Erde zu schützen, an denen die Biodiversität – die Vielfalt der Arten in einem Ökosystem – am größten sei. Um diese Orte herauszufinden, sind Arteninventuren unumgänglich. Auch einige von Brehms Faltern werden dem Klimawandel zum Opfer fallen. In
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Es war eine gute Woche für die Atomkraft: Schweden steigt wieder ein, Siemens will mit den Russen Kraftwerke bauen, die CDU wirbt für längere Laufzeiten in Deutschland. Er habe keine Angst vor einem Atomwahlkampf, tönte Bundesumweltminister Sigmar Gabriel am Wochenende. Was er für sich behielt: Er möchte – entgegen anderslautenden Abmachungen – deutschen Physikern erlauben, weiterhin mit atomwaffenfähigem Uran zu arbeiten. Stein des Anstoßes ist der Forschungsreaktor FRM II der Technischen Universität München. In diesem Reaktor betreiben Physiker, Biologen und Materialwissenschaftler tolle Grundlagenforschung mit Neutronen. Leider brauchen sie dafür jährlich 40 Kilogramm hoch angereichertes Uran. Das ist der Stoff für die Bombe, 20 Kilo reichen aus, Iran hat gerade Ärger deswegen. Nach jahrelangem Genehmigungspoker erteilte Gabriels Vorgänger Jürgen Trittin der TU München vor sechs Jahren die Betriebserlaubnis für den FRM II. Unter einer Bedingung: Bis Ende 2010 muss der Reaktor umgerüstet sein auf mittel angereichertes Uran. Prinzip Halbwertszeit: Schiebe unbequeme Entscheidungen so lange auf, bis die Aufregung zerfallen oder dein Nachfolger im Amt ist. Der Zeitplan, so zeigt sich jetzt, ist utopisch. Frühestens 2016 ist der neue Brennstoff fertig, wenn überhaupt. Bald muss der Bundesumweltminister entscheiden: Darf der Forschungsreaktor weiter mit atomwaffenfähigem Uran arbeiten? »Vertragsbruch« schimpfte Gabriel, als er kürzlich das Gelände besuchte. Und dennoch will er die Betriebsgenehmigung aufrechterhalten, die Neutronenforschung sei wichtig. Es geht ihm also ein bisschen wie dem Papst. Er will vergeben, aber nur zur Hälfte. Die Physiker kennen das. Sie reden vom Unschärfeprinzip. MAX RAUNER
einer Publikation im Fachjournal Science hat der Forscher Ende vergangenen Jahres gemeinsam mit US-amerikanischen Kollegen aufgezeigt, wie sich die steigenden Temperaturen auf das Ökosystem in den Tropen auswirken. Nach ihren Ergebnissen werden viele Arten den einzigen Ausweg nehmen, der ihnen bleibt: die Berge hinauf. Dort, wo entwaldete Flächen dies verhindern oder Arten bereits weit oben leben, werden viele Tiere und Pflanzen den Klimawandel nicht überstehen. Schon bei den Arbeiten für die Science-Publikation hatte Brehm große Schwierigkeiten, Informationen über die Tiere und Pflanzen zu finden, die in seinem Forschungsgebiet leben. Kein Wunder: Die 1,75 Millionen Arten, die weltweit bisher bekannt sind, stellen nur einen Bruchteil der wirklich vorhandenen Vielfalt dar. Je nach Schätzung existieren zwischen 10 und 90 Millionen Arten, die meisten davon in den Tropen. Die Beschreibung neuer Tiere und Pflanzen ist folglich noch längst nicht abgeschlossen. Viel Zeit bleibt den Biologen dafür nicht mehr. »In hundert Jahren brauchen wir mit der Bestandsaufnahme nicht mehr anzufanFortsetzung auf Seite 32
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»Durchbruch!« Die »ethisch unbedenkliche Stammzelle« sei endlich gefunden, meldeten Sender und Zeitungen vergangene Woche. Deutsche Forscher hätten das Dilemma der aus Embryos gewonnenen Stammzellen gelöst. Großer Jubel. Dabei hat dieser Durchbruch vor zwei Jahren stattgefunden – in Japan. Dort gelang es, erwachsene Hautzellen durch das Einschleusen von vier Genen in den embryonalen Zustand zu versetzen. Nun haben die Münsteraner Forscher um Hans Schöler den ersehnten Jungbrunnen einzig mit dem Gen Oct-4 in Gang gebracht. Doch die Münsteraner Zellen sind therapeutisch ebenso wenig brauchbar wie die japanischen. Auch Schölers Team hat Oct-4 mithilfe eines Retrovirus in die Zellen geschleust. Die Nutzung dieser Gentechnik birgt medizinische Risiken. Der Durchbruch kommt bestimmt! Das Ziel ist, das in menschlichen Zellen ohnehin vorhandene, aber schlafende Oct-4-Gen mit Pharmawirkstoffen zu wecken, statt es mit Viren einzuschleusen. Dann darf endlich richtig gejubelt werden. ULRICH BAHNSEN
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Weißt du, wie viel … Fortsetzung von Seite 31 gen«, sagt Brehm. »Die Biodiversität geht den Bach runter.« Beim amerikanischen Gegenstück zur Deutschen Forschungsgemeinschaft, der National Science Foundation (NSF), sieht man das ähnlich. »Unsere Bemühungen bei der Inventur der Arten sind äußerst dringlich«, sagt Elizabeth Kellogg, Programmdirektorin beim NSF-Forschungsbereich Systematic Biology and Biodiversity Inventories. Der Klimawandel führe dazu, dass immer mehr Lebensräume und Arten verloren gingen, sagt Kellogg. »Wir unterstützen deswegen die Entdeckung neuer Arten und überlegen ständig, was wir tun können, um diesen Zweig der Wissenschaft weiter zu fördern.« Wie erfolgreich langfristig angelegte Arteninventuren auch nach wissenschaftlichen Maßstäben sein können, zeigt ein US-Forschungsprojekt, das ebenso wie Brehms Arbeit in Costa Rica angesiedelt ist. Seit Anfang der neunziger Jahre katalogisieren dort Wissenschaftler unter dem Namen Alas (Arthropods of La Selva) die Gliederfüßer im tropischen Regenwald. Weit mehr als hundert Publikationen hat die Forschergruppe um den Evolutionsbiologen Rob Colwell inzwischen verfasst – und von Anfang an hat die NSF das Projekt finanziell gefördert.
Die Taxonomen gelten oft als verträumte Käferbeinchenzähler
ZEIT-Grafik
U SA
NICARAGUA Karibisches Meer
La Selva
Las Horquetas
COSTA RICA San José 20 km
weltweiten Arteninventur aus eigener Kraft angehen sollen. Wenn es der DFG aus strukturellen Gründen nicht gelingt, Inventuren und Artenbeschreibungen zu finanzieren – wohin können sich Wissenschaftler wie Gunnar Brehm oder Alexander Haas stattdessen wenden? Bei den beiden Bundesministerien, die eigentlich umsetzen müssten, was die Regierung auf der Artenschutzkonferenz versprochen hat, stößt man bei Nachfrage auf Ratlosigkeit. »Wir dürfen keine Grundlagenforschung fördern«, sagt Jürgen Maaß, Pressesprecher des Bundesumweltministeriums (BMU). Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), auf das er verweist, vergibt nach Auskunft der Pressestelle »nur Fördergelder für nationale Projekte von Bundesinteresse« und grundsätzlich nicht an einzelne Forscher. Selbst wenn sie wollten, könnten BMU und BMBF also weder Bestandsaufnahmen noch Taxonomieprojekte finanzieren. Vor diesem Hintergrund scheint es fast bizarr, dass sowohl die DFG als auch das Bundesumweltministerium in Broschüren für ihr Engagement in der Biodiversitätsforschung werben. »Es klafft eine große Lücke zwischen dem, was politisch propagiert wird, und dem, was tatsächlich umgesetzt wird«, konstatiert Haas. Vielleicht wird es ja etwas nützen, dass Senckenberg-Direktor Volker Mosbrugger seit geraumer Zeit mit anderen Museumsdirektoren der Leibniz-Gemeinschaft für seinen gefährdeten Berufsstand trommelt. In letzter Zeit, sagt Mosbrugger, habe er bei den Zuwendungsgebern des Senckenberg-Museums in Bund und Land mehr Verständnis und gesteigertes Interesse bemerkt. »Dass unsere Sammlungen Archive des Lebens sind und die Infrastruktur für die Forschung bereitstellen, war früher schwerer zu vermitteln.« Auch auf europäischer Ebene sind inzwischen ernsthafte Bemühungen erkennbar, gegen den Verlust der Biodiversität vorzugehen. Das EUProjekt Edit (European Distributed Institute of Taxonomy) soll zum Beispiel herausragende Institute und Museen zusammenführen, an denen taxonomische Forschung betrieben wird. »Uns ist klar, dass es für Taxonomen außerordentlich schwer ist, an Fördergelder zu gelangen«, sagt
Martin Sharman, wissenschaftlicher Referent für Biodiversitätsforschung bei der Europäischen Union. »Wir versuchen deswegen, ein Exzellenznetzwerk aufzubauen und dessen Mitglieder finanziell zu unterstützen. Eines Tages kann dieses Netzwerk hoffentlich Druck auf die nationalen Förderungswerke ausüben, damit sie mehr taxonomische Forschung und Inventuren finanzieren.«
Ohne internationale Kooperation ist eine Arteninventur der Erde undenkbar Eines ist klar: Ohne internationale Vernetzung, wie sie beim Edit-Projekt geleistet wird, lässt sich die drängende Frage nach der Anzahl der Arten auf der Erde nicht beantworten. Um diese gewaltige Aufgabe zu stemmen, wäre eine weltweite Großoffensive der Wissenschaft erforderlich. Wie das im Ansatz funktionieren kann, zeigt das Projekt »Global Census of Marine Life«, das eine Art Volkszählung unter Wasser zum Ziel hat. Der Erfolg dieser Unternehmung beweist auch, dass die Taxonomen bei ihren Bemühungen zumindest auf einen Verbündeten zählen können: die Öffentlichkeit. Bei Laien findet die Entdeckung neuer Arten von jeher großen Anklang. Im Frankfurter Senckenberg-Museum lockt derzeit eine Ausstellung über die biologische Vielfalt in der Tiefsee große Besucherströme an. Vielleicht färbt der Enthusiasmus der Öffentlichkeit irgendwann auf die deutsche Fachwelt ab. Vorläufig sieht Volker Mosbrugger für Forscher wie Gunnar Brehm und Alexander Haas in Deutschland nach wie vor nur eine Möglichkeit, an Fördermittel zu kommen: durch die Hintertür. »Wer die Inventuren als notwendigen Teil eines anderen Projekts verkauft, kommt bei den Gutachtern schon eher durch.« Dieses Prinzip hat auch bei Brehm schon funktioniert. Für sein Klimawandelprojekt in Costa Rica hat er von der DFG Geld erhalten. Ob es allerdings mit solchen Teilprojekten und ausgeklügelter Salamitaktik gelingt, den Großteil der Arten zu erfassen, bevor sie aussterben, ist fraglich. Brehms Falter jedenfalls werden wohl vorerst ohne Namen bleiben. a www.zeit.de/audio
Fotos [M]: Dr. Gunnar Brehm/Institut für Spezielle Zoologie und Evolutionsbiologie, Jena
In Deutschland ist von einer solchen Hilfe wenig zu spüren. Taxonomen, die neue Arten beschreiben, gelten als verträumte Käferbeinchenzähler – und die Frage, welche Tiere und Pflanzen einen Lebensraum bevölkern, betrachtet die überwiegende Mehrheit der Fachwelt nicht als wissenschaftliche Fragestellung. »Wir haben eine zunehmend hypothesengetriebene Wissenschaft«, sagt Volker Mosbrugger, Direktor des Frankfurter Senckenberg-Museums. »Wenn jemand sagt, ich will die Vielfalt des Lebens erforschen, akzeptieren das die Gutachter nicht.« Dabei sei der verstaubte Ruf seiner Zunft höchst unberechtigt, meint Mosbrug-
ger. Die Erfassung von Arten erfordere längst hochmoderne Methoden, ohne Genetik und Molekularbiologie arbeite schon lange kein Taxonom mehr. Dass die Inventur der Arten, ihre Beschreibung und die Sammlungen in Museen die Grundlage für den Artenschutz, aber auch für andere Forschungsprojekte bilden, ist in der deutschen Wissenschaftsszene offensichtlich noch nicht angekommen. Dieser Umstand könnte tragische Konsequenzen haben: Wenn einem Wissenschaftszweig das Geld fehlt, schreckt das den Nachwuchs ab. Auf einem Gebiet wie der Taxonomie wirkt sich das verheerend aus, weil mit jedem Spezialisten auch sein über viele Jahre erworbenes Wissen in Pension geht. Da helfen auch Datenbanken und DNA-Analysen nicht weiter: Brehm verlässt sich beim Vorsortieren der Falter nach einem Fang in erster Linie auf seine Erfahrung. Wenn der Jenaer Zoologe sieht, wie viel Geld beispielsweise für Weltraummissionen ausgegeben wird, packt ihn manchmal die Wut. »Der Mars ist in hundert Jahren immer noch da, und die physikalischen Gesetze verändern sich auch nicht – aber die Arten sterben aus«, sagt er. Die mangelnde Anerkennung innerhalb der Forscherszene ist ein Faktor, der die Inventarisierungsprojekte bei der DFG zu hoffnungslosen Kandidaten macht. »In die Welt hinauszugehen und neue Arten zu entdecken wird aus der Wissenschaft heraus als nicht sehr innovativ angesehen«, sagt Roswitha Schönwitz, Programmdirektorin in der DFG-Geschäftsstelle. Bei der Vergabe von Fördermitteln haben neben Vertretern aus Bund und Ländern vor allem Wissenschaftler das entscheidende Wort. Viele von ihnen sind gewählt, ihre ablehnende Haltung repräsentiert also durchaus die Einstellung ihrer Kollegen. Reine Inventuren und Artenbeschreibungen fallen auch nach Meinung von Erwin Beck nicht unter den Förderauftrag der DFG. »Solche Projekte gehören zu den ureigenen Aufgaben der Sammlungen und Museen«, betont der Vorsitzende der DFG-Senatskommission für Biodiversität. Gelöst ist das Problem dadurch nicht. Die Stellen, die Beck als alternative Geldgeber nennt, sind in aller Regel chronisch klamm. Es ist schwer vorstellbar, wie sie die Mammutaufgabe einer
PUZZLESPIEL mit Ähnlichkeiten: Wo beginnt eine neue Art? Gunnar Brehm hat seine Beute sorgsam aufgespießt und sortiert. Jetzt fehlen nur noch einige Namen
Gern gelobt, ungern gefördert Alle wollen die Biodiversität erhalten – aber das nötige Expertenwissen droht verloren zu gehen. Fragen an den Hamburger Zoologen Alexander Haas DIE ZEIT: Wo liegt der Schwerpunkt Ihres Forschungsprojekts? ALEXANDER HAAS: Wir erarbeiten auf Borneo einen Katalog der Froschlurche, in dem man unter anderem nachschlagen kann, welche Larve zu welcher Art gehört. Bei der Beschreibung von Fröschen werden die Larvalformen oft vernachlässigt. Wenn man ein Gebiet ökologisch erfassen will, ist das ein Problem – gefundene Kaulquappen sollte man auch einer Art zuordnen können. ZEIT: Wer finanziert die Forschungsarbeit? HAAS: Bisher die VW-Stiftung. Das Projekt war Teil eines Partnerschaftsprogramms mit Asien, in dem jeweils ein einheimischer und ein deutscher
Foto: Andreas Sentker
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Wissenschaftler zusammenarbeiten und sich die Förderungsgelder teilen. Die Finanzierung läuft jetzt aus, weil die VW-Stiftung sich mit dem Programm auf Afrika konzentrieren will. Wenn ich es richtig verstanden habe, werden auch nur noch stark anwendungsbezogene Projekte gefördert. ZEIT: Ist die Finanzierung Ihrer Arbeit gesichert? HAAS: Bisher noch nicht. Ich hoffe, dass ich mit einem Antrag bei der DFG neue Gelder einwerben kann. Die Erfassung von Arten muss dafür allerdings in eine übergreifende Fragestellung eingebet-
tet sein, es reicht nicht zu sagen: Ich will neue Arten entdecken. Das funktioniert eher so, dass man bei den Feldforschungen zum Projekt nebenher auch etwas Inventur betreibt, und dabei kann es passieren, dass man neue Tiere entdeckt. Ich wüsste gar nicht, welche Stelle in Deutschland ein rein taxonomisches Inventurprojekt finanzieren würde. National Geographic fördert Expeditionen, aber nur, wenn es sich dabei um eine aufsehenerregende Art oder ein besonderes Gebiet handelt. ZEIT: Haben Ihre internationalen Kollegen ähnliche Probleme mit der Forschungsförderung? HAAS: Wissenschaftler aus den USA haben auch ihre Schwierigkeiten, zumindest, was Amphibien betrifft. Ich weiß von einer Gruppe, die demnächst einen Antrag an die National Science Foundation stellen will. Wir schätzen, dass allein in den Regalen von Museen etwa 500 neue Froscharten der Einordnung harren – aber die genaue Beschreibung und Veröffentlichung der Daten kommt nicht voran, weil es dafür keine Förderung gibt. ZEIT: Leidet die Taxonomie an einer Imagekrise? HAAS: Es gibt eine starke Diskrepanz zwischen dem, was propagiert wird, und dem, was umgesetzt wird. Das Thema Artenschutz kommt in der öffentlichen Wahrnehmung sehr positiv an. Auch auf der politischen Ebene gab es in den vergangenen Jahren Fortschritte. Das Bundesumweltministerium und die Deutsche Forschungsgemeinschaft haben zum Beispiel Broschüren verfasst, in denen sie sich mit dem Thema Biodiversität auseinandersetzen. Der politische Wille zeichnet sich also ab – aber gleichzeitig gibt es immer noch keine gezielten Fördermittel für die Inventarisierung und Beschreibung der Arten auf unserer Erde.
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ZEIT: Warum haben es ausgerechnet diese beiden Disziplinen so schwer? HAAS: Die Probleme sind sehr vielschichtig. Ein Beispiel dafür ist die Biopiraterie. Viele Nationen, gerade in den Tropen, haben Bedenken, wenn Wissenschaftler von außerhalb kommen und Tiere
ALEXANDER HAAS erforscht die Vielfalt der Frösche auf Borneo. Hier jagt er Kaulquappen
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und Pflanzen aus ihrem Land ausführen wollen. Das ist völlig berechtigt. Daher ist es sehr wichtig, mit den Leuten vor Ort zu kooperieren und vertragliche Abkommen zu schließen. Es erfordert viel Geduld und vertrauensbildende Prozesse, um Inventurprojekte international zu verankern. ZEIT: Wie könnte man die Mittel beschaffen für bessere internationale Kooperationen? HAAS: Wenn ich sehe, wie viel Geld in Projekte wie den Teilchenbeschleuniger LHC fließt, denke ich manchmal, wir bräuchten einfach eine bessere Lobbyarbeit. In Genf arbeitet ein riesiges Konsortium internationaler Wissenschaftler für den Erkenntnisgewinn. Wieso klappt das bei der Erfassung der Artenvielfalt nicht? Wir haben die wichtige Frage zu klären, welche Arten auf der Erde leben. Der finanzielle Aufwand ist überschaubar, aber der langfristige Nutzen scheint die potenziellen Geldgeber noch nicht zu überzeugen. ZEIT: Worin liegt denn der konkrete Nutzen, zum Beispiel Ihres Forschungsprojekts? HAAS: Ich betreibe Grundlagenforschung, die in erster Linie erkenntnisorientiert ist. Nutzlos ist sie trotzdem nicht: Viele Hautsekrete von Fröschen sind von großem pharmakologischem Interesse. Sie wirken antibakteriell oder schmerzlindernd. Welche Art für den Menschen wichtig ist, lässt sich nicht vorhersagen. Dennoch gehen wir ein großes Risiko ein, wenn wir so viele Arten einfach aussterben lassen. Mir ist klar, dass wir nicht alles unter Schutz stellen können. Die Frage lautet vielmehr, wie können wir möglichst viele der Arten retten? Das gelingt nur, wenn wir zuerst die Gebiete mit der größten Biodiversität bewahren. So erhalten wir auch am wahrscheinlichsten die Arten, die ei-
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nen wirtschaftlichen oder pharmakologischen Nutzen haben könnten. Das wiederum ist erst möglich, wenn wir wissen, wo diese Stellen liegen. ZEIT: Was muss passieren, damit es für die Taxonomen wieder aufwärtsgeht? HAAS: Ich habe das Gefühl, dass sich das Image in den letzten fünf, zehn Jahren schon etwas verbessert hat. Es wird langsam klar, dass man auf die Expertise von Taxonomen nicht verzichten kann. Es gibt einige gute nationale und internationale Organisationen, die auf das Nachwuchsproblem und den Verlust von Expertenwissen aufmerksam machen. Viele Lehrstühle für Systematische Biologie wurden im Verlauf der letzten 20 Jahre nicht mehr mit Systematikern besetzt, die Universitäten haben sich aus der Nachwuchsförderung auf diesem Gebiet zunehmend zurückgezogen. Die großen Forschungsmuseen sind fast die einzigen Orte, die heute noch Taxonomen ausbilden. ZEIT: Wie könnte ein modernes Inventurprojekt aussehen? HAAS: Sinnvoll wäre eine Bündelung der Forschungsaktivitäten in großen Zusammenschlüssen. Ein Gremium sollte sich nicht entscheiden müssen, ob es die Erfassung der Käfer oder die der Amphibien fördert. Wir brauchen Konsortien von Wissenschaftlern, die sich auf ein kritisches Gebiet konzentrieren und die Inventur zusammen angehen, gemeinsam mit Institutionen, die das fördern, und in enger Kooperation mit den Ländern, in denen die Untersuchungsgebiete liegen. So kann man die Ressourcen teilen, Feldstationen und Logistik gemeinsam nutzen und die Ergebnisse in einem größeren Kontext bewerten. DIE FRAGEN STELLTE JOSEPHINA MAIER
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Foto: Julia Baier/fotoetage für DIE ZEIT/www.juliabaier.de
ANGST? So etwas kennt Michel nicht. Er ist immer auf der Suche nach Abenteuern
Kobold und Elfenkind Das Williams-Beuren-Syndrom ist eine genetische Störung des Sozialverhaltens. Es zeigt, wie Furcht und Vertrauen im Gehirn organisiert sind VON WIEBKE SCHÖNBOHM-WILKE
Wo ist Dr. Williams? Der Arzt John Cyprian Phipps Williams galt als freundlicher, außerordentlich charmanter Zeitgenosse. Er arbeitete am Greenlane Hospital in Auckland in Neuseeland. Dort fiel ihm auf, dass einige Kinder mit Herzproblemen weitere Besonderheiten aufwiesen: extreme Kontaktfreude, Minderwuchs, eine ungewöhnliche Gesichtsform und verschiedene Grade geistiger Behinderung. Williams spürte dem Phänomen nach. 1961 veröffentlichte er mit seinen Kollegen Brian Gerald Barratt-Boyes und James Lowe im Fachblatt Circulation die erste Beschreibung des Williams-Beuren-Syndroms. Williams wurde auf einen Schlag berühmt. 1964 bot ihm die renommierte amerikanische Mayo-Klinik eine Stelle an. Williams akzeptierte, trat aber nicht an. Stattdessen arbeitete er eine Zeit lang in London, bis ihm die MayoKlinik eine weitere Offerte machte. Er sagte erneut zu – und verschwand. Bis heute ist sein Aufenthaltsort unbekannt. Seine einzige Hinterlassenschaft war ein Koffer in einem Londoner Schließfach. Charme, sagt sein ehemaliger Kollege James Lowe, sei nicht Williams’ hervorstechendster Charakterzug gewesen. »Er war vor allem ein brillanter Exzentriker.«
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Bettina Wiese ihren Sohn abstillen. Besorgt wenden sich die Eltern an ihren Kinderarzt, der bei Michel aber nichts feststellt. Das ungute Gefühl, dass Michel »irgendwie ganz anders tickt«, lässt die Wieses nicht los. Denn auch die nächsten Stufen der kindlichen Entwicklung erreicht Michel trotz Krankengymnastik nur im Schneckentempo: Erst mit acht Monaten erscheint ein erstes Lächeln, mit 14 Monaten sitzt er, an seinem zweiten Geburtstag gelingen ihm erste Schritte. Seine ersten Wörter (Mutti, Vati, Ventilator, Staubsauger) spricht er mit zwei Jahren, dann explodiert sein Wortschatz förmlich. Den Eltern fällt bald ein außergewöhnlicher Wesenszug auf. Michel, wegen starker Fehlsichtigkeit inzwischen mit einer Brille ausgestattet, ist extrem neugierig auf Menschen. Jedem Fremden fragt er Löcher in den Bauch: »Wie heißt du? Wo wohnst du? Hast du einen Autoschlüssel?« Schon mit drei Jahren kann er anhand der Schlüssel rund 30 Automarken aufzählen. Von Anfang an interessiert sich Michel fast zwanghaft für technische Geräte, zugleich kennt er keine Angst, weder vor Menschen noch vor Maschinen. Wenn Michel den Rasenmäher in Nachbars Garten hört, gibt es für ihn kein Halten mehr. Dann marschiert er los, ganz allein, immer dem Geräusch hinterher. Fast drei Jahre lang tappen die Wieses im Dunkeln. Als wegen der Entwicklungsverzögerung eine weitere Frühförderung ansteht, erkennt die neue Amts- und Jugendärztin bei Michel das Williams-Beuren-Syndrom. Eine genetische Untersuchung bestätigt die Vermutung. Die Eltern sind bestürzt. Das Wissen, dass Michel geistig behindert ist – spätere Untersuchungen ergeben einen IQ-Wert von 67 –, können sie zunächst nur schwer verkraften. »Zuvor hatten wir die Hoffnung, dass sich seine Entwicklungsverzögerung irgendwann auswächst«, sagt der Vater, ein Gymnasiallehrer. Da Michel ein extremer Nestflüchter ist, stellen seine Eltern mobile Zaunelemente auf dem Grundstück auf und befestigen Glocken an seinen Fahrzeugen. Während Gleichaltrige schon lange mit dem Roller ins Dorf flitzen, steht Michel jede Minute unter Beobachtung. Wenn die Familie, zu der auch noch die siebenjährige Tete und die zehnjährige Meret gehören, eine größere Stadt besucht, wird Michel wie ein Kleinkind im Buggy festgeschnallt. Um den Hals trägt er sicherheitshalber noch eine Notfallkette mit der Adresse und der Handynummer der Eltern. Erst seit diesem Sommer lassen Bettina und Axel Wiese ihren Filius mit einem mulmigen Gefühl in dem 400-Seelen-Dorf auch schon einmal allein zu den Nachbarn laufen.
Michel ist geistig behindert, aber sprachlich ungeheuer begabt Es ist die Widersprüchlichkeit seiner Krankheit, die die Angehörigen fasziniert: Michel ist geistig behindert, aber sprachlich begabt. Neue Begriffe wie beispielsweise Erbsensuppe oder Prophylaxe wiederholt er an manchen Tagen bis zu hundert Mal. Seine ein Jahr ältere Schwester Tete verbessert er sogar grammatikalisch. Wegen seiner fantasievollen und wortreichen Sprache wird Michel daher von vielen auf den ersten Blick als besonders helles Köpfchen wahrgenommen – ein Phänomen, das in Amerika als Cocktail-Party-Manner beschrieben wird.
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»Von allen genetischen Störungen des Sozialverhaltens ist das Williams-Beuren-Syndrom sicherlich eine der faszinierendsten und meistdiskutierten«, sagt Andreas Meyer-Lindenberg, Direktor des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim. Der Neurologe und Psychiater, der zum Beirat des WBS-Bundesverbandes gehört, arbeitet seit vielen Jahren an der Erforschung des Syndroms. 2005 ergaben seine Untersuchungen, dass eine Fehlschaltung des Mandelkerns, einer kleinen Gehirnregion, die unter anderem die Funktion hat, Gefahrensignale auszusenden, für die sozialen Auffälligkeiten der Betroffenen verantwortlich ist. Williams-Beuren-Patienten, denen im Rahmen der Studie Bilder von wütenden oder zornigen Menschen gezeigt wurden, reagierten im Gegensatz zur gesunden Vergleichsgruppe kaum auf diese negativen Reize. Eine funktionale Magnetresonanztomografie lieferte die Begründung: Ihr Mandelkern reagierte kaum. Dagegen führte das Anschauen von Bildern mit gefährlichen Situationen ohne Menschen, etwa brennenden Häusern oder abstürzenden Flugzeugen, bei der WBS-Gruppe zu einer weit größeren Mandelkern-Aktivität als bei der Vergleichsgruppe. Diese Ergebnisse passen zum klinischen Bild: Während die Betroffenen auf negative Signale von anderen Menschen kaum reagieren, ängstigen sie sich oft übermäßig in bedrohlichen Situationen.
Es gibt einen Unterschied zwischen sozialer und nichtsozialer Furcht Befunde wie diese machen WBS zu einem faszinierenden Forschungsthema. »Ohne das Williams-Beuren-Syndrom wüssten wir nicht, dass es überhaupt einen Unterschied zwischen sozialer und nichtsozialer Furcht gibt. Durch den Vergleich konnten wir nicht nur einen Hirnmechanismus aufklären, der zu einer besseren Behandlung der Betroffenen beitragen kann, sondern auch unsere Kenntnisse über die Gehirnabläufe im ungestörten menschlichen Sozialverhalten erweitern«, sagt MeyerLindenberg. Michels kaum zu stillenden Hunger nach Kontakten, der für alle Betroffenen mit WBS typisch ist, empfinden seine Eltern inzwischen als Gewinn. Denn ihr Sohn ist zugleich extrem freundlich, friedfertig und einfühlsam. Wie sein Namensvetter aus der Feder von Astrid Lindgren hat er eine besondere Antenne für ältere, behinderte und hilfsbedürftige Menschen entwickelt. Durch seine Zugewandtheit, sein offenes Wesen und die vielen – wenn auch noch mitunter stereotypen – Fragen lockt er immer wieder Menschen aus der Reserve. Beim Einkaufen »verkuppelt« er gerne Kunden, die er neu kennengelernt hat, mit der Kassiererin: »Hast du eine Freundin? Nein? Dann nimm doch die Christa.« »Menschen mit WBS haben ein phänomenales Personen- und Ortsgedächtnis«, sagt Rainer Pankau, der sich als Kinder- und Jugendarzt seit 20 Jahren mit diesem Krankheitsbild beschäftigt. Michel kann neben den Kindergartenkindern aus seiner Gruppe auch alle Eltern und Großeltern (sowie deren Autos) mit Namen benennen und zuordnen. Menschen mit WBS, sagt Pankau, hätten ein unerschütterliches Vertrauen in das Gute der Welt, getreu dem Motto: »Das Böse gibt es nicht.« Gäbe es mehr von die-
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sen Menschen, ginge es der Menschheit besser, ist der Chefarzt des Heidekreis-Klinikums überzeugt. Doch Michels quirliges Temperament birgt besondere Risiken: Er kann keine Gefahren einschätzen, kriecht gerne unter parkende Autos, um sich die Technik genauer anzusehen. Mehr als vor Kidnapping haben Bettina und Axel Wiese daher Angst, dass ihrem Sohn im Straßenverkehr etwas zustoßen könnte. Mit seinen besonderen Fähigkeiten ist Michel kein Einzelfall. Auffallend viele WBS-Patienten besitzen besondere Begabungen. Während die eine Expertin für Mineralien ist, kennt eine andere sämtliche Kirchtürme von Deutschland, ein weiterer WBS-Patient hat sich auf Bahnhöfe spezialisiert. Viele Betroffene sind sehr musikalisch, einige besitzen das absolute Gehör und spielen ohne Notenkenntnisse verschiedene Instrumente. Gloria Lenhoff aus den USA, eine junge Frau mit dem Williams-Beuren-Syndrom, wurde dadurch bekannt, dass sie Opernarien in mehr als 30 Sprachen singt. Auch Michel hat eine hohe Sensibilität gegenüber Klängen. Einmal die Woche besucht er mit Begeisterung eine Tanzgruppe, außerdem spielt er leidenschaftlich auf seiner kleinen Gitarre. Demnächst soll er eine musikalische Früherziehung besuchen. Ob er eine besondere musikalisch Begabung entwickelt wie viele andere WBS-Betroffene, die der Neurologe und Bestsellerautor Oliver Sacks in seinem aktuellen Buch Der einarmige Pianist beschrieben hat, werden seine Eltern erst in einigen Jahren beurteilen können. Wird Michel auch noch mit 50 Jahren ältere Damen auf Parkbänken ansprechen? Vermutlich ja. »Ihre Kontaktfreudigkeit verlieren WBS-Betroffene ihr ganzes Leben lang nicht«, erläutert ANZEIGE
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ichel aus Lönneberga kennt fast jeder. Michel aus Friesland ist nicht so populär. Aber er arbeitet daran. Kontaktschwäche kennt Michel nicht. Beim täglichen Einkauf mit seiner Mutter begrüßt der Sechsjährige lautstark den Filialleiter des Supermarkts: »Hallo, Chef!« – »Hallo, Michel!«, ruft der freundlich zurück und mit ihm stimmen von der Käsetheke bis zum Getränkestand alle Mitarbeiter im Chor ein. An der Wursttheke lädt Michel alle Kunden großzügig zu sich nach Hause ein: »Ihr kauft Grillsachen? Dann kommt doch nachher einfach zu uns.« Was von Außenstehenden als drollige Begebenheit aufgenommen wird, ist für Michels Eltern der normale Notstand. Michels extreme Kontaktfreudigkeit ist ein Symptom des Williams-Beuren-Syndroms (WBS), der Folge einer spontanen Genmutation. Die Veranlagung ist sehr selten, man spricht von einem Fall auf 8000 Geburten. »In den ersten Jahren war unser Grundstück ein Hochsicherheitstrakt«, erzählt Michels Vater, Axel Wiese. Ohne diese Vorsichtsmaßnahme wäre sein abenteuerlustiger Sohn in einem unbeaufsichtigten Moment mit dem Postboten mitgelaufen oder in ein haltendes Auto eingestiegen. Auch heute noch ist Michel immer mal wieder spurlos verschwunden. Kinder mit dem Williams-Beuren-Syndrom wurden früher in der Fachliteratur wegen ihrer besonderen Gesichtsform als Kobolde oder Elfen bezeichnet. Bei ihnen ist ein kleiner Bereich des Chromosoms 7 während der Bildung der Keimzellen eines Elternteils verloren gegangen. Unter den dadurch fehlenden Erbanlagen ist das für die Funktion von Herz und Arterien wichtige Elastin-Gen. Die Genverluste sind auch für das charakteristische Aussehen und Verhalten der Kinder verantwortlich. Ihr Kopf ist häufig zu klein, die Wangen sind pausbäckig. Auch bei Michel stehen die rot aufgeworfenen Lippen meist offen. Auffallend sind die ausladenden Nasenflügel, die kugelige Nasenspitze und die schwer wirkenden Augenlider. Menschen mit WBS sind von Geburt an zierlich und werden nicht sehr groß. Herzfehler – sogenannte Aortenstenosen, die heute glücklicherweise schon früh erkannt werden können – sind typisch, daher wurde das Syndrom auch zuerst von dem neuseeländischen Kardiologen John Cyprian Phipps Williams und seinem deutschen Fachkollegen Alois Beuren unabhängig voneinander Anfang der sechziger Jahre beschrieben. Michel kommt nach einer ganz normal verlaufenden Schwangerschaft aufgrund sich verschlechternder Herzwerte im April 2002 mit einem Kaiserschnitt zur Welt. Sein erster Anblick erschreckt die Eltern. »Er sah aus wie ein alter, ausgezehrter Mann«, erinnert sich seine Mutter, eine ausgebildete Krankenschwester. Mit 2700 Gramm ist er ein Kilo leichter als seine beiden älteren Schwestern bei der Geburt, sein Apgar-Test (eine Schnelluntersuchung zum Gesundheitszustand von Neugeborenen) fällt aber tadellos aus. Doch das erste Lebensjahr ist purer Stress: Michel schreit fast ohne Unterbrechung und entwickelt keinen Schlaf- und Wachrhythmus. Auch das Trinken bereitet ihm große Schwierigkeiten. Schon nach knapp drei Wochen muss
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Pankau. Da das quirlige Wesen nach der Pubertät aber oft in eine »Sofasitzmentalität« umschlage, sei es wichtig, dass bereits in der Kindheit regelmäßige Freizeitbeschäftigungen gepflegt würden, an denen später angeknüpft werden könne. Die meisten Erwachsenen, die Pankau betreut, sind auf eine lebenslange Fürsorge angewiesen. Michel wird vermutlich trotz seiner sprachlichen, sozialen und vielleicht auch musikalischen Begabungen nicht wie sein berühmter Namensvetter aus Lönneberga Bürgermeister werden. Bettina und Axel Wiese wissen um die Grenzen seiner Lebensentfaltung. Ihr größter Wunsch ist einfach: dass Michel mit seinen besonderen Stärken und Schwächen glücklich wird.
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Der angepasste Glaube
Fotos [M]: Peter Granser/laif; privat (u.)
Was macht den Erfolg einer Religion aus? Ein Gespräch mit dem Religionsanthropologen Richard Sosis
RITUALE sind wichtig. Sie fördern den Zusammenhalt
DIE ZEIT: Professor Sosis, als Religionsanthropologe erforschen Sie Faktoren, die den Erfolg religiöser Kommunen ausmachen (siehe unten). Eines Ihrer verblüffenden Ergebnisse lautet: Je strikter eine Gemeinschaft das Leben ihrer Gläubigen reglementiert, umso dauerhafter ist sie. Gilt diese Erkenntnis auch für die katholische Kirche? RICHARD SOSIS: Man muss vorsichtig sein, unsere Modelle zu verallgemeinern. Religion ist ein sehr komplexes Phänomen, und das Feld der Religionsanthropologie ist noch jung. Aber im Großen und Ganzen würde ich Ihre Frage bejahen. Zwar kann man die katholische Kirche nicht direkt mit jenen Kommunen vergleichen, die wir in unserer Studie untersuchten. Aber auch um Mitglied der katholischen Kirche zu sein, muss man gewisse Gebote und Einschränkungen befolgen. Und eine mögliche Funktion dieser Verpflichtungen ist es, Gemeinschaftssinn und Zusammenhalt zu erzeugen. ZEIT: Manche Religionsforscher sprechen in diesem Zusammenhang von »kostspieligen Signalen«. Was ist damit gemeint? SOSIS: Wer sich religiösen Einschränkungen unterwirft, signalisiert anderen Gläubigen damit seine Ernsthaftigkeit und seine Bereitschaft, sich der Gruppe unterzuordnen. Er bringt also seinem Glauben und der Gruppe Opfer. Und je größer diese Opfer sind, umso geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Gläubige sein Engagement nur vortäuscht. Das nennen wir in der Evolutionsbiologie ein »schwer zu fälschendes« oder »kostspieliges« Signal. ZEIT: Es gibt Wissenschaftler, die auf der Basis dieser Theorie argumentieren, das 2. Vatikanische Konzil sei ein Fehler gewesen. Die damals beschlossene Liberalisierung habe den Gruppendruck gesenkt, der das Erfolgsprinzip religiöser Gemeinschaften ist. Aus dieser Perspektive wäre also ein eher konservativer Kurs angeraten. SOSIS: Wir haben es hier mit einer Abwägung zu tun: Was gewinnt eine Kirche, wenn sie gewandelten gesellschaftlichen Überzeugungen entgegenkommt – und was verliert sie? Werden die tradierten Regeln gelockert, mag das Mitglieder halten, die sonst vielleicht abgewandert wären; aber das geht meist auf Kosten ihrer Verbindlichkeit und ihres Engagements. Und genau das beobachten wir in Nordamerika und Europa: Die Gläubigen gehen seltener zum Gottesdienst, befolgen Fastenzeiten und Gebote weniger strikt, engagieren sich weniger in der Gemeinde und so weiter. ZEIT: Ist es aus anthropologischer Sicht nachvollziehbar, dass der Papst versucht, erzkonservative Gruppen wie die Pius-Brüderschaft zu integrieren? SOSIS: Man muss kein Anthropologe sein, um das zu verstehen. Die Abspaltung der Pius-Gemeinschaft bedeutet eine Bedrohung für die katholische Kirche, und es ist nur zu verständlich, dass der
Papst versucht, die Kirche zu einen. Es ist ja seine Aufgabe, die gemeinsame Doktrin vorzugeben und die Gemeinschaft zusammenzuhalten. ZEIT: Um jeden Preis? Mit der Integration eines Holocaust-Leugners dürfte er der Einheit seiner Kirche doch einen Bärendienst erwiesen haben. SOSIS: Das zeigt die Zweischneidigkeit einer hierarchischen Struktur. Einerseits hilft so eine Struktur, die Herde zusammenzuhalten. Die katholische Kirche ist eine Organisation, der etwa 1,1 Milliarden Menschen angehören, und sie hat eine einzige Person an ihrer Spitze. Das ist außergewöhnlich und mit kaum einer anderen Institution vergleichbar. Auf der anderen Seite birgt diese Struktur enorme Risiken: zum Beispiel das Risiko, dass sich viele Menschen mit dieser einen Führungsfigur nicht identifizieren können oder dass der Papst Entscheidungen trifft, für die das Gros der Gläubigen nicht bereit ist. ZEIT: Ist der Papst denn auf die Meinung des katholischen Fußvolks überhaupt angewiesen? SOSIS: Was mich bei der Erforschung von Religionen fasziniert, ist zu sehen, wie dynamisch das Wechselspiel zwischen Religionsführern und Gläubigen ist. Es gibt nicht nur die Einbahnstraße der von oben verordneten Doktrinen, viele Einflüsse gehen auch von der Basis aus. Erfolgreiche Religionen sind stets dadurch gekennzeichnet, dass ihre Führungsspitze nicht einfach blind dekretiert, sondern im Einklang mit der Bereitschaft ihrer Mitglieder handelt. Das ist eine delikate Spannung. Auch die katholische Kirche muss durch dieses Spannungsfeld navigieren. Angesichts der Diversität der verschiedenen katholischen Gemeinden in aller Herren Länder scheint das eine fast unmögliche Aufgabe zu sein. Es ist ziemlich bemerkenswert, wie das bisher funktionierte. ZEIT: Ihre eigene Religion, das Judentum, kommt ohne so eine hierarchische Struktur aus. Dort wird nicht dekretiert, sondern disputiert. Und dennoch überdauert das Judentum seit über 2000 Jahren. Ist das ein erfolgreiches Gegenmodell? SOSIS: Ja und nein. Das Judentum mag erfolgreich überlebt haben. Aber schauen Sie sich die Mitgliederzahlen an! Weltweit gehören nur rund 0,2 Prozent der Menschheit dem jüdischen Glauben an. Zur katholischen Kirche gehört dagegen ein Sechstel der Weltbevölkerung. Und vom evolutionären Standpunkt aus ist die Größe einer Organisation das entscheidende Erfolgskriterium. ZEIT: Wenn wir, nur mal als Gedankenspiel, die Situation der katholischen Kirche aus Sicht der Evolutionsbiologie interpretieren. Wird so verständlich, warum Papst Benedikt XVI. die lateinische Messe wieder einführte, warum er das Karfreitagsgebet wieder etablierte, in dem für die Bekehrung der Juden gebetet wird, und warum er den Schulterschluss mit den Traditionalisten sucht? Könnte
man sagen, dass er die Regeln wieder strikter und die Mitgliedschaft in der katholischen Kirche »kostspieliger« und damit wertvoller machen will? SOSIS: Es kann schon sein, dass die von Ihnen skizzierte Strategie Erfolg hat. Auch das Reformjudentum hat zunächst viele Rituale verworfen, bis man erkannte, dass ohne Rituale einer Gemeinde die Struktur und die Bindung fehlen, und es vor einigen Jahren wieder eine Rückkehr zu alten Gepflogenheiten gab. Aber die »kostspieligen Signale« funktionieren nur, wenn ihr Preis angemessen ist und akzeptiert wird. ZEIT: In Ihrer Studie zur Langlebigkeit religiöser Kommunen spielt das Gebot des Zölibats eine wichtige Rolle. Profitiert die katholische Kirche von diesem »kostspieligen Signal«? SOSIS: In der Tat ist das Zölibat ein extrem guter Indikator für die Hingabe an eine Gruppe. Und das zölibatäre Leben einer Priesterschaft lässt sich als starkes Signal interpretieren, das bei den Massen Vertrauen erzeugt. Wer so ein Opfer bringt und seine Möglichkeit zur Reproduktion aufgibt, dem kann man zutrauen, dass er sich den Werten der Kirche verpflichtet und seine Entscheidungen selbstlos trifft. Es könnte allerdings sein, dass das Zölibat heute seine Signalfunktion verloren hat. Nach den Missbrauchsskandalen, die insbesondere die katholische Kirche in Amerika erschütterten, könnte sich die Meinung vieler Gläubiger gewandelt haben. Sie nehmen den zölibatär lebenden Priestern ihre moralische Haltung nicht mehr ab, sehen das Zölibat vielleicht sogar als Gefahr an. ZEIT: Wenn sich das Umfeld ändert, wandelt sich auch der Wert der »kostspieligen Signale«. Auf welche Faktoren kann man sich dann noch verlassen? Was sichert den Erfolg einer Religion? SOSIS: In einem Wort – Anpassungsvermögen. Schauen Sie sich die Geschichte an. Das Judentum, die katholische Kirche, jede langlebige Religion – sie alle haben sich gewandelt, und sie müssen es weiterhin tun. Allerdings ist es das Kennzeichen eines erfolgreichen Wandels, dass die Gläubigen ihn gar nicht wahrnehmen. Es gehört ja gerade zum Wesensmerkmal der Religionen, dass sie dem Zeitgeist gegenüber veränderungsresistent erscheinen. Wer eine Religion erfolgreich modernisieren will, beruft sich am besten auf die alten Texte und erzeugt den Eindruck, im Sinne der Tradition zu handeln. Wird eine Veränderung als Neuerung wahrgenommen – etwa die Einführung eines völlig neuen Rituals – stößt das oft auf großen Widerstand. Religionen sind dann erfolgreich, wenn sie sich stets ihrer Umgebung anpassen; aber sie müssen das auf eine Art und Weise tun, die für die Gläubigen selbst nicht wahrnehmbar ist.
Zu einem ähnlichen Resultat gelangte Sosis, der zeitweilig an der Hebrew University in Jerusalem lehrte, auch bei einer Untersuchung von 270 israelischen Kibbuzen. Seiner Analyse zufolge wirtschafteten dabei jene Gemeinschaften am erfolgreichsten, die dezidiert religiös ausgerichtet waren, obwohl sie eine ganze Reihe von Geboten befolgen, die aus ökonomischer Sicht kontraproduktiv erscheinen (etwa das Verbot, am Sabbat Kühe zu melken). Doch während in den weltlich orientierten Kibbuzen die Mitglieder mehr miteinander konkurrierten, fühlten sich die religiösen Kibbuzniks durch ihren Glau-
ben zusammengehalten und arbeiteten solidarischer und besser zusammen, wie Sosis nachwies. Aus Sicht des jüdischen Religionsanthropologen weisen solche Ergebnisse auf eine verhaltensbiologisch wichtige Funktion des religiösen Glaubens hin. Schließlich sieht sich jede Gemeinschaft mit zwei widerstreitenden Tendenzen konfrontiert: Einerseits profitiert jedes Mitglied vom Gruppenzusammenhalt; andererseits besteht für jeden Einzelnen die Versuchung, sich auf Kosten der Gruppe Vorteile zu verschaffen. Dem lässt sich mit Verweis auf gemeinsame religiöse Gebote offenbar wirkungsvoll begegnen. Denn anders als politischen Gesetzen kommt religiösen Dogmen eine höhere Autorität zu, der man sich mit größe-
rer Bereitschaft unterwirft. Außerdem demonstrieren die Gemeindemitglieder mit der Anerkennung der jeweiligen religiösen Vorschriften und Einschränkungen, dass sie gewillt sind, der Gemeinschaft auch etwas zu opfern, und stellen so ihre Verbindlichkeit wirkungsvoll unter Beweis. Evolutionsbiologen sprechen in diesem Zusammenhang auch von einem costly-to-fake-principle, von einem »schwer zu fälschenden Signal«: Je mehr man einer Gemeinde opfern muss, umso geringer ist die Neigung, sein Engagement für die Gruppe nur vorzutäuschen. Und religiöse Vorschriften und Gebote eignen sich – wie Sosis Arbeiten zeigen – hervorragend als kostspielige Signale. BEL
DIE FRAGEN STELLTE ULRICH SCHNABEL
Vom evolutionären Nutzen der Religion Nach den Kriterien der evolutionären Selektion sollten sich jene Eigenschaften durchsetzen, die der jeweiligen Art auf irgendeine Weise von Nutzen sind. Was aber ist für den Menschen der evolutionäre Nutzen von Religion? Diese Frage beschäftigt seit einigen Jahren Anthropologen und Evolutionsbiologen (siehe auch ZEIT Nr. 1/09), und einer der markantesten Vertreter dieser neuen Forschungsrichtung ist Richard Sosis, Anthropologe an der University of Connecticut. Er hat unter anderem das Schicksal von 200 alternativen Kommunen untersucht, die im 19. Jahrhundert in den Vereinigten Staaten entstanden – anarchistische Gruppen, sozialreformerische Kommunen und religiöse Gemeinden. Dabei stellte
Sosis fest: Die religiösen Gruppen wiesen im Schnitt eine vierfach höhere »Überlebenswahrscheinlichkeit« auf als die weltlichen. Während die säkularen Kommunen maximal vierzig Jahre hielten, hatten auch nach achtzig Jahren noch 20 Prozent der religiösen Kommunen Bestand. Dabei reüssierten vor allem jene religiösen Gemeinden, die den Lebensstil ihrer Mitglieder besonders stark reglementierten. Vom Verbot von Alkohol über Kleidungsvorschriften bis hin zu Geboten wie Fastenzeiten oder Zölibat – je mehr Einschränkungen eine religiöse Gemeinschaft praktizierte, umso länger überdauerte sie.
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DIE BÜNDEL werden dann in feste Hüllrohre gestopft. Die Filter arbeiten weitgehend störungsfrei. Aufwendige Kontrollen sind selten nötig
Moderne Filteranlagen können viele Menschen mit sauberem Trinkwasser versorgen. Die Technik funktioniert im großen Maßstab wie im Privathaushalt VON DIRK ASENDORPF
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edes Jahr sterben nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation 1,6 Millionen Menschen durch verseuchtes Trinkwasser – das sind mehr Opfer, als bewaffnete Konflikte oder Aids fordern. 900 Millionen Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, die meisten in ländlichen Gebieten, viele aber auch in den Armenvierteln der Megastädte Afrikas, Asiens und Lateinamerikas. Und selbst dort, wo Leitungswasser verfügbar ist, wird es fast immer mit uralter Technik aufbereitet. »Dabei könnten wir heute die veraltete Sandfiltration in vielen Fällen durch Ultrafiltration ersetzen oder sinnvoll ergänzen«, sagt Peter Berg. Der Wassertechniker hat vor sechs Jahren den Forschungsbetrieb verlassen und die Inge AG gegründet, den größten deutschen Hersteller für Membranen zur Trinkwasseraufbereitung. Deren Poren sind so winzig, dass sie Wassermoleküle gerade noch durchlassen. Schmutz und Schwebstoffe werden – wie bei den klassischen Sandfiltern – zurückgehalten, zusätzlich aber auch Bakterien und Viren. Das Ergebnis ist Trinkwasser mit gleichbleibend hoher Qualität, nahezu unabhängig davon, wie verschmutzt das Wasser vor der Filtration war. Die bisher übliche Nachbehandlung mit Ozon und Aktivkohle wird damit ebenso überflüssig wie eine aufwendige Überwachung. So sprudelt sauberes Trinkwasser auch dort, wo es an Fachkräften mangelt.
Durch die Filter laufen täglich 17 000 Kubikmeter Wasser aus dem Zürichsee Hergestellt werden die Membranen für die Filtration in der ehemaligen Molkerei von Greifenberg am oberbayerischen Ammersee. »Steuerung der Käsestraße« steht noch über einer Informationstafel an der Wand. Heute gleicht die Fabrikationsstätte allerdings eher einer Nudelfabrik. Es dampft und zischt. Biegsame weiße Kunststofffasern mit je sieben extrem feinporigen Kapillaren quellen wie dicke Spaghetti aus einer gewaltigen Maschine, dem Extruder. Nach einem Glyzerinbad werden sie mit einem Brotmesser in 1,50 Meter lange Stücke zerteilt, getrocknet, gebünANZEIGE
delt und in ein festes Hüllrohr gestopft. Noch leisten die 90 Mitarbeiter viel Handarbeit. »Mit weiter wachsender Produktion können wir die Herstellung aber auch automatisieren«, sagt Bergs Vorstandskollege Bruno Steis. Bisher wird das Verfahren vor allem in großtechnischen Anlagen genutzt, zum Beispiel zur Aufbereitung von Kühlwasser für chinesische Kraftwerke, in der ukrainischen Chemieindustrie
oder als Vorstufe zu Meerwasserentsalzungsanlagen. Unter den öffentlichen Wasserversorgern hat erst eine Handvoll auf Ultrafiltration umgestellt, darunter ein großes Wasserwerk in der Schweiz, das täglich 17 000 Kubikmeter Zürichsee-Wasser aufbereitet. Dieses Vorzeigeprojekt arbeitet seit drei Jahren weitgehend störungsfrei – eine wichtige Voraussetzung für den weltweiten Export der Technologie. »Im Trinkwasserbereich ist man sehr konservativ«, sagt Rolf Gimbel, Professor für Wassertechnik an der Universität Duisburg-Essen und Doktorvater von Peter Berg. Nach einigen Anfangsschwierigkeiten sei die Membrantechnik aber inzwischen konkurrenzfähig. »Die Praxiserfahrungen sind überwiegend positiv, und auch die Wirtschaftlichkeit wird zunehmend besser.« Die Greifenberger Membranen sind in Europa, den USA und in China zur Trinkwasseraufbereitung zugelassen. In der bisher größten Anlage in Männdorf am Zürichsee arbeiten Hunderte kanalrohrdicke Filtereinheiten parallel nebeneinander. Die dünnen Membranfasern werden aber auch zu handlichen Modulen verarbeitet, die unter jeder Spüle Platz finden. Eine Pumpe ist nicht nötig, der normale Wasserdruck reicht zum Betrieb aus. So können die Module überall dort schnell und wartungsfrei für sauberes Trinkwasser sorgen, wo es an der Qualität des Leitungswassers hapert. Zum Beispiel in Shanghai oder in Peking. In Chinas Hauptstadt haben die Greifenberger ein Vertriebsbüro eröffnet. Gerade in den Megastädten der Schwellenländer ist der Bedarf gewaltig – und die Mittelschicht kann sich einen Haushaltsfilter auch leisten. Er kostet rund 50 Euro und muss alle paar Monate ausgetauscht werden, wenn zu viele der 10 bis 20 Nanometer kleinen Öffnungen verstopft sind. In großen Anlagen wird der Schmutz ein- bis zweimal pro Stunde weggewaschen, einfach durch eine automatisch gesteuerte Rückspülung entgegen der normalen Fließrichtung. 2003 wurden weltweit bereits 15 Milliarden Euro mit Membrantechnik zur Wasseraufbereitung umgesetzt, bis 2010 soll sich der Markt verdoppeln. Und das nicht nur in den Schwellenländern. Auch für wohlhabende Megastädte wie London ist die Ultrafiltration eine interessante Option. Dort ist das über 100 Jahre alte öffentliche Leistungssystem in so schlechtem Zustand, dass rund ein Drittel des Trinkwassers durch Lecks versickert. »Wo was rausgeht, geht auch was rein«, sagt Steis, schlechter Geschmack und bakterielle Verunreinigungen sind die Folge. Dagegen würde die Runderneuerung der 20 000 Kilometer langen Rohrleitungen helfen – oder aber die Umstellung auf eine dezentrale Wasseraufbereitung mit zuverlässigen und möglichst wartungsarmen Filtern. In Deutschland ist die Leitungswasserqualität fast überall ausgezeichnet. Trotzdem könnten mittelfristig auch hier die klassischen Kiesfilter in den Wasserwerken durch ultrafeine Membranen ersetzt werden. Doch nicht überall ist das sinnvoll. Dort, wo Grundwasser in den Leitungen fließt, ist eine aufwendige Behandlung meist überflüssig. Und für die Aufbereitung von Oberflächenwasser ist die neue Technik bisher oft noch zu teuer. Gelsenwasser, das größte deutsche Unternehmen, das Oberflächenwasser zu Trinkwasser aufbereitet, wollte das genau wissen. Für die Erneuerung des Wasserwerks in Wickede-Echthausen wurden deshalb über Monate vier Verfahren parallel erprobt – neben zwei KiesfilterVersionen auch zwei Membranfilter-Techniken. Dem Zulauf wurden Spurenstoffe und Mikroben beigemischt, um die Filterleistung zu testen. »Die Trinkwasserqualität war mit allen
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Verfahren praktisch gleich gut«, sagt der Gelsenwasser-Ingenieur Rudolf Meyer, »am wirtschaftlichsten war in diesem Fall aber doch wieder die klassische Kombination aus Mehrschichtfiltration, Aktivkohle, Ozon- und UV-Behandlung.« Schon heute gehört Deutschland weltweit zu den Ländern mit den höchsten Wasserpreisen – und das, obwohl es hierzulande ausreichend regnet und große Grundwasserreserven zur Verfügung stehen. Soll der Preis nicht noch weiter in die Höhe getrieben werden, wird Ultrafiltration deshalb zunächst nur dort zum Einsatz kommen können, wo nicht genug Platz für ein klassisches Wasserwerk vorhanden ist oder – wie am Zürichsee – sehr hohe Grundstückspreise zum Platzsparen zwingen. Dabei geht es fast ausschließlich um die Erneuerung bestehender Wasserwerke. »Neue Anlagen sind hierzulande sehr selten«, sagt der Wassertechniker Gimbel, »denn in Deutschland ist der Trinkwasserbedarf seit einigen Jahren rückläufig.« Nicht nur die demografische Entwicklung ist dafür verantwortlich, auch der Verbrauch pro Kopf sinkt leicht. Für die klassischen Leitungsnetze hat das unangenehme Folgen. Fließt das Wasser zu langsam, steigt das Risiko der Keimbildung. In Teilen Ost-
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deutschlands müssen die Wasserwerke ihre Rohre deshalb regelmäßig durchspülen. Mittelfristig wird das zum Rückbau der zentralen Versorgung und zur Umstellung auf kleinere, dezentrale Wasseraufbereitungsanlagen für einzelne Stadtteile oder Häuser zwingen. Dazu ist die wartungsarme Ultrafiltration besonders gut geeignet. Sollen dem Wasser aber auch noch Schwermetalle oder Kalk entzogen werden, sind die Poren der ultrafeinen Membranen zu groß.
Auch zur Meerwasserentsalzung sind die Membranfilter geeignet »Dafür wird sich die Nanofiltration in Deutschland etablieren«, meint Gimbel. Einige erfolgreiche Tests gab es bereits. Allerdings ist die Filterwirkung dann so stark, dass dem Wasser auch lebenswichtige Mineralstoffe entzogen werden. »Die müssen wir wieder zufügen«, sagt der Gelsenwasser-Ingenieur Meyer. Außerdem bleibt ein stark mit Schwermetallen belastetes Konzentrat zurück, das teuer entsorgt werden muss. Wenn größere Salzmengen, etwa aus Meerwasser, entfernt werden sollen, kann die sogenannte
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Umkehrosmose helfen. Sie arbeitet mit Membranen, deren Poren noch 20-mal so fein sind wie bei der Ultrafiltration und die Kapillaren 50 000-mal so dünn wie ein menschliches Haar. Von allein würde das Wasser nicht hindurchfließen. Für den nötigen Druck sorgen Hochleistungspumpen, die rund drei Kilowattstunden Strom pro Kubikmeter Trinkwasser verbrauchen. Das ist zwar viel, aber deutlich weniger Energie, als klassische Entsalzungsanlagen benötigen, die das Meerwasser kochen und anschließend das Kondenswasser auffangen. Auf den Kanarischen Inseln und auf Helgoland wird die Umkehrosmose bereits eingesetzt, in London ist eine Großanlage im Bau. Der globale Durst nach Wasser lässt sich nicht mit einer einzigen Patentlösung stillen. Die Antwort ist der richtige Mix verschiedener Techniken – vom einfachen Sandfilter bis zur aufwendigen Umkehrosmose. »Welches Verfahren im konkreten Fall eingesetzt wird, bedarf immer einer sorgfältigen Abwägung sehr vieler Faktoren«, sagt Rolf Gimbel, »aber der Trend geht klar in Richtung Membrantechnik.« a www.zeit.de/audio
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12. Februar 2009 DIE ZEIT Nr. 8
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Abb.: UK Ulm
STIMMT’S
Notfall Notdurft
Richtige Entscheidung
Kopf oder Bauch? Bauch. Intuitive Entscheidungen seien häufiger richtig als solche, die bewusst getroffen werden. Das zumindest behaupten Wissenschaftler der Northwestern University im USamerikanischen Evaston in Nature Neuroscience online aufgrund des folgenden Experiments: Sie führten einer Gruppe von Probanden eine Reihe von Kaleidoskopbildern vor; die Hälfte der Probanden konnten die Bilder ungestört betrachten, die übrigen mussten parallel Rechenaufgaben lösen. Anschließend wurden ihnen von allen Bildern zwei ähnliche Varianten vorgelegt, von denen sie jeweils das Original benennen sollten. Die Trefferquote bei den Bildern, auf die sie sich bei der Betrachtung nicht hatten voll konzentrieren können, war deutlich höher – obwohl die meisten Testpersonen angaben, bei diesen Bildern nur zu raten. Die Verbindung zwischen Intuition und unbewusster Erinnerung sei stärker, als bislang angenommen, folgern die Wissenschaftler daraus. Die meisten intuitiv getroffenen Entscheidungen beruhten offenbar auf früheren Erfahrungen, derer man sich häufig nicht mehr bewusst sei.
ULRICH KIETZE AUS BONN FRAGT: Stimmt es, dass man Fremde in seine Wohnung lassen muss, wenn diese von einem »dringenden Bedürfnis« geplagt werden?
