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Zwischen den Welten

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Between Worlds

Between Worlds

Ein Gespräch mit Avi Avital

Mit seinem 2014 erschienenen Album Between Worlds setzte Avi Avital nicht nur sein stetes Bemühen um die Erweiterung des Repertoires für Mandoline fort – er betrat auch Neuland bei der Erforschung der Verbindungen zwischen klassischen Klängen und lebendiger, authentischer Volksmusik. Zusammen mit seinem zehnköpfigen Between Worlds Ensemble gibt Avital in dieser Spielzeit drei Konzerte im Pierre Boulez Saal und beleuchtet dabei die Wechselwirkungen zwischen diesen beiden musikalischen Sphären und den Musiker:innen, die sie interpretieren.

Was hat Sie zur Gründung des Between Worlds Ensembles veranlasst? Ich bewege mich in einem Dreieck, das aus einem bestimmten Genre klassischer Musik und seiner kulturellen Identität, meinem Instrument und meiner eigenen kulturellen oder künstlerischen Identität besteht. Was das erste Element betrifft, gab es zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Strömung in der Kunstmusik –oder der sogenannten „klassischen Musik“ –, die durch eine Art nationale kulturelle Identität beeinflusst war. Viele Komponist:innen verarbeiteten Volksmelodien aus ihrer eigenen Kultur zu Kunstmusik, indem sie z.B. die volkstümlichen Quellen neu harmonisierten, in ihrer Struktur veränderten oder sie sogar in größere formale Zusammenhänge wie etwa eine Sonate integrierten, um ihnen so die Komplexität und Raffinesse klassischer Musik zu verleihen. Eine weitere Methode der Adaption bestand darin, dieses Material für klassische Konzertbesetzungen wie Klavier oder Streichquartett zu bearbeiten.

An welche Komponist:innen denken Sie in diesem Zusammenhang?

Béla Bartók dürfte das beste Beispiel sein. Er ging auf die Suche nach solchen Melodien und zeichnete sie mit recht primitiven Aufnahmegeräten auf. In seinem Studio gestaltete er sie anschließend zu Werken für Klavier, Streichquartett, Orchester und so weiter um. Ein paar Jahrzehnte zuvor hatte Antonín Dvořák Werke komponiert, die von seiner böhmischen volksmusikalischen Herkunft inspiriert waren – bevor er dann nach Amerika engagiert wurde, um mit demselben Verfahren Spirituals und amerikanische Volksmusik in einen klassischen Kontext zu integrieren. Auf diese Weise brachten im 20. Jahrhundert auch in Südamerika Komponisten wie Heitor Villa-Lobos und Astor Piazzolla den Tango in die Konzertsäle. In Spanien und auf der Iberischen Halbinsel, mit der wir uns in unserem ersten Konzert im vergangenen November beschäftigt haben, waren es Komponisten wie Manuel de Falla, Enrique Granados und Isaac Albéniz. Und auch für das Between Worlds Ensemble geben wir mit genau demselben Ziel bei zeitgenössischen Komponist:innen und Arrangeur:innen Werke in Auftrag.

Für das damalige Publikum muss es sehr modern, spannend und neu gewesen sein, Klänge aus der Volkskultur im Konzertsaal zu hören. Doch worin besteht eigentlich das Folkloristische, und was macht es zur klassischen Musik? Und, was noch interessanter ist, wie lässt sich dasselbe Verfahren für ein Publikum des 21. Jahrhunderts anwenden, in dem jede:r buchstäblich zwei Mausklicks von Musik aller nur denkbaren Art entfernt ist? Wie können wir angesichts der förmlichen Konventionen im Konzertsaal mit den Erwartungen der Zuhörer:innen spielen? Wie kann ich das Live-Publikum an die Erfahrung heranführen, die ich vermitteln möchte, nämlich ein Hin- und Herwechseln zwischen Folklore und Klassik?

Ihr Instrument, die Mandoline, spielt eine Schlüsselrolle bei dem Versuch, dem heutigen Publikum wieder dieses Gefühl der Spannung zu vermitteln …

Die Identität der Mandoline ist seit jeher ambivalent und liegt irgendwo zwischen Volkstradition und klassischer Musik. Sie ist ein italienisches Barockinstrument aus dem 18. Jahrhundert, aber allgemein verbindet man sie eher mit Volksmusik als mit Kunstmusik. Vivaldi hat für Mandoline komponiert, aber sie ist auch ein Sinnbild für neapolitanische Volkslieder. Sie wird im Bluegrass ebenso wie im brasilianischen Choro verwendet. Mir ist irgendwann klargeworden, dass dieses Instrument in der Lage ist, in einen Dialog mit diesen Ursprüngen zu treten. Wenn ich also von Volksmusik inspirierte klassische italienische Musik auf einer Mandoline spiele, klingt sie italienischer, und wenn ich das „Amerikanische Quartett“ von Dvořák auf einer Mandoline spiele, klingt es nach Bluegrass. Diese Bezüge in der Musik ergeben sich aus dem Instrument und genauso aus dem folkloristischen Klang insgesamt.

