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ISABELLE FAUST & ANTOINE TAMESTIT
Mittwoch 1. März 2023 19.30 Uhr
Isabelle Faust Violine
Antoine Tamestit Viola
Jean de Sainte-Colombe (? – vor 1701)
Concert à deux violes esgales Nr. 41 D-Dur Le Retour
I. Ouverture. Le Retour
II. En gigue – En menuet
III. En gigue – En courante
IV. Ballet tendre – En pianelle
Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791)
Duo für Violine und Viola G-Dur KV 423 (1783)
I. Allegro
II. Adagio
III. Rondeau. Allegro
György Kurtág (*1926) aus Jelek, játékok és üzenetek (Zeichen, Spiele und Nachrichten)
Szigoruan magánlevél a 80 évesnek (2001) Ligatura y (1993/2003)
Bohuslav Martinů (1890–1959)
Drei Madrigale für Violine und Viola H 313 (1947)
I. Poco allegro
II. Poco andante
III. Allegro – Moderato – Tempo I
Pause
Jean de Sainte-Colombe
Concert à deux violes esgales Nr. 3 Le Tendre
I. Ouverture. Le Tendre
II. Sarabande du tendre
III. Gavotte. La ferme
IV. Menuet du tendre
György Kurtág aus Jelek, játékok és üzenetek
Vie silencieuse – Franz emlékére (2001)
… eine Blume für Tabea … (2000)
Jean de Sainte-Colombe
Concert à deux violes esgales Nr. 44 Tombeau Les Regrets
I. Tombeau Les Regrets
II. Quarrillon
III. Apel de Charon
IV. Les Pleurs
V. Joye des Elizées
VI. Reprise. Les Pleurs
Wolfgang Amadeus Mozart
Duo für Violine und Viola B-Dur KV 424 (1783)
I. Adagio – Allegro
II. Andante cantabile
III. Thema con variazioni. Andante grazioso
Melodien und Morsezeichen
Duos für Violine und Viola
Martin Wilkening
Botschaften eines Unbekannten
Der Herr von Sainte-Colombe
Wer war der Sieur de Sainte-Colombe? Wir kennen weder seine genauen Lebensdaten noch ist sein Vorname (vermutlich Jean) zweifelsfrei überliefert. Sicher ist nur: Er war ein Meister des Gambenspiels in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, ein bedeutender Lehrer auf diesem Instrument und ein Komponist von großer Eigenart. Außerdem war er ein Tüftler im Instrumentenbau. So werden ihm die Ideen zugeschrieben, die bis dahin sechssaitige Bassgambe in der Tiefe um eine siebte Saite zu erweitern und die Darmsaiten mit Silberdraht zu umspinnen. Sein kompositorisches Werk ist in zwei umfangreichen handschriftlichen Sammlungen überliefert. Die eine umfasst 180 Solostücke für Bassgambe, die andere 67 sogenannte Concerts a deux violes esgales, Duos für zwei Bassgamben. Es sind Kompositionen von sehr unterschiedlichem Umfang, die Tanzsätze und Charakterstücke vereinen.
Warum sind die Zeugnisse seine Lebens so spärlich? Vielleicht war er ein Eigenbrötler, der sich vom Glanz des höfischen Pariser Musiklebens abgewandt hatte. Diese Vorstellung legt jedenfalls die ebenso einfühlsame wie fantasievolle Ausspinnung seiner Biographie nahe, durch die Sainte-Colombe knapp 200 Jahre nach seinem Tod eine Wiederentdeckung zuteil wurde und seine Werke sich plötzlich auf zehntausenden verkaufter CDs verbreiteten: 1991 veröffentlichte der französische Schriftsteller Pascal Quignard seinen kleinen Roman Tous les matins du monde, dessen Verfilmung mit der von Jordi Savall und Wieland Kuijken eingespielten Musik in Deutschland unter dem Titel Die siebente Saite bekannt wurde.
Auch die drei Concerts, die Isabelle Faust und Antoine Tamestit jetzt in einer eigenen Version für Violine und Viola präsentieren, enthalten Musik, die damals im Film Verwendung fand. Das dritte Concert ist als Le Tendre, „Das zarte (Stück)“ bezeichnet. Es beginnt grüblerisch, mit einem kanonischen Einstieg in einen Satz voller überraschender harmonischer Wendungen. In der Folge werden „zarte“ und „energische“ Tanzsätze gegenübergestellt. Auf eine Sarabande „du tendre“ folgen eine Gavotte „La ferme“ und ein Menuett „du tendre“. Im Rahmen seiner Sarabande löst Saint-Colombe allerdings den traditionellen Tanzsatz in einer geradezu konzeptuellen Weise auf. In die Musik mischen sich Echoeffekte, dann verwandelt sie sich in eine Wiederaufnahme des Einleitungskanons, doch dieser wird schnell aus der kontrapunktischen Struktur in eine gänzlich lautmalerische Szenerie umgedeutet, in der nur noch einzelne Rufe und deren Echos erschallen.
