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Kinan Azmeh CityBand

Familienbande

Kinan Azmehs CityBand trifft neue Freunde

Thomas May

Der international gefeierte Klarinettist, Komponist und Meister der Improvisation Kinan Azmeh ist seit der Eröffnungssaison ein häufiger und gern gesehener Gast im Pierre Boulez Saal. Doch bisher stand bei jedem Auftritt des syrischen Musikers eine andere künstlerische Facette seiner Persönlichkeit im Mittelpunkt: mal ging es vor allem um sein eigenes Instrument (dabei auch Seite an Seite mit seinem Klarinettisten-Kollegen Jörg Widmann), ein anderes Mal trat er ge meinsam mit seinem langjährigen Klavier- Partner Dinuk Wijeratne auf, dann wieder als Mitglied von Hewar, dem aus Damaskus stammenden Komponisten- Musiker-Kollektiv.

Außerdem war Azmeh im vergangenen Jahr als Co- Kurator an den Arabic Music Days beteiligt, bei denen er dem Publikum sein New Yorker Quartett vorstellte: die Kinan Azmeh CityBand. Für seine ersten Auftritte im Pierre Boulez Saal in der aktuellen Spielzeit entsteht nun wieder ein neues Ensemble, denn zusammen mit CityBand stehen an diesen beiden Konzertabenden drei Gastkünstler auf der Bühne: Sheng-Spieler Wu Wei, Schlagzeuger Bodek Janke und Pianist Florian Weber.

„In Berlin zwei Abende hintereinander im gleichen Saal spielen zu können, war für uns eine wunderbare Gelegenheit, Gäste einzuladen“, erklärte Azmeh vor wenigen Wochen per Telefon aus Brooklyn, wo er seit langem lebt. Der „Symbolcharakter des Pierre Boulez Saals“, wie er sagt, erlaubt nicht nur eine gewisse Risikobereitschaft, sondern auch einen sehr intimen Austausch mit dem Publikum und seinen Musikerkollegen. „Wir sind alle Komponisten, wir improvi sieren und vor allem sind wir von Haus aus Gemeinschafts täter. Statt nur für einen Abend haben wir diesmal sozusagen drei neue Familienmitglieder, die etwas länger dabei sind.“

Die „Familie“ selbst – CityBand – entstand nach und nach in einer Art „Kettenreaktion“, wie Azmeh es beschreibt, die ohne vorgefassten Plan schließlich zur Gründung des Quartetts führte. Nach seinem Abschluss an der Juilliard School in New York fand sich Azmeh hin und her gerissen zwischen dem Wunsch, seine gerade begonnene Karriere in seiner Wahlheimat fortzusetzen, und Heimweh nach Damaskus, wo er als Kind mit dem Klarinettenspiel begonnen hatte.

„Es muss etwa 2005 gewesen sein, als ein Freund mich ansprach, der gerade auf der Lower East Side ein neues Café mit den Namen Epistrophy [nach dem Jazzklassiker von Thelonius Monk und Kenny Clarke] eröffnet hatte. Er war dabei, ein Musikfestival zu planen und sagte: ‚Komm und bring deine Band mit!‘ Ich hatte damals keine Band, nur ein paar Freunde, mit denen ich gern zusammen gespielt habe, und zu denen gehörte auch [der Gitarrist] Kyle Sanna. Wir dachten, es wäre nett, auch einen Schlagzeuger dabei zu haben, und Kyle kannte John Hadfield. Bei unserem ersten Auftritt waren wir deshalb noch ein Trio.“ Später kam der Bassist Josh Myers dazu – und CityBand war geboren.

„Ich finde es immer sehr interessant, einer Band einen Namen zu geben“, sagt Azmeh. Das Ensemble Hewar, das seine enge Bindung an Damaskus verkörpert, ist nach dem arabischen Wort für Dialog benannt. „Hewar basiert auf dem Gedanken, mit Hilfe von Instrumenten zu kommunizieren.“ Der Name CityBand ist ähnlich direkt: „Mir ging es darum, das Gefühl der Metropole New York zum Ausdruck zu bringen – eine Verbindung zu dieser Stadt.“

