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EMMANUEL PAHUD & STUDIERENDE DER BARENBOIM-SAID AKADEMIE

Sonntag 28. Mai 2023 18.00 Uhr

Emmanuel Pahud Flöte und musikalische Leitung

Wilhelm Friedemann Bach (1710–1784)

Duett für zwei Flöten Nr. 3 Es-Dur (1740–45)

I. Allegro

II. Adagio ma non molto

III. Presto

Emmanuel Pahud, Farah Sulaiman Flöte

György Ligeti (1923–2006)

Sechs Bagatellen für Bläserquintett (1953)

I. Allegro con spirito

II. Rubato – Lamentoso

III. Allegro grazioso

IV. Presto ruvido

V. Adagio. Mesto (Béla Bartók in memoriam)

VI. Molto vivace – Capriccioso

Emmanuel Pahud Flöte

Mykola Yakovlyuk Oboe

Erik Mirzoyan Klarinette

Hüma Beyza Ünal Fagott

Kandil Mohamed Horn

Wilhelm Friedemann Bach

Duett für zwei Flöten Nr. 1 e-moll

I. Allegro

II. Larghetto

III. Vivace

Emmanuel Pahud, Carla García Heredia Flöte

Pause

Wilhelm Friedemann Bach

Duett für zwei Flöten Nr. 4 F-Dur

I. Allegro e moderato

II. Lamentabile

III. Presto

Emmanuel Pahud, Olha Stukalova Flöte

Amy Beach (1867–1944)

Thema und Variationen für Flöte und Streichquartett op. 80 (1916)

Thema. Lento di molto, sempre espressivo – Var. I–VI – Tempo I

Emmanuel Pahud Flöte

Kristina Georgieva Violine

Katia Abdel Kader Violine

Eden Chloe Meyer Khaiat Viola

Izak Nuri Violoncello

Flötenduette und Kammermusik von W. F. Bach, Ligeti und Beach

Die Berlinischen Nachrichten berichteten am 17. Mai 1774 von zwei Konzerten Wilhelm Friedemann Bachs, der sich in der Preußenresidenz als „einer der größten Orgelspieler Deutschlands öffentlich und mit auszeichnendem Beyfall der Kenner und des Publikums“ hören ließ. „Alles was die Empfindung berauscht, Neuheit der Gedanken, Force, Delicatesse, kurz dieses alles vereinigte sich unter den Fingern dieses Meisters: Freuden und Schmerzen in die Seelen seiner feinern Versammlung überzutragen.“ Und der Rezensent schließt: „Wäre es möglich gewesen, den würdigen Sohn eines Sebastians zu verkennen?“

So sehr dessen „Neuheit der Gedanken“ bestaunt wurde, so deutlich maß man den ältesten Sohn Johann Sebastian Bachs immer wieder an seinem Vater. Das war wohl Ehre und Bürde zugleich.

Der Thomaskantor hielt Friedemann für den begabtesten seiner Söhne, er förderte ihn nach Kräften und spann ihn in sein Netzwerk ein. Früh zog er ihn zu Kopistenarbeiten heran, schickte ihn zu dem Tartini-Schüler Johann Gottlieb Graun nach Merseburg, zum durchreisenden Händel nach Halle und nahm ihn zu Opernpremieren von Johann Adolf Hasse nach Dresden mit.

1733, mit 22 Jahren, trat Friedemann, ein großartiger Improvisator an der Orgel, die Organistenstelle an der Sophienkirche in Dresden an. Auch hier hatte der Vater mit seinen guten Beziehungen in die sächsische Residenz den Weg bereitet. Doch Friedemanns Musik galt mit ihrer Mischung aus Grazie, Leidenschaft und geistvollen Schwierigkeiten als anspruchsvoll, ein Hofamt blieb ihm verwehrt. 1746 wurde er Marktkirchenorganist in Halle, geriet aber – wie einst sein Vater – in Konflikt mit der Obrigkeit und wurde für „öfters ungebührlich bezeigtes Betragen“ und „Vergessenheit der schuldigen Subordination“ gerügt. Es folgten finanziell unsichere Jahre als freischaffender Künstler. 1774 zog er nach Berlin, wo er in Prinzessin Anna Amalia von Preußen, der Schwester Friedrichs des Großen, eine Mäzenin fand. Mittlerweile hatte er sich den Ruf eines schwierigen Genies erworben, der sogar Gönner wie Kapellmeister Johann Philipp Kirnberger gegen sich aufbrachte. Für die Nachwelt wurden seine Exaltationen noch einmal gründlich übersteigert und verfälscht in der Romandarstellung von Albert Emil Brachvogel (1858) und deren Verfilmung mit Gustaf Gründgens (1941).