Konzeptuell wirkt auch die Anlage im 41. Concert, bei dem sich längere und kürzere Bruchstücke unterschiedlichster Charaktere, die nur teilweise im Notentext als solche bezeichnet werden, auf scheinbar willkürliche Art abwechseln – eine Gigue, eine Sarabande, ein Menuett, eine Courante, ein „Sanftes Ballet“ und eine Pianelle (ein schneller Springtanz im Dreiertakt, der sich nur bei SainteColombe findet und möglicherweise aus Savoyen stammt). Der etwas rätselhafte Titel Le Retour (Die Rückkehr) wird im Inhaltsverzeichnis des Manuskripts damit erklärt, dass man am Schluss des Stückes, nach der schnellen Pianelle, noch einmal das Menuett spielen solle. Solche Wiederaufnahmen, die allerdings nicht notengetreu erfolgen, prägen indes das Stück als Ganzes: mit den fast collageartigen Wechseln im Mittelteil und vor allem mit der Entwicklung aus einem einzigen Motiv, das wie eine „Idée fixe“ schon im ersten Takt erscheint und in rhythmisch-melodischen Permutationen den gesamten Verlauf über die Charakterwechsel hinweg bestimmt.
Das 44. Concert, Tombeau Les Regrets, ist eine musikalische Grabrede ohne direkte Widmung. Sie ist geprägt durch ausdrucksvolle musikalische Gesten der Trauer und des Schmerzes, extreme Chromatik und Abwärtsbewegungen der Melodik. Häufig übernimmt hier die im zweiten System notierte Stimme die Führung. Nach der Einleitung folgt ein als Quarillon bezeichnetes Stück, in dessen Glockenklänge hinein bald mit beschleunigten Notenwerten der ausdrücklich so bezeichnete Ruf Charons erklingt, des Fährmanns zum Hades. Es folgt ein chromatisch schmerzvoller Satz mit dem Titel „Les Pleurs“ (Die Tränen). Ein überraschend heiterer Springtanz führt zum Schluss jedoch nicht in die Unterwelt. Der Verstorbene hat nicht die Barke Charons bestiegen, sondern wurde von den Richtern der Schatten ins Paradies geleitet: „Joye des Elizées“, die Freude der Elysien, erhält in dieser Grabrede das letzte Wort.
Tagebuch in Noten
György Kurtág
Die vier kurzen Duos von György Kurtág, die im heutigen Programm zu hören sind, geben einen Einblick in den Kosmos der Miniaturen, die einen großen Teil des Werkes des heute 97-jährigen Komponisten bestimmen. Es sind Konzentrate aus wenigen musikalischen Gesten, tagebuchartige, stets mit einem Datum versehene Aufzeichnungen, „Seelenmorsezeichen“, wie der Komponist sie einmal nannte und ergänzte: „Ich schreibe fortwährend an meiner Autobiographie.“ Die Stücke sind nur zum Teil veröffentlicht, in Bänden für Klavier, für Blasinstrumente, für Solo-Streicher und für Streichtrio. Die Duos für Violine und Viola hält Kurtág noch zurück, sie erklingen heute aus dem Manuskript. Manche der Stücke erscheinen in seinem Werk in vielfältigen Metamorphosen. So hat Kurtág etwa … eine Blume für Tabea … gleichzeitig in der Solofassung für Bratsche und als Duo ausgearbeitet, bei dem sich die Violinstimme als Resonanz und Entfaltung zwischen die einzelnen Motive der Bratsche schiebt. Diese erklingen ausschließlich in Flageoletts, mit markant wiederholten Terzrufen, wie Vogelstimmen; und so entwickelte Kurtág dasselbe Stück auch fünf Jahre später zum Satz eines Streichquartetts, der den Titel … rappel des oiseaux… (Erinnerung an die Vögel) trägt.