Im Jahr 2013 veröffentlichte CityBand das Album Elastic City. Trotz seiner stilistischen Vielfalt, in der sich Flamenco, Jazz und Klezmer mit traditionellen syrischen Klängen mischen, spiegelt es die ganz spezifische Energie und den Geist dieses Ensembles wider. Elastic City bildet zwar eine Art Grundstock für das Repertoire der Gruppe, doch ihre musikalische Identität orientiert sich eher an dem enormen Abwechslungsreichtum, den man von Jazz-Standards kennt. Nie um eine Metapher verlegen, vergleicht Azmeh dieses Ausgangsmaterial mit einem Skelett: „Es lässt den einzelnen Künstlern eine Menge Raum zur Ausgestaltung – wie man es im Jazz erwartet.“ Ermöglicht wird dies erst dadurch, dass jeder einzelne Musiker seine unverwechselbare Persön lichkeit einbringt.

Angesprochen auf seine Zusammenarbeit mit Kyle Sanna beschreibt Azmeh den Gitarristen als „sehr nachdenklichen Musiker, dem es nie um den äußeren Effekt geht. Wir spielen seit den Anfangstagen des Quartetts zusammen. Jedesmal vor einem Konzert sagen wir uns: ‚Wir wollen versuchen, in den Soli nichts zu wiederholen, was wir schon mal gespielt haben. Manchmal überraschen wir uns gegenseitig. Ich glaube, deshalb haben wir als Quartett auch etwas Sinnvolles zu sagen. Wir haben über die Jahre voneinander gelernt, und es kommt vieles zusammen. Jetzt in Berlin mit Gästen aufzutreten, gibt diesen Stücken wieder eine neue Richtung. Ich stelle mich ja nicht hin und sage: ‚Es muss so und so klingen.‘ Ich bitte die anderen, das zu tun, was sie tun möchten.“

Eine andere gern gebrauchte Metapher ist die der Familie – ein Begriff, der häufig vorkommt, wenn Azmeh die Dynamik und musikalische Ästhetik von CityBand beschreibt. Letzt lich ist das Ensemble auch eine Art Ersatzfamilie. Gäste zu einem gemeinsamen Auftritt einzuladen, ist „gut vergleichbar mit der Situation, wenn man Leute mit nach Hause bringt, um zusammen mit der Familie in Damaskus Musik zu machen“ – etwas, das in den letzten Jahren aufgrund des Krieges und der Unruhen in Azmehs Heimatland Syrien nicht möglich war. „Wir spielen als Quartett jetzt schon so lange zusammen, dass der eine weiß, was der andere tun wird. Aber wenn man jemanden Neues mit auf die Bühne bringt, sorgt das immer für eine ungewohnte Perspektive.“

Bereits zu den Arabic Music Days im Dezember letzten Jahres lud Azmeh den Schlagzeuger Bodek Janke ein, der für CityBand-Drummer Hadfield einsprang. Mit Wu Wei, dessen Musik er sehr schätzt, hatte Azmeh schon lange zusam menarbeiten wollen, und ebenso beeindruckt war er von den pianistischen Fähigkeiten des in Osnabrück lebenden Florian Weber. „Wir waren in den USA und in den Niederlanden gemein sam auf Tournee“, sagt Azmeh. „Er ist einer meiner Lieblings-Jazzpianisten.“

Neben Musik von Elastic City werden in Berlin vermutlich auch Stücke zu hören sein, die Azmeh und seine Kollegen in den fünf Jahren seit Erscheinen des Albums geschrieben haben. „Es hängt alles davon ab, wie erfolgreich die Proben verlaufen“, sagt der Klarinettenvirtuose. „Wir treffen uns morgens am Tag des ersten Konzerts, und dann werden wir sehen, was passiert. Die Band wird ein paar Sachen allein spielen und in der zweiten Hälfte sind alle dabei. Am zweiten Abend können wir dann auf Ideen aus dem ersten Konzert aufbauen.“ In Echtzeit zu experimentieren, „während das Publikum dabei zuschaut“, erklärt Azmeh, gibt dem Ganzen eine besondere, unvergleichliche Energie.