Dass angeblich jeder wildfremden Menschen gestatten muss, seine Toilette zu benutzen, hört man von juristischen Laien immer wieder. Schon ein bisschen Nachdenken legt aber den Schluss nahe, wie bedenklich eine solche Vorschrift wäre; denn der vermeintliche Drang des Bittstellers lässt sich schließlich nicht überprüfen, und damit stünde potenziellen Übeltätern, die etwas ganz anderes umtreibt als ein dringendes Bedürfnis, jede Wohnung offen. Der einzige Paragraf, aus dem sich ein solches Recht eventuell ableiten ließe, ist der Paragraf 323c des Strafgesetzbuches: Wer »bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten« ist, der macht sich strafbar. Aber, wie der Autor und Anwalt Ralf Höcker in seinem Neuen Lexikon der Rechtsirrtümer schreibt: »Eine Notdurft macht noch keinen Notfall.« Höcker schildert dann auch die Möglichkeiten, wie der Betreffende sich erleichtern
kann, aber das müssen wir hier nicht weiter ausführen. »Die Wohnung ist unverletzlich«, heißt es lapidar in Artikel 13 Absatz 1 des Grundgesetzes. Deshalb müssen schon sehr schwerwiegende Umstände vorliegen, damit dieses Grundrecht zurückzustehen hat. Wenn zum Beispiel jemand vor der Tür steht, der durch einen Unfall oder eine Schlägerei verletzt ist, dann muss geholfen werden, gegebenenfalls auch dadurch, dass man den Verletzten in die Wohnung lässt (wenn man sich dadurch nicht selbst in Gefahr bringt, etwa weil die Verfolger gleich mit eindringen). Da muss dann auch in Kauf genommen werden, dass etwa der Flokati ein paar Blutflecken abbekommt. CHRISTOPH DRÖSSER
Lucy digital
Die Adressen für »Stimmt’s«-Fragen: DIE ZEIT, Stimmt’s?, 20079 Hamburg, oder stimmts@zeit. de. Das »Stimmt’s?«-Archiv: www.zeit.de/stimmts a www.zeit.de/audio
Vom Pferd getreten Das Berlin-Projekt
Welche verheerenden Folgen der Tritt eines Pferdes für einen menschlichen Oberkiefer haben kann, zeigt diese eindrucksvolle Aufnahme. Sie entstand mithilfe des Softwaresystems Amira, mit dem an der Universitätsklinik Ulm aus Computertomografie-Bildern dreidimensionale Filme erzeugt werden. Diese zeigen den virtuellen Schädel von
Die Ära der Metropolen ist angebrochen. Mehr als die Hälfte der Menschen lebt in Städten; 2050 werden es wohl zwei Drittel sein. Am Beispiel Berlins zeigt ZEIT Wissen in einer vierteiligen Serie, wie die ideale Stadt aussehen könnte. Teil 1: Die hungrige Stadt – die Energieversorgung von Berlin.
allen Seiten und verschaffen damit dem genügend Einblick, um auch ein so kompliziertes Knochenpuzzle wie dieses wieder zusammenzusetzen. Die Reiterin, deren lädierter Kiefer hier abgebildet ist, konnte dank Amira erfolgreich operiert werden. Inzwischen sitzt sie angeblich wieder fest im Sattel. MAW
Kieferchirurgen
Das neue ZEIT Wissen: am Kiosk oder unter www.zeit-wissen.de/abo
Drum trockne meine Tränen Die Bedeutung des Weinens für die Reinigung des Gemüts wird überschätzt. Wohltuend wirkt es nur, wenn ein Tröster dabei ist VON MARLENE WEISS
E
s lüftet die Lungen, wäscht das Gesicht rein, stärkt die Augen und beruhigt das Gemüt«, so preist der Armenhausleiter Bumble in Charles Dickens’ Roman Oliver Twist die Vorzüge des Weinens. Bis heute hält sich die Auffassung, dass Tränenausbrüche eine wohltuende Wirkung haben: Bloß nicht die Tränen unterdrücken, denn Weinen wirkt befreiend. Doch das ist nur bedingt richtig, berichten Forscher in der Dezemberausgabe der Fachzeitschrift Journal of Social and Clinical Psychology. Wie sich die Tränenströme auf die Psyche auswirken, hängt stark von der jeweiligen Situation ab, in der sie ver-
ERFORSCHT UND ERFUNDEN
gossen werden. Die Psychologen Lauren Bylsma und Jonathan Rottenberg von der University of South Florida werteten zusammen mit Ad Vingerhoets von der niederländischen Universität Tilburg die Weinerlebnisse von rund 5000 Versuchspersonen aus. Eine knappe Mehrheit der Probanden berichtete, sich nach dem Weinen besser als zuvor gefühlt zu haben, während zehn Prozent eine Verschlechterung ihres Zustands beklagten. Die Ursache für diese Effekte konnten die Forscher größtenteils auf die Reaktion des Umfelds zurückführen. So verbesserte das Weinen besonders dann die Stimmung, wenn eine zweite Person anwesend war und Trost spendete. Wer allein vor sich hin heulte, ver-
spürte weniger Erleichterung. Das Weinen in größeren Gruppen hingegen wurde darüber hinaus oft als regelrecht unangenehm empfunden. Die entscheidende Erkenntnis ist daher für Koautor Ad Vingerhoets, dass sich Tränen vor allem durch ihre sozialen Aspekte positiv auswirken. Diese Ergebnisse passen nicht zur Katharsistheorie des Weinens. Sie geht zurück auf den US-amerikanischen Biochemiker William Frey, der in den achtziger Jahren Tränen auf ihre chemische Zusammensetzung hin untersucht hatte. In den Tränen, welche die Probanden bei traurigen Filmen vergossen, stellte er fest, dass
sie sich in Eiweiß- und Stresshormongehalt deutlich von profanen Tränen unterscheiden, wie sie zum Beispiel beim Zwiebelschneiden fließen. Seine Deutung, dass kräftige, durch tiefe Empfindungen hervorgerufene Tränenströme eine reinigende Wirkung haben, geistert noch heute durch die Literatur. Vingerhoets widerspricht: »Wenn Weinen die Stimmung hebt, ist das kein physiologischer Effekt.« Tränen seien vielmehr eher dann erleichternd, wenn ein Tröster sie trockne. Häufige Auslöser von Tränenattacken sind laut Vingerhoets übrigens Heimweh und Verliebtheit.
Das mehr als drei Millionen Jahre alte Skelett von Lucy ist im digitalen Zeitalter angekommen. Mittels eines hochauflösenden Computertomogramms haben Wissenschaftler der University of Texas das in Äthiopien entdeckte Fossil digitalisiert. Da Lucy, die zur Gruppe des dem Menschen stammesgeschichtlich nahen Australopithecus afarensis gehört, kein lebender Patient ist, konnten die Aufnahmen mit hoher Strahlungsintensität erfolgen. So steht das Skelett Wissenschaftlern künftig virtuell in hervorragender Auflösung zur Verfügung: Selbst Konturen vom Durchmesser eines menschlichen Haars sind sichtbar. Tödlicher Angriff der Riesenbienen
Passanten, Fahrzeuge, Tiere – bei einer Massenattacke vergangene Woche in Nepal fielen Asiatische Riesenhonigbienen über alles her, was sich gerade in der Nähe ihres Nestes befand. Zwei Menschen kamen ums Leben, mehr als 20, die sich auf einem vorbeifahrenden Lastwagen befanden, trugen zahllose Stiche davon. Mehrfach jährlich ereignen sich in dem Himalaja-Staat derartige tödliche Vorfälle. Auslöser für den Angriff war diesmal offenbar ein Honigbussard, der seinerseits das Nest der Bienen der Art Apis dorsata attackieren wollte, berichtet der Verhaltenswissenschaftler Gerald Kastberger von der Karl-Franzens-Universität Wien. Mit einem Forschungsteam untersucht er derzeit in Nepal das Verteidigungs- und Kommunikationsverhalten der Asiatischen Riesenhonigbienen. Eine Kolonie von Apis dorsata umfasst bis zu 120 000 Tiere; zudem treten Kolonieansammlungen von bis zu 300 Einzelkolonien auf. Werden die normalerweise friedlichen Insekten gereizt, können sie sich blitzschnell und massiv mobilisieren. In einer ersten Welle markieren sie alles sich Bewegende eher wahllos mit einem Pheromon, einem stark riechenden Duftstoff. Damit können die Bienen die Spur vermeintlicher Aggressoren auch über weite Distanzen verfolgen. So hat ein Fußgänger kaum eine Chance zu entkommen, es sei denn, er rettet sich in ein Gewässer oder ein Gebäude.
THEATERSPIELPLÄNE / KULTURVERANSTALTUNGEN
www.zeit.de/kulturanzeigen
Samstag, den 14.02. bis Freitag, den 20.02.2009 AACHEN Theater Aachen, Tel. 0241/4784244 Großes Haus: Sa 11.00 Pünktchen und Anton, Sa 19.30 Die Dreigroschenoper, So 18.00 Motortown Kammerspiele: Sa 20.00 Effi Briest Mörgens: Sa 20.00 Playback Life, Di 20.00 Kostprobe Hikikomori, Mi 20.00 Die Verwirrungen des Zöglings Törleß AUGSBURG Theater Augsburg, Tel. 0821/324-4900 Gr. Haus: Sa, Di, Fr 19.30 Der Silbersee, So, Mo 11.00 1. Jugendkonzert - Höllentrip, So 19.00 Il barbiere di Siviglia, Mo 19.00 Ballett EXTRA: Choreographische Spuren, Mi 20.00 Der literarische Salon (Foyer), Do 20.00 B-Sides - Ständchen für Brecht (Foyer) Komödie: Sa, Di, Fr 19.30 Trommeln in der Nacht, So 19.00 Die Kleinbürgerhochzeit, Mi, Do 19.30 Arsen und Spitzenhäubchen BADEN-BADEN
BERLIN
Staatsoper Unter den Linden, Tel. 030 20 35 45 55,
BAR JEDER VERNUNFT, Tel. 0 30/ 8 83 15 82
www.staatsoper-berlin.de
Sa, Di-Fr 20.00, So 19.00 Tim Fischer singt Georg Kreislers
Sa 19.30 TURANDOT, So 19.00 PREMIERE: FAUST, Do 19.00
„Gnadenlose Abrechnung“, Mo 20.00 René Marik: Autschn! Ein
FAUST, Di, Fr 20.00 IL BARBIERE DI SIVIGLIA, Mi 19.30
Abend über die Liebe Berliner Ensemble, Tel. 030/28408155 Sa 20.30, So 11.00 Kleist/Stein: Der zerbrochne Krug, Di, Mi
www.staatstheater-darmstadt.de
JEROME ROBBINS BALLETTABEND Apollo-Saal: So 11.00
Großes Haus: Sa 19.30 Wiener Blut, So 11.00 5. Sinfoniekonzert,
BRUNCHKONZERT, Mo 20.00 KAMMERKONZERT
Macbeth, Fr 19.30 Der Kaufmann von Venedig
TIPI Zelt am Kanzleramt, Tel. 01 80/ 3 27 93 58 (0,09 € je Min.),
20.00 Beckett/Wuttke: Erste Liebe Pavillon: Sa 16.00, So 15.30
Sa 20.00, So 19.00 The Umbilical Brothers: Don‘t Explain, Di-Fr
Waechter: Schule mit Clowns, Fr 19.30 Frisch: Biedermann
20.00 Power! Percussion - Rhythmus. Pur.
Deutsche Oper, Tel. 030/34 384 343 Sa 15.30 Führung, Sa 19.30 Die Ägyptische Helena, So 17.00 Der Rosenkavalier, Mo 19.30 Tosca, Do 19.30 Ariadne auf Naxos Deutsches Theater, Tel. 030/28441-225 DT in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz: Sa 19.30 Die Möwe DT im Haus der Berliner Festspiele: Sa 19.30 Die Ratten, So 19.30 Die Ratten, Mo, Do 19.30 Wer hat Angst vor Virginia Woolf?, Di 19.30 Die Perser, Mi 19.30 Onkel Wanja, Fr 19.30 Die Ratten Kammerspiele: Sa 20.00 Endspiel, So 20.00 Kaminski on Air „Walküre“, Di 20.00 Triumph der Liebe, Mi 20.00 Leben bis Männer, Fr 20.30 Kaminski on Air „Siegfried“ Box: Sa 20.30 Persona, So 20.30 Caligula, Fr 19.30 Corpus Delicti (Premiere) Grips Theater, Tel. 030/39747477 Sa 19.30, So 18.00 Rosa, Di 18.00, Mi 11.00 Eins auf die Fresse, Fr 10.00 Flimmer-Billy Hebbel am Ufer, Tel. 030/25900427, www.hebbel-am-ufer.de Do, Fr 100° Berlin. Das 6. lange Wochenende des Freien Theaters HAU 1: Sa 19.30 Vortrag von Jean-Luc Nancy
Festspielhaus, Tel. 07221/3013-101, www.festspielhaus.de Sa 20.00, So 14.00 u. 19.00 The Bar at Buena Vista Theater Baden-Baden, Tel. 07221/932700 Sa 20.00, So 19.00 Morgen ist auch noch ein Tag, So 11.00 Matinee zu „Ein Volksfeind“, Fr 20.00 Premiere: Ein Volksfeind Spiegelfoyer: Mo 15.00 Café-Foyer TiK: So 18.00, Di, Mi 11.30 An der Arche um Acht
Komische Oper Berlin, Tel. 030/47997400,
BAMBERG E.T.A. Hoffmann-Theater, Tel. 0951/873030 Großes Haus: Mi, Fr 20.00 Tod eines Handlungsreisenden TREFF: Sa 20.00 Heinz und Heinz das macht zwei. Der große HeinzErhardt-Abend, Do 20.15 Tatort Theater: Der Krimitermin zum Mitraten! Gewölbe: So 20.00 E.T.A. träumt
Schaubühne am Lehniner Platz, Tel. 030/890023,
www.komische-oper-berlin.de Sa 19.00 Pique Dame, So, Do 11.00 Gute Nacht - und aufgewacht! Schlafen und Wecken in der Musik, So 19.00 Die Hochzeit des Figaro, Mi 19.00 Der Freischütz, Do 19.00 Cosi fan
Staatstheater, Tel. 06151/293838, Fax 06151/2811376,
Lärm um nichts, Di 19.30 Kabale und Liebe für zwei, Do 19.30
www.tipi-das-zelt.de
Die Juden Foyer: So 19.30 Und der Haifisch, der hat Zähne
DARMSTADT
bremer shakespeare company, Tel. 0421/500333 Sa, So 20.00 Smells like Teen Spirit/Club RÖMER, So 18.00 Viel
19.30 Premiere! Lorca: Doña Rosita, Do 19.30 Lessing: Nathan, Fr
Probebühne: Sa 20.00 Wolf: Medea.Stimmen, Mo 20.00 Lessing:
BREMEN
Sinfoniekonzert, Di 19.30 Carmina Burana, Mi 19.30, Do 15.00
Bremer Theater, Tel. 0421/3653333
Wiener Blut Kleines Haus: Sa 19.30 Premiere: Faust, So 18.00
Theater am Goetheplatz: Sa, Mi, Fr 19.30 Die Zauberflöte, So
Romeo und Julia, Mo 20.00 Moon Palace, Di 10.00 u. 13.00
18.00, Do 19.30 Der Gott des Gemetzels Neues Schauspielhaus:
Aladdin und die Wunderlampe, Mi 19.30 Fremde im Haus, Do
Sa 20.00 Gegen die Wand, So 20.00 Ich, Peer Gynt, Fr 20.00 Der
BOCHUM
Menschenfeind
Schauspielhaus, Tel. 0234/33330 Sa 20.00 Einer flog über das Kuckucksnest, So 12.00 u. 17.00, Mo 9.30, Mi, Do 10.00 Der kleine Vampir, Mi 19.30 Konzert der Bochumer Symphoniker. Bosy Hautnah, Do 19.30 Macbeth, Fr
Sa 20.00 Der dritte Sinn - Deflorage à Froid, So 20.00 Bar, Mo, Hörbar, Di 19.00 Der kleine Schornsteinfeger, Mi 20.00 Klamms Krieg, Mi 20.00 Hamlet For You, Fr 20.00 Genannt Gospodin, Fr
Stadttheater, Tel. 0471/49001 Großes Haus: Sa 19.30 Der Schimmelreiter (Sa Premiere),
der Wahnsinninge, So 19.00 I hired a contract killer, Mo 19.30
So 19.30 Der Vogelhändler, Mo 20.00, Di, Mi 19.30 4.
19.30 Motortown, Do 19.30 Moon Palace, Fr 19.30 Madame
20.00 5. Kammerkonzert, Fr 19.30 Onkel Wanja Kammerspiele: Do 18.00 Theaterführung, Mo, Do 20.00 Die Kassette, Di 17.00
BREMERHAVEN
20.00 Floh im Ohr Kammerspiele: Sa 19.30 Der Ignorant und A tribute zu Johnny Cash, Di 19.30 Komödie der Irrungen, Mi
So, Fr 19.30 Datterich, Mo 16.00 Theaterspielplatz, Mo 20.00 5.
Sinfoniekonzert, Mi 22.22 Die Wanze (ausverkauft), Fr
22.00 Der gute Dieb DORTMUND Theater Dortmund, Tel. 0231/5027222 Opernhaus: Sa 15.00 Wer andern nach der Pfeife tanzt..., Sa
19.30 Der Schimmelreiter Kleines Haus: Sa, So, Mi, Fr 19.30
19.30 Krieg und Frieden, So 11.15 Matinee zu: Die Italienerin in
Fr 22.00, So 12.00 u. 22.15 Neue Heimat. Wohnen unter Tage,
Niederdeutsche Bühne „Waterkant“: Allens ut de Reeg, Do
Algier, So 18.00 Die Zauberflöte, Fr 19.30 Kuss der Spinnenfrau
So, Fr 19.00 Connecting People, Di 19.30 Forelle Stanley, Do
19.30 Die Entdeckung der Currywurst
Schauspiel: Sa 19.30 Experiment. Prisoner 819 did a bad thing,
singt und Monsieur spielt TuT: Sa 19.30 Some Girl(s), Sa, Do,
20.00 Das Haus der vielen Zungen Melanchthonsaal: So 16.00
So 15.00 Einsame Menschen, Fr 19.30 Blues Brothers Studio:
Rettelbusch & Seidenschal, Mi, Do 19.30 Neben der Spur, Fr
CHEMNITZ
So 18.30 Guglhupf, Mi 20.00 Norway. Today Kinder- und
19.30 Schneefall
Städtische Theater Chemnitz, Tel. 0371/6969696
Jugendtheater: So 16.00, Di, Fr 10.00 Vom Teufel mit den drei
BONN
Opernhaus: Sa 19.30 My Fair Lady, So 15.00 Die Fledermaus
Contrakreis-Theater, Tel. 0228/632307/635517
Schauspielhaus: Sa 19.30 Emilia Galotti, Sa 20.00 Privatleben,
Sa 20.00 Trau keinem über 60 ! Komödie von Gunther Beth und Barbara Capell, Di-Fr 20.00 Das Kostüm UA von Gunther Beth (Sa Premiere)
So 15.00 Drei Schwestern, So 20.00 Ein Bericht für eine Akademie, Fr 19.30 Antigone, Fr 20.00 Premiere: Widerstand ist zwecklos
Kleines Theater, Tel. 0228/362839 Sa-Fr, tägl. 20.00, So 16.00 Geld anderer Leute Komödie von Jerry Sterner; mit Renate Clair, Susann Fabiero, Karl-Heinz Dickmann, Martin Semmelrogge und Martin Zuhr
tutte, Fr 16.00 Blick hinter die Kulissen..., Fr 20.00 Jazz - Lyrik
BRAUNSCHWEIG
- Prosa
Staatstheater, Tel. 0531/1234567, Fax 0531/1234570
goldenen Haaren, So 18.00 Die Winterreise. Ein Afrikaner in Deutschland, Mi, Do 11.00 An der Arche um acht DRESDEN Nostalgietent, Gasanstaltstr. 10, 01237 Dresden, Tel. 0351/7961155, www.nostalgietent.de Nostalgietent: Do 20.00-22.10 Ades Zabels Faschingsgala, Fr 20.00-22.40 Cabaret (Musical)
COTTBUS
Sächsische Staatsoper Dresden – Semperoper,
Staatstheater, Tel. 0355/78240
Tel. 0351/4911-705, Fax 0351/4911-700
Großes Haus: Sa 19.30 Anything Goes, So 16.00 Trilogie der
Sa 20.00 Konzert in der Frauenkirche, So 20.00 7.
Traume: the killer in me is the killer in you my love & Die
Sinfoniekonzert, Mo 19.00 Tosca, Di 19.00 Die Lustige Witwe, Mi
Großes Haus: Sa 19.30 Die Entführung aus dem Serail, So 18.00
Nebensächlichen & Blütenträume, Di 19.30 Die Räuber, Mi
www.schaubuehne.de
Cardillac, Do 19.30 Buddenbrooks, Fr 19.30 Das Käthchen von
Saal A: Mo 19.30 Der Kirschgarten, Fr 20.00 Tod eines
Heilbronn Stadthalle: So 11.00, Mo 20.00 6. Sinfoniekonzert
19.30 Die Rheinnixen, Ladies Night, Fr 19.30 Die Mausefalle
Handlungsreisenden Saal B: Sa 20.00, So 18.00 Kabale und
Kleines Haus: Sa 19.30 Bluthochzeit/ Yerma, So 18.00 Tango,
Liebe, Do 20.00 Gespenster Saal C: Di, Mi 20.00 Gesäubert
Fr 19.00 Premiere: Die Grille Haus III: Mo 19.00, Di 10.00 Ich
So 17.00 Das Geheimnis der Wolfsschlucht Klosterkirche
Studio: Sa 22.00 tanzBAR
möchte teil einer Jugendbewegung sein, Do 20.00 Café Olymp
Cottbus: Fr 20.00 Stimmen des Himmels - Stimmen der Erde
Kammerbühne: Sa 19.30 Sechs Tanzstunden in sechs Wochen,
19.00 Fidelio, Do, Fr 19.00 Giselle Staatsschauspiel Dresden, Tel. 0351/4913555 Kleines Haus: Sa 20.00 Professor Unrat, So 20.00 Tartuffe oder Der Betrüger, Mo 20.00 Watte (Cotton Wool), Di 20.00 Tannöd, Mi 20.00 Der Steppenwolf, Do 20.00 Maria Magdalena, Fr 20.00 Lieblingsmenschen, Fr 22.00 Unerhört oder Zungendreimaleins
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12. Februar 2009 DIE ZEIT Nr. 8
FÜRTH Stadttheater, Tel. 0911/9742400 Sa, Di-Fr 19.30 Die Sieben Todsünden Der Kaiser von Atlantis GELSENKIRCHEN Musiktheater im Re vier, Tel. 0209/4097200 Großes Haus: Sa 14.00 Baukunstführung, So 19.30 Peter Grimes, So 15.00 La Cage aux Folles, Fr 18.00 Premierenfieber „Die Herzogin von Chicago“ Kleines Haus: Sa 20.00, So 18.30 Edith Piaf, Di-Fr 10.00, Di-Do 11.30 Herr Schnee GIESSEN Stadttheater, Tel. 0641/795760/61 Großes Haus: Sa 19.30 Premiere: Orlando Paladino, So 11.00 vorgestellt - Feiningers Fugen, So 15.00 I. Solistenportrait, So 19.30 Der nackte Wahnsinn, Di 20.00 6. Sinfoniekonzert, Fr 19.30 Die Nashörner TiL-Studiobühne: Sa 20.00 Der Gott des Gemetzels, So 11.00 Quietsch, die Ente, So 20.00 Fräulein Julie, Fr 20.00 Aussetzer GÖTTINGEN Deutsches Theater, Tel. 0551/496911 Sa 19.45 Richard III., So 11.15 Zirku(s)kuririlius, Di 19.45 Das letzte Feuer, Mi 20.30 Warten auf Godot, Fr 19.45 Danton DTKeller: Do 20.00 I hired a contract killer, Fr 20.00 Das ist Alise DT-Studio: Sa 20.00 Doing it (UA), So 16.00, Mo 9.30 Zottelkralle, Mi 10.00 Der kleine Prinz, Fr 20.00 Premiere: Aussetzer GÜTERSLOH Kultur Räume Gütersloh: Theater & Konzerte, Tel. 05241/2113636, tickets@guetersloh-marketing.de Di 19.30 Andorra, Mi 20.00 Sechstes Meisterkonzert: St. Petersburger Sinfoniker DUISBURG Theater Duisburg (Deutsche Oper am Rhein), Tel. 0203/3009100, www.theater-duisburg.de Großes Haus: Sa 19.30 Pelleas und Melisande, So 19.30 Theaterschlachten, Kabarett mit Kai Magnus Sting Opernfoyer: So 11.00 4. Konzert im Opernfoyer, Reinecke, Dressler, Joachim, Hindemith FOYER III: Mi, Fr 20.00 Statisten, SpieltriebJugendclub Philharmonie Mercatorhalle im CityPalais: Di, Mi 20.00 7. Philharmonisches Konzert DÜSSELDORF Deutsche Oper am Rhein, Tel. 0211/8908211 Sa, So 19.30 Spartakus (Sa Premiere), Do 19.30 Der Zigeunerbaron, Fr 19.30 L‘Orfeo Düsseldorfer Schauspielhaus, Tel. 0211/369911 Großes Haus: Sa, So 17.00 Joseph und seine Brüder (Sa VA, So UA), Mo 19.30 Pariser Leben, Di 19.30 Stairways to Heaven, Mi 19.30 Pariser Leben Kleines Haus: Sa 19.30 Herzschritt, So 19.30 Der Meister und Margarita, Di 19.30 Piaf. Keine Tränen, Mi 19.30 Eines langen Tages Reise in die Nacht Kom(m)ödchen Düsseldorf, Tel. 0211/329443 Sa 20.00 Alfons: Die Rückkehr der Kampfgiraffen, So 11.55 Spielplatz 5vor12, So 20.00 Ehrings Stipp mit Oliver Polak, Carmela de Feo, Matthias Brodowy, Mo-Mi 20.00 Kom(m)ödchen-Ensemble: Couch. Ein Heimatabend, Kom(m)ödchen-Ensemble: Sushi. Ein Requiem ERFURT Theater Erfurt, Tel. (0361) 22 33 155, info@theater-erfurt.de, www.theater-erfurt.de Großes Haus: Sa 19.30 Werther, So 18.00 Die Zauberflöte, Fr 19.30 Hubbard Street 2 Studio: Di, Mi 20.00 Die MeistersingerInnen ERLANGEN Theater Erlangen, Tel. 09131/86-2511, www.theater-erlangen.de Markgrafentheater: So 11.00 Der kleine Barbier, Do, Fr 20.00 Der Wilhelmine - Code Garage: So 16.00 Max und Moritz Oberes Foyer: So 18.00 Juliane liest Lyrik ESSEN Theater und Philharmonie Essen (TUP), Tel. 0201/8122200, www.theater-essen.de Aalto-Theater: Sa 19.00, Fr 19.30 Chess, So 16.30 Fürst Igor Philharmonie Essen: Sa 20.00 Große Chornacht, So 11.00 Bach: Das gesamt Clavierwerk III, So 18.00 Jörg Widmann & SWR Sinfonieorchester, Di 20.00 Helge Schneider, Do, Fr 20.00 Sinfoniekonzert Grillo Theater: Sa 19.30 Don Carlos, So 19.00 Tod eines Handlungsreisenden, Mi 19.30 Krankheit der Jugend, Do 19.30 Effi Briest, Fr 19.30 Otto Sander Casa: Sa 18.00 Wir sind immer oben, So 19.00, Mo 10.30 Dream Team, Fr 19.00 Barbelo, von Hunden und Kindern ESSLINGEN Württ. Landesbühne, Tel. 0711/35123044 Kindertheater im Schauspielhaus: Sa 16.00 Lesekiste Madita (ab 6 J.), So 16.00 Das kleine wilde Tier (ab 4 J.) Studiobühne am Zollberg: Sa, So 19.30 Republik der Kinder, Fr 19.30 Schneewittchen darf nicht sterben (ab 12 J.) Schauspielhaus: Do, Fr 19.30 Amphitryon (Premiere Do) FRANKFURT A.M. Oper der Stadt Frankfurt, Tel. 069/1340400 Sa 19.00 Arabella, So 18.00 Ein Maskenball, Di 20.30 Happy New Ears Holzfoyer: So 11.00 Oper Extra zu Die spanische Stunde/Das kurze Leben schauspielfrankfurt, Tel. 069/1340400 Großes Haus: Sa 20.00 Die Fledermaus, So 16.00, Fr 11.00 Das Käthchen von Heilbronn, Mi 20.00 Daniel Kehlmann liest aus Ruhm - Ein Roman in neun Geschichten, Do 20.00 Der Kirschgarten Kleines Haus: Sa 19.30 Prinzessinnendramen, So 19.30 Der Fremde, Mi 19.30 Gertrud, Do 19.30 Warum wir also hier sind, Fr 19.30 Premiere: Ein Mond für die Beladenen schmidtstr. 12: Sa 20.15 Buddenbrooks, Do 20.15 Zeit zu lieben Zeit zu sterben, Fr 20.15 Das Schloss Glas Haus: So 15.00 Auf der Suche nach dem Ort der Kunst Zwischendeck: Do 22.30 Herr Ich The English Theatre Frankfurt, Tel. 069 242 316 20, www.english-theatre.org, box-office@english-theatre.org Sa, Di-Fr, tägl. 19.30, So 18.00 HAIR The Forsythe Company, Bockenheimer Depot, www.theforsythecompany.de, Tickets unter 069/13 40 400 Sa, So 20.00 Wiederaufnahme Angoloscuro, Do 20.00 Heterotopia Arbeiten von William Forsythe Volkstheater Frankfurt, Tel. 069/288598 o. 283676 Sa, Mi-Fr , So 16.30 Keine Leiche ohne Lily nach Jack Popplewell, Regie Helmut Hoffmann FREIBURG Theater Freiburg, Tel. 0761/2012853 Sa 19.30 Jazzchor Freiburg, So 11.00 Taler, Taler du musst wandern. Capitalism now Extra, So 18.00 Die Walküre, Fr 19.30 Der Mann von La Mancha Kleines Haus: Sa 19.00 Thementag Geld regiert die Welt - Bettleroper (18 Uhr Chronologie), Sa 22.00 Konzert vo Stimmgewitter Augustin, Di, Mi 20.00 Laut & Lyrik So weit der Himmel reicht, Fr 20.00 Bagdad brennt Kammerbühne: Sa 21.30 Petra Kelly, So 20.30 Die Europäische Verfassung - Eine Verzettelung, Do 20.30 pvc - For Love, Fr 20.30 Brandherd: Ukraine Freiburg Mitte Werkraum: Sa 11.00 Theaterführung, Sa 16.00 Die Samstagssitzer: Max und Moritz Winterer-Foyer: Sa 23.00 Geld regiert die Welt - fegefeuer der Eitelkeiten, Marathon-Lesung, So 12.00 Teler, Taler du musst wandern - Round Table, Mo 20.00 Die Winterreise Matthias Flohr singt, Mi 20.00 Litera-Tour Lesung von Rosemarie Bronikowski & E.-Maria Berg
HAGEN Theater Hagen, Tel. 02331/2073218/19 Großes Haus: Sa 19.30 West Side Story, So 18.00 Rigoletto, Fr 19.30 Bühnenball: „Such die Karibik“ Opus: So 11.30 7. Kammerkonzert HAMBURG Deutsches Schauspielhaus, Tel. 040/248713, Fax 040/24871414 Großes Haus: Sa 20.00 Marat, was ist...?, So 20.00 Harper Regan, Do 20.00 Kritische Masse, Fr 20.00 Kabale und Liebe Malersaal: Sa 19.00 Mutter Afrika, So 11.00 Stücke auf halbem Weg zur Bühne, Mo, Di 20.00 A Clockwork Orange, Do 19.00, Fr 11.00 A Clockwork Orange Rangfoyer: Sa, Mi 20.30 Hunger nach Sinn, Di, Mi 10.00 Ein Schaf fürs Leben, Fr 11.00 Wir alle für immer zusammen Marmorsaal: Fr 14.00 Buchpräsentation Hamburger Botschaft: Fr 20.30 Paradise now Hamburgische Staatsoper, Tel. 040/356868 Sa 19.00 Carmen, So 16.00 Die lustige Witwe, Mo, Mi, Do 19.30 La Bohème, Di 19.00 Arabella Opera stabile: Fr 20.00 ensemble intégrales „Neues (aus) Deutschland“ kampnagel (K2): Sa 14.30, Sa, Fr 18.00, So 16.00 Das Geheimnis der schwarzen Spinne Thalia Theater, Tel. 040/32814444, Fax 040/32814212 Sa 20.00 Vor Sonnenaufgang, Sa 23.00 Le Club Francais, So 14.00 u. 20.00 Kasimir und Karoline, Mo 20.00 Die Räuber, Mo 20.30 Limited Edition: Die Bakchen. Ein Spiel, Di 20.00 Happiness, Mi 20.00 Vor Sonnenaufgang, Do 20.00 Das letzte Feuer, Do, Fr 20.30 P(o)ur Brel!, Fr 20.00 Buddenbrooks Thalia in der Gaußstraße: Sa 20.00 Die neuen Leiden des jungen W., So 19.00 Mamma Medea, Di 20.00 Brand, Mi 20.00 Einer von uns, Do, Fr 20.00 Hikikomori HANNOVER schauspielhannover, Tel. 0511/99991111 Sa, Di 19.30 Und tschüss!, So 17.00, Fr 19.30 Ein Sommernachtstraum, Mo 11.00 Tintentod, Mi 19.30 Die Ratten, Do 19.30 Geisterfahrer ballhofeins: Sa 19.30 Hinkemann ballhofzwei: Sa 19.30 Helden!, So 19.00 Harold und Maude, Di 19.30 Fine!, Do, Fr 19.30 Theater mobil: Familiengeschichten cumberlandschegalerie: So 15.30 tanztee léger, Mi 20.15 Und in den Nächten liegen wir stumm, Do 20.15 Private Lives, Fr 22.00 Calamari Suite Clubnacht staatsoperhannover, Tel. 0511/99991111 Sa, Fr 19.30 Idomeneo, So 17.00, Mo 19.30 4. Sinfoniekonzert, Do 19.30 Guys and Dolls HEIDELBERG Theater & Philharmonisches Orchester der Stadt Heidelberg, Tel. 06221/5820000 Sa 19.30 Food Chain, So 11.00 Matinee zu Der Bajazzo/ Goyescas, So 15.00 Titus, Di 20.00 Dantons Tod, Mi 17.00 Stiftungstag, Do 19.30 Die Nibelungen, Fr 10.30 Armer Ritter, Fr 20.00 Krieg friedrich5: Mi 20.00 vhs Konzert im Gespräch, Fr 20.00 Gestrichen! zwinger1: Sa, Mi 20.00 Liv Stein (Sa Premiere), Do 20.00 Herr Lehmann zwinger3: Sa 10.30-12.30 Kinderworkshop, Sa 15.00 Jettas Weisheitszirkel III, Sa 18.45 Nino Haratischwili, So 15.00 3-2-1 los!, Mo 10.00 Die wilden Schwäne, Mo 19.00 Der Process, Di, Do 11.00 Klamms Krieg INGOLSTADT Theater Ingolstadt, Tel. 0841/30547200 Großes Haus: Sa 19.30 Premiere: Dantons Tod, So 19.00 Dantons Tod, Mo 19.30, Fr 18.30 Evita, Di 19.30 Schöne Bescherungen Kleines Haus: Sa 22.00 Kleines Haus Extra: Oppa Zuppa, Di 20.00 Erlkönig Werkstattbühne: Mi 20.00 Michael Kohlhaas Studio: Sa 20.00 Der Kontrabass ITZEHOE theater itzehoe, Tel. 0 48 21/ 67 09 30/31 Kleiner Saal: Fr 19.30 Freiheit & Abenteuer im Northern Territory, Panorama Show über das Outback Australiens KAISERSLAUTERN Pfalztheater, Tel. 0631/3675209 Sa 19.30 Der König Kandaules, So, Mi, Do 19.30 Kabale und Liebe Werkstattbühne: Sa 20.00 Shockheaded Peter, So 11.00 Matinee. Einführung zu L‘Orfeo (Orpheus), So 16.00 Rumpelstilzchen, Fr 18.00 Blaue Stunde, Fr 20.00 Der Gott des Gemetzels KARLSRUHE Badisches Staatstheater, Tel. 0721/933333 Opernhaus: Sa 19.30 Die Italienerin in Algier, So 11.00 u. 15.00 2. Kinderkonzert, Do 20.00 Carmen, Fr 19.00 Premiere: Radamisto Schauspielhaus: Sa 19.30 Was ihr wollt, So 19.00 Don Karlos, Infant von Spanien, Mi 20.00 Kampfgesellschaft (UA), Fr 19.30 Premiere: Der Seefahrer insel, Karlstr. 49 b: So 20.00 Thom Pain - Based on nothing, Do 22.00 Premiere: Der Tanz des Albatros, Fr 22.00 Premiere: Mexico Probebühne 1: So 11.00 Sonntag vor der Premiere zu Radamisto Nancyhalle am Festplatz: Do 19.30 Premiere: Verraten, So 19.30 Premiere: Wild werden. Ein Notstand KASSEL Staatstheater Kassel, Tel. 0561/1094222 Opernhaus: Sa, Mi, Fr 19.30 Hair, So 15.00 Hercules, Mo 11.00 Der Räuber Hotzenplotz Schauspielhaus: Sa 19.30 Hamlet, So 19.30 Die 39 Stufen, Mi 19.30 Emil Steinberger: „Drei Engel“, Do 18.00 Frühlings Erwachen, Fr 19.30 Gerhard Polt „Circus Maximus“ tif: Sa 20.15 Blick zurück im Zorn, So 20.15 Volksgarten, Mi 20.15 Jazz im tif: Lemke-Nendza-Hilmann feat. Zoltan Lantos, Fr 20.15 Amoklauf mein Kinderspiel KIEL Theater Kiel, Vorverkauf, Tel. 0431/901901 Opernhaus: Sa 20.00 Turandot, So 19.00, Do 20.00 West Side Story, Di 19.30 Don Carlos, Fr 18.30 Der Rosenkavalier Schloss: So 11.00, Mo 20.00 Philharmonisches Konzert Schauspielhaus: Sa 20.00, So 16.00 Der Boss vom Ganzen, Sa 20.30, So 19.30 Das Produkt, Di 20.00 Linie 1, Mi 20.00 Die Leiden des jungen Werther, Do 20.00 Der Besuch der alten Dame, Fr 20.00 Bunbury Maschinenhalle: Mi 20.00 Neunzehnachtzehn Theater im Werftpark: Sa 20.00 Die Ausnahme und die Regel, So 12.00 Zwei Monster, So 16.00 Motte & Co, Fr 20.00 Klamms Krieg KOBLENZ Konradhaus, Tel. 0261/9730551, info@konradhaus.de Sa 20.00 „Im Himmel ist kein Zimmer frei“ Komödie, Autor: Jean Stuart, So 20.00 Literaturcafé: Freche und romantische Chansons, vorgetragen von Elmar Bretz
Theater der Stadt, Tel. 0261/1292840/41 Sa 19.00, So 14.30 Merlin oder Das wüste Land, Di 19.30 Best Of, Fr 19.30 Das Feuerwerk Kammerspiele: Mi 20.00 NICO - Sphinx aus Eis KÖLN Kölner Philharmonie, Tel. 0221/280280, koelner-philharmonie.de Sa 20.00 Hibiki Tamura, WDR Sinfonieorchester Köln, S. Bychkov, So 11.00, Mo, Di 20.00 Yvonne Naef, Gürzenich-Orchester Köln, M. Stenz: Schönberg, Debussy, Chausson, So 16.00 Emmanuel Pahud, Franz Liszt Kammerorchester, Mi 20.00 Berliner Philharmoniker, Sir Simon Rattle: Messiaen, Bruckner, Fr 20.00 HELGE SCHNEIDER‘S Cirque du Kautz: WULLEWUPP KARTOFFELSUPP? Theater im Bauturm, Tel. 0221/ 524242 Sa, So 19.30 (!) Don Karlos/ Schiller, Mo 20.00 Bandscheibenvorfall/ Lausund, Di 17.00 Kriegs-Erklärungen - „Auf den Frieden braucht die nimmer zu warten“ im Theater der Keller, Di 20.00 Bandscheibenvorfall im Theater im Bauturm, Mi, Fr 20.00 Holzers Peepshow/ Köbeli KONSTANZ Theater in Konstanz, Tel. 07531/900150 Sa, Mi 20.00, Fr 19.30 Terrorismus, So 19.30 Das Shiwago Projekt Werkstatt Inselgasse: Sa 20.30 Weiße Nächte, So 20.30 Siebente Reise Spiegelhalle Hafenstraße: So 15.00, Mi 11.00 Türkisch Gold, Mo, Di 20.00, Di 11.00 Der Proceß KREFELD Verein. Städt. Bühnen, Tel. 02151/805125 So 11.00 3. Kinderkonzert „Musik und Technik“, So 19.30, Di, Fr 20.00 Shockheaded Peter, Mi 20.00 Die Karriere des Wüstlings LANDSHUT kleines theater - Kammerspiele Landshut, Tel. 0871/29465, www.kleinestheaterlandshut.de Sa 20.00 Die kleine französische Meerjungfrau, Do, Fr 20.00 Das Leben ist ein Gedichte Landestheater Niederbayern, Tel. 0871/9220833 Landshut: Sa 19.30, So 18.00 Der Brandner Kaspar und das ewig‘ Leben, Fr 19.30 Cabaret Passau: Sa 19.30, So 18.00 Der Rosengarten, Do, Fr 19.30 Faschingsgala LEIPZIG Oper Leipzig, Tel. 0341/1261-261 Opernhaus: Sa 16.00 u. 20.00, So 19.00 Yamato - The Drummers of Japan, Do 19.30 Ariadne auf Naxos, Fr 19.30 Die Schöpfung (Ballett) Musikalische Komödie: Mo 18.00 Oper Leipzig Werkstatt zu „Cabaret“ LÜBECK Theater Lübeck, Tel. 0451/399600, www.theater.luebeck.de Großes Haus: Sa, So 16.00 Hoffmanns Erzählungen für Kinder (Junges Studio), Sa 17.00 Die Walküre, So 18.00 Salome, Mo 20.00 4. Kammerkonzert (Audienzsaal im Rathaus), Di 11.00 Faust. Der Tragödie erster Teil, Di, Fr 20.00 Die fetten Jahre sind vorbei (Junges Studio), Mi 19.30 Der Zauberberg, Do 18.00 Wiener Blut, Fr 19.30 Evita, Kammerspiele: Sa, Do 20.00 Minna von Barnhelm, So 18.30 Peer Gynt, Di 20.00 Premiere: Dat Schörengericht, Fr 20.00 Hans Albers - Flieger, grüß mir die Sonne! MAGDEBURG theater magdeburg, Tel. 0391/540/-6444, /6555 o. /-6363 opernhaus: Sa 19.30 Ginkgo (Warum?) (Ballett-Premiere), Sa 17.30 Höhenangst, So 11.00 Wiener Klassik # 1, So 19.30 My Fair Lady, Do, Fr 19.30 Sinfoniekonzert # 6, Fr 10.00 Die Braut vom Pluto, Fr 22.00 tangosalon schauspielhaus: Sa 19.30 Der Untergang des amerikanischen Imperiums, Sa 19.30 Frank (und frei), Mo 18.00, Di 10.30 Voll abgedreht!, Mo 21.00 Jazz in der Kammer, Di 19.30 Don Juan, Mi 15.00 u. 19.30 Der Kick, Mi 19.30 nachtcafé diskursiv mit Ariadne von Schirach, Do 19.30 Die Möwe, Fr 19.30 Romeo und Julia, Fr 19.30 Liebe und Geld MAINZ Staatstheater, Tel. 06131/2851222 Großes Haus: So 14.00 Die Fledermaus, Di-Do 19.33 Der „nackische“ Wahnsinn (Di Premiere) Kleines Haus: Sa, Mo 19.30 Frühlings Erwachen. Live fast - die young (Premiere), So 19.30 Repertoire IV, Di 19.30 Reiz und Schmerz, Mi 19.30 Radio unfertig - Der Film TV, Do 19.30 La Semiramide riconosciuta TiC: So 20.00 Menschen in Kindergrößen, Mo 20.00 Family affairs 2274 Orchestersaal: So 13.00 Opernclub: Die Feldermaus Unbekannte Theaterwege: Sa 15.00 Karten nur im Vorverkauf 4,70 Euro MANNHEIM Nationaltheater, Tel. 0621/1680-150, www.nationaltheater.de Opernhaus: Sa, Di 19.30 Ariadne auf Naxos (Sa A-Premiere, Di B-Premiere), So 16.00 Marlene, Mo 19.00 Die Fledermaus (ausverk.), Mi 11.00 Papageno spielt auf der Zauberflöte, Mi 19.30 Der fliegende Holländer, Do 19.30 Alessandro, Fr 19.30 Die Comedian Harmonists Teil 2 - Jetzt oder nie Schauspielhaus: Sa 19.00 Romeo und Julia, So 10.00 Frühstücksbuffet, So 11.00 FrühStücken Lesung: Szenen und Texte von Jan Neumann, So 20.00 Mütter, Do 20.00 Die Jungfrau von Orleans, Fr 19.30 Faust - Der Tragödie erster Teil Studio Werkhaus: So 20.00 Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm, Mo 20.00 Start Up, Di 18.00 Pädagogenforum, Di 20.00 hamlet ist tot. keine schwerkraft, Fr 20.00 Pericle der Schwarze Schnawwl: Mo-Do 11.00, Di 16.00 Alle Freunde fliegen hoch (ausverk.), Do, Fr 11.00 Kohlhaas (Fr ausverk.) Tanzhaus Käfertal, Galvanistr., Firmengelände Alstom Tor 6 A: Mi 20.00 Begegnung mit dem Kevin O‘Day-Ballett MARBURG Hessisches Landestheater, Tel. 06421/25608 (Theaterkasse) Fürstensaal: Sa, Di, Mi 20.00 Warten auf Godot (Sa Premiere) TASCH 1: Fr 20.00 Eine Bank in der Sonne TASCH 2: So 11.00 Frühstück mit Wolf Probebühne: Do 18.00 Grimm - Projekt Rotkäppchen 3D MEININGEN DAS MEININGER THEATER Südthüringisches Staatstheater, Tel. 03693/451222, www.das-meininger-theater.de, kasse@das-meininger-theater.de Großes Haus: Sa 19.30 Ein Monat auf dem Lande, So 19.00 Song and Dance, Fr 19.30 Don Karlos (Premiere) MÖNCHENGLADBACH Theater Mönchengladbach, Tel. 0 21 66/ 6 15 11 00 Sa 20.00 Avanti Dilettanti!, So 19.30, Fr 20.00 Die verkaufte Braut, Di 20.00 Der Liebestrank, Mi 20.00 Dantons Tod MÜNCHEN Bayerisches Staatsschauspiel, Tel. 089/2185-1940 Residenz Theater: Sa 20.00 Der Gott des Gemetzels, So 15.00 Am Ziel, So 19.30 30 Jahre Gerhard Polt und die Biermösl Blosn, Mo 19.00 Brand, Di 19.00 Romeo und Julia, Mi 20.00 Medeia, Do 20.00 Woyzeck, Fr 20.00 Androklus und der Löwe Cuv: Sa 20.00 Die Unbeständigkeit der Liebe Marstall: Sa, So 15.00, So 11.00 Kinder-Buch-Theater. Mary Poppins (Sa Premiere), Di 20.00 pool (no water), Mi 20.00 Rattenjagd Bayerische Staatsoper, Tel. 089/2185-1920 Sa 20.00 Elektra. R. Strauss, So 11.00 Einführungsmatinée „Lucrezia Borgia“, So, Do 19.00 Nabucco. G. Verdi, Mi 20.00 Elektra. R. Strauss, Fr 19.00 La Calisto. F. Cavalli Komödie im Bayerischen Hof, Tel. 089/292810, www.komoedie-muenchen.de Sa-Fr 20.00 Die Reifeprüfung Münchner Kammerspiele, Tel. 089/233-37000 o. 54818181, Fax 54818154, www.muenchner-kammerspiele.de Schauspielhaus: Sa 20.00 Ping Pong D‘Amour, So 19.00 Der Prozess, Mo 19.30 Mass für Mass, Di 19.30 Drei Schwestern, Mi, Fr 20.00 Hiob Neues Haus: Sa, Mi 20.00 Räume räumen, Do, Fr 20.00, Fr 22.00 Peterlicht: Festival vom unsichtbaren Menschen Werkraum: Mo 20.00 Armes Ding, Di 20.00, Do 20.15 Richard III Münchner Volkstheater, Tel. 089/5234655 Sa 19.30 Ein Sommernachtstraum, Mo, Di 19.30 Alice im Wunderland, Mi, Do 19.30 Don Karlos, Fr 19.30 Peer Gynt Kleine Bühne: So 20.00 wohnen. unter glas Staatstheater am Gärtnerplatz, Tel. 089/2185-1960, www.gaertnerplatztheater.de, tickets@st-gaertner.bayern.de Sa 19.30 Die Schöne und das Biest, So 15.00 Der kleine Prinz (Tanz), So 20.00 Shockheaded Peter, Mi 20.00 Heute Nacht oder Nie (Revue), Do 21.00 Jazz: Lynne Arriale Trio, Fr 19.30 Sweeney Todd (P) MÜNSTER Städtische Bühnen, Großes Haus, Tel. 0251/5909100 Sa 19.30 Der kleine Horrorladen, So 18.00, Di, Mi 20.00 6. Sinfoniekonzert, Do 19.30 taktlos No 3, Fr 19.00 Die Hochzeit des Figaro (Le nozze di Figaro) Städtische Bühnen, Kleines Haus, Tel. 0251/5909100 So 11.00 Bauer in Love, So 17.00, Do 19.30 Nora oder Ein Puppenheim, Di, Fr 19.30 Lachrimae mundi, Mi 19.30 Lady Day at Emerson‘s Bar & Grill, Do 11.00 Premiere: Aschenputtel oder Rossini kocht eine Oper Wolfgang Borchert Theater, Tel. 0251/40019 Sa, Do 20.00, So 18.00 Sechs Tanzstunden in sechs Wochen, Di 20.00 Die Grönholm-Methode, Mi-Fr 20.00 Mondlicht und Magnolienwww.wolfgang-borchert-theater.de
NEUSS Rheinisches Landestheater, Tel. 02131/269933 Schauspielhaus Oberstr. 95: So 14.00, Do 20.00 Die Nervensäge, Di 20.00 Fettes Schwein Studio: Sa 20.00 Philotas NEUWIED Landesbühne Rheinland-Pfalz, Tel. 02631/22288 Sa, Do, Fr 20.00 Liebeslänglich Komödie von Folker Bohnet und Alexander Alexy. Urauffühung mit: Kerstin Baldauf, Claudia Rieschel, Edith Teichmann, Folker Bohnet, Markus Lorenz u. VanLam Vissay, Inszenierung: Folker Bohnet NÜRNBERG Staatstheater, Tel. 0180-5-231.600, Staatstheater-Nuernberg.de Oper: So 19.00 Aida Schauspiel: Sa 19.30 Des Teufels General & Schiedsrichter Fertig, So 19.00, Do 19.30 Ladies Night, Di 19.00 Die Orestie, Mi 19.30 Spieltrieb, Fr 19.30 Der Gott des Gemetzels etc. OLDENBURG Oldenburgisches Staatstheater, www.staatstheater.de Großes Haus: Sa 19.30 Don Quijote und Sancho Pansa, So 15.00 u. 19.30 On the Town, Do 19.30 Mutter Courage und ihre Kinder-PREMIERE Kleines Haus: Sa 20.00 Dat Enn van‘n Anfang, So 20.00 Die Ratten, Fr 20.00 Meier Müller Schulz oder Nie Wieder Einsam! (UA)-PREMIERE Exerzierhalle: Fr 22.00 Ein Bericht für eine Akademie EWE-Arena: Sa 20.00 Classic meets Pop Heinrich-Kunst-Haus: Sa 20.00, So 16.00 Dat weer de Leerk Spielraum: So 11.30, Di 10.00 u. 12.00 Die Wanze Schloss: Do 20.00 3. Schlosskonzert OSNABRÜCK Theater Osnabrück, Tel. 0541/7600076 Theater am Domhof: Sa, Do 19.30 Oedipus (Sa Premiere), So 18.30, Di 19.30 Der Vetter aus Dingsda, Mi 19.30 Oedipus, Fr 19.30 Harold und Maude emma-theater: Sa 19.30 Die ganzen Wahrheiten, So 15.00 Moby Dick, Mi 19.30 Der Kopf des Biografen, Fr 19.30 Rattenjagd PADERBORN Westfälische Kammerspiele, Tel. 05251/882634 Sa, So, Do, Fr 19.30 Liliom Probebühne/Klingelgasse: Di, Mi 19.30 Die Vormieterin POTSDAM Hans Otto Theater, Tel. 0331/98118, www.hansottotheater.de Sa 19.30 Filumena, Sa 19.30 Amoklauf mein Kinderspiel, So 19.00 Frohes Fest, Mo 19.30 Veronika beschließt zu sterben, Mo-Mi 10.00, Di 14.00 Kater Zorbas, Fr 19.30 Ein idealer Gatte REGENSBURG Theater Regensburg, Tel. 0941/5072424 Bismarckplatz: Sa, Mi 19.30 Andrea Chénier (Sa Premiere), Di 19.30 Das Land des Lächelns, Do 19.30 Wozzeck Velodrom: So 15.00 Hundert Jahre Einsamkeit, Di, Mi, Fr 19.30 Tannöd ROSTOCK Volkstheater, Tel. Vorverkauf 0381/381-47 00, www.volkstheater-rostock.de Theater im Stadthafen: Do 20.00 Mobile Horror/ Komödie v. J. Jokela Großes Haus: Fr 19.30 Carmen/ Oper von G. Bizet SAARBRÜCKEN Saarländisches Staatstheater, Tel. 0681/32204 Staatstheater: Sa 19.30 Die Zauberflöte, So 11.00 Theaterführung, So 19.30 Der Barbier von Sevilla, Di 19.30 Cavalleria Rusticana/ Der Bajazzo, Mi 19.30 Romeo und Julia, Do 19.30 Wolfgang Mertes & Downtown Groove: „Schlag auf Schlag“, Fr 19.30 Herr Puntila und sein Knecht Matti Alte Feuerwache: Sa 19.30 Erhöhte Temperatur, So 19.30 Am Strand der weiten Welt, Mi, Fr 19.30 Werther, Do 19.30 Der Menschenfeind sparte4: Sa, Fr 20.00 Taxi 3/5, Mi 21.00 Direktmusik: „Lauter blaue Noten“ (Jazz Standards), Do 20.00 Notizen aus dem Untergrund SIEGEN Apollo-Theater Siegen, Morleystraße 1, 57072 Siegen, Tel. 0271/770277-2, www.apollosiegen.de Sa 15.00 u. 17.00 Pettersson, Findus und der Hahn, Di 20.00 Die sieben Todsünden, Fr 20.00 Lauf doch nicht immer weg SINGEN Theater „Die Färbe“, Tel. (0 77 31) 6 46 46/6 26 63 Sa 20.30 Spiel‘s nochmal, Sam von Woody Allan, Regie Manfred Beierl STUTTGART Schauspielbühnen in Stuttgart, www.schauspielbuehnen.de Altes Schauspielhaus, Kleine Königstr., Tel. 0711/2265505: Sa, Mo-Fr 20.00, Sa 16.00 Ein fliehendes Pferd Komödie im Marquardt, Am Schlossplatz, Tel. 0711/2277022: Sa, Di-Fr 20.00, Sa 17.00 Der nackte Wahnsinn International Theatre Stuttgart, Tel. 0711/2265505: Do, Fr 11.00 u. 15.00 One language, many voices Theater tri-bühne, Tel. 0711/2364610 Sa 20.00 Das kunstseidene Mädchen, Do 20.00 Onkel Wanja Württembergische Staatstheater, Tel. 0711/202090 Opernhaus: Sa, Di 19.00 Stuttgarter Ballett: Hamlet, So 17.00 Les Troyens, Mo 19.00 Lucio Silla, Mi 19.00 Die Zauberflöte, Do 19.00 Der fliegende Holländer, Fr 19.00 Herzog Blaubarts Burg/ Quartett/ Erwartung Schauspielhaus: Sa, Mo 20.00 Der Prinz von Dänemark. Ein Hamlet-Musical, So 19.30 Penthesilea, Di 19.30 Außer Kontrolle, Mi 19.30 Stalker, Do 11.00 Unterm hohen Himmel: Parzival, Do 19.30 Manderlay, Fr 19.30 Eos Theater im Depot: Sa 19.00 Die letzten Tage der Menschheit, Mo 20.00 Der Gott des Gemetzels, Di 11.00 u. 18.00 The kids are alright, Fr 20.00 Humankapital
ÖSTERREICH GRAZ Schauspielhaus Graz, Tel. 43(0)3168000, www.buehnen-graz.com Sa 19.30 Baumeister Solness INNSBRUCK Tiroler Landestheater, Tel. (00 43-5 12) 5 20 74-4 Großes Haus: Sa 19.30 La Bohème, So, Mi-Fr 19.30 Tartuffe Kammerspiele: Sa, Mi, Fr 20.00 Der Gott des Gemetzels, So 11.00 Wer ich bin, du wirst es nicht erfahren LINZ Landestheater Linz, Tel. 0043/732/7611100 Großes Haus: Sa, Di 19.30 Le nozze di Figaro (Sa Premiere), So, Mi 19.30 Der Vogelhändler, Do 19.30 La Calisto, Fr 19.30 Fidelio Ein Ballett Kammerspiele: Mi 19.30 Der Gott des Gemetzels, Do 19.30 Elementarteilchen, Fr 19.30 Premiere: Picknick im Felde u\hof: Mi, Do 10.30, Mi 14.00 Ein Schaf fürs Leben Eisenhand: Do 20.00 Bezahlt wird nicht!, Fr 20.00 Die Kopien SALZBURG Landestheater, Tel. (00 43-6 62) 87 15 12-0 Sa 19.00, Mi 19.30 Tod in Venedig (Death in Venice), Di, Do 19.30 Der Barbier von Sevilla, Fr 19.30 Pension Schöller Kammerspiele: Sa, Fr 16.00, Mi 11.00 Die Chinesische Nachtigall Salzburg Museum: Di 19.30 Alte Meister WIEN Burgtheater, Tel. (0043-1) 51444-4140, Fax -4143 Sa 19.00, So 18.00 Faust I, Mo 19.00 Don Carlos, Infant von Spanien, Di 20.00 Irmingard, Do 19.00 Heinrich VI - Die Rosenkriege, Teil I, Fr 20.00 Der Schein trügt Akademietheater: Sa 19.00 Freier Fall, So 20.00 Fantasma, Mo 20.00 Die Probe (Der brave Simon Korach), Di, Mi 19.00 Die Brüder Karamasow, Do 20.00 Doktor Faustus - my love is as a fever, Fr 20.00 Macbeth Kasino: Sa, So 20.00 MEDEA. Ein Projekt von Grzegorz Jarzyna, Mo 20.00 Aufzeichnung Akademietheater 1986 - „Ritter, Dene, Voss“, Di, Mi 20.00 Der deutsche Mittagstisch Vestibül: Sa 19.30 Komik ist immer ernst, bis der Komiker sich umbringt, So 18.30 „Thomas Bernhard“ Filme mit und über Thomas Bernhard, Do 19.30 Die verrückte Magdalena, Fr 20.30 Aufzeichnung Burgtheater 1974 - „Die Jagdgesellschaft“ Theater in der Josefstadt, Tel. (00 43-1) 4 27 00 300 Sa 15.00 Die Wirtin, Sa 20.00 Besuch bei dem Vater, So 11.00 Matinee: Schenk liest Abstruses, So 14.30 Floh im Ohr, So 20.00, Mo, Mi 19.30 Buddenbrooks, Di, Do, Fr 19.30 Die Wirtin Volkstheater Wien, Tel. (00 43-1) 52111400 Sa, Mo, Fr 19.30 Tod eines Handlungsreisenden, So 15.00, Mi 19.30 Die Fledermaus, Di, Do 19.30 Die Reifeprüfung
SCHWEIZ BASEL Theater Basel, Große Bühne, Tel. 0041/61/2951133 Sa, Mi 20.00 Rolling Steps, So 18.30 Premiere: Lulu, Mo, Do, Fr 20.00 Hair, Di 19.30 Berlin Alexanderplatz, Theater Basel, Kleine Bühne Sa 17.00, So 11.00 u. 14.00 Kinder-Charivari K 6: Mi 20.15 Wahnsinnsarien Theater Basel, Schauspielhaus Sa 20.00 Next Level Parzival, So 19.00 Alte Meister, Fr 20.00 Premiere: Hexenjagd LUZERN Luzerner Theater, Tel. 0041/41/ 2281414 Sa 19.30 Der Vogelhändler, So 13.30 Der Gehülfe, So 20.00 Die große Bäckereiattacke, Mi, Fr 19.30 Sugar - Manche mögen‘s heiss ST. GALLEN Konzert und Theater St. Gallen, Tel. 00 41-71/ 2 42 06 06 Grosse Bühne: Sa-Mo 19.30 Hairspray, Di 19.30 Maria Stuart, Mi 14.00 Der Räuber Hotzenplotz Foyer: Sa 14.00 Pettersson und Findus, So 11.00 Talk im Theater Studio: Di 20.00 Amoklauf mein Kinderspiel Tonhalle: Do 10.00 Schülerkonzert, Do 19.30 7. Tonhallekonzert, Fr 12.15 2. Mittagskonzert Lokremise: Fr 20.00 Premiere: Die stumme Serenade ZÜRICH Opernhaus, Tel. 0041-44/2 68 66 66, www.opernhaus.ch Sa, Fr 19.00, Mi 19.30 The Rake‘s Progress (Sa Premiere), So 14.00, Do 19.00 Manon Lescaut, So 20.00 La Bohème
ULM Theater Ulm, Tel. 0731/1614444 Großes Haus: Sa 19.00, Fr 20.00 Le nozze di Figaro, So 14.00 Tod eines Handlungsreisenden, Mo 17.00 u. 20.00 One Language - Many Voices, Di, Do 20.00 Verbrennungen, Mi 20.00 Tosca Podium: Sa, Do, Fr 19.30, Do, Fr 11.00 Spielt euch Liebeslyrik (Sa Premiere), Mi 20.15 Genannt Gospodin Foyer: So 19.30 4. Kammerkonzert WEIMAR Deutsches Nationaltheater & Staatskapelle Weimar, Tel. 03643/755334, www.nationaltheater-weimar.de Großes Haus: Sa 19.00 Galakonzert der Staatskapelle Weimar, So 16.00, Fr 20.00 Don Pasquale, Di 20.00 Die Zauberflöte WIESBADEN Hessisches Staatstheater, Großes Haus, Tel. 0611/132325 Sa, Mi 19.30 Solitaire/Le Sacre du Printemps (Sa Premiere), So, Do 19.30 My fair Lady, Fr 19.30 Tosca Gala-Vorstellung Hessisches Staatstheater, Kleines Haus Sa 19.30 Das letzte Feuer, So 16.00 Die Räuber, Di 19.30 Maria Stuart, Mi 19.30 Ein Inspektor kommt, Do 19.30 Stairways to Heaven, Fr 19.30 Eines langen Tages Reise in die Nacht WILHELMSHAVEN Landesbühne, Tel. 04421/940115, www.landesbuehne-nord.de Stadttheater: Sa 20.00 Maria Magdalene, So 20.00 Kerls, Kerls, Kerls, Mi 19.30 On the Town, Do 20.00 VI. Sinfoniekonzert (Stadthalle) Junges Theater, Rheinstr. 91: Sa, Fr 20.00 Du, Du und ich Studio, Rheinstr. 91: So 20.00 Bei Anruf Mord
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WUPPERTAL Wuppertaler Bühnen, Tel. 0202/5694444, Fax 0202/5693567 Opernhaus: Sa 18.00 Das Märchen von Fanferlieschen Schönefüßchen, So 16.00 Die Zauberflöte, Fr 19.30 Heinz Erhardt zum 100. Geburtstag theater der keller Köln: Sa, Mi 20.00 König Oedipus Container: Sa 20.00 Mein Lieblingsbuch, Do 20.00 Poetische Fundstücke Citykirche Elberfeld: So 11.30 Abends ins Theater, morgens in den Gottesdienst, Fr 19.30 Geliebter Lügner WÜRZBURG Mainfranken Theater, Tel. 0931/3908-124, Fax -104 Großes Haus: Sa, Fr 19.30 Die Dreigroschenoper, So 11.00 Matinee zu Der Vetter aus Dingsda (oberes Foyer), So 15.00 Der kleine König Dezember, So 19.30 Der Nussknacker, Do 10.00 Amalia verkleidet sich (Oberes Foyer) Kammerspiele: Sa 20.00 Wunderhorn, Do 20.00 Love Revolution, Mi 20.00 Cabaret Tschetchnenien, Do 20.00 Crash Kulturspeicher: Do 19.00 Spielplatz im Kulturspeicher
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DIE ZEIT Nr. 8
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P O L I T I K , W I S S E N , K U LT U R U N D A N D E R E R Ä TS E L F Ü R J U N G E L E S E R I N N E N U N D L E S E R DIESE WOCHE:
Woher kommt das Leben?