Wilhelm Friedemann Bachs Kompositionen stehen an der Wende des alten, fugierten Stils zur modernen Akkordik – zwischen „altbachisch“ und „empfindsam“, zwischen kontrapunktisch und galant. In seinen überlieferten Kammermusikwerken hat er die Flöte mit Sonaten und sechs Duetten durchaus reich bedacht. Es war das Instrument Friedrichs des Großen, den Friedemanns Bruder Carl Philipp Emanuel als Hofmusiker in Berlin beim Flötespielen begleiten durfte. Ebenfalls in Diensten Friedrichs des Großen stand Johann Joachim Quantz, der 1752 mit dem Versuch einer Anweisung die Flute traversière zu spielen ein bis heute gültiges Lehrwerk veröffentlichte. Etwa zehn Jahre zuvor waren wohl die ersten vier Duette Friedemanns entstanden, die heute zwischen 1740 und 1745, also auf seine Dresdner Zeit datiert werden. Am Dresdner Hof wirkte der ausgezeichnete Flötist Pierre-Gabriel Buffardin, Lehrer von Quantz. Die beiden letzten Duette der Sammlung stammen wahrscheinlich erst aus Friedemanns letzten Berliner Jahren um 1775.

Von dichter, am Vorbild des Vaters geschulter kontrapunktischer und imitatorischer Arbeit mit Kanons zeugen die virtuosen Ecksätze des e-moll-Duetts, während der Mittelsatz vom empfindsamen Stil bestimmt ist. Eleganz und reiche Ornamentierung zeichnen die Duette in Es-Dur und F-Dur aus. Soviel Souveränität blieb nicht unbemerkt. Kirnberger rühmte die Flötenduette Wilhelm Friedemann Bachs in seiner Abhandlung Die Kunst des reinen Satzes in der Musik von 1771 als wahres Muster: „Dieser zweystimmige Satz auf zwey Flöten ist wegen der Schwürigkeit, daß eine dritte Stimme nicht dabey vermißt werde, so schwer, daß ich von dieser Art nur des Herrn W. Friedemann Bachs, ältesten Sohns des J. S. Bachs, Flötenduette kenne, die als vollkommene Muster zur Richtschnur dieses Satzes dienen können.“

György Ligetis Geburtsstadt in Siebenbürgen, wo sich ungarische und rumänische Einflüsse vermischten, liegt nicht weit entfernt von den Karpaten. In diesem Gebirgszug hörte der Dreijährige den geheimnisvollen Klang des Alphorns. Und auch der ungebetene Besuch von Musikanten war ein Schlüsselerlebnis für das Kind: „Sie spielten Geige und Dudelsack“, erinnerte sich Ligeti. „Einer von ihnen war maskiert, er trug einen Umhang aus Ziegenfell. Die Tradition schamanistischer Zauberei lebte noch in der Gemeinschaft rumänischer Hirten.“

Aus diesem Umfeld stammen Ligetis Frühwerke. Wer ihn nur als Komponisten fein verästelter Labyrinthe kennt, wie etwa den berühmten Atmosphères von 1961, wird sich wundern. Denn zehn Jahre bevor er mit dieser skulpturalen Klangwolke die AvantgardeFront in Aufregung versetzte, schrieb er noch Musik im Geiste des ungarischen Übervaters Béla Bartók. Wie dieser ein begeisterter Jäger und Sammler von authentischer Volksmusik, lauschte der Student Ligeti im Bukarester Folklore-Institut alten Wachsrollen und Schallplatten. Sie flossen ebenso wie die Gesänge rumänischer Bauern in seine ersten Kompositionen ein, wie das Concert Românesc von 1951 und die zwei Jahre später entstandenen Sechs Bagatellen. Schwermütige Streichermelodien, fröhliche Bläsertänze, angeraute Harmonien und häufige Taktwechsel stehen für diesen aparten Folklorismus.

