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Vom musikalischen Scherz zum Kunst-Heiligtum
Vom musikalischen Scherz zum Kunst-Heiligtum
Ludwig van Beethovens Klaviertrios
Jürgen Ostmann
Erfunden hat Ludwig van Beethoven die Gattung des Klaviertrios nicht – doch prägte er sie in ähnlichem Maße wie die des Streichquartetts oder der Symphonie. Abzulesen ist dies schon an der Terminologie: Während etwa Haydns oder Mozarts Trios regelmäßig noch als Klaviersonaten mit Begleitung von Violine und Violoncello annonciert wurden, kamen Beethovens drei unter der Opusnummer 1 zusammengefasste Werke bereits unter der moderneren Bezeichnung „Trois trios pour le piano forte, violon et violoncelle“ auf dem Markt. Darin spiegelt sich eine Entwicklung, die tatsächlich von der Klaviersonate ausging – wobei der Begriff „Clavier“ zur damaligen Zeit sämtliche Tasteninstrumente umfasste, in der Praxis aber meistens Cembalo bedeutete. Vor allem in Frankreich liebte man es, den starren Cembaloton durch die Verbindung mit dem ausdrucksvollen Geigentimbre zu beleben. Die Violine verdoppelte dabei oft nur die Stimme der rechten Klavierhand, spielte weniger wichtige Mittelstimmen oder lehnte sich an die Basslinie an. Eine weitere Ergänzung erfuhr die Besetzung durch das aus der barocken Generalbass-Sonate stammende Continuo-Cello – es verstärkte den Cembaloklang in der tiefen Lage. Der Klavierpart blieb auch in der Triobesetzung dominierend; Violine und vor allem Cello konnten notfalls weggelassen werden. Erst nach und nach erhielten die Streicher mehr Gewicht, und Beethoven machte sie zu gleichberechtigten Partnern des Tasteninstruments, in dessen Rolle das Fortepiano das Cembalo bereits verdrängt hatte.
„Konfuse Explosionen dreisten Übermuts“ Die Trios op. 1
Die Opuszahl macht neugierig – wie klingt wohl das allererste Werk Beethovens? Doch hier liegt schon ein Trugschluss vor: Als Beethoven 1792 mit der Arbeit an seinem Opus 1 begann, blickte er bereits auf eine ganze Reihe von Kompositionen zurück, die allerdings keine Opuszahlen tragen. Er hatte sich gerade in Wien niedergelassen, nahm Kompositionsunterricht bei Haydn, Albrechtsberger und Salieri und wurde als hochbegabter Pianist in den Salons der Adeligen herumgereicht. Und nun trat er mit Klaviertrios an die Öffentlichkeit – sie waren zwar nicht seine ersten Werke, doch womöglich die ersten, die er selbst als wirklich gelungen ansah. Nicht alle Kritiker teilten diese Meinung – einer brandmarkte die Trios gar als „konfuse Explosionen dreisten Übermuts eines jungen Mannes von Talent“. Er hatte offenbar begleitete Klaviersonaten von rein unterhaltendem Charakter erwartet und kam mit dem hohen kompositorischen Anspruch der Trios nicht zurecht. Dieser äußert sich nicht nur in der ungewohnten Gleichwertigkeit der Instrumente, sondern auch in der Erweiterung der bisher im Klaviertrio üblichen Zwei- oder Dreisätzigkeit auf die vier Sätze eines Streichquartetts oder einer Symphonie. Wie in diesen Gattungen üblich, schiebt Beethoven nun auch hier ein Scherzo oder Menuett an dritter Stelle ein. Zudem ist jeder einzelne Satz für sich schon groß dimensioniert. Vollends aus der Fassung brachten den Rezensenten vermutlich manche Details der Werke: im Trio Nr. 1 etwa der Es-Dur-Septakkord gleich im dritten Takt, oder die heftigen Akzente, die Beethoven oft auf die schwachen, eigentlich unbetonten Taktzeiten setzt. Auf ein inniges Adagio folgt in diesem Werk der denkbar starke Kontrast eines Scherzos voller launiger Eskapaden. An seinen Tonfall schließt das quirlige Finale mit seinem kühnen Dezimen-Kopfmotiv nahtlos an. Im Trio Nr. 2 erweitert Beethoven die Form des eröffnenden Sonaten-Allegros noch um eine langsame Einleitung. Das Largo steht im von der Grundtonart G-Dur weit entfernten E-Dur, das Scherzo erfreut mit kontrapunktischen Kabinettstückchen und einem zierlichen Moll-Trio, und das Finale ist mit seinen rasanten Tonrepetitionen wieder äußerst effektvoll.