Filmpreise Nicht zur Schule müssen und dafür ins Kino gehen dürfen – klingt das zu schön, um wahr zu sein? Elf Kinder erlebten in den vergangenen Tagen genau das. Die sieben Mädchen und vier Jungen bilden zusammen die Jury, die beim Filmfest Berlinale über Kinderfilme urteilt. Sie wurden aus rund 1500 Kindern ausgewählt, die sich alle für die Jury beworben hatten! Seit vergangenem Freitag haben die Kinder täglich Produktionen aus vielen verschiedenen Ländern angeschaut. Für insgesamt 13 Spielfilme und 18 Kurzfilme saßen sie immer wieder im Kino. Zu jedem Film mussten sich die jungen Kritiker ein Urteil bilden. Denn nur je ein Spielfilm und ein Kurzfilm bekommen einen Preis, den Gläsernen Bären. »Die Kinder arbeiten richtig hart«, sagt Alexander von Agoston, der die Kinderjury betreut. Der große Abschluss ist am kommenden Samstag (14. Februar). Dann werden die Kinder verkünden: »Der Gläserne Bär 2009 geht an …« Wer einen Preis bekommt, ist bis dahin allerdings geheim.
DER ELEKTRONISCHE HUND
Bleeker
Dein Vorname:
Wie alt bist Du?
Wo wohnst Du?
Was ist besonders schön dort?
C
Abb. [M]: Johann Brandstetter/akg-images (Zeichnung Evolution); Fotos: Julia Margaret Cameron/Bridgeman Art (Darwin); Hardy Hänel (Muschel); Illustrationen: Apfel Zet für DIE ZEIT/www.apfelzet.de (Piktogramme); Niels Schröder für DIE ZEIT/www.niels-schroeder.de (Wappen, kl. Löwe)
Menschen verlieren ihre Häuser, weil sie Kredite nicht mehr zurückzahlen können. Bankmitarbeiter starren fassungslos auf die großen Anzeigentafeln an den Börsen: An solche Ereignisse der letzten Monate denken wir, wenn wir das Wort Finanzkrise hören. Vielleicht sorgen sich auch Eure Eltern um die Familienersparnisse. Vielleicht fürchten Bekannte um ihren Arbeitsplatz. Wie es dazu kam und was hinter Fachbegriffen wie Leerhandel, Derivate und Verbriefung steckt, erklärt das Buch Die Finanzkrise. Es liefert Christiane Beispiele, die den kompli- Toyka-Seid/ zierten Geldhandel erklären. Gerd Schneider: Etwa: »Verkauft man ein Die Finanzkrise 2009; Fahrrad, das man sich nur Arena 5 Euro geliehen hat?« Darauf würde jeder ehrliche Mensch »Natürlich nicht!« antworten. Doch so ähnlich laufen viele Geschäfte von Banken ab. Manchmal muss man auch in diesem Buch zweimal lesen, wenn abenteuerliche Geschäftsmodelle beschrieben werden. Doch hat man es begriffen, kann man auch seinen Eltern noch etwas beibringen.
Fragebogen
In dieser Woche wäre der berühmte Naturforscher Charles Darwin 200 Jahre alt geworden. Schon als Kind interessierte er sich für – fast alles VON ULRICH BARON
WAS SOLL ICH LESEN?
Geldgeschäfte
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harles Darwin hat unser Bild vom Leben verändert wie kein Zweiter. Er erkannte, dass sich Tier- und Pflanzenarten verändern, weil diejenigen am ehesten überleben, die am besten an ihre Umwelt angepasst sind. Solche Erkenntnisse fallen nicht von den Bäumen, Darwin hat viele Jahre geforscht. Und als alter Mann erinnerte er sich, dass er schon als Kind vom Entdeckergeist gepackt wurde. Brav war er jedenfalls selten: »Ich war wohl in vielerlei Hinsicht ein böser Bube.« Gern habe er Obst stibitzt. Und mit seinem älteren Bruder Erasmus unternahm er als Dreizehnjähriger chemische Experimente, die so bedenklich erschienen, dass der Vater sie mitsamt ihren giftigen Gasen in den Gartenschuppen verbannte. Charles’ Leidenschaft galt dem Reiten, dem Jagen, den Tieren und besonders dem Sammeln. Ob Mineralien, Schneckenhäuser, Muscheln – nichts war vor ihm sicher. Für Lehrer konnte er sich dagegen nicht begeistern. Schon seine ältere Schwester Caroline hatte bei ihren Versuchen, ihn auf die Schule vorzubereiten, ihre liebe Not. Und der junge Charles mit seiner Schwester – »Wofür wird sie mich jetzt schon wieder verantwortlich machen?«, habe er sich stets gefragt, wenn er ihr begegnete. Charles Darwin wurde am 12. Februar 1809 in eine wohlhabende Familie hineingeboren. Sein Vater war Landarzt, riesengroß und dick, doch mit scharfem, feinfühligem Verstand. Seine Mutter starb, als Charles acht Jahre alt war. In den Augen des Vaters drohte der Junge zum Sorgenkind zu werden. »Du interessierst dich für nichts als Schießen, Hunde und Rattenfangen, und du wirst eine Schande für dich selbst und für deine Familie werden«, habe der Vater dem Sohn einmal vorgeworfen. Sollte er Arzt werden wie der Vater? Sein Medizinstudium brach er ab, weil ihm davor graute, Kindern Schmerzen zuzufügen. Sollte er Pfarrer werden? Eine gute Idee, fand der Vater. Und so studierte der Sohn Theologie. Doch zum Pfarrer berufen fühlte Charles sich nicht. Zum Glück war einem seiner Professoren aufgefallen, welches Gespür der junge Darwin für die Natur hatte. 1831 – er war 22 Jahre alt – erhielt er die Chance seines Lebens: Mit dem Segelschiff Beagle durfte er die Welt bereisen. Die Reise dauerte fünf Jahre und war voller Seekrankheit und abenteuerlicher Landausflüge. Darwin durchstreifte Dschungel, bestieg Vulkane und studierte Korallenriffe. Und er jagte und sammelte alles, was ihm vor Augen und Flinte kam. Doch nicht jedes Tier wollte sich betrachten oder gar einsammeln lassen.
1832 traf er auf den Kapverdischen Inseln ein besonders freches Exemplar: »Während ich, mit dem Kopf ungefähr zwei Fuß über dem steinigen Strand, nach Meerestieren Ausschau hielt, wurde ich mehr als einmal von einem Wasserstrahl begrüßt.« Als Schützen machte er einen neugierigen kleinen Tintenfisch aus. Nicht jede Begegnung war so harmlos, aber wieder halfen Darwin Erfahrungen von früher. Etwa dieses Erlebnis: Als Student hatte er bei der Jagd nach Käfern einmal zwei seltene Exemplare entdeckt und in jeder Hand eines gefangen. Dann erspähte er einen dritten, noch unbekannten Käfer. Was tun? Schließlich waren beide Hände schon beschäftigt. »Ich steckte den aus der rechten Hand schnell in meinen Mund. Doch herrje, er verspritzte eine scharfe Flüssigkeit, die meine Zuge so verbrannte, dass ich den Käfer ausspuckte.« Hätte er das mit giftigen Tropeninsekten getan, es hätte schlimmer enden können. Doch da hatte er seine Lektion schon gelernt. Auch andere Dinge, die er früher spielerisch geübt hatte, konnte Darwin auf seiner Reise anwenden. So entdeckte er eine ungeheure Vielfalt an Landschaften und Lebewesen. Und je mehr er entdeckte, desto mehr Fragen stellte sich Darwin. Auf Bergen fand er versteinerte Muscheln. Wie kamen sie dort hin? Hatte sich der Meeresspiegel gesenkt oder der Berg gehoben? In Südamerika grub er Knochen von elefantengroßen Faultieren aus. Warum waren solche Riesen dort ausgestorben, während Afrikas Großtiere überlebt hatten? Waren die verschiedenen Tierarten gar nicht im Paradies geschaffen worden, wie die Bibel berichtete und es die Menschen damals glaubten? Ja, so musste es sein! Zu dieser Überzeugung kam Charles Darwin, je länger er forschte. Doch nach seiner Reise zögerte er Jahre, diese Schlussfolgerungen zu veröffentlichen. Er wusste, wie sehr es seine Zeitgenossen schockieren würde, dass alles Leben – auch wir Menschen – nicht durch göttliche Schöpfung entstanden sein sollte. Darwins Theorie besagte vielmehr, dass alle Arten einer natürlichen Entwicklung entsprängen, die man »Evolution« nennt. Seine Kinder erlebten Charles Darwin als liebevollen, aber früh gealterten und von seiner Arbeit aufgezehrten Vater. Doch mit seinen Erinnerungen hat Darwin ihnen und uns gezeigt, dass er nie ein so berühmter Naturforscher hätte werden können, wenn er nicht ein wissbegieriges Kind gewesen wäre. i Lesetipps zu Charles Darwin findest Du im Internet: www.zeit.de/kinderzeit
CHARLES DARWIN wurde am 12. Februar 1809 geboren. Er liebte Tiere, sammelte Schneckenhäuser, Mineralien und Muscheln und erschreckte seinen Vater mit riskanten chemischen Experimenten
Und was gefällt Dir dort nicht?
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Ein kniffliges Rätsel: Findest Du die Antworten und – in den getönten Feldern – das Lösungswort der Woche?
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MEIN VATI sagt: Die sind das Gesündeste vom Obst
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Zu der exotischen Frucht sagt am Ende keiner Nein
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Sind in Frühstückers beliebtestem Saft
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TAUSEND ungefähr: Bananen wachsen an ...
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Obstsalat serviert man oft in ... Litschis zum Beispiel isst man immer ohne
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Im Winter reifen Apfel, Birne, Zwetsche nicht, aber die
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Obstsalatgrün
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Hat die struppigste Frisur von allen Früchten
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Das ist nicht mutig, die gibt’s vor allem als Trockenobst
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Britische Insel und japanisches Spiel wachsen zusammen auf einem Obstbaum
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Schicke es bis Dienstag, den 24. Februar, auf einer Postkarte an die
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ZEIT, KinderZEIT, 20079 Hamburg,
und mit etwas Losglück kannst Du mit der richtigen Lösung einen Preis gewinnen, ein kuscheliges ZEIT-Badetuch. Lösung aus der Nr. 6: 1. Zollstock, 2. lackieren, 3. Hobelspaene, 4. Schraube, 5. Stuehle, 6. Feile, 7. Saegemehl, 8. Hammer, 9. geleimt, 10. schmirgeln. – TISCHLEREI
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KINDER-EDITION
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12. Februar 2009 DIE ZEIT Nr. 8
Die Edition 1.
Edith Nesbit Der Sandelf
2.
Otfried Preußler Die Abenteuer des starken Wanja
3.
Maurice Druon Tistou mit den grünen Daumen
4.
Rudyard Kipling Geschichten für den allerliebsten Liebling
5.
Elaine Horseman Zauberei im alten Haus
GEDICHT
The Tiger Tiger! Tiger! burning bright In the forests of the night, What immortal hand or eye Could frame thy fearful symmetry? In what distant deeps or skies Burnt the fire of thine eyes? On what wings dare he aspire? What the hand dare seize the fire?
6.
Terry Pratchett Maurice, der Kater
7.
Frances Hodgson Burnett Der geheime Garten
8.
Adolf Himmel Fauler Zauber auf Schloss Fionn
9.
James M. Barrie Peter Pan
10.
Tove Jansson Geschichten aus dem Mumintal
11.
Margaret Mahy Barneys Besucher
12.
Robert C. O’Brien Frau Frisby und die Ratten von NIMH
13. 14.
And what shoulder, and what art, Could twist the sinews of thy heart? And when thy heart began to beat, What dread hand? And what dread feet?
Kind mit Tiger
15.
Anne Barrett Mein Tiger Mitty Philippa Pearce Als die Uhr dreizehn schlug
Jetzt wagte er, den Tiger ausgiebig zu betrachten. Der lange Körper lag entspannt unter den Weidenblättern, deren zuckende Schatten über ihn glitten und die schwarzgeränderten Streifen gleichfalls erzittern ließen, orange und lohfarben, beige und weiß. Das weiße Fell leuchtete weich, als sei es gerade gewaschen worden. Es strahlte vor Gesundheit, und Mark hatte das Gefühl, es müsse federleicht sein. Ob er es wagen konnte, den Tiger zu streicheln? Er blickte scheu auf das Gesicht. Schwarze Streifen liefen über die orangefarbene Stirn; die Ohren, die in einem Bogen von der Stirn abstanden, waren scharf und gespitzt. Wo sie sich einrollten, schienen sie mit dickem weißem Samt ausgekleidet. Mark hätte gern einen tastenden Finger hineingesteckt. Als ob das Tier seine Gedanken gelesen hätte, zuckte es mit einem Ohr und sah ihn an. Die Augen waren grasgrün, geheimnisvoll wie die tiefste Stelle eines Flusses, doch schienen sie leise zu lächeln und zu winken... Anne Barrett: Mein Tiger Mitty ZEIT Edition »Fantastische Geschichten für junge Leser« 2008, 224 S., 8,95 €
Illustration: Sabine Wilharm, Umschlagillustration »Mein Tiger Mitty« erschienen in ZEIT-Edition »Fantastische Geschichten für junge Leser« 2008
Weitere Informationen auf ZEIT ONLINE: www.zeit.de/jungeleser
Leseprobe
When the stars threw down their spears, And watered heaven with their tears, Did he smile his work to see? Did he who made the lamb make thee? Tiger! Tiger! burning bright In the forests of the night, What immortal hand or eye Dare frame thy fearful symmetry?
Ein geheimnisvolles Raubtier hilft dem unglücklichen Jungen Mark VON HEDDA GASCHKE
Elizabeth Goudge Das kleine weiße Pferd u
What the hammer? What the chain? In what furnace was thy brain? What the anvil? What dread grasp Dare its deadly terrors clasp?
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r riss sich ein Haar aus, besah es im Sonnenlicht und ließ es angewidert fallen: Straßenköterhaar.« Warum fühlt sich der elfjährige Mark Munday hilflos und einsam? Warum kann er, buchstäblich, kein gutes Haar an sich lassen? Als mittleres Kind eingeklemmt zwischen zwei klugen älteren und zwei klugen jüngeren Geschwistern, scheint sein Problem vor allem der Mangel an liebevoller elterlicher oder, genauer: väterlicher Aufmerksamkeit zu sein. Der Vater ist groß, breit und kräftig, eine Heldenfigur. Sein Haarschopf mag schon etwas schütter sein, aber hinter den Ohren quellen dichte lohfarbene Büschel hervor, und sein weicher Gang erinnert an den eines Löwen. Mark verehrt ihn, den erfolgreichen Wissenschaftler, ganz besonders. Marks Mutter ist Künstlerin und zeigt wenig Interesse an ihrem mittleren Kind: »Sie war keine normale Mutter, denn wenn sie Mark betrachtete, schien sie immer irritiert.« Auf diese kühle Mutter, auf den ewig fordernden Vater reagiert Mark mit ungeschickten Versuchen, Anerkennung durch besondere Leistungen zu erringen. Durch den Druck, unter den er sich selbst setzt, wird er immer nervöser, unkonzentrierter und unsicherer. Und um seine Lage noch weiter zu verschlechtern, gibt es da im Haus noch einen unangenehmen Mitbewohner, Dr. Barth, der sich auffällig für die Arbeit des Wissenschaftlervaters interessiert. Merkt denn niemand außer Mark, dass mit ihm etwas nicht stimmen kann? Dr. Barth verstärkt willentlich die Unsicherheit des Jungen, und er macht ihm Angst. Was hat der Mann in Vaters Arbeitszimmer zu suchen? Warum richtet er dort eine fürchterliche Verwüstung an? Was sucht er? Und vor allem: Warum um Himmels willen kann Marks Vater ihm nicht ein einziges Mal glauben? Denn natürlich wird der Junge für das unerklärliche Chaos verant-
wortlich gemacht. Dr. Barths sinistre Absichten bleiben verborgen. Es gelingt Mark einfach nicht, zu seinem Vater durchzudringen. Dabei ist er ein liebenswertes Kind, bereit zur Freundschaft, höchst fantasievoll. Doch in der Schule ist Fantasie keine Tugend, sondern eher ein Handicap; mit Marks Gedankensprüngen können Lehrer und Schulkameraden nicht mithalten, oft wird er gehänselt. Oder ist die Fantasie mitunter doch der Ausweg? Bei einer wichtigen Prüfung in Gegenwart des Schulrats (natürlich ausgerechnet ein Freund seines Vaters) fällt das magische Stichwort, das Marks ganzes Leben verändert. Das bekannte Gedicht Tiger, Tiger des englischen Dichters William Blake (1759 bis 1827), über das er geprüft werden soll, bringt dem Jungen blitzartig die Erkenntnis: Ein Tiger könnte sein starker Freund und Helfer in allen Notlagen sein! Und obwohl Mark auch in dieser Schulprüfung versagt, passiert doch etwas Wunderbares: Er beginnt tatsächlich immer öfter die Gegenwart eines geheimnisvollen Tieres zu spüren, das ihm Mut und Stärke verleiht. Seine Sehnsucht nach diesem Wesen wird so stark, und er konzentriert sich so sehr, dass das Unglaubliche geschieht: »In goldenen und orangefarbenen Streifen zuckte es über das Blattgewirr, leuchtend hellgrün – wie ein großes, feierliches Augenpaar, das ihn ansah, in ihn hineinsah, durch ihn hindurchsah. Es war der Tiger aus dem Gedicht.« Der spricht zu Mark mit tiefer Stimme: »Du rufst mich durch Herbeiwünschen.« Mark ist sich sicher: Sein neu gewonnener magischer Freund mit dem prächtigen weichen, strahlenden Fell heißt Mitty! Und alles wird gut werden. Doch die herrliche Aussicht, die Ferien endlich einmal allein mit dem Vater in Sussex verbringen zu dürfen, wird sofort getrübt durch die Tatsache, dass der Vater für diese Zeit einen Nachhilfelehrer anheuert: den tollpatschigen Eric Clay. Ihn hat, uns schwant nichts Gutes, ausgerechnet Dr. Barth
empfohlen. Marks Vater arbeitet auch im Urlaub unter Hochdruck weiter an seinem Werk über das Erinnerungsvermögen und das Funktionieren der menschlichen, besonders der kindlichen Seele. Alles ist hoffnungslos wie immer, Mark kann dem Vater nicht einmal sinnvoll dabei helfen, dessen Notizen zu ordnen. Nach einem gründlich misslungenen Versuch übernimmt Hauslehrer Eric diese Aufgabe. Darüber hinaus macht der ungeliebte Pädagoge schon am frühen Morgen sehr sonderbare Ausflüge, über die er ganz offenbar nicht die Wahrheit sagt. Immer öfter hat Mark in diesen sonderbaren Ferien Mitty an seiner Seite. Außerdem lernt er eine unheimliche alte Waldbewohnerin kennen, Watty. Diese geheimnisvolle Dame scheint Gedanken lesen zu können und ist durchaus furchteinflößend – aber auf ihre Art hilft auch sie Mark, zu sich selbst zu finden. Watty, eine knorrige, kleine Person, hart und braun wie eine Nuss und so krumm, dass sie ihn von der Seite anblicken muss, eröffnet Mark ein Geheimnis: »Es ist nicht schwer zu erraten, was die Leute denken … die meisten tragen ihre Gedanken auf dem Gesicht spazieren. Es hat keinen Zweck, etwas sein zu wollen, wofür man nicht geschaffen ist, man muss seinen eigenen Weg finden, nicht den anderer Menschen.« Mitty und Watty sind Marks Verbündete, als er sich schließlich in einer großen Gefahr bewähren muss – wenn das hart erarbeitete Werk seines Vaters nicht vernichtet werden soll. Da handelt Mark auf einmal mit Mut und Ausdauer: Durch seine Nachforschungen im nächtlichen Wald kann er die wichtigsten Aufzeichnungen des Vaters retten. Endlich ist ihm etwas gelungen. Endlich muss er nicht mehr danach streben, etwas zu sein, wofür er nicht geschaffen ist. Den Tiger Mitty braucht er in Zukunft nicht mehr, aber er weiß, dass die Liebe zu Tieren von nun an sein künftiges Leben bestimmen wird. Und mit dieser Erkenntnis wächst das Gefühl, in seiner Familie angekommen zu sein.
Der Tiger Tiger, Tiger, hell entfacht In den Waldungen der Nacht: Welches Gottes Aug und Hand Nur dein entsetzlich Gleichmaß band? Welcher Himmels Abgrund kennt Feuer, das ins Aug dir brennt? Wessen Flügel war Bedräuer? Welche Hand griff nach dem Feuer? Welche Schulter, welch Gesetz Flocht dein Herz als sehnig Netz? Und als es erstmals schlug voll Grauen Welche Schreckenhand und Klauen? Was der Hammer? Was die Fessel? Und dein Hirn in welcher Esse? Amboß was? Wes Griff gepresst Hielt dein tödlich Schreckbild fest? Als der Sterne Speere schossen Und Tränen in den Himmel gossen, Sah lächelnd Er Sein Werk vor sich? Schuf er, der auch das Lamm schuf, dich? Tiger, Tiger, hell entfacht in den Waldungen der Nacht: Welches Gottes Aug und Hand Mut für dein furchtbar Gleichmaß fand?
William Blake, ins Deutsche übertragen von Alexander von Bernus
Ein fantastisches Paket! Bitte liefern Sie mir die neue ZEIT Edition »Fantastische Geschichten für junge Leser« im exklusiven Sammelschuber. Ich zahle nur € 99,90 statt € 134,25 im Einzelbandkauf (Auslandspreise auf Anfrage).
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Die »Fantastischen Geschichten für junge Leser« werden herausgegeben vom Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH & Co. KG • Buceriusstraße, Eingang Speersort 1 • 20095 Hamburg • Geschäftsführer Dr. Rainer Esser • Sitz und Registergericht Hamburg HRA 91123
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Lustvolle Zerstörung
al angenommen, die futuristischen Künstler von einst kämen für ein paar Tage herübergereist ins Krisenjahr 2009. Sie sähen sich um, läsen die Zeitung – und könnten ihr Glück kaum fassen. Was für eine großartige Zeit!, würden sie lauthals schwärmen. Wie glorreich der Bankrott der Banken! Wie herzerquickend die Ratlosigkeit der Politik! Und weil die Künstler des Futurismus immer schon gern Manifeste schrieben, würden sie auch diesmal eines verfassen, eine Hymne auf »Die Schönheit des Abgrunds« oder auf »Das Ende des Gelds«. Uns Kleinmütigen aber, die wir zusähen, verblüfft oder erbost ob solcher Dreistigkeiten, würden sie ins Gesicht lachen. Schaut nicht so trübsinnig!, riefen sie. Ist doch fantastisch, dass endlich alles zusammenbricht! Denn nur im Zusammenbruch liegt das Heil! Schon zu ihren Lebzeiten, als vor hundert Jahren die große Bewegung begann, als am 20. Februar 1909 auf der ersten Seite des Figaro das Futuristische Manifest erschien, priesen die Künstler wollüstig Vernichtung und Untergang. »Steckt die Bibliotheken in Brand!«, forderten sie die Leser auf. »Leitet die Kanäle ab, um die Museen zu überschwemmen! Lasst sie dahintreiben, die glorreichen Bilder! Nehmt Spitzhacken und Hammer! Untergrabt die Grundmauern der hocherwürdigen Städte!« Nichts Geringeres planten die Futuristen als die totale Zertrümmerung der Vergangenheit. Vor allem ihr Heimatland Italien wollten sie befreien »von seinem Krebs von Professoren, Archäologen, Ciceronen und Antiquaren«. Und damit das auch wirklich gelinge, riefen sie umstandslos zu den Waffen: »Wir wollen den Krieg verherrlichen – diese einzige Hygiene der Welt!« Man stelle sich vor, diese Flammenworte stünden auf der Seite eins der ZEIT – die Leserbriefseite liefe über, der Chefredakteur müsste um seinen Posten fürchten. Denn wie kann man so etwas drucken? Das sind doch Hetzer! Fanatiker! Brandgefährliche Barbaren! Und ja, sie waren es wirklich. Sie verherrlichten die Gewalt, sie huldigten dem Hass, sie verachteten die Frauen (»Der Feminismus ist ein Gehirnfehler«); selbst mit den italienischen Faschisten paktierten sie für einige Jahre, so unbedingt war ihr Wille zur Macht. Doch seltsam, obwohl die Futuristen ganz offenkundig verblendet waren – sie stehen uns nahe, viel näher, als uns lieb sein kann. Und besser, man hält sich mit vorschnellen Beschimpfungen zurück. Denn wenn diese Künstler Hetzer, Fanatiker, Barbaren waren, dann sind wir es erst recht. Sie haben die kruden Manifeste ja nur geschrieben; wir aber leben danach. Erst in unserer Zeit erfüllen sich viele ihrer geradezu prophetischen Texte. Fast alles, was unsere Vorstellung von Welt und Wirklichkeit, von Kunst und Leben heute bestimmt, haben die Futuristen vorweggenommen. Viele meinen ja noch immer, beim Futurismus handele es sich um eine kurze und letztlich unbedeutende Aufwallung einiger italienischer Provinzkünstler. Aus der Ferne betrachtet, stimmt das sogar: Unter der geistigen Führung des Schriftstellers Filippo Tommaso Marinetti, der das Futuristische Manifest verfasst hatte, versammelten sich Maler, Architekten, Musiker, Theaterleute und weitere Schwarmgeister, um kampfeslustig eine neue Kunst zu proklamieren. Doch glichen ihre Bilder und Skulpturen auffällig dem, was die Kubisten in Paris damals längst praktizierten. Und so sind denn auch nur wenige futuristische Werke heute noch der Rede wert, die kristallin zersplitterten Landschaften von Giacomo Balla zum Beispiel oder die sturmzerzausten Bewegungsstudien von Umberto Boccioni. Als bahnbrechend und ungeheuer einflussreich erwies sich hingegen die geistige Beweglichkeit der Futuristen, ihre von Nietzsche und Bergson befeuerte Sehnsucht, die Kunst mit dem Leben zu verschmelzen und auf diese Weise das eine wie das andere von Grund auf zu erneuern.
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12. Februar 2009 DIE ZEIT Nr. 8
Deshalb wollten sich die Futuristen aus dem Klammergriff der Geschichte befreien und hätten selbst Venedig gern zerstört und »die kleinen, stinkenden Kanäle mit dem Schutt der alten, einstürzenden Paläste« aufgefüllt: weil diese Künstler glaubten, nur so könne eine andere, bessere Welt entstehen. Sie erfanden das Prinzip Avantgarde, die Vorstellung, dass der Mensch sich aus dem Nichts heraus neu erfinden könne und niemand anderes für diese Neuerfindung besser geeignet sei als die Künstler. Schluss sollte sein mit Besinnung und Ergötzung, mit Harmonie und Schönheit. »Töten wir die Feierlichkeit, wo immer wir sie finden!«, das war ihr futuristischer Schlachtruf. Nicht um Werke sollte es den Künstlern fürderhin gehen, sondern um Taten, so spektakulär und radikal wie irgend möglich. »Kunst kann nur Gewalt sein, Grausamkeit sein« – auch das steht in ihren Manifesten. Unzählige Künstler haben sich seither für das futuristische Credo begeistert, allen voran die Surrealisten und die Dadaisten. Auch Happening, Action-Kunst und Pop-Art, alle Künstlerbewegungen, die nach Entgrenzung streben, nach der Auflösung des Werkbegriffs, die mit Schock und Skandal die Menschen wachrütteln und zu einem neuen Sein bekehren wollten, stehen in der Nachfolge der Futuristen. Viele hatten zwar von den Manifesten nie gehört, andere kannten sie nur vom Hörensagen und scherten sich nicht weiter um die faschistisch-totalitären Anfänge der Avantgarde. Doch die Ideale des Futurismus, der Glaube an den Fortschritt, an die Grenzüberschreitung, an die Macht des Tabubruchs flossen in ihre Kunst ein und vererbten sich von Generation zu Generation. Auch heute sind viele Künstler noch vom alten Fortschrittsglauben und Avantgardedenken geprägt. Und selbst die Verachtung für alles Traditionelle ist weiterhin lebendig. »Ein altes Bild bewundern, heißt unsere Sensibilität in eine Ascheurne schütten«, das scheinen die futuristischen Künstler ihren heutigen Kollegen noch immer zuzuraunen. »Machen wir endlich Schluss mit den Porträtisten, den Malern von Interieurs, von Seen, von Bergen! Wir haben sie lange genug ertragen, alle diese impotenten Sommerfrischen-Maler!« Doch sind es keineswegs nur die Künstler, die im Bann der Futuristen stehen. Auch der Rest der Welt, die Nichtkünstler scheinen infiziert, vor allem von der Begeisterung für die »Schönheit der Geschwindigkeit«, für jede Form von Technik und Tempo. »Wir wollen preisen die angriffslustige Bewegung, die fiebrige Schlaflosigkeit, den Laufschritt, den Salto mortale«, das war eine ihrer Losungen. Übersetzt heißt das: Die Futuristen wollten eine Gesellschaft wie unsere, hektisch, haltlos, durchflexibilisiert. Sie träumten von der totalen Mobilisierung, von Autobahnen ohne Tempolimit, von Billigfliegern, ICEs, von einer globalen Simultanität mit Internet und Mobiltelefon. In ihrer Euphorie für alles Schnelle und Laute sahen sie voraus, dass der Mensch eines nicht fernen Tages »über Zeit und Raum herrschen« wird. Denn »die Welt schrumpft durch die Geschwindigkeit zusammen« und schrumpft erst recht, seitdem es Navigationsgeräte und tragbare Telefone gibt. Jetzt ist selbst die größte Fremde ganz nah: Überall sind wir erreichbar, nirgends können wir mehr verloren gehen. Mehr als alles andere hätte die Futuristen aber das iPhone entzückt, dieser Fototelefoninternetallesverbinder mit seinem Touchscreen, den man nur streicheln muss, schon hat man die ganze Welt in Händen. Auch die Futuristen pflegten schon eine hocherotische Beziehung zur Technik, nur zu gern liebkosten sie ihre Autos, »ihre heißen Brüste«, und wären am liebsten eins mit ihnen geworden. Genau wie manche Gentechniker von heute wollten sie Mensch und Maschine verFortsetzung auf Seite 42
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Rattenrennen Hat Daniel Kehlmann als Erster seine eigene Sperrfrist gebrochen? Wozu gibt es eigentlich Sperrfristen? Diese Frage steht im Raum, seit der Rowohlt Verlag Klage gegen den Spiegel eingereicht hat, weil das Magazin einen Bericht über Daniel Kehlmann und seinen neuen Roman Ruhm elf Tage vor Ablauf der Sperrfrist veröffentlicht hatte. Die Druckfahnen des Buches bekamen nur die Journalisten vorab zu Gesicht, die in einer »Vertraulichkeitserklärung« zusicherten, »dass keine Besprechung/Berichterstattung vor dem 16. 01. 2009 ohne Rücksprache mit dem Verlag publiziert wird«. Vorgeblich schützen Sperrfristen die Leser und Buchhändler – niemand soll mit der vorschnellen Rezension in den Laden stürmen und enttäuscht von dannen ziehen, weil das Objekt seiner Begierde noch gar nicht lieferbar ist. Zum anderen aber ist die Sperrfrist ein Mittel, die Journalisten zu Rädchen in der PR-Maschinerie der Kulturindustrie zu machen. Denn in Wahrheit ist der Verlag sehr wohl an Vorabberichterstattung interessiert – solange er die Kontrolle behält. Über das Buch soll ausführlich geredet und geschrieben werden, aber bitte nicht schlecht. In der Schutzzone vor der Sperrfrist lassen sich mit dem Lockmittel der Exklusivität prima Deals einfädeln: hier ein Vorabdruck, der die (Kauf-)Lust der Leser auf das ganze Werk befeuern soll, dort eine Homestory, die den Autor im besten Licht zeigt, schließlich das Vorabinterview, in dem Kehlmann seinen Roman ausführlich erläutert und ihn – Überraschung! – für seinen bislang besten und avanciertesten hält. Der Autor als sein eigener Kritiker: Vielleicht sollte das Landgericht Hamburg, vor dem die Klage verhandelt wird, zunächst prüfen, ob nicht Kehlmann selbst als Erster die Sperrfrist gebrochen hat. Auch in anderen Kunstsparten sind ähnliche Methoden längst Alltag. In der Kinobranche hat sich die Privatvorführung für Chefredakteure als probates Mittel etabliert. Animiert von der exklusiven Veranstaltung, so das Kalkül, sollen sie die Vorberichterstattung anregen. Die kann nur unkritisch sein, weil der schreibende Kritiker den Film gar nicht gesehen hat oder die Sperrfrist ihm eine echte Stellungnahme bei Strafandrohung verbietet. An dieser Entwicklung sind wir Journalisten natürlich nicht unschuldig. Wer zwingt uns, beim Rattenrennen um die schnellste Kritik, das früheste Stück zum Thema mitzumachen? Unsere Leser sind es nicht, denn sie wissen, dass Geschwindigkeit allein kein Qualitätskriterium für seriöse Kritik sein kann. Die besinnungslos gewordene Raserei kündet vielmehr von einer Arroganz der Kritik, die sich selbst tage-, ja mitunter wochenlang jeder kritischen Überprüfung entzieht. Der Leser hat ja keine Möglichkeit, das Urteil des Rezensenten am Gegenstand selbst zu überprüfen. Im Pressekodex des Deutschen Presserates heißt es in der Richtlinie 2.5: »Sperrfristen sind nur dann einzuhalten, wenn es dafür einen sachlich gerechtfertigten Grund gibt, wie zum Beispiel bei Informationen über ein noch nicht eingetretenes Ereignis. Werbezwecke sind kein sachlicher Grund für Sperrfristen.« Das hängen sich bitte alle Beteiligten über den Schreibtisch: Wir Journalisten sollten aus Achtung vor unseren Lesern keine Bücher vor ihrem Erscheinen, keine Premiere vor ihrer Uraufführung besprechen. Und die Verlage, Filmfirmen und Kulturereignisvermarkter sehen davon ab, uns als kostenlose Büttel ihrer PR-Interessen benutzen zu wollen. CHRISTOF SIEMES
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FEUILLETON
12. Februar 2009 DIE ZEIT Nr. 8
Fortsetzung von Seite 41 mählen und hofften darauf, der freie Wille des Individuums käme bald an sein Ende und das Subjekt würde sich auflösen in ein großes, evolutionäres Riesen-Ich. Ganz gleich also, wohin wir schauen – überall futuristische Spuren. Der Abrisswahn in unseren Städten? »Es steht die Zerstörung der Häuser und Städte bevor, um große Treffpunkte für die Automobile und Flugzeuge zu errichten.« Die Flussbegradigungen? Die Donau wird »bald mit 300 Kilometern pro Stunde in gerader Linie fließen«. Der Extremsport? »Wir wollen die Liebe zur Gefahr besingen.« Der Schlankheitswahn? »Der moderne Mensch muss einen flachen Leib haben, um unter der Sonne klare Gedanken zu haben.« Selbst die Experimente der heute umschwärmten Molekularküche haben die Futuristen antizipiert, als sie Kandierte atmosphärische Elektrizität oder eine Luftspeise zum Anfassen erfanden. Nur mit der geplanten Abschaffung der Nudel, die ihnen viel zu weich und unmännlich erschien für ihre stramme neue Zeit, waren sie am Ende doch nicht erfolgreich. Und noch eines hat sich nicht erfüllt: Der Mensch ist kein anderer geworden. Inständig hatten die Futuristen daran geglaubt, mit der Beschleunigung werde sich unser Wahrnehmungsapparat verändern, und das Leiden am unausgesetzten Wandel, an den Ambivalenzen der Moderne, würde sich in Lust verwandeln. ANZEIGE
Doch obwohl alles kam, wie sie es sich erhofften, obwohl ein Jahrhundert voller Gewalt, Krieg und Terror hinter uns liegt, technikselig und menschenverachtend, sind Angst und Gier noch immer die Alten. Eine Bilanz nach hundert Jahren Futurismus fällt daher höchst paradox aus: Die Avantgarde hat gesiegt, wir sind zu ihren Jüngern geworden. Und doch ist dieser Sieg nicht mal ein halber, denn vom Idealismus der Futuristen, von ihrer Hoffnung auf eine bessere Gesellschaft, ist nichts mehr übrig. Für die Künstler lag damals die Zukunft zum Greifen nah, heute hingegen blicken wir lieber versonnen zurück in die Vergangenheit. Noch die größten Experten wissen nicht zu sagen, was in sechs Monaten sein wird, geschweige denn in sechs Jahren. Zudem ist uns mit den
prognostischen Fähigkeiten auch das Zutrauen abhandengekommen – oder umgekehrt? Jedenfalls fehlt uns heute jeder Glaube daran, dass alles auch ganz anders sein könnte. Es fehlt die Utopie. Und so rasen wir in der Zeit dahin, ganz wie die Futuristen es wollten. Doch ist es eine Rasanz ohne Ziel und ohne Steuerung. Im Grunde zweifelt ja kaum jemand daran, dass wir einen radikalen Wandel brauchen, einen ökonomischen und ökologischen Neuanfang. Woher aber soll die Veränderung kommen, solange alle meinen, sie seien in den Zwängen der Notwendigkeit gefangen? Auch die meisten Künstler folgen selbstzufrieden ihren restfuturistischen Ritualen, politisieren ein wenig, skandalisieren mitunter, sind nach Kräften radikal. Und niemand kommt auf die Idee, sich zu einer großen Bewegung zu verbünden, niemand möchte den Burgfrieden der Spätmoderne stören, niemand sich auflehnen gegen die Alten, niemand Gerhard Richter oder Georg Baselitz den künstlerischen Tod wünschen. Es gibt keine Sezessionen, keine Rebellionen und erst recht keinen avantgardistischen Traum von einer anderen Gesellschaft. Gewiss haben die Künstler recht mit ihrer Enthaltsamkeit. Nach den totalitären Erfahrungen des 20. Jahrhunderts ist es klug, sich nicht schon wieder als Weltbeglücker aufzuspielen. Hans Magnus Enzensberger wusste es schon vor 50 Jahren: »Jede heutige Avantgarde ist Wiederholung, Betrug oder Selbstbetrug.« Und doch steht nirgends geschrieben, dass die Künstler für immer zukunftsblind um sich selbst kreisen müssen. Nirgends ist verfügt, die Avantgarde sei endgültig ausgestorben. Denn wo, wenn nicht im großartigen Freiheitsraum der Kunst, sollte der Mensch wieder lernen, sich ein anderes Morgen auszumalen? Und wer, wenn nicht die Künstler, könnte damit beginnen, die gesellschaftliche Zukunft aufzureißen? Die Zeit dafür ist selten günstig. Alle Stilkriege sind beigelegt, alle ästhetischen Scharmützel befriedet. Jetzt könnte sich die Kunst wieder frei fühlen. Nicht unbedingt, um erneut mit dem Leben zu verschmelzen. Nicht, um in futuristischer Manier Museen und Altstädte in Brand zu setzen. Frei aber, um neugierig in den Blick zu nehmen, was nicht ist, was aber sein könnte. Seid überschwänglich!, will man den Künstlern zurufen. Seid haltlos, seid abwegig, seid nicht länger die Kinder eurer Zeit! Schreibt Manifeste, an denen wir uns wieder entzünden! Und an die man sich staunend erinnert, selbst nach hundert Jahren noch. Die Avantgarde ist tot; es lebe die Avantgarde!
Die Kunstrevolutionäre Keine andere Programmschrift hat die Moderne des 20. Jahrhunderts tiefer beeinflusst als das Futuristische Manifest, vor hundert Jahren von Filippo Tommaso Marinetti veröffentlicht. Künstler wie Umberto Boccioni fühlten sich zu wilden Bewegungsstudien wie der hier gezeigten Skulptur angeregt, Schriftsteller wie James Joyce zu bahnbrechenden Romanen wie dem Ulysses. Doch der Futurismus wollte noch mehr: Er verstand sich als Avantgarde und
hatte sich vorgenommen, nicht nur die Kunst, sondern auch das gesellschaftliche Leben zu revolutionieren – und hat mit dieser Idee ganze Künstlergenerationen geprägt. Das lässt sich nun auch in mehreren Ausstellungen besichtigen: In Mailand zeigt zum Beispiel der Palazzo Reale Futurismo 1909–2009. In den römischen Scuderie del Quirinale ist Futurismo Avanguardia Avanguardie zu sehen.
Altbekannte Typen Tom Tykwers Thriller »The International« sucht nach Bildern für die Weltverschwörung
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as soll das eigentlich heißen, The International? Die Internationale? Wo das bekannte Lied zukunftsträchtige Versprechen und Forderungen anzubieten hat – Befreiung, Aufstehen, Signalehören –, geht es bei Tom Tykwers internationaler Verschwörung um eine maximal dystopische Internationalität. Früher, als internationale Unternehmungen langsam von der revolutionären zur kapitalistischen Seite zu rutschen begannen, erfand man zur Unterscheidung den Begriff »multinational«. Dem folgte die scheinbar absolute Ausweglosigkeit des Kapitalismus unter dem Namen »global«, aber selbst davon scheint The International noch eine Steigerung parat zu haben. In Luxemburg residiert eine Bank, die sich in einer gigantischen Verschwörung im Schüren von Konflikten engagiert. Zu ihren Kunden zählt jeder, sogenannte Befreiungsbewegungen und ihre Gegner, Hisbollah und die CIA. Ihr einziges Ziel ist es, die globale Destabilisierung und die in ihrer Folge, vor allem in der dritten Welt schwelenden Konflikte zu hegen und auszubeuten. Ja nicht einmal auszubeuten, kontrollieren will sie, einfach nur kontrollieren, weiß ein Politiker, der von derselben Bank später im Kennedy-Stil gekillt werden wird. Einfach nur kontrollieren – das klingt fast nach einer Dämonie, die sich zu einer eigenen Kunstform steigert, nach dem Bösen um der Bosheit willen. Und tatsächlich ist die Kunst auf dieser Reise durch die Metropolen des Westens selten weit.
Ich mag Filme, in denen ein Berliner sagt: Sowieso kommt um acht Uhr mit der Luxair aus Luxemburg an, und es gibt tatsächlich einen Flug dieser Gesellschaft, der morgens um acht in Tegel landet. So sucht Tykwer für die eher raunende Räuberpistole der ganz großen Verschwörung nach klaren Bilder aus dem konkreten Alltagsleben und dem CityMarketing. Er findet sie bei liebevollen Architekturstudien berühmter sogenannter signature buildings. Zur anderen Seite der Verschwörungstheorie wird nämlich der Versuch – und auf den verwendet dieser Film am meisten Mühe, und das nicht ohne Erfolg –, zeitgenössischer globaler Macht in der internationalen neueren Architektur des Westens ein Gesicht zuzuweisen. Vom neuen Berliner Hauptbahnhof bis zum brandneuen Banken-, Museen- und Opernhausviertel in Luxemburg führt die Handlung das zentrale Detektivpaar (Clive Owen und Naomi Watts) zu Gebäuden, die erst in den letzten Jahren fertig geworden sind. Sie wollen, aus modernistischer Tradition kommend, die aufklärerische Bauästhetik mal erweitern, mal zu spiegelnden Fetischfronten fixieren, immer aber eine Transparenz zur Schau tragen, die dialektischerweise gerade verhüllt und verbirgt, wie sich Macht strukturiert. Sie schwelgt lediglich narzisstisch in der Verselbstständigung schöner, leerer Struktur. Da diese Architekturkritik aber wiederum latent vertraut ist, kann man solche Gebäude auch direkt als Gestalt undurchschaubarer Macht casten, ohne sie, wie etwa in Luxemburg gut gelungen, zu analysieren. Damit wächst natürlich die Ge-
VON DIEDRICH DIEDERICHSEN
fahr, ein Vorurteil gegen die da oben und die dazugehörigen präpolitischen Verschwörungstheorien nur zu reproduzieren, statt zu zeigen, wie Macht sich gerade durch ihre Unsichtbarkeit in Spiegeln und Glasfassaden konfiguriert. Die Steigerung der architektonischen Ambivalenz und die geheime Währung, die Vertreter und Gegner des Bösen verbindet, ist die Bildende Kunst. Agenten sitzen grübelnd vor BöcklinGemälden in der Alten Nationalgalerie und sagen sich Melancholisches. Nebenbei fällt ein Mordauftrag ab. Die brillante endlose Schießerei im Guggenheim-Museum hat es schon drei Tage nach der Berlinale-Premiere zu legendärem Status gebracht. Eine – nur für den Film konzipierte – Ausstellung mit Bewegtbild-Installationen von Julian Rosefeldt macht das Geballer zwischen dem Interpol-Agenten und seinen über die aufsteigende Rampenspirale verteilten Gegnern buchstäblich undurchsichtig. Fast schon zu allegorisch stehen die neuen Bewegtbildformate der klassischen Kinoschießerei im Wege – um sie gerade dadurch zu intensivieren. Gespielt wird einmal mehr mit der Idee, dass die zynische Selbstzweckhaftigkeit zeitgenössischen globalen Kapitalismus selbst eine ästhetische Komponente hat. Dämonische Widerlinge waren im Weltverschwörungsgenre ja schon seit den alten Mabuses, erst recht bei den verschiedenen James-Bond-Antagonisten ausgesprochen kunstsinnig. Jetzt, wo die Dämonie systemisch geworden ist, ähnelt die Weltverschwörung selbst einer ästhetischen Operation. Es tut allerdings auch dieser Idee ganz gut, dass sie nur angespielt wird.
Agenten sitzen grübelnd vor Böcklin-Gemälden
Fotos (Ausschnitt): © 2007 Courtesy of Columbia Pictures Industries, Inc. (re.); Scala/bpk (li.)
Lustvolle Zerstörung
Wieder einmal muss ein unrasierter mittlerer Angestellter die Welt retten Die Schwäche von The International ist indes eher sein Personal, nicht die Darsteller, sondern die Tatsache, dass inmitten lauter forcierter Systemik altbekannte Personentypen und ihre Eigenheiten eine Rolle spielen sollen. Auch wenn Armin Müller-Stahls auf die Seite des Kapitalismus gewechselter Altkommunist zu Recht hier noch einmal die Niederlage des alten Gegenmodells zum Kapitalismus (und damit die Vorgeschichte der Story) repräsentiert, logischerweise als gebrochener Mann – die Ausführung als stets Tiefsinn spendender Schöngeist ist genauso anachronistisch wie die von Clive Owen gegebene männliche Hauptfigur. Wieder einmal muss ein beschädigter mittlerer Angestellter die Welt retten. Bartstoppeln, Blutund Schlägereispuren stehen ihm gut. Sonst stehen ihm alle im Weg: ahnungslose und korrupte Vorgesetzte in aller Welt, Wände, Häuser, Kugeln. Neu wäre, wenn einer paranoiden Zuspitzung kapitalistischer Verhältnisse einmal nicht der übliche Kandidat für die Paranoia mit seinem schöne-Verlierer-Sexappeal gegenüberstehen würde, sondern die zeitgemäße Version der Fahnder und Staatsanwälte alter FrancescoRosi-Filme, an deren Machtkritik man hier manchmal denken muss. Stattdessen wird deren Rolle dann leider nur mit einem zeitgemäßen James Bond besetzt. CLIVE OWEN, Held mit Verlierer-Sexappeal
i Unsere aktuelle Berichterstattung von den Filmfestspielen finden Sie unter www.zeit.de/berlinale
Effis erster Orgasmus Was Hermine Huntgeburth mit Fontanes Roman filmisch angestellt hat, ist ein Missverständnis VON ULRICH GREINER
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Die Berliner Philharmoniker trauern um ihren Kollegen
Jan Diesselhorst der am 5. Februar 2009 im Alter von 54 Jahren unerwartet verstorben ist. Jan Diesselhorst kam 1977 als Cellist zu den Berliner Philharmonikern und war von 2003 bis 2005 Mitglied des Fünferrats, bevor er 2005 zum Orchestervorstand sowie stellvertretenden Stiftungsvorstand der Berliner Philharmoniker gewählt wurde. Wir trauern um einen herausragenden Musiker und großartigen Menschen, der mit starkem Verantwortungsbewusstsein die Geschicke des Orchesters zu lenken wusste. Wir sind erschüttert und bestürzt über den plötzlichen Tod. Unsere Gedanken sind bei seiner Familie.
Pamela Rosenberg Als Intendantin der Stiftung Berliner Philharmoniker
Klaus Wowereit Als Vorsitzender des Stiftungsrats
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Sir Simon Rattle Als Künstlerischer Leiter
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Foto: Concorde Filmverleih, 2008
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s ist offenbar leider so, dass der Baron Instetten Oswalt Kolles Filme nicht gesehen hat, denn er nähert sich seiner Frau, dem unbekannten Wesen, das sich in der Hochzeitsnacht angstvoll unter der Bettdecke verschanzt, äußerst grob. Anstatt sie liebevoll an- und aufzuwärmen, macht er sich in einer Weise über sie her, die man nicht anders denn eine Vergewaltigung nennen kann. Effi schreit wie am Spieß, und Instetten grunzt wie ein Eber. Der Major Crampas hingegen weiß, wie man Frauen glücklich macht. Er verführt Effi mit Blicken und Gesten und Küssen, sodass sie sich willig entkleidet. Zwar ist der sandige Boden draußen an der pommerschen Ostseeküste nicht ganz so bequem wie das Ehebett, aber wo Leidenschaft ist, da fügt sich zusammen, was zusammengehört. Wir sehen Effi nackt ausgebreitet, sehen, wie der ebenfalls nackte Crampas ihre Brüste umschmeichelt und auch in tiefer gelegenen Regionen Lust entfacht, bis Effi am Ende wiederum schreit, diesmal vor Glück. Es ist durchaus so, dass man die Szene leicht begreifen könnte, aber für den Fall eines begriffsstutzigen Zuschauers fragt Crampas sinngemäß, ob dies Effis erster Orgasmus gewesen sei, was sie freudig bejaht und eine Wiederholung des Vorgangs anregen lässt. Alles, was Fontane in seinem Roman Effi Briest (1895) andeutet, spricht Hermine Huntgeburth in ihrer Verfilmung offen aus; alles, was er an Ambivalenzen sieht, ist hier von unüberbietbarer Eindeutigkeit; alles, was er in der Schwebe lässt, landet hier auf dem tristen Boden des Geschlechterdiskurses. Der alte Briest ist ein weinseliger Trottel; die Mutter Briest wahrhaft ein Biest, das die Tochter an den Mann ihrer eigenen lüsternen Träume verkuppelt; und Instetten ein Karrierist
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und Macho, der nichts anbrennen lässt, nicht einmal die Haushälterin. Bei Fontane stirbt Effi am gebrochenen Herzen, seine Geschichte endet tragisch. Zur Tragik gehört die Einsicht, dass der Mensch nicht nur ein unbekanntes Wesen ist, sondern auch ein sehr dunkles. In diesem gut ausgeleuchteten Film ist von Tragik keine Rede, worin man vielleicht einen Gewinn sehen kann, denn das Tragische ist Ausdruck einer alten Zeit, die vom Widerspruch zwischen Sittengesetz und Selbstverwirklichung geprägt war. Bei Hermine Huntgeburth findet Effi ihr Auskommen als Hilfskraft in einer Biblio-
JULIA JENTSCH als Effi und Sebastian Koch als Baron Instetten, hier an der Ostsee, wo das Unheil seinen Lauf nimmt
thek, und zum Entsetzen der Eltern zündet sie sich im Operncafé eine Zigarette an, zahlt ihr Gedeck selber und verlässt stolz das Etablissement. Eine Frau geht ihren Weg. Das Missverständnis, dem Kostümfilme leicht aufsitzen, besteht darin, dass sie den Blick unserer Gegenwart auf eine vergangene Zeit richten und so tun, als wäre sie uns ganz nah, als wären sich die Menschen immer gleich. Rainer Werner Fassbinders geniale Verfilmung von Effi Briest (1974, mit Hanna Schygulla in der Hauptrolle) machte
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von allem Anfang an klar, wie fern und fremd diese Geschichte für uns heute ist. Die Bilder waren schwarz-weiß, die Kamera hielt Distanz. Je länger wir aber zuschauten, umso mehr wurden wir ergriffen von diesem Schicksal, das uns am Ende wie unser eigenes erschien. Hermine Huntgeburths bunter Film macht die Gestalten derart zeitgenössisch und bringt sie uns derart nah, dass sie uns, je länger sich das hinschleppt, umso geheimnisloser und gleichgültiger erscheinen. Der Film tut so, als wären Instetten und Effi Menschen wie du und ich. Und das sind sie ja auch, denn in keiner Sekunde gibt es einen Zweifel daran, dass wir nicht die nackte Effi vor uns haben, sondern die nackte Julia Jentsch (deren schauspielerische Leistungen den Film retten könnten, wenn er denn zu retten wäre), und nicht den Baron Instetten, der sich vorm Vollzug die Schlafanzughose vom Hintern streift, sondern den Schauspieler Sebastian Koch. Alle diese Zeitgenossen unserer herrlich aufgeklärten Epoche bewegen sich in den herrlichsten Kulissen, und wir sehen, was alles mithilfe unseres Solidaritätsbeitrags im Osten restauriert worden ist. Dass die Allee Unter den Linden ohne Autos schöner ist und immer noch sehr prächtig, das zu sehen ist eine Freude. So gehen wir alles in allem getröstet aus dem Kino, denn die Zeiten, da der Mann so unumschränkt-brutal die Frau beherrschen durfte, sind glücklicherweise vorbei, und die schönen Fassaden dieser Zeit sind noch da, wenn auch leider zu wenige. Aber man kann nicht alles haben. Zugunsten dieses Films wäre immerhin zu sagen, dass er bedenkenlos am Samstagabend im Fernsehhauptprogramm gezeigt werden kann.
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TURNSCHUH-GENERATION auf Persisch: Golshifteh Farahani (links) und Taraneh Alidoustiy in »About Elly«
Festival der Heldinnen Die Berlinale zeigt starke Frauen, die ohne große Worte und Gesten ihr Ding machen
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anchmal gibt es auf Filmfestivals diesen Moment, in dem der Kopf des Vordermannes das halbe Bild und die Untertitel verdeckt und man ganz froh ist, statt auf die Leinwand ein wenig in sich hinein blicken zu dürfen. Dann wieder kommt der Moment, in dem die Augen ein Stückchen weiter aufgehen, Sehen und Erkennen eins werden und Entferntes zueinanderrückt. Zum Beispiel wenn zwei Bilder im Gedächtnis bleiben und sich nach einer Weile ineinanderblenden: Das eine stammt aus einem iranischen Film und zeigt eine Frau, die in einem Ferienhaus an einem Tisch sitzt, erschüttert von sich selbst und ihrem Verrat an einer anderen Frau. Das andere Bild, aus einem deutschen Film, zeigt eine junge Frau, die fassungslos in der Küche eines Ferienhauses steht, nachdem ihr betrunkener Freund sie in den Swimmingpool geworfen hat. Was hat Asghar Farhadis Film About Elly, dessen iranische Heldinnen mit Kopftuch in die Sommerfrische fahren, mit Maren Ades Alle anderen zu tun, dessen weibliche Hauptfigur die erste Dreiviertelstunde im Bikini durch den Ferienort läuft? Und was verbindet eine Familie der iranischen Mittelschicht mit einem jungen deutschen Paar aus der sogenannten Kreativbranche? In About Elly folgt Farhadi einer Freundesgruppe aus Teheran bei einem Ausflug ans kaspische Meer. Die Ferienvilla ist groß und heruntergekommen, die Atmosphäre heiter und auch ein bisschen erotisiert. Begleitet von einer behänden Kamera, isst, singt und spielt man gemeinsam. Nebenbei soll die ebenfalls eingeladene Kindergärtnerin Elly mit einem frisch geschiedenen Mann verkuppelt werden. Als die unverheiratete, aber offenbar verlobte junge Frau bei einem tragischen Vorfall spurlos verschwindet, fürchten die Ausflügler um ihr Ansehen. Aus Dialogen und erhitzten Diskussionen formiert sich eine gnadenlose Entledigungsstrategie: Eine Lüge soll Ellys Ruf zerstören, um den der anderen zu retten.
Die schwierigste Jury-Entscheidung: Wer ist die beste Hauptdarstellerin? About Elly zeigt eine iranische Turnschuh- und SUV-Generation selbstbewusster Mittdreißiger, die zwar demokratisch über das Abendessen diskutieren, angesichts des Unglücks aber in tradierte Verhaltensmuster und Moralvorstellungen zurückfallen. Die westlich anmutende Offenheit entblößt sich als von ihnen selbst nicht durchschaute Fassade. Währenddessen tobt draußen das Meer, wütend und immer lauter, als habe es sich mit der Verschwundenen verbündet. Auch in Maren Ades deutschem Wettbewerbsfilm Alle anderen wird ein Ferienaufenthalt zum Prüfstand der Selbstbilder und Lebensweisen. Auch in diesem Film schaut man den Figuren beim Sprechen und beim Streiten zu. Und auch hier entspinnt sich ein so feinfiebrig wie klug erzähltes Drama, dem man gebannt und immer wieder auch belustigt zuschaut. Birgit Minichmayr und Lars Eidinger spielen Gitti und Chris, ein Paar, das sich noch nicht ganz im Leben eingerichtet hat. Sie ist Pressefrau in der Musikbranche, er Architekt mit großen Visionen und kleinen Aufträgen. Sie ist dominant und ex-
trovertiert, er zurückhaltend und unsicher. Sie weiß um seine Stärken und Schwächen, er drückt sich um beides. Durch den Besuch eines erfolgreichen Freundespaares mit offenbar klassischer Rollenverteilung beginnen sich die Kräfteverhältnisse und Konstellationen zu verschieben. Plötzlich gibt Chris den Macker, der seine Freundin vor den anderen runterputzt und betrunken in den Pool wirft. Sie kauft sich ein Kleid, das ihr nicht steht, passt sich an – und verweigert sich wieder. Es beginnt ein großes Hin und Her, ein Kampf um Macht und Anerkennung, bei dem Träume und Ideale verhandelt und Illusionen zerstört werden. Über zwei Stunden hinweg und mit großartigen Schauspielern entfaltet Maren Ade dieses Drama der Liebe und der Geschlechterrollen. Am Ende, nach aufgepeitschten Diskussionen und Demütigungen, nach Küssen und Sex, Beschimpfungen und Zärtlichkeiten, steht ein Paar, das sich trennen oder neu erfinden muss. In Alle anderen wie in About Elly beobachtet die Kamera Menschen, die anders als die anderen sein wollen, sich aber dennoch genauso wie sie verhalten. Beide Filme führen nicht ihre Figuren vor, sondern die Muster, in die sie zurückfallen. Und gemeinsam zeigen sie, dass man hier wie dort keineswegs so frei und offen und selbstbestimmt ist, wie man zu sein glaubt. Private Dramen, in denen sich die globalen Erschütterungen spiegeln, Schaufenster der Wirtschaftskrisenfilme – was wurden dieser Berlinale im Vorfeld doch für Trends angedichtet! Die Festivalwirklichkeit hat die Mutmaßungen schnell über den Haufen geworfen. Ein Thriller, in dem ein böser Banker vorkommt, ist noch kein Kommentar zur Bankenkrise. Und wenn von 400 Filmen einer die Entstehung des Neoliberalismus dokumentiert, wird ein Festival noch nicht politisch. Eines aber lässt sich jetzt schon sagen: Die schwierigste Entscheidung der Jury unter Vorsitz von Tilda Swinton wird die über die beste Hauptdarstellerin sein. Kerry Fox zum Beispiel spielt in dem deutschen Wettbewerbsbeitrag Der Sturm (Regie: Hans-Christian Schmid) eine Juristin in Den Haag mit einer so überzeugenden Mischung aus Einsamkeit, Karrierewillen und Gerechtigkeitssinn, dass man ihr statt des Silbernen Bären fast lieber eine Beförderung zur Oberstaatsanwältin wünschen würde. Als Staatsanwältin Hannah Maynard versucht sie, am Internationalen Gerichtshof einen serbischen Kriegsverbrecher hinter Gitter zu bringen. Als sie die entscheidende Zeugin findet, zerfleddert die Anklage in einer sich verselbstständigenden Gerichtsbürokratie und den diplomatischen Rücksichten auf ein zukünftiges EULand. Der Sturm ist weder Thriller noch Gerichtsfilm. Er ist die Chronik einer Anklage, eine nüchterne Konfrontation von Moral und Rechtsbegriffen, ein Laufsteg für das schauspielerische Understatement von Kerry Fox. Schmid filmt sie an Unorten: In Hotelzimmern, nüchternen Büros, Behördenfluren, vor serbischen Plattenbauten, beim Ortstermin in abgerissenen serbischen Sträßchen. Ihr Businesskostüm wirkt wie eine hastig übergeworfene Uniform, ihre Entschlossenheit ist nicht die einer Heldin sondern eines Spürhunds. Am Ende muss sich Maynard entscheiden zwischen Recht und Gerechtigkeit.
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VON KATJA NICODEMUS
Aber auch diesen Augenblick spielt Fox so unheroisch, dass man ihn fast verpassen könnte. Eröffnen wir also einen kleinen Subtrend: die Berlinale, das Festival der Heldinnen, die ohne große Worte und Gesten ihre Sache durchziehen. Auch Alexandra Lamy macht in François Ozons Film Ricky wenig mehr als das Allernotwendigste, was umso schwerer ist in einem Film mit derart abgedrehter Handlung. Als alleinerziehende Fabrikarbeiterin Katie sieht man Lamy ein Leben im Rhythmus des Jobs führen. Katie verliebt sich in einen Kollegen und bekommt ein zweites Kind. Spuren deuten auf die Misshandlung des Kleinen. Diesen Sozialrealismus überhöht Ozon mit einer fantastischen Ebene. Dass Ricky dabei nicht auseinanderbricht, liegt an Alexandra Lamys Figur. Ruhigen Auges blickt sie auf alle Absurditäten und hält den abgehobenen Film am Boden. Vielleicht ist Ricky eine Wunschfantasie, in der sich Katie zur Engelsmutter stilisiert. Ein Traum seiner Heldin, durchgeknallt und schrill. Aber auch zutiefst traurig, weil wir nur ahnen können, was er verdeckt.