Die Sechs Bagatellen – längst ein Klassiker der Bläserliteratur –gingen aus dem kurz zuvor geschriebenen Klavierzyklus Musica ricercata hervor. Auf Bitten eines ungarischen Bläserensembles instrumentierte Ligeti sechs der Klavierstücke. Bei den Tagen der neuen ungarischen Musik wurden sie 1956 in Budapest uraufgeführt – allerdings ohne die Nr. 6, die, so Ligeti, „selbst für das damalige politische Tauwetter zu viele kleine Sekunden beinhaltete.“ Vorsicht war geboten, wie Ligeti zu gut wusste: „In der stalinistischen Diktatur war selbst Folklore nur in politisch korrekter Form erlaubt, zurechtgebogen nach den Normen des sozialistischen Realismus.“ Auch die „schrägen“, den Dorfkapellen nachgeahmten Harmonien galten als unerwünscht, obwohl sie doch authentisch waren. Der Komponist weiter: „Vier Stücke aus diesem Werk sind ‚imaginär-folkloristisch‘: Es werden nirgends Volkslieder zitiert, doch haben Nr. 2 und Nr. 5 eine ‚ungarische Diktion‘ (Nr. 5 stellt Trauerglocken in memoriam Bartók dar); Nr. 4 ist, als ‚hinkende‘ Tanzmusik, balkanisch, und Nr. 3 stellt einen künstlichen Zwitter aus banatrumänischen und serbischen melodischen Wendungen dar.“ Jenseits der Bartók-Tradition diente wohl auch die kurzatmige Montagetechnik Strawinskys als Anregung, so etwa im Presto ruvido.

Im Jahr der Uraufführung, nach dem Ungarn-Aufstand, emigrierte Ligeti. Die Sechs Bagatellen gehören zu den wenigen Partituren, die er bei seiner Flucht aus Budapest nach Wien mitnehmen konnte. Erst 1969 erfolgte in Schweden die vollständige Erstaufführung des Zyklus.

Als eine der wenigen im 19. Jahrhundert geborenen Komponistinnen konnte Amy Beach auf eine ganze Reihe gedruckter und öffentlich aufgeführter Werke zurückblicken. In die Musikgeschichte eingegangen ist sie als erste Amerikanerin, die eine Symphonie komponierte (auch diese wurde mehrmals aufgeführt).

Als Amy Marcy Cheney in New Hampshire geboren, galt sie als musikalisches Wunderkind und erhielt früh Klavierunterricht bei ihrer Mutter. 1875 zog die Familie in die Nähe von Boston und erwog, Amy nach Europa auf ein Konservatorium zu schicken. Doch sie blieb in der Heimat und studierte u. a. bei dem LisztSchüler Karl Baermann. Auch ein solider Unterricht in Kontrapunkt und Harmonielehre folgte, doch viele Kenntnisse eignete sie sich autodidaktisch an – so übersetzte sie für sich Hector Berlioz’ umfangreiche Instrumentationslehre.

Mit 16 Jahren gab Amy ihr glänzendes Debüt als Konzertpianistin, doch nur zwei Jahre später heiratete sie den 24 Jahre älteren

Bostoner Arzt Henry Harris Aubrey Beach. Damit änderten sich die Vorzeichen für ihre künstlerische Tätigkeit, die sie immerhin nicht völlig einstellen musste. Wie in ihren gesellschaftlichen Kreisen üblich, firmierte sie in der Öffentlichkeit unter dem Namen ihres Mannes und veröffentlichte ihre Kompositionen als „Mrs. H. H. A. Beach“. Ihre pianistischen Auftritte musste sie stark einschränken. Doch nach eigenem Bekunden litt sie nicht darunter, sondern sah ihre Ehe als „glückliche Zeit“. In diese Jahre fiel auch die Uraufführung ihrer Gaelic Symphony 1896 durch das Boston Symphony Orchestra, die ihr Renommee entscheidend stärkte.

Nach dem Tod ihres Mannes 1910 nahm Amy Beach ihre Konzerttätigkeit wieder auf – ihr europäisches Debüt gab sie 1912 in Dresden, im Folgejahr spielte sie in Berlin ihr bedeutendes Klavierkonzert. Dabei trat sie wieder unter ihrem eigenen Namen auf, behielt aber gelegentlich auch „Mrs. H. H. A. Beach“ bei. Ihre Kompositionen wurden in den USA häufig aufgeführt, vor allem Kammermusik und Lieder, und sie erhielt prestigeträchtige Aufträge wie zur Weltausstellung in Chicago. Als Mentorin einer jungen Komponist:innengeneration gab sie auch Unterricht und publizierte Artikel wie To the Girl Who Wants to Compose. In ihrer Funktion als Mitbegründerin und Vorsitzende der Association of American Women Composers setzte sich Amy Beach für die künstlerische Anerkennung von Frauen ein. Bis zu ihrem Tod 1944 konnte sie ein erfülltes und von nahestehenden Menschen begleitetes Leben führen – eine seltene Erfolgsgeschichte für eine künstlerisch herausragend begabte Frau, die in den Konventionen des 19. Jahrhunderts aufwuchs.

In jenem Jahrhundert ist Amy Beach auch musikalisch verwurzelt geblieben, wobei sie Einflüsse aus der indigenen amerikanischen und europäischen Volkmusik aufnahm. Dass sie aber auch neueren Strömungen der Kunstmusik gegenüber aufgeschlossen blieb, zeigt ihr 1916 komponiertes Thema und Variationen für Flöte und Streichquartett, das der Chamber Music Society San Francisco gewidmet ist. Das leicht elegische Thema im schaukelnden NeunachtelRhythmus wird zunächst nur vom Streichquartett vorgestellt. Wenn die Flöte bei der ersten Variation hinzutritt, erweist Beach unverkennbar Debussys Prélude à l’après-midi d’un faune Reverenz: Solistisch erklingt eine chromatisch fallende und steigende Figur, wie in Debussys Werk im Neunachteltakt. Die Flötenstimme bringt Arabesken und Girlanden in den Quartettkorpus ein, eng verschlungen vor allem mit der ersten Violine. Ein spielerisch bewegtes, leichtes Staccato präsentiert die zweite Variation, gefolgt von einem langsamen Walzer mit terzen- und sextensüßem Charme. Jagende Achtel huschen im Pianissimo der vierten Variation vorbei, überwölbt vom silbrigen Glanz der Flöte. Variation Nr. 5 ist die umfangreichste: „con grand’ espressione“ badet sie in Tristan-Chromatik, Cello und Flöte wechseln sich in der sehnsuchtsvollen Melodie ab. Das Presto leggiero der vorhergehenden Variation kehrt zurück und die Flöte wiederholt ihr „Faun“-Motiv als Kadenz. Die letzte Variation lässt ein fröhliches Tanzthema als Fugato zunehmend brillant aufrauschen. Schließlich erscheint das eigentliche Thema noch einmal in Reingestalt, und mit einem träumerischen Nachlauschen des Fauns verklingt das reizvolle Werk.

Dr. Kerstin Schüssler-Bach arbeitete als Opern- und Konzertdramaturgin in Köln, Essen und Hamburg und hatte Lehraufträge an der Musikhochschule Hamburg und der Universität Köln inne. Beim Musikverlag Boosey & Hawkes in Berlin ist sie als Head of Composer Management tätig. Sie schreibt regelmäßig für die Berliner Philharmoniker, die Elbphilharmonie Hamburg, das Lucerne Festival und das Gewandhausorchester Leipzig. 2022 erschien ihre Monographie über die Dirigentin Simone Young.

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