Als ich darüber nachdachte, wie ich das Vorgehen dieser Komponisten von vor etwa 100 Jahren auf die heutige Zeit übertragen könnte, war dies ein Aspekt. Die Mandoline selbst trägt viele dieser folkloristischen Bezüge in sich. Die Mitglieder des Between Worlds Ensemble fühlen sich nicht an einen bestimmten musikalischen Stil gebunden – sie sind sich der volkstümlichen Ursprünge dessen, was wir spielen, voll bewusst, sodass ein Wechselspiel entsteht zwischen dem ersten Keim der Inspiration dieser Komponist:innen und der Art und Weise, wie wir diese Musik aufführen und für ein modernes Publikum im Konzertsaal neu aufbereiten.

Wie verhält es sich mit Ihrem eigenen kulturellen Hintergrund und Ihrer künstlerischen Identität – in welcher Beziehung stehen sie zu der Vision, die Sie mit dem Between Worlds Ensemble verfolgen?

Ich bin als Kind israelischer, aus Marokko stammender Eltern in einem ausgesprochen multikulturellen Umfeld aufgewachsen; die Eltern meiner Mitschüler:innen kamen alle aus verschiedenen Ländern. Durch das Spielen in einem Mandolinenorchester an unserem Konservatorium erhielt ich meine Ausbildung in klassischer Musik. Wir haben Bach, Mozart und Beethoven gespielt, aber auch Volksmusik aus Amerika, Israel, Russland und Italien. Das hat meine künstlerische Identität geprägt. Klassische Musik war für mich also keine isolierte Welt. Sie war eine Sprache unter vielen, ebenso wie Jazz und Folk – eine von vielen Möglichkeiten, den Hörer:innen eine Erfahrung zu vermitteln, die die universellen Elemente von Musik umfasst. Für mich waren alle diese Grenzen sehr unscharf. Ich wollte die Feinheiten jeder dieser Sprachen verstehen und herausfinden, welche Mechanismen darin wirkten. Dadurch habe ich begonnen, mich für viele andere Genres zu interessieren. Ich habe viel Folk gespielt, Klezmer und Musik vom Balkan, ich habe improvisiert und mit

Jazzmusiker:innen zusammen gespielt. Genau diese Vielseitigkeit zeichnet für mich auch das Between Worlds Ensemble aus.

Das Ensemble umfasst Holzbläser, Streicher und Schlagzeug

Ich habe mich für eine Besetzung entschieden, die flexibel und wandelbar, wie ein Chamäleon, mit verschiedenen Elementen aus der Volksmusik umgehen kann. Das Schlagzeug ist das volksmusikalischste Element und bringt die grobe Rhythmusvor stellung ein. Die Flöte kommt in vielen verschiedenen Kulturen vor, und die Streicher können hin- und herwechseln zwischen einem klassischen Ensembleklang und dem folkloristischen Klang, den sie verstärken und in den sie sich integrieren. Die Harfe als gezupftes Instrument ergänzt den Klang der Mandoline. Ein Klavier gibt es nicht, weil es eindeutig ein klassisches westliches Instrument ist.

Aber nicht nur die Klänge sind entscheidend, sondern auch die Instrumentalist:innen – Musiker:innen, die wie ich nicht nur klassische Musik spielen, sondern auch improvisieren und vielfältige Erfahrungen mit unterschiedlichen musikalischen Genres haben, die sich gegenseitig befruchten. Das haben alle Mitglieder, die ich für dieses Ensemble ausgewählt habe, auf die eine oder andere Weise gemeinsam. Sie sind neugierig, nicht an eine bestimmte Spielweise oder gedankliche Schule gebunden und immer daran interessiert, die Feinheiten zu entdecken, die eine Traditionslinie der Volksmusik von der anderen unterscheidet.

In welchem Verhältnis stehen die Mitglieder des Between Worlds Ensembles zu den Gastkünstler:innen, die im Pierre Boulez Saal mit ihnen zusammen auftreten?

Ein Teil der Arbeit des Ensembles besteht darin, die größtenteils Anfang des 20. Jahrhunderts entstandene klassische Musik, die von volkstümlichen Quellen inspiriert ist, zu spielen. Am anderen Ende des Spektrums steht die authentische Musik, das UNESCOKulturerbe, das Traditionen bewahrt, die ohne Neuharmonisierung, Umstrukturierung und Überarbeitung überlebt haben. Dieses Element bringen die Gastmusiker:innen in das Zusammenspiel mit dem Ensemble ein. Deshalb haben wir die klassischen Stücke, die Folklore und alles, was dazwischen liegt. Die aktuelle Zusammensetzung des Between Worlds Ensembles hebt das Dreieck, das ich beschrieben habe, auf die nächste Ebene.

Worauf sollte das Publikum besonders hören, und was, hoffen Sie, nimmt es von diesen Konzerten mit?

Ich möchte dem Publikum eine Erfahrung vermitteln, die entgegengesetzte Kräfte verbindet, die zwischen dem Vertrauten und dem Unbekannten, zwischen klassischer Finesse und der Spontaneität einer alten Tradition hin und her wechselt. Ich hoffe, dass diese Spannung zwischen verschiedenen Musikgenres, zwischen unterschiedlichen Ansätzen, zwischen dem Neuen und dem Alten zum Nachdenken über Identität und Universalismus anregt und ein Erlebnis bietet, das neu und bereichernd ist und unsere Zeit widerspiegelt.

Die Fragen stellte Thomas May.

Dieses Interview erschien erstmals im Programmheft zum Konzert mit Avi Avital und dem Between Worlds Ensemble am 23. November 2022. Deutsche Übersetzung: Sylvia Zirden

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