Wedding, eine Hommage an lärmende, ansteckende Fröhlich keit und vielleicht Azmehs am häufigsten gespielte Komposition, könnte so etwa die Inspiration liefern für ein Duett zwischen seiner Klarinette und Wu Weis Sheng (einer Mundorgel und einem der ältesten chinesischen Instru mente). „Wenn ich meine eigene Musik mit einer neuen Gruppe spiele, interessiert mich vor allem die unerwartete Perspektive meiner Kollegen, die zum ersten Mal dabei sind“, sagt er. Das Ergebnis zeigt, „wie sich Stücke in Form und Tempo verändern können“ – ja selbst in ihrem grundlegenden Charakter – „indem man die Instrumentation nur leicht modifiziert, und dadurch verändern sich dann auch Persönlichkeiten.“ Der faszi nierendste Aspekt dieser Art der Zusammenarbeit ist aber noch ein anderer: „Es gibt kein Sicherheitsnetz – außer einer Band, die seit vielen Jahren aufeinander eingespielt ist. Wir hören alle mehr zu als dass wir spielen! Selbst wenn ein Stück mal zum Stillstand kommt, dann wissen wir, wie wir es wieder in Gang bringen.“ Für Azmeh besteht „die Definition einer guten Band“ in der Überzeugung, dass sie letztlich nichts aus der Bahn werfen kann. Mit CityBand und den drei Gastkünstlern „sind wir auf der Bühne zu siebt. Wenn sechs von uns plötzlich tot umfallen würden, könnte einer das Konzert trotzdem allein weiterspielen. Das traue ich jedem Einzelnen in dieser Gruppe zu. Deshalb macht es so viel Spaß.“

Immer öfter wird Azmeh gebeten, Musik für weniger flexible Ensembles wie klassische Orchester oder Kammermusikgruppen zu schreiben. Zu den Stücken, mit denen CityBand im vergangenen Jahr auf Tournee war, zählte auch der vierte Satz einer Komposition für Klarinette und Cello, die Azmeh gemeinsam mit Yo-Yo Ma aus der Taufe hob (mit dessen Silk Road Ensemble er oft auftritt). „Dieser Satz führt jetzt ein Eigenleben im Repertoire der Band“, erklärt er. Im kommenden Februar wird die Seattle Symphony Azmehs neues Klarinettenkonzert uraufführen (wobei er selbst den Solopart übernimmt). Er plant bereits, bei den nächsten Auftritten von CityBand mit einigen Themen daraus zu experimentieren. Solche Grenzüberschreitungen, sagt er, „helfen mir sehr, mich auf die Premiere mit dem Orchester vorzubereiten. Dadurch bekomme ich ein Gefühl dafür, was in der Gruppe funktioniert und was nicht.“

Als Komponist gewinnt Azmeh aus solchen kreativen Überlagerungen „eine unglaubliche Menge an Informationen, die ich dann weiterverwenden kann.“ Ein anderes Beispiel hierfür ist ein Stück mit dem Titel Syrian Dances, an dem er derzeit arbeitet und das von Bartóks Rumänischen Tänzen inspiriert ist. „Ich möchte Aufmerksamkeit wecken für diese Volks lieder aus meiner Heimat, aber ohne dabei zu direkt zu sein – einfach dadurch, sie auf eine andere Weise zu präsentieren. Es sind keine Volksmusikarrangements im eigentlichen Sinn, sondern Stücke, die davon inspiriert sind.“

Bei seinen Auftritten mit Cityband „den Luxus zu haben, dass es kein festes Programm gibt, ist für mich ein wunderbares Experimentierfeld dafür, Musik für andere Ensembles zu schreiben.“ Doch trotz der Vielseitigkeit seiner verschiedenen musikalischen Identitäten betrachtet Azmeh die Arbeit mit CityBand als Teil einer Grundphilosophie: „Ich sehe all diese Projekte als einen kontinuierlichen Prozess, ob ich nun für die Seattle Symphony schreibe oder für einen Film oder Mozarts Klarinettenkonzert spiele. Es geht immer darum, den Menschen zuzuhören – und den Instrumenten, darauf zu hören, was Menschen und Instrumente zu sagen haben. Das Wichtigste ist vielleicht, dabei Vergnügen zu empfinden. Man vergisst leicht, dass das Wort ,Vergnügen‘ eigentlich etwas Hehres beschreibt: nämlich etwas mit Freude zu tun, wie auf der Bühne neuen Freunden zu begegnen.“

Übersetzung: Philipp Brieler

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