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Belcea Quartet

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Belcea Quartet

Belcea Quartet

Ruft ihr euren Bruder?

Streichquartette von Mozart, Bartók und Mendelssohn

Wolfgang Stähr

Abschied von Berlin

Am 26. April des Revolutionsjahres 1789 wurde dem preußischen König Friedrich Wilhelm II. von seinen Hofbeamten der Kabinettsvortrag ausgehändigt. Unter Punkt 5 konnte der Monarch die Mitteilung lesen: „Der Nahmens Motzart allhier (hatt sich beym Einpaßieren für einen Capell-Meister aus Wien angegeben) meldet, daß ihn der Fürst Lichnowsky zur Gesellschaft mit sich genommen, daß er wünschte seine Talente zu Ew. Königlichen Majestät Füßen zu legen und daß er Befehl erwartete, ob er hoffen dürffe, daß Ew. Königliche Majestät ihn vorkommen laßen würden.“ Der König verwies den Bittsteller auf den Dienstweg und kritzelte deshalb an den Rand die Anordnung: „Directeur du Port“. Dem Kapellmeister Mozart aus Wien wurde somit zunächst keine Audienz gewährt: Er musste sich gedulden und einstweilen damit begnügen, dem besagten „du Port“, dem Oberintendanten der königlichen Kammermusik, seine Talente zu Füßen zu legen. Jener Jean-Pierre Duport, ein bedeutender Cellist aus Paris, war noch von Friedrich dem Großen engagiert worden; er hatte als Lehrer des Thronfolgers, des ab 1786 regierenden und in seiner Mußezeit das Cello spielenden Friedrich Wilhelm II., bald den Rang eines musikalischen Vertrauten und Ratgebers eingenommen. An ihm führte kein Weg vorbei, auch nicht für Mozart, der seinen Stolz zügeln und sich in der höfischen Kunst der Diplomatie versuchen musste. Doch alles umsonst: Auf einen Empfang beim König wartete er bis zuletzt vergebens. Sein adliger Gönner, der Fürst Karl von Lichnowsky, hatte da längst schon die Heimfahrt angetreten (und Mozart zuvor um hundert Gulden angepumpt). Die Reise nach Preußen endete ergebnislos und ernüchternd für den „Capell-Meister“ aus Wien. „Du must dich bey meiner Rückunft schon mehr auf mich freuen, als auf das gelde“, schrieb Mozart kleinlaut aus Berlin an seine Frau Constanze.

Mozart hatte seit fast drei Jahren kein Streichquartett mehr komponiert, als er im Juni 1789 in seinem „Verzeichnüß aller meiner Werke“ die folgende Eintragung vornahm: „Ein Quartett für 2 Violin, Viola et Violoncello. für Seine Mayestätt dem König in Preußen.“ Diese Komposition, das Streichquartett D-Dur KV 575, sollte nach Mozarts ursprünglicher Absicht das erste in einer Reihe von schließlich sechs Quartetten werden, die er auf eigene Kosten stechen lassen und Friedrich Wilhelm II. – in der unbeirrten Hoffnung auf ein Gnadengeschenk des ungnädigen Monarchen – z ueignen wollte. Aber das Projekt kam nicht über drei Quartette (KV 575, 589, 590) hinaus: Mozart gab den Plan einer Widmung an den König auf und verkaufte die Werke im Sommer 1790 – „um ein Spottgeld“, wie er klagte. Sein zweites Vorhaben, sechs leichte Klaviersonaten für die Prinzessin Friederike, die älteste Tochter des Preußenkönigs, zu schreiben, nahm er offenbar nicht einmal in Angriff. Schon während der Rückfahrt von Berlin über Prag nach Wien hatte er mit der Komposition des D-Dur-Quartetts KV 575 begonnen. Auch den ersten und nahezu den gesamten zweiten Satz des Streichquartetts in B-Dur KV 589 hatte er unterwegs bereits zu Papier gebracht. In Wien jedoch, wo Mozart am 4. Juni eintraf, erlahmte der anfängliche kreative Schwung recht bald, und die, nach seinen eigenen Worten, „mühsame Arbeit“ an dem geplanten Zyklus kam schließlich zum Stillstand. Der folgende Herbst und Winter waren mit der Komposition der Oper Così fan tutte ausgefüllt. Monate verstrichen, ehe Mozart im Mai 1790 endlich das Quartett KV 589 vollenden konnte.