Viele der kurzen Stücke tragen Widmungen an gegenwärtige oder frühere Wegbegleiterinnen, Freunde, Musikerkolleg:innen. Neben der Bratschistin Tabea Zimmermann ist dies hier François Sulyok, ein in Paris lebender ungarischer Freund, der Kurtág in frühen krisenhaften Zeiten selbstlos unterstützt hatte: „Franz hatte viele Freunde auf der Welt, doch in Wirklichkeit war er einsam. 2001 starb er im Alter von 75 Jahren. Gemeinsam mit Márta und unserem Sohn Gyuri waren wir selbstverständlich zur Beerdigung zugegen, doch außer uns waren nur ein Nachbar, seine Putzfrau und deren Ehemann gekommen.“ Vie silencieuse (Stilles Leben), heißt das Stück, das Sulyoks Wesen in memoriam durch den schlichten, von Pausen durchsetzten, choralartigen Tonsatz zum Ausdruck bringt – im vierfachen pianissimo und mit Metalldämpfer zu spielen.
Temperamentvoll dagegen beginnt der zweiteilige, träumerisch ausklingende Geburtstagsgruß für András Szöllösy, den ungarischen Musikwissenschaftler, der das Bartók-Werkverzeichnis mit seinen Sz-Nummern begründete: „Ein ganz persönlicher Brief an den 80-Jährigen“ lautet hier der im Original ungarische Titel. Kurtágs vielfältig geprägter kultureller Horizont umfasst neben dem Ungarischen, Französischen und Deutschen auch das Rumänische – die vielsprachige Region des Banat mit seinem Geburtsort Lugoj (ungarisch Lugos) liegt in Rumänien. So trägt ein Stück wie Ligatura Y ebenso selbstverständlich die rumänische Vortragsbezeichnung „drag“ (liebevoll), wie in einer Passage die deutschsprachige Angabe „beklemmt“ – neben den zahlreichen üblichen italienischen Anweisungen, denen zufolge etwa der Beginn mit seinen minimalistischen Moll-Dur-Wechseln „semplice“, einfach, vorgetragen werden soll. Die Duo-Fassung, die 2001 entstand und 2003 revidiert wurde, wie das Manuskript mit genauer Tagesangabe vermerkt, ist in diesem Fall keine Erweiterung, sondern eine Reduktion. Sie entstand aus einer Fassung für Streichtrio, die Kurtág 1995 am Ende seines zweijährigen Aufenthalts am Berliner Wissenschaftskolleg schrieb. Die Bezeichnung als Ligatur hat ihre Wurzeln in der mittelalterlichen Praxis der Notation eng zusammengehörender Noten, sie bezeichnet aber generell auch die Bindung von Tönen und Klängen, die so, wie in diesem Stück, über Strichwechsel und Pausen hinweg die gleichförmige Gangart in sprachähnliche Phrasen unterschiedlicher Länge gliedert.
Konzertante Zwiegesänge
Mozart und Martinů
Mozarts Duos und die Drei Madrigale von Bohuslav Martinů bilden die Eckpfeiler des nicht allzu umfangreichen Repertoires für Violine und Viola, soweit dies über zum häuslichen Musizieren bestimmte Stücke hinaus auch Werke für den Konzertsaal einschließt.
Den Zwiegesang von Geige und Bratsche hatte Mozart zuerst in seiner 1779 entstandenen Sinfonia concertante KV 364 gestaltet, bevor er ihn 1783 im rein kammermusikalischen Genre wieder aufgriff. Beide Duos entstanden während eines längeren SalzburgAufenthaltes des mittlerweile in Wien lebenden Komponisten. Er half damit seinem erkrankten Freund, dem Hofmusiker Michael Haydn (dem Bruder Josephs), vier Duos aus dessen Hand termingerecht zu einer verlangten sechsteiligen Sammlung zu vervollständigen. Handelt es sich also dem äußeren Anlass nach um Gelegenheitswerke, so sind es doch in der Substanz Kompositionen, die von derselben kompositorischen Meisterschaft getragen werden, die sich zu jener Zeit auch in der entstehenden Reihe von Mozarts ersten großen Streichquartetten zeigt. Wie selbstverständlich, doch manchmal auch auf Überraschung angelegt erscheint die Verbindung von konzertantem und kontrapunktischem Denken. Beide Werke sind dreisätzig und könnten doch unterschiedlicher nicht sein. Sie stehen nebeneinander wie Tag und Nacht, geradeheraus und offen das G-Dur-Duo, geheimnisvoll und mit vielerlei Andeutungen versehen das Werk in B-Dur, das dabei gleichzeitig auch virtuosere Ansprüche stellt.
