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THIBAUDET, BATIASHVILI & CAPUÇON

Dreimal drei

Klaviertrios von Schostakowitsch, Mendelssohn und Ravel

Michael Horst

Festes Ensemble oder ein Dreierbund brillanter Solisten? Das ist eine Frage, die sich in Bezug auf das Klaviertrio immer wieder stellt – ganz anders als beim Streichquartett, wo die höchste Reife der Kommunikation erst in einem langjährigen Prozess erreichbar scheint. Prominente Quartette wie Amadeus und Juilliard, Alban Berg oder Artemis haben über Jahrzehnte hinweg ihren Stil entwickelt – eindeutig und unverwechselbar. Dergleichen Formationen finden sich im Trio-Spiel nur selten: Bahnbrechend war das Beaux Arts Trio, dessen Spiritus rector Menahem Pressler die Dreiergruppe über 50 Jahre zusammenhielt, um erst im Spätherbst seines Lebens noch den Weg zur Solokarriere einzuschlagen. Ihm folgten nur wenige hervorragende Ensembles nach, so das Trio Fontenay in den 1990er Jahren oder das Trio Wanderer, das heutzutage an der Spitze der festen Trio-Formationen zu finden ist.

Viel länger dagegen ist die Liste prominenter Solisten, die sich intensiv dem Triospiel mit festen Partnern gewidmet haben: Der Geiger Jascha Heifetz tat sich seinerzeit mit Artur Rubinstein und Emanuel Feuermann zusammen; Frucht dieser verdreifachten Star-Kompetenz waren maßstabsetzende Beethoven- und Brahms-Aufnahmen in den 1940er Jahren. Daniel Barenboim musizierte viele Jahre mit Itzhak Perlman und Jacqueline du Pré zusammen, Isaac Stern bildete ein Trio mit Leonard Rose und Eugene Istomin, während hierzulande der Cellist Heinrich Schiff den Pianisten Christian Zacharias und den Geiger Ulf Hoelscher an seine Seite holte. In diese Phalanx passen auch die drei Solisten des heutigen Konzerts, die als französischgeorgische Paarung dem Klaviertrio ihre Reverenz er weisen – natürlich mit großartigen Werken dieser an Herausforderungen nicht armen Gattung.

Dazu zählt der Einstieg in dieses Konzert gleichwohl noch nicht. Denn erst ganz zu Beginn seiner kompositorischen Entwicklung stand der 17-jährige Dmitri Schostakowitsch, als er 1923 sein als op. 8 veröffentlichtes Klaviertrio Nr. 1 c-moll komponierte; und doch lassen sich darin bereits erstaunlich viele Merkmale seines späteren Stils heraushören. Es entstand unter prekären Bedingungen: Nach dem Tod seines Vaters muss der junge „Mitja“ umso mehr zum Lebensunterhalt der Familie beitragen; doch die zusätzliche Arbeit als Pianist in Stummfilmkinos – neben dem Studium am Konservatorium – bleibt nicht ohne gesundheitliche Folgen.

Um eine Tuberkulose-Erkrankung zu kurieren, wurde er, zusammen mit seiner Schwester, im Sommer 1923 in ein Sanatorium auf die Krim geschickt. Dort verliebte sich der schüchterne, aber hochmusikalische junge Mann in jene Tatjana Gliwenko, der auch das Trio gewidmet ist. „Poème“ lautete sein ursprünglicher Titel: Das trifft das Auf und Ab der Gefühle sehr viel besser als jede formale Analyse. Sehnsuchtsvolle Sequenzen wechseln sich ab mit temperamentvollen Ausbrüchen; in den übergangslosen Schnitten zwischen langsamen und schnellen Passagen wollen Schostakowitsch-Kenner die Stummfilmerfahrungen des jungen Pianisten wiedererkannt haben. Während die elegischen Momente viel stärker noch in der russischen Spätromantik verwurzelt sind, stehen die Allegro-Abschnitte mit ihrer kraftvollen Motorik bereits mitten im neuen Musikstil der 1920er Jahre. Das gilt vor allem für das markante Cello- Thema des Allegro-Teils, mit dessen Wiederholung auch die Coda eingeleitet wird; zum anderen fallen die Trillerund Tremolo-Passagen auf, die dem Trio eine ungewohnt orchestrale Note verleihen.

