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Trio Catch
Einheit in der Vielfalt
Ein Portrait des Trio Catch
Annette Zerpner
Klarinette, Cello und Klavier – die ebenso reizvolle wie ungewöhnliche Kombination aus einem flexiblen Holzblasinstrument, dem gesanglichem Ton des Cellos und der Vielseitigkeit des Klaviers inspirierte vor zehn Jahren drei junge Musikerinnen zur Gründung eines festen Ensembles. Mit seinem berühmten a-moll-Trio op. 114 hat Johannes Brahms dieser Besetzung ein bleibendes, klingendes Denkmal gesetzt. Ging die Initialzündung für das Trio Catch von diesem Werk aus? Boglárka Pecze, in Ungarn geborene Klarinettistin, schüttelt den Kopf. Angefangen hat alles vielmehr während eines Stipendiums an der Internationalen Ensemble Modern Akademie 2009 in Frankfurt mit einer Komposition von Helmut Lachenmann. Namenspate des Trios wurde dann ein Werk des britischen Komponisten Thomas Adès: In dessen Catch von 1991 „kapert“ ein klassisches Klaviertrio mit Violine und Cello eine Klarinette. Ein Fang, der sich gelohnt hat: „Von Seiten der Komponisten und des Publikums gibt es eine viel größere Nachfrage nach unserer Besetzung, als man denkt“, erklärt Pecze.
Gemeinsam mit der Schweizerin Eva Boesch – seit 2013 Cellistin des Trios – sitzt sie während der Probenpause zu einem Werkstattkonzert im Berliner Radialsystem. Die beiden berichten von der Arbeit ihres Ensembles, zu der als dritte im Bunde die koreanische Pianistin Sun-Young Nam gehört, und von ihrem ungewöhnlichen Repertoire, das sie stetig erweitern. Obgleich dazu neben Brahms natürlich auch Beethovens „Gassenhauer-Trio“ oder etwa ein Werk der französischen Komponistin Louise Farrenc aus der Mitte des 19. Jahrhunderts gehört, überwiegt Musik des 20. und 21. Jahrhunderts. Eine ganze Reihe dieser Werke wurden vom Trio Catch in Auftrag gegeben und uraufgeführt. Trotzdem ist den Musikerinnen nichts ferner als Schubladendenken – ihre Vertrautheit mit zeitgenössischer Musik und deren erweiterten klanglichen Möglichkeiten habe ihnen vielmehr auch die „klassischen“ Ohren geöffnet. „Man entdeckt und wagt Dinge, auf die man vorher nicht gekommen wäre“, ist Pecze überzeugt.
Im Pierre Boulez Saal ist das in Hamburg ansässige Trio zum ersten Mal zu Gast. Wenn es um feinste Klangnuancen geht, übernimmt ein Konzertsaal umso mehr die Rolle eines vierten Mitspielers: „Jeder Raum hat eine eigene Resonanz, der sich die einzelnen Instrumente unterschiedlich öffnen. Es gibt Säle, in denen die Gesamtbalance auf Anhieb stimmt. Anderswo muss man ein Instrument oder manche Lagen zurücknehmen und lange experimentieren, bis alles passt.“ Überraschungen gehören dazu. „Man muss erst selbst auf der Bühne sitzen. Was auf Fotos riesig aussieht, kann plötzlich ganz intim wirken. So ging es uns tatsächlich im Großen Saal der Elbphilharmonie. Die Entfernung von jedem Sitzplatz zur Bühnenmitte ist kurz.“ Die Ellipse des Pierre Boulez Saals sorgt noch einmal für größere Nähe zwischen Musikerinnen und Publikum.