Mit Luigi Boccherini, seinem Hofkomponisten, mit seinem Lehrer Jean-Pierre Duport und dessen Bruder Jean-Louis hatte Friedrich Wilhelm II. den geballten Sachverstand in allen Fragen des Cellos an sich gebunden. Es kann daher nicht überraschen, dass Mozart in seinem B-Dur-Quartett dem Violoncello eine prominente und melodisch exponierte Rolle zudachte, jedenfalls in den ersten beiden, noch auf der Reise entstandenen Sätzen. Namentlich im Larghetto kann sich das Instrument des Königs – im Wechselspiel mit der ersten Violine – höchst vorteilhaft von seiner melodischgesanglichen Seite zeigen. In den anderen Sätzen freilich, die Mozart später erst in Wien komponierte, dem Menuett und dem Finale, bewegt sich der Cellopart wieder im Rahmen des für Streichquartette jener Zeit Üblichen. Der Gedanke an ein sechsteiliges Huldigungswerk für den preußischen Monarchen war unüberhörbar längst verblasst. Mehr als eine rühmende Erwähnung verdient gleichwohl gerade das Menuett des B-Dur-Quartetts, ein höchst virtuoser, außergewöhnlich origineller, um nicht zu sagen gewagter Satz, und dies nicht nur, weil das Trio mit seiner überproportionalen Länge jedes Maß zu ignorieren scheint.

Die Veröffentlichung der drei „Preußischen Quartette“ durfte Mozart nicht mehr erleben. Das Wiener Verlagshaus Artaria annoncierte sie am 28. Dezember 1791 als „drey ganz neu konzertante Quarteten für zwey Violinen, Viole und Violoncello vom Hrn. Kapellmeister Mozart. Op. 18. Diese Quarteten sind eines der schätzbarsten Werke des der Welt zu früh entrissenen Tonkünstlers Mozart, welche aus der Feder dieses so grossen musikalischen Genies nicht lang vor seinem Tode geflossen sind, und all jenes musikalische Interesse von Seiten der Kunst, der Schönheit und des Geschmackes an sich haben, um nicht nur in dem Liebhaber, sondern auch in dem tiefen Kenner Vergnügen und Bewunderung zu erwecken.“

Abschied von Europa

„In Bartóks Musik“, das wusste der Geiger Sándor Végh, einer der wegweisenden Interpreten des ungarischen Komponisten, „ist das überwältigendste Merkmal sein eigener Charakter, seine Geradheit, Sauberkeit, Konzessionslosigkeit, Unbestechlichkeit und sein Mut. Alle diese Eigenschaften wurden immer ausgeprägter, je erschreckender die Zeiten wurden. Als in Deutschland die Nationalsozialisten die ‚Entartete Kunst’ proklamierten und es verboten wurde, in Konzertsälen Mendelssohn, Debussy, Ravel, Schönberg, aber auch politische Gegner wie Hindemith zu spielen, schrieb Bartók einen Offenen Brief an alle Zeitungen, in dem er erklärte, er verbiete, seine Kompositionen in Deutschland aufzuführen. Nur zwei Zeitungen hatten den Mut, diesen Brief zu veröffentlichen. Wir alle, die Bartók liebten und verehrten, fühlten, dass es ihm sowohl moralisch wie physisch unmöglich sei, in Ungarn zu bleiben.“