Zwar fand das Klaviertrio bei der ersten Aufführung im April 1924, einem Bewerbungsvorspiel Schostakowitschs am Moskauer Konservatorium, positive Resonanz. Aus familiären Gründen blieb der Kandidat jedoch in Leningrad, wo die Uraufführung seiner Ersten Symphonie zwei Jahre später den Durchbruch für den 19-Jährigen bedeutete. Das Autograph des Trios ging in den folgenden Jahren verloren und tauchte erst nach dem Tod Schostakowitschs unverhofft wieder auf.

Von anderem Kaliber ist das Klaviertrio Nr. 2 c-moll op. 66 von Felix Mendelssohn, erst recht wenn man es seinem populären Schwesterwerk in d-moll op. 45 gegenüber stellt. Nimmt das frühere Trio mit seiner eleganten Linienführung auf Anhieb gefangen, beeindruckt das c-moll-Werk vor allem durch seinen Anspruch an Größe und Pathos, wie er erst in den reifen Kompositionen Mendelssohns zu finden ist. Anders als etwa der Leipziger Freund und verehrte Kollege Robert Schumann, der sich einer musikalischen Gattung – dem Klaviertrio wie dem Streichquartett – stets gleich mehrfach und fast zeitgleich zu widmen pflegte, war Mendelssohn derlei Experimentierfreude fremd. Sechs Jahre mussten nach dem brillanten ersten Klaviertrio vergehen, bis er sich 1845 erneut dieser Besetzung zuwandte.

Dabei spielten die beruflichen Umstände, die dem vielbeschäftigen Mendelssohn endlich mehr Muße zum Komponieren ließen, eine wichtige Rolle. Nach langem Kampf mit seinen preußischen Vorgesetzten (mit König Friedrich Wilhelm IV. an der Spitze) war es ihm 1844 endlich ge lungen, seinen Vertrag als Generalmusikdirektor in Berlin aufzulösen und damit ein Amt aufzugeben, das ihm seit 1841 vor allem Arbeit und Frustration, aber wenig Erfolg beschert hatte. Seine Erleichterung war groß, wie er in einem Brief an den Freund Karl Klingemann vom November 1844 formuliert: „Seitdem ich diese Kabinets-Ordre in Händen habe, ist mir wahrlich, als könnte ich seit langer Zeit zum erstenmal wieder frei und mit gutem Gewissen atmen.“

Im Dezember kehrt er zu seiner Familie nach Frankfurt am Main zurück. Im März 1845 folgt ein weiterer Glanzpunkt in der an Glanzpunkten nicht eben armen Vita Mendelssohns: die Uraufführung seines Violinkonzerts im Leipziger Gewandhaus. Es scheint, als müsse sich die lange angestaute kompositorische Energie endlich Bahn brechen. In den Frühlingsmonaten entstehen nicht nur weitere Lieder ohne Worte für Klavier sowie Choralvorspiele für Orgel, sondern auch das Klaviertrio c-moll. In knappen Worten teilt Mendelssohn seinem Jugendfreund, dem Schauspieler Eduard Devrient, am 26. April mit: „So habe ich denn mancherlei Neues gemacht, zuletzt ein Trio für Piano mit Violine und Baß…“

Das Trio bewegt sich formal in absolut geläufigen Bahnen: Den markanten schnellen Ecksätzen stehen ein liedhaftes Andante und ein spukhaft vorbeiziehendes Scherzo zur Seite.