Unabhängig vom Raum spiegelt sich in der Triobesetzung die Grundsituation jedes Konzerts, wie die Interpretinnen sie beschreiben: „Zur Musik gehören immer drei – einer hat sie im Kopf und schreibt sie auf, einer hat sie vor Augen und interpretiert sie, einer hört sie und reagiert darauf.“ Nicht selten halten die vom Trio Catch gespielten komplexen zeitgenössischen Werke besondere Herausforderungen für das ungeübte und selbst für das geschultere Ohr bereit. Die Antwort des Ensembles hierauf ist eine Reihe freier Werkstattkonzerte, die sie seit mehreren Jahren unter dem Titel „Ohrknacker“ veranstalten – Ohr und Musik werden hier sozusagen füreinander geöffnet. „Vor Uraufführungen haben wir schon immer gern bei privaten Hauskonzerten ausprobiert, wie es sich anfühlt, ein neues Werk zu spielen.“ Die „Ohrknacker“-Konzerte setzen diese Idee fort. „Wir erzählen dabei etwas über unseren persönlichen Bezug zu den Stücken und über die Geschichte dahinter, heben einzelne Stellen hervor und lenken die Aufmerksamkeit auf spezielle Spieltechniken und Klänge. Oft möchte das Publikum die Musik dann gleich noch einmal hören.“ Je mehr man weiß, desto mehr hört man und versteht darum besser, was die drei Musikerinnen an den für sie geschriebenen Kompositionen besonders fasziniert. Eva Boesch vergleicht das Ensemble in diesem Zusammenhang mit einem kleinen Orchester: „Wir haben eine Bläser- und eine Streichersektion und eine ganze Harmonie- und Schlagwerkabteilung durch das Klavier. Für diese unterschiedlichen Klangfarben die richtige Mischung zu finden – darin besteht die Herausforderung. Ihre Vielfalt ist oft sehr reizvoll, manchmal versuchen wir aber auch, die Klänge so anzunähern, dass man gar nicht mehr hört, welches Instrument es gerade ist. Bis man diese Ebene erreicht, muss man sich sehr gut kennen und jahrelang zusammengespielt haben.“
Ein gutes Beispiel für diese Art gegenseitiger Imitation der drei Instrumente ist das Eröffnungsstück des heutigen Programms, die vor drei Jahren für das Ensemble komponierte Catch Sonata des Franzosen Gérard Pesson. Hierfür wird das Klavier mit Stimmkeilen präpariert – und mit französischen Wäscheklammern. Diese klingen, versichert Eva Boesch, besonders gut, denn sie haben einen Gummibelag, der außerdem dafür sorgt, dass die Klaviersaiten nicht beschädigt werden. „Das Instrument klingt dadurch manchmal wie ein Gamelanorchester oder eine Trommel“, erklärt Boesch. „Das mischt sich dann mit meinem Cello-Pizzicato, wenn ich zum Beispiel hinter dem Steg zupfe. Es ist eine unglaublich farbige, ganz feine Klangsprache, die sich oft gar nicht nach unseren drei Instrumenten anhört, eher nach etwas Überirdischem.“ Das Trio hat Pessons Sonate bewusst oft auch an Orten aufgeführt, an denen das Publikum mit zeitgenössischer Musik wenig vertraut ist: „Das Stück hat eine besonders zugängliche, leicht nachvollziehbare, elegante Kompositionsweise.“
Auf Pesson folgt ein Werk des noch auf seine Wiederentdeckung wartenden Spätromantikers Paul Juon. In Moskau als Sohn einer Schweizer Familie geboren, studierte er in seiner Heimatstadt und in Berlin, wo er 1906 eine Professur für Komposition an der Königlichen akademischen Hochschule für Musik übernahm. Ab 1934 zog er sich in die Westschweiz zurück. Zeitgenössische Kritiken bezeugen, dass vor allem seine Kammermusikwerke in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts häufig gespielt und sehr positiv aufgenommen wurden. Die höchst abwechslungsreichen, tänzerischen Trio-Miniaturen, gesammelt unter den Opusnummern 18 und 24, gehen auf Kompositionen für Klavier vierhändig zurück.