Der schönste Film der Berlinale ist auch der schrecklichste Man muss diese Filmheldinnen einfach bewundern. Gern würde man sie auch ein bisschen vor der Welt beschützen, wenn sie durch Kriegsverbrechen und Kinofantasien wandeln, ernst und eins mit sich selbst und ihrer Sache. Am unerschütterlichsten aber ist Katalin Varga. Wahrscheinlich weil sie schon alle Erschütterungen hinter sich hat. Katalin Varga von Peter Strickland ist der Monolith im Wettbewerb der Berlinale. Womöglich ist es der schönste Film des Festivals. Aber auch der Schrecklichste. Nicht nur wegen seiner Handlung: Eine Frau zieht aus, den Mann zu suchen, der sie vor zehn Jahren vergewaltigt hat. Ihr eigener Mann hat sie verstoßen, nachdem er erfuhr, dass er nicht der Vater ihres Sohnes ist. Im Pferdewagen und mit dem Jungen fährt Katalin (Hilda Péter) durch eine zeitlose osteuropäische Landschaft. Irgendwo hinter grünen Wiesen und sonnenüberfluteten Hügeln wird sie den Vergewaltiger finden. Aber wer ist diese Frau? Ein Racheengel? Eine Flüchtende? Eine mythische Gestalt? Manchmal hält der Film inne, und der Pferdewagen scheint zu schweben. Man möchte ihn für immer anhalten und Katalin Varga herausreißen aus dieser archaischen Geschichte von Schuld und Sühne. Tröstlich ist allein, dass sie mit einem Berlinale-Bären enden wird. a www.zeit.de/audio
IM KINO
Sehenswert Milk von Gus Van Sant. Frost/Nixon von Peter Morgan. Der seltsame Fall des Benjamin Button von David Fincher. Die Klasse von Laurent Cantet
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12. Februar 2009 DIE ZEIT Nr. 8
DIE PLATTE, DIE MEIN LEBEN VERÄNDERTE
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Foto [M]: Universal
Das Denkmal atmet Morrisseys neuestes Album ist kein Alterswerk – es rockt VON ARNO FRANK Für sein neuntes Soloalbum posiert MORRISSEY mit einem Kleinkind
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iderborstig winkt wieder die Haartolle vom Cover, sein Markenzeichen seit den Tagen der seligen Smiths. Die hohe Stirn wird würdevoll flankiert von den ergrauenden Schläfen eines demnächst dann doch 50-Jährigen. Unter dem herausfordernd gereckten Kinn spannt sich das obligatorische Fred-Perry-Hemd, lässig hängt ein Arm herab, der andere trägt nachlässig – einen Säugling. Ein komischer Heiliger, dieser Steven Patrick Morrissey. Mal brachte er ein Maschinengewehr in Anschlag, zuletzt eine Konzertgeige aus dem Hause Stradivari. Nun also posiert der Mann mit einem Kleinkind, dem zu allem Überfluss ein Schmetterling auf die Stirn tätowiert ist. Wobei diese eigentümliche Ikonografie nur verschleiert, was sein neuntes Soloalbum im Kern auszeichnet: Years Of Refusal rockt. An Morrissey selbst liegt das nicht einmal so sehr, er verkörpert auch hier wieder, was er immer darstellte: einen Crooner alter Schule ohne Scheu vor Melodie und Prätention. Allerdings schlackert ihm diesmal die Musik nicht luftig um die Stimme wie noch bei seinem fulminanten Comeback You Are The Quarry,
diesmal sitzt sie körpernah wie eines der engen Shirts, die er so gern trägt. Schon im ersten Titel spielt die Band wie besessen auf – muskulös schrammelnd, treibend perkussiv, dass es bisweilen die brüchige Empfindsamkeit des Helden zu dementieren scheint. Dessen sperrige Gesangssentenzen spreizen sich über scheinbar endlose Takte, bis sie endlich zum Punkt kommen: »It’s not your birthday anymore, did you really think we meant all those syrupy, sentimental things that we said yesterday?« Und das ist noch eine der maulfauleren Refrainzeilen. Morrissey wird in England eben nicht grundlos bigmouth genannt: Er ist ein Mann der großen Worte, ein Verwandter Oscar Wildes, der sich im Jahrhundert geirrt hat. Widerwillig nur federt er seine sarkastischen Beobachtungen mit den Stoßdämpfern des Wohlklangs ab, wenn er Oboen oder anderes Bläserwerk aufspielen lässt, hat das immer etwas Spöttisches. Die elegant dahingehauchte Moritat You Were Good In Your Time überrascht sogar mit zwei Minuten voll verfrem-
deter Walgesänge und Stimmen wie aus einem französischen Film. Seine Songtitel bestehen gern aus ganzen Sätzen, wie sie am Ende eines melancholischen Films gesprochen werden könnten: That’s How People Grow Up, One Day Good Bye Will Be Farewell. Und, nein, ein Song wie I’m Throwing My Arms Around Paris handelt nicht von Paris Hilton. Gestern Los Angeles, heute Rom, morgen Paris – der alternde Bohemien neigt dazu, seiner kapriziösen Welterfahrung immer neue Lokalitäten anzuverwandeln. Dass Morrissey dabei nicht in die Schnulzenfalle tappt, spricht für seine Integrität – und seinen künstlerischen Instinkt. »I’m doing very well«, schmettert er schon während der ersten Takte, und es stimmt: Dieses Album stürmt einfach nur vorwärts, getrieben von der ewigen Dreifaltigkeit aus Leben, Lieben und Sterben. Years Of Refusal ist kein Alterswerk: Das Denkmal atmet und lacht. Im Bedarfsfall stürzt es sich selbst vom Sockel. Morrissey: Years Of Refusal (Polydor/Universal)
»Als Kind Cello zu spielen ist furchtbar – es ist unmöglich, cool zu sein, wenn dein Instrument größer ist als du.« Der amerikanische Comedian Rob Paravonian weiß, wovon er spricht, und ich weiß es auch. Während nämlich die coolen Jungs E-Gitarre oder am besten gleich Fußball spielten, schleppte ich jahrelang unter ihren spöttischen bis mitleidigen Blicken mein Cello zum Schulorchester. »Wie eine verwundete Gazelle in der Serengeti«, beschreibt es Paravonian. Selbst Mitglieder der Berliner Philharmoniker berichten im Tourneefilm A Trip to Asia, zu Schulzeiten als exzentrische Einzelgänger gegolten zu haben. Mädchen, das war klar, lernte man auf diese Weise auch nicht kennen – und wenn, dann spielten sie Blockflöte und sahen auch so aus. Die Waffe zum Gegenschlag fiel mir 1996 in Form einer CD aus dem fernen Finnland in die Hände, betitelt Apocalyptica plays Metallica by four Cellos. Die Freunde Eicca Toppinen, Paavo Lötjönen, Max Lilja und Antero Manninen, so entnahm ich dem Booklet, hatten Cello an der renommierten Sibelius-Akademie zu Helsinki studiert, dann aber offenbar die Lust an Bach und Beethoven verloren. Sie verfielen auf die Idee, die Musik, die sie privat hörten, auf dem Cello nachzuspielen: Heavy Metal, speziell Songs der Band Metallica. Das Celloquartett Apocalyptica war geboren. Unter Cellisten erreichte dieses Debütalbum sofort Kultstatus. Jaulende Soli und rohe Metal-Riffs, mit brachialem Bogen auf historische Instrumente gehämmert, das hatte es noch nie gegeben. Cellorocker, was für eine Provokation! Ohne die Gesangstexte zogen sich die Strophe für Strophe nachgespiel-
Foto: Mercury
Cellorocker in der Dusche ten Songs zwar arg in die Länge, zugegeben, aber der Effekt war beeindruckend. Zumal Toppinen & Co fast vollständig auf Verstärker und Postproduktion verzichteten. Die Platte klingt, genau wie Nirvana einige Jahre zuvor, als sei sie nicht im Studio, sondern in der väterlichen Garage aufgenommen worden. Die cellistischen Fähigkeiten der vier Akademieabsolventen kamen so besonders gut zur Geltung. Im Gegensatz zum Grunge schien die instrumentaltechnische Qualität gewährleistet, und das war mir bei allem postpubertären Protestgeschrammel dann doch wichtig. Natürlich taten meine Cellofreunde und ich es unseren Helden nach. Wir liehen uns Metallica-Songbooks und schrieben die größten Hits – von Enter Sandman bis Nothing Else Matters – selbst für Cello um. Wobei wir, genau wie Apocalyptica, die Stücke meist von enach d-Moll transponierten: In dieser Tonart lässt es sich aufgrund der Saitenstimmung und der Obertonreihen des Cellos am lautesten spielen. Und Lautstärke war alles, was zählte. Zum bevorzugten Aufführungsort entwickelte sich der Duschraum des Schullandheims, dessen gekachelte Wände unsere dröhnenden Quinten voluminös verstärkten – und mit ihnen mein Cellistenego. Selbst Punks, MetalFreaks und andere schwarz gewandete harte Jungs mussten einsehen, dass Cello eben doch ein saucooles Instrument ist, das es mit E-Gitarre und Schlagzeug locker aufnehmen kann. Sicher lag es auch an dem unübersehbaren Apocalyptica-Aufkleber auf meinem Cellokasten, dass die früher belustigten Blicke bald respektvolleren wichen. CLEMENS MATUSCHEK Apocalyptica plays Metallica by four Cellos Mercury/Universal (1996)
KLASSIK
Hörbuch
DVD
Jazz
Zeitgeist und Eigensinn
Jack Arnold: Tarantula
Enrico Rava: New York Days
Wer kann, der kann. Das Folgende also bitte nicht mit Namedropping verwechseln: Adorno, Bachmann, Canetti sind keineswegs die aufgesteckten Wunderkerzen auf dieser Geburtstagstorte, sondern ihre Zutaten. Gebacken hat sie sich das Nachtstudio des Bayerischen Rundfunks zum 60-jährigen Jubiläum. Siebzehn glanzvolle Originalbeiträge hat das wöchentliche Radiofeuilleton aus seinem Archiv gezogen: Hannah Arendt spricht mit Carlo Schmidt über das Recht auf Revolution, Enzensberger verdammt die Avantgarde, Walser lobt die Tugend des Neides. Und Adorno gibt den Advocatus diaboli – als Verteidiger der amerikanischen culture! Gepflegt wird hier ein mal amüsantes, mal ernstes, stets wendiges Denken von zeitloser Eleganz. Hinter dem die Überzeugung steht, dass sich die Welt damit zwar nicht ändern, aber besser ertragen lasse. WILHELM TRAPP
Die B-Filme der fünfziger Jahre betreten wagemutig das Reich der nationalen Albträume. Sie verwandeln die Feindbilder des Kalten Krieges in pseudomythologische Geschöpfe. Tarantula ist die wohl schillerndste Ausgeburt der Angst vor Atomkrieg und kommunistischer Weltherrschaft. Das Insekt, das aus einem Labor flieht, ist größer als ein Einkaufszentrum und so behaart wie der Bolschewist in alten Schulbüchern. Doch Tarantula ist kein bloßes Monstrum politischer Propaganda. Sie legt Eier, ist triebhaft und deswegen auch – nun ja – sexy. Nur Herzen aus Stein bleiben ungerührt, wenn Düsenjäger das quiekende Spinnentier unter Napalmbeschuss nehmen. BIRGIT GLOMBITZA
Stimmungen, vertraut und doch ganz anders. Zurück in New York, spielt Enrico Rava mit vier Gefährten seiner Karriere und lässt seinen Trompetenton in abgrundtiefem Blau leuchten.
Quartino, 6 CDs, 429 Min., 36,95 €
Universal Pictures, Nostalgie-Edition, 77 Min.
Ja, ich sichere mir den Kulturführer der ZEIT und spare über € 40,–! Bitte liefern Sie mir den Kulturführer der ZEIT in 5 Bänden. Den Schmuckschuber und die Hörbuch-CD erhalte ich geschenkt. Ich zahle nur € 189,– statt € 230,– im Einzelkauf. Die Hörbuch-CD darf ich behalten, auch wenn ich von meinem 14-tägigen Rückgaberecht Gebrauch mache. Gleiche Konditionen gelten auch für die Schweiz und Luxemburg. Für Österreich: Sie zahlen für alle 5 Bände nur € 194,30. Ich bin Abonnent / -in der ZEIT und spare die Versandkosten. Ich bin nicht Abonnent / -in der ZEIT und zahle die Versandkosten von nur € 4,95.
Foto: Universal Pictures
ECM/Universal
Mahanthappa feat. Kadri Gopalnath & The Dakshina Ensemble: Kinsmen
Mahanthappa, der Jazz-Saxofonist mit indischen Vorfahren trifft auf Kadri Gopalnath, der das Saxofon für die klassische indische Musik erschlossen hat. Ein heißblütiger Austausch. Pi Recordings/AL!VE
fieldwork: door
Harter Stoff. Widerstreitende Einflüsse aus westöstlicher Musik, Jazz und Hip-Hop. Im melting pot der Improvisation entsteht eine mitreißend persönliche Musik. Pi Recordings/AL!VE
Wenn der Winter abwirtschaftet, gehen manchmal die Zimmertüren auf, und der Wind fliegt herein, als ob er den Frühjahrsputz allein erledigen wollte: jung, frisch und unverfroren. So wirkt Mozart, wie ihn sich der Mittdreißiger Jérémie Rhorer vorstellt, wenn er sich dessen Sinfonien 25, 26 und 29 als Dirigent buchstäblich mit Leib und Seele verschreibt. Mozart war, als er die erste der drei Sinfonien komponierte, gerade 17 Jahre alt. Die »kleine« g-Moll-Sinfonie, KV 183, ist seine erste in Moll und in seiner Lieblingstonart. Rhorer gibt das Allegro con brio wie eine fundierte Absichtserklärung Mozarts: Hoppla, jetzt komm ich! Nämlich beklemmend wüst, expressiv, mit auf die Spitze getriebenen dynamischen Licht- und Schattenwechseln und einem Furor, der Angst einjagen kann. Der Franzose hat die Sinfonien auf Originalinstrumenten in einer Luxusscheune im Limousin aufgenommen. Es kommt einem Wunder gleich, dass der Saal noch ein
Dach hat. Gleichwohl ist Rhorer kein purer Berserker, sehr wohl aber ein Vitalitätsapostel in der Nachfolge von Leonard Bernstein. Gelernt hat er bei klassischen Größen wie Sir Colin Davis und Lorin Maazel, später war er Assistent bei Mark Minkowski und William Christie. Wenn er im Menuett der Sinfonie Nr. 29 ganz unzweifelhaft Beethovensche Momente aufspürt, dann kommt das wahrscheinlich davon, dass es ihm nicht reicht, noch einmal den Hof der Alten Musik kräftig zu fegen. Er wagt sich ums Eck. Und die Welt der Musik dürfte ihm offenstehen. MIRKO WEBER W. A. Mozart: Symphonies 25, 26 & 29 Le Cercle de l’Harmonie; Ltg. Jérémie Rhorer (Virgin Classics)
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Hoppla, jetzt komm ich!
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FEUILLETON
12. Februar 2009 DIE ZEIT Nr. 8
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Klammerblues und Sprechchöre Herr Liefers, erklären Sie uns bitte, warum so viele Sie für einen Westdeutschen halten. JAN JOSEF LIEFERS: Das wüsst’ ich selber gern. Ich weiß nur, dass der Dialog immer so geht: Wie, du aus’m Osten? Merkt man ja gar nicht. Und ich: Woran soll man das denn merken? Eine Antwort darauf hat mir noch keiner gegeben. Vermutlich, weil keiner damit rausrücken will, wie er sich Leute aus dem Osten genau vorstellt. ZEIT: Sie haben die Klischees eben hinter sich gelassen. LIEFERS: Ich hab Chancen gehabt als junger Schauspieler. Gleich nachdem die Mauer weg war, bekam ich Einladungen von großen Theaterdirektoren aus dem Westen. Trotzdem macht jeder sich sein Bild. Meinen Kollegen Axel Prahl halten alle für einen Ossi. Als es damals losging mit dem Tatort, sagte meine Agentin: Hey, ihr werdet euch super verstehen, der Axel ist auch aus dem Osten. ZEIT: Was hat Sie bewogen, den Soundtrack meiner Kindheit auf die Bühne zu bringen, ein Programm mit Geschichten und Rocksongs aus der DDR? LIEFERS: Ursprünglich sollte das Programm nur ein Mal bei der RuhrTriennale gespielt werden, in der Reihe Century of Song. Da war der Zettel ganz schnell geschrieben mit den Hits, auf die sich alle einigen können: Stones, Beatles, Doors und so weiter, alles Supermucke. Als der Zettel dann vor mir lag, dachte ich: Stimmt doch gar nicht. Ich hab mich dabei ertappt, dass ich im Nachhinein den cooleren Musikgeschmack haben wollte. Die Wahrheit ist: Ich hatte als Kind keinen eigenen Musikgeschmack, das kam erst viele Jahre später. Da hab ich mir gesagt: Wenn ich schon ganz tief im Westen spiele, dann soll’s aber auch ganz tief aus dem Osten kommen. ZEIT: Herr Goosen, Sie stammen aus dem tiefsten Westen, dem Ruhrgebiet. Wie klingt so eine Erfahrung in Ihren Ohren? FRANK GOOSEN: Ziemlich vertraut. Dass man im Nachhinein gern einen cooleren Musikgeschmack gehabt hätte, dieses Problem war mir immer schon schmerzlich bewusst. Deshalb hören die Helden in meinen Büchern auch eher Simon & Garfunkel als, sagen wir, die Stones. Und weil ich mit komischen Mitteln arbeite, in meinen Kabarettprogrammen mehr noch als in den Romanen, kann ich die uncoole Musik, die ich früher zuhauf gehört habe, ironisieren. Ich bin für eine sehr schöne Frau mal durch eine intensive Chris-de-Burgh-Phase gegangen. ZEIT: Haben Sie auch Ostrock gehört? GOOSEN: Die bekanntesten Bands, Puhdys, City, Karat, sagten mir vom Namen her was, Karat natürlich, weil Peter Maffay die nachgesungen hat. Aber ich hatte immer Probleme mit deutschen Texten, und Ostrock ist ja nun ausschließlich auf Deutsch. ZEIT: In einem Ihrer Bücher steht der Satz: »Musik ist nicht dazu da, die Welt zu retten, Musik ist dazu da, dir das Leben zu retten.« Könnten Sie beide den unterschreiben? LIEFERS: Auf jeden Fall. Als ich die alten Ostplatten noch mal gehört hab, ist mir nicht nur klar geworden, dass ich einige Songs immer noch richtig gut fand, sondern dass sie sich an eher düstere Situationen in meinem Leben geheftet haben. GOOSEN: Der Satz stammt ursprünglich von dem britischen Autor Tony Parsons, ich hab ihn einem meiner Bücher als Motto vorangestellt. Für mich drückt er die eigentliche Aufgabe von Pop aus, und die besteht nicht darin, politisch zu sein: Wenn Bono ausschließlich gegen den Hunger in der Welt ansingen würde, wäre er unerträglich. Pop ist, wenn mir Bruce Springsteen dabei hilft, meinen nächsten Liebeskummer zu überstehen. LIEFERS: Genau. Aber ich möchte noch zu dem Englischen was sagen: Natürlich wollten wir das auch. Die Kirschen in Nachbars Garten gefielen mir auch besser, von Bruce Springsteen bis hin zu den Beatles. Und obwohl unsere Bands sich viel Mühe gaben, hätte ich immer behauptet, der DDR-Rock wäre ein abgeschlossenes Kapitel für mich. Erst als
ich mir die Sachen noch mal besorgt hab, ging mir auf, wie tief sie mich geprägt haben. Ich war selber überrascht, dass ich die Texte alle noch auswendig konnte. Die ersten Akkorde kamen. Und auf einmal war alles wieder da. ZEIT: Was interessiert heute noch am DDR-Rock? Die Puhdys gibt es nach wie vor, und zum zwanzigsten Jahrestag des Mauerfalls werden im Fernsehen die alten Bilder recycelt. LIEFERS: Die Bilder täuschen. Wie neulich bei der Eröffnung der Olympischen Spiele: Jetzt denken viele, so sieht’s aus in China. Das Bild, das die DDR von sich nach außen getragen hat, war ja hochideologisiert. Ich wette, viele denken bis heute, wir sind alle mit Blauhemden aufmarschiert und haben dreimal am Tag Kampflieder gesungen. Wissen diese Leute auch, dass es Bands gab, die verboten waren, weil sie sich keinen Maulkorb haben anlegen lassen? Oder dass es mal einen Beat-Aufstand gab in Leipzig, lange vor den ersten Montagsdemos? Aber ich bin kein Historiker, ich erzähl zu den Liedern, die mir was bedeuten, meine persönliche Geschichte. ZEIT: Geben Sie uns ein Beispiel. LIEFERS: Engtanzen! Aber wie willst du engtanzen, wenn du nicht ’ne Schnulzenkapelle hast, die Muschepupuh für dich macht? Bei uns waren das die Roten Gitarren mit Anna Maria. Die Nummer ist echt an der Grenze zum Peinlichen, aber damit ging’s los, so mit zwölf, dreizehn: Licht aus und ran an den Speck. GOOSEN: Bei uns hieß das »Klammerblues«, und es ging in erster Linie darum, wie lang das Stück war. LIEFERS: Was habt ihr dazu genommen? A Whiter Shade of Pale? Hiroshima? GOOSEN: Meinen schärfsten Klammerblues hatte ich zu Joey von Bob Dylan – einfach weil das Stück elf, zwölf Minuten dauert. Das hab ich gezielt auflegen lassen damals auf Partys. Joey hieß zwölf Minuten Fummelzeit. ZEIT: Meine Lieblingsostrockzeile: »Geh zu ihr und lass deinen Drachen steigen …« LIEFERS: »… geh zu ihr, denn du lebst ja nicht vom Brot allein.« Ist doch ein schönes Bild! Schön finde ich auch immer noch Am Abend mancher Tage von Lift. Den Song hab ich gehört, als klar war, dass ich kein Abitur machen würde. Die einzige Möglichkeit, so ’ne typisch linke DDR-Nummer, wär noch gewesen, mich freiwillig für drei Jahre bei der NVA zu verpflichten. Aus der Zeit ist mir die Zeile »Am Abend mancher Tage, da stimmt die Welt nicht mehr« hängen geblieben. Ich hab gedacht, das Lied handelt nur von mir. Später hab ich erfahren, dass es geschrieben wurde, weil die Band zwei Mitglieder verloren hat, bei einem Autounfall. ZEIT: Versuchen wir mal einen Systemvergleich. Was ist der Hauptunterschied zwischen Ost- und Westrock? Druck durch die Zensur? LIEFERS: Vermutlich stimmt es, dass glückliche Menschen nicht so viel Lyrik produzieren wie wir damals in der DDR. Ostrock hat viel mit Sehnsucht zu tun, mit der Sehnsucht nach etwas, das man vielleicht verloren hat oder das man nie kriegen wird. Und die Zensur hatte maßgeblichen Anteil daran: Die Handvoll Bands, die was auf sich hielten, mussten ihre Botschaften ja an der Zensur vorbei ins Ohr des Zuhörers schmuggeln. Daraus ergab sich eine ganz eigenartige Poetik, die heute, wenn man sie distanziert liest, fast nervt. Wo man sich sagt: Och Mensch, warum jetzt noch’n Bild und noch’n Bild? GOOSEN: Ich glaube, das ist der Grund, warum der Ostrock uns im Westen doch nichts gesagt hat. Immer diese schwer metaphorischen Texte! Einem wie mir, der in der Pubertät Bukowski gelesen hat, konntest du mit Eichendorff nicht mehr kommen. LIEFERS: Das war aber notwendig, um Komplizenschaft herzustellen. Da oben steht der Rockstar, da unten stehst du. Text und Musik sind der Weg in dein Herz, wenn’s nicht klappt, hast du ein Scheißkonzert gehört. Manche haben sogar eine Extraprovokation reingeschrieben in ihre Texte, damit die Kontrollorgane was zu streichen hatten, aber
Mutlos links
Auf die akute Frage, was heute links sein könnte, antwortet man am einfachsten, indem man erklärt, wo früher schon links war. Gesellschaftskritik von links hieß während ihrer Glanzzeit: in nichts nachgeben, was die Gerechtigkeit betrifft, und auf nichts verzichten, was die Freiheit angeht. Damals in der Weltbühne gehörte Mut dazu, sich dem Deutschlandlob zu verweigern und den geharnischten Patrioten zum Trotz mitten im Ersten Weltkrieg von einer »Krise des national verbrämten Kapitalismus« zu sprechen. Es war gefährlich, während der Novemberrevolution die Revolution zu kritisieren oder in den frühen Dreißigern den landläufigen Revanchismus zu attackieren durch Sätze wie »Soldaten sind Mörder«. Links sein hieß für die Wochenblattschreiber Tucholsky, Ossietzky, Kästner, ihre Meinung ohne Rücksicht auf eine Mehrheitsmeinung kundzutun. Der Wochenzeitungserneuerer Jakob Augstein hingegen, der soeben den linken Freitag renoviert hat, sagte auf die entscheidende Frage, was er unter links verstehe: Er wolle nicht bei der Linkspartei landen. Eine Formel wie aus dem Bundestagswahlkampf – zumal Augstein
DIE ZEIT:
Das Wochenblatt »Freitag« heißt jetzt »der Freitag« und erscheint in neuem Gewand VON EVELYN FINGER
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DIE ZEIT
Foto: Julian Röder/ Ostkreuz für DIE ZEIT; www.julianroeder.com
Der Schauspieler Jan Josef Liefers liebt das Poetische am Ostrock, der Kabarettist Frank Goosen schwört auf die Bands der Nachwendezeit. Ein deutsches Gespräch über den Sound zweier Kindheiten
Ossi trifft Wessi zwanzig Jahre nach der Wende Der eine ist Schauspieler, singt aber auch, der andere ist Romanautor, tourt aber zugleich mit Kabarettprogrammen durch die Republik. Beide Künstler verbindet die Liebe zur Rockmusik. Für uns haben sie sich an den Sound ihrer Kindheit in Ost und West erinnert. Jan Josef Liefers, 1964 in Dresden geboren, war zuletzt im »Baader Meinhof Komplex« zu
sehen. Seine bekannteste Rolle ist die des Gerichtspathologen Karl-Friedrich Boerne aus dem Münsteraner »Tatort«. Jan Josef Liefers lebt mit seiner Frau, der Schauspielerin und Sängerin Anna Loos, in Berlin. Frank Goosen, Jahrgang 66, ist ein Sohn des Ruhrgebiets. Sein Romandebüt »Liegen lernen«, in dem er eine westdeutsche Jugend
zwischen Schallplattenspieler und Atomrüstung beschreibt, ist 2003 verfilmt worden. In den frühen Neunzigern wurde er als Teil des Duos Tresenlesen bekannt, inzwischen tritt er mit Soloprogrammen auf. 2008 erschien von ihm »Weil Samstag ist«, ein Band mit Fußballgeschichten. Frank Goosen lebt mit seiner Familie in Bochum.
was durchkam, wusste man nie. Es war wie in der Lotterie. Wenn du paarmal durchgekommen bist, denkst du natürlich: Die können mir nüscht. Ich muss sagen, dass ich das total unterschätzt habe. ZEIT: Herr Goosen, in Ihren Romanen fühlen die Helden sich schon im Widerstand, wenn sie WernerComics auswendig lernen und dazu furzen. War Rock im Westen pseudorebellisch? GOOSEN: Im Vergleich schon. Aber während Terroristenjagd und Nachrüstungsdebatte herrschte auch bei uns ein massiv konservatives Klima. Wir hatten an unserer Schule noch richtig autoritäre Lehrer, Lateinlehrer vor allem, die zu Anfang ihrer Karriere Schüler auf dem Schulhof exerzieren ließen, wenn die ihre Vokabeln nicht konnten. Ich erinnere mich, dass eine Schülersprecherin als kommunistisches Flintenweib beschimpft wurde. LIEFERS: So unterschiedlich war das Lebensgefühl gar nicht. Die Vorzeichen waren andere und die Sehnsüchte vielleicht, aber diese geronnene Zeit! Dieser Konformismus! Der tief sitzende Wunsch, genauso zu sein wie die andern! Und dann die Ersten, die das aufknackten, mit Rockmusik und etwas längeren Haaren … Was für eine Provokation das war für die Rechtschaffenen! Das ist schon interessant zu sehen, was für ein Zündstoff da drinsteckte, in beiden Teilen Deutschlands. GOOSEN: Zu meiner Zeit war das aber irgendwie schon durch. Mit langen Haaren hatte sich mein Opa abgefunden. Um zu schocken, musste es dann schon ein bisschen schwul werden, Boy George oder Frankie goes to Hollywood. Politisch rieben wir uns am Nato-Doppelbeschluss, aber auf die Demos gingen viele wegen der Mädchen. Das lief alles zusammen in BAP: Do kannz zaubre und Zehnter Juni, wo es heißt: »Plant uns bloß nit bei
üch in!« Der Unterschied: Wir wurden nicht verhaftet dafür. LIEFERS: Stimmt. Aber wenn du mit allem, was du tust, den Staat auf den Plan rufst, fühlst du dich auch tierisch ernst genommen. Als Schauspielstudent war ich mal an einer Büchner-Inszenierung beteiligt, die Lenz-Novelle als Zweipersonenstück. Wir also zu zweit in einem engen, klaustrophobischen Raum, alles in Weiß … Wahrscheinlich war es kunstgepunzt, aber authentisch, die Vorstellungen waren immer voll. Nach dem vierten, fünften Mal kam dann so ’ne Limo vorgefahren. Und hinterher saß der stellvertretende Kulturminister bei uns in der kleinen Butze von Garderobe und wollte wissen, warum zwei junge Menschen so ’ne depressive Nummer fahren. Wir dachten natürlich: Korrekt! Der staatliche Gegenwind machte uns wichtig. ZEIT: Der Soundtrack Ihrer Kindheit ging vor 20 Jahren mit dem Mauerfall zu Ende. Welchen Sound hat die Zeit danach für Sie? LIEFERS: Eine Kakofonie aus vollmundigen Versprechungen und fehlendem Interesse. Es wurde nicht viel gekuschelt zwischen Ost und West. Ich hab noch die Sprechchöre im Ohr: Helmut Kohl! Hol uns hier raus! Auf der anderen Seite: Die meisten West-Politiker, die den Osten bereisten und ihm huldvoll zuwinkten, hatten einen Stock im Arsch. GOOSEN: In der Musik gibt es mittlerweile Bands – von Silbermond bis hin zu Wir sind Helden –, bei denen es zweitrangig ist, woher die kommen, keinen Zwanzigjährigen von heute interessiert das noch. Was den Soundtrack direkt nach der Wende anbelangt, ist es in der Politik ähnlich wie in der Musik. Erstens: Man hatte keine Ahnung, wie die drüben sind, wusste aber immer ganz genau, was sie wollen, also DSL-Leitungen rein und ordentliche
Straßen, das war’s dann. Zweitens: Man ist viel zu lange davon ausgegangen, dass es keine Unterschiede gibt. Dabei sind 40 Jahre eine lange Zeit. LIEFERS: Lustig ist, dass in immer mehr Talkshows Leute den Osten erklären, die ihn auch nur aus Filmen oder Büchern kennen. In dieser Dramaturgie sieht es immer aus, als hätte es im Osten nur so was wie Täter und Opfer gegeben, und wenn einer nicht das eine war, muss er wohl das andere gewesen sein. Das ist Quatsch und gibt’s nur im Film. Deshalb erzähl ich meine Geschichten zu den Liedern. Als kleine Gehhilfe. ZEIT: Kann man sagen, dass Sie mit Ihrer Arbeit eine Mission verfolgen? GOOSEN: Ich denke, dass für die Identitätsvermittlung mittlerweile wir zuständig sind, die nachgewachsene Generation. Bei uns im Ruhrgebiet gab’s Leute, die noch richtig geschuftet haben, auf ’m Pütt oder im Stahlwerk, die hatten einfach keine Zeit für so was. Jetzt sind wir dran, die, von denen ich immer ganz offen sag, dass sie nie richtig haben arbeiten müssen. Uns muss klar sein, dass Identität, in jeder Gegend Deutschlands, bei aller Zukunftsorientierung auf der Vergangenheit fußt. LIEFERS: Mission ist so ein großes Wort. Mir reicht es, wenn die Leute sich mein Programm anhören und sagen: Gar kein schlechtes Ding, auch heute noch! Und hinterher merken: Wir im Osten waren zwar anders, aber so anders auch wieder nicht. Haben hüben wie drüben alle einfach auch nur so’n Leben gehabt, so gut es ging.
verschwieg, warum die Partei über ihre totalitäre Vorgeschichte hinaus indiskutabel ist und welche ihrer Positionen etwa demokratiefeindlich sind. Das wäre interessant gewesen. Doch der Verleger versteckte sich am Ersterscheinungstag seines neuen Blattes hinterm gängigen Ressentiment – ausgerechnet in einem programmatischen Interview mit der Berliner Zeitung, unter deren Lesern nicht wenige Linksparteiwähler sein dürften. Noch kleinmütiger wirkte nur seine Begründung, warum der Freitag linksliberal bleiben müsse: weil sich da eine publizistische Nische auftue, nachdem der Spiegel, die ZEIT, die Süddeutsche die Lücke nicht mehr füllten. Mag sein. Aber was, wenn sie sich woanders aufgetan hätte? Wäre man dann vielleicht mitte-rechts? Nichts läge näher für echte Linksliberale, als in der jetzigen Krise eine kapitalismuskritische, aber radikaldemokratische Haltung im Stil der Weltbühne zu verteidigen. Nichts scheint dringender nötig, als das ewige Schönreden im Namen der angeblich besten aller möglichen Marktwirtschaften zu beenden. Wir Negativen hieß 1919 ein Artikel Tucholskys, in dem
er sich gegen den Vorwurf des Defätismus verteidigte und sein Bürgerrecht auf Kritik einklagte. Aus solcher gedanklichen, vielleicht auch moralischen Schärfe des Kritisierens heraus könnten heute ein paar der berühmten Alternativen entstehen – Gegenentwürfe zu einer Gesellschaft, die ihre Wirtschaftsbosse erst zu tadeln wagt, wenn sie pleite sind, die Massenarbeitslosigkeit hartnäckig kleinredet und sich das Ausmaß der Misere erst eingesteht, wenn diese kaum mehr zu beheben ist. Warum formuliert Augstein seine journalistische Mission nicht aus der prekären Wirklichkeit heraus? Weil eine Nische auch bloß eine Marktlücke und ein Verleger bloß ein Unternehmer ist? Weil Leser Kunden sind, die man durch allzu undiplomatischen Journalismus nicht verschrecken darf? Der neue Freitag, der leider recht unelegant und sehr nach Guardian aussieht, wird zwar von einem neuen Chefredakteur (Philip Grassmann), aber ansonsten von der guten alten Mannschaft gemacht. Da bleibt es nicht aus, dass manche Artikel tucholskyscher sind als des Verlegers Absichtserklärungen – provokanter auch als das meiste, was in anderen Blättern
beispielsweise über eine Enteignung der Hypo-RealEstate-Aktionäre geschrieben wird. »Enteignen? Lachhaft! Die HRE ist wertlos«, heißt es im Leitartikel. So kurz und präzise kann man die Verstaatlichungsdebatte auf den Punkt bringen. Schade, dass der aktuelle Freitag sich beim Titelthema »Internetjournalismus« wiederum blind stellt und community building mit Demokratie verwechselt, ohne die neuesten Möglichkeiten einer propagandistischen Manipulation der Massen auch nur anzudeuten. Da sollten aufgeklärte Linke eigentlich sensibel sein. Doch das Traurigste am Freitag ist, wie leichthin Augstein dessen Beinamen »Ost-West-Wochenzeitung« abgeschafft hat. Während Medienhistoriker zwanzig Jahre nach der Wende die Abwesenheit Ostdeutschlands in den überregionalen Zeitungen Westdeutschlands beklagen, während das journalistische Desinteresse an der Umbruchzone wächst und das Nichtwahrhabenwollen der Wiedervereinigungsprobleme sich verfestigt, erklärt ausgerechnet der Freitag das Problem für erledigt. Da war wirklich eine Lücke, die man weiterhin hätte besetzen können.
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DAS GESPRÄCH FÜHRTE THOMAS GROSS
»Soundtrack meiner Kindheit«: 12. 2. Darmstadt, 13. Hamburg, 14. Mülheim, 16. Hannover, 17. Berlin, 18. Bremen, 20. Dresden, 21. Marburg, 22. München, 23. Stuttgart
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12. Februar 2009 DIE ZEIT Nr. 8
Die Reaktionäre kehren zurück S Das Ende der Neuzeit: Warum Papst Benedikt XVI. dem katholischen Antimodernismus wieder die Tore öffnet VON THOMAS ASSHEUER
Abb.: akg-images
ollten die Atheisten Benedikt XVI. dankbar sein? Ja, sie sollten es, schrieb der englische Historiker Timothy Garton Ash nach der Papstwahl. Der Pontifex werde die Entchristianisierung Europas vorantreiben, auch wenn er das Gegenteil beabsichtige. Am Ende würde das katholische Oberhaupt machtloser und seine Kirchen leerer sein als je zuvor. (SZ vom 22. 4. 2005) Mag sein, dass diese Worte prophetisch waren. Mit dem Gnadenakt gegenüber den Lefebvristen hat der Papst die kurze Renaissance des Katholizismus beendet und die alten antirömischen Affekte wieder auf den Plan gerufen. Doch woher rührt die stoische Konsequenz dieser Politik? Betreibt der Papst catholic branding, um seine Glaubensgemeinschaft auf dem Weltmarkt der Religionen liturgisch unverwechselbar zu machen? Oder geht es ihm nur um die eherne Schönheit der lateinischen Messe, also darum, die »Häresie der Formlosigkeit« (Martin Mosebach) rückgängig zu machen, die angeblich mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil Einzug in die Kirche hielt? Das mögen Motive sein, Gründe sind es nicht. Wer nach Gründen sucht, sollte sie im Denken des Papstes suchen, genauer: in seiner Kritik an der modernen Gesellschaft und in seiner Auslegung der Bibel. Sie kreist um drei Fragen, und wer sie beantwortet, der bekommt eine Ahnung davon, warum der Antimodernismus im Vatikan wieder eine Zukunft haben soll. Die Fragen lauten: Für wen starb Jesus am Kreuz? Warum ist die Neuzeit gefährlich? Wen repräsentiert die Kirche? Der Student Joseph Ratzinger hat über Augustinus promoviert und sich über Bonaventura, den »Fürsten der Mystik«, habilitiert. Mit kühler Leidenschaft verfolgte er vor allem einen Gedanken, nämlich die Versöhnung des biblischen Monotheismus mit dem Denken der Antike, der Philosophie von Platon und Aristoteles. Schon damals schien ihm die umstürzlerische Radikalität des Monotheismus nicht recht geheuer zu sein – jene Revolution des Geistes, mit der Juden und frühes Christentum den unglaubwürdig gewordenen Götterhimmel der Antike zum Einsturz brachten. Tatsächlich ist seit Moses und Jesus die Be-
EL GRECO : »Großinquisitor de Guevara«, 1596
hauptung, Leid und Opfer gehörten zum Wesen der Geschichte, das, was sie immer war – ein Mythos. Für die Versöhnung von Antike und Christentum, so beklagen nun seine Kritiker, zahlte Ratzinger einen hohen Preis. Für ihn sei die gesamte Schöpfung von Schuld und Leid »durchkreuzt«, und er unterscheide nicht mehr zwischen existenziellem Unglück und politischem Unrecht, zwischen dem Leiden an Krankheit und Tod und dem Leiden an Ausbeutung und Unterdrückung. »Hellenisierung des Christentums« heißt der Vorwurf, und daran scheiden sich bis heute die Geister. In dem Maße, wie Ratzinger seine Kreuzestheologie in die griechische Metaphysik einbette, desto mehr spalte er das jüdische Erbe ab – den Protest gegen Unrecht und Unterdrückung ebenso wie die Verheißung irdischer Gerechtigkeit. Kurzum, Ratzinger schließe vorschnell Frieden mit der Welt und entschärfe die Theodizeefrage, also Hiobs verzweifelte Klage über einen Gott, der seine Geschöpfe leiden lässt. Oder wie sein Tübinger Kritiker Hermann Häring ihm vorhielt: Ratzinger verdränge die Frage nach der gerechten Gesellschaft und vertröste die Menschen mit einer »überzeitlichen Jenseitshoffnung«. Dennoch wäre es nicht gerecht, dem Papst eine besinnungslose Leidensmetaphysik zu unterstellen oder gar eine Heroisierung des Opfers im Sinne von Mel Gibsons Passion Christi. Sosehr ihn die finstere Bildpolitik der Gegenreformation faszinieren mag – der höhere Sinn des Daseins besteht für Benedikt nicht im Leiden, sondern in der »Liebe«, mit der Gott dem Menschen immer schon zuvorgekommen ist. Aber die Idee gesellschaftlicher Gerechtigkeit bleibt dem Papst erschreckend fremd; seine Theologie ist individualethisch und im Wesentlichen auf den Einzelnen bezogen. Wer die Rede auf die Gesellschaft bringt, gerät sofort in Verdacht, ein »Neuzeitlicher« oder noch schlimmer: ein »Liberaler« zu sein. Woraus sich der intellektuelle Affekt gegen »Neuzeit« und »Aufklärung« speist, ist nicht schwer zu sagen: Schon in den Augen des Studenten Ratzinger zerstört sie den Geist des Abendlandes, die glückliche Symbiose von griechischem Denken und Theologie.
Mit der Aufklärung werden die Philosophen keck und frech, sie wollen nicht länger, wie von Bonaventura verordnet, vor der Theologie zu Kreuze kriechen. Der Gottseibeiuns ist für Ratzinger natürlich Immanuel Kant, denn seine Schriften machen säkulare Geister glauben, Gott schwimme »unbewiesen in seinem Blut« (Heinrich Heine). Mit der Französischen Revolution wird Kants Wort zur Tat, danach stürmen »Selbsterlöser« in Scharen die Weltbühne. Mit den Achtundsechzigern kehrt für Ratzinger der Ungeist der Revolution zurück, und auch Befreiungstheologen sind für ihn kaum anderes als marxistische Missionare im Priestergewand. Ratzinger damals: »Ich habe das grausame Antlitz dieser atheistischen Frömmigkeit unverhüllt gesehen.« Kaum ein Wort besitzt bei Ratzinger einen so dunkel-metallischen Klang wie »Liberalismus« und »Freiheit«. Für ihn sind es die beiden Sprengsätze, die die abendländische Einheit aus griechischer Vernunft und christlicher Botschaft zerstört haben. Der Mensch sagt »Freiheit«, spielt Gott und will den Himmel auf Erden. Er vergisst, dass die Schöpfung »im Grunde« vernünftig ist und Christi Selbstopfer allem Leiden an der Welt längst einen Sinn verliehen hat. Gewiss, es gab auch Phasen der Mäßigung. Vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil und in den Jahren vor der Papstwahl verleiht Ratzinger seiner Liberalismuskritik freundlichere Töne. Doch inzwischen hat sich die Zeitdiagnose wieder verdüstert; die Moderne scheint für Benedikt XVI. ein verlorenes Projekt zu sein, gleichsam au fond perdu, ohne jede eschatologische Rückendeckung, bevölkert von Selbsterlösern, Relativisten, Abtreibungsfreunden und Menschenzüchtern. Den Schauder angesichts der Genforschung kann man gut verstehen, aber manchmal klingt es so, als kämpfe der Papst noch immer gegen die Götter des Marxismus, was in Zeiten, in denen der Kapitalismus mit Tonnen von Steuergeldern am Leben gehalten wird, doch recht possierlich wirkt. Und was hat der Antimodernismus mit der PiusBruderschaft zu tun? Ganz einfach. Heute, in der Dämmerung der Neuzeit, müssen die kirchlichen Reihen fest geschlossen werden, und zwar zum kalten Norden hin, zum verachteten Liberalismus. Dafür
leisten die Reaktionäre der Pius-Bruderschaft dem Papst einen wertvollen Dienst, denn auch sie sind Gegner der Moderne, wenngleich weitaus radikaler als der Pontifex selbst. Aber sie sind, darin steckt die ganze Ungeheuerlichkeit, zugleich eingefleischte Antijudaisten. Sie bürden nicht nur den Juden die Schuld am Tod Jesu auf; wie im katholischen Antisemitismus des 19. Jahrhunderts sind für sie die Juden an allem schuld – am Kapitalismus, an der Demokratie, an Gleichheit und Freiheit. Kein Zufall, dass Marcel Lefebvre sich dem französischen Rechtsextremisten Jean-Marie Le Pen nahe fühlte. Dass Papst Benedikt im Kampf gegen den Liberalismus die Judenfeinde aus der Pius-Bruderschaft hoffähig macht, darin steckt der vielfach benannte politische und der – noch unbegriffene – theologische Skandal. Denn nun scheint es klar, wen die römische Kirche repräsentiert. Sie repräsentiert nicht den leidenden, der Welt zugewandten Erlöser, sondern den siegreichen Christus einer platonischen Theologie, die nur die eine, triumphierende Wahrheit verkündet: Mögen die Verhältnisse auch noch so teuflisch sein, am Ende obsiegt das zeitlose Heil der Kirche über die heillose Zeit der Moderne. Bei diesem Rückzug in die Cathedra Petri ist die Tragik einer durchhellenisierten, das jüdische Erbe nur rhetorisch beschwörenden Religion mit Händen zu greifen. Sie halbiert das Christentum auf eine spirituelle Kultreligion und findet in der meditativen Selbstauflösung des Glaubens ihr Genügen. Wenn nicht alles täuscht, dann hat der liberale Mainstream ohne einen Gran geistiger Selbstbeanspruchung einen schönen Sieg davongetragen. Triumphieren dürfen auch die esoterisch verschmusten Bastelreligionen, denen die moralischen Unbedingtheitsansprüche des Evangeliums schon immer ein Dorn im Augen waren. Es ist wahr, Benedikts Interregnum als Welt-Intellektueller, als Stimme der Hoffnung in einer von Religions- und Kulturkämpfen zerfurchten Weltgesellschaft, ist Geschichte. Die messianischen Energien der Moderne, die für einen historischen Augenblick ironischerweise in Rom Asyl fanden, sind an Barack Obama übergangen, denn schließlich gibt es noch ein Leben vor dem Tod.
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HAUS & GARTEN Endlich ist es soweit Der Frühling naht!
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pätestens jetzt, im Februar, ist der Frühling endlich zum Greifen nah. In Gärtnereien und Supermärkten warten längst die ersten Frühlingsboten auf sonnenhungrige Käufer: Bunte Primeln in leuchtenden Farben, blaue und weiße Hyazinthen, knallrote Tulpen und goldgelbe Narzissen. Und in Erwartung sonniger und warmer Tage, stecken auch im Garten nach und nach bereits die ersten Zwiebelblumen ihre Köpfchen aus der Erde. Bald, sehr bald schon werden Schneeglöckchen, Krokusse, Tulpen und Forsythien erblühen. Jeder Hobbygärtner weiß natürlich sofort, was dann die Stunde geschlagen hat: Es heißt „Klarschiff“ zu machen im Garten und die letzten Spuren des Winters zu beseitigen. Tatsächlich ist es praktisch kaum noch zu überhören, wie laut und dringlich der Garten inzwischen nach Aufräumarbeiten und ersten Saisonvorbereitungen ruft. Also, die Ärmel aufgekrempelt und fröhlich losgelegt: Höchste Zeit ist es zum Beispiel jetzt, das letzte Laub, das im Herbst liegen geblieben ist, von der Rasenfläche zu entfernen, um Schimmelbildung durch Nässe
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zu verhindern, sowie die Kübel- und Terrassenpflanzen im Winterquartier auf Schädlingsbefall zu kontrollieren. Wer Nistkästen in seinem Garten hat, sollte außerdem unbedingt schon Ende Februar, spätestens aber Anfang März daran denken, diese zu säubern, damit Meisen und andere Kleinvögel sie bald wieder benutzen können. Und bei gutem Wetter kann man sogar schon einige Blumen in den Garten pflanzen – Primeln und Stiefmütterchen zum Beispiel, denn die kommen mit Kälte bis -5°C ja bekanntlich sehr gut klar. Bis Ende Februar sollten Sie zudem die Obstbäume beschneiden – natürlich nur, wenn sie noch nicht austreiben und idealerweise an einen milden, sonnigen Tag. Auch vertrocknete Staudenreste können jetzt abgeschnitten und großgewachsene Gehölze ausgelichtet werden. Und wer wirklich ganz sicher gehen will, dass ihn im Sommer ein farbenprächtiges Blumenmeer erfreut, kann schon die ersten Sommerblumen wie Petunien, Geranien und Fleißige Lieschen im Haus oder im beheizten Gewächshaus aussäen.
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12. Februar 2009 DIE ZEIT Nr. 8
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er reiche Mensch schämt sich. Warum? »Weil er bei jeder Taxifahrt spürt, dass eine Welt nicht in Ordnung ist, die ihn so übertrieben mit Glück beschmissen hat, den Taxifahrer aber definitiv nicht … Es gibt keinen Reichtum, der verdient wäre, das weiß jeder Reiche auch. Aber wohin mit der Scham?« So steht es in Rainald Goetz’ Internettagebuch Klage, und als nicht so Reicher denkt man: Goetz hat schon recht. Die Scham ist ein Problem der Reichen. Im Schauspielhaus Zürich aber begegnet uns ein Reicher, der Goetzens Befund gehörig ins Wanken bringt. Dieser Reiche kennt keine Scham, ja er beschämt mit seiner Intelligenz alle Armen. Der Mann heißt Andrew Undershaft, er ist Waffenfabrikant und Philosoph und erblickte im Jahr 1905 das Licht der Theaterwelt. Er ist der wahre Held von George Bernard Shaws Komödie Major Barbara, und die Kernsätze seiner Philosophie lauten: Armut ist Verbrechen. Arme vergiften uns moralisch und psychisch. Wer besser gekleidet und besser genährt ist, wird auch ein besserer Mensch sein. Und: »Lieber ein Dieb als ein armer Mann, lieber ein Mörder als ein Sklave.« Lange vor Adorno hat Undershaft für sich beschlossen, dass es im falschen Leben kein richtiges gibt. Erst muss man sich im falschen Leben nach oben graben und sich dort gründlich sättigen, dann kann man eventuell damit beginnen, im falschen Leben ein richtiges zu führen.
Der heilige Hai
gesprochen, Undershaft muss nichts laut sagen, es ist ja nur die Wahrheit, es versteht sich von selbst. »Ich möchte nicht Ihr Gewissen haben, nicht um Ihr ganzes Vermögen«, sagt einer zu ihm. Und er antwortet: »Ich möchte nicht Ihr Vermögen haben, nicht um Ihr ganzes Gewissen.« Manchmal denkt man: Jetzt lacht er. Aber man weiß es nie genau. Sollte er lachen, dann tut er es dezent und tief nach innen. Er dämpft seine Pointen – er löscht sie ab. Seine Stimme ist fast verzagt, aber sein Witz ist von Groucho Marx. Was an ihm rührt, ist seine arglose Neugier. Dieser Waffenfabrikant lernt mit jeder Explosion dazu. Er hat die Gabe, so zu wirken, als lebe er ganz im Augenblick – und als treffe der Augenblick belebend auf etwas Unverrückbares in seinem Inneren.
Peter Zadek inszeniert Shaws Komödie »Major Barbara« mit dem großartigen Robert Hunger-Bühler in Zürich VON PETER KÜMMEL
Erst muss einer mal satt sein, dann kann er ein guter Mensch werden
Genau an diesem Punkt beginnt Shaws Komödie. Eigentlich ist Major Barbara die Geschichte einer Familienzusammenführung. Familie Undershaft (Mutter Undershaft und drei Kinder) hat sich aus moralischen Gründen von ihrem Oberhaupt, dem Waffenhändler, getrennt, aber nun wird das Geld knapp, und da besinnt man sich des Alten und holt ihn zurück. Undershaft lässt sich gern zurückholen – aus Neugierde. Vor allen anderen gefällt ihm seine Tochter Barbara, die allem Weltlichen abschwor und als Majorin der Heilsarmee die armen Seelen mit Suppe wärmt. Als die Heilsarmee in finanzielle Schwierigkeiten gerät, kauft Undershaft den ganzen Laden – und Barbara gleich mit. Seltsamer Name: Undershaft. Er lässt den Namen Shaft anklingen – das ist jener schwarze, coole Kinodetektiv aus Hollywood, der in den 70er Jahren antrat, seinen Leuten, den Afroamerikanern, ihre Würde zurückzugeben. Shaws dunkler Komödienheld Undershaft ist ebenso selbstgewiss wie Shaft. Auch er gibt seinen Leuten, den Schwerreichen, die Würde zurück. Und in Zürich ist er so cool wie Shaft. Es tritt auf: der Schauspieler Robert Hunger-Bühler. Er spielt den Unternehmer Undershaft. Aber nein,
Foto: Isi Tenenbom
Nr. 75
Weltreiche tanzen Schwofen für die Karitas: Auf dem Wiener Opernball in New York
Foto: Leonard Zubler
Dieser Schauspieler tritt nicht auf, er schwebt aus Höllentiefen empor
Was mache ich hier?
ROBERT HUNGER-BÜHLER (als Undershaft, links) mit Julia Jentsch und Andreas Matti
Hunger-Bühler ist kein Schauspieler, der einfach auftritt. Er schleicht vielmehr lautlos herauf, als sei er von der Erddrehung aus der Tiefe hochgescrollt worden. Er wirkt immer so, als komme er nicht aus den Kulissen, sondern von unten, aus der Hölle, in der er zu Hause ist, seitdem er den Mephisto gespielt hat in Peter Steins Faust-Inszenierung (2000). Hunger-Bühler ist zu Beginn ganz scheu, kleinlaut, linkisch. Er spricht mit gesenkten oder unterwürfig suchenden Augen, als müsse er es erst lernen,
in Gesellschaft zu sein. In Wahrheit ist es so, dass er dieser Gesellschaft erst einmal Zeit geben will, damit sie sich an ihn und an die Wahrheit gewöhnen kann. Hunger-Bühler sucht sich seine Worte, so scheint’s, beim Sprechen aus alldem zusammen, was die Welt ihm anbietet, aus dem Mobiliar, das ihn umgibt, aus den Wolken, die über ihn hinfliegen. Er sieht sich um und sagt nur, was ist; er ist der arglose Sprecher der Verhältnisse. Das Allerschwerste wird mit dem wärmsten, weichsten Atem an unserem Ohr vorbei
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Österreichern geht es gut. Weiter heißt es in der Meldung: »Der Ball hat seinen karitativen Radius erweitert, die Begünstigten im Jahr 2009 werden auf dem Ball verkündet.« Die Reichen von New York tun nichts lieber, als Bedürftigen zu helfen. Ich bin schon gespannt, wer in diesem Jahr Nutznießer ist! AidsKranke? Krebspatienten? Waisenkinder aus Nahost? Die Hungernden von Darfur? Republikaner? Ich eile zu Christian Kesberg, dem österreichischen Handelsbeauftragten für die USA, und bitte ihn flehentlich um einen Schnellkurs in Sachen Opernball. Er erklärt mir, der Ball sei die »Essenz der österreichischen Feierfreude«. Toll! Dieses Volk schert sich keinen Deut um den Verlust seines Weltreichs! Die Einladung verlangt, dass Männer in weißen Krawatten erscheinen, aber da Österreich kein Weltreich mehr ist, nehme ich an, dass meine rote Krawatte es auch tut. Außerdem lautet das Motto der Veranstaltung »Maskenball in der Oper«, zu Ehren von Johann Strauß’ Die Fledermaus, und die Teilnehmer sollen in Masken erscheinen. Meine Maske ist eben eine rote Krawatte. Ab ins Waldorf. Auf der Tanzfläche erscheinen, kurz bevor Miss USA zusammen mit den Debütantinnen eintritt, zwei Pferde samt Kutsche. Digitalkameras tauchen auf wie Regen im April. Das Ganze geht vermutlich schwer ins Geld, und ich überlege, wie die Angehörigen eines ehemaligen Weltreichs überhaupt die Mittel dafür aufbringen. Also frage ich Ms. Marcie Rudell, Geschäftsführerin des VOB, wie viel der Abend kostet. Doch trotz der Tatsache, dass der VOB eine gemeinnützige Organisation ist und seine Transaktionen offenlegen muss, erklärt mir Marcie: »Über solche Dinge spreche ich nicht.« Die Musik wechselt von Operette zu Pop, aber ich
merika, sagen mir viele kluge Menschen, liege als Weltreich in den letzten Zügen. Millionen verlieren ihre Jobs, die Superreichen verlieren ihr letztes Hemd an einen Schwindler namens Madoff, die Regierung steht kurz davor, Schulden in Billionenhöhe aufzuhäufen, und kein Ende ist in Sicht. Haben sie recht? Und wenn ja, wie geht man damit um, wenn man seinen Status als Weltreich verliert? Um das herauszufinden, sollte man sich vielleicht ansehen, was mit anderen Weltreichen seligen Angedenkens passiert ist. Österreich zum Beispiel. Man könnte behaupten, Österreich sei derzeit vor allem wegen Red Bull berühmt, eines netten Getränks, das aber weit davon entfernt ist, einen Ruf als Weltreich zu begründen. Wie gehen die Österreicher damit um? Ein Glück, dass ich dieser Frage heute Abend nachgehen kann. Eine der stolzesten Erfindungen Österreichs ist, wie Sie sicherlich wissen, der jährliche Opernball. Die Sitze im prächtigen Opernhaus in Wien werden entfernt, man gibt haufenweise Geld für Eintrittskarten aus, um das neu geschaffene Tanzparkett zu betreten, präsentiert die jungen Männer und Frauen der Oberschicht den anderen Mitgliedern der Oberschicht und nimmt verächtlich zur Kenntnis, wie die Angehörigen der Unterschicht draußen, von Neid zerfressen, demonstrieren. Und dieses wunderbare Ereignis spielt sich nun auch direkt in New York ab, in einer der berühmtesten Sehenswürdigkeiten der Stadt: dem Waldorf-Astoria. Eine Pressemeldung landet auf meinem Schreibtisch: »Der gemeinnützige Wiener Opernball (Viennese Opera Ball, VOB) in New York ist für verpflanzte Österreicher eine ideale Möglichkeit geworden, ihre Kultur zu feiern.« Weltreich oder nicht, den
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Einmal sagt Undershaft, seine neue Waffe habe auf einen Schlag 300 Soldaten ausradiert. Sein Schwiegersohn fragt: Attrappen? Und Undershaft sagt: »Nein ………«, und dann macht er eine Pause, die man mit mindestens drei Leerzeilen darstellen müsste, und fügt hinzu: »Echte.« Er schreibt sich Pointen niemals selbst zu, sein Witz hat etwas Dienendes: Er ist nur das Medium einer höheren Wahrheit. Warum haben wir uns in dieser Kritik so sehr auf den Schauspieler Robert Hunger-Bühler konzentriert? Weil die Inszenierung des 82-jährigen Peter Zadek ansonsten wenig Berichtenswertes bietet. Wir sehen eine Familie, die in der Wüste eines Konversationsstücks nach der Oase der Pointe sucht, meist vergeblich. Wir sehen Leute, die sich wie mit der Zigarettenspitze das Gift des Stücks vom Leib halten. Wir sehen tolle Schauspieler, Nicole Heesters, Jutta Lampe, August Diehl, in Nebenrollen – und Julia Jentsch als eine sanfte Heilige in der Titelrolle, die doch auch nur Nebenrolle ist. Was bleibt, ist Undershaft: Er musste erst gefährlich sein, um mildtätig werden zu können. Er musste erst satt werden, ehe er der Gesellschaft nützlich werden konnte. Der Unternehmer als Pionier, der zunächst einmal für sich selbst das Beste will und dann generös darüber nachdenkt, die anderen nachzuholen (vielleicht sogar jene, auf die man vorerst noch Raketen wirft). Peter Zadek findet nur in Undershaft einen Ebenbürtigen. Nur ihn erweckt er zum Leben und zum Denken. Durch die übrigen Figuren fährt gelangweilt der Wind der Regie. Die warmen Gedanken, der gute Wille, der Altruismus in diesem Stück – das ist alles hin und vergessen. Was überlebt, ist die illusionslose, über sich selbst aufgeklärte Gier. a www.zeit.de/audio
Das Letzte CoRoT-Exo-7b heißt der neue Exoplanet, den Astronomen kürzlich für uns entdeckt haben. Das kosmische Fundstück mit dem wohlklingenden Namen ist nur vierhundert Lichtjahre entfernt und sieht unserer Erde verblüffend ähnlich, fast wie aus dem Gesicht geschnitten, nur größer, schöner, wärmer. Schon munkeln Sterngucker: Sollte der shooting star vielleicht unser Zwillingsbruder sein, der beim Schöpfungsakt (»Am Anfang war das Wort«) irrtümlich verloren ging? Sozusagen lost in translation? Lieber CoRoT-Exo-7b, der Du aus einem Schwarzen Loch so unverhofft zu uns kommst, wir begrüßen Dich herzlich im Kreis der Lieben. Wie Castor und Pollux Dir sicher erzählt haben, geht unser Planet gerade den Bach runter. Kaum hatten wir die Dampfmaschine erfunden, schon schmolzen die Polkappen ab. Um mit der Tür ins Haus zu fallen: Bruderherz, rettest Du uns? Gibst Du uns eine neue Heimat? Du kriegst auch vom lieben Gott die Abwrackprämie für Mutter Erde. Keine Sorge, wir kommen nicht alle auf einen Schlag, wir schicken Dir vorweg ein paar Musterexemplare unserer Gattung, damit Du Dich an uns Erdlinge gewöhnen kannst. Als Ersten entsenden wir Hartmut Mehdorn, unseren künftigen ExBahn-Chef, den Du bitte ohne Verzögerung im Betriebsablauf mit seiner Märklin-Eisenbahn spielen lässt. Pass nur gut auf ihn auf, sonst privatisiert er Deinen Planeten, und dann gehörst Du plötzlich dem Milchstraßekonzern, den Du ja noch nie leiden konntest. Vorneweg kommt auch Josef Ackermann mit einer Delegation amerikanischer Broker. Nie gehört? Broker sind Zauberkünstler, die aus Schulden Gold machen und das Gold anschließend in noch mehr Schulden verwandeln. Von Westen, auf der Achse des Guten, schwebt George W. Bush ein und bringt Dir kurz mal die Demokratie vorbei. Sei nett zu ihm, lass ihn mit dem Revolver in den Sternenstaub ballern und nach Osama bin Laden suchen. Mit an Bord ist Wladimir Putin, der kurz ein paar Gasriesenplaneten aufkauft, im Schlepptau sein Kumpel Gerhard Schröder. Auch unbekannt? Das ist ein als Sozi getarnter Filou aus der Arbeitgebergalaxie, der gern feindliche Parteien gründet, zum Beispiel »Die Linke«. Apropos Arbeitgeber: Die sind hellauf begeistert von Dir, weil Du in gerade einmal 21 Stunden um ihre Sonne flitzt. Wenn ein Jahr nur ein Tag lang ist, dann entfällt der Urlaubsanspruch. Bruderherz, mach schon mal Licht an, wir landen bald. Ein kleiner Schritt für uns, aber ein großer Schritt für die Menschheit! FINIS
bin noch bei Marcie. »Wie viele Gäste sind dieses Jahr gekommen, im Vergleich zum letzten?«, frage ich sie. »Ungefähr genauso viele«, sagt sie. »Rund 700.« Nicht schlecht. Während die meisten Amerikaner den Gürtel enger schnallen, feiern die Österreicher. Langsam beschleicht mich der Verdacht, dass es vielleicht gar nicht so schlecht ist, ein Weltreich zu verlieren. »Und wie viel Geld geht nach dem Abend an den wohltätigen Zweck?«, frage ich. Das war dumm von mir. Wirklich. »Woher soll ich wissen, wie viel Wein die Leute heute Nacht trinken?«, gibt sie geistreich zurück und entschuldigt sich. Die Musik ist wunderschön. Das Essen vorzüglich. Die Reichen von New York und Wien sind überglücklich. Bald wird die Tanzbar öffnen, und noch mehr Essen und noch mehr Getränke werden serviert. Ich gehe nach draußen, um eine zu rauchen, und frage mich insgeheim, ob meine Sorgen über die Zukunft dieses Landes schlicht übertrieben sind. Eine blonde Dame nähert sich mir, als mein Feuerzeug aufblitzt. Ihr gefalle, sagt sie, meine »schöne rote Krawatte«. Ich danke ihr vielmals. Sie fragt, ob ich eine Massage möchte. Es ist Freitagabend in New York, und ich unterhalte mich mit einer jungen Straßenprostituierten vor dem noblen Waldorf. Mich drängt es, nach oben zu gehen und den VOB-Leuten zu erzählen, dass ich eine Empfängerin für den Erlös ihres karitativen Balls gefunden habe, doch dann fällt mir ein, dass die tanzenden Paare erst austrinken müssen, bevor feststeht, wie viel Geld übrig ist. Ich betrachte die Dame und frage mich, ob ich möglicherweise die Zukunft Amerikas vor mir sehe. TUVIA TENENBOM
WÖRTERBERICHT
AUS DEM ENGLISCHEN VON BRIGITTE JAKOBEIT
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Frauenfrage Ist nach der deutschen Frage nun endlich auch die Frauenfrage beantwortet? Ulla Unseld-Berkéwicz überraschte die Öffentlichkeit in ihrem FAZ-Interview nicht nur mit dem Umzug des Suhrkamp-Verlages nach Berlin. Mindestens ebenso aufsehenerregend wie der ökonomisch-kulturelle Aspekt des Gesprächs war dessen emotionales Finale. Da fragte Felicitas von Lovenberg, die Literaturchefin der Frankfurter Allgemeinen, was die Verlegerin denn am meisten an Frankfurt vermissen werde. Darauf Ulla Unseld-Berkéwicz: »Das ist eine Frauenfrage, danke schön, die tut gut.« Ihre Dankbarkeit, dass nach dem langen Gespräch um Suhrkamp-Kultur und Genius Loci endlich auch ihre rechte Gehirnhälfte angesprochen wird, dürfte die Frauenbewegung in Deutschland um hundert Jahre zurückgeworfen haben. Oder hatten wir die »Frauenfrage« nur immer falsch verstanden? Ging es und geht es dabei keineswegs um das Problem der gesellschaftlichen und rechtlichen Gleichstellung der Frau, sondern vielmehr um Fragen, die nur Frauen stellen können? Wenn dem so wäre, dann hätte Ulla Unseld-Berkéwiczs Antwort die Frauenfrage wirklich geklärt. Danke schön, das tut gut. FLORIAN ILLIES
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MURSCHETZ
Abwertung tut not M. Schieritz (Pro) und J. Joffe (Contra): »Die Banken endlich verstaatlichen?« ZEIT NR. 6
Mark Schieritz bringt auf den Punkt, dass der Staat die Banken einzig der Not gehorchend aus ihrer Misere herauskaufen muss. Josef Joffe erweckt mit viel Emphase den Eindruck, dass sich der Staat um diese Aufgabe geradezu reißen würde. Ersterer hält es für besser, sich mit Aktienkapital, Dividendenanspruch und Stimmrecht bei den Banken zu engagieren. Das dafür benötigte Geld muss immanent natürlich über verzinsliche Staatsanleihen beschafft werden. Aber Zinslasten dürften dabei in etwa von Dividendeneinnahmen kompensiert werden. Letzterer dagegen will die Banken von vornherein mit unverzinslichen Bundesobligationen retten. Der wesentliche Unterschied zwischen diesen beiden Vorschlägen liegt darin, dass der Staat nach Schieritz die Hand auf seinem Geld behalten kann, während er es nach Joffe den Bankern auf Gedeih und Verderb überantworten muss. Das Finanzdesaster gemahnt: Es geht nicht ohne Kontrolle – Beschwörung des vermeintlichen Untergangs der Marktwirtschaft hin oder her. Wenn Politiker und Bürokraten mehr Einfluss auf den Bankensektor gewinnen, wird es zwar auch zu Erscheinungen von Inkompetenz und Eigennutz kommen. Aber mehr Schäden als entfesselte Ökonomen allein können sie gewiss nicht anrichten. Paul Scholz, Hannover
Präsident Obama erregte sich darüber, dass im vergangenen »Krisen-
Wir räumen
jahr« trotz allgemeinen Niederganges in der Finanzwelt noch 18 Milliarden Dollar an Bonuszahlungen für die Wallstreetler abfielen und eine Firma – nach Insolvenzanmeldung und Bitte um Staatshilfe – einen Luxusfirmenjet für die Führungsriege orderte. Jetzt weiß ich, dass nur die Lösung von Mark Schieritz eine Abhilfe verspricht! Wie wäre es mit einem solchen Gesetz: »Aufgrund Artikel 14 GG werden bis zur Tilgung des Bankenrettungsfonds sämtliche Bonuszahlungen in diesen umgeleitet; desgleichen alle Gehalts- und Zuwendungszahlungen, die das 20-Fache des Durchschnittsgehaltes in Deutschland überschreiten.« Gottfried Schröter, Lübeck
Wenn Josef Joffe behauptet, der Staat als oberster Verleiher hätte keine Ahnung vom Bankgeschäft, dann kann der Staat ja wenig falsch machen, denn die von den Banken hingelegten Milliardenpleiten werden wohl für alle Zeiten unerreichbar bleiben. Heinz Schröder, Bergisch-Gladbach
Das Kernproblem der Krise ist auch hier noch lange nicht beschrieben. Die enorme Belastung der Staatsfinanzen durch die Rettungsmaßnahmen werden einige Länder, zum Beispiel im Euroraum, an den Rand eines Kollaps führen, und auch in den Staaten, die sich noch ausreichend mit Krediten eindecken können, werden in der Folge steil ansteigende Zinsen einen Schulden-
dienst erzwingen, der nachfolgenden Generationen jeglichen Bewegungsspielraum raubt. Ein Abtragen dieser Lasten in überschaubaren Zeiträumen ist kaum vorstellbar – er widerspräche jeder Erfahrung. Wir können solche Defizite nicht auf unsere Enkel abwälzen. Dies wäre extrem unmoralisch und würde den Keim zukünftiger Instabilität in die Welt tragen. Wir hatten das schon mal! Die Suppe hat sich diese Generation eingebrockt, sie muss sie jetzt auch zügig auslöffeln. Ich denke, wir sollten eine moderate, international koordinierte Abwertung aller wesentlichen Weltwährungen durch einen von den Zentralbanken kurzfristig einzuleitenden Liquiditätsschub ins Auge fassen. Das Geld würde an die Regierungen fließen, mit der Auflage, es ausschließlich zur Finanzierung der Notprogramme und zur Reduzierung der Altlasten zu verwenden. Eine inflationäre Wirkung wäre zunächst nicht zu erwarten, dafür aber die schnelle Normalisierung der Kreditmärkte und eine Stabilisierung der »Realwirtschaft«. Die Welle wäre erst einmal gebrochen, und mögliche Verspannungen im System könnten später »mit ruhiger Hand« von den Finanzministerien und Zentralbanken ausgeglichen werden. Gerade die Tatsache, dass die ganze Welt unter dieser Krise leiden wird und es weiß, lässt ein hohes Maß an Solidarität unter den globalen Mitspielern erhoffen. Hartmut Michel, Reutlingen
AUS NR.