Der erste Satz des G-Dur-Duos lebt vom konzertanten Austausch der hin- und her fliegenden Sechzehntelfiguren. Der zweite ist ein reich ausgeziertes Adagio im wechselnden Hervortreten von Violine und Viola. Den Abschluss bildet ein liedhaftes Rondeau, das in seinem ersten Couplet mit der Imitation von Hörnerklang überrascht. Dem Trio B-Dur ist eine langsame Einleitung vorangestellt, deren pathetisch akzentuiertes Unisono-Thema zu Beginn das Fugenthema aus dem kurz zuvor beendeten Streichquartett KV 387 zitiert. Im folgenden Allegro kulminieren synkopische Zuspitzungen und virtuose Kadenzen mehrmals in Pausen, die den musikalischen Verlauf stocken lassen. Die Durchführung ist von starker Chromatik geprägt und verwandelt sich zum Ende hin in einen schroffen Kanon. Der zweite Satz, ein Andante cantabile im wiegenden Sechsachteltakt, imitiert mit seiner empfindsamen
Melodik und der durchgehenden akkordischen Begleitung der Bratsche eine Serenade. Ein Andante grazioso mit sieben Variationen bildet den Schlusssatz. Seine Anmut schließt kontrapunktische Verdichtung nicht aus. So bildet die zweite Variation einen von der Bratsche initiierten Kanon, das Thema wird durchführungsartig verwandelt und in den zwei letzten Variationen durch eine doppelte Steigerung des Tempos in spielerischer Heiterkeit aufgelöst.
Mit seinen 1947 entstanden Drei Madrigalen knüpfte Bohuslav Martinů direkt an Mozart an. Der tschechische Komponist lebte damals in den USA und hatte in einem Konzert in New York die Geschwister Lillian und Joseph Fuchs mit den Mozart-Duos gehört. Sein Stück schrieb er als Ergänzung ihres Repertoires. Der Erfolg des klangvollen, von Spielfreude gekennzeichneten Werks war so groß, dass Martinů 1950 noch eine weitere Komposition für die gleiche Besetzung folgen ließ. Die Bezeichnung „Madrigal“ verwendete Martinů seit den späten 1930er Jahren öfter, für Chorsätze ebenso wie für instrumentale Kammermusik. Er akzentuiert damit in seiner Spielart des Neoklassizismus den Verweis auf vorklassische formale Freiheit und quasi vokal-polyphone Linearität. Alle drei Stücke enthalten auf eine ganz unsentimentale Weise aber auch Anklänge an die mährisch-böhmische Volksmusik. Im ersten Madrigal, dessen motorische Bewegung sich aus einem fanfarenartigen Beginn entwickelt, ist dieser Anklang ein leidenschaftliches Thema in b-moll mit stürmischem Oktavaufschwung und langem melodischen Abstieg. Das zweite nimmt seinen Ausgang von einer zeichenhaften Klangzelle, einem vierstimmigen Doppelgriffakkord, dessen Innenstimmen durch Triller eine das ganzen Stück prägende leichte Unruhe erzeugen. Hier führt die Musik über Wellen der Klangentfaltung in Arpeggien und Trillern in einen hymnisch strahlenden Schlussteil, dessen Synkopen wieder Erinnerungen an die Musik aus Martinůs Heimat wecken. Das dritte Madrigal ist ein energisch bewegter Tanz, mit kessen bitonalen Passagen und einem streng polyphonen Zwiegesang im langsamen Mittelteil.
Martin Wilkening, geboren 1959 in Hannover, lebt seit 1977 in Berlin, unterbrochen von mehrjährigen Aufenthalten in Korea und Albanien. Er studierte Musik und Literaturwissenschaft und arbeitet seit 1981 als Autor, Musikkritiker, Dozent, Lektor und Verleger.
Crosscurrents
Music for Violin and Viola
Harry Haskell
Tonight’s program zigzags back and forth among three centuries, braiding together pieces by four composers of different nationalities—French, Austrian, Hungarian, and Czech—who at first glance appear to be totally unrelated. But the crosscurrents of music history run deep. Mozart was an avid student of Bach’s Well-tempered Clavier, the score of which, according to one of his pupils, “was always lying open on his pianoforte.” Bach, in turn, emulated the harpsichord music of 17th-century French composers like François Couperin, who as a rising organist in Paris may have heard a performance by the elderly viol virtuoso Jean de SainteColombe. In the early 20th century, the young Bohuslav Martinů attended a memorable concert in Prague given by a Renaissance madrigal ensemble; after moving to Paris, he wrote a series of neoclassically oriented chamber and orchestral works inspired by the Baroque concerto grosso. For contemporary Hungarian composer György Kurtág, the road to the past leads through Mozart’s First Viennese School. “My mother tongue is Bartók,” he once said, “and Bartók’s mother tongue was Beethoven.”