Besondere Erwähnung findet in Ferdinand Ries’ Bericht von der Uraufführung (um die Jahreswende 1793/94 beim Fürsten Lichnowsky) das dritte Trio, das in allen vier Sätzen besonders reich an einprägsamen Details und überraschenden Entwicklungen ist: „Die Trios wurden gespielt und machten gleich außerordentliches Aufsehen. Auch Haydn sagte viel Schönes darüber, riet aber Beethoven, das dritte in c-Moll nicht herauszugeben. Dieses fiel Beethoven sehr auf, indem er es für das Beste hielt. [...] Daher machte diese Äußerung Haydns auf Beethoven einen bösen Eindruck und ließ bei ihm die Idee zurück, Haydn sei neidisch, eifersüchtig und meine es mit ihm nicht gut…“ Tatsächlich sorgte sich der ältere Komponist aber wohl nur, dass negative Publikumsreaktionen auf dieses radikalste der drei Werke seinem Schüler schaden könnten – nicht ohne Grund, wie die oben zitierte Pressenotiz zeigt. Letztlich überzeugten Beethovens sprudelnde thematische Einfälle, seine ungewöhnlichen harmonischen Erfindungen und die feine klangliche Balance das Publikum aber doch sehr schnell. Als die Trios im Oktober 1795 beim Wiener Verlag Artaria herauskamen, fand die Edition auf Anhieb rund 250 Abnehmer – ein beachtlicher Erfolg für die erste Publikation eines jungen Komponisten.
Zwischen Improvisation und Werk Die Variationen über „Ich bin der Schneider Kakadu“
In den Jahren um 1800 waren Variationenfolgen ausgesprochen in Mode. Klaviervirtuosen „fantasierten“ in dieser Form, und viele legten ihre Einfälle auch schriftlich nieder. Solche „Veränderungen“ waren natürlich schon länger bekannt, doch erst in Beethovens Zeit erhielten sie endgültig Werkcharakter: Man komponierte nun oft Übergänge zwischen den einzelnen Variationen, sodass sie sich nicht mehr beliebig zusammenstellen ließen, und statt der vorher üblichen Wiederholung des Themas bildete eine selbständige Coda den Abschluss. Auch Beethoven bedeutete die Gattung Variation viel. Dass er schon in jungen Jahren Erstaunliches in der improvisierten Variation leistete, ist mehrfach überliefert. Etwa ein Drittel seiner Instrumentalkompositionen vor 1800 sind Variationen oder enthalten Variationssätze. Von seinen insgesamt 31 selbständigen Variationszyklen tragen allerdings nur sieben eine Opuszahl: Die Variation war für Beethoven immer noch ein Bindeglied zwischen Improvisation und geformtem Werk. Eigenarten des Fantasierens am Klavier schlagen sich auch in den vermutlich 1802/03 entstandenen und 1816 überarbeiteten Variationen über „Ich bin der Schneider Kakadu“ nieder.
Variiert wird in diesem Werk ein Lied aus Wenzel Müllers Singspiel Die Schwestern von Prag von 1794. Die erst 1824 gedruckte Erstausgabe verschweigt allerdings die Herkunft des Themas – womöglich sogar absichtlich, würde dies doch zu Beethovens kompositorischem Vorgehen passen. Denn bevor die bekannte Melodie zum ersten Mal erklingt, ist eine ungewöhnlich lange und bedeutungsschwere langsame Einleitung zu hören. Die Musik ergeht sich in bizarren Abschweifungen und rätselhaften Andeutungen, sie tastet und sucht, und sie findet schließlich – einen fast schon abgedroschenen Gassenhauer. Der unerwartete Einsatz der „Schneider Kakadu“-Melodie ist ein gelungener musikalischer Witz; eine Erwähnung des Themas im Titel der Druckausgabe hätte dem ahnungslosen Hörer oder Spieler den Überraschungseffekt verdorben. Auf diese bemerkenswerte Einleitung und das Thema folgt in zehn Variationen ein wahres Feuerwerk an originellen Einfällen, dann ein Schlussteil, den Beethoven im Autograph als „Anhang“ bezeichnet. Eingeleitet wird er durch ein Fugato über die ersten vier Töne des Themas, die sich schon in der langsamen Einleitung herausgeschält hatten. Insgesamt erheben sich Beethovens Variationen durch ihre kunstvolle Form weit über die schematischen „Veränderungen“ seiner Zeitgenossen, und dies war ihm offenbar auch bewusst: „Sie sind von meinen frühern Kompositionen, jedoch gehören sie nicht unter die verwerflichen“, schrieb er 1816 an einen Verleger.