Doch füllt Mendelssohn diesen Rahmen mit neuem, spannendem Inhalt, vor allem in den gewichtigen Außensätzen. Ungewöhnlich ist schon der nervöse, vom Klavier vorgegebene und dann von den Streichern weitergeführte Beginn: kein eigentliches Thema, eher ein Stimmungsbild, aus dem sich bald darauf eine Melodie in der Violine herausschält. Das Cello nimmt den Bogen auf. Auf diese Weise entwickelt Mendelssohn ein dichtes Gefüge thematischer Verflechtungen, in dem jedoch die Rollenverteilung – sicher auch aus akustischen Gründen – klar ist: Beide Streicher „verbünden“ sich, während das Klavier entweder im Dialog dazu tritt oder sich mit virtuosen Begleitfiguren begnügt. Bemerkenswert der Kommentar, den der Komponist selbst dazu an seine Schwester Fanny schreibt: „Das Trio ist ein bißchen eklig zu spielen, aber eigentlich schwer ist es doch nicht.“ Der brillante Pianist Mendelssohn, der seine Klavierparts gewöhnlich maßgeschneidert ablieferte, erklärt uns nicht, weshalb er derlei „eklige“ Passagen eingefügt hat … Immer auf innere Balance bedacht, getreu auch der klassischen Dialektik der Themen, lässt der Komponist zum Ausgleich als zweites Thema einen schwelgerischen Abschnitt in Es-Dur folgen. Somit ist diesem Eröffnungssatz trotz seiner Vortragsbezeichnung „Allegro energico e con fuoco“ ein höchst abwechslungsreicher Charakter eigen, der Dramatik, Glanz und Temperament mischt. Meisterlich gelingt es Mendelssohn auch, aus der überschäumenden Durchführung völlig organisch zurück den Weg in die Reprise finden, bei der die nervöse c-moll-Stimmung diesmal den Streichern überantwortet wird.

In völligem Gegensatz dazu steht das Andante im von Mendelssohn sehr geschätzten Neunachteltakt. Eher ein Lied ohne Worte, das auf drei Instrumente ausgedehnt wird, läuft der Satz stellenweise Gefahr, in sentimentale Gefilde abzudriften – dem Melodiker Mendelssohn war nicht immer die Gabe Schuberts beschieden, die einst von Winckelmann für die Kunst der Griechen beschworene „edle Einfalt“ auf den Punkt zu treffen. Erst der Moll-Zwischenteil bringt eine leichte Eintrübung, und auch die Wiederholung des A-Teils vermeidet durch dramatisch aufgeladene Begleitakkorde, in die Stimmung des Anfangs zurückzufallen.

Im Scherzo erleben wir einmal mehr typisch Mendelssohnsche, spukhaft vorbei huschende Momente, wie sie nicht nur in seiner Musik zum Sommernachtstraum zu finden sind. Einem Perpetuum mobile gleich, ziehen die Sechzehntel-Läufe ihre Bahn, mit kanonisch versetzten Ein sätzen der drei Instrumente. Das Trio bringt eine Wendung nach Dur, aber keine wirkliche Beruhigung, und im Schlussteil mischen sich in brillanter Weise die Themen aus erstem und zweitem Abschnitt.

Außerordentlich komplex fällt dann wieder das Finale aus: Das tänzerische Motiv des Anfangs bleibt sofort im Ohr durch seinen als Nonen-Sprung auskomponierten Juchzer. Es wird weidlich ausgekostet, bevor die Streicher im Unisono ein hymnisches Thema in Es-Dur in Stellung bringen. Es scheint, als wolle Mendelssohn mit diesem Material den ganzen Allegro-Satz bestreiten – bis sich unversehens ein choralartiges Thema einschleicht, das mehr und mehr Raum gewinnt. Neu ist dieses Moment nicht, wenn man an das berühmte Beispiel der „Reformations-Symphonie“ mit dem Luther-Choral Ein feste Burg ist unser Gott denkt. Im Fall des c-moll-Trios bleibt jedoch bis heute umstritten, ob Mendelssohn tatsächlich einen historischen Choral verwendet hat. Entscheidend bleibt der Gestus, den dieses Thema dem Finale verleiht: so sehr die beiden Hauptthemen im Vordergrund stehen, so auffällig ist die letzte pathetische Zurschau stellung des Chorals mit mächtigen Streicherakkorden und Fortissimo-Tremolo im Klavier, bevor das Trio in Zusammenführung aller Themen dem hymnischen Ende zustrebt.

Stimmungswechsel der besonderen, extremen Art: Welten liegen zwischen dem romantischen Überschwang, dem Mendelssohn in seinem Trio Ausdruck verlieh, und dem raffinierten Klangkunstwerk, das Maurice Ravel genau 70 Jahre später geschaffen hat. Der Franzose wandte sich mit seinem einzigen Klaviertrio einer damals schon im Aussterben begriffenen Gattung zu. Überall – nicht nur bei den französischen Impressionisten – gewannen andere Instrumentalkombinationen, in denen besonders Bläser und Harfe eine immer wichtigere (Klangfarben-)Rolle spielten, deutlich an Gewicht; auch die Kammersymphonie fand großen Zuspruch, nicht nur in der Zweiten Wiener Schule. War es die besondere Herausforderung, drei so unterschiedliche Instrumente über die klangliche Ebene miteinander zu verbinden, die den lebenslangen Tüftler Ravel gereizt hat?

Jedenfalls bezeugen Briefe aus dem Jahr 1908, dass schon damals der Gedanke an ein Klaviertrio im Raum stand. Endgültige Form nahm das neue Werk im Frühjahr 1914 an, als Ravel in das wohlvertraute St. Jean-de-Luz im nördlichen Baskenland, unweit seines Geburtsortes Ciboure, aufbrach. Doch kurz danach folgt der Paukenschlag, der die Welt erschüttert: Am 1. August erklärt Deutschland Frankreich den Krieg; die ersten Soldaten werden einberufen. Aufgewühlt von den sich überstürzenden Nachrichten schreibt Ravel an den guten Freund Cipa Godebski in Paris: „Ich kann nicht mehr. Der Alpdruck in jeder Minute ist zu grässlich. Ich glaube, dass ich verrückt werde, oder dass ich der Besessenheit erliegen muss. Sie meinen, dass ich nicht mehr arbeite? Ich habe niemals so gearbeitet, mit einer verrückteren, heldenhafteren Sucht.“ Am 4. August schließt Ravel die Partitur ab; unmittelbar danach meldet sich der fast 40-jährige Komponist, der bereits 20 Jahre zuvor ausgemustert worden war, zum Waffendienst – und wird erneut als untauglich abgewiesen. Erst später erhält er die Möglichkeit, als Lkw-Fahrer Dienst zu tun. An eine Uraufführung des neuen Werks scheint nicht zu denken zu sein, doch nach einigen Monaten ebbt die erste Erschütterungswelle ab, und im Januar 1915 erlebt das Trio in der Pariser Salle Gaveau seine Premiere.

Der Entstehungsort der Komposition – die Heimat Ravels – erklärt in nicht geringem Maß seine Klangfärbung: Baskische Rhythmen und Melodien durchziehen das Werk. Der Eröffnungssatz basiert auf dem Zortziko, einem ungewöhnlichen Achtachteltakt, der in zwei Dreier und einen Zweier unterteilt ist. Ravel hält diesen Rhythmus eisern durch, verleiht ihm Stabilität und Mehrdeutigkeit zugleich. Dem steht als zweites Thema eine Art feierliche Pavane gegenüber; in der Verbindung der beiden Gedanken entfacht Ravel ein virtuoses Feuerwerk, das alle Instrumenten in ihren extremen Lagen fordert, zugleich jedoch die Balance zwischen Streichern und Klavier mustergültig austariert.

Der Titel des zweiten Satzes, „Pantoