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Shanbehzadeh Ensemble
Die Welt in einem SandkornDas Shanbehzadeh Ensemble
Yalda Zamani
Die Stadt Buschehr – in einer ausgedehnten Ebene gelegen, die sich entlang der Küste des Persischen Golfs im Süden des Iran erstreckt – ist als wichtigstes Handelszentrum des Landes seit Jahrhunderten Schauplatz intensiven Austauschs zwischen verschiedenen ethnischen und Bevölkerungsgruppen. Dazu zählen solche, die von außerhalb in den Iran kamen, wie Inder, Afrikaner und Araber, aber ebenso verschiedene iranische Bevölkerungsgruppen wie Luren, Nomaden und Juden. Sie alle hinterließen vielfältige kulturelle Spuren, ihre Musikinstrumente, Folklore, populäre Geschichten und Lieder, und beeinflussten Sprache, Küche und Musik dieser Region. Musik spielte hier in allen Lebensbereichen schon immer eine zentrale Rolle, als Teil des Arbeitsalltags, bei gesellschaftlichen Anlässen und für religiöse Zwecke – und artikuliert dabei Hoffnungen und Träume ebenso wie Angst und Schmerz. Zwar waren es die von anderswo kommenden Kulturen, die zunächst die Musik dieser Gegend prägten. Doch Musik beeinflusste später ihrerseits die Kultur und das alltägliche Leben.
Saeid Shanbehzadeh, geboren in Buschehr, ist einer der wenigen musikalischen Repräsentanten der Region um den Persischen Golf und insbesondere seiner Heimatstadt. Mit seinem Shanbehzadeh Ensemble schafft er eine faszinierende Symbiose von Musik und Tanz aus einem Teil der Welt, in dem das Zusammentreffen verschiedener Kulturen einen verblüffenden Reichtum hat entstehen lassen, und lädt dazu ein, auf der Bühne, wo Bewegung und Klang eins werden, die Vielfalt des Lebens zu feiern.
Im Alter von sieben Jahren begann Shanbehzadeh, Ney-anbān (eine Sackpfeife aus Schafshaut) und Neydjofti
(eine Doppelrohrflöte) zu spielen und erlernte die Tänze und Lieder seiner Heimat. Er habe erst später verstanden, erklärt er, dass die Musik, die er bei verschiedenen gesellschaftlichen und religiösen Anlässen während seiner Kindheit erlebte, nicht so sehr eine Form künstlerischen Ausdrucks, als vielmehr ein integraler Bestandteil dieser Anlässe selbst ist – und so begann Shanbehzadeh nach Wegen zu suchen, diese Musik, ein Juwel der iranischen Kultur, einem größeren Publikum im Konzert zu präsentieren.
Mit 20 gründete er sein eigenes Ensemble, das Shanbehzadeh Ensemble, mit dem er 1990 den ersten Preis beim Fajr Music Festival in Teheran gewann. Schon ein Jahr später wurde er zum Festival in Aix-en-Provence eingeladen, 1993 trat er im Pariser Théâtre de la Ville auf. Im Rahmen seiner kontinuierlichen ethnomusikologischen Forschungen zum Südiran baute er währenddessen ein umfangreiches Archiv an musikalischen Quellen auf. 1996 erhielt er für ein halbes Jahr einen Lehrauftrag an der University of Toronto, 1997 wurde er Leiter des Hauses der Kunst und Kultur auf der Insel Kisch im Iran. Für mehrere iranische Filmproduktionen hat er die Musik geschrieben und stand auch als Schauspieler vor der Kamera. Heute lebt Saeid Shanbehzadeh in Frankreich und ist weltweit bekannt; er hat mit der französischen Tanzkompanie Montalvo-Hervieu sowie in Paris mit der Cité de la Musique, dem Théâtre de Chaillot und dem Louvre zusammengearbeitet; 2011 war er Artist in Residence in der Abtei von La Prée.
Shanbehzadehs jüngstes Album Pour Afrigha aus dem Jahr 2017 ist eine Hommage an seine afro-iranische Mutter und seinen Vater, der belutschische Wurzeln hat. „Pour Afrigha“ bedeutet auf Farsi so viel wie „aus Afrika stammend“ und ist gleichzeitig der Familienname von Shanbehzadehs Mutter. Sie gehörte zur dritten Generation einer afrikanischen Familie, die aus Sansibar in Tansania in den Iran verschleppt wurde. Vor der Abschaffung der Sklaverei wurden Menschen aus Afrika, deren Nachfahren heute im südlichen Iran an der Küste des Persischen Golfs und in Belutschistan leben, aus Ost- und Zentralafrika dorthin gebracht. Auf Pour Afrigha schafft Shanbehzadeh eine komplexe Textur aus improvisierten Melodien und Rhythmen aus verschiedenen Genres, die zusammen eine natürliche Mischung ergeben: In ihr spiegeln sich die gemeinsamen musikalischen Wurzeln der Musikerinnen und Musiker, die an der in Paris produzierten CD beteiligt waren. An Shanbehzadehs Seite wirkten neben anderen Gästen insbesondere der iranisch-belutschische Sänger Rostam Mirlashari, der französische Jazz-Gitarrist Manu Codjia und Shanbehzadehs Sohn Naghib an verschiedenen Schlaginstrumenten mit. (Shanbehzadeh emigrierte aus dem Iran nach Frankreich, weil seine experimentelle Fusion von afro-iranischer Musik mit anderen Formen traditioneller Musik bei den Kulturbehörden des Landes auf Missfallen stieß.)
In der Musik der Buschehr-Region nahmen Frauen schon immer eine wichtige Stellung ein. Während die Männer, die meist als Seeleute arbeiteten, weit weg von der Stadt und ihren Familien und oft für mehr als ein Jahr unterwegs waren, lag die Rolle des Familienoberhaupts bei den Frauen; sie kümmerten sich nicht nur um die Kinder, sondern nahmen auch am sozialen und religiösen Leben teil – und dazu gehörte natürlich Musik. Seit der Revolution 1979 ist es Frauen im Iran verboten, öffentlich zu singen oder zu tanzen, doch das Shanbehzadeh Ensemble hat in den vergangenen zehn Jahren immer wieder Künstlerinnen engagiert und wurde dafür im Iran mit einem Auftrittsverbot belegt. Die Zusammenarbeit mit Musikerinnen führte vor drei Jahren schließlich zur Idee, Sheida Shanbehzadeh, Saeids Ehefrau, die bereits seit 2006 an der Seite ihres Mannes tätig gewesen war, als permanentes Mitglied in das Ensemble aufzunehmen. Saeids Sohn Naghib komplettiert die Besetzung; er begann im Alter von drei Jahren, zusammen mit seinem Vater Musik zu machen, und ist nicht nur ein Virtuose auf den iranischen Schlaginstrumenten wie Dammām, Doholgan, Pippeh, Kesser sowie Zarbe und Tempo, sondern hat in Frankreich auch klassische europäische Schlaginstrumente studiert.
Die Hauptinstrumente des Shanbehzadeh Ensembles sind der Ney-anbān und der Neydjofti (die oben erwähnte persische Sackpfeife bzw. Doppelrohrflöte), der Dammām (eine zweiseitige Bechertrommel afrikanischer Herkunft, die hauptsächlich bei religiösen Zeremonien zum Einsatz kommt), die klassischen iranischen Perkussionsinstrumente Zarbe und Tempo, Tombak, Bough (das Horn einer Kudu Antilope) und Becken.
Von Liebesliedern über Lieder für Kranke bis hin zu religiöser Musik, von ausgelassenem Feiern über Meditatives bis zu tranceartigen Rhythmen – die Musik des Shanbehzadeh Ensembles schöpft ihre Inspiration aus ganz unterschiedlichen Aspekten des Lebens und der Kultur an den Küsten des Persischen Golfs. Die drei Musikerinnen und Musiker wollen mit dem Publikum ein unvergessliches Ereignis teilen, in eine einzigartige Klangwelt eintauchen und ein hochpoetisches Konzert bieten, das die Hörer einlädt, hier im Pierre Boulez Saal die ganze Welt in einem Sandkorn zu erleben.
Deutsche Übersetzung: Christoph Schaller