Gepennt Joachim Wagner: »Die Lobbyisten triumphieren« ZEIT NR. 6
Man kann nur noch den Kopf schütteln, wenn man liest, wie die Autoindustrie gehätschelt wird. Wenn man dann wenigstens hören würde, dass die Bosse – stellvertretend sei Herr Wiedeking genannt – sich mit ihren Einkommensvorstellungen zumindest ein bisschen zurücknehmen würden! Es kann doch nicht angehen, dass die Steuerzahler deren Wahnsinnsgehälter mitfinanzieren müssen. Das gilt umso mehr, als die Herrschaften jahrzehntelang gepennt und nicht gemerkt haben, dass es so wie bisher – immer größer, immer schneller, immer mehr Sprit schluckend und dementsprechend immer mehr die Umwelt verpestend – nicht weitergehen kann. Das haben doch inzwischen die meisten Sextaner kapiert. Horst Krummhaar, Amberg
i Weitere Leserbriefe finden Sie unter www.zeit.de/Leserbriefe
Stets ohne uns
Erbärmliche Zustände
Immer spannend
Th. Assheuer: »Una sancta« ZEIT NR. 6
M. Kriener: »Das tödliche Wunder«
Tanja Busse und Urs Willmann: »Natur aus der Fabrik« ZEIT NR. 6
Reiner Luyken: »Mail aus Achiltibuie« ZEIT NR. 6
Nun hat der Heilige Geist Rom und mit ihm alle guten Geister Papst Benedikt verlassen. Und wir katholischen Christen sind in höchstem Maße empört. Aber wir sollten uns – wenn es der Papst nicht tut – beim jüdischen Volk für ihn entschuldigen. Dass die vier »Bischöfe« sich vor Weihnachten in einem reumütigen Brief an den Vatikan wandten und um Wiederaufnahme in die Kirche baten, hatte die Aufhebung der Exkommunikation, nicht aber deren Einsetzung in ein katholisches Bischofsamt zur Folge. Sie gehören damit wieder zu den 1,1 Milliarden Mitgliedern der Kirche. Über ihre Funktion als Priester oder gar Bischof ist damit nichts ausgesagt. Die unsinnige und abstoßende Äußerung von Williamson sollte strafrechtlich verfolgt werden. Mit der Tatsache, dass er Mitglied einer Kirche ist, hat sie nichts zu tun. Kein Mitglied der evangelischen Kirche oder irgendeiner anderen Glaubensgemeinschaft würde wegen einer solchen Äußerung aus ihr ausgeschlossen. Zu entscheiden haben in diesem Fall die Gerichte. Mit der Wiederaufnahme in die Kirche ist für die vier Abtrünnigen der Beginn des von ihnen erbetenen Gesprächs möglich geworden. Wie es endet, muss die Zukunft zeigen.
In dem Artikel zum Thema Asbest fällt etwas auf, das oft typisch ist für Beiträge, in denen deutsche Nachkriegsgeschichte eine Rolle spielt: Die DDR kommt darin nicht vor. Es fallen die Namen Bundesrepublik und Deutschland (gemeint ist Westdeutschland); aber Ostdeutschland fehlt, obwohl es in beiden Teilen Deutschlands manchmal die gleichen Probleme gab. Im Westen war den »Kapitalisten« die Gesundheit ihrer Arbeiter nicht so wichtig und im Osten den »Sozialisten«. Schon deswegen hätte es sich gelohnt, den Osten in die Recherchen mit einzubeziehen. Mich als ostdeutschen Leser interessiert grundsätzlich beides, Ost- und Westdeutschland. Deshalb ist der Artikel für mich unzureichend. Was den »Osten« anginge, müsste ich auf einen Beitrag in der Jungen Welt oder im Neuen Deutschland hoffen. Es ist kaum anzunehmen, dass westdeutsche Leser nicht auch der Umgang mit Asbest in der DDR interessierte. In journalistischen oder historischen Beiträgen, die den Zeitraum 1949 bis 1989 berühren, wäre eine parallele Berichterstattung und keine getrennte – oder sogar unterschlagende – wünschenswert. Dies könnte helfen, die Teilung Deutschlands zu überwinden, anstatt sie zu manifestieren.
Die Gier steht auch Pate bei der Milchwirtschaft. Was sonst könnte letztlich die Ursache dafür sein, dass Hochleistungsmilchkühe auch auf der saftigsten Wiese verhungern würden? Auf dem Weg zur Optimierung ist den Handelnden der Verstand verloren gegangen. Und Ihr erhellender Bericht zeigt, dass sie es nicht mal gemerkt haben.
Prof. Dr. Heribert Rück, Biebertal
Ulf Weber, Tanna
Rüdiger Meinardus, Heßdorf
Ich erlebte einmal, wie ein Kalb, kaum geboren, per Schubkarre in
Julia Sailer, Passau
Darauf muss man erstmal kommen J. Jessen: »Die Hand in der Hosentasche« MAGAZIN NR. 6
Obamas Hand in der Hosentasche als Zeichen für »Rüpelhaftigkeit«, »Respektlosigkeit«, »Würdelosigkeit«, »Überlegenheit«, »Verächtlichkeit«, »Volksverachtung«, »Unkonzentriertheit«. Einfach köstlich, darauf muss einer erst mal kommen. Ach, hätten wir doch auch einen Politiker, der entspannt mit der Hand in der Hosentasche auf Ausstrahlung und Inhalt setzt
und nicht gestenreich Plattitüden verbreitet. Vielleicht sollte unsere Kanzlerin ihre Hand entspannt in den Hosenanzug vergraben, auf ihr beidhändiges Synchrongefuchtel verzichten und sich ganz auf die Sache konzentrieren. Ich habe allerdings den Verdacht, dass ihr Hosenanzug gar keine Taschen hat. Uwe Liebnau, Hamburg
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Achiltibuie Nordsee
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Heiner Günster, Kamp-Lintfort
Es drängt mich, endlich meiner Bewunderung Ausdruck zu geben, dass Sie neben Auslandskorrespondenten in Peking und New York, London und Rom, Jerusalem und Paris auch einen in Achiltibuie haben, der sich mit schöner Regelmäßigkeit zu Wort meldet. Vor einigen Jahren musste ich es erst mühsam auf einer Schottlandkarte suchen. Inzwischen war ich während eines Besuchs in unserer Partnerstadt Lossiemouth auch in Ullapool und habe von dort aus eine Bootstour zu den Summer-Islands gemacht. Und da habe ich tatsächlich Achiltibuie zwar nicht betreten, aber vom Boot aus liegen sehen. In Ullapool habe ich mir wenigstens eine Postkarte dieses winzigen Ortes am nordwestlichen Ende unseres europäischen Kontinentes gekauft. Jede Woche schaue ich beim ersten Durchgang durch die ZEIT, ob wieder eine Mail aus Achiltibuie dabei ist. Und nach jahrelanger Lektüre
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Empörend
eine Box verfrachtet wurde, wo es mit Infrarotlicht und Milchflasche die ersten Tage seines Lebens in Einzelhaft verbringen musste. Die Kuh bekam ihr Kalb nie zu sehen. Ob Milchkuh oder Mastschwein, die Zustände sind erbärmlich, und so manchem Fleischesser würde grausen, müsste er sich mit den Lebensumständen dieser Tiere beschäftigen. Große Schuld trägt der Konsument selbst, für den nur der günstige Preis im Supermarkt zählt.
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Milch, ein synthetisches Produkt 29. Januar 2009
S c h o t t l an d
Edinburgh ZEIT-Grafik
50 km
kann ich bezeugen, dass die Berichte immer aufs Neue spannend und informativ sind. Das Leben findet dort ebenso statt wie in den Hauptstädten der Welt, und es geschehen Dinge, von denen die Bewohner der Hauptstädte keine Ahnung haben. Also, bitte, weiter so. Ich bin jede Woche gespannt auf die Neuigkeiten von der Insel, mit dem Standort Achiltibuie. Gerda Münzenberg, Hersbruck
BEILAGENHINWEIS Unsere heutige Ausgabe enthält in Teilauflagen Prospekte folgender Unternehmen: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 60327 Frankfurt; Mey & Edlich,
04227 Leipzig; Plan International Deutschland e. V., 22305 Hamburg; Zweitausendeins Versand Dienst GmbH, 60381 Frankfurt
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ZEIT Kochwettbewerb 2009 – »Gutes aus Österreich« 1. Preis Kulturhauptstadt 2009: Gewinnen Sie ein Wochenende in
Cornelia Poletto und Wolfram Siebeck rufen alle Hobbyköche* zum ZEIT-Kochwettbewerb auf. Dieses Mal heißt das Motto: »Gutes aus Österreich«. Vorgeschlagen werden muss ein dreigängiges Menü. Die Rezepte müssen selbst erarbeitet sein, an einer Stelle im Menü muss etwas Österreichisches vorkommen – ein Gericht aus den folgenden fünf Bereichen – in absoluter Perfektion und/oder raffinierter Verfeinerung: Paniertes (z. B. Wiener Schnitzel, Backhendl), Gesottenes (z. B. Tafelspitz), Knödel, Strudel oder Schmarren.
Linz für zwei Personen inklusive zwei Übernachtungen im 4-Sterne-Hotel ARCOTEL Nike Linz, und entdecken Sie Europas Kulturhauptstadt 2009. Für Ihren individuellen Kultur-Genuss erhalten Sie die »Linz 09 Card«. Das Highlight für unser Gewinner-Team: ein exklusives Dinner in einem Hauben-Restaurant im Genussland Oberösterreich.
Schicken Sie uns einen Brief, in dem Sie Ihre Rezepte genau beschreiben, aber auch etwas über sich selbst erzählen: wie Sie zum Kochen gekommen sind, woher Sie Ihre Zutaten und Ideen beziehen, was Sie beruflich machen und wie alt Sie sind. Nach einer Vorauswahl der 16 einfallsreichsten Menüs müssen die Hobbyköche ihr Können bei einem unserer Regionalwettbewerbe unter Beweis stellen.
2. Preis
Wien erwartet Sie: Genießen Sie ein Wochenende in der Donaumetropole. Das ARCOTEL Wimberger heißt Sie und Ihre Begleitung für zwei Nächte herzlich willkommen. Das Hotel liegt in der Nachbarschaft der Mariahilfer Straße, Wiens größter Einkaufsstraße. Bei einem Überraschungs-Dinner im Hauben-Restaurant Korso (www.restaurantkorso.at) lernen Sie die neue Wiener Küche kennen.
Eine fachkundige Jury (Wolfram und Barbara Siebeck, Sterneköchin Cornelia Poletto, zwei weitere Spitzenköche und ein prominenter Feinschmecker) wird Ihre Kreationen beurteilen. Bei den Regionalausscheidungen am 27. April in Hamburg (Hotel Park Hyatt), am 4. Mai in Mainz (Hyatt Regency), am 8. Mai in Linz (Arcotel Nike) und am 18. Mai in Stuttgart (Steigenberger Hotel Graf Zeppelin), wird entschieden, wer zum Finale am 15. Juni in Berlin (Hotel The Ritz-Carlton, Berlin) kommen darf und die Chance bekommt, einen der Preise (siehe rechts) zu gewinnen.
3. Preis
Genuss in Kärnten: Genießen Sie Kärntner Spezialitäten im ARCOTEL Moser Verdino in Klagenfurt. Das moderne Jugendstilhaus im Altstadtzentrum Klagenfurts, nur wenige Minuten vom Wörthersee entfernt, lädt Sie und Ihre Begleitung auf ein Wochenende (zwei Nächte inkl. Frühstück) in Kärnten ein. Im Restaurant Landhaushof werden Sie mit einem Gala-Dinner verwöhnt.
*Hobbyköche, die schon einmal bei einer Regionalentscheidung dabei waren, dürfen nicht teilnehmen
Senden Sie Ihren Menüvorschlag per E-Mail bis 9. März an: kochwettbewerb@zeit.de · oder per Post an: DIE ZEIT · Stichwort »Kochwettbewerb« · 20079 Hamburg
Informationen zu allen Hotels finden Sie unter www.arcotel.at. Alle Gewinner reisen mit der Deutschen Bahn an – entspannt, komfortabel und günstig (www.bahn.de).
In Kooperation mit:
www.zeit.de/kochwettbewerb
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12. Februar 2009 DIE ZEIT Nr. 8
Fromme Wünsche Seit zwanzig Jahren lebt Salman Rushdie mit der Todesdrohung
Abb.: »Das Zeitalter des Perikles« 1852, Philipp von Foltz/akg-images; Foto: Jürgen Bauer/Süddeutsche Zeitung
Wir kommen aus Athen Große Geschichtsschreibung: Christian Meier erzählt, wie sich in der griechischen Polis die Freiheit entfaltete VON STEFAN REBENICH
DIE AGORA auf dem Gemälde »Das Zeitalter des Perikles« von Philipp von Foltz (1805–1877)
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arum eigentlich muss eine Geschichte Europas im antiken Griechenland beginnen? Was haben uns die alten Hellenen überhaupt noch zu sagen? Liegen die Wurzeln Europas wirklich in der östlichen Ägäis? Christian Meier, einer der Großen der Historikerzunft, der am 16. Februar seinen 80. Geburtstag feiert, hat sein jüngstes Buch diesen Fragen gewidmet. Zunächst gibt er sich sehr zurückhaltend. Dass die mittelalterliche und neuzeitliche Kultur auf der klassischen Antike gründe, ist ihm keine Gewissheit; von der wohlfeilen Europarhetorik der politischen Eliten distanziert er sich; stattdessen betont er die Einzigartigkeit, ja die Fremdheit des griechischen Altertums. Wenn Geschichte struktureller Wandel aller Verhältnisse ist, dann muss die Frage erlaubt sein, ob mit dem christlichen Mittelalter nicht etwas ganz Neues entstand, eine »von der antiken gründlich verschiedene Kultur«, die zwar vielerlei Anregungen von den Alten empfing, sich aber letztlich unabhängig weiterentwickelte. Die Entdeckung des Kontinents Europa und die damit einhergehende Trennung von Asien beschreibt Meier als Ergebnis der militärischen Auseinandersetzung zwischen Griechen und Persern zu Beginn des fünften vorchristlichen Jahrhunderts, die zugleich die Hellenen-Barbaren-Antithese begründete. Erst im Rückblick auf die Perserkriege wollte man vergessen machen, dass der gesamte östliche Ägäisraum über Jahrhunderte hinweg durch intensive wirtschaftliche, politische und kulturelle Kontakte zwischen den Griechen und den Hochkulturen des Vorderen Orients gestaltet wurde. Nochmals: Warum ist das frühe Griechenland Teil des heutigen Europas? Meier gibt eine eindeutige
Christian Meier feiert am 16. Februar seinen 80. Geburtstag. Er ist der bedeutendste deutsche Althistoriker und hat sich immer auch in aktuelle politische Debatten eingemischt. Der in Stolpe/ Pommern geborene Gelehrte promovierte 1956 in Heidelberg und übernahm, nach Stationen in Basel, Köln und Bochum, 1981 den Lehrstuhl an der Münchner Universität, den er bis zu seiner Emeritierung 1997 innehatte. Er hat zahlreiche wichtige Werke zur Antike veröffentlicht, darunter vor allem eine CaesarBiografie (1982) und eine Geschichte der Demokratie in Athen (1993). Von 1996 bis 2002 war Meier Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.
Antwort: Weil die Griechen homines maxime homines sind, Menschen, die im höchsten Maße Menschen sind. Das stammt von Plinius dem Älteren und klingt nach Wilhelm von Humboldt. Doch Meier streut nicht den Weihrauch des Neuhumanismus. Jacob Burckhardt ist ihm näher als die deutschen Klassiker. Die Griechen sind homines maxime homines, weil sie homines politici sind: Menschsein wird nicht als zeitlose Qualität hypostasiert, sondern setzt als notwendige Bedingung politisches Handeln voraus. Damit tritt am Horizont der fernen Antike der freie Bürger in die Geschichte Europas. Die Art und Intensität seiner Erfahrungen vermögen wir zwar kaum noch nachzuvollziehen, aber wir können sehr wohl erkennen, wie ein zunächst sehr kleiner, dann allmählich größer werdender Kreis von Freien (und das heißt: freien Männern) in den vielen Stadtstaaten, den Poleis, bestimmte politische Organisationsformen, religiöse Praktiken, technische Fertigkeiten, dann Wissenschaft, Philosophie, Dichtung und Kunst hervorbrachte und einübte, um eine Vielzahl von Herausforderungen zu meistern und die freien Lebensformen zu verteidigen. Die Geburt der Kultur aus dem Geist der Freiheit: Das ist Meiers Thema. Über viele Seiten schildert er die Sonderrolle der Griechen, die ihre Kultur nicht um der Herrschaft willen, sondern einzig um der Freiheit willen ausbildeten. Dabei lässt Meier keinen Zweifel daran, dass die Griechen der Frühzeit den Begriff der Freiheit nicht kannten, wohl aber die Sache: Freiheit bedeutete ihnen die Freiheit von Herrschaft, die Möglichkeit, im Eigenen zu gründen, die Chance, sich selbst und selbst das Gemeinwesen zu sein. Die kulturellen Leistungen dieser eigenständigen und freien Bürger wirkten auf die folgenden
Jahrhunderte so ungemein stark und breit, dass eine Geschichte Europas bei ihnen einsetzen muss. Meier gibt auch eine Antwort auf die Frage, wo die Ursprünge Europas zu suchen sind. Sein Buch ist zugleich ein Beitrag zu der Diskussion um die orientalischen Einflüsse auf die griechische Kultur, die in letzter Zeit auch in den Feuilletons geführt worden ist. Meier unterstreicht die offenkundige Tatsache, dass sich die griechische Kultur in steter Auseinandersetzung mit den Leistungen und Errungenschaften der benachbarten orientalischen Großreiche entwickelte, und betont die engen Verflechtungen zwischen Griechenland und dem Nahen Osten seit dem Ende des zweiten Jahrtausends vor Christus. Damals profitierten die Griechen in vielerlei Hinsicht vom Orient, mit dem sie durch ein enges Handelsnetz verbunden waren. Selbst das Alphabet übernahmen die Griechen von den Phöniziern. Doch sie bauten, wie Meier herausarbeitet, nicht einfach weiter, sondern schufen Neues. In Reichsbildung, Verwaltung und Technik blieben sie hoffnungslos zurück, aber es gelang ihnen, »ihre Freiheit instandzusetzen, um unter komplexer werdenden Bedingungen allen Herausforderungen zu genügen«. Meier formuliert ein Paradoxon: Erst die Impulse aus dem Osten ermöglichten die Kulturbildung der Griechen. Doch die Griechen waren in ihren entscheidenden Lebensformen nicht durch den Orient beeinflusst. Der europäische Sonderweg begann im Hellas der »dunklen Jahrhunderte«. Nah an den Quellen erzählt Meier, wie sich seit dem frühen 8. Jahrhundert vor Christus in der Fortsetzung auf Seite 50
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Dass Bücher manchmal die Welt verändern, merkt man oft erst später. Die Publikation des Archipels Gulag von Alexander Solschenizyn (1974) war der Anfang vom Ende des Kommunismus, aber wirklich sichtbar wurde das erst 15 Jahre später, als der Eiserne Vorhang in sich zusammenfiel. Die Veröffentlichung der Satanischen Verse und der Mordaufruf des Islamisten Chomeini gegen den Schriftsteller Salman Rushdie vor 20 Jahren, am 14. Februar 1989 – das war, wie man heute sieht, der Anfang vom Ende des Kulturrelativismus. Er zeigte sich darin, dass nicht wenige Zeitgenossen damals die Ansicht äußerten, die Glaubensgewissheiten orthodoxer Muslime und die Menschenrechtsvorstellungen der westlichen Welt seien gleichrangig und die Kunstfreiheit müsse angesichts der religiösen Empfindlichkeiten einer anderen Kultur zurückstehen. Man schlug vor, Rushdie solle die weitere Verbreitung des Romans unterbinden, zumindest die anstößigen Passagen streichen. Natürlich ist der Kulturrelativismus nicht ausgestorben, so wie ja auch der Kommunismus noch immer seine Anhänger hat. Doch sieht man heute deutlicher, dass dieser Relativismus einer Selbstpreisgabe gleichkommt. Die Menschenrechte gelten ganz und gar – oder eben nicht. Wer die Folter ein bisschen erlaubt, der erlaubt sie ganz, und wo die Meinungsfreiheit je nach politischer Opportunität ein bisschen eingeschränkt wird, da existiert sie prinzipiell nicht. Es kommt hinzu, dass die Kunstfreiheit gerade deshalb geschützt werden muss, weil sie dem unwissenden Verständnis nicht immer spontan einleuchtet. Was in einem Roman gesagt wird, gewinnt seinen oft vieldeutigen Sinn wesentlich aus der ästhetischen Form und im fiktiven Raum des künstlerischen Gebildes. Das versteht sich nicht von selbst und führt immer wieder zu Konflikten, auch in der christlichen Welt. Ein halbes Jahr vor der Fatwa gegen Rushdie erregte Martin Scorseses Film Die letzte Versuchung Christi den Zorn christlicher Fundamentalisten, sie zündeten ein Pariser Kino an. Aber einen Mordaufruf hat es erstmals im Fall Rushdie gegeben, und er blieb nicht ohne Folgen. Nicht nur, dass sich der Autor fortan verstecken musste wie ein Verbrecher. Es gab Bombenanschläge auf Buchhandlungen, der italienische Übersetzer wurde schwer verletzt, der japanische umgebracht. In Deutschland drängte der Fall der Mauer im Herbst 89 das Thema rasch in den Hintergrund. Auch die internationale Öffentlichkeit wendete sich von Rushdie mehr und mehr ab, und zuweilen hatte es den Anschein, als habe er sich sein bedauernswertes Los letzten Endes selber zuzuschreiben. Erst der Anschlag vom 11. September 2001 machte aller Welt klar, dass der Bequemlichkeitsfriede der Multikulturalisten nichts als ein frommer Wunsch war. Nun war Wirklichkeit geworden, was die Satanischen Verse vorausgeahnt hatten, der Konflikt gegensätzlicher Kulturen. Er ist, recht verstanden, kein Krieg, sondern eine geistige Auseinandersetzung. Man kann sie nur führen, wenn man sich seines Herkommens und seiner unveräußerlichen Überzeugungen sicher ist. Salman Rushdies Fall hat dies dramatisch klargemacht. ULRICH GREINER
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12. Februar 2009 DIE ZEIT Nr. 8
Interpretation als Arbeit
BUCH IM GESPRÄCH
Der Germanist Gerhard Kaiser zeigt mit seiner »Spätlese«, was die Wissenschaft von der Literatur bedeutet VON RÜDIGER CAMPE
Deborah Nelsons Appell, sich der Wahrheit über den Vietnamkrieg zu stellen
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Es will einfach kein Ende nehmen. Allein in den letzten beiden Jahren ist in den USA wieder ein gutes Dutzend Bücher über den Vietnamkrieg erschienen. Meistens von Akademikern für Akademiker geschrieben, finden sie in der Regel kaum öffentliche Resonanz. Nicht so hingegen im Falle von Deborah Nelson. Die renommierte Journalistin, 1997 mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet, sorgte bereits im Sommer 2006 für Aufsehen, als sie in der Los Angeles Times amerikanische Kriegsverbrechen in Vietnam thematisierte und nach Parallelen zum Geschehen im Irak fragte. Darum geht es auch in ihrem neuen Buch. Ehemalige GIs und Offiziere wurden gebeten, zu Akten aus Armeebeständen der frühen 1970er Jahre Stellung zu nehmen – in der Hoffnung, mit glaubwürdigen Geschichten Politik machen und die Glaubwürdigkeit der damaligen wie heutigen Kriegsopposition unterstreichen zu können. Man darf gespannt sein, wie sich die Debatte um die Kernthese des Buches entwickeln wird. Dass Kriegsverbrechen in Vietnam nicht als Übergriffe von Einzeltätern zu werten sind, sondern dass ausnahmslos alle Kampfeinheiten in der einen oder anderen Weise Schuld auf sich geladen haben, mag für europäische Leser keine Neuigkeit mehr sein. In den USA jedoch trifft diese nicht zu bestreitende Einsicht noch immer auf heftige, wenn nicht hysterische Abwehr – auch jenseits der üblicherweise verdächtigen Veteranenorganisationen. Deborah Nelson zieht alle dramaturgischen Register einer gewieften Journalistin, um diese Verstocktheit zu perforieren. Seitenweise lässt sie Zeugen mit Aussagen aus den späten 1960er Jahren zu Wort kommen, zitiert – bisweilen über die Maßen ausführlich
gehen deutend schafft. Gottfried Keller, dem Kaiser das Konzept des erdichteten Lebens abgelesen hat, kehrt wieder in einer neuen Deutung des Sinngedichts. Dieses Mal geht es um Leben-Dichtung in der naturwissenschaftlichen Kultur, der Kellers Held angehört. An den Gegenbeispielen Heine und George schließlich erprobt Kaiser, was in sei-
Foto: privat
it seiner Spätlese hat der Freiburger Germanist Gerhard Kaiser nun sichtbar gemacht, was seine Forschung und Lehre bestimmt: Die »Arbeit der Interpretation«, so lautet die beiläufige, aber das Wesentliche benennende Formel. Zu Recht fühlt man sich an die »Kunst der Interpretation« erinnert, die das literaturwissenschaftliche Geschäft der Nachkriegszeit bestimmte, bevor Methoden- und Grundlagendiskussion das Feld beherrschten. Aber Kaiser, der seit den sechziger Jahren einer der Virtuosen dieser Kunst ist, fehlt das Gefällige und Selbstverständliche, das bei den alten Größen von Emil Staiger bis Wolfgang Kayser heute oft so veraltet wirkt. Wiederlesen und Interpretieren der Texte sind bei dem heute achtzigjährigen Kaiser immer eine Arbeit gewesen. Die Wissenschaft von der Literatur zeigt entgegen aller Wahrscheinlichkeit, dass es Sinn und Bedeutung für Menschen gibt. Bei aller Eleganz seiner Interpretationskunst ist Kaisers Prosa immer argumentativer, konstruktiver und härter als die der »Kunst der Interpretation« gewesen. Sie war wohl selbst schon Teil der großen Infragestellungen seit den sechziger Jahren, die dann auch sein eigenes Werk an den Rand gerückt haben. Das ist heute leichter zu erkennen, da der Lärm des Kampfes verklungen ist. Klar wird aber nun, dass die »Arbeit der Interpretation« einem eigenwilligen Säkularisationsdenken folgt: Verstehen bedeutet bei Kaiser eine Form des Lebens im Säkulum. Die Spätlese versammelt viele große Themen Kaisers. Sie beginnt mit Religionsgeschichte und ruft damit die frühen Arbeiten über den Einfluss des Pietismus auf den deutschen Patriotismus sowie das Klopstock-Buch in Erinnerung. Im Mittelpunkt der literarischen Arbeiten stehen Goethe und die Idyllik. In Kaisers Sicht auf den HelenaAkt des Faust geht es um die anthropologische Figur »Wandrer und Idylle«, derzufolge das vagierende (männliche) Subjekt den Ort der Natur (an dem vorzüglich Frauen beheimatet sind) im Vorüber-
GERHARD KAISER: Literatur ist ihm Verheißung
ner Geschichte der deutschen Lyrik die Idee der Erlebnisdichtung meinte: Lyrik, die ein Erleben nicht aufzeichnet, sondern es möglich macht und es in vielen Fällen ist. Diese und andere Autoren und Werke bilden das Panorama, an dem das Verstehen arbeitet. Liest man die Aufsätze in der gewünschten Weise hintereinander, dann entsteht ein merkwürdiger Bilderbogen. Es ist, als hätten die Dramen, Gedichte und Romane ihren Platz in einem irgendwie zusammenhängenden Kosmos von Geschichten – Geschichten des Sinns für Menschen. Mit Literaturund Geistesgeschichte hat das nur der besseren Orientierung halber zu tun. Eher geht es um Situationen und Szenen der Bedeutung, um Typen des
Hört endlich zu!
Verstehbaren. Gewiss: Eine Theorie dazu gibt es nicht, kein Geschichts- noch eigentlich ein Menschenbild. Aber es gibt den Bezug auf die Bedingung eines solchen Kosmos der Geschichten: die These der Säkularisation. Säkularisation bedeutet für Kaiser nicht, Formeln von religiösen auf nichtreligiöse Instanzen zu übertragen. Die Studie über das Motto Die Wahrheit wird euch frei machen am Freiburger Kollegiengebäude – ein verstümmeltes Johannes-Wort – ist voll des Spotts über eine solche »Kultur der Zitate«. Darum weiß Kaiser auch nichts mit politischer Theologie anzufangen und ist ohne Interesse für Schmitt und Blumenberg. Wenn in der Dichtung christliche Formeln und Anspielungen auftauchen, dann hat das für Kaiser eher Hinweischarakter. Nicht theologische Sätze werden auf Literatur verschoben, sondern Dichtung nimmt wahr, was sie eigentlich schon in der christlichen Botschaft tut. Der biblische Text bietet nämlich, wie Kaiser in der einleitenden Hiob-Deutung argumentiert, nicht Theologie, sondern einen Kosmos von Geschichten über Gott und die Welt. Das aber ist der religiöse Sinn der Verkündigung: Nur in Geschichten mit ihren Kontingenzen und Eigentümlichkeiten gibt es Verheißung. Literatur in den Zeiten der Säkularisation bezieht sich durch Anspielungen, Bildund vor allem Erzählmotive auf diese religiöse Dimension von Geschichten, die Form der Singularitäten. Ihr gelten die Arbeit des Interpreten und sein Leben. Gerhard Kaiser: Spätlese Beiträge zur Theologie, Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte; Francke Verlag, Tübingen 2008; 501 S., 49,– € Gerhard Kaiser: Väter und Brüder Weltordnung und gesellschaftlich-politische Ordnung in Schillers Werk; Verlag der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, bei S. Hirzel, Leipzig 2008; 52 S., 18,– €
– aus zeitnahen Berichten militärischer Strafermittler oder interviewt Überlebende von Massakern in Vietnam. Eine fehlende historische Analyse dieses Materials zu bemängeln wäre zwar in der Sache berechtigt, aber gleichwohl ein allzu billiger Einwand. Denn die Autorin schreibt nicht aus der Warte einer Historikerin. Sie wollte einen eindringlichen, geradezu inständigen Appell zu Papier bringen: Hört endlich zu! Lasst die Geschichte an euch heran! In diesem Sinne hat Nelson ein Meisterstück vorgelegt. Gleichwohl hinterlässt das Buch einen schalen Nachgeschmack. Und zwar wegen der – zurückhaltend formuliert – hemdsärmeligen Art im Umgang mit Zeitzeugen. Nelson und ihr Mitarbeiter, Nick Turse, verwechseln über weite Strecken Oral History mit staatsanwaltschaftlichen Verhörpraktiken, tauchen mitunter unangemeldet bei mutmaßlichen Tätern auf oder fordern telefonisch Stellungnahmen zu Akten ein, von deren Existenz die Befragten keine Ahnung haben. Wer die Literatur über posttraumatische Stresssymptome ernst nimmt, weiß um die möglichen Folgen der unerwarteten Konfrontation mit einer gewaltgetränkten Vergangenheit: Flashbacks, Depressionen, schlimmstenfalls Suizidgefährdung. Wie es scheint, hat sich die Autorin über diese Einsichten im Zuge ihrer Recherchen hinweggesetzt. Unabhängig davon, dass die in jüngster Zeit geführten Interviews nichts wesentlich Neues abwarfen, muss sich Deborah Nelson fragen lassen, ob der Zweck eines investigativen Journalismus tatsächlich derartige Mittel billigt. BERND GREINER Deborah Nelson: The War Behind Me Vietnam Veterans Confront the Truth About U. S. War Crimes; Basic Books, New York 2008; 296 S., 22,99 €
Wir kommen aus Athen Fortsetzung von Seite 49 entstehenden Polis-Welt die Freiheit entfaltete. Die Polis war ein Personenverband, in Meiers Worten eine Grundeigentümergemeinde, die durch ihre erwachsenen männlichen Bürger verwaltet und gelenkt wurde. Ausgeschlossen waren und blieben Frauen, Unfreie und Ausländer. Ein Kreis von freien Grundeigentümern gab seinem »Stadtstaat« Gesetze, entwickelte eigene Institutionen wie die Volksversammlung, den Rat und die Ämter, organisierte das Heerwesen und achtete auf politische Unabhängigkeit. Alle freien Bewohner der Polis verehrten dieselben Götter, sprachen denselben Dialekt, feierten gemeinsam große Feste, trafen sich regelmäßig im Zentrum des kommunalen Lebens, der Agora, und gaben die Erinnerung an die Geschichte ihres Gemeinwesens von Generation zu Generation weiter. Das zerklüftete Griechenland war übersät von einer Vielzahl solcher Stadtstaaten. Häufig lebten nur ein paar Hundert Bürger auf einer Fläche von 50 bis 100 Quadratkilometern zusammen. Bei der Ausbildung stadtstaatlicher Strukturen, die die politische Teilhabe größerer Bevölkerungsteile ermöglichten, spielten die Adligen eine zentrale Rolle. Sie begründeten ihre herausgehobene Stellung nicht durch Abstammung und Herkunft, sondern durch Leistungen – für die Polis, im sportlichen Wettkampf und auf dem Schlachtfeld. Die neu geschaffenen Einrichtungen erzeugten ein Gemeinschaftsgefühl, das durch eine neue Art der Kriegführung, die gemeinsame Formation von schwer bewaffneten Kämpfern (die sogenannte Hoplitenphalanx), gefestigt und durch kultische und zivile Handlungen gestärkt wurde. Aber eine extreme Steigerung adliger Machtentfaltung gefährdete nicht nur den Zusammenhalt, sondern brachte im 7. und 6. Jahrhundert vor Christus in zahlreichen Poleis Tyrannen an die Herrschaft; diese Entwicklung hatte indes zur Folge, dass institutionelle Vorkehrungen getroffen wurden, um die Macht der Adligen künftig zu beschneiden und die politische Partizipation einer größeren Zahl von Freien zu ermöglichen. Meier beendet seine Darstellung deshalb mit der Betrachtung Athens am Ende des 6. Jahrhunderts vor Christus. Dort errichtete Kleisthenes eine auf dem Prinzip der Gleichheit beruhende Verfassung (»Isonomie«), die die Adelsrivalitäten überwand und die gesamte Bürgerschaft an der Polis teilhaben ließ. Die Freiheit hatte triumphiert. Das »demokratische« Athen bestand die Bewährungsprobe der Perserkriege und stieg im Laufe des 5. Jahrhunderts zur griechischen Hegemonialmacht auf. Meier stellt seine Rekonstruktion in die Tradition der großen Deutungsversuche der griechischen Geschichte. Nietzsche, Burckhardt,
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Max Weber sind ständige Begleiter. Große Geschichtsschreibung wird geboten. Es ist daher kleinlich, über Einzelheiten zu rechten. Ist Sparta wirklich ein Sonderfall der archaischen Zeit? Wird das Perserreich nicht allzu kursorisch behandelt? Obsiegt nicht die athenische Perspektive? Man muss fast 50 Jahre zurückgehen, um eine intellektuell vergleichbare Darstellung in deutscher Sprache zu finden. 1962 veröffentlichte Alfred Heuß seine Griechische Geschichte in der Propyläen-Weltgeschichte. Wie Meier begnügte auch er sich nicht damit, von anderen erzielte Ergebnisse zu reproduzieren, sondern stiftete historische Zusammenhänge. Heuß arbeitete auf der Grundlage der literarischen Überlieferung die für ihn maßgeblichen Konturen der antiken Geschichte heraus. Meier folgt ihm darin, und auch er lässt seine Geschichte erst nach dem Untergang des mykenischen GriechenChristian Meier: lands um 1200 vor Kultur um der Christus beginnen. »Von Freiheit willen der mykenischen führte Griechische kein Weg zur PoliskulAnfänge – Anfang tur«, dekretiert Meier. Europas?; Siedler, München 2009; Heuß hätte ohne Zögern 368 S., 22,95 € zugestimmt. Aber die Unterschiede sind sprechender: Im Gegensatz zu Heuß betont Meier die orientalischen Einflüsse auf die Geschichte des frühen Hellas; während sich Heuß auf Politik- und Verfassungsgeschichte konzentriert, schreibt Meier eine Kulturgeschichte des Politischen. Glänzend sind seine Kapitel zu Homer und Hesiod, zur archaischen Lyrik, zu den Anfängen von Philosophie und Wissenschaft. Doch mit Heuß weiß sich Meier darin einig, dass die historische Synthese die zentrale Herausforderung des Historikers ist, der er sich stellen muss. Deshalb bleibt zum Schluss die Frage, ob dieses Buch eine Fortsetzung findet. Was Meier vorgelegt hat, ist der Anfang des ersten Bandes der Siedlerschen Geschichte Europas, der die Alte Welt darstellen soll. Der knappe Ausblick auf das 5. Jahrhundert vor Christus ist hoffentlich nicht als Abgesang auf das Unternehmen gedacht. Denn die nächsten Kapitel sind nicht minder spannend. Wenn das Proprium der griechischen Geschichte die Entstehung einer Kultur um der Freiheit willen ist, so ist zu untersuchen, wie diese Kultur in den nachfolgenden Epochen wirkte. Welchen Einfluss hatten die Griechen auf diejenigen Mächte, die ebendas zustande brachten, was sie nicht vermochten: nämlich Reiche zu bilden? Integriert das Konzept der Freiheit die Geschichte der Alten Welt? Oder treten in der Darstellung des Hellenismus, der römischen Republik, des Prinzipats und der Spätantike andere Themen in den Vordergrund? Was machte das frühe Christentum, das jüdische und griechische Traditionen amalgamierte, aus der Freiheit des Erdenbürgers? Wir warten gespannt darauf, dass Christian Meier uns Antworten auf diese Fragen gibt.
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Ich bin ein Schwein Er hasste es, Literaturpreise anzunehmen, und tat es doch. Thomas Bernhards wunderbar giftige Suada »Meine Preise« aus dem Nachlass VON ADAM SOBOCZYNSKI
»Der Minister stand vor mir und bedrohte mich« Vom Grillparzerpreis geht es zum Literaturpreis der Freien und Hansestadt Bremen, es funkeln abermals die Orden und Bürgermeisterketten, und es dauert Bernhard arg lange, bis endlich der Scheck überreicht wird. Der Julius-Campe-Preis hingegen: ein Segen. Keine Preiszeremonie, im Verlagshaus von Hoffmann und Campe gibt der Verlagsleiter dem Dichter formlos den entsprechenden Umschlag. Die einzige angemessene Form, einen Preis zu erhalten ohne Demütigung, denkt Bernhard, und kauft sich ein englisches, weiß lackiertes Auto mit roten Ledersitzen, das wenige Tage später in Jugoslawien zu Schrott gefahren wird. In der Mitte das Herzstück des Bandes: die Verleihung des Österreichischen Staatspreises für Literatur! Eingeleitet wird er von einer Tirade darüber, weshalb es denn der Kleine Staatspreis ist, den man ihm verleiht, und nicht der Große Staatspreis. Weshalb ihm der Kleine Staatspreis verliehen wird, der doch nur Nachwuchsschriftstellern verliehen werde! Weshalb man ihn mit
dem Kleinen Staatspreis so niederträchtig demütigen wolle und so weiter. Bei der Preisverleihung selbst kommt es zu einem Eklat. Bernhard sagt in seiner Preisrede, die kurz und recht dunkel ausfällt, der Staat sei ein Gebilde, das fortwährend zum Scheitern verurteilt sei. »Ich war mit meinem Text noch nicht zuende gekommen, da war der Minister mit hochrotem Gesicht aufgesprungen und auf mich zugerannt und hatte mir irgendein mir unverständliches Schimpfwort an den Kopf geworfen. In höchster Erregung stand er vor mir und bedrohte mich, ja, er ging mit vor Wut erhobener Hand auf mich zu.«
»Ich nehme das Geld, weil man dem Staat jedes Geld abnehmen solle« Nein, nein, ein Opfer ist Bernhard nicht, das weiß er: »Ich bin geldgierig, ich bin charakterlos, ich bin selbst ein Schwein.« Er nehme das Geld, sonst würden es nur talentlose Dummköpfe erhalten, zudem: »Ich nehme das Geld, weil man dem Staat, der jährlich … Milliarden völlig sinnlos zum Fenster hinauswirft, jedes Geld abnehmen solle.« Auch lässt sich damit natürlich was machen, ein Anwesen im oberösterreichischen Ohlsdorf kaufen etwa, das sich Bernhard, der aus einfachsten Verhältnissen stammt, nach und nach zur musealen Residenz eines Landedelmanns umbauen lässt. Bernhard veranstaltet in Meine Preise, wie in zahlreichen seiner Werke, ein überaus kurzweiliges Einfühlungsdrama. Wie man einst ins Theater ging, um mitzufühlen, um mitzuleiden, um damit der beste aller möglichen Menschen zu sein (Lessing), so ist einer der Schlechtesten, wer Bernhard liest. Es ist befreiend, die Welt um einen herum als hässliche Verschwörung zu begreifen, befreiend überall nur Dummheit zu wittern. Bernhard zu lesen heißt, sich zu reinigen vom Prozess der Zivilisation, in dem beharrlich Fremdzwänge in Selbstdisziplin umgewandelt werden. Bernhards Erzählern mangelt es zuverlässig an einer »psychischen Selbstzwangapparatur« (Norbert Elias), die den Alltag der Moderne eines jeden für gewöhnlich durchformt. Bernhard bündelt, was den Büchern ihre ungebrochene Popularität verleiht, eine kollektive Thomas Bernhard: Unzufriedenheit an NorMeine Preise mierung und AffektEine Bilanz; dämpfung. Weshalb es, Erstausgabe aus da die Skandale von gesdem Nachlaß tern sind, auch gleichgülSuhrkamp Verlag Frankfurt/M. 2009; tig ist, worüber nun ge139 S., 15,80 € nau sich in Bernhards Büchern aufgeregt wird. Die Sujets sind beinahe nebensächlich, sie sind Anlässe, nicht Anliegen. Arg schulmeisterlich wäre es ohnedies, Meine Preise ausschließlich in moralischer Hinsicht zu betrachten, als handele es sich um einen Debattenbeitrag über zeremonielle Gepflogenheiten von Dichterehrungen. »Ich bin geldgierig, ich bin charakterlos, ich bin selbst ein Schwein« – in Bernhards Werken ist fast immer ein winziger Moment eingeschrieben, der den Hassenden zum Selbsthasser werden lässt, der die Selbstgerechtigkeit für eine Flattersekunde irritiert – bis hin zu einem unerwarteten Einverständnis mit seiner Umgebung. So, wie es beim Besuch der Auersbergers und ihrem Milieu schließlich heißt, dass »diese Menschen meine Menschen sind und immer meine Menschen sein werden«. Bernhard, aufgewachsen in heillos zerrütteten Familienverhältnissen, sah sich bereits als Jugendlicher aufgrund seines Lungenleidens mit dem Tod konfrontiert und wiederkehrender Isolation in Sanatorien. Er schuf sich eine Literatur der Rache, die keine Gegner suchte, sondern Feinde. Sein größter war er selbst. Und wenn es doch eine beinahe zärtliche Szene in Meine Preise gibt, so nur, um sie sogleich ins Höhnische zu wenden. Während der »Preisverleihung der Bundeswirtschaftskammer« lernt er den Präsidenten der Salzburger Handelskammer, einen gewissen Haidenthaller, kennen, der (so erfährt es Bernhard nebenher durch seinen Salzburger Verleger), an Krebs erkrankt ist und nur noch zwei Wochen zu leben hat. Damit gewinnt die Unterhaltung »naturgemäß eine neue Dimension. Jetzt war ich noch viel behutsamer mit dem vornehmen Herren«. In den Tagen nach der Preisverleihung durchsucht Bernhard die Zeitungen nach Todesanzeigen. Zunächst enttäuscht: »Schon waren vierzehn Tage vergangen und der Name Haidenthaller war nicht abgedruckt … Aber am fünfzehnten oder sechzehnten Tag stand der Name Haidenthaller schwarz umrandet und groß in der Zeitung. Mein Verleger hatte sich nur um ein oder zwei Tage geirrt.« Dass Meine Preise, wohl um 1980 verfasst, eine veritable Entdeckung ist, lässt sich indes bestreiten. Bereits in Wittgensteins Neffe räsoniert Bernhard beinahe wortgleich über die Verleihung des Österreichischen Staatspreises und des Grillparzerpreises, allerdings mit einigen entlarvenden Unterschieden hinsichtlich des Personals und der Umstände. Die Ausbeutung realer Begebenheiten machte Bernhards Werke, sobald sie auf dem Markt waren, häufig zum giftigen Ereignis. Sie heute zu lesen nimmt ihnen seltsamerweise kaum Wucht. So, wie wir den Hessischen Landboten noch immer mit Gewinn lesen, obgleich kein Bauer hierzulande mehr hungert, und den Woyzeck, obgleich der militärische Drill demokratisch überwölbt ist. Bernhards Literatur hat die Ereignisse, aus denen sie sich speiste, überlebt.
Nr. 8
DIE ZEIT
Foto (Ausschnitt): Michael Horowitz/Anzenberger
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homas Bernhards Literatur setzt sich aus Schmähungen, Hohn und Klagen zusammen. Aus Wiederholungen von Schmähungen, Hohn und Klagen, um genau zu sein. Es ist ein fortwährendes Sichhineinsteigern in Schmähungen, Hohn und Klagen, was diese Literatur ausmacht, dachte ich, als ich Thomas Bernhard las, der vor zwanzig Jahren an einer tückischen Lungenkrankheit starb. Ich nahm, im Zimmer auf und ab gehend, mal jenes, mal dieses Bernhardsche Buch in die Hand, Holzfällen unter anderem, diesen Roman, der von der Einladung eines Ehepaars, den Auersbergers, zu einem »künstlerischen Abendessen« handelt, die der Eingeladene zu seiner baldigen Reue annimmt und dann vom Ohrenbackensessel aus die Gastgeber mit unverhohlenem Hass beobachtet, sich ekelt über die Scheußlichkeit der Beine des Auersbergers und dessen Versoffenheit. Schließlich nahm ich Meine Preise in die Hand, das Buch, das ich zu rezensieren hatte und das von Bernhards Literaturpreisen handelt, genauer gesagt, von den Literaturpreisen, die Bernhard angenommen hat, denn Bernhard hat nicht alle Preise angenommen. Er hasste ja die Preisverleihungen, die Preisverleihungen, die für ihn veranstaltet wurden, waren ihm immer abstoßend und widerwärtig gewesen und die Preisverleiher, sogenannte Würdenträger, Bürgermeister und Staatssekretäre, erst recht abstoßend und widerwärtig, und doch ließ Bernhard sich immer wieder auszeichnen … So in etwa funktioniert, vom Frühwerk und von einigen Miniaturen abgesehen, die Bernhardsche Prosa auf Tausenden von Seiten; auf Tausenden von Seiten Grillen, in die der Ich-Erzähler (zumeist ein Schriftsteller, der dem Autor recht vulgär ähnelt) sich verliert. Auf Tausenden von Seiten Protagonisten, die (»naturgemäß« würde Bernhard hinzufügen) abscheulich sind: von der fetten Deutschen im Wiener Kaffeehaus, die sich im Ohr pult, über Ärzte, die notorisch zu Kunstfehlern neigen, bis hin zum Österreicher an sich, der gar nicht anders kann, als der Ekelhafteste zu sein und der Kleingeistigste und Provinziellste des Menschengeschlechts. Es ist nicht allzu schwierig, Bernhards Stil zu imitieren, und es ist auch nicht diese ewige Suada, nicht die maßlosen Übertreibungen und manischen Wiederholungen in Bernhards Werken, die regelmäßig österreichische Skandale und Prozesse herbeiführten. Sie speisten sich zumeist aus dem Umstand, dass Bernhards Protagonisten reale Vorbilder hatten. Jedem, der in Bernhards Umgebung lebte, war klar, dass die Auersbergers eigentlich Lampersberger hießen, die in Wien tatsächlich »künstlerische Abendessen« veranstalteten, an denen Bernhard teilnahm. Kaum ein Schriftsteller jüngerer Zeit, von Maxim Biller abgesehen, vermengt Dichtung und Wahrheit so schamlos, wie es Bernhard tat, und es wäre naiv, dieses Verfahren mit Hinweis auf die Freiheit der Kunst als Bagatelle abzutun. Die Durchlässigkeit von Realem und Fiktion war der herrische und brutale Kern dieser Prosa, die hinter dem Schutzwall eines Kunstdogmas wütete: der Autonomieästhetik, die in den siebziger Jahren dank Adorno eine Wiederkehr erlebte und derlei zu entschuldigen schien. Nun kann sich ohnehin niemand mehr wehren gegen Meine Preise, den schmalen Band, der aus dem Nachlass erschien. Die darin enthaltenen Schmähungen gelten zumeist längst Verstorbenen. Sie bereiten dessen ungeachtet eine perfide Freude. Verhandelt wird die immergleiche Grundsituation: Bernhard möchte einen Preis unter keinen Umständen annehmen, möchte aber das Geld, nimmt ihn also doch an. Und sitzt dann in der ersten Reihe, etwa während der Grillparzerpreisverleihung; er hört sich geduldig sehr lange Reden über Grillparzer mit seiner sogenannten Tante an, Bernhards mütterlicher Wegbegleiterin Hedwig Stavianicek, während die Frau Minister Firnberg längst eingeschlafen ist, was niemandem entgangen ist, »denn die Ministerin schnarchte, wenn auch sehr leise, sie schnarchte, sie schnarchte das leise Ministerschnarchen, das weltbekannt ist«.
THOMAS BERNHARD, der vor 20 Jahren starb, vor seinem Anwesen im oberösterreichischen Ohlsdorf im Jahre 1976
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DIE ZEIT
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LITERATUR
12. Februar 2009 DIE ZEIT Nr. 8
Engel und Teufel Ein neuer schaurig-schĂśner Barcelona-Roman des Bestsellerautors Carlos Ruiz ZafĂłn
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Foto: Frederika Davis
Der letzte TragĂśde Nie wieder hat ein Tänzer mit solch dramatischen Posen solch reines EntzĂźcken ausgelĂśst wie der junge Nurejew. Die unverschämte Grandezza, mit der er seinen KĂśrper präsentierte. Die athletische Anmut, mit der er die Arme nach den Primaballerinen ausstreckte. Der mĂźhsam gezĂźgelte Schwung, wenn er nach einer Endlospirouette zum Stehen kam. DafĂźr haben ihn Publikum und Kritiker gleichermaĂ&#x;en bewundert. Es waren die wilden sechziger, siebziger Jahre, und man sollte meinen, dass ein Strumpfhosenheld aus dem alten Ballett neben den neuen Helden des Pop peinlich wirkte. Doch
Handlung sich dann noch als Lobgesang auf die Magie der BĂźcher und die Macht der Fantasie entpuppt, genieĂ&#x;t man umso entspannter. Denn trotz aller medialen Revolutionen gilt ja nach wie vor: Wer das Buch ehrt, ist unserer Hochachtung wert, und selbst die trivialste LektĂźre verdient Respekt, weil sie den Zugang zum veredelnden Kosmos der literarischen Fiktion erĂśffnen kann. Deshalb muss ZafĂłns Held David MartĂn auch Schriftsteller sein, obwohl er in filmreifen ActionSzenen seinen Mann steht. BĂźcher erhellen seine dĂźstere, mutterlose Kindheit im Barcelona des frĂźhen 20. Jahrhunderts, und sie werden umso mehr zum Objekt der Begierde, als sein trunksĂźchtiger, vom Leben enttäuschter Vater ihm das Lesen gewaltsam auszutreiben versucht. Dickens’ GroĂ&#x;e Erwartungen prägen die Weltsicht des Heranwachsenden, und beim alten Buchhändler Sempere findet er Zuflucht und Geborgenheit. Doch steinig ist der Weg zu den Weihen der Literatur. Er fĂźhrt Ăźber die heruntergekommene Zeitung ÂťStimme der IndustrieÂŤ, wo Davids Schreibtalent, von dem dandyhaften Starjournalisten Pedro Vidal entdeckt und gefĂśrdert, sich zunächst in dem operettenhaften Fortsetzungsroman ÂťDie Geheimnisse von BarcelonaÂŤ austobt. Danach wird er als Autor einer Groschenroman-Reihe unter dem Titel ÂťDie Stadt der VerdammtenÂŤ von zwei schlitzohrigen Verlegern ausgebeutet, kann sich nun aber immerhin in einer verlassenen Villa einmieten, die anmutet wie der Prototyp aller Geisterhäuser des GothicNovel-Genres. NatĂźrlich birgt das Anwesen ein dunkles Geheimnis. Und Barcelona, die heute so helle und freundliche Metropole Kataloniens, ist ein sinistres, nebelverhangenes Gassenlabyrinth zwischen Fabrikschloten, Grabmonumenten und den bizarren Bauten Antoni GaudĂs. Vor dieser Kulisse entfaltet sich die Mischung aus Bildungsroman, Thriller und Gespenstergeschichte in halsbrecherischem Tempo. David MartĂn wird von seinem
er ÂťFriedhof der vergessenen BĂźcherÂŤ ist ein verborgenes, weitläufiges Labyrinth, das eine Bibliothek voll jahrhundertealter Raritäten, Geheimnisse und Wunder beherbergt. Aber nur in den Romanen des spanischen Bestsellerautors Carlos Ruiz ZafĂłn. Als Berufsleser stellt man sich darunter eher ein Ăśdes Gräberfeld vor, auf dem das Gros der bedrohlich angeschwollenen Buchproduktion unserer Tage schon bald nach dem Erscheinen die letzte Ruhe findet. ZafĂłns SchmĂśker allerdings dĂźrften diesem Schicksal fĂźr eine ganze Weile entgehen, befolgen sie doch auf hĂśchst effiziente Weise den Rat, den Charles Dickens als Faustregel fĂźr das Schriftstellerhandwerk formuliert hat: ÂťMake ’em laugh, make ’em cry, keep ’em wanting more.ÂŤ Ob das abgebrĂźhte Publikum von heute Ăźber BĂźchern noch Tränen vergieĂ&#x;t, steht dahin, aber wer mĂźsste nicht lachen, wenn der Erzähler bei einer unsympathischen Figur ein Lächeln beobachtet, Âťmit dem ich mich hätte rasieren kĂśnnenÂŤ? ZafĂłns Dialoge sind oft amĂźsant, ja geistreich, und die parodistische Distanz des Autors zu seinen eigenen Erfindungen ist nicht zu Ăźbersehen. Vor allem jedoch treffen diese gehobenen Schauergeschichten einen Ton, der Millionen Leser in aller Welt nach mehr verlangen lässt. Dazu trägt entscheidend bei, dass der Verfasser, in Barcelona beheimatet, als Werbetexter geschult und in Los Angeles als Drehbuchautor gestählt, sich so virtuos wie schamlos aus der Trickkiste der Fesselung und Spannungserzeugung bedient. Musste er mit seinem ersten Mega-Erfolg Der Schatten des Windes noch das Image des Jugendbuchautors abschĂźtteln, nimmt er im NachschubOpus Das Spiel des Engels auf Jugendfreiheit jedenfalls keine RĂźcksicht mehr: In den wild beschleunigten Schlusskapiteln geht es Ăźberdosiert blutrĂźnstig zu. Aber man braucht nicht im Qualitätssegment von Dickens zu arbeiten, um aus dessen Erfahrungen Kapital zu schlagen. Es genĂźgt, ihn zum Schutzheiligen zu erklären und mit weiteren hoch literarischen Anspielungen das Wohlwollen auch gebildeterer Leserschichten zu kĂśdern, die kaum etwas so sehr schätzen wie das GefĂźhl, sich auf vertretbarem Niveau hemmungslos zu unterhalten. Wenn die abenteuerlich konstruierte
nicht der Tatar Rudolf Chametowitsch Nurejew, geboren 1938 in Sibirien, geflohen 1961 aus dem sowjetischen Tanzzirkus ins freie Paris. Vielleicht weil er die Dramatik einer Kunstform mit der Dramatik einer Epoche zu verschmelzen verstand, wurde er so geliebt. TragÜde unter Ironikern, Romantiker unter Realisten, Russe im Westen. Nun feiert ein Fotoband noch einmal die kapriziÜse SchÜnheit dieses zu frßh verstorbenen Männer- und Frauenschwarms. EF Nurejew. Bilder eines Lebens Henschel Verlag, Berlin 2008; 184 S., 34,– ₏
VON KRISTINA MAIDT-ZINKE
ruhmsĂźchtigen Mentor als Ghostwriter angeheuert und dann schmählich hintergangen: Nicht nur verliert er seine groĂ&#x;e Liebe Cristina an Pedro Vidal, sondern er muss auch mitansehen, wie sein eigener, parallel verfertigter Roman durch eine Pressekampagne vernichtet wird. Demoralisiert und zu allem Ăœberfluss lebensbedrohlich erkrankt, geht er auf die Avancen eines mysteriĂśsen, märchenhaft groĂ&#x;zĂźgigen Pariser Verlegers ein, dessen blutrotes Briefsiegel ein FlĂźgelwesen zeigt: Es ist niemand anders als Luzifer, der aus Machtgier gefallene Engel, der von nun an in Gestalt des ÂťPatronsÂŤ sein Spiel mit dem frustrierten Jungschriftsteller treibt. Die uralte Geschichte vom Teufelspakt – sie lässt sich immer wieder neu erzählen. FĂźr Carlos Ruiz ZafĂłn beinhaltet sie die Lizenz zu ungelĂśsten Rätseln und haarsträuCarlos Ruiz ZafĂłn: benden UngereimtheiDas Spiel des Engels ten, die Teil seines fikRoman; aus dem tionalen Konzepts sind. Span. von Peter Am Ende steht die MĂśgSchwaar; Fischer lichkeit im Raum, der Verlag, Frankfurt ganze Kolportage-Zauber a. M. 2008; 711 S., 24,95 â‚Ź sei nichts als eine Kopfgeburt des schreibenden Protagonisten gewesen. Hier wird nicht nur die Anziehungskraft, sondern auch die Gefährlichkeit der Literatur mit allem Pathos beschworen, um ihre Bedeutung zu steigern und ihre Wirkungsmacht zu glorifizieren. ÂťNormale Menschen bringen Kinder zur Welt, unsereiner BĂźcherÂŤ, sinniert David MartĂn (und mit ihm sein Erfinder). ÂťWir Schriftsteller sind dazu verdammt, ihnen unser ganzes Leben zu widmen, obwohl sie es uns fast nie danken. Wir sind dazu verdammt, auf ihren Seiten zu sterben, ja manchmal ohnmächtig hinzunehmen, dass sie uns tatsächlich ums Leben bringen.ÂŤ In diesem Fall Ăźberlebt der Held, weil er vermutlich noch gebraucht wird, und im Epilog taucht dann sogar sein Vorgänger aus dem Schatten des Windes als kleiner Junge auf. Es mĂźsste mit dem Teufel zugehen, wenn die beiden sich in einem kĂźnftigen Roman nicht begegnen wĂźrden.
Der Tag, an dem Kim Larsen fßr immer verschwand Stewart O’Nans grandioser Generationenroman erzählt vom Amerikanischen Traum, vom Tod, vom Altern der Hunde und vom Aufbruch ins Nirgendwo VON ULRICH BARON
D
er Tag, an dem Kim Larsen auf dem Weg zur Arbeit verschwindet, fängt an wie einer jener Tage, die Amerikas Literatur und Film immer wieder beschwĂśren. Einer jener Sommertage, von dem die TĂśchter und SĂśhne des Landes seit Jahren geträumt haben. Ein Tag des Aufbruchs aus ihren provinziellen Heimatstädten, an dem sie ihre Eltern, Geschwister, Freunde, Nachbarn und Lehrer verlassen werden, um an die Colleges auszuschwärmen. Sie folgen dem groĂ&#x;en Amerikanischen Traum von Freiheit und ewiger Jugend – dem Traum, dass es mehr gibt als ein Leben in Kingsville am SĂźdufer des Eriesees, wo man nicht einmal begraben sein mĂśchte. FĂźr Kim ist dieser Traum schon im Juli 2005 ausgeträumt. Sie bleibt verschwunden, und ihr Auto scheint unauffindbar. Doch obwohl sich die schlimmsten BefĂźrchtungen nach Jahren bewahrheiten, ist dieser Roman kein Thriller, auch wenn der 1961 in Pittsburgh geborene Stewart O’Nan in der Danksagung Meister der Spannungsliteratur
wie Stephen King und Dennis Lehane zu seinen ÂťErstlesernÂŤ zählt. Es gibt keinen blutroten Faden und keinen Helden, der ihn bis zum Showdown verfolgt. Lange gibt es nicht einmal eine Spur. Zwar haben Kims Freunde nicht alles gesagt, zwar gab es da einen Drogendeal und eine Affäre mit einem zwielichtigen Golfkriegssoldaten, aber solche Hinweise laufen ins Leere. Und darum geht es in diesem auf subtile Weise grandiosen Generationenroman. Um Leere, Vanitas, um die feinen Risse, die sich zwischen Eltern und Kindern, Geschwistern und Freunden auftun, die manchmal zu offenen Konflikten aufbrechen, um sich in seltenen Momenten der Gemeinsamkeit fast wieder zu schlieĂ&#x;en. Es geht hier um das Leben selbst, das unaufhĂśrlich groĂ&#x;e Schwestern ihren kleinen entfremdet, MĂźtter und TĂśchter einander anschreien, Kinder erwachsen und Eltern alt werden lässt. Der Schock von Kims Verschwinden hat solche Risse aufbrechen lassen, und der manische Aktionismus, mit dem ihre Eltern die Suche in die eige-
ne Hand nehmen, vermag sie nicht zu kaschieren. Im Gegenteil: Während Kims Mutter Fran in ihrer medial multiplizierten Rolle als tapfer-besorgte Mutter aufblĂźht, reibt sich ihr Vater Ed in Suchexpeditionen auf, bei denen Dutzende von Helfern Flussufer durchkämmen und unzählige Plakate kleben. Kims jĂźngere Schwester Lindsay, das hässliche Entlein, leidet am stärksten und flĂźchtet sich in die Perfektionierung ihrer Talente. Wie Zahnspange und Brille wird sie eines Tages auch ihre Familie hinter sich lassen. Derweil nimmt die Suchkampagne groteske ZĂźge an und macht die verschwundene Kim bekannter, als sie sonst je geworden wäre. Anregungen hatte Fran aus dem Internet heruntergeladen, noch während ein ratloser Polizist in ihrem Wohnzimmer auf den Anruf eines EntfĂźhrers wartete, der niemals kam. Ăœberhaupt erscheint hier vieles wie eine banale Benutzeroberfläche, die nicht hält, was sie verspricht: die offiziellen Ermittlungen, Kims Arbeitsplatz am
Verkaufstresen der Conoco-Tankstelle, das Drive-in, wo sie mit Lindsay noch eine letzte Mahlzeit teilte, das Einkaufszentrum und die GroĂ&#x;veranstaltungen, bei denen zu Somewhere Over the Rainbow Ballons und TShirts mit ihrem Konterfei verkauft werden. Gegen diese Oberfläche stellt O’Nan kleine Szenen aus dem Leben einer tief verstĂśrten Familie, deren Wunden nun bloĂ&#x;liegen. Als Makler spĂźrte Ed schon die anwachsende Immobilienkrise, doch das Dahinschmelzen seiner RĂźcklagen war nicht seine eigentliche Sorge. Seine Mutter lebt in einem Pflegeheim. Bei einem seiner seltenen Besuche bietet sie ihm nun Geld fĂźr die Suche nach ihrer ältesten Enkelin an: ÂťDu und dein Bruder, ihr bekommt doch sowieso alles.ÂŤ Gerade mit diesen gut gemeinten Wor-
ten spricht sie aus, dass der Verlust Kims keine Ausnahme ist: ÂťEr versuchte sich eine Welt ohne sie und Kim vorzustellen. Das erschien ihm unmĂśglich.ÂŤ Ob gewaltsam oder ÂťnatĂźrlichÂŤ – der Stachel des Todes zielt hier auf die Stewart O’Nan: Ăœberlebenden. Das zeigt, Alle, alle lieben dich ganz am Rande, auch das Aus dem Englischen Altern des Familienhundes, von Thomas Gunkel; dessen Hundejahre die Rowohlt Verlag, Handlung bis 2008 im Reinbek 2009; Zeitraffer begleiten. 411 S., 19,90 â‚Ź Kaum anders ergeht es Ed in den Augen seiner Tochter Lindsay, die ihn mit der arglosen Unbarmherzigkeit ihrer Jugend mustert. Das Leben hat ihn mit etwas gezeichnet, dem sie noch zu entkommen hofft: ÂťSein Gesicht war gerĂśtet, weil er so oft mit dem Boot drauĂ&#x;en war. Es war ihm anzusehen, dass er aus Kingsville kam.ÂŤ
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LITERATUR
Kinder- und Jugendbuch
12. Februar 2009 DIE ZEIT Nr. 8
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Illustration [M]: Alexandra Junge
ELEFANT UND AMEISE sind traurig. Das ungelöste Meeresproblem hat sie auf die Palme getrieben. Da taucht ein resoluter Thunfisch auf
Die Jury von ZEIT und Radio Bremen stellt vor: Mirjam Presslers Roman »Nathan und seine Kinder« – frei nach Lessings großer Dichtung
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anuar 2009. Ein palästinensischer Arzt, der in der Derwisch Al-Hafi, die Schwester von Sultan Saeinem israelischen Krankenhaus arbeitet, erfährt ladin. Auch ein paar Figuren, die bei Lessing nicht zu vor laufenden Kameras, dass beim Bombardement finden sind, kommen zu Wort: der Waisenjunge Geseines Hauses im Gaza-Streifen drei seiner acht Kinder schem, der als Küchenhilfe in Nathans Haus arbeitet getötet wurden. Viele Israelis reagieren auf die Bilder oder Abu Hassan, ein fanatischer Hauptmann im mit Gleichgültigkeit, manche beschimpfen den trau- Dienst des Sultans. Sie alle erinnern sich an die draernden Vater sogar. 800 Jahre nach den Kreuzzügen: matischen Ereignisse in und um Nathans Haus im Fanatismus, wohin man blickt. Jerusalem des Jahres 1192. Dabei ist die Sprache der In solchen Zeiten eines der großen Werke der euro- Erzähler nicht modern, sie klingt vielmehr wie ein päischen Aufklärung ins Blickfeld zur rücken, Lessings Echo aus jener Zeit, ein bisschen altmodisch, aber sehr verständlich und an manchen Nathan der Weise, scheint fast so etwas Stellen überaus poetisch. wie ein Verzweiflungsakt der Vernunft. Der jüdische Kaufmann Nathan hat Das Wichtigste: Mirjam Presslers Prounsagbares Leid erfahren. Fanatisierte sa belebt unsere Vorstellung von StimChristen töteten seine Frau und seine mungen und Landschaften. So werden acht Kinder. Lessings Held jedoch übt wir Leser unversehens zu Augenzeugen keine Vergeltung. Entgegen allen Rader Geschichte. Manchmal glaubt man, chegelüsten vergibt der weise Mann man säße auf einem Hügel, im Schatund nimmt ein kleines, elternloses ten eines Feigenbaums, lehne sich an Christenmädchen in seinem Haus auf, den Stamm und blicke über das Gewuum es liebevoll zu erziehen. Zumindest wurde ausgewählt von Gabi Bauer, sel in den Gassen Jerusalems, über die Gerhard, Franz Lettner Stadt hinaus auf den nahen Horizont auf deutschen Bühnen ist dies der Stoff, Marion und Hilde Elisabeth Menzel. Am aus dem die Träume einer Versöhnung 12. Februar um 16.40 Uhr, stellt des Landes, das die Bewohner »heilig« von Islam, Christen- und Judentum Radio Bremen-Funkhaus Europa nennen. Immer sind wir den Menschen sind. Kein schöneres Gleichnis über das das Jugendbuch vor (Redaktion: nahe, ihren Verstrickungen, Ängsten Cerna). Das Gespräch friedliche Miteinander der Religionen Libuse und ihrer Sehnsucht nach einem friedzum Buch ist abrufbar im Interals die Ringparabel. lichen Zusammenleben. Am Ende von net unter www.radiobremen.de Es gab bisher nur ein kleines Re- oder /podcast/luchs Mirjam Presslers feinfühliger Nathanzeptionsproblem, gerade für junge Interpretation stehen nicht Lessings Leute. Die Figuren parlieren im Dra»allseitige Umarmungen«. Gleichwohl ma durchweg jambisch. Auch lesen viele Menschen ist der Roman (mit Zeittafel und Glossar) ein lebensungern Theaterstücke. Sie lesen aber gern Bücher, nahes Plädoyer für einen anderen Weg aus der Jahrtauwelche die Illusion wecken, der Erzähler säße direkt sendtragödie der Weltreligionen als den, von dem wir gegenüber. Genau das passiert in Mirjam Presslers tagtäglich in den Nachrichten hören. SIGGI SEUSS neuestem Roman, Nathan und seine Kinder. Die bekannte Autorin lässt die Beteiligten des Dramas un- Mirjam Pressler: Nathan und seine Kinder mittelbar lebendig werden. Nathans Tochter Recha Roman; Verlag Beltz & Gelberg, Weinheim 2009; erzählt, der junge Tempelritter, die Haushälterin Daja, 264 S., 16,95 € (ab 14 Jahren)
Luchs Nr.264
Die LUCHS-Jury empfiehlt außerdem M. Cottin/R. Faria: Das schwarze Buch der Farben Aus dem Spanischen von Helga Preugschat; Fischer Schatzinsel, Frankfurt 2008; 24 S., 16,90 € Wie riechen, schmecken Farben? Ein ganz besonderes (schwarzes!) Buch über Wahrnehmung (für alle) Ingrid Law: Schimmer Aus dem Englischen von Sylke Hachmeister; Carlsen, Hamburg 2008; 240 S., 12,90 €
Mibs fiebert dem 13. Geburtstag entgegen, denn dann bekommt sie ihren ganz persönlichen »Schimmer«. Spannend, mit fantastischen Elementen (ab 11 J.) S. Partsch/R. Zacher: Der Traum vom Fliegen Wie Leonardo & Co sich und anderen Flugapparate bauten. Bloomsbury, Berlin 2008; 67 S., 14,90 € Das Thema Fliegen von vielen Seiten klug beleuchtet, mit Tipps und Anregungen (ab 8 Jahren)
Der Elefant am Strand Eine kleine philosophische Geschichte zu großen Fragen – weltlustig illustriert von Alexandra Junge
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ie stehen am Strand und strecken und recken sich hin zum Meer, der Elefant und die Ameise. Stellen sich auf die Zehenspitzen, nichts, alles vergeblich – was sie suchen, das sehen sie nicht, das Ende des Meeres nämlich. Immerhin sind sie nun zu zweit. Wie Caspar David Friedrichs Mönch am Meer hatte die Ameise gerade noch vor der Himmels- und Wasserwüste gestanden und der übermächtigen Erhabenheit der Natur ins Antlitz geschaut: »Das Meer ist so groß, und ich bin so klein … in meinem ganzen Leben werde ich nicht einmal sein Ende sehen können. Was soll ich denn auf dieser Welt?« So sprach das kleine Subjekt, setzte sich unter eine Palme und weinte bitterlich. Dann kam der nette Elefant. Der Moskauer Autor Andrej Usatschow hat sich die wunderbare kleine philosophische Ge-
schichte ausgedacht, und die Freiburgerin Alexandra Junge sorgt mit ihren virtuosen Illustrationen dafür, dass der ameisige Selbstzweifel nicht auch den Betrachter in tiefe Niedergeschlagenheit versetzt. Große Farbflächen, helle Töne, Türkis, Grau und Braun. Dazu ein leuchtendes Gelb, das Hoffnung und Weltlust belebt. So sind wir gewappnet vor neuen Tränen der Verzweiflung. Denn auch der große Elefant ist ein Winzling angesichts des Meeres. Selbst als der Dickhäuter mit der Ameise auf dem Rüssel auf die Palme steigt: kein Trost, der Globus rund, endlos das Meer. Jetzt heulen schon zwei am schönen Strand. Und locken so einen Thunfisch ans Ufer. Der Fisch aber denkt anders, mehr so aus dem Wasser heraus: »Ist das hier etwa nicht des Ende des Meeres?« Ein Realist, ein Pragmatiker, dieser Meeresbewohner. Großer Jubel bei den
zwei Landtieren. Ganz neue Perspektive: Hier am Strand endet das Meer, wo denn sonst? Das Rätsel ist gelöst. Aber am Ende hat auch dieses Buch kein Ende. Denn wer anders als der Elefant mit seinem großen Weltgedächtnis könnte die altkluge Logelei des Herrn Thunfisch durchschauen und die hochnotpeinliche Frage stellen: »Aber wenn hier das Ende ist, wo ist dann der Anfang?« Dazu zeichnet Alexandra Junge die ratloseste Ameise, die uns je begegnete. Fließen gleich wieder die Tränen? Soviel steht fest: Bei so großen Fragen hilft manchmal nur ein kleines Bilderbuch. REINHARD OSTEROTH Andrej Usatschow/Alexandra Junge (Ill.): Geschichte ohne Ende und Anfang Aus dem Russischen von Simone Peil; NordSüd Verlag, Zürich 2008; o. P., 12,95 € (ab 4 Jahren)
Abschied von Opa Meume Maggi Schneiders bewegender, völlig unprätentiöser Debütroman über das Sterben und das Loslassenkönnen
V
on einem Tag auf den anderen war Opa Meume plötzlich grau geworden. Nicht seine Haare, die waren schon immer grau. Sondern sein Gesicht, seine Stimme und sein Blick. Davor, als Oma Meume noch lebte, war alles anders. Die beiden waren bunt.« Emma ist erst neun, aber sie beobachtet genau, und was sie mit ihrem alten Nachbarn erlebt, beunruhigt sie zutiefst. Seit Jahren durfte sie immer dienstags und donnerstags nach der Schule zu Oma und Opa Meume gehen, die im selben Haus wie Emma wohnten. Anders als ihre berufstätigen Eltern hatten die beiden immer Zeit für Emma, lasen ihr vor, halfen bei den Hausaufgaben oder verwöhnten sie mit »Königsberger Klopsen, Pastetchen mit Hühnerfrikassee oder Himmel und Erde«. Und wenn sie sonntags ihren Sonntagswalzer tanzten, huschte Emma manchmal heimlich nach oben und schaute ihnen zu. Doch eines Tages stirbt Oma Meume, und alles ändert sich. Opa Meume verstummt, wird dünner und dünner; er will nicht, dass Emma ihn weiter besucht. Immer wieder klingelt sie bei ihm, aber er redet an ihr vorbei mit Oma Meume, als wäre sie noch lebendig, und Emma
denkt, dass er verrückt wird. Aber sie gibt nicht auf, und so langsam gelingt es ihr, ihn aus seiner Isolation zu befreien und mit ihr über seinen Schmerz zu sprechen. »›Ich glaube, wenn ein Mensch stirbt, bleibt das übrig, was man nicht sehen kann, das Innendrin‹, sagte er.« Als die Sommerferien nahen, macht Emma sich Sorgen: Was wird nur aus Opa Meume, wenn sie mit ihren Eltern in die Ferien fährt? »Natürlich gab es die Altenpflegerin, aber die kümmerte sich nur um Opa Meumes Wohnung und seine Kleider … Ich hingegen kümmerte mich um sein Innendrin.« Kurzerhand versammelt Emma ihre drei besten Freunde und organisiert einen Hilfsdienst. Bei den Eltern ihrer Freunde kommt Emmas Initiative allerdings nicht gut an, und die Kinder dürfen den alten Herrn nicht mehr besuchen. Als sie aus den Ferien zurückkehrt, ist Opa Meume im Krankenhaus, und Emma muss Abschied nehmen. Doch
weil sie weiß, dass er jetzt bei Oma Meume ist, kann sie ihn loslassen. Unter den zahlreichen Kindergeschichten um die Beziehung zwischen Alt und Jung fällt dieses bewegende Debüt der in München lebenden Autorin Maggie Schneider aus dem Rahmen. Denn mit der kleinen Emma ist ihr das Porträt eines bewundernswert mutigen und zugleich sensiblen Kindes gelungen, das so viel mehr Verständnis für die Not eines alten Menschen hat als die Erwachsenen um es herum. Eine Figur, wie die Mecklenburger Künstlerin Jacky Gleich sie liebt – das strahlen ihre großartigen Bilder aus. Auch ohne den Text zu kennen, lernt der Betrachter das Kind und den alten Mann über deren Mimik und Körpersprache genau kennen, und es gelingt Gleich meisterhaft, Gefühle wie Glück, Trauer und Abschiedsschmerz in ihren Bildern zu spiegeln. HILDE ELISABETH MENZEL Maggie Schneider/Jacky Gleich (Ill.): Opa Meume und ich Roman; Tulipan Verlag, Berlin 2008; 68 S., 12,90 € (ab 8 Jahren)
MUSEEN & GALERIEN www.zeit.de/kulturanzeigen AHLEN Fritz-Winter-Haus, Südberg 72-74, 59229 Ahlen, Tel. 02382/61582, Fax 65528, www.fritz-winter-haus.de, Di, Mi, Sa 15-18, So 11-18 Uhr, u. n. V. 27.09.2008 bis 31.03.2009: Fritz Winter. Es ist weit mehr sichtbar... Kunstmuseum Ahlen, Museumsplatz 1, www.kunstmuseum-ahlen.de bis 01.03.2009: Avantgarde aus Westfalen - Die Konrad-von-Soest-Preisträger aus der Sammlung der Provinzial ALBSTADT Galerie Albstadt, Städtische Kunstsammlungen, Tel. 07431-160 1493 o. 1491, www.galerie-albstadt.de, Di-So, Feiertag 11-17 Uhr, Mo geschl. bis 14.06.2009: Friedensreich Hundertwasser - Das Recht auf Träume ASCHAFFENBURG Kunsthalle Jesuitenkirche, Pfaffengasse 26, Tel. 06021-218698, www.museen-aschaffenburg.de, Di 14-20, Mi-So 10-17 Uhr 06.12.2008 bis 01.03.2009: Expressionismus - Auftakt zur Moderne in der Natur
BEDBURG-HAU Museum Schloß Moyland, Am Schloß 4, Tel. 02824/9510-60, Di-So 11-17 Uhr bis 23.02.2009: Kempe/ Kutter/ Tonagel - Moving Days. Im Auge des Klangs II The Eye of Sound II bis 15.03.2009: Druck machen! Drucktechniken und grafische Kunst verstehen und selbermachen BERLIN Deutsches Historisches Museum, Ausstellungshalle von I. M. Pei, Hinter dem Gießhaus 3, 10117 Berlin, Tel. 030/203040, www.dhm.de, tägl. 10-18 Uhr Ständige Ausstellung im Zeughaus: Deutsche Geschichte in Bildern und Zeugnissen bis 22.02.2009: Kassandra. Visionen des Unheils 1914-1945 bis 03.05.2009: die Sprache Deutsch Eine Ausstellung des Deutschen Historischen Museums
AUGSBURG Galerie Noah, im Glaspalast, 86153 Augsburg, www.galerienoah.com, Di-Fr 10-17, Sa, So, Feiertag 11-18 Uhr, Vernissage 12.2./19 Uhr 12.02. bis 26.03.2009: PETER CASAGRANDE Bilder 2002 bis 2008
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Illustration [M]: Jacky Gleich
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FÜRSTENFELDBRUCK Stadtmuseum Fürstenfeldbruck, Kloster Fürstenfeld, Tel. 08141/44046, www.stadtmuseumffb.de, Di-Sa 13-17, So, Feiertag 11-17 Uhr 27.11.2008 bis 22.02.2009: Roland Helmer: Retrospektive GIESSEN Oberhessisches Museum Gießen, Altes Schloß, Brandplatz 2, Tel. 0641-306/2477, Di-So 10-16 Uhr, Eintritt frei, (geschlossen 22.-24.2.2009) 13.02. bis 19.04.2009: Folkert Rasch, Untiefen - Malerei GÖPPINGEN Kunsthalle Göppingen, Marstallstr. 55, Tel. 07161/650777, www.kunsthalle. goeppingen.de, Di-Fr 13-19, Sa, So 11-19 Uhr bis 15.02.2009: Max Ernst. Surrealismus, A l‘intérieur de la vue bis 15.02.2009: Anja Schrey. Echo (Kunstverein Göppingen) GÖTTINGEN Künstlerhaus, Gotmarstraße 1, Veranstalter: Kunstverein Göttingen e. V., Tel. 0551/44899, www.kunstvereingoettingen.de, kunstvereingoettingen@gmx.de, Di-Fr 14-18, Sa, So 11-17 Uhr 18.01. bis 22.02.2009: „from flags to flowers“ Sophia Tabatadze Stadt Göttingen, Tel. 0551/400-2485, kultur@goettingen.de, Di-So 11-17 Uhr bis 08.03.2009: Armin Mueller-Stahl - Menschenbilder Altes Rathaus Göttingen HALLE Landesmuseum für Vorgeschichte, Richard-Wagner-Str. 9, Tel. 0345/5247-363, www.fundsache-luther.de, Di-So, Feiertag 9-19 Uhr, Mo nach Voranmeldung bis 26.04.2009: Fundsache Luther – Archäologen auf den Spuren des Reformators
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Menschen, Masken, Modelle www.stiftung-dkm.de, Fr-Mo 12-18 Uhr, Di-Do nach Voranmeldung Deichtorhallen Hamburg, Deichtorstr. 1–2, 20095 Hamburg, Tel. 040/321030, ab 24.01.2009: LINIEN STILLER SCHÖNHEIT_Ein Museum für die Sammlung DKM www.deichtorhallen.de, Di-So 11-18 Uhr MKM Museum Küppersmühle für Moderne Kunst, Philosophenweg 55, Tel. bis 22.02.2009: gute aussichten. Junge deut. Fotografie 0203/301948-11/-12/-13, www.museum-kueppersmuehle.de, ml. bis 22.02.2009: New Color Photography. Maloney, Meyerowitz, Shore, Sternfeld hirschbueller@museum-kueppersmuehle.de, Mi 14-18, Do, Sa, So, Feiertag 11-18 HAMBURGER KUNSTHALLE, Glockengießerwall, Tel. 040/428131200, Uhr, Fr nach Vereinbarung. Jeden Sonntag um 11.00 Uhr und 15.00 Uhr www.hamburger-kunsthalle.de, info@hamburger-kunsthalle.de, Di-So 10-18, Do kostenlose Führungen bis 21 Uhr bis 03.05.2009: Konstantinopel oder die versteckte Sinnlichkeit - von Sean bis 03.05.2009: Edgar Degas Intimität und Pose Scully bis 26.04.2009: MAN SON 1969 Vom Schrecken der Situation Stiftung Wilhelm Lehmbruck Museum Duisburg, Friedrich-Wilhelm-Str. 40, Tel. bis 15.02.2009: Jakob Philipp Hackert Europas Landschaftsmaler der Goethezeit 0203/2832630, www.lehmbruckmuseum.de, Di-Sa 11-17, So 10-18 Uhr ab 15.02.2009: Noble Gäste. Meisterwerke des Impressionismus aus der 18.01. bis 26.04.2009: Das Lebenswerk Wilhelm Lehmbrucks (1881-1919) Kunsthalle Bremen 01.02. bis 03.05.2009: David Smith - Working Surface hamburgmuseum - Stiftung Historische Museen Hamburg, Holstenwall 24, Tel. DÜSSELDORF 040/428132-2380, www.hamburgmuseum.de, Di-Sa 10-17, So 10-18 Uhr K21 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Ständehausstr. 1, Tel. 0211/8381600, 01.10.2008 bis 22.02.2009: Konstrukteur der modernen Stadt. William Lindley in www.kunstsammlung.de, Di-Fr 10-18, Sa, So 11-18 Uhr, Präsentation der Hamburg und Europa 1808-1900 ständigen Sammlung Museum der Arbeit, Wiesendamm 3, U/S Barmbek, Tel. 040/428133-0, www. bis 17.01.2010: Ayse Erkmen museum-der-arbeit.de, Mo 13-21, Di-Sa 10-17, So, Feiertag 10-18 Uhr Kunsthalle Düsseldorf, Grabbeplatz 4, 40213 Düsseldorf, Tel. 0211/8996243, bis 12.04.2009: Tempo! 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RENDSBURG Jüdisches Museum, Prinzessinstraße 7-8, 24768 Rendsburg, Tel. 04331 / 25262, Pinakotheken im Kunstareal, www.pinakothek.de www.schloss-gottorf.de, Di-Fr, So 12-17 Uhr Alte Pinakothek, Barer Str. 27, Tel 089 23805-216, tägl. außer Mo 10-18, Di 10-20 bis 29.03.2009: Die Mädchen von Zimmer 28 - Alltag im KZ-Ghetto Uhr Theresienstadt Kurfürst Johann Wilhelms Bilder, bis 17.05.2009 REUTLINGEN Neue Pinakothek, Barer Str. 29, Tel 089 23805-195, tägl. außer Di 10-18, Mi 10Heimatmuseum Reutlingen, Oberamteistr. 22, 72764 Reutlingen, Tel. 07121/30320 Uhr 2050, Di-Sa 11-17, So, Feiertag 11-18 Uhr Pinakothek der Moderne, Barer Str. 40, Tel 089 23805-360, tägl. außer Mo 10-18, bis 22.02.2009: Großer Bahnhof für kleine Züge. Märklinmodelle 1935-1955 Do 10-20 Uhr Naturkundemuseum Reutlingen, Weibermarkt 4, Tel. 07121/3032022, www. Sammlung Moderne Kunst, Young-Jae Lee. Spindelvasen, bis 01.03.2009; reutlingen.de/naturkundemuseum, Di-Sa 11-17, Do 11-19, So/Feiert. 11-18 23.01. bis 19.04.2009: Microscapes - Eine Reise durch den Mikrokosmos Passioniert Provokativ - Die Sammlung Stoffel, bis 01.03.2009; Edition 46 Marcel Dzama, bis 15.02.2009 Die Neue Sammlung, Rettet den Panda!, bis 01.03. Architekturmuseum TU München, Multiple City - Stadtkonzepte 1908 - 2008, bis 01.03.2009 Staatliche Graphische Sammlung, 100 Meisterzeichnungen aus New York. The Morgan Library & Museum zu Gast in München, bis 01.03.2009 Schack Galerie Prinzregentenstr. 9, Tel. 089 23805-224, Mi-So 10-18 Uhr
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MURNAU RHEINE Schloßmuseum Murnau, Schloßhof 4-5, 82418 Murnau, Tel. 08841/476/201-207, www.schlossmuseum-murnau.de, schlossmuseum@murnau.de, Di-So, Feiertag Kloster Bentlage Rheine, Bentlager Weg 130, 48432 Rheine, Deutschland, Tel. 05971918400, Fax 05971918499, www.kloster-bentlage.de, info@kloster10-17 Uhr, Mo geschl. bentlage.de, Di-Fr, So geöffnet, Di-Sa 15-17, sonn- und feiertags 11-17 05.12.2008 bis 01.03.2009: Atlantis steigt auf. Paul Alfred Müller. Science Fiction 18.01. bis 01.03.2009: Sabine Swoboda No Need to Call the Hotline aus Murnau ROCKENHAUSEN NEUMARKT I. D. OPF. Museum Pachen - Deutsche Kunst des 20. Jahrhunderts, Speyerstraße 3, 67806 Rockenhausen, Tel. 06361/451242, www.rockenhausen.de, info@rockenhausen. Museum Lothar Fischer, Weiherstr. 7 a, 92318 Neumarkt, Tel. 09181/510348, www. de, Do-So 15-17 Uhr museum-lothar-fischer.de, Mi-Fr 14-17, Sa, So 11-17 Uhr bis 22.02.2009: Martina Altschäfer, Tremezza von Brentano, Ekkehard 19.10.2008 bis 22.02.2009: Die sichtbare Stille - GIORGIO MORANDI Im Dialog Tischendorf, Political Incorrectness mit Plastiken von Christina von Bitter ROSTOCK Kunsthalle Rostock, www.kunsthallerostock.de, Di-So 10-18 Uhr 16.01. bis 01.03.2009: „Meisterwerke der Moderne Teil II“ und „Hab & Gut, Künstler aus Leipzig“
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Stadthaus Ulm, Münsterplatz 50, 89073 Ulm, Tel. 0731/1617700, Mo-Mi, Fr, Sa 918, Do 9-20, So, Feiertag 11-18 Uhr, jeden 1. Freitag im Monat bis 24 Uhr bis 15.03.2009: Richard Meier: Kunst und Architektur
Worpsweder Kunststiftung Friedrich Netzel, Bergstr. 17, 27726 Worpswede, Tel. 04792/1277, www.worpsweder-kunsthalle.de, tägl. 10-18 Uhr bis 15.03.2009: MAN RAY bis SIGMAR POLKE - Eine besondere Fotografiegeschichte 200 Fotos der Klassischen Moderne bis heute
Museum für Lackkunst, Windthorststraße 26, www.museum-fuer-lackkunst.de bis 08.03.2009: „Prinzip Monochrom“ Günter Umberg, Mitinitiator der Radikalen Malerei, zeigt seine für die Räume des Museums eigens ausgewählten und auf sie Bezug nehmenden schwarzen Bilder. Sie treffen mit den monochromen Lacken der Song- und Yuan-Zeit zusammen und treten mit ihnen – wie in einem die Zeit überspannenden Konzentrat – in Dialog.
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Museum im Kulturspeicher, Veitshochheimer Str. 5, 97080 Würzburg, Tel. 0931/32225-0, Fax -18, www.kulturspeicher.de, museum.kulturspeicher@stadt. wuerzburg.de, Di 13-18, Do 11-19, Mi, Sa, So 11-18 Uhr 13.12.2008 bis 01.03.2009: Gabriele Münter Zwischen Paris und Murnau. Druckgraphik aus dem Lenbachhaus München
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LITERATUR
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12. Februar 2009 DIE ZEIT Nr. 8
TASCHENBUCH
GEDICHT: THOMAS GSELLA
Der ICE-Zugchef
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Ein Kieler Morgen, heiß und licht. Er spricht dezent und leise: »Die Lüftung funktioniert heut’ nicht. Wir wünschen gute Reise.«
Die Kieler Nacht, von ihm versüßt Dank tiefster Menschenkenntnis: »Zwölf Stunden sind nun eingebüßt. Wir bitten um Verständnis.« © Eichborn Verlag, Frankfurt a. M.
FRANZ SCHUH über Bella Block, Hannelore Hoger, Theodor Storm und »Ein Lesebuch für Verliebte«
Foto (Ausschnitt): Markus Kirchgessner/laif
Ein Kieler Nachmittag. Man hört Im Halbschlaf seine Worte: »Die Oberleitung ist zerstört. Im Bistro: alte Torte.«
Thomas Gsella: Nennt mich Gott Schönste Gedichte aus 50 Jahren; Fischer TB, Frankfurt a. M. 2008; 310 S., 9,95 €
KRITIK IN KÜRZE: ULRICH GREINER
Unter Katholiken Da nun die ausgestreckte Hand des Papstes auf die Faust der Piusbrüder gestoßen ist, zumindest die des Holocaust-Leugners Williamson, scheinen alle, die für die Tridentinische Messe plädieren, in einen üblen Dunstkreis geraten zu sein. Sie heißt so, weil sie im Konzil von Trient (1562/63) beschlossen wurde. Der Ritus ist mehr als 500 Jahre alt und hat mit der jetzigen Kontroverse nichts zu tun. Es war der Schriftsteller Martin Mosebach, der in seinem Buch Häresie der Formlosigkeit (2000) das Verschwinden der alten Liturgie beklagt und damit einem schon lange schwelenden Streit Ausdruck gegeben hatte, den der Papst mit der Wiederzulassung der alten Form 2007 befrieden wollte. Dieses Buch dokumentiert ein Streitgespräch über die Tridentinische Messe, deren zeitlose Schönheit Martin Mosebach und der Philosoph Robert Spaemann preisen, während der Kirchenhistoriker Arnold Angenendt und der Liturgiewissenschaftler Albert Gerhards den liturgischen Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils manch Gutes abgewinnen können. Für Katholiken eine äußerst anregende Debatte. Eckhard Nordhofen: Tridentinische Messe: Ein Streitfall Reaktionen auf das Moto proprio »Summorum Pontificum« Benedikts XVI.; Verlag Butzon & Bercker, Kevelaer 2008; 143 S., 14,90 €
Unter Christen Um dieses Buch zu lesen, muss man weder Katholik sein noch Marxist, sondern nur das deutliche Gefühl haben, dass mit unserer Wirtschaftswelt einiges nicht in Ordnung ist, was der Münchner Erzbischof Marx, indem er sich mit seinem Namensvetter ebenso temperamentvoll wie sachlich auseinandersetzt, an Beispielen begründet, die wesentlichen Gedanken der katholischen Soziallehre gut lesbar ausbreitend. Das Katholische spielt dabei eine geringere Rolle als das Soziale oder, anders gesagt: Für Christen ist das soziale Denken zentral, sollte es sein. Reinhard Marx: Das Kapital Ein Plädoyer für den Menschen; Pattloch Verlag, München 2008; 319 S., 19,95 €
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IM SUHRKAMP-HAUS in der Frankfurter Lindenstraße
Die Wetterau ist die Welt Der Frankfurter Schriftsteller und Suhrkamp-Autor
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eit einiger Zeit schreibe ich Kolumnen für die Wiener Zeitschrift Volltext. Meist geht es da um Heimat, ein Wort, das ich mir neuerdings gönne. Ein immer wiederkehrendes Thema ist, wie Anfang der neunziger Jahre, als ich noch längst kein Schriftsteller war und in Frankfurt herumsaß (meinem nächsten Ausland – ich bin eigentlich Wetterauer und nur von der Vaterseite her Frankfurter) … wie damals meine ganze Umwelt wie in Panik aufsprang, nach Berlin ging und mich in meiner Frankfurter Ländlichkeit allein ließ. All diese Menschen, die damals nach Berlin eilten, behaupteten, kaum waren sie in Berlin, ein Leben andernorts als Berlin sei völlig undenkbar. Heute verstärkt sich mir dieser Eindruck umso mehr. Sie können woanders gar nicht leben, kommen aber regelmäßig zurück, um ihre in den Frankfurter Winkel gestellten Eltern zu besuchen, vor allem die weggezogenen Töchter, und zwar, wenn sie ihre Berliner Kinder bekommen und dann den Mann entsorgen oder er sich. Ich rede natürlich nicht von Berlinern, sondern von denen, die da hingezogen sind und sich ein Berlin, nein, eine Welt gemacht haben, wie sie sie gern haben wollten, als ginge das. Tocotronic dichtete damals die Zeilen: »Der da drüben ist jetzt DJ in Berlin / Überhaupt gehen jetzt einige da hin.« Ich kenne diese »Ich kann nur hier leben«-Mentalität nur aus zwei Bereichen, nämlich einerseits der allerengsten Dorfsphäre, da handelt es sich um meist eher alt gewordene Menschen, die sich ein Leben ohne ihre allernächste Umgebung nicht nur nicht vorstellen können, sondern sofort desorientiert wären, wenn sie das Ortsschild passieren müssten. Ockstadt bei Friedberg in der Wetterau wäre hier zu nennen. Der andere Bereich lautet Berlin. Die Mentalität ist haargenau dieselbe, obgleich die einen sich offen, modern, gelassen fühlen und die anderen sich gar nicht fühlen, sondern in Panik geraten, wenn sie übers Dorfschild hinausmüssen, weil es schon eine Weltreise ist. Mir ergibt sich folglich jedes Mal, wenn ich in der offenen, gelassenen, modernen Stadt Berlin bin, die Atmosphäre urtiefster Provinzialität, im Grunde sind sogar die Ockstädter, die ich kenne, Weltbürger gegen all meine Berliner. Die Berliner sind sofort desorientiert, wenn sie der Welt begegnen, der Welt, die nicht Berlin ist und mit der sie nichts anfangen können, und einem Leben, das ihnen unführbar vorkommt wie einem jedem Dörfler das Leben in der großen, weiten Welt, die hinter dem Dorfschild beginnt.
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DIE ZEIT
ANDREAS MAIER
fragt sich, was sein Verlag in Berlin will
Berlin ist eine Kunstwelt, die auf ähnlichen Ängsten gründet wie die Dorfwelt, nämlich auf der Angst vor dem da draußen, also vor, sagen wir, Paderborn, Münster, Freiburg. Literarisch verwerte ich das in meinen Wiener Kolumnen nun immer so, dass ich uns noch viel kleiner mache in unserer Frankfurter Apfelweinländlichkeit und demgegenüber Berlin immer größer. Es ist ja das Zentrum der Welt. Das hat zu einer Kolumne geführt, in der ich über eine Brecht-Matinee in Berlin schrieb, das war 2006. Da fuhr ich von Rom nach Berlin und trat im Berliner Ensemble auf, um Brecht-Gedichte zu lesen. Liebeslyrik aus dem Suhrkamp Verlag mit hessischem Zungenschlag, was zu einer Art Bierzeltklang führte: »Wie konntest du dich nur in so was schicken! / Das Wort für das, was du da tatst, war …« Brecht spart das letzte Wort aus, auf Hessisch käme der Reim gar nicht zustande.
Ein Berliner kann sich nirgends aufgehoben fühlen außer in Berlin Zugleich machte mein Verlag, der Frankfurter Suhrkamp Verlag, einen Betriebsausflug nach Berlin. Es war wie immer, wenn wir Dörfler in die Stadt kommen. Wir erkennen unsereinen und sind froh und geborgen. Neulich hatte ich eine Lesung im Brecht-Haus, vorher gab es eine Demonstration gegen das Atomforum in Berlin. Das ist zwei Wochen her. Ich trat auf die Chausseestraße, sah die Banner der Demonstranten und erkannte in vorderster Reihe drei Wendländer. Ich habe mal im Wendland gewohnt. Man wohnt im Wendland wie in einem Asterixdorf. Auch wir begegneten uns im großen Berlin sofort wie eine gemeinsame Heimat. Ja, das ist die Wahrheit, ich sah meine drei Wendländer, und es wurde warm in mir. So war es auch mit Suhrkamp. Als ich am Tag nach meiner Anreise zum Berliner Ensemble kam, da waren sie, da waren wir. Es war unzweifelhaft so, und wir standen unter uns herum wie die Wendländer, wir Suhrkampler in der großen Stadt. Da standen wir herum und gehörten zusammen, und ich musste an Arnold Stadler denken. Wenn seine Schwackenreuther in die große, weite Welt hinausfahren, dann singen sie im Bus zusammen aus Angst ihre Kirchenlieder. »Gelobt sei …!« Allerdings war der Suhrkamp Verlag mit dem ICE gekommen, und gesungen hatte niemand. Dennoch war es für mich, als sei es so gewesen. Ich sah sie, die Chefin,
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die Vertreter, die Lektoren, die Hersteller, und war glücklich wie in einer Heimat, am BE. So steht man auch im Auswärtsblock bei Spielen in gegnerischen Stadien und fühlt sich aufgehoben unter den Frankfurtern, ob man will oder nicht. Ein Berliner kann sich nirgends aufgehoben fühlen, da es draußen, außerhalb Berlins, nirgends seinesgleichen gibt, denn draußen, außerhalb Berlins, sind die Berliner alle plötzlich wieder Paderborner oder Münsteraner oder Frankfurter. Nun springt mein Verlag auf, der auch meine Heimat ist, einerseits meine Suhrkamp-Heimat und andererseits meine Frankfurt-Heimat, und eilt selbst nach Berlin. Man fragt mich jetzt, was das für mich als Suhrkamp-Autor bedeutet. Keine Ahnung, sage ich. Wenn ich am neuen Standort in Berlin sein werde und meine alten Frankfurt-Suhrkampler sehen werde, wird es Heimat sein. Wenn ich neue Mitarbeiter sehen werde, die die Lindenstraße, das Verlagsgebäude in Frankfurt, gar nicht mehr kennen, werden sie vermutlich kein »Damals« mehr für mich sein, sondern Berlin. Aber es müsste schon der letzte Lindenstraßler aus dem Verlag entschwunden sein, meine Verlegerin inbegriffen, bevor ich nicht mehr dieses Gefühl hätte wie bei meinen Wendländern oder meinen Wetterauern. Es wird bei Suhrkamp in Berlin für mich sein, als ob ich einen aus meiner Heimat irgendwo da draußen träfe, und sei es in Berlin. Für mich sind die Leute in Berlin allesamt keine Berliner, sondern Paderborner, Münsteraner und Freiburger, ob sie wollen oder nicht. Mein Bruder wohnt auch da, er ist immer noch Wetterauer und spricht auch noch so, auch wenn er es gar nicht merkt. Und ich selbst werde vielleicht für Suhrkamp eine lebende Reminiszenz an früher sein. Es war einmal Frankfurt. Trank Siegfried Unseld je Apfelwein? Ich weiß es nicht. Mit mir trank er immer Wein. Ich bleibe zurück und werde etwas machen, was ich in ebenjenen Wiener Kolumnen begonnen habe, ich werde meinen Heimatbegriff erweitern und ihm die ganze Welt einverleiben, Berlin eingeschlossen. Ich werde alles zur Wetterau machen. Die Heimat, die die Wetterau ist und die die Welt und der liebe Gott ist. Überall, wo ich bin, ist die Wetterau. Meine Heimat, die mir gegeben ist als etwas Unverfügbares. Mit Menschen darin, die eine Heimat haben, ob sie wollen oder nicht, selbst in Berlin. Und mit mir darin, der nun auch erstmals eine Heimat in Berlin haben wird. Nämlich den Frankfurter Suhrkamp Verlag.
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Die letzte Folge der deutschen Kriminalfilmserie Bella Block, ausgerechnet diesen Zweiteiler, mochte ich, ein Fan der ersten Stunde, nicht sehr. Bella Block erleidet im Zuge der Ereignisse ein Messerattentat und verliert in der Folge ihre Stimme. Dass die beste Sprecherin deutscher Sprache, Hannelore Hoger, eine Zeit lang ohne Stimme spielen muss, ist vielleicht ein Inbild für den Zustand des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Aber diese Überdramatisierungen von Kriminalhandlungen sind eine deutsche Unsitte, die an vielerlei Tatorten um sich greift. Dennoch war die Doppelfolge Am Ende des Schweigens von großer Wichtigkeit. All die Jahre hatten Bella Block und ihr Lebensgefährte Simon Abendroth, also Hannelore Hoger und Rudolf Kowalski, in einer Kunst ohnegleichen ihre komplizierte zarte und doch zugleich feste Beziehung vor Augen geführt. Würde man eine Montage dieser Kunst zeigen, Ausschnitte aus den Jahren der Gemeinsamkeit, es wäre lehrreich für Psychologen und Liebende. Lehrreich ist auch das Ende ihrer Beziehung. Es geht mit den beiden nicht mehr. Der Film zeigt auffällig ein schwarzes Buch mit dem Namen »Theodor Storm« drauf, und man hört auch entsprechende Verse, das Ende eines Gedichts: »Und wieviel Stunden dir und mir gegeben, / Wir werden keine mehr zusammenleben.« Die Zeit ist hin heißt das Gedicht von Storm. Ich bin dankbar, davon erfahren zu haben – es ist in meinen Augen ein vollkommenes Gedicht. Karl Kraus hat über den Reim gesagt: »Er ist das Ufer, wo sie landen, / sind zwei Gedanken einverstanden.« Was dies heißen soll, kann man an Storms Abschiedsgedicht begreifen, in dem Trauer über den Abschied und die Einsicht in die Unerbittlichkeit, dass er sein muss, einander treffen. Nicht ohne Gier griff ich nach dem Lesebuch für Verliebte, herausgegeben von Patrick Hutsch (Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2009; 319 S., 8,– €). Ich wollte nämlich wissen, ob Die Zeit ist hin drin ist. Ist nicht drin, aber man trifft viele Bekannte: den Mythos von den drei Geschlechtern aus Platos Symposion, Schopenhauers Naturalismus, dem zufolge alle Verliebtheit, »wie ätherisch sie sich auch geberden mag«, allein im Trieb wurzelt; Brentanos wunderbares Gedicht: Es war einmahl die Liebe – ein Gedicht, in dem der Konflikt des Triebes, der blind ist, mit der Liebe, die ihn sehend machen kann, ausgetragen wird. In der vom Herausgeber beibehaltenen Orthografie werden manche Wörter schön wie: »Schwärmerey«. Dieses Buch kann man entlang der Frage lesen, ob man sich der Liebe ausliefern oder ob man ihren Wahnwitz einfach lassen soll. Niemand wird Knigge widersprechen: An der Liebe hat »auch Eitelkeit; Langweile und Avanturengeist Theil, wobey nicht selten beide Partheyen, sowohl einander als auch sich selbst hintergehen«. Nächste Woche erscheint an dieser Stelle die Kolumne »Vom Stapel« von Ursula März
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REISEN
12. Februar 2009 DIE ZEIT Nr. 8
Fotos: McPHOTO/F.Scholz/imago; Johannes Strempel für DIE ZEIT (u.)
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Der DIANI BEACH nördlich von Mombasa gehört zu den Traumstränden der Welt. Beim Strandspaziergang passiert man eine Hotelanlage nach der anderen, von denen viele verlassen im Schatten liegen
Schönes, leeres Land Kenia, ein Jahr nach den Unruhen: Die Touristen kehren zurück, doch noch sind es zu wenige – für die Bevölkerung hat das traurige Folgen
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m Eingang zur größten Diskothek Ostafrikas steht ein kleiner, kompakter Mann in einem sehr bunten Hemd und blickt missmutig auf ein Stück Papier. Der Türsteher neben ihm hebt ratlos die Schultern. Knapp 40 Gäste hat er an diesem Abend per Strichliste gezählt, die meisten sind längst wieder gegangen. Der Mann mustert seine silberne Armbanduhr. Schon nach Mitternacht, viel wird heute nicht mehr passieren. Das Tembo nördlich von Mombasa ist nicht einfach schlecht besucht, es ist so leer, dass sehr weit laufen muss, wer einem anderen Menschen begegnen möchte. Geschlossen die Bars an den Seiten, verwaist die Tische und Korbstühle im Palmengarten. Nur auf der riesigen Tanzfläche und am zentralen Tresen lassen sich im Halbdunkel ein paar Gestalten erkennen: junge einheimische Frauen, die nicht allein das Vergnügen hierher führt. Mit einem matten Händedruck und den immergleichen Sätzen machen sie sich an jeden weißen Gast heran, der in ihrem Radius auftaucht. Willkommen in Kenia. Woher kommst du? Wie heißt du? Der Mann im bunten Hemd heißt Walter Reif. Seit mehr als 20 Jahren lebt er in Kenia, und noch immer hört man den Mannheimer Akzent in seiner Stimme. Reif hat hier an der Küste mal einen Nachtklub geleitet, später ein Restaurant eröffnet und 1996 die Geschäftsführung des Tembo übernommen. Er ist nicht mehr so leicht zu erschüttern. Auch diese Krise wird vorübergehen, wie all die großen und kleinen Krisen, die er mit den Jahren erlebt hat. »Wenigstens am Wochenende ist inzwischen wieder sehr viel mehr los«, sagt er und spielt dann auf seinem Handy ein Video von der vergangenen Silvesterparty ab. Es müssen Tausende sein, die da unter dem 30 Meter hohen Palmenblätterdach der
Diskothek zu wummernder Musik das neue Jahr feiern. »Die letzten zwei Dezemberwochen haben uns rausgerissen«, sagt Reif. »Da war der Laden jeden Abend voll, und die Autos stauten sich draußen auf der Hauptstraße.« Aber es waren eben vor allem Einheimische aus Nairobi, die an den Stränden nördlich und südlich von Mombasa ihre Weihnachtsferien verbrachten. Die ausländischen Touristen machen sich noch immer rar. Und das mitten in der Hochsaison, wo das Geschäft brummen müsste und die Hoteliers und Restaurantbesitzer sich sonst ein Polster zulegen für die mageren Monate der Regenzeit. »Schönreden hilft da nicht«, sagt Walter Reif. »Kenia ist schwer angeschlagen, und das wird noch eine ganze Weile so bleiben.«
Die Kellner sind glücklich über jeden Gast Es ist jetzt gut ein Jahr her, dass die Zeitungen und Fernsehsender Bilder zeigten, die man schon oft aus Afrika gesehen hat, doch von Kenia nicht kannte. Das Land galt in der westlichen Wahrnehmung als stabil, als sicheres Reiseziel für Strandurlauber und Safarifreunde. Und dann das: Aufnahmen von Plünderern und brennenden Barrikaden, zornigen Männern mit Macheten oder Pfeil und Bogen, Flüchtlingslagern, schießenden Polizisten und sehr, sehr vielen Toten. Das Auswärtige Amt gab damals eine Reisewarnung aus, Urlauber stornierten ihre Ferien, Airlines stellten Flüge ein. Hatte Kenia noch im Jahr 2007 erstmals die magische Grenze von einer Million Besucher überschritten, brach der Tourismus in den folgenden sechs Monaten um mehr als 60 Prozent ein. Seitdem tut das Land, was es kann, um die verlorenen Gäste zurückzugewinnen. Der neue Tourismus-
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minister fährt von Staat zu Staat, um für Kenia zu werben, Veranstalter locken mit Sonderangeboten, und in einer riesigen Marketingaktion wurden im vergangenen Jahr 200 Journalisten und fast ebenso viele Reisekaufleute nach Afrika geladen. Wer heute durch die Urlaubsregionen Kenias reist, erlebt ein schönes, leeres Land, das lange nach den blutigen Unruhen noch immer unter Schock steht und fast noch mehr erschüttert ist von deren Folgen. Er trifft auf Kellner, die glücklich sind über jeden Gast, und auf Arbeitslose, die das Versiegen des Tourismus den Job gekostet hat. Auf verharmlosende Hoteldirektoren, die mit Blick auf unbesetzte Liegestühle seelenruhig erklären, in Kenia sei alles wieder beim Alten. Auf Realisten wie Tasneem Adamji vom Verband der kenianischen Reiseveranstalter, die sagt: »Die Touristen kommen allmählich zurück, aber noch ist das Geschäft um die Hälfte niedriger als vor den Unruhen. Wir werden uns frühestens in der kom-
Die BEACH BOYS konkurrieren um das Geschäft mit den wenigen Urlaubern
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VON JOHANNES STREMPEL
menden Wintersaison erholt haben.« Er begegnet sehr vielen Menschen, die bisher gut vom Tourismus gelebt haben und sich nur eines wünschen: dass bitte alles wieder so werden möge wie früher. »Kenia hat sich doch nicht verändert«, sagt ein Safariunternehmer in einer Mischung aus Verzweiflung und Optimismus. »Das Klima ist noch immer einzigartig, das Tierreich ist es, und die Strände sind es auch.« Er hat natürlich recht. Der Diani Beach im Süden Mombasas etwa gehört zu den schönsten Stränden der Welt. Weiß und weit und einsam liegt er in der Mittagssonne, vom Indischen Ozean her rauscht ein kühler Wind durch Palmenzweige, draußen vor den Korallenriffen schaukeln Motorboote und Dauen auf dem Wasser. Aus der Entfernung kann man einzelne schwarze Silhouetten im Sand ausmachen, die sich zu Grüppchen sammeln und immer dann ausschwärmen, wenn ein paar Touristen näher kommen. Es sind harte Zeiten für die Beachboys. Hoffnungsvoll stürzen sie sich auf jeden, der den Strand betritt. Von einer Fahrt im Glasbodenboot über Kamelritte und Schmuck bis zu Drogen aller Art reicht ihr Angebot. Aber seit der Krise gibt es immer mehr Beachboys und viel zu wenige Kunden. Marc, ein dürrer Jüngling mit Rastalocken und einer großen Beule über dem linken Auge, handelt mit Ketten und Namensschildern. Früher verdiente er damit ein, zwei Euro täglich, jetzt hat er seit vier Tagen nichts verkauft. »Wir sind einfach zu viele hier«, sagt er. »Die Touristen wollen nicht belagert werden.« Einige Schritte weiter baut Elijah seinen Stand im Sand auf: Schüsseln, Masken, geschnitzte Figuren von Giraffen und Elefanten – genau dieselben Sachen wie an all den anderen Ständen links und rechts von ihm. Elijah, ein großer Mann mit großer Zahnlücke, kann bis heute nicht richtig fassen,
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wie es zu den Unruhen kommen konnte. »Niemand hat mit so etwas gerechnet.« Und dann sagt er, was hier im Land jeder sagt, den man trifft: »Wir haben unsere Lektion gelernt. So etwas wird nie wieder passieren.« Es klingt wie eine Beschwörung.
»Jetzt gibt es keinen Hass mehr. Du kannst allen sagen, Kenia ist sicher« Der Konflikt vor einem Jahr hatte sich an den manipulierten Präsidentschaftswahlen entzündet: Erst führte in den Auszählungen klar der Herausforderer der Opposition, Raila Odinga, dann wurde der amtierende Präsident Mwai Kibaki zum Sieger erklärt. Die Anhänger Odingas machten sich mit Krawallen und Protesten Luft, die Gewalt eskalierte, und es kam zu Massakern am Stamm der Kikuyu, zu dem auch Präsident Kibaki zählt. In einer zweiten Phase schlugen die Kikuyu zurück. Kenias staatliche Menschenrechtskommission zählte schließlich 1162 Tote und 350 000 Vertriebene. In ihrem über 200-seitigen Bericht werden auch Namen von Politikern genannt, die zur Gewalt aufgestachelt haben sollen, darunter der heutige Tourismusminister Balala, der die Anschuldigungen dementierte. Elijah erzählt, dass damals Männer mit Lastwagen hier an die Küste kamen und in den Straßen und Moscheen den einfachen Mann zum Blutvergießen aufhetzten, indem sie auf jeden getöteten Kikuyu eine Prämie aussetzten. Unter dem Druck von Kofi Annan einigten sich die beiden Parteien schließlich im vergangenen Februar auf eine Koalitionsregierung, und die aufgebrachten Massen beruhigten sich. »Jetzt gibt es keinen Hass mehr zwischen uns«, sagt Elijah, der selbst ein Kikuyu ist. »Du kannst allen sagen, Kenia ist sicher.« Fortsetzung auf Seite 58
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Schönes, leeres Land Fortsetzung von Seite 57 Ganz am südlichen Ende des Diani Beach liegt das Baobab Beach Resort. Während des Spaziergangs dorthin passiert man eine Hotelanlage nach der anderen, manche gut besucht, andere verlassen. Auf dem Gelände des Ocean Village ist das Einzige, was sich bewegt, ein Rasensprenger. Im Schatten einer Hütte dösen ein Hausmeister und ein Sicherheitsmann in weißer Uniform. Das Hotel sei seit einem Jahr geschlossen, erzählen sie, alle anderen Angestellten habe man entlassen. Im Juli werde wohl wiedereröffnet. Das Baobab dagegen ist voll – fröhliche Urlauber an den Bars, den Pools, in den Restaurants. Palmen, Tamarinden- und Affenbrotbäume säumen die weitläufige Anlage, zwischen Büschen kauern Paviane, und am Abend stellen Lautsprecher mit Raubtiergebrüll vom Band sicher, dass sich kein Gast aus Versehen auf Gran Canaria wähnt. Der Manager Barry Mwangola wirkt hochzufrieden. Die 626 Betten seien zu 85 Prozent belegt, sagt er, auch wegen einer Gruppe von 200 Autohändlern, die als Belohnung für gute Verkäufe von ihrer Firma hierher eingeladen wurden und gestern angekommen sind. Für den nächsten Monat allerdings sähen die Reservierungen nicht ganz so gut aus. Das Hotel war früher ein Robinson Club, deshalb gehören viele Deutsche zu den Stammgästen. Deutsche gelten als besonders treu. Sogar zur Zeit der Ausschreitungen zeigten sie weniger Scheu, nach Kenia zu kommen, als etwa Italiener oder Franzosen. »Wir sind auch in der Krise optimistisch geblieben«, sagt Mwangola, »und haben erst im letzten Jahr einen ganz neuen Flügel mit 56 Zimmern eröffnet.« Sehr selten erkundige sich ein Besucher noch nach den Unruhen und der Sicherheit im Land. »Dem sage ich: Kenia ist wieder stabil, und keinem Touristen droht Gefahr.«
Thomas war Rezeptionist, jetzt arbeitet er als Tagelöhner auf dem Bau Die Wahrheit ist, dass sich die Urlauber hier an der Küste selbst während des Blutvergießens vor einem Jahr kaum ängstigen mussten. Kein Tourist wurde damals angegriffen oder getötet, kein Hotel geplündert. Der Konflikt entlud sich allein zwischen Kenias Ethnien, und das vor allem im Westen des Landes und in den Slums von Nairobi. Ohnehin läuft der typische Pauschaltourist, der nur ungern sein All-inclusive-Hotel verlässt und auf einer Safaritour mehr von den Tieren Kenias sieht als von seinen Menschen, wenig Gefahr, mit der Welt der Einheimischen in Berührung zu kommen. Von der Gewalt erfuhren die meisten Besucher aus dem Fernsehen oder durch besorgte Anrufe von zu Hause. Dann allerdings reisten sie ab und suchten sich für die nächsten Ferien neue Ziele. Niemand macht gern Urlaub in einem Land, in dem sich die Menschen auf der Straße massakrieren, auch wenn es viele Kilometer weit entfernt geschieht. Inzwischen hat sich die politische Lage beruhigt. Kenia ist sicher – aber alles andere als stabil. Einen
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Tag nach dem Gespräch mit dem Manager vom Baobab melden die Zeitungen, Präsident Kibaki habe den nationalen Notstand ausgerufen. Zehn Millionen Kenianer, fast ein Drittel der Bevölkerung, sind auf Nahrungshilfe angewiesen, Hunderttausende hungern schon. Schuld an der Not ist eine lang anhaltende Dürre, sind aber auch die Unruhen vor einem Jahr. Im Rift Valley, der Kornkammer Kenias, wurden viele Farmer von ihrem Land vertrieben. Außerdem ist importierter und dringend benötigter Mais von einem Kartell korrupter Politiker in den Sudan weiterverkauft worden. Korruption, Tribalismus, Armut, Misswirtschaft – Probleme, die fortbestehen und auf eine Lösung warten. Doch dieses Bild zeigt sich in vielen Urlaubsparadiesen, von der Karibik bis nach Asien. Bombolulu ist das Armenviertel Mombasas und nur ein paar Kilometer von den Strandhotels der Nordküste entfernt. Vorne an der Straße reihen sich bunt bemalte Geschäfte an heruntergekommene Buden – ein Friseur, ein Fleischer, ein kleiner Supermarkt. Je tiefer man sich in den Stadtteil hineinbewegt, desto ärmlicher werden die Häuser. Feldwege führen zu Hütten aus Lehm und Holz mit Gras- und Wellblechdächern, ohne Wasser oder Stromanschluss. Ziegen grasen auf den freien Flächen, ein Mann schraubt an einem Fahrrad, Kinder spielen mit einem Fußball aus ineinandergeknoteten Plastiktüten. Um einen Wasserhahn herum hat jemand einen Verschlag aus Wellblech gezimmert, Frauen mit Kanistern in der Hand stehen davor Schlange. Auch hier in Bombolulu kam es einige Tage lang zu Ausschreitungen. Geschäfte brannten und wurden geplündert, Mörder zogen von Tür zu Tür. »Jetzt ist alles wieder ruhig«, sagt Thomas, der in einer stillen Kneipe vor einer Flasche Coca-Cola sitzt – aber er senkt doch vorsichtig die Stimme, wenn im Gespräch der Name des Präsidenten fällt. Thomas gehört zu dem Heer von Arbeitslosen, die wegen der Unruhen ihren Job verloren. Er hatte sich in einem Hotel vom Gärtner über Spüler und Kellner hochgearbeitet bis zum Rezeptionisten. 10 000 Schilling, etwa 100 Euro, verdiente er zuletzt im Monat – für kenianische Verhältnisse ein ordentliches Einkommen. Ende Januar vor einem Jahr gab das Management von einem Tag auf den anderen die Schließung des Hauses bekannt. Jetzt arbeitet der 36-Jährige als Tagelöhner auf dem Bau, um seine Frau, fünf Kinder und zwei Geschwister zu ernähren. 30 000 Stellen im Tourismus hatte die Krise gekostet, dazu gut 200 000, die indirekt vom Geschäft mit den Urlaubern abhängen. Erst die Hälfte der Betroffenen, so heißt es, habe inzwischen wieder Arbeit gefunden. Der größte Kenia-Veranstalter, der Schweizer African Safari Club (ASC), musste damals neun seiner zehn Hotels an der Küste schließen, die eigene Fluglinie aufgeben und 1300 Angestellte entlassen. Heute sind fünf Häuser wieder geöffnet, und der ASC gibt sich zuversichtlich. »Die Talsohle liegt hinter uns«, sagt General Manager Jan Dröse. »Wir glauben an Kenia.« Für die Touristen immerhin hat die Krise auch ihre guten Seiten: Wo sich sonst in den Nationalparks um einen aufgespürten Löwen herum die Minibusse stauten, begegnet man zurzeit kaum einem anderen Auto, und in jeder Lodge gibt es freie Zimmer.