„Magischer Kreis seltsamer Ahnungen“ Das „Geistertrio“ op. 70 Nr. 1
Unter der Opusnummer 70 sind in Beethovens Werkverzeichnis zwei Klaviertrios aus dem Jahr 1808 zusammengefasst. Das erste in D-Dur kehrt noch einmal zur Dreisätzigkeit zurück – vielleicht wollte Beethoven durch den Verzicht auf ein Scherzo das Gewicht des zentralen Largos erhöhen. Dieser Satz gilt jedenfalls seit jeher als das Herzstück des Trios, und er brachte dem Werk auch seinen populären Beinamen „Geistertrio“ ein. Wer diesen Namen erfand, ist nicht bekannt, doch der Anlass für die Benennung ist wohl in einem Skizzenblatt Beethovens zu finden, das neben Entwürfen für den Triosatz eine kurze Skizze mit der Überschrift „Macbeth – Ende“ enthält. Sie war angeblich für einen Hexenchor in einer geplanten Oper nach Shakespeares Macbeth bestimmt und steht genau wie das Largo des Klaviertrios in d-moll.
Ein wenig geisterhaft und schauerlich wirken manche Stellen des Mittelsatzes durchaus – etwa die dämonischen Tritonus-Intervalle, die bereits zu Beginn eine wichtige Rolle spielen, etwas später dann Tremolofiguren und brodelnde Triller in den Tiefen des Klaviers. Der Komponist und Schriftsteller E.T.A. Hoffmann fühlte sich an solchen Stellen in einen „magischen Kreis seltsamer Ahnungen“ gezogen, wie er 1813 in seiner Rezension des Trios schrieb. Freundlicher verlaufen über weite Strecken die beiden Ecksätze. Das eröffnende Allegro platzt mit einem stürmischen Unisono herein, dem ein gesanglicher Cello-Gedanke folgt. Diese beiden Elemente bilden im Wesentlichen schon das Grundmaterial, auf dem der ganze Satz aufbaut. Ein wirkliches Seitenthema fehlt, wenn man nicht die häufiger zu hörende Kombination aus Tonleiterfiguren und punktiertem Rhythmus als solches bezeichnen möchte. Gegenüber den beiden vorangegangenen Sätzen wirkt das Presto-Finale spielerisch, leichtgewichtig, fast schon clownesk – ein entschlossenes Heraustreten aus der Geisterwelt, voll verblüffender Abschweifungen und Stimmungsumschwünge.
Zu höchster Einheit verschlungen Das Trio op. 70 Nr. 2
Im Unterschied zum D-Dur-Werk trägt das schwärmerische zweite Trio in Es-Dur keinen Beinamen, und es erreichte auch nie eine vergleichbare Popularität, obgleich viele es für das meisterlichste aller Beethoven-Trios halten. Der Komponist selbst soll es dem „Geistertrio“ vorgezogen haben, während E.T.A. Hoffmann in seiner ausführlichen Besprechung in der Allgemeinen musikalischen Zeitung beide Stücke als gleichwertig ansah. Über das zweite bemerkte er: „Ein einfaches, aber fruchtbares, zu den verschiedensten kontrapunktischen Wendungen, Abkürzungen etc. taugliches, singbares Thema liegt jedem Satz zum Grunde, alle übrigen Nebenthemata und Figuren sind dem Hauptgedanken innig verwandt, so dass sich alles zur höchsten Einheit durch alle Instrumente verschlingt und ordnet. So ist die Struktur des Ganzen; aber in diesem künstlichen Bau wechseln in rastlosem Fluge die wunderbarsten
Bilder, in denen Freude und Schmerz, Wehmut und Wonne nebenund ineinander hervortreten.“
Das Werk beginnt mit einer langsamen Einleitung, die in der Tat ungewöhnlich eng mit dem Hauptteil im tänzerischen Sechsachteltakt zusammenhängt: Ein Abschnitt aus der Einleitung dient als Bindeglied zwischen Haupt- und Seitenthema. Er kehrt in der Coda in seiner ursprünglichen Gestalt und im originalen langsamen Tempo wieder. Beethovens Vorbild für diese Verbindung war offensichtlich Haydns Symphonie Nr. 103 „mit dem Paukenwirbel“, deren Kopfsatz ebenfalls in Es-Dur und im Sechsachteltakt steht. Die Parallelen zwischen beiden Werken setzen sich im zweiten Satz, einem Allegretto, fort: Haydn wie Beethoven wählen an dieser Stelle, die doch eigentlich einem langsamen Satz vorbehalten wäre, ein vergleichsweise rasches Tempo und die Form von Doppelvariationen in C-Dur und c-moll über motivisch verwandte, jedoch im Ausdruck gegensätzliche Themen. Bei Beethoven wechseln sanfte Dur-Teile mit zornigen Moll-Abschnitten; beide Themen werden in der Coda kombiniert. Den dritten Satz bezeichnete Beethoven in seinen Skizzen noch als Menuett (wieder analog zu Haydns Symphonie), doch in der fertigen Partitur ist er einfach mit „Allegretto ma non troppo“ überschrieben. Mit zwei eingeschobenen Trio-Teilen ergibt sich die Form A-B-A-B-A. Von überbordender Energie ist das abschließende Allegro geprägt; Beethovens Schüler Carl Czerny glaubte zu wissen, dass der Komponist sich zu einem der Themen von kroatischen Volksliedern anregen ließ.