Sowohl mit Johannes Boris Borowski als auch mit Johannes Maria Staud verbindet das Trio Catch eine enge Zusammenarbeit, und ihre heute zu hörenden Werke wurden für das Ensemble geschrieben. Borowskis As if von 2017 verdankt seinen Titel einer Zeile aus Charles Dickens’ Roman David Copperfield, in dem es mehrdeutig „As if I could or would…“ heißt. Das „als ob“ signalisiert eine gewisse Distanz, die in subtilem Witz und klanglichen Scherzen zwischen den Instrumenten ebenso zum Ausdruck kommt wie in verfremdeten, verschobenen Harmonien: Klarinette und Cello spielen hier stellenweise in Vierteltönen. Auch rhythmisch ist das Stück äußerst komplex.
Anlässlich der Uraufführung von As if lobte Borowski die Arbeit mit den Musikerinnen: „Sie sind sehr verantwortungsbewusst gegenüber jeder Musik, die sie spielen – unabhängig vom Komponisten. Das ist durchaus selten.“ Die Frage, wie die ideale Zusammenarbeit mit einem Komponisten oder einer Komponistin aus ihrer Sicht aussehen sollte, lässt sich für die Musikerinnen nicht eindeutig beantworten: „Manchen gefällt es nicht, wenn man im künstlerischen Prozess mitredet – dann bekommt man ein Stück, das fix und fertig geschrieben ist. Andere wünschen sich ausdrücklich den Austausch. Wir versuchen immer zu spüren, was die- oder derjenige von uns braucht.“ Während es für einige Komponisten lebensnotwendig sei, ein neues Werk im letzten Moment „herauszuschwitzen“ – was für die Musikerinnen nicht unbedingt nervenschonend ist – kämen andere schon vor Beginn der eigentlichen Kompositionsarbeit mit Skizzen und Notizen zu ihnen, um Ideen auszuprobieren, sich vom Gehörten inspirieren zu lassen und dann nach Monaten mit der fertigen Partitur zurückzukehren. Die Entstehung neuer Kompositionen ist nicht weniger individuell als die Menschen, die sie schreiben. „Das Schöne daran, Werke lebender Komponisten zu spielen, ist, dass man alles fragen darf oder auch Stellen, die technisch oder musikalisch unklar sind, direkt ansprechen kann. Dann sucht man im besten Fall gemeinsam nach einer Lösung, und das kann für beide Seiten sehr erfüllend sein“, sagt Boesch.
Johannes Maria Stauds Wasserzeichen (Auf die Stimme der weißen Kreide II) ist Teil einer Werkreihe und verweist im Untertitel auf eine Komposition für größeres Ensemble aus dem Jahr 2014/15. Das im Charakter sehr impulsive Stück enthält für die Klarinette eine Reihe von sogenannten Multiphonics oder Mehrklängen, wie Pecze erklärt. Dazu kommen virtuose Passagen für Bassklarinette, die den Tonumfang dieses Instruments komplett ausnutzen und extreme technische Anforderungen stellen. Die Bassklarinette gehört für die Künstlerin ganz selbstverständlich zu ihren musikalischen Ausdrucksmitteln. Vor einiger Zeit hat sie außerdem das Bassetthorn für sich entdeckt, das sie für seine klarinettenspezifische klangliche Flexibilität und die trotzdem zur Verfügung stehende tiefe Lage schätzt.
„Es gibt so viele neue Werke für unsere Besetzung, dass wir das Gefühl, etwas zu oft zu spielen, wirklich kaum kennen“, resümiert Pecze. So bietet das Debüt im Pierre Boulez Saal nicht nur einen Einblick in das aktuelle Repertoire des Ensembles, sondern gibt den drei Musikerinnen auch reichlich Gelegenheit, alle klangfarblichen Facetten ihrer Instrumente auszubreiten. Und wie sich die Musik unserer Tage mit der zeitlosen, abgeklärten Melancholie eines romantischen Spätwerks verbindet, zeigt zum Abschluss des Programms schließlich doch noch das Trio von Johannes Brahms.