1938, nach dem „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland, begann Bartók ernsthaft über eine Emigration nachzudenken, zu bedrückend war die Aussicht, „dass sich auch Ungarn diesem Räuber- und Mördersystem ergibt. Die Frage ist nur, wann, wie! Wie ich dann in so einem Lande weiterleben oder – was dasselbe bedeutet – weiterarbeiten kann, ist gar nicht vorstellbar. Ich hätte eigentlich die Pflicht auszuwandern, solange es noch möglich ist.“ Bartók brachte in jenen Monaten seine Manu - skripte in Sicherheit: Zuerst schickte er sie nach Basel, dann schien es ihm besser, sie in London bei seinem neuen Verleger Boosey & Hawkes zu deponieren. Als im Dezember 1939 seine Mutter starb, war die Frage der Emigration für Bartók entschieden. Nichts hielt ihn jetzt noch in Ungarn. Im Herbst 1940 bereitete er unter dem Vorwand einer Tournee seine Ausreise in die Vereinigten Staaten vor. „Wir Musiker und sein Freundeskreis wussten, dass seine Reise nach Amerika keine Konzertreise war, wie offiziell behauptet wurde“, erinnerte sich Sándor Végh. „Viele Künstler, Musiker, Maler, Bildhauer, Wissenschaftler, Schriftsteller, die Elite des Kulturlebens von Ungarn, pilgerten zu Bartók Béla und Ditta, um Abschied zu nehmen. Es war eine Stimmung wie bei einer Beerdigung, wie ein Kondolenzbesuch, von Angst erfüllt – denn ein Begräbnis stand ja uns allen bevor. Wir begruben die Freiheit, die Menschlichkeit, und derjenige, der für uns das Symbol des Mutes, der Standhaftigkeit und der humanmoralischen Freiheit darstellte, Bartók, musste uns verlassen.“

Die Arbeit am Sechsten Streichquartett, begonnen im August 1939 in Saanen im Berner Oberland, wo sich der Komponist als Gast des Schweizer Dirigenten und Mäzens Paul Sacher aufhielt, schloss Bartók im November desselben Jahres in Budapest ab. Es war das letzte Werk, das er noch in seiner ungarischen Heimat vollenden konnte. Eine tiefe, unstillbare Trauer bestimmt das zyklische Mesto-Thema, das zu Beginn von der Bratsche vorgetragen wird und das jedem der ersten drei Sätze in der Art einer langsamen Introduktion vorangestellt ist, ehe es den vierstimmigen Klagegesang des Finales trägt und prägt. In den Mittelsätzen dagegen, Marcia und Burletta, beide nach dem Scherzo-Trio-Modell gestaltet, regiert eine groteske und bizarre Ausdruckswelt, albtraumhaft und beängstigend, ein Pandämonium verzerrter Gestalten und fremdartiger Klänge.

„Wenn in der Musik des 20. Jahrhunderts etwas vorhanden ist, was einst unsere Nachkommen davon überzeugen kann, dass unser Zeitalter nicht so barbarisch war, wie die Geschichte es zeigt“, schrieb der englische Kritiker Colin Mason, „wenn eine solche Musik vorhanden ist, dann sind es Bartóks Streichquartette.“

Abschied von der Welt

Felix Mendelssohn war ein erfülltes Leben beschieden – so hieße es wohl in der Sprache der Nachrufe und Trauer anzeigen. In Wahrheit war ihm ein kurzes, überreiches, an Raubbau grenzendes Dasein auferlegt. Ein bitterer Segen ruhte auf diesem vermeintlichen Glückskind. In Mendelssohns von Grund auf bürgerlicher Existenz regierte ein striktes Arbeitsethos, ein fast übermenschliches Verantwortungsbewusstsein für das eigene Werk, den Beruf, die Berufung. Als Komponist, Gewandhauskapellmeister und Gründer des Leipziger Konservatoriums verzehrte sich Mendelssohn in seinem Schaffen bis an den Rand der Selbstaufgabe. „Wissen Sie aber, wie ich es mir denke? – Der Mensch muß wieder ruiniert werden!“, erklärte Goethe im Gespräch mit Eckermann. „Jeder außerordentliche Mensch hat eine gewisse Sendung, die er zu vollführen berufen ist. Hat er sie vollbracht, so ist er auf Erden in dieser Gestalt nicht weiter vonnöten, und die Vorsehung verwendet ihn wieder zu etwas anderem. Da aber hienieden alles auf natürlichem Wege geschieht, so stellen ihm die Dämonen ein Bein nach dem andern, bis er zuletzt unterliegt.“ Ein befreundeter Arzt traf den Komponisten nach langer Zeit im Sommer 1845 – und reagierte zutiefst erschrocken: „Felix war mit sechzehn Jahren ein schöner schwarzgelockter Jüngling. Als ich ihn zwanzig Jahre später in Freiburg wiedersah, fand ich ihn früh gealtert, er war seit seinen Jünglingsjahren wenig gewachsen, sein Antlitz trug die Spuren angestrengter Geistesarbeit, seine Gewohnheit, die Augenlider halb geschlossen zu halten, hatte so zugenommen, daß er seine nächsten Bekannten auf der Straße kaum bemerkte, sein Haupt war vorwärts geneigt, seine ganze Haltung hatte alle Frische und Elastizität verloren.“

Im März 1847 fasste Mendelssohn den schweren, aber unvermeidlichen Entschluss, die Leitung der Gewandhauskonzerte aufzugeben. Von einigen Unterrichtsstunden am Leipziger Konservatorium abgesehen, wollte er fortan nur noch seiner Familie und seinem kompositorischen Schaffen leben. Aber es kam alles anders. Nach der schockierenden Nachricht vom unerwarteten Tod seiner Schwester Fanny am 14. Mai 1847 war Mendelssohns physischer Zusammenbruch nur noch eine Frage der Zeit. „Gott helfe uns allen – weiter weiß ich nichts zu sagen und zu denken“, bekannte er, völlig verwirrt und verstört, in einem Brief an die jüngere Schwester Rebecka. „Heut und gestern und in vielen, vielen Tagen werde ich nicht mehr zu schreiben wissen, als eben – Gott helfe uns, Gott helfe uns!“ Die Sommer monate verbrachte Mendelssohn mit seiner Familie in der Schweiz, in Interlaken, um Abstand zu gewinnen, Ablenkung zu finden, vielleicht sogar Erholung. In dieser Zeit begann er doch noch einmal zu schreiben, zu komponieren: mit „krankhaftem Eifer“ sogar, oft tagelang ohne Unterlass, wie seine Frau später erzählte. In den Schaffenspausen lief er wie gehetzt durch die Berge, bis zur Erschöpfung, setzte sich aber nach seiner Rückkehr gleich wieder an das begonnene Werk, ohne sich zu schonen. Im September 1847 konnte Mendelssohn das Streichquartett in f-moll op. 80 im Manuskript vollenden, sein letztes Instrumentalwerk überhaupt, das er wenige Tage danach dem befreundeten Komponisten Ignaz Moscheles in Leipzig am Klavier vorspielte. „Der leidenschaftliche Charakter des Ganzen scheint mir im Einklang mit seinem tieferschütterten Seelenzustande zu sein, er kämpfte noch mit dem Schmerz über den Verlust seiner Schwester“, notierte Moscheles in seinem Tagebuch. Und als ein „Requiem für Fanny“ ist das f-moll-Quartett auch in die Mendelssohn-Literatur eingegangen, ein Abschiedswerk von schneidender, schroffer, rückhaltloser Expressivität. „Er ist der Mozart des 19ten Jahrhunderts, der hellste Musiker, der die Widersprüche der Zeit am klarsten durchschaut und zuerst versöhnt hat“, urteilte Robert Schumann über seinen Zeitgenossen und Weggefährten Felix Mendelssohn. Das letzte Streichquartett aber spricht eine andere Sprache: dunkel, obsessiv, unversöhnt.

Im Spätherbst 1847 erlitt der 38-jährige Mendelssohn im Abstand weniger Tage zwei Schlaganfälle. Am 4. November, als er bereits im Sterben lag, hielt sich Ignaz Moscheles bei ihm in seiner Leipziger Wohnung auf. Und er schrieb die Worte: „Natur! – verlangst du deine Rechte? – Ihr himmlischen Sphären, Heimat der Engel, ruft ihr euren Bruder, den ihr als den eurigen betrachtet, den ihr für zu erhaben haltet, um seinesgleichen unter uns Irdischen zu finden? – Wir halten, wir umklammern ihn noch. Wir hoffen auf die Gnade Gottes: den noch länger unter uns zu haben, der uns als ein Muster des Edlen im Menschen immer geleuchtet hat, der unser Jahrhundert ziert. Dir, o Schöpfer, ist es bewußt, warum Du in dieser Seele Schätze des Gemüts angehäuft hast, die die zarte Hülle seines Körpers nur eine beschränkte Zeit zu tragen fähig ist.“

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