Fotos (Ausschnitte): Sergio Pitamitz/Getty Images (o.); Gavriel Jecan/AGE/F1 ONLINE (u.)
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Der Amboseli-Nationalpark an der Grenze zu Tansania gehört zu den meistbesuchten Wildreservaten Kenias. Die Tiere hätten die Besucherflaute vielleicht als ganz erholsam empfunden, meint der Safari-Guide. Zeitweise sei es so ruhig gewesen, dass man die Raubkatzen mitten auf den Wegen liegen sehen konnte. Jetzt badet gerade neben dem Wagen eine Gruppe von Elefanten bis zum Hals im grünen Sumpfwasser, dazwischen picken strahlend weiße Reiher nach Insekten. Jenseits der Ebene zeichnet sich ein hohes Bergmassiv ab, halb im Dunst verborgen. Was zuerst wie eine weiße Wolke am bleichen Himmel aussieht, ist in Wahrheit der Schnee auf dem Kilimandscharo. Hemingway’s heißt denn auch die Bar der Amboseli Sopa Lodge am Rand des Parks, ein gemütlicher Raum mit Samtvorhängen und einem Kamin. An den grün getünchten Wänden hängen neben einem Büffelkopf Fotografien des Schriftstellers, der einige Hundert Meter entfernt sein Camp hatte und hier auf Großwildjagd ging. Durch die geöffneten Fenster wehen die Klänge der afrikanischen Nacht herein – auf dem steten Grundton der Zikaden und Frösche ein Schnauben, Jaulen, Knurren. Unten an einem Wasserloch macht sich eine Streifenhyäne hastig über die Fleischabfälle des Restaurants her.
Die Massai hatten sich aus den Konflikten herausgehalten Die Gebiete um den Kilimandscharo sind MassaiLand. Ein Massai steht auch hinter dem Tresen der Bar. Emmanuel ist in einem kleinen Dorf in der Nähe aufgewachsen, zusammen mit dem Vater, dessen fünf Frauen und mit 23 Geschwistern. Die Massai – Rinderhirten, die sich traditionell nur von Milch, Blut und dem Fleisch der Herden ernähren – sehen sich als das auserwählte Volk Ostafrikas und halten an ihrer traditionellen Lebensweise fest. Mit weit ausholenden Gesten und voller Begeisterung erzählt Emmanuel von den Zeremonien seines Stammes, den Kriegerritualen, den Gesängen, den Gebeten um Regen und gutes Weideland. Seine beiden Wangen zieren Brandmale gegen den bösen Blick. Aus dieser fernen Welt traf Emmanuel vor fünf Jahren in der Lodge ein. Am Anfang bestürzten ihn die fremden Sitten der Touristen. »Wenn mein Vater wüsste, dass ich hier Fisch und Huhn esse, er würde weinen«, sagt Emmanuel. »Das ist gegen unsere Regeln.« Er aber genieße heute sein Leben in den zwei Kulturen. Im Dienst mixt er in einem roten Jackett, mit Hemd und schwarzer Fliege, Cocktails, an freien Tagen wandert er, in seine Massai-Decke gehüllt, seinen Massai-Speer in der Hand, die 30 Kilometer zurück ins Dorf. Die Massai hatten sich aus den Konflikten nach der Wahl herausgehalten, viele wussten nicht einmal, was der Anlass war. »Ich mag das«, sagt Emmanuel, »meine Leute sind sehr entspannt.« Es gehe um den Präsidenten, habe er im Dorf erzählt und auf die Frage, wer das sei, einen Geldschein mit seinem Bild herumgereicht. »Von den Unruhen wollten sie danach nichts weiter wissen«, sagt Emmanuel. Viel mehr habe die Männer die merkwürdige Krawatte auf dem Porträt interessiert.
Kenia SUDAN
Anreise: Condor (www.condor.de) fliegt dreimal
die Woche von Frankfurt am Main nach Mombasa, Air Berlin/LTU von München und Düsseldorf (www.airberlin.com) Veranstalter: FTI Touristik bietet in Zusammenarbeit
mit Pollman’s Tours & Safaris Pauschalreisen nach Kenia an. Preisbeispiel: 14 Tage HP im Viersternehotel an der Nordküste ab 1417 Euro pro Person. Viertagesafari in den Tsavo-Nationalpark ab 399 Euro. Tel. 089/25 25 10 24, www.fti.de
Mombasa liegt direkt am Diani Beach und besteht aus drei Teilen: Baobab, Kole Kole und dem erst 2008 eröffneten Maridadi Wing. Mehrere Pools, Bars und Restaurants, Animation und ein Spa. Wegen der Nutzung von Sonnenenergie und Wasseraufbereitung als Ökohotel ausgezeichnet Amboseli Sopa Lodge, Tel. 00254-45/62 23 34, www.sopalodges.com. Sehr schöne, rustikale Lodge am Rand des Amboseli-Nationalparks mit Blick auf den Kilimandscharo. 83 Zimmer in traditionellen Rundhütten, ausgezeichnetes Restaurant, freundlicher Service
KENIA UGANDA Rift Valley
Amboseli Park Kilimandscharo
TANSANIA
Romberg, Tel. 02104/83 29 19, www.magical-kenya.de
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Mombasa
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Diani Beach
Der AMBOSELI-NATIONALPARK ist eines der meistbesuchten Wildreservate Kenias
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SOMALIA
Nairobi
Viktoriasee
Auskunft: Kenya Tourist Board c/o Travel Marketing
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AFRIKA
Turkanasee
Unterkunft: Baobab Beach Resort, Diani Beach, Tel.
00254-40/320 26 23, www.baobab-beach-resort. com. Die große Hotelanlage 38 Kilometer südlich von
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uussch. Gut gezielt hat OlliPekka die Kelle über den knisternden Steinen entleert, und gleich geißelt uns ein Hitzeschwall. Die Lufttemperatur steigt auf einhundert Grad. Der Schweiß bricht hervor, in den Achseln und zwischen den Schenkeln, rinnt von der Stirn in die Augen, trickelt von den Schultern das Rückgrat hinunter zwischen die Hinterbacken. Die drei finnischen Gefährten Aki, Olli-Pekka und Arto genießen das, jeder auf seine Art. Olli-Pekka sagt: »Kippis!«, prost, setzt die Flasche Lapin Kulta an und hat sogleich einen Heidenspaß. Dank tausendstündiger Saunaerfahrung hatte er die Bierflasche auf dem Boden abgestellt, wo sie kühl geblieben ist. Der unerfahrene Gast aus Deutschland dagegen hat den Flüssigkeitsnachschub vorsichtshalber nah am Mann gehalten, oben auf der Saunabank, deshalb verbrennt er sich am heiß gewordenen Flaschen-
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einen Kanister Sprit mitbrachte, hatte damit seinen Fahrpreis entrichtet. Die moderne Gondelbahn, die neben der Saunakabine eine VIP-Gondel und 52 ordinäre Kabinen auf den Berg und wieder herunterträgt, ging erst vergangenes Jahr in Betrieb. Die Einheimischen sind so stolz darauf, dass sie in der Standortwerbung glatt behaupten, sie brächte den Skiläufer »closest to heaven« – dem Himmel so nah. Da wir uns aber in subarktischen Breiten befinden, kann der Trip auf den Ylläs im lappländischen Winter rasch zur Höllenfahrt werden. Der vertraute Nebel, der nächtens um die Saunagondel wabert, umspielt leider auch tagsüber die letzten hundert Höhenmeter des Bergs. Geht nur ein leichter Wind, und mindestens der geht immer, werden die objektiv sieben Minusgrade der Luft rasch zu gefühlten minus zwanzig auf den ungeschützten Gesichtspartien. Ein wenig Schneetreiben dazu, und schon artet der Beginn einer Skiabfahrt zu einer Arktisexpedition
Heiße Gondel
Finnland Anreise: Mit Finnair über Helsinki oder
mit SAS über Kopenhagen nach Kittilä. Der Flughafenbus nach Ylläs braucht circa eine halbe Stunde und kostet 11 Euro. Die Bahnfahrt von Helsinki nach Kolari dauert rund 13 Stunden, von dort weiter mit dem Bus
Bergblicke, Einwegfenster und ein 100-Grad-Aufguss: In Finnlands größtem Skigebiet können Saunafreunde im Skilift schwitzen VON WOLFGANG GEHRMANN
Unterkunft: Hotel Ylläs Saaga,
Der deutsche Saunaofen taugte nicht, ein finnischer musste her Dann sei da als Zusatznutzen die Aussicht – wenn Aussicht da ist jedenfalls. Die Saunagondel hat an ihren vier Seiten Einwegfenster, man kann hinausschauen, aber nicht von außen hinein. Aki versichert, dass man einen wunderbaren Blick habe über die endlosen lappländischen Kiefernund Birkenwälder. Momentan ist es draußen aber nicht nur dunkel, es wabert auch ringsum das opake Grau dichten Nebels. Über dem talwärtigen Fenster sieht man immerhin ein paar Meter Trägerkabel durch die Suppe schneiden, und wer das Auge während der fünfzehnminütigen Fahrt zur Talstation und wieder hinauf darauf fixiert, den überkommt eine hypnotische Ruhe. Eine Alternative zum Blick auf die Leiber der Mitsaunierenden ist diese Aussicht allemal. Gern streicht Aki eine weitere Besonderheit der Saunagondel heraus: »Hörst du den Wind?« In hohem Ton säuselt er um das Holzgehäuse. Er versetzt es in leichtes Wiegen. Das kennt man so in der Tat aus keinem anderen Dampfbad. Der Wunsch der Tourismusförderer, das Skigebiet Ylläs durch Ausgefallenes aufzuwerten, lässt sich nachvollziehen. Außerhalb der Saisonhöhepunkte zu Weihnachten und Ostern ist der Ort doch eher etwas für Wintersportpuristen, die auf Beiwerk wie Tageslicht, ausgelassenes AprèsSki, Kulinarik und lange Abfahrtspisten gern verzichten. Während der vierwöchigen Polarnacht um den Jahreswechsel kommt die Sonne nicht über den Horizont. Für vier Stunden am Mittag spendet ihr Widerschein eine gewisse Helligkeit, den Rest des Tages herrschen Dämmerverhältnisse unterschiedlicher Grade, die unterm Strich den Namen Düsternis verdienen. Einen Lichtblick soll gelegentlich das Nordlicht bieten. Allerdings gibt Aki Rundgren, wenn er seine Marketingpflichten beiseitelässt, den Saunagefährten auch gern die Geschichte von der japanischen Reisegruppe neulich zum Besten. Die habe in hellem Aufruhr ihr Abendessen im Stich gelassen und sei aus dem Restaurant geeilt, weil ein spektakuläres Leuchten über den Himmel flackerte. Dass die bestaunte Naturerscheinung dem Auf und Ab der Scheinwerfer eines Schneemobils hinter den Hügeln geschuldet war – nun ja, sollte man die Leute denn um ihre unschuldige Freude bringen? Jetzt, Ende Januar, beleben das Resort zwei Hundertschaften britischer Pauschalurlauber, mit denen das Hotel Saaga seine Grundauslastung sichert. Abgesehen von den Spielen der Premier League, die allabendlich auf den Großbildschirmen in der Bar laufen müssen, werden die Briten aber nicht weiter auffällig. Im Gegenteil: Auf den gut sechzig Abfahrtspisten des Ylläs treten sie als angenehm disziplinierte bis höfliche Sportsfreunde auf. Mit 718 Metern Höhe ist der Berg nicht unbedingt eine alpine Großaufgabe. Gleichwohl sollte man ihn nicht unterschätzen; auch er hat eine stolze Skigeschichte auf dem Buckel. Im Heimatmuseum von Äkäslompolo steht noch der erste Lift, der hier in den fünfziger Jahren betrieben wurde: im Wesentlichen ein luftgekühlter VW-Boxermotor, der ein Seil die Hänge hochzog. Statt Liftkarte bekam man für 150 Finnmark einen Haken, mit dem man sich ans Seil klinken konnte. Wer vom drei Kilometer entfernten Dorf
aus. Die Sicht ist null. Brettert der Skifahrer einbis zweimal in die jäh vor ihm auftauchenden Fangzäune, kommt Unklarheit darüber auf, wo es nun eigentlich aufwärts- und wo abwärtsgeht. Doch ist die Nebelzone erst einmal verlassen, hat der Ylläs märchenhafte Abfahrten zu bieten. Schön geführte Strecken, auf denen noch in der Frühe die Pistenmaschine war, ziehen sich durch die zwergwüchsigen Kiefernwälder. Eine leichte Schicht frischen Schneepuders liegt auf, die noch von keiner Spur eines Vorfahrers entweiht ist. Wieder und wieder lässt sich die ungekannte Erfahrung genießen, dass man eine kleine Skifahrerwelt ganz für sich allein hat. Skifahren in Lappland ist vor allem eines: ungebrochener Winter. Und nach einem Tag auf dem Ylläs erscheint einem die Idee, eine Saunakabine an eine Gondelbahn zu hängen, überhaupt nicht mehr absonderlich. Je schneller man von den Ski in die Hitze kommt, desto besser. Ob die vier finnischen Mädels, denen die Erfindung der Saunagondel zugeschrieben wird, im Moment der Erleuchtung solch weitreichende Überlegungen angestellt haben, ist nicht verbürgt. Aki erinnert sich nur, dass es bei einer Festivität des Tourismusverbandes war. An einem reinen Damentisch war schon des Öfteren das Wort »Kippis!« zu hören gewesen, und irgendwann war eben nicht nur eine Menge leerer Gläser auf dem Tisch, sondern auch die Idee mit der Saunagondel. Der österreichische Weltmarktführer für Skilifte, Doppelmayr, traute sich zu, so etwas zu bauen. Seinen Konstrukteuren allerdings unterlief ein unfassbarer Fehler: Sie bauten einen deutschen Saunaofen ein, wie er bei uns im tiefen Süden in vielen Eigenheimen steht. Nachdem die Finnen das Gerät, das sie allenfalls als Toaster nutzen würden, durch ein Eigenprodukt ersetzt hatten, war die Gondel dann brauchbar. Damit kommt Aki auf das Wesentliche zu sprechen: »Entscheidend ist, dass der Ofen ein richtig dickes Steinreservoir enthält. Und wenn er schon elektrisch geheizt werden muss, dürfen die Heizstränge nicht nur unter den Steinen liegen, sie müssen richtig dazwischensitzen. Nur dann funktioniert das Prinzip: aufheizen, dann abschalten. Die Steine müssen die Hitze eine Stunde lang halten. Das reicht für drei Touren in der Gondel.« Einen richtigen Steinhaufen, wie er in eine stationäre Sauna gehört, kann die Seilbahn natürlich nicht tragen. So einen Haufen hat Aki uns am Nachmittag gezeigt, im Dorf Äkäslompolo. Dort steht die letzte Rauchsauna der Gegend, und zwar seit rekordverdächtigen sechs Jahren. Im Schnitt nämlich pflegen finnische Rauchsaunen alle fünf Jahre abzubrennen. Sie werden immer wieder aufgebaut, seit hundert, zweihundert Jahren.
Tel. 00358-16/215 80 00, www.fontana.fi/yllassaaga. DZ ab 126 Euro. Lapland Hotel Ylläskaltio, Tel. 00358-16/55 20 00, www.lapland hotels.com. DZ ab 150 Euro Saunagondel: Zwei Stunden kosten für
maximal 12 Teilnehmer 1500 Euro Auskunft: Sport Resort Ylläs, Tel.
00358-16/510 35 00, www.yllas.fi. Ski Resort Ylläs-Ski-Oy, Tel. 0035816/55 33 77, www.visitfinland.de ZEIT-Grafik
Fotos: Olli-Pekka Seppälä für DIE ZEIT; PR (kl.)
mundstück erst einmal die Lippen. Der dicke Arto schweigt unterdessen vor Wonne. Aki aber ist dabei, sich in Begeisterung zu reden: »Ja, eine richtige Sauna ist das. Weil die Kabine eng ist, bekommst du die Hitze sofort zu spüren.« Wir sitzen in Finnlands abgefahrenster Sauna. Sie hängt an einem starken Drahtseil und schwebt vom Berg Ylläs hinunter zu Tal. Der Schwitzkasten ist eine Skiliftgondel, aus astfreiem Holz gebaut, eine Nussschale für vier Personen und die Attraktion in Finnlands größtem Skigebiet, siebzig Kilometer nördlich des Polarkreises. »Natürlich«, sagt Aki Rundgren, der Manager vom Sport Resort Ylläs, »ist die Saunagondel auch ein Gag für das Marketing. Skigebiete gibt es genug in Skandinavien und dem Rest der Welt. Da braucht man schon etwas Spezielles. Aber eine Sauna, die höchsten Ansprüchen genügt, ist sie eben auch.«
In 15 Minuten gleitet die Holzkabine vom BERG YLLÄS hinunter ins Tal und wieder herauf
»Dich wird eine Hitze umschmeicheln, die du noch nie erlebt hast« sagt Aki Seit dem Morgen schon war der Ofen in dem abseits am See liegenden Blockhaus mit entrindeten Birkenstämmen befeuert worden, sechs Stunden lang. Für den Abend hatte sich eine Gesellschaft angesagt, die dort essen und trinken, in den eiskalten See springen und im gewärmten Zuber im Schnee sitzen wollte. Der Ofen war schon erloschen, der dicke, schwarze Rauch durch Öffnungen in der Saunakammer abgezogen, nur der Ruß musste noch von den Bänken gespült werden. Der meterhohe Haufen von Felsbrocken in der Ecke aber glühte vor sich hin, und Aki hat sich ihm genähert, als wäre es ein Altar. »Wenn du jetzt Wasser aufgießt«, hat er geflüstert, »wird dich eine sanfte Hitze umschmeicheln, wie du sie noch nie erlebt hast, bei jedem Aufguss, bei jedem neuen Gang.« Die Steine würden den dauernden Wechsel zwischen heiß und kalt nicht länger als ein Jahr ertragen, jeden Sommer müssten sie ausgewechselt werden. »Dann liegt das zerbröselte Zeugs rund um die Saunahütte, und fünfzig, ach was, siebzig Kilo schwere Brocken werden neu aufgeschichtet für den nächsten Winter, eine Mordsarbeit.« Ein bisschen sah Aki aus, als überlegte er, ob nicht doch noch ein paar Steine mehr in die Gondel passen. a www.zeit.de/audio
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Ylläs, 718 m Äkäslompolo Kolari
Lappland Kittilä h Nördlic Rovaniemi
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Frisch vom Markt
Warum sich Kempinski aus dem Grand Hotel Heiligendamm zurückzieht
Ein komfortables Zeltlager wurde in der Wahibawüste in Oman errichtet. Urlauber wohnen an diesem 250 Kilometer von der Metropole Muskat entfernten Ort nur vermeintlich weltabgeschieden – das Desert Nights Camp wird geführt wie ein First-Class-Hotel. In der verstreuten luxuriösen Anlage gibt es eine Rezeption, mehrere Restaurants, einen Souvenirshop und einen Fernsehraum. Fein möbliert und klimatisiert sind die 26 Unterkünfte mit Wohnraum und Schlafzimmer. Von der überdachten Terrasse aus kann man weit über das exotische Land blicken und dem Wüstenwind lauschen.
Fotos (Ausschnitte): Achenbach & Pacini/Visum (o.); Kempinski Hotels (u.)
»Wir hatten keinen Einfluss mehr«
Auf Sand gebaut
Desert Nights Camp, Al Wasil, Oman, aus dem Programm »Vorderer Orient« von FTI Touristik. Übernachtung mit HP ab 124 Euro. Auskunft: Tel. 01805/38 45 00, www.fti.de
Langlauf mit Schuss
Ein Gewehr auf dem Rücken macht noch keinen Biathleten, doch zum Testen der Fitness taugen Probierrunden auf der Profistrecke von Garmisch-Partenkirchen allemal. Sie ist an jedem Mittwoch zwischen 11 und 13 Uhr für Freizeitsportler geöffnet. Bevor es in die Loipe des Biathlonstadions Kaltenbrunn geht, weisen Trainer in die Kunst des Liegend- und Stehendschießens ein und geben Tipps, wie man trotz Atemlosigkeit das Ziel korrekt anvisiert. Die Kurslänge wird nach dem individuellen Leistungsvermögen errechnet. Ansonsten sind dem Ehrgeiz der Amateure keine Grenzen gesetzt, und wer als Erster durchs Ziel läuft, bekommt wie ein Profi seine Urkunde nebst Siegerehrung.
In dem Luxusresort mit Ostseeblick fand 2007 der G-8-GIPFEL statt. Seither ist Heiligendamm weltbekannt, aber der erhoffte Besucheransturm blieb aus
DIE ZEIT: Herr Semer, Kempinski ist als Betreiber aus dem Luxusresort Heiligendamm ausgestiegen. Es heißt, dass es »erhebliche Meinungsverschiedenheiten« mit den Besitzern des Hotels, der Fundus-Gruppe und deren Treuhänder Anno August Jagdfeld, gebe. Was ist passiert? MARKUS SEMER: Anstehende Managementgebühren in Höhe von 1,1 Millionen Euro für die Jahre 2007 und 2008 sind von der Fundus-Gruppe nicht bezahlt worden. Zudem hatten wir auf den täglichen Hotelbetrieb keinen Einfluss mehr. ZEIT: Was heißt das konkret? SEMER: Fundus hatte beschlossen, den amtierenden General Manager selbst auszusuchen und einzustellen, er hat einen Arbeitsvertrag mit Fundus. Er berichtete nicht an uns, somit wurden uns die Informationen über den Ablauf des Hotelbetriebs versagt. ZEIT: Ich kann Ihnen sagen, wie es dort an einem Sonntagnachmittag im Januar ausgesehen hat: Zahlreiche Gäste standen an der Rezeption und beschwerten sich beim Auschecken über den Service und das Essen. Ein Gast strich die ihm vorgelegte Rechnung um die Hälfte zusammen und sagte: Sollten Sie auf der anderen Hälfte bestehen, klagen Sie sie ein! SEMER: Das ist einer der Hauptgründe, warum wir gekündigt haben, und das mit sofortiger Wirkung. Kempinski steht für Service. Die Servicemissstände in Heiligendamm dürfen nicht länger mit unserem Namen assoziiert werden. ZEIT: Als das Luxusresort 2003 an den Start ging, sprach Kempinski von einem »Renommierpro-
jekt«. Was hatten Sie sich denn von Heiligendamm erhofft? SEMER: Der Bauherr bot Heiligendamm im Prospekt als »Destination« an. Mit einer Infrastruktur, die es einem erlaubt, in der Liga eines Brenner’s Park-Hotels zu spielen. Und die es einem möglich macht, das Fünfsternehotel ganzjährig zu betreiben. Das Versprechen, Heiligendamm, immerhin das älteste deutsche Seebad, als Destination auszubauen, war die Basis dafür, dass wir in das Projekt eingestiegen sind. ZEIT: Was hätte dafür getan werden müssen? SEMER: Man hätte in die Renovierung der prächtigen klassizistischen Villen am Strand investieren müssen, damit sie nicht länger leer stehen und mehr Leben in den Ort kommt. Wichtig ist außerdem gerade für die Wintermonate der Ausbau der Spa-Landschaft. Wir haben – um nur ein kleines Beispiel zu nennen – stets auf einen Tunnel gedrängt, der das Hotel mit dem Spa-Gebäude verbindet, nicht nur für die Gäste, sondern auch für die Mitarbeiter, damit sie das Essen zum Spa bringen können. Nichts ist geschehen. ZEIT: Warum wurde das Hotel in den Wintermonaten nicht geschlossen? Viele Alpenhotels sind doch auch nur für sechs bis acht Monate geöffnet. SEMER: Das wurde von Fundus abgelehnt. Damit Fundus Subventionen erhielt, musste der Personalstamm von über 300 Mitarbeitern auch im Winter garantiert werden. ZEIT: Kempinskis Vorstandsvorsitzender, Reto Witwer, hat vor vier Jahren bereits gesagt, dass er
»das ganze Ding da oben kritisch« finde. Warum ist Kempinski nicht eher aus dem Vertrag ausgestiegen? SEMER: Wir binden uns ja nicht nur für ein Jahr. Das ist wie bei einer Ehe: Wenn es schwierig wird, sollte man nicht gleich packen und gehen, sondern sich zunächst konstruktiv auseinandersetzen. ZEIT: Kempinski hat sich vor Jahren auch aus dem Hotel und Resort in Bad Saarow wieder zurückgezogen, weil es nicht gut lief. In Heiligendamm konnten erst mit dem G-8-Gipfel im Jahr 2007 Auslastungen um die 50 Prozent erreicht werden. Kempinski habe kein schlüssiges Managementkonzept vorgelegt, sagen die Besitzer. Könnte es nicht sein, dass dem Konzern die Erfahrung im Betreiben von Resorts noch fehlt?
MARKUS SEMER, 32, sitzt im Vorstand der Kempinski AG und ist für die Planung zuständig
Das ist falsch. Das ist eine rein deutsche Sicht. Kempinskis Portfolio besteht zu 40 Prozent aus Resorthotels, wir sind in Europa einer der größten Resortbetreiber. Ob in St. Moritz, auf Sizilien oder in Kroatien – die Projekte laufen ausgezeichnet, weil wir auch dort einen guten Job machen.
SEMER:
ZEIT: Ihr Chef Reto Witwer hat auch gesagt: »Wenn der Kempinski-Name von Heiligendamm verschwindet, werden die Besitzer es bedeutend schwieriger haben.« Sehen Sie das genauso? SEMER: Was aus Heiligendamm wird, kann ich nicht sagen. Organisatorisch hat es uns Fundus verwehrt, eine ordentliche Übergabe zu machen. Es wurde uns nicht einmal ermöglicht, unsere Mitarbeiter zu informieren und unser Eigentum aus der Anlage mitzunehmen. ZEIT: Der Fundus-Gruppe gehört auch das Adlon. Sind die Beziehungen so zerrüttet, dass man auch mit einer Vertragskündigung für das Berliner Hotel, von welcher Seite auch immer, rechnen muss? SEMER: Heiligendamm und das Adlon sind zwei unterschiedliche Modelle. Beide Häuser werden von unterschiedlichen Fonds gehalten, die zum gleichen Fondsunternehmen gehören. ZEIT: Aber für beide Modelle ist Ihr Ansprechpartner Anno August Jagdfeld. SEMER: Heiligendamm war ein Betreibervertrag, der unseren Handlungsspielraum in gewisser Weise mehr einschränkt als ein Pachtvertrag, wie wir ihn für das Berliner Adlon haben. In Berlin kann uns niemand reinreden. Und solange wir unsere Pacht zahlen – das haben wir auch in schwierigen Zeiten getan –, läuft der Vertrag bis zum Jahr 2016. Wir sind in der Lage, das differenziert zu betrachten.
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Die Inseln des Briefträgers
Auf Salina und Procida entstand 1994 Italiens Kultfilm Il Postino, der Cineasten entzückte und sogar einen Oscar erhielt. Den Spuren des Briefträgers, der durch seine Freundschaft zu Pablo Neruda die Poesie entdeckte, können Film- und Italienfreunde nun mit laMar Reisen folgen. Die erstmals angebotene einwöchige Tour führt auf beide Inseln und startet auf Procida, wo im Fischerort La Corricella Filmgeschichte geschrieben wurde. Am vierten Tag geht es über Neapel weiter auf die kleine Äolische Insel Salina. Dort gibt es, nach einem Frühstück im Dorfgasthaus La Locanda del Postino, Drehorte zu besichtigen. Nächster Termin: 18. bis 25. April, ab 1255 Euro inklusive Übernachtung, HP, Ausflügen, ohne Anreise. LaMar Reisen, Hamburg, Tel. 040/59 45 70 64, www.lamar-reisen.de
INTERVIEW: TOMAS NIEDERBERGHAUS
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REISEN
12. Februar 2009 DIE ZEIT Nr. 8
BLICKFANG
Lesezeichen Amor auf Touren
Schreibenden Paaren, liebenden Schauspielern und kĂśniglichen FlitterwĂśchnern ist Iris SchĂźmann-Mock durch ganz Europa und in vergangene Jahrhunderte nachgereist. Sie rekonstruiert die erste Mittelmeerkreuzfahrt von Maria Callas und Aristoteles Onassis, die sich auf den mit Vorhäuten von Walen bespannten Barhockern der Christina näherkamen. Sie geht mit den Mozarts auf Hochzeitsreise nach Salzburg, wo Wolfgang Amadeus seine Constanze im Tanzmeistersaal das ÂťBĂślzelschieĂ&#x;enÂŤ lehrte. Ob Fahrradtouren mit dem Ehepaar Curie, ob Bergwanderungen mit Kaiser Franz Joseph und Sisi – die Autorin erzählt von 13 erotischen Exkursionen, als wäre sie selbst mit von der Partie gewesen. Und im Anhang liefert sie Wegbeschreibungen, Hotel- und Restaurantadressen, damit auch Liebesleute von heute die bewährten Winkel des GlĂźcks aufsuchen kĂśnnen. CS
Kordas Kuba FĂźhrer, Frauen, Arbeiter und das Meer – das waren die Themen, denen der Kubaner Alberto Korda fast 50 Jahre lang nachstellte. Seinem Blickwinkel sind nun auch die Herausgeber des schwergewichtigen Bandes Korda gefolgt: Den Auftakt ihrer Retrospektive bilden die Schwarz-WeiĂ&#x;-Aufnahmen von Havannas Revolutionären, die zum Kern eines umfangreichen und lange unterschätzten Werkes gehĂśren. Kordas Weltruhm basierte nämlich auf einem einzigen Schnappschuss, dem Porträt des Widerstandskämpfers Che Guevara. FĂźr die Generation der 68er, fĂźr Popkultur und Werbeindustrie wurde das Bild zur Ikone. Im eigenen Land galt Korda da längst als Fotograf der gesamten FĂźhrungselite. Von 1959 bis 1968 begleitete er den MĂĄximo LĂder von der Inselinspektion (unser Bild zeigt Castro bei der Zuckerrohrernte 1967) bis vors Rednerpult, von der Plauderstunde mit Simone de Beauvoir bis in Chruschtschows Jagdrevier. ÂťAm liebsten wäre ich Modefotograf gewordenÂŤ, sagte Korda einmal im Interview. Er hätte das Zeug dazu gehabt. Der Bildband zeigt, wie nahe Korda Kubas schĂśnen Frauen in den fĂźnfziger Jahren rĂźckte. Er fokussierte seine ganze Umgebung: lesende und jubelnde Zeitgenossen, Kinder, Arbeiter und Träumer. Und wenn das Licht besonders hell war, tauchte Korda ab – mit einer Unterwasserkamera ins flirrende Meer. CS
Iris Schßmann-Mock: Mein Herz tanzte mit ihr durchs Land. Berßhmte Paare auf Reisen. Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2008; 240 S., 24,– ₏
Deutschlandurlaub im Vollholzbett
Zu Hause nur Fleisch aus dem Bioladen essen und in den Ferien zu DosenwĂźrstchen greifen? Vielen Naturfreunden ist das zuwider. Sie wollen auch im Urlaub Nahrungsmittel aus Ăśkologischem Landbau genieĂ&#x;en. Wo sie das kĂśnnen, zeigt ein neuer ReisefĂźhrer aus dem Hause Polyglott. Er stellt 15 Ferienregionen vom Watt bis zu den Alpen vor, die alle tauglich fĂźr den perfekten Biourlaub sind – weil sie neben Nationalparks und Naturschutzgebieten auch zahlreiche Biohotels, Biorestaurants und Bioläden bieten. Wer sich an die Adressentipps hält, morgens etwa mit dem Schäfer durch die LĂźneburger Heide schweift, mittags ein Ziegenkäseragout im gegrillten Zucchinimantel isst und nachts im Vollholzbett schläft, bringt als Souvenir auf jeden Fall ein gutes Gewissen mit. CHB
Esther Scheidegger: Spaziergänge durch das Zßrich der Literaten und Kßnstler. Arche-Verlag, Zßrich/Hamburg 2008; 192 S., 14,80 ₏
Ăœber die sieben Berge
ZĂźrcher Parallelwelt
Susan hat vieles erreicht im Leben: Sie hat es im Job bis an die Konzernspitze geschafft, den Everest-Besteiger Phil Ershler geheiratet und mit ihm gemeinsam die Seven Summits bewältigt, die hÜchsten Berge der sieben Kontinente. So etwas läuft zwangsläufig auf ein Buch hinaus. Und weil die Bekennerschreiben alpiner Sßchtiger selten literarische Genßsse sind, schlägt man das Buch eher skeptisch auf. Doch die Geschichte ist dramaturgisch geschickt komponiert und flott erzählt, mit einem Gespßr fßr gute Szenen und interessante Details. Wenn die Ershlers bergan steigen, meint auch der Leser, jeden Felsriegel, jede Eisstufe zu spßren. Manchmal wird mehr Privates ausgebreitet, als man lesen will. Nicht unbedingt eine Pflichtlektßre, aber eine kurzweilige Antwort auf die Frage, was Menschen auf die Berge treibt und wie es ihnen dort ergeht. ALB
Bis zum Zweiten Weltkrieg musste man nicht reich sein, um ZĂźrich zu genieĂ&#x;en. Die Banken, die ZĂźrich zu einem der teuersten Pflaster Europas machen, wurden erst in der Nachkriegs-
Phil & Susan Ershler: ÂťDem Himmel ganz nahÂť. Das erste Paar auf allen Gipfeln der Seven Summits. Aus dem Amerikanischen von Inge Uffelmann; Kosmos Verlag, Stuttgart 2008; 366 S., 19,95 â‚Ź
Polyglott Special: ÂťBiourlaub in Deutschland – Natur erleben und genieĂ&#x;enÂŤ. Polyglott Verlag, MĂźnchen 2008; 256 S., 14,95 â‚Ź
Cristina Vives, Mark Sanders (Hrsg.): ÂťKorda. A Revolutionary LensÂŤ. Begleittext in englischer Sprache. Steidl Verlag, GĂśttingen 2008; 440 Seiten, 60 Euro
zeit groĂ&#x;. Davor galt an Limmat und ZĂźrichsee das Arbeitsethos der Zwinglianer, die vor lauter FleiĂ&#x; gar nicht richtig mitbekamen, dass in ihrer Stadt der Dada erfunden, die russische Revolution vorbereitet und auch so mancher groĂ&#x;e Roman geschrieben wurde. Abgeschirmt vom Desinteresse der Honoratioren konnten sich viele Schriftsteller und andere KĂźnstler eine intellektuelle Parallelwelt schaffen. Auf ihren Spuren lotst Esther Scheidegger ihre Leser nun hĂśchst kenntnisreich durch ZĂźrich. So erfahren wir nicht nur, in welchem Haus Gerhart Hauptmann regelmäĂ&#x;ig zu Besuch war und dass Thomas Mann Stammgast im Dolder Grand Hotel war, wo er in einem Kellner das Vorbild fĂźr seinen Felix Krull fand. Scheidegger erzählt uns auch, dass Zeitgenossen die Behausung von James Joyce schrecklich kleinbĂźrgerlich fanden. Sie weiĂ&#x;, in welcher Papeterie der WahlzĂźrcher Elias Canetti bis zu seinem Tod seine Bleistifte kaufte, und vergisst auch nicht, ab und an einen Geheimtipp zu verraten: Die winzige Weinstube WeiĂ&#x;e Rose in der Torgasse 9 zum Beispiel, die schon Max Frisch sehr schätzte. STF
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12. Februar 2009 DIE ZEIT Nr. 8
Zehnkampf im Kühlschrank Auf Bärenattrappen schießen und joggen bei minus 37 Grad: Prominente und weniger prominente Sportler stellen sich in Kanadas Yukon Territory einem arktischen Wettstreit VON BJØRN ERIK SASS
GANZ IN WEISS: Schneemobilrennen in Carcross (links), QuadRennen in Whitehorse und unser Autor beim Halbmarathon (oben)
D
as Yukon Territory liegt im Westen Kanadas, noch über British Columbia. Es beginnt am 60. Breitengrad, ungefähr auf einer Linie mit Oslo und Helsinki, und schiebt sich dann als langschenkliges Dreieck zwischen Alaska und den Northwest Territories weit hinauf bis an die Beaufortsee. Der Polarkreis läuft durch dieses Land. Mit anderen Worten: In Yukon beginnt die Arktis. Also ziehe ich schon beim Landeanflug den schweren, pelzbesetzten Parka über. Er ist weiß, was die Gefahr minimiert, dort draußen vorzeitig von Eisbären entdeckt zu werden, wie ich mir gerne einbilde. Anschließend schnüre ich die kniehohen Stiefel mit Korksohle und Lammfellfutter noch ein wenig fester, hänge die Fellfäustlinge an ihren Riemen um den Hals und drücke meine holzgerahmten, lederbespannten Schneeschuhe an mich. Man kann das übertrieben finden. Aber ich bin gerne optimal auf alle Eventualitäten vorbereitet. Könnte ja sein, dass die Landung in dieser Eishölle missglückt und wir am Ende in einer Schneewehe feststecken. Dann wäre ich allein bereit, Hilfe zu holen und meine Mitreisenden vorm Kältetod zu bewahren, und in Whitehorse, der Hauptstadt des Yukon, würden sie später Statuen nach meinem Bildnis aufstellen. Ist aber nichts mit Eishölle: Es sind fast zehn Grad in Whitehorse, nachts im Januar. Von den Dächern tropft Schmelzwasser, auf den Straßen liegt grauer Matsch. Ein sehr alter Kanadier sagt mir später, es sei schon einmal ein paar Tage lang so warm gewesen, vor 60 oder 70 Jahren.
Nur eine Straßenbiegung trennt Whitehorse von grandioser Wildnis Ich schwitze fürchterlich in meiner PolarbezwingerAusstattung. Denke aber gar nicht daran, sie auszuziehen, schließlich trage ich sie auch, um meine Mitstreiter zu beeindrucken. Wettkampfpsychologie. Wir sind zur »Fulda Challenge« angetreten, die der deutsche Reifenhersteller Fulda jährlich in Yukon ausrichtet. Fünf Amateursportler und fünf mehr oder weniger sportliche Prominente absolvieren einen arktischen Zehnkampf. Dieses Jahr dabei sind Fredi Bobic, früher Profifußballer, Lars Riedel, der den Diskus warf, Susi Erdmann, die rodelte, Magdalena Brzeska aus der Gymnastiksparte und Joey Kelly, der entweder mit seiner Familie Musik macht oder Extremsportevents abreißt wie unsereiner Verabredungen zum Kaffeetrinken. Sie werden eine Woche lang Hundeschlittenrennen fahren, Schneeschuh laufen, mit allen möglichen Mobilen durch den Schnee heizen und im Zelt schlafen. Und ich darf als Gast mitmachen, manchmal jedenfalls. In sportlicher Hinsicht ist das bei diesen Temperaturen natürlich nicht die ultimative Herausforderung. Aber eine prima Gelegenheit, dieses riesige,
Yukon Anreise: Im Winter gibt es keine Direktflüge nach
großartige Land kennenzulernen. Seinen Namen trägt es, weil im Süden der Yukon entspringt. Der Fluss schlängelt sich einmal durch die westliche untere Hälfte des Territoriums, vereinigt sich mit etlichen Nebenflüssen und dem Klondike, ehe er am 141. Längengrad rübermacht nach Alaska, um nach mehr als 3000 Kilometern ins Beringmeer zu münden. Yukon ist etwa eineinhalbmal so groß wie Deutschland. Von seinen 30 000 Bewohnern leben 24 000 in Whitehorse. Der Rest teilt sich Berge, Wälder und die nördliche Tundra mit 185 000 Karibus, 50 000 Elchen, 10 000 Grizzly- und 7000 Schwarzbären. Selbst von Whitehorse aus fahren wir nur wenige Minuten, biegen einmal von der Straße ab und sind mittendrin in grandioser Wildnis. Am ersten Wettkampftag taut es zwar weiter, aber unter den Pfützen steht das Eis noch meterdick auf dem Schwatka Lake. Die Athleten ballern mit Motorschlitten über den Stausee. Mich und die anderen Gäste verweist man auf einen Seitenparcours zum Geländewagentest. Das macht Spaß, und ich komme mir rasend schnell vor, fahre aber die langsamste Runde. Sogar die Frauen sind flotter als ich. Liegt daran, dass ich nicht mit den Athleten starten darf, sage ich mir, da kommt einfach nicht genug Adrenalin ins Spiel. Werde mich ganz auf meine Stärken im Ausdauerbereich konzentrieren. Leider muss ich Magdalena Brzeska später beim Mountainbike-Rennen im Auto überholen, weil es kein Fahrrad mehr für mich gibt. Sie kurbelt kraftlos mit einer Frequenz von etwa 120 Umdrehungen in der Minute in Richtung Ziellinie in Carcross. Ich überlege, ob ich ihr verraten soll, dass ihr Rad eine Gangschaltung hat, verwerfe den Gedanken dann aber. Carcross ist ein typisches Yukon-Dorf. Die wenigen Geschäfte sind bis zur Touristensaison geschlossen, das heißt mindestens bis Ende April. Die Ghùch Tla Community School hat gerade Schulschluss, der Hausmeister holt die Fahne mit den beiden Totem-Wölfen ein. Vor dem Ausgang blockieren zwei Schulbusse mit blinkender RundumWarnleuchte die Straße. Zehn Minuten lang passiert gar nichts, aber ich warte. Kaum etwas ist auf Kanadas Straßen verbotener, als an Schulbussen vorbeizufahren. Außerdem bedeutet Schulschluss Rushhour. So viele Menschen bekommt man hier sonst nie zu sehen. Das Dorf liegt am fast schwarzen Lake Bennett, dahinter ragen mittelhohe Berge auf, tiefgrün bewaldet, Schnee in den Lichtungen und auf den Kuppen, und über allem hängen niedrig bleierne Wolken. Es ist zwar immer noch viel zu warm, aber ungemütlich sieht es schon mal aus. Ein gutes Zeichen. In Carcross steht der Trapper Trail auf dem Programm, mit Schneeschuhlauf, Bogenschießen, Fährtenlesen und Fellbestimmen. Was klingt wie ein knallharter Check unserer Überlebenskompetenz in freier Wildnis, erinnert stark an einen Kinder-
ALASKA
AL ASK A (USA)
Dawson City
Fulda Challenge: Die Veranstaltung kann auch als Pauschalreise gebucht werden inklusive Mitfahrt im Tross, Team-Kleidung und der Gelegenheit, Prominenten bei ihrem Versuch zuzuschauen, auch im arktischen Winter »bella figura« zu machen. Infos unter www.globetourer.de
Strecke der Fulda Challenge 2009
KluaneNationalpark
YUKON (KANADA)
Whitehorse
Pazifischer Ozean
Nr. 8
Yukon
KANADA
Yukon
WrangellNationalpark
Am dritten Tag fahren wir weiter nach Dawson City, 550 Kilometer nördlich von Whitehorse, und endlich, endlich wird es kalt. Über weite Strecken zieht sich der Alaska Highway schnurgerade durch die Wälder, dann kurvt er wieder um Berge und Seen und Sümpfe herum. Die Straße ist vereist, der Schneestaub blendet. Und trotzdem entsteht beim Fahren ein Rhythmus, so mühelos und leicht, dass ich ewig so weitergleiten möchte. Bis zur Tankstelle in Pelly Crossing, auf halbem Weg nach Dawson, ist das Thermometer schon auf minus 20 Grad gefallen. Ich denke im Laden über die noch dickeren Handschuhe und das wattierte Holzfällerhemd für 29,90 Can$ nach. Die Indianer, die hier einkaufen oder Lotterie spielen, steigen in dünnen Kapuzenpullovern aus ihren Pick-ups. »Ist dir nicht saukalt?«, frage ich einen. »Es ist nicht kalt«, sagt er, »aber vielleicht wird es kalt.« Ich kaufe dann doch nichts. Die Straße nach Norden führt durch Waldbrandgebiete. Schilder zeigen, wann es loderte. Selbst Areale,
ZEIT-Grafik/ Quelle: Fulda
Ausrüstung: Angemessene Kleidung (wie die Parkas
von Canada Goose, in denen auch die Canada Ranger Kanadas Nordgrenzen entlangpatrouillieren) gibt es in Whitehorse besser und billiger zu kaufen. Tipp: Mark’s Wear House neben Wal-Mart
Nach zwei Minuten ohne Handschuhe brennen die Finger eine halbe Stunde
die vor 50 Jahren brannten, haben sich noch nicht vollständig erholt. Den Männern, die während des Goldrauschs nach Dawson strömten, wäre das egal gewesen. Sie hätten sich einfach über die Straße gefreut. Damals, vor hundert und ein paar Jahren, mussten sie den Chilkoot Trail über die Berge nehmen und die Reise dann per Floß auf dem Yukon fortsetzen, mit tonnenschwerem Gepäck. Die kanadische Polizei ließ niemanden über die Grenze, der nicht mehrere Hundert Kilo Lebensmittel und Ausrüstung vorzuweisen hatte, um dort oben überwintern zu können. Diese Männer haben jeden Tag unendlich viel mehr auszustehen gehabt als wir während unserer einwöchigen Challenge. Fühlt sich darum ein bisschen albern an, wie wir auf dem Dorfplatz von Dawson unsere Zelte aufschlagen und gut abgesichert spielen, was sie einst verfluchten. Dawson ist so überschaubar wie tadellos restauriert. 1800 Menschen wohnen hier. Während des Goldbooms waren es bis zu 40 000, und viele Häuser sehen aus, als wären die Abenteurer gerade erst über einen der Brettergehwege an ihnen vorbeigestiefelt. Inzwischen sind es 37 Grad minus. Die frühlingslasche Stimmung der ersten Tage ist verschwunden, der Challenge-Tross ist aufgeregt. Endlich richtiger nordkanadischer Winter! Kaffee, aus einem Becher in die Luft geschleudert, rieselt als Eisstaub zu Boden. Die Autos laufen die Nacht über durch. Wer jetzt an die Umwelt denkt, braucht morgen früh Starthilfe. Die Kälte beißt sich in die Nasenschleimhäute und in jeden Zentimeter ungeschützter Haut, sie nagt mit nadelspitzen Zähnen. Zwei Minuten ohne Handschuhe, und die Fingerkuppen brennen eine halbe Stunde nach.
(USA)
Pelly Crossing
Whitehorse, zurzeit zum Beispiel dreimal wöchentlich mit Lufthansa/Air Canada via Vancouver
geburtstag. An der Schießstation wird auf eine Bärenattrappe in Labrador-Größe angelegt. Zum Fährtenlesen sind Schautafeln vorbereitet. Zwischendurch setzt sich Magdalena Brzeska kurz in ein eingeschneites Autowrack, die Autofokusse der mitreisenden Fotografen drehen durch, während irgendwo am Horizont Joey Kelly über den Schneeschuh-Parcours sprintet wie der Wolf bei der Jagd auf Kitzlein. Jedes Wild bräche nach wenigen Metern erschöpft zusammen.
Carcross
50 km
DIE ZEIT
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Ideale Voraussetzungen, um das Yukon-Gefühl beim Halbmarathon ganz auszukosten. Der Lauf findet auf dem Dempster Highway statt, der ganz nach oben auf die Liste der schönsten Straßen der Welt gehört. Harmonisch fügt sich der Dempster in die Talläufe und Bergschwünge der Ogilvie Mountains ein und weiter hinauf durch tundrische Ebenen bis ins Delta des Mackenzie. Wegen der Temperaturen verkürzen die Ärzte die Strecke auf 15 Kilometer. Joey Kelly brät vom Start weg los. Ich will vorsichtig antraben, schauen, wie sehr die Temperatur in meinen Bronchien knistert, und dann aufgewärmt aufdrehen. Das Aufwärmen klappt nicht richtig gut. Unterhemden und die Laufjacke sind ruck, zuck bretthart gefroren und scheuern mir beim Joggen die Brustwarzen auf. In den Wimpern, in den Brauen und im Bart bilden sich Eisklumpen. Dann kommt ein leichter Wind von vorne, inmitten kältestarrer Stille, ein zarter Hauch nur, wie aus einem riesigen Kühlschrank. Trifft auf die Brust und lässt die Knie zittern. Es muss dieser Hauch von weit her sein, der die Helden der Arktis immer weiter gezogen hat, weil es im Norden nur Bewegung gibt oder Tod. Richtig schmerzhaft wird es erst am Schluss, auf den letzten Kilometern vor dem Ziel, nach dem finalen Anstieg um einen Sattel biegend. Die Sonne ist endlich hoch genug gekrochen, mir ins Gesicht zu scheinen. Ringsherum diese fantastischen Berge, schneebedeckt, mit schroffen Graten, die in den dünnen, rosafarbenen Sonnenaufgangsstreifen schneiden, und darüber der Himmel von so klarem Blau: Es gibt Leute, die langsamer laufen, um das voll auskosten zu können. Schwer zu ertragen, so viel Schönheit.
Nr. 8
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12. Februar 2009 DIE ZEIT Nr. 8
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Spezial: Privatschulen & Internate
12. Februar 2009 DIE ZEIT Nr. 8
Fotos {Ausschnitt): Christoph Busse für DIE ZEIT/www.christophbusse.de
Jedes Jahr werden in Deutschland 100 neue Privatschulen gegründet. Für dieses Spezial waren unsere Autoren in der Salzmannschule in Thüringen, wo Gymnasiasten Japanisch und Arabisch lernen (Seite 66/67), und in einer evangelischen Grundschule in Hamburg (Seite 69). Außerdem haben wir eine Familie begleitet, die ein englisches Internat für ihren Sohn sucht (Seite 68)
»Herr Kilgus ist der Beste« Der Lehrer und Internatsvater auf Schloss Hohenwehrda weiß mit Jugendlichen in schwierigem Alter umzugehen
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EIN TAG IM INTERNAT: Der Lehrer Volker Kilgus (Foto oben) lebt mit elf Schülern wie in einer Familie zusammen. Dreimal am Tag trifft er sich mit den Jugendlichen im großen Speisesaal zu den Mahlzeiten (unten). Zwischendurch sieht er sie im Biologieunterricht
ätte Volker Kilgus vor zehn Jahren jemand gesagt, dass er einmal in einem Schloss leben und elf Kinder haben würde, er hätte laut gelacht und gerufen: »Erzähl keine Märchen!« Damals war Kilgus gerade durch einen dieser Zufälle, die ihn so durchs Leben trieben, in einem Autohaus gelandet, zuständig für Markenstrategien, Verkäuferschulungen, Hausmessen und die Kundenzeitung. Eigentlich war er Gymnasiallehrer für Biologie und Sport, aber das hatte Kilgus etliche Jahre fast vergessen. Inzwischen ist er wirklich angekommen, auf Schloss Hohenwehrda, hoch oben auf dem Berg mit weitem Blick auf die winterlich kargen Wiesen des Haunetals in Hessen. Wie jeden Morgen sitzt er pünktlich um halb acht an der langen Frühstückstafel, neben ihm Anastassija, Theresah, Chantal, Daniel, Max und all die anderen. Volker Kilgus wohnt jetzt im Internat und lebt mit elf Jugendlichen wie in einer Familie zusammen. »Seine« Kinder sind zwischen 14 und 17 Jahre alt. Sie haben vieles hinter sich gelassen, ihre vertraute Schule, die alten Freunde, ihre Mütter und Väter. 14 Familieneltern gibt es an der Hermann-Lietz-Schule Schloss Hohenwehrda – Lehrer, die nach dem Unterricht nicht nach Hause flüchten, sondern bleiben, um im Rhythmus der Schüler im Internat zu leben. Sie haben sich einander nicht ausgesucht, Vater Kilgus und seine Kinder. Wer nach Hohenwehrda kommt, wird einer Familie zugewiesen, und für Volker Kilgus beginnt mit jedem Neuzugang das nächste Abenteuer. Denn nicht alle Kinder beginnen ihr Internatsleben mit romantischen Hanni und Nanni-Erwartungen, manch einer fühlt sich regelrecht »abgeschoben«, andere vergleichen das starre Reglement der Lietz-Schule hinter vorgehaltener Hand schon mal mit Alcatraz. Das Leben, aus dem sie kommen, scheint hier oben im Schloss unendlich fern. Die Tage vergehen zwischen Klassenräumen, Speisesaal, Gildenarbeit, Lernzeit und Dreibettzimmern. Das Internat hat 130 Schüler und 30 Lehrer und Sozialpädagogen, ein paar Schafe, zwei Pferde, eine Schreinerei und eine Gärtnerei und im Sommer einen Pool. Fluchtgedanken mag da manch einer hegen, aber jeder »Ausgang« muss angemeldet werden. Niemand darf sich weiter entfernen als ins zwei Kilometer nahe Dorf Wehrda. Dort haben die Schüler die Wahl, im einzigen Laden ihren Süßigkeitenvorrat aufzustocken oder bei »Käthe«, der 78-jährigen Besitzerin der Dorfkneipe, ihr Herz auszuschütten und dabei die zwei Bier zu trinken, die ab 16 erlaubt sind. Wer das Internat unerlaubt verlässt, muss Strafe fürchten, einen Waldlauf früh am Morgen, in eisiger Luft, wenn alle noch schlafen. Volker Kilgus ist es, der darüber wacht, dass alle Regeln eingehalten und alle Strafen verbüßt werden. Seit fast fünf Jahren arbeitet der 52-Jährige Tür an Tür mit den Jugendlichen, die aus Fulda, Bremen oder München kommen. Weil sie ihre Noten verbessern wollen oder weil ihre Eltern eine Alternative zur Staatsschule suchten oder einen Ausweg aus G8, dem verkürzten Gymnasium. 2300 Euro zahlen sie jeden Monat für die Privatschule und den Platz ihrer Kinder in der Kilgus-Familie. Der Internatsvater erlebt die Kinder als Lehrer und Betreuer. Vormittags gibt er ihnen Noten, abends schauen sie zusammen Tatort. Er weiß, wer in wen verliebt ist, wer sich einsam fühlt. Er ist für sie da, wenn sie heulend in seiner Küche sitzen. Feierabend kennt Kilgus erst, wenn die elf Mädchen und Jungen schlafen und das Klopfen an seiner Wohnungstür endlich aufhört. »Wer bei uns Familienvater wird, der entscheidet sich für einen Lebensstil und nicht dafür, nur einen Beruf auszuüben«, sagt Sabine Hasenjäger, die Schul- und
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DIE ZEIT
Heimleiterin von Schloss Hohenwehrda – sie selbst lebt dieses Leben seit über 30 Jahren. »Die Kinder müssen merken, da lebt einer gerne mit ihnen zusammen. Und wer es nicht schafft, jedes Einzelne dieser Kinder zu mögen, der ist hier fehl am Platz.« Volker Kilgus überzeugte die Schulleiterin auch durch seinen schillernden Lebenslauf – im Internat braucht sie Pädagogen, die sich für mehr interessieren als nur für ihr Fach. Sie sucht nach Menschen, die viele Begabungen haben und die Kinder begeistern können. Volker Kilgus führt zwei Schülerunternehmen, gibt die Schloßpostille heraus und meditiert mit den Kindern. Bevor er ins Internat kam, war er Lokaljournalist, leitete ein Pressebüro, gründete eine Eventagentur, arbeitete im Autohaus. Nach Ausbildungen zum Systemcoach und als Mediator zog es ihn doch wieder in die Klassenzimmer. »Aber vor 20 Jahren hätte ich diesen Job hier im Internat noch nicht durchgehalten«, sagt er heute. Es ist Donnerstagvormittag. Mit knallrotem Gesicht kommt Volker Kilgus aus einem Elterngespräch. »Jetzt dröhnt der Kopf ganz schön«, sagt er in breitem Hessisch, fährt sich durch die wilde grau-blonde Mähne und steckt sich eine Zigarette an. Es ging um ein Mädchen seiner Familie – und die gescheiterte Beziehung zwischen Mutter und Tochter. Der Vater spielt wie in so vielen Familien keine Rolle mehr. Vor Kurzem hat Volker Kilgus in einigen Klassen eine Umfrage gemacht, welche Kinder aus welchen Familienstrukturen kommen. Nicht mal 50 Prozent der Kinder gehörten noch einer klassischen Vater-Mutter-Kind-Familie an. Es hatte selbst die Kinder überrascht, wie viele von ihnen allein mit der Mutter oder in neu zusammengewürfelten Patchworkfamilien lebten. »Im Grunde sehnen sich die Kinder nach der Struktur und Berechenbarkeit einer ganz normalen Familie«, sagt Kilgus. Und das gelte für alle. Egal, welcher gesellschaftlichen Schicht sie angehören, ob ihre Eltern wohlhabend sind oder arbeitslos. Für 20 Prozent der Schüler auf Schloss Hohenwehrda übernimmt das Jugendamt die Kosten für den Internatsplatz. Oftmals, weil es für diese Kinder besser ist, nicht in ihren kaputten Familien zu leben.
»Sorgen Sie dafür, dass mein Kind auch zu Hause so ist«, fordern die Eltern Volker Kilgus hat einen eng gestrickten Tagesplan. Er muss den Stand der Jahresarbeiten kontrollieren, die Infoveranstaltung für die Malta-Reise vorbereiten und zur Lehrerkonferenz. Drei Mädchen aus seiner Familie warten bereits mit ihren Jahresarbeiten in seinem Arbeitszimmer. Der Familienvater hat nun wieder in die Rolle des Lehrers zu schlüpfen. Chantal fummelt nervös an einem gelben Stoffbeutel herum. Als sie an die Reihe kommt, zögert sie, ihren Hefter herauszuziehen. »Ich hab nur ein bisschen, und das ist scheiße«, sagt sie. Unzufrieden blättert Volker Kilgus durch die spärlichen Aufzeichnungen. Er könnte jetzt drohen: Die Lehrerkonferenz hat festgelegt, dass alle Arbeiten eine Note herabgesetzt werden, die jetzt noch nicht weit genug sind. Ostern ist Abgabe. Stattdessen schlägt Kilgus vor, dass sich Chantal am nächsten Wochenende zu ihm ins Büro setzt und intensiv an der Arbeit schreibt. Sie nickt und geht. Aus Abneigung gegen die »seelenlose Staatsschule« gründete der Pädagoge Hermann Lietz seine »Erziehungsschulen« – die erste entstand 1898 in Ilsenburg. Noch heute verstehen sich die 20 Landerziehungsheime in Deutschland als Lebens- und Entwicklungsraum, in dem Kopf, Hand und Herz gleichermaßen gefördert
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SCHWARZ
VON JEANNETTE OTTO
werden sollten. Auf die Beziehungen zu den Kindern komme es dabei an, darin sind sich die Pädagogen auf Schloss Hohenwehrda einig. Wenn es mehr Nähe zu den Erwachsenen gebe, mehr Berührungspunkte im gemeinsamen Alltag, dann funktioniere auch der Unterricht besser. Aber was sind das für Menschen, die den Beruf des Lehrers zur Lebensform machen, um mit Kindern zu leben, die Fremde ihnen anvertrauen? Manche kämen als lonely wolves nach Hohenwehrda, sagt Volker Kilgus, als einsame Wölfe, die selbst kein Glück hatten, eine intakte Familie zu gründen oder zu erhalten. Volker Kilgus kam als alleinerziehender Vater. Inzwischen geht sein Sohn Paul auf die benachbarte Lietz-Schule Schloss Bieberstein, um dort Abitur zu machen. Seltsam sei das gewesen, plötzlich das eigene Kind aufs Internat zu schicken, sagt Volker Kilgus. Vor Kurzem hatte Paul Geburtstag, er wurde 17. Für Kilgus Anlass genug, ein paar Flaschen Sekt und Zigaretten nach Bieberstein zu schmuggeln. Auf Schloss Hohenwehrda sollte das natürlich niemand wissen. Die strengen Internatsregeln gehen Kilgus manchmal fast zu weit. »Wenn ich mir überlege, was ich in dem Alter angestellt habe, finde ich die Kinder hier eher harmlos«, sagt er. Kilgus hat herausgefunden, dass es den Jugendlichen in seiner Gruppe viel unangenehmer ist, sein Vertrauen zu missbrauchen, als eine Regel zu brechen, und darauf setzt er. Aber es kann lange dauern, bis das Vertrauen überhaupt da ist. »Ich erinnere mich an ein Mädchen, die hat wochenlang nur geweint und gezittert, ständig gebrochen. Sie hat sich mit ihrem gesamten Körper gegen dieses Internat gewehrt«, sagt Kilgus. Der Moment, in dem ein Kind ihn zum ersten Mal anlächelt, ist für Kilgus der Durchbruch. Dann weiß er: Von jetzt an wird es leichter. Er hat gerne die Älteren in seinen Familien, die Bockigen und Hartnäckigen. Nicht selten schickt die Internatsleitung die schwierigen Fälle in die Kilgus-Familie. Die Internate profitieren nicht unwesentlich davon, dass Eltern gerade in der Pubertät an ihren Kindern verzweifeln. Viele kommen, wenn die Zeit der großen Zerrissenheit so richtig an den Familienbanden kratzt, Schulnoten versaut und jede Diskussion im Streit enden lässt. »Die meisten Eltern haben nie gelernt, ihren Kindern Grenzen zu setzen. Aber genau das erwarten sie jetzt von uns«, sagt Volker Kilgus. Und schnell fragen sie sich, was dieser Mann wohl hat, was sie nicht haben. Warum die Kinder »Herrn Kilgus zuliebe« das Zimmer aufräumen. Warum er ihre Offenheit gewinnt. »Sorgen Sie dafür, dass mein Kind auch zu Hause so ist«, fordern sie dann. Ihn können sie nicht beeindrucken mit ihren großen Wagen, ihren Villen, ihrem Reichtum. Er weiß, dass all das nichts verrät über die Beziehungen, die sie miteinander führen. Kilgus kann die Marken, die die Mädchen und Jungen tragen, kaum aussprechen. Wer ihm imponieren will, braucht zum Frühstück noch keinen Lidschatten zu tragen. Vielleicht verehren die Kinder diesen bärtigen Mann gerade deshalb so, weil er ein Typ ist, den sie in ihren Familienstrukturen so nie angetroffen haben, der sich einen Teufel drum schert, wie seine Haare heute wieder liegen und ob sein Fleece-Pullover blau oder rot ist. »Herr Kilgus ist der Beste, das weiß ich, obwohl ich erst seit drei Wochen hier bin«, sagt die 16-jährige Laura, die gerade den Tisch für den Raclette-Abend deckt. Jeden Donnerstag ist Familienabend im Internat, und die Kilgus-Familie hat sich in dieser Woche für ein üppiges Abendessen im Schloss entschieden. In der Küche von Volker Kilgus schneiden die Mädchen Fleisch und Ge-
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müse, die Jungen holen Getränke. Kartoffeln soll es auch geben, aber wie kocht man die noch mal? Als Chantal und Theresah die letzten Paprikaschoten klein geschnippelt haben, setzen sie sich zu ihrem Familienvater an den Küchentisch. »Herr Kilgus, sagen Sie ehrlich, was haben Sie gedacht, als Sie mich zum ersten Mal gesehen haben? Wirklich, ehrlich!«, fragt Theresah. Und Chantal will es auch wissen. Sie gieren nach seiner Nähe, nach seiner Wertschätzung. In diesem Moment scheint die Küche ihres Familienvaters wirklich zu einer Art Zuhause für die beiden Mädchen geworden zu sein.