Göttlichkeit und nackte Tatsachen Das „Erzherzog-Trio“ op. 97
Das nach seinem Widmungsträger Rudolph von Österreich so genannte „Erzherzog-Trio“ ist Beethovens letzte vollendete Triokomposition, und obwohl es keineswegs am Ende seines Lebens entstand (sondern in den Jahren 1810/11), wurde es doch immer als Höhepunkt der Trioliteratur und als Vermächtnis des Komponisten an die Nachwelt begriffen – ähnlich wie die Neunte Symphonie oder die letzten Streichquartette. Welche Heiligenverehrung schon die Zeitgenossen angesichts des Trios betrieben, zeigt eine Analyse des Werks aus dem Jahr 1817, die der anonyme Verfasser mit den Worten einleitete: „[…] Nur für jene also, denen diese Perle in der Strahlenkrone des herrlichen Meisters noch unbekannt ist – für jene wiss- und lernbegierigen Kunstjünger, die mit sehnsuchtsvollen Blicken noch an den Pforten des Tempels weilen, und an der Hand des treuen Führers von einem ehrfurchtsvollen Schauer ergriffen, das Heiligtum betreten, dessen Innerstes ihnen noch unenthüllt ist – vorzüglich für letztere ist der nachfolgende skizzierte Abriss entworfen, welcher ihnen mitunter einen Fingerzeig geben kann, wo sie die eigentümlichen Schönheiten desselben aufsuchen sollen, und wodurch sie die wahre Ansicht eines Kunstwerkes erhalten mögen, das durch seinen reellen Wert unzerstörbar zur Nachwelt übergeht […].“
Beethoven folgt in seinem letzten Trio, anders als in den finalen Beiträgen zu Symphonie und Streichquartett, zwar weitgehend der Gattungstradition, doch er hält für den Hörer auch einige Überraschungen bereit: So gibt er dem ersten Thema des ersten Satzes einen ausgesprochen lyrischen Charakter – üblicherweise sind an dieser Stelle eher prägnante Motive gefragt, die die thematischmotivische Entwicklung des Sonatenhauptsatzes in Gang zu setzen vermögen. Da der Kopfsatz eher zum Kantablen neigt, kann auf ihn nicht gleich der langsame Satz folgen. In Vertauschung der normalen Reihenfolge bringt Beethoven also nun das Scherzo. Das Andante cantabile mit seinem innig-friedvollen Liedthema und den vier Variationen wurde von vielen Kommentatoren als Zentrum des Werks empfunden. Beethoven selbst bekannte in einem seiner Konversationshefte, die er wegen seiner zunehmenden Taubheit führen musste, dass dieser Satz für ihn „das schönste Ideal von Heiligkeit und Göttlichkeit“ sei. Einen starken Kontrast bildet darauf das lebhafte Finale: „Wir treten wieder in die Welt der sogenannten nackten Tatsachen ein“, schreibt der Musikwissenschaftler Rudolf Bockholdt, „die Musik des letzten Satzes ist von handfester und unbekümmerter Diesseitigkeit. Die Friedensvision ist verschwunden. Vergessen ist sie damit nicht.“