Volker Kilgus ist keiner, der sich als Freund anbiedert, er hält mehr von klarer Linie Später sitzt die Kilgus-Familie brav am Tisch und packt sich ihre Raclette-Pfannen voll mit Schinken und Käse. Die Jugendlichen reden leise, kichern verlegen. Als der Hunger nicht mehr so groß ist, fangen sie an zu erzählen. »Ich wäre fast geflogen«, sagt der eine. Der andere nickt: »Na, ich doch auch.« Max hat sich geprügelt, danach wurde er für ein Wochenende von der Schule suspendiert, um zu sich zu kommen. Es folgten drei Tage »Dauergespräch« mit den Eltern in Berlin. Für Nikolas war die Versetzung in die Kilgus-Familie die letzte Chance. »Die Strafe war für mich eher ein Glücksfall«, sagt er trocken. Chantal war kaum angekommen, da stand ihre Zukunft schon auf dem Spiel. »Sie hätte um ein Haar das Haus abgefackelt«, sagt Kilgus leise. Eine Woche lang wurde sie in die Fremde geschickt, in die Lietz-Schule nach Haubinda in Thüringen, um dort im Garten zu arbeiten. Große Erwartungen lasten auf den Kindern und Jugendlichen, aber auch auf Volker Kilgus. Die Eltern erwarten, dass das Kind endlich so funktioniert, wie sie es wollen. Der Internatsvater hat ein einfaches Rezept. Er gibt den Jugendlichen das, was sie zu Hause nicht finden. »Eine klare Linie, Ansprache, Reibungsfläche und das Gefühl, dass jemand für sie da ist.« Kilgus ist keiner, der sich als Freund anbiedert. »Die wollen keine Erwachsenen, die glauben, sie müssten die Pubertät noch einmal mitmachen, um ihre Kinder besser zu verstehen. Die wollen sich abgrenzen.« Viele Eltern könnten das aber nicht ertragen. Das kann so weit führen, dass die Jugendlichen am Heimfahrtswochenende lieber im Internat bleiben wollen. Aus Angst vor dem ewigen Streit. Vor ein paar Jahren hat Kilgus einen Jungen aus Berlin übers Wochenende einfach mit zu sich genommen. Der Mutter war es recht, und der Junge atmete auf. Und Kilgus? Blieb wie immer gelassen: »Ich leb halt damit, und dann ist die Tür eben auch offen.« a www.zeit.de/audio
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Wie ein Internat bei Hamburg nachträglich zum Schulabschluss verhilft
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Fotos (Ausschnitt): Christoph Busse für DIE ZEIT/www.christophbusse.de (großes Foto); Sker Freist
ANNETTE VON RANTZAU, 60, leitet das Internat Schloss Rohlstorf
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Mandarin in Schnepfenthal
Zeit für Spätzünder
INTERVIEW: JUDITH SCHOLTER
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DIE ZEIT: Bei Ihnen auf dem Internat Schloss Rohlstorf können 24 Jugendliche, die nicht mehr schulpflichtig sind, ihren Haupt- oder Realschulabschluss nachmachen. Was sind das für Kinder? ANNETTE VON RANTZAU: Wir haben Schüler, deren Eltern häufig umziehen, aber auch Hochbegabte, die in staatlichen Schulen durch das Netz gefallen sind, und Kinder aus bildungsfernen Schichten. Wir wollen die ganze gesellschaftliche Breite abbilden. ZEIT: Was machen Sie anders als die Staatsschule? VON RANTZAU: Wir setzen auf strenge Strukturen und konzentrieren uns auf Kernfächer wie Deutsch und Mathematik. Jedes Kind lernt in seinem eigenen Rhythmus und wird nachmittags betreut. ZEIT: Sind Ihre Schüler denn nie bockig? VON RANTZAU: Doch, es gibt auch mal Probleme. Aber es ist ja auch eine Zumutung für einen 16Jährigen, der vor Hormonen strotzt, eine Stunde still zu sitzen. Wir schicken ihn dann zu einem Lauf ums Gelände. Und wir können die Schüler durch unser Auswahlverfahren in die Verantwortung nehmen. Die Schüler hospitieren bei uns und müssen sich dann aktiv melden und sagen: »Ich möchte auf eure Schule gehen.« Wir können dann sagen: »Niemand hat dich gezwungen, zu uns zu kommen.« ZEIT: 78 Prozent Ihrer Schüler haben die externen Nachprüfungen bestanden. Worin liegt Ihr Erfolg? VON RANTZAU: In der Figur des Lehrers und Erziehers. Es geht um Akzeptanz und Herzenswärme, nach dem Motto: »Keine Erziehung ohne Beziehung.« ZEIT: Der Preis dafür ist hoch, er liegt bei 2000 Euro pro Monat. VON RANTZAU: Viele Familien müssen das Geld zusammenkratzen, das ist wahr. Im kommenden Schuljahr möchte ich aber doppelt so viele Schüler aufnehmen und versuche deshalb gerade Stiftungen für Stipendien zu gewinnen.
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SHAHIR NASHED arbeitet als Arabischlehrer an der Salzmannschule
uf den ersten Blick ist Schnepfenthal einer dieser kleinen, verschlafenen Orte, wie es sie zu Tausenden in Deutschland gibt. Doch am Waldrand, hinter einer kleinen Plattenbausiedlung mit vor sich hin welkenden Fassaden, verbirgt sich eine spannende Schule: die Salzmannschule, Deutschlands einziges auf Fremdsprachen spezialisiertes Gymnasium. In dem staatlichen Internat für sprachbegabte Kinder lernen die Schüler schon in der sechsten Klasse als zweite Fremdsprache Chinesisch, Arabisch oder Japanisch. In Klasse 8 kommt eine dritte, in Klasse 9 eine vierte Fremdsprache dazu. Vor acht Jahren startete Thüringen das Experiment, in diesem Jahr verlassen die ersten vierzig Absolventen das Sprachengymnasium. Von außen wirkt das 200 Jahre alte, sandfarbene Anwesen, als sei die Zeit stehen geblieben, ein Glockenturm spiegelt sich in einem süßlich-modrig riechenden Teich. Im Inneren der Schule ist man auf dem modernsten Stand. Auf jedem Lehrerpult steht ein Flachbildschirm, mit Beamer wird das Bild auf weiße Wandtafeln projiziert. Die Satellitenanlage auf dem Dach empfängt ausländische Sender. 13 Millionen Euro hat Thüringen in die Sanierung der Schule gesteckt, gerade wird für weitere zwölf Millionen ein neues Wohnheim gebaut. Eine moderne Lernoase am Rand des Thüringer Waldes, die Chancen bieten will in einem Bundesland, in dem in einigen Regionen mehr als 15 Prozent der Bevölkerung arbeitslos sind. Weil deshalb vor allem die jungen Erwachsenen wegwollen, gibt Thüringen laut der Studie »Bildungsmonitor 2008« bundesweit den höchsten Anteil des Länderhaushalts für seine Universitäten und Schulen aus. Bevor die Salzmannschule zu einen Spezialgymnasium für Sprachen wurde, war sie ein Regelgymnasium. Als »moderne Erziehungsanstalt« hatte sie der Reformpädagoge Christian Gotthilf Salzmann 1784 gegründet, um naturverbundene Zöglinge heranzubilden. Statt Naturnähe hat die Schule heute die Vorbereitung auf den globalen Arbeitsmarkt im Blick. Und so verwundert es nicht, dass sich die meisten Schüler in der sechsten Klasse für Chinesisch als zweite Fremdsprache entscheiden. Auch die außereuropäischen Fremdsprachen werden von Muttersprachlern wie Shahir Nashed unterrichtet. Der schreibt von rechts nach links arabische Lettern an die Tafel. »Erinnert ihr euch an die
Vergangenheitsform?«, fragt er in die Runde von zehn Schülern. Nicht nur wegen der Stelle als Arabischlehrer zog Nashed vor vier Jahren nach Thüringen, wo seine Frau aufgewachsen ist. Er wollte seinem Sohn die Konflikte ersparen, in die er als Christ im islamischen Ägypten geriet. Als er einen arabischen Text über eine Beerdigung vorliest, unterbricht der 17-jährige Josef ihn: »Das ist ja voll teuer, das ganze Dorf einzuladen.« – »Nein, das ist anders als in Deutschland«, erwidert Nashed, »jeder bringt etwas zum Essen mit.« Josefs Nachname Baghdadi verrät, warum der Junge mit dem ernsten Blick seit sechs Jahren Arabisch lernt. Jeden Sommer fährt er die große Familie des Vaters in Damaskus besuchen. »Die Kehllaute waren am Anfang das Schwierigste«, erzählt er in der Pause. Schulleiter Dirk Schmidt hofft, dass seine Schüler einmal zur Elite Deutschlands gehören. Zu einer geistigen, betont er, die nicht von den finanziellen Möglichkeiten der Eltern abhängt. Eine Privatschule hätten sich etwa die Eltern von Julia nicht leisten können. 253 Euro monatlich zahlen sie für Unterkunft und Verpflegung. Die 17-Jährige probt gerade im Speisesaal des Wohnheims ihren Auftritt für ein Schulfest. Sie singt Amy Winehouses Song Rhab, ihre Freundinnen spielen Gitarre und Geige. Die Zeit fürs Musizieren ist hart erkämpft. Vierzig Wochenstunden Unterricht, eine Arbeitsgemeinschaft und soziale Aufgaben wie Nachhilfe für die Jüngeren sind ein enormes Pensum. Vier Fremdsprachen sind Pflicht, Julia lernt neben Chinesisch, Spanisch, Französisch, Englisch auch noch Italienisch. »Ich brauche die vollen Tage und den Druck, um mich konzentrieren zu können«, sagt sie. Neben der Schule macht sie im nahe gelegenen Weimar einen Abschluss als Museumsführerin und spielt in der Kinderserie Schloss Einstein mit – die meisten Mädchen hier kamen durch die Serie auf die Idee, im Internat zu leben. Das Klischee der unscheinbaren Streberin erfüllt Julia mit ihren hüftlangen Haaren und den geschminkten Augen nicht. »Oh Gott, ich muss für Ethik noch Kants kategorischen Imperativ vorbereiten. Was war das noch mal?«, fragt sie abends im Wohnheim zwei Klassenkameradinnen. »Handle so, dass die Maxime deines Willens zum allgemeingültigen Gesetz werden könnte«, erklärt eines der Mädchen. »Ich muss noch Aristoteles vorbereiten«, sagt die Dritte, »der war
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In einer staatlichen Internatsschule in Thüringen können Schüler schon in der sechsten Klasse Arabisch, Chinesisch oder Japanisch lernen VON KATHLEEN FIETZ
»Manche kommen gar nicht zurück« Schüler, die nach zwölf Jahren Abitur machen, müssen sich nun in der neunten Klasse entscheiden, ob sie ins Ausland wollen
MARVIN CLASSEN, 11, hat zwei Klassen übersprungen
ge Gymnasium für Kinder bedeutet, die gern für ein Jahr im Ausland zur Schule gehen möchten. Ihre Agentur vermittelt Internatsplätze im angelsächsischen Raum. Was sagen Sie den Eltern – hindert das G8 daran, ein Jahr im Ausland zu verbringen? ULRIKE RIEDENAUER: Ich stelle allmählich eine Entspannung fest. Es gibt zwar leider keine bundeseinheitliche Regelung. In Bayern etwa bekommt, wer nach der 10 Klasse ins Ausland geht und die Probezeit in der 11. Klasse besteht, automatisch die mittlere Reife. Das ist ein Zeichen, dass das Auslandsjahr aktiv gefördert werden soll. Berlin und Hamburg beschränken das Auslandsjahr auf zwei Trimester. ZEIT: Im G9 nutzten die Schüler meist die 11. Klasse als Auslandsjahr. Was halten Sie im G8 für den besten Zeitpunkt? RIEDENAUER: Im G8 verlagert sich das Auslandsjahr in die 10. Klasse. Allerdings beobachte ich eine zweite Entwicklung: Immer mehr Schüler kommen gar nicht wieder zurück, sondern bleiben gleich im Ausland und machen dort ihren Abschluss. ZEIT: Woran liegt das? RIEDENAUER: Das International Baccalaureate, das IB, ist ein attraktiver Abschluss, der in Deutschland gleichwertig anerkannt wird. Und viele Eltern finden das G8 noch so chaotisch, dass sie sich bewusst für ein ausländisches Schulsystem entscheiden. ZEIT: Sie vermitteln ausschließlich an Internate im angloamerikanischen Raum. Warum? RIEDENAUER: Die britischen Internate sind extrem professionell, was die Bereitschaft betrifft, deutschen Schülern genau das zu bieten, was sie brauchen, um zu Hause an ihrer Schule weitermachen zu können. Und viele Studiengänge in Deutschland setzen zunehmend auf ein englisches Angebot. ZEIT: Sie bekommen von den Internaten für jeden Schüler eine Vermittlungsprovision. Wie unabhängig können Sie arbeiten? RIEDENAUER: Sehr unabhängig. Ich kriege von allen Internaten die gleiche Provision und habe keinen Grund, Schüler in eine bestimmte Schule zu bugsieren. Und ich kenne circa 150 Schulen persönlich. Allein das macht mich objektiv. ZEIT: Um internationales Flair zu sichern, gibt es Absprachen zwischen den Internatsberatungen, dass nicht zu viele Deutsche ein bestimmtes Internat besuchen. Muss man also Angst haben, dass man gar nicht an die am besten geeignete Schule vermittelt wird, weil die Quote schon erfüllt ist?
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Diese Quoten geben die Schulen vor, und sie sind sehr sinnvoll. Es ist ganz wichtig, dass die einzelnen Nationalitäten nicht zu stark sind, sonst neigen die Gruppen dazu, unter sich zu bleiben. In der Regel gibt es zu jeder Schule eine Alternative. ZEIT: Wie beeinflusst die Finanzkrise die Entscheidung, das Kind auf ein Internat zu schicken? RIEDENAUER: Die meisten Schulen kosten 6500 bis 8500 Pfund pro Trimester. Gerade in Zeiten der Finanzkrise investieren Eltern ihr Geld sehr bewusst. Zudem kommt ihnen der schwache Pfundkurs im Moment sehr entgegen. RIEDENAUER:
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DIE ZEIT: Eltern fragen sich besorgt, was das achtstufi-
Fotos (Ausschnitt): Christoph Busse für DIE ZEIT/www.christophbusse.de (großes Foto); Matthias Kunert
voll der Frauenfeind, wie Goethe, der war auch so ein Lustmolch.« Dann diskutieren sie über Shakespeare, der so viel geklaut hätte, aber gut klauen wolle auch gelernt sein. Manchmal sind die Lehrer von der Cleverness der Kinder überfordert. Als eine Musiklehrerin den elfjährigen Marvin Classen bittet, zu erklären, wovon das Lied Der Winter ist vergangen handelt, erklärt der schmächtige Junge: »Der Winter ist sehr kalt, sodass …« – »Mit einem Satz habe ich gesagt«, unterbricht sie ihn. »Aber ich war doch erst beim Nebensatz«, entgegnet der Kleine selbstbewusst. »Im Winter können Pflanzen halt keine Fotosynthese betreiben«, mischt sich sein Banknachbar grinsend ein. Marvin hat in seiner alten Schule zwei Klassen übersprungen, bevor er nach Schnepfenthal kam. »Ich bin hochbegabt, das weiß ich, seit ich drei bin, da war ich bei einer Psychologin«, erklärt er und schaut auf seine Schuhe. Um an der Schule aufgenommen zu werden, müssen die Salzmanier nicht hochbegabt wie Marvin sein, sondern einen Sprachtest bestehen. Im vergangenen Jahr wurden 55 der 89 Bewerber aufgenommen. Die meisten Eltern leben ein bis zwei Autostunden von Schnepfenthal entfernt. Marvin Classen kommt sogar aus Norddeutschland. Die Eltern des Arabischschülers Josef sind heute zu Besuch, um einem Verwandten aus Damaskus die Schule zu zeigen. Auch die Tochter der Baghdadis geht auf die Schule. »Für einen arabischen Vater ist es sehr untypisch, seine Kinder wegzugeben«, sagt Faiez Baghdadi. »Für Deutsche ist das auch schwer, auch wenn es in der DDR normaler als im Westen war«, unterbricht ihn seine Frau Annett. Ein privates Internat wäre für den Vater nie infrage gekommen, obwohl er sich das als niedergelassener Internist leisten könnte. »An einer staatlichen Schule müssen sie sich wirklich anstrengen, um in unserer Ellbogengesellschaft eine Chance zu haben.« In Schnepfenthal bleiben die 400 begabten Kinder unter sich, weshalb sie bei manchen im Ort als Privilegierte gelten. Doch mit dem Begriff Elite können sie nur wenig anfangen. »Jeder hat Sachen, die er gut kann. Nee, Elite sind wir nicht«, sagt Josef. Josef und Julia machen in einem Jahr ihr Abitur. Julia träumt von New York, sie will sich an einer Musicalschule bewerben.
ZEIT: Wie lange im Voraus muss man ein Auslandsjahr planen? RIEDENAUER: Will man die Option auf freie Plätze haben: spätestens ein Jahr vorher. Im G8 also zu Beginn der neunten Klasse. Wir bringen aber auch Schüler unter, denen das drei Monate vorher einfällt – allerdings nicht unbedingt in ihrem Wunsch-Internat. INTERVIEW: ANGELIKA DIETRICH
ULRIKE RIEDENAUER, 40, Gründerin der Bildungsberatung Riedenauer Education
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Begehrt In jedem Jahr werden in Deutschland bis zu 100 neue Privatschulen gegründet. Einige Zahlen und Fakten
Wie Familie Schröder aus Wiesbaden ein englisches Internat für ihren Sohn findet VON ULLA HANSELMANN
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»Hast du ›Harry Potter‹ gelesen?« in Hauch von England weht durch das Büro von Juliane von Bülow auf dem vornehmen Stuttgarter Killesberg. Großformatige Fotos an den Wänden zeigen die Queen in Violett und junge Mädchen in Mannschaftstrikots, die sich die Arme um die Schultern legen. Auf dem Couchtisch steht eine silberne Teekanne und ein Teller mit Shortbread bereit. Familie Schröder hat es sich auf der blauen Polstersitzgruppe bequem gemacht. Sie ist an diesem späten Freitagnachmittag aus Wiesbaden zum Beratungsgespräch bei der Geschäftsführerin der Internatsberatung Better School angereist. Niels Schröder, 14 Jahre alt, will in eineinhalb Jahren, wenn er in die 11. Klasse kommt, für ein Jahr aufs Internat nach England. Die englische Sprache soll er dort von der Pike auf lernen, wie seine Mutter Clarissa sagt, kulturelle Vielfalt erleben. Und als Einzelkind erfahren, was Gemeinschaft heißt. »Darauf freue ich mich am meisten«, sagt Niels. Mitgebracht haben die Schröders jede Menge Fragen. Wie ist das mit den englischen Schulabschlüssen? Kommt eine reine Jungenschule infrage? Kann Niels seinen Hobbys intensiv nachgehen? Und wie funktioniert das mit der Wäsche? Doch die wichtigste Frage an diesem Nachmittag lautet: Welches Internat könnte das richtige für den aufgeweckten Sohnemann sein, der Tennis, Hockey und Klavier spielt, ab und an als Messdiener im Einsatz ist und im Zeugnis einen Schnitt von 1,6 hat? Noch am selben Abend wollen die Schröders mit einer Handvoll Namen von Schulen wieder nach Hause fahren. Die Familie nimmt die Internatssuche nicht auf die leichte Schulter. »Wir möchten für unseren Sohn das Optimale finden«, argumentiert die 48-jährige Mutter. Es geht um eine Menge Geld: Rund 30 000 Euro wird ihn der Englandaufenthalt seines Sohnes kosten, schätzt Diplomphysiker Uwe Schröder, der als Produktmanager bei einem Hersteller von Lichtquellen arbeitet. »Wir würden uns allein nicht zutrauen, eine Schule auszusuchen«, sagt seine Frau, die Projektleiterin bei einem Personaldienstleistungsunternehmen ist. Eine Internatsberatung habe ihr einfach einen Katalog mit 40 Schulen zugeschickt. »Wie soll man da auswählen?« So stand vor der Suche nach dem richtigen Internat zunächst die nach der passenden Beratungsagentur an – mehr als ein Dutzend bieten hierzulande ihre Dienste an, ein kleinerer Teil davon hat sich wie Better School auf England spezialisiert. Wer solche
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Agenturen aufsucht, kann keine unabhängige Beratung erwarten: Die meisten Internatsberater kooperieren mit einer Auswahl an Internaten. Für die Vermittlung eines Schülers erhalten sie von dem jeweiligen Internat eine Provision. Juliane von Bülow berechnet ihren Kunden für eine Beratung 250 Euro. Rund 60 Schüler vermittelt sie pro Schuljahr an eines von rund 80 englischen Internaten. »Mein Job ist es, Ihnen zu sagen, welche Schulen objektiv für Ihr Kind geeignet sind«, beschreibt sie Niels’ Eltern ihre Aufgabe in den nächsten drei Stunden. Auf Better School sind die Schröders im Internet gestoßen; im vergangenen Jahr habe die Stuttgarter Internatsberatung für Niels einen einwöchigen Sprachaufenthalt an einer englischen Summer School organisiert – der Sohn hätte am liebsten verlängert, erzählt die Mutter. »Bei Frau von Bülow fühlen wir uns gut aufgehoben. Wenn man sein Kind für ein Jahr ins Ausland gibt, dann muss alles passen«, so die studierte Juristin.
»Ein Jahr ohne Mädels?« – eine reine Jungenschule sieht Niels eher skeptisch Niels, in blau-weiß-rot gestreiftem Hemd unterm blauen Pulli, steht in der ersten Runde des Gesprächs im Mittelpunkt. Was weißt du über England, will die Beraterin wissen, hast du Harry Potter gelesen, wie viele Stunden Hausaufgaben machst Du in der Woche, wie bereitest du dich auf Klausuren vor? Die Biochemikerin, die ihr Studium in Cambridge absolvierte, konfrontiert ihre Besucher mit kleinen, aber wichtigen Details des britischen Internatswesens. Etwa damit, dass es dort massenweise Hausaufgaben gibt, die auch benotet werden, oder mit welchen Verstößen gegen die Internatsregeln man einen Rausschmiss riskiert. Sie will herausfinden, welcher Typ Schüler der Bewerber ist, ob er mit der Gruppensituation zurechtkommt, sich in das strenge Reglement einfügen kann und wie leistungsstark er ist. Kurz: Es gilt, Schülerpersönlichkeit und Internatsprofil abzugleichen. Als die 44-Jährige Niels’ Zeugnis studiert, nickt sie zufrieden. »Sehr schön, das ist ein Riesenpfund, mit dem du wuchern kannst!« Für die Beraterin ist Niels Schröder ein vergleichsweise einfacher Fall, »er ist motiviert bis in die Haarspitzen«, wie sie sagt. Manchmal säßen Problemschüler auf ihrer Couch, die Hochbegabten genauso wie die »Mühseligen und Beladenen«.
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Nicht selten soll der Internatsaufenthalt helfen, Erziehungsprobleme in der Familie zu lösen. Und wie steht es mit einer reinen Jungenschule? Niels schüttelt den Kopf. »Ist doch nur für ein Jahr«, wirft Vater Uwe, 65 Jahre alt, ein. Niels bleibt skeptisch: »Ein Jahr ohne Mädels?« Beim Thema Abschlüsse kommen die Eltern verstärkt ins Spiel. A-Level oder International Baccalaureate (IB) lautet die Frage. Knackpunkt: Wer das IB machen will, muss zwei Jahre bleiben, Niels soll nur für ein Jahr rüber. »Aber haben IB-Schulen nicht einen höheren Anspruch?«, gibt Clarissa Schröder zu bedenken. Frau von Bülow beruhigt: Auch eine A-Level-Schule könne mit der richtigen Fächerwahl die optimale Förderung bieten, die sich die Schröders für ihren Sohn wünschen. Denn das hat die Internatsberaterin aus deren Fragen und Antworten inzwischen herausgehört: Die Familie will dem Sohn nicht nur eine internationale Ausbildung und die Perfektionierung seiner englischen Sprachkenntnisse ermöglichen – Motive, die so gut wie alle Eltern nennen. »Sie wollen eine Schule, auf der er seine schulischen, sportlichen, musischen und persönlichen Stärken weiter voll entfalten kann«, resümiert von Bülow. Diese »unausgesprochenen Motive« aus ihrem Gegenüber herauszukitzeln, sieht sie als Ziel des Beratungsgesprächs an. Und während Niels im Vorzimmer ein »personal statement« – auf Englisch, versteht sich – darüber verfasst, warum er gerade nach England will, skizziert sie die optimale Lehranstalt für den Sohn: »Klein, leistungsstark, mit einem hohen Anteil an Internen, eine englische Qualitätsschule.« Von den vier Internaten, die Juliane von Bülow daraufhin präsentiert, sind die Schröders angetan. »Die haben alle nur drei, vier deutsche Schüler, das finde ich klasse«, sagt Clarissa Schröder. Mit der Vorauswahl ist die größte Hürde genommen. Nun heißt es, zwei oder drei Häuser persönlich bei einer Kurzreise im Frühjahr in Augenschein zu nehmen – und zu entscheiden. Und während die Beraterin mit Frau Schröder schon einmal grob die Frage klärt, wer dem Sohn drüben in England die Wäsche macht, beugen sich Niels und sein Vater über eine der vier Hochglanzbroschüren: »Sherborne School« steht drauf, ein Jungeninternat. Von Bülow hat es verstanden, Niels auch diese Schule schmackhaft zu machen. »Da werden Jungs zu Männern. Und die Mädchenschule ist gleich nebenan.« – »Na dann«, lacht der Neuntklässler, »ist ja alles super.«
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ie ein Lauffeuer spricht es sich herum, wenn in deutschen Städten Privatschulen eröffnet werden. Die Wartelisten sind voll, bevor überhaupt ein Gebäude für die neue Schule gefunden wurde. Der Wunsch, seinem Kind die permanenten Umwälzungen des staatlichen Schulbetriebs zu ersparen, lässt sich nicht mehr nur den wohlhabenden Bevölkerungsschichten zuordnen. Die Alternative »Privatschule« wird in vielen Familien diskutiert, egal ob der Vater Zimmermann oder Aufsichtsrat ist. Mittlerweile gibt es über 3000 allgemeinbildende Schulen in privater Trägerschaft in Deutschland, seit 1992 ist diese Zahl um mehr als 50 Prozent gewachsen; jährlich kommen 80 bis 100 Schulen hinzu. Jede Woche werden also ein bis zwei neue Privatschulen gegründet. Gehen in Schleswig-Holstein nur 3,7 Prozent der Schüler in Privatschulen, sind es in Bayern bereits 10,5 Prozent. Während staatliche Bildungsanstalten einen Rückgang ihrer Schülerzahlen beklagen, werden die privaten Einrichtungen regelrecht überrannt. Dabei gilt auch bei den Privatschulen, dass die Vielfalt der Angebote die Entscheidung für die richtige Einrichtung nicht gerade einfacher macht. 80 Prozent der Privatschulen sind in kirchlicher Trägerschaft. Auf Platz zwei folgen die Waldorfschulen. Darüber hinaus gibt es die Wahl zwischen Montessorischulen, Internationalen Schulen und Freien Alternativschulen. Fast 40 Prozent aller Privatschüler sind Gymnasiasten. Stark steigende Schülerzahlen melden die privaten Grundschulen. Europaweit geht fast ein Viertel aller Schüler in private Bildungseinrichtungen. Das gibt einen Vorgeschmack darauf, was Deutschland noch bevorstehen könnte. Sind es hierzulande bisher nur 8 Prozent aller Schüler, die Privatschulen besuchen, sind es in Dänemark 11 Prozent, in Frankreich 21 und in den Niederlanden sogar mehr als 75 Prozent. In ihrer inhaltlichen und personellen Ausgestaltung sind Privatschulen nach Artikel 7, Absatz 4 des Grundgesetzes dem Gleichwertigkeitsgebot unterstellt, das heißt, es gelten die Rahmenbedingungen des jeweiligen Bundeslandes. Daraus leitet sich auch das sogenannte
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Sonderungsverbot ab, das eine soziale Segregation von Schülern aus wirtschaftlichen Gründen verbietet. Niemand dürfe über das Schulgeld vom Besuch einer Privatschule ausgeschlossen werden, heißt es. Die Realität sieht oft anders aus: Je nach Art der Schule kann das Schulgeld zwischen 50 und 900 Euro im Monat betragen. Schulen in privater Trägerschaft bekommen weniger Geld vom Staat als öffentliche Einrichtungen, im Schnitt zwei Drittel der Kosten. Außerdem setzt die staatliche Förderung in den meisten Ländern erst nach einer dreijährigen Bewährungszeit ein. Kein oder nur ein geringes Schulgeld zu erheben ist meist allein konfessionellen Schulen möglich. Um dem Ruf der Eliteanstalt zu entgehen, sind etliche Privatschulen dazu übergegangen, das Schulgeld vom Einkommen der Eltern abhängig zu machen. Privatschulen können selbst entscheiden, wie sie ihr Budget verwenden und welche Lehrer sie einstellen. Auch die Spezialisierung auf Schwerpunkte wie Musik, Fremdsprachen oder Hochbegabung legen sie selbst fest. RUBEN KARSCHNICK
Stetes Wachstum Anteil allgemeinbildender Privatschulen und ihrer Schüler in Deutschland Anteil der Schulen
Anteil der Schüler 8,5 7,5 6,4 5,8
4,8
4,9
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5,1
5,3 5,4
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ZEIT-GRAFIK/Quelle: Statistisches Bundesamt
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Bullerbü unterm Kirchturm
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VON ALEXANDRA WERDES
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terdorf teilnehmen, erzählt Wahl, waren zuvor nicht getauft. Von »christlicher Werteerziehung« ist im Umfeld der Bugenhagen-Schulen viel die Rede, aufgezählt werden Toleranz, Aufmerksamkeit, Fürsorge, Respekt, Zivilcourage. Werte, die man auch humanistisch nennen könnte, deren Vermittlung heute aber offensichtlich den staatlichen Schulen niemand mehr zutraut. »Viele suchen bei uns sicher auch den HeileWelt-Rahmen«, meint Hartmut Wahl. Den Ausländeranteil an seinen Schulen schätzt er auf fünf bis zehn Prozent, was im Vergleich zu anderen Hamburger Schulen sehr wenig ist – ein möglicher Effekt der konfessionellen Prägung. Und doch wäre es zu einfach, die gute Atmosphäre an den Bugenhagen-Schulen an ihrem Privatschulstatus festzumachen. Während sich viele der neuen Privatschulen ihren elitären Stand über vierstellige Gebühren sichern, finanzieren sich die Bugenhagen-Schulen zum größten Teil über den Staat, der 83 Prozent von den Kosten für eine öffentliche integrative Grundschule an den kirchlichen Träger zahlt. Der Rest muss über das Schulgeld hereingeholt werden, doch ein Auswahlkriterium ist es nicht.
ie Ruhe. Sie ist das erste, was an dieser Hamburger Grundschule auffällt: Es lärmen keine Kinder durch die Flure. Die Lehrer warten morgens bereits im Klassenzimmer, wenn nach und nach die ersten Schüler eintrudeln, sich ein Lernspiel oder Übungsheft aus dem Regal nehmen und leise zu arbeiten beginnen. Selbst wenn sich zwei Jungs um Stifte balgen, geht die Zurechtweisung nicht über die Lautstärke eines Raunens hinaus. Eine ansteckende Stille zieht sich durch den Schulalltag, und dazu gehört auch der andächtige Moment vor dem Essen – denn gebetet wird hier auch. Die Grundschule im Hamburger Stadtteil Groß Flottbek ist eine evangelische Privatschule – eine von fünf »Schulen unterm Kirchturm«, die in den letzten vier Jahren von der Evangelischen Schulstiftung Alsterdorf neu gegründet worden sind. Der Kirchturm ist in Groß Flottbek nicht zu übersehen: Spitz und schiefergedeckt ragt er neben dem ockergelb gestrichenen Schulhaus auf. Einmal in der Woche geht jede Klasse geschlossen hinüber, um eine Andacht zu halten; dreimal im Jahr feiern alle Schüler, Lehrer und Eltern gemeinsam einen Gottesdienst.
Eltern verschicken »Bettelbriefe« mit Fotos von ihren Kindern
Foto: Bugenhagen Schulen
Um seinen Job zu behalten, trat der Lehrer in die Kirche ein
JOSEFA geht seit drei Jahren in die Sonnenklasse der Bugenhagen-Schule
che das Fundament: Weil jedes Kind einzigartig und von Gott gewollt ist, setzen wir auf stark individualisiertes Lernen und sehen, das geht nur im Ganztagsbetrieb.« Die meisten Eltern würden die Prioritäten aber sicher genau andersherum setzen, meint Wahl: »Vor allem für Berufstätige ist die Betreuung ein gewichtiges Argument.« Für 120 Euro Schulgeld und 50 Euro Essensgeld im Monat werden die Kinder ganztags betreut. Die Eltern können ihre Kinder zwischen halb acht und halb neun vorbeibringen. Wenn sie sie um halb fünf am Nachmittag wieder abholen, haben die Kinder nicht nur ein zweites Frühstück und eine warme Mahlzeit im Bauch; sie hatten auch die Gelegenheit, Geigenunterricht zu nehmen oder im Kirchenchor zu singen. Hausaufgaben gibt es keine. »Mein Sohn kann nach der Schule noch zum Fußball gehen, und nach dem Abpfiff ist auch wirklich Feierabend«, meint ein Vater, der seinen Sohn, einen Erstklässler, im Mercedes-Coupé zur Schule bringt. »I put the socks in the box«, wendet
er sich im Foyer an den Jungen – nicht, weil Englisch seine Muttersprache wäre, sondern »weil man damit wegen der Entwicklung des Sprachkerns nicht früh genug anfangen kann«. Die Bugenhagen-Schule hat der Projektmanager ausgewählt, weil ihm die »sehr individuelle Herangehensweise« gefällt: »Wenn die Kinder zwei, drei Wochen nur schreiben wollen, weil sie das gerade gelernt haben, dann werden sie nicht ausgebremst.« Der integrative Unterricht sei außerdem »eine Erziehung zu sozialer Kompetenz«. Er selbst sei zwar nicht in der Kirche, es sei ihm aber »wichtig, dass die Kinder eine Basis bekommen, damit sie sich selbst entscheiden können«. Schulleiter Wahl glaubt, dass viele Eltern eine Werteerziehung für ihr Kind suchen. »Wir wollen sicher nicht missionieren, das ist nicht unser schulischer Auftrag«, sagt Wahl. »Aber wir machen die Kinder mit den Wertevorstellungen von Christen vertraut; wir machen ihnen ein Angebot.« Oft mit Erfolg: Etwa die Hälfte der Kinder, die freiwillig am schulischen Konfirmationsunterricht in Als-
Das volle Schulgeld bekommen die BugenhagenSchulen von etwa 70 Prozent der Eltern. Wenn die Kinder bereits aufgenommen sind, können sie einen Antrag auf Schulgelderlass stellen. Wie sehr diese Möglichkeit in Anspruch genommen wird, schwankt stark von Standort zu Standort: Im reichen Stadtteil Eppendorf sind es lediglich drei Prozent, im traditionellen Arbeiterviertel Hamm zwei Drittel der Eltern. Die weitgehende Homogenität der Schülerklientel an den einzelnen Schulen lässt sich deshalb vor allem auf die starke Segregation in den Hamburger Stadtteilen zurückführen. In Hamm können einige Eltern nicht mal das Essensgeld aufbringen, und erst kürzlich wurde Schulkleidung eingeführt, um zu verhindern, dass Kinder »fast noch im Schlafanzug« zur Schule kommen. Groß Flottbek dagegen – in Elbnähe gelegen und bürgerlich – sei »ein tolles Einzugsgebiet«, meint der Pädagoge Georg-Werner Loewe. »Die Kinder sind nett, alles ist beschaulich – das ist hier Bullerbü.« Die Entspanntheit in den Klassenzimmern ist auch dem hohen Betreuungsschlüssel zu verdanken, von dem nicht nur die vier Integrationskinder pro Klasse profitieren. Bis zu drei Lehrer, Erzieher und Sonderpädagogen kümmern sich gemeinsam, »Lernbegleiter« werden sie genannt. Jedes Kind arbeitet im eigenen Tempo, Noten gibt es nicht. In Loewes Klasse ist gerade Frühstückspause. Ein Junge hat sich allein vor die Klasse gestellt und gibt in stolperndem Englisch, aber mit fester Stimme einen Rocksong zum besten. »Er wollte gerne singen«, sagt Loewe und zuckt mit den Schultern. »Eins unserer Integrationskinder«, erklärt er dann, »dem tut es gut, wenn er hier ein bisschen Anerkennung bekommt.« Loewe war nicht in der Kirche, als er an den Bugenhagen-Schulen anfing, und musste nach einem Jahr eintreten, um den Job zu behalten. »Ich bin immer noch kein Kirchgänger«, sagt er, »aber mir ist hier bewusst geworden, wie viel Halt und Sicherheit der Glauben den Kindern geben kann.« In seiner Klasse ist das allgemeine Gemurmel inzwischen lauter geworden. Der Lehrer steht auf und läutet mit einem kleinen Messingglöckchen. Ein sanftes Klingeln, und schon kehrt wieder Ruhe ein.
Zum »Großen Internatetag« lädt die Vereinigung der deutschen Landerziehungsheime (LEH) am 14. Februar von 12 bis 15 Uhr nach München ins Hotel Mandarin Oriental. Am 21. Februar wird die Veranstaltung in Hamburg-Blankenese wiederholt, von 11 bis 16 Uhr im Goßlerhaus (Tagungshaus der Bucerius Law School). www.internate.de/11Internatetag.html Eignungsprüfungen am Musikgymnasium
Das Musikgymnasium Schloss Belvedere in Weimar hält am 3. April die Eignungsprüfungen für das Schuljahr 09/10 ab. Die Bewerber der Klassen 4 bis 10 mit einer besonderen musikalischen Begabung sollten bereits erfolgreich ein Instrument spielen. www.musikgymnasium-belvedere.de Offene Internatstüren
Zum Tag der offenen Tür laden die Internats- und Ganztagsschulen des Pädagogiums Baden-Baden am 21. März. Das Angebot reicht von der Grundschule über die Realschule und das Gymnasium bis zum Wirtschafts- und Sozialpädagogischen Gymnasium. www.paeda.net Diskussion über Privatschulen
»Sind Privatschulen die besseren Schulen?« Um diese Frage geht es in einer Podiumsdiskussion der Reihe ZEIT-Dialoge am 20. Februar um 18.30 Uhr in der Bucerius Law School in Hamburg. Geladen sind Gabriele Behler, ehemalige Kultusministerin in NRW, Bestsellerautor Bernhard Bueb, German Denneborg, Ministerialdirigent am bayerischen Kultusministerium und andere. Voranmeldung unter Tel. 040/32 80-145. DER BESONDERE TIPP
Einen Überblick über evangelische Internate in Deutschland bietet die Arbeitsgemeinschaft Evangelischer Schulbünde im Internet: www.evangelische-schulbuende.de. Das katholische Gegenstück, die Katholische Internatsberatung, ist unter www.katholische-internate.de zu erreichen. Realschul-Teilstipendien
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In den evangelischen Bugenhagen-Schulen in Hamburg suchen Eltern nach der heilen Welt für ihre Kinder
Religion, Reformpädagogik und gemeinsamer Unterricht mit behinderten Kindern: Die Schulen unterm Kirchturm werden als Dependancen der Bugenhagen-Schulen geführt, die im Stadtteil Alsterdorf bereits 1986 mit integrativem Unterricht und Ganztagsbetreuung begonnen haben. Das Interesse der Eltern ist in den letzten Jahren explodiert: Für insgesamt 196 Plätze in den ersten Klassen gibt es bereits 850 Anmeldungen. »Mit diesem enormen Zuspruch sind hohe Erwartungen an uns geknüpft«, sagt Hartmut Wahl, der als Schulleiter alle Bugenhagen-Standorte von Alsterdorf aus leitet. »Manche glauben, wir könnten im Vergleich zu staatlichen Schulen Wunder bewirken.« Die Eltern würden sich heute die Schulen genau anschauen, meint Wahl, »und dann meinen sie, es gebe die allein passende Schule für ihr Kind.« Das gehe so weit, dass einige extra wieder in die Kirche eintreten oder die Kirchengemeinde wechseln, weil sie sich davon bessere Chancen bei den Bugenhagen-Schulen versprechen. Die »Bettelbriefe«, die Eltern zusammen mit Fotos von den Kindern schickten, lese sie lieber nicht, meint Stefanie Grünberg, die als Abteilungsleiterin für die Groß Flottbeker Grundschule zuständig ist. Grünbergs Lehrerzimmer liegt im Erdgeschoss des Pastorats, direkt unter der Pfarrverwaltung. Nicht nur aus Platzmangel, sondern weil zum Schulkonzept eben auch die enge Anbindung an die Gemeinde gehört. »Ich finde es gut, wenn der erste Schultag nicht nur mit einer Schultüte, sondern auch mit dem Segen Gottes beginnt«, sagt Erdmuthe Reinhardt, die ihre sechs Jahre alte Tochter Milena gerne »unter dem Kirchturm« einschulen würde. Sie wünsche sich, dass Gott auch in Milenas Leben eine Rolle spiele: »Wenn ihre Oma einmal stirbt, dann möchte ich, dass sie sagt: Mama, ich glaube, Oma ist jetzt bei Gott.« Ist es eine Rückkehr zur Religion, die den Schulen unterm Kirchturm ihren großen Zulauf beschert? Mit Reinhardt hoffen mehr als hundert weitere Eltern, dass ihr Kind einen der 24 freien Plätze in Groß Flottbek bekommt. Ob sie auch dafür beten, ist allerdings ungewiss. »Wir betreiben keine Gewissensforschung bei den Eltern«, erklärt Schulleiter Wahl. »Für uns ist das Christli-
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Fernstudium “Medizinische Physik und Technik” und “Medizinische Physik (M.Sc. / akkreditierter Abschluss)” Medizinische Physik und Technik in Theorie und Praxis
SPRECH- UND PRÄSENTATIONSTRAINING ab 1.10.09 (2 Jahre) 4 Semester berufsbegl. Kaiserslautern z.Zt. € 730,- zzgl. Sozialbeitrag von z.Zt. € 87,- pro Semester
SCHULMANAGEMENT
LITERATUR UND URHEBERRECHT
Fernstudium Public Relations PR-BeraterIn (Universitätsabschluss) praxisnah, berufsbegleitend mit Master-Upgrade (MSc)
Fernstudium “Personalentwicklung” Grundlagen und Konzepte der PE Anwendung u. Reflexion Abschluss: Master of Arts (akkreditierter Abschluss)
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Die LWL-Klinik Dortmund/Universitätsklinik der Ruhr-Universität Bochum sucht zum nächstmöglichen Zeitpunkt eine(n)
Dipl.-Psychologin/Psychologe für die durch das BMBF im Rahmen des Kompetenznetz Diabetes mellitus geförderte MIND-DIA Studie „Verhaltenstherapie bei älteren Patienten mit Diabetes Typ 2 und leichter Depression“ zur Mitarbeit in der Studienzentrale in Dortmund/Bochum. Aufgaben: Projektmanagement, Kooperation mit Prüfzärzten, Rekrutierung und Diagnostik der Patienten, Durchführung der Gruppenverhaltenstherapie im Projekt Erwünscht sind: Sehr gute Organisationsfähigkeit und Kompetenz im schnellen und kreativen Lösen von Aufgaben, autonomes Arbeiten, Belastbarkeit, fortgeschrittene Verhaltenstherapieausbildung, eigenes Auto und nicht zuletzt Begeisterungsfähigkeit und Spaß an der Forschung und an der Arbeit mit älteren Menschen. Die 50 %-Teilzeitstelle (TVL-EG 13) ist bis September 2011 vorgesehen und kann mit einer Promotion verbunden werden.
040/3280446 Senden Sie uns Ihre Anzeige einfach per Fax.
Infos: PD Dr. F. Petrak (0611-1747841, mail@dr-frank-petrak.de) und www.ruhruni-bochum.de/psy-som-do/. Bewerbungen an: PD Dr. F. Petrak, LWL-Klinik Dortmund, Universitätsklinik der Ruhr-Universität Bochum Abteilung für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie c/o Schulberg 7–9, 65183 Wiesbaden
Duale Hochschule Baden-Württemberg - Lörrach Baden-Württemberg Cooperative State University An der Berufsakademie Lörrach, ab 01.03.2009 DUALE HOCHSCHULE BW LÖRRACH, studieren derzeit rd. 1.650 Studierende. Die dreijährigen praxisintegrierten Studiengänge führen Abiturienten und Abiturientinnen zu den Abschlüssen Bachelor of Arts, Bachelor of Science und Bachelor of Engineering. Zum 01.07.2009 ist die Stelle des/der
Leiters/Leiterin der Verwaltung zu besetzen. Sie verfügen über – eine vorzügliche Qualifikation als Beamter/Beamtin des gehobenen oder höheren Dienstes, besonders in den Bereichen der Personal-, Haushalts- und Wirtschaftsverwaltung, einschließlich des Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesens – fundierte Kenntnisse des Beamten-, Angestelltenund allgemeinen Arbeitsrechts – evtl. Erfahrung in einer Hochschulverwaltung Sie unterstützen den Rektor bei der Erfüllung seiner Aufgaben. Diese ergeben sich aus dem Landeshochschulgesetz. Sie sind kraft Amtes Mitglied in verschiedenen Gremien und wirken an vielen Grundsatzentscheidungen mit. Sie leiten die Verwaltung. Sie sind Ausbildungsleiter/in. Die Duale Hochschule BW Lörrach beschäftigt zur Zeit rund 100 Mitarbeiter. Wir erwarten Führungsqualitäten, Eigeninitiative, selbständiges Arbeiten, Zuverlässigkeit, in hohem Maße verantwortungsvolles Handeln, besonderes Organisationsgeschick und die Fähigkeit, Mitarbeiter zu führen. Die Stelle ist nach A14 bewertet. Qualifizierte Frauen werden insbesondere aufgefordert, sich zu bewerben. Schwerbehinderte Bewerber/innen werden bei gleicher Eignung bevorzugt. Ihre Bewerbung richten Sie bitte umgehend, spätestens bis zum 28.02.09 an den Direktor der Berufsakademie Lörrach, Hangstraße 46–50, 79539 Lörrach; http://www.ba-loerrach.de.
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Baden-Württemberg Landesgymnasium für Hochbegabte mit Internat und Kompetenzzentrum Schwäbisch Gmünd Das Landesgymnasium sucht zur Einstellung im September 2009
Gymnasiallehrer/-innen für alle Fächer, insbesondere die Naturwissenschaften. Unser Profil: Gemeinsames Leben und Lernen mit hochbegabten Schülerinnen und Schülern ab Klassenstufe 7 herausfordernde pädagogische Konzepte und Projekte Schulorganisation nach dem angelsächsischen Campusmodell ein sehr engagiertes und fachkompetentes Lehrerteam enge Zusammenarbeit mit Universitäten und Unternehmen
Lehrkräfte für Baden-Württemberg Baden-Württemberg sucht zur Einstellung im September 2009 – Lehrkräfte für allgemein bildende Gymnasien vor allem in den Fächern Mathematik, Physik, Chemie, – Lehrkräfte für die beruflichen Schulen mit allgemeinen Fächern, vor allem Physik, Mathematik, Deutsch, Englisch. – Ingenieurinnen und Ingenieure für den Direkteinstieg in den Schuldienst im gewerblich technischen Bereich z. B. Maschinenbautechnik, Elektrotechnik, Informationstechnik etc.
Ihre Qualifikationen: Lehrbefähigung für Gymnasien oder vergleichbare besondere Qualifikationen hohes pädagogisches Engagement Bereitschaft, Aufgaben im Internat zu übernehmen Interesse an Weiterqualifizierung
Baden-Württemberg bietet: – – – – – –
Wir freuen uns auf Ihre Bewerbung an: Landesgymnasium für Hochbegabte, OStD' A. von Manteuffel, Universitätspark 21, 73525 Schwäbisch Gmünd info@lgh-gmuend.de / Tel. 07171 - 104 38 0 / www.lgh-gmuend.de
Innovatives Schulsystem, Angebote in der Regel im Beamtenverhältnis, Flexible Teilzeitmöglichkeiten, Hohe Eigenständigkeit der einzelnen Schulen, Engagierte Kollegien, Reizvolle ländliche Regionen mit hohem kulturhistorischem Wert
Online-Bewerbungen unter www.lehrer-fuer-baden-wuerttemberg.de Schwäbisch Gmünd: reizvoll gelegen, nur 30 Minuten (Bahn oder Auto) von der Metropolregion Stuttgart entfernt, www.schwaebisch-gmuend.de
Stellen werden im Internet ausgeschrieben. Unter der Internetadresse www.lehrerfuer-baden-wuerttemberg.de finden Sie alle Informationen zur Einstellung. Die besondere wertvolle Vielfalt unseres Bundeslandes können Sie unter www.badenwuerttemberg.de erkunden. Baden-Württemberg freut sich auf Ihre Bewerbung.
Sie haben fundierte Erfahrung in der Arbeit mit sprachbehinderten Kindern und Jugendlichen. Ihnen ist die enge Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Berufsgruppen sowie Teamarbeit wichtig. Sie haben Freude, schulische Konzepte zu entwickeln und mitzugestalten. Sie arbeiten gerne mit schwer sprach- und zugleich lernbehinderten Kindern und Jugendlichen. . . . dann sind Sie vielleicht unser/e nächste/r
Stellvertretende/r Schulleiter/in Wir sind eine Heimsonderschule für Sprachbehinderte in freier Trägerschaft und bieten für schwer sprach- und zugleich lernbehinderte SchülerInnen einen Schul-, Lern- und Lebensort. Die Heimsonderschule liegt am Schutterlindenberg in Lahr, am Rande des Schwarzwaldes zwischen Offenburg und Freiburg. Wir erwarten von Ihnen, dass – Sie ausgebildete/r Sonderschullehrer/in mit der Fachrichtung Sprachheilpädagogik sind, – Sie den SchülerInnen zugewandt sind und deren Entwicklungsmöglichkeiten fördern, – Ihr Erfahrungsschwerpunkt im Grundschulbereich liegt, – Sie sich in das Leitungsteam integrieren und Führungsaufgaben wahrnehmen, – Sie Stärken in der Mitarbeiterführung haben, – Sie administrative Aufgaben gerne und kompetent übernehmen. Wir bieten Ihnen: – die Möglichkeit zur Mitgestaltung und Weiterentwicklung unserer Arbeit – die Einbindung und Kooperation im Leitungsteam der Heimsonderschule – sehr gute Arbeitsbedingungen auf dem Hintergrund einer intensiven Kooperation aller MitarbeiterInnen – ein aufgeschlossenes und sehr motiviertes Kollegium – Vergütung in Anlehnung an den öffentlichen Schuldienst Richten Sie Ihre Bewerbung an: Dinglinger Haus, Heimsonderschule für Sprachbehinderte, Weinbergstr. 9, 77933 Lahr, www.dinglingerhaus.de
Die Stiftung NaturSchutzFonds Brandenburg ist eine öffentlich-rechtliche Naturschutzstiftung des Landes Brandenburg und Trägerin der Naturwacht Brandenburg. Im Auftrag des Landes Brandenburg übernimmt der NaturSchutzFonds ab 2009 bis 2013 die Natura 2000-Managementplanung außerhalb der Großschutzgebiete sowie einen Teil der Bestandserfassungen für Managementpläne innerhalb der Großschutzgebiete. Wir besetzen hierfür befristet vom 1.4.2009 bis 31.12.2013 1 Personalstelle Projektleitung, bis Vergütungsstufe E 13 gem. TV-L 6 Personalstellen Verfahrensbeauftragte, bis Vergütungsstufe E 11 TV-L Aufgabengebiet: Der /die Projektleiter/in koordiniert die Natura 2000-Managementplanung außerhalb der Großschutzgebiete. Er/sie ist verantwortlich für die fachlich hochwertige und zeitnahe Durchführung entsprechend der landesweit gesetzten Standards. Zudem leitet er/sie die Erbringung der Bestandserfassung von Lebensraumtypen des Anhangs I FFH-Richtlinie, Arten der Anhänge II und IV FFH-Richtlinie und des Anhang I Vogelschutzrichtlinie sowie weitere notwendige Bestandserfassungen in Großschutzgebieten durch Mitarbeiter der Naturwacht an. Die Verfahrensbeauftragten führen die Beauftragung der Natura 2000-Managementpläne durch und begleiten die Planungsbüros und Sachverständigen bei der Durchführung der Planungsleistungen. Sie leiten die regionalen Abstimmungsrunden und führen alle notwendigen landesweiten und regionalen Abstimmungen mit Behörden und Planungsbetroffenen durch. Anforderungsprofil: Verfahrensbeauftragte: Abgeschlossenes Hochschul- oder Fachhochschulstudium der Landespflege/Landschaftsplanung, Biologie, Geographie oder eines vergleichbaren Studienganges im Umwelt- und Naturschutzbereich Sehr gute floristische und faunistische Artenkenntnisse, insbesondere von Arten der Anhänge I, II und IV FFH-Richtlinie und des Anhangs I der Vogelschutzrichtlinie sowie Kartiererfahrung nach anerkannten Methoden Sehr gute Kenntnisse der gängigen Office-Programme Erfahrung mit der Erstellung, Bearbeitung und Benutzung von digitalen Karten und Datenbanken (insbesondere ArcGis) Erfahrung mit der Beauftragung bzw. Vergabe von Planungsleistungen Erfahrung mit der Abrechnung öffentlich geförderter Projekte Mehrjährige Berufserfahrung im Bereich Naturschutz- und Landschaftspflege, möglichst im Bereich Natura 2000 Managementplanung Führerschein der Klasse B Bereitschaft zu flexibler Arbeitszeitgestaltung, Reisetätigkeit und (falls vorhanden) den eigenen PKW für Dienstreisen einzusetzen Eigeninitiative, Organisationsvermögen, Teamfähigkeit und Verhandlungsgeschick Projektleitung: über die oben genannten Anforderungen hinaus: Hochschulstudium der oben genannten Bereiche Langjährige Berufserfahrung im Bereich Naturschutz- und Landschaftspflege, möglichst im Bereich Natura 2000-Managementplanung Langjährige Erfahrung in der Leitung eines Aufgabenbereiches und Mitarbeiterführung Sicheres und kompetentes Auftreten, ein hohes Maß an Kommunikations- und Moderationsfähigkeiten Vertiefte Kenntnisse der Brandenburger Rechts- und Verwaltungsstruktur Arbeitsplatz ist Potsdam sowie für einen Teil der Mitarbeiter zwei noch nicht festgelegte Standorte in Nord- und Südbrandenburg, vermutlich Burg und Angermünde. Teilzeit ist möglich; die Projektleitung kann in zwei halbe Stellen geteilt werden. Nähere Informationen über die Stiftung und den Aufgabenbereich erfahren Sie über unsere Website www.naturschutzfonds.de. Ansprechpartnerin für darüber hinausgehende Fragen ist: Eva Sieper-Ebsen, Telefon: 03 31-9 71 64 72. Ihre aussagekräftigen Bewerbungsunterlagen schicken Sie bitte bis zum 27.2.2009 bevorzugt per E-Mail (nicht über 2 MB) an: info@naturschutzfonds.de oder per Post an Stiftung NaturSchutzFonds Brandenburg Lenn´estraße 74 D- 14471 Potsdam
Stadt Neukirchen-Vluyn Zum nächstmöglichen Zeitpunkt ist bei der Stadt Neukirchen-Vluyn die Stelle
Leiterin oder Leiter der Stadtbücherei in Vollzeit unbefristet zu besetzen. Näheres lesen Sie unter www.neukirchen-vluyn.de Stadt Neukirchen-Vluyn, Hans-Böckler-Straße 26, 47506 Neukirchen-Vluyn, Telefon 02845-391248
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12. Februar 2009 DIE ZEIT Nr. 8 Die Wehrbereichsverwaltung West hat in Kürze einen Dienstposten
Psychologin / Psychologe Beim Zentrum Operative Information (ZOpInfo) in 56727 Mayen zu besetzen. Qualifikationserfordernisse: Abgeschlossenes Hochschulstudium der Psychologie, gute Fachkenntnisse in Medien- und Kommunikationspsychologie erwünscht, gute Englisch-Sprachkenntnisse, interkulturelle Kompetenz, Bereitschaft zur Teilnahme an Auslandseinsätzen der Bundeswehr im Reserveoffizierstatus sowie die Bereitschaft zur militärischen Ausbildung, Auslandsverwendungstauglichkeit, Wissenschaftserfahrung. Aufgabengebiet: Die/der Bewerber/in analysiert die psychologische Lage der Bevölkerung in den Einsatzgebieten der Bundeswehr, berät und unterstützt den Einsatz der Operativen Information. Sie/er arbeitet in einem interdisziplinär ausgerichteten Team (Politikwissenschaft, Soziologie, Geschichte, Orientalistik, Islamwissenschaften, Regionalwissenschaften) und ist in die Ausbildung des Einsatzpersonals der Operativen Information eingebunden. Die Wehrbereichsverwaltung West hat sich die berufliche Förderung von Frauen zum Ziel gesetzt und ist deshalb in dem Bereich, in dem der Anteil weiblicher Beschäftigter bislang nur gering ist, an Bewerbungen von Frauen interessiert. Schwerbehinderte Menschen werden bei gleicher Eignung bevorzugt berücksichtigt; von ihnen wird nur ein Mindestmaß an körperlicher Eignung verlangt. Teilzeitbeschäftigung kann unter Umständen gewährt werden. Die tarifliche Bewertung entspricht der Entgeltgruppe 13 TVöD. Der Dienstposten ist zunächst befristet für zwei Jahre zu besetzen. Bei Vorliegen der Voraussetzungen ist eine spätere Übernahme in das Beamtenverhältnis möglich (Besoldungsgruppe A 13/14 BBesG). Ihre üblichen Bewerbungsunterlagen richten Sie bitte unter dem Kennwort: „Psychologe ZOpInfo“ bis zum 06.03.2009 an die Wehrbereichsverwaltung West Dezernat I 3 (10), Wilhelm-Raabe-Straße 46, 40470 Düsseldorf Telefon 0211-959-2547 oder Durchwahl -2418
Wir entwickeln, evaluieren und verbreiten Präventionsmaßnahmen mit dem Ziel, Gesundheitsrisiken vorzubeugen und gesundheitsfördernde Lebensweisen zu unterstützen. Wir forschen u.a. über die Ursachen und Verbreitung riskanter Verhaltensweisen wie Rauchen und Alkoholkonsum. Um einen möglichst schnellen Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Praxis zu ermöglichen, sind wir vielfältig in Aus- und Weiterbildung aktiv. Wir sind ein staatlich anerkanntes Ausbildungsinstitut für Psychologische Psychotherapeuten. Zum nächstmöglichen Zeitpunkt suchen wir eine/n
Dipl.-Psychologin/en Wir wünschen uns eine Persönlichkeit mit Kenntnissen in der Erwachsenenbildung. Präventionsprojekte bilden den Schwerpunkt Ihrer Tätigkeit. Sie sollten Projektkonzepte (weiter)entwickeln, umsetzen und präsentieren können. Verhandlungs- und Sozialkompetenz, Organisationsstärke und Teamfähigkeit zeichnen Sie aus. Sie haben eine publizistische Neigung, verfügen über einen kreativen Schreibstil, der sowohl Kinder und Jugendliche anspricht, aber auch Lehrkräften und Eltern komplexe Zusammenhänge verständlich nahebringen kann. Fundierte EDV-Kenntnisse runden Ihr Profil ab. Präsentationen und Workshopangebote machen Reisen im Bundesgebiet erforderlich. Bei einer abgeschlossenen verhaltenstherapeutischen Ausbildung ist eine Dozenten- oder Supervisorentätigkeit möglich. Der Stellenumfang wird somit von Ihrer Qualifikation bestimmt. Die Stelle ist auf zwei Jahre befristet. Option auf Verlängerung oder Übernahme in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis besteht. Es erwartet Sie eine vielschichtige und herausfordernde Tätigkeit in einem kollegialen Team. Die Vergütung orientiert sich am TVöD/Bund. Ihre schriftliche Bewerbung senden Sie bitte bis Mitte März an:
IFT-Nord gGmbH, PD Dr. Reiner Hanewinkel Harmsstraße 2, 24114 Kiel – www.ift-nord.de
VIENNA INTERNATIONAL SCHOOL The Vienna International School (VIS) is an independent, not-for-profit, preK-12 coeducational day school of 1400 students operating in the city of Vienna, Austria. VIS was founded in 1978 to serve the children of the United Nations and diplomatic communities in Vienna. It is also open to children of the international business community and Austrian families. Over 100 nationalities are represented in the student body. VIS seeks an experienced educational leader for the position of Head of German Department in the Secondary School. 830 students study the demanding International Baccalaureate curriculum programmes, and are required to learn the German language as either mother tongue or foreign language. This management role includes leading 12 teachers in the development and implementation of a broad range of German language courses. Qualifications Beside qualified teacher status and recent successful teaching experience an MA (or equivalent) in German Language and Literature is required. A DAF („Deutsch als Fremdsprache“) certificate is an advantage. Interested candidates should apply with a CV, letter of motivation, copy of degree/teaching certificates and copy of the passport via Email to Karin Sigle, Human Resources Administrator (Email address: ksigle@vis.ac.at). Please write the job title “Head of German” in the Email subject line to help processing of your application. The job description and further information about VIS is available at: http:// www.vis.ac.at.
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ZEIT Studienführer und ZEIT Stipendienführer ZUKUNFT SICHERN – MIT EMPLOYER BRANDING Sie betreiben weitblickendes Personalmarketing und möchten spätere Kandidaten schon heute für Ihr Unternehmen interessieren? Oder Abiturienten eine Alternative zum Studium nahelegen? Wie auch immer – für die Ansprache von Schulabgängern und Studienanfängern empfehlen sich zwei langfristig und intensiv genutzte Medien: ZEIT Studienführer Erscheinungstermin: Anzeigenschluss:
06.05.2009 06.03.2009
ZEIT Stipendienführer Erscheinungstermin: Anzeigenschluss:
06.05.2009 02.03.2009
Alles Weitere erfahren Sie direkt von uns – wir freuen uns auf Ihren Anruf, Ihr Fax oder Ihre E-Mail.
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Lehre und Forschung ZEIT Chancen: Deutschlands f端hrender Stellenmarkt f端r akademische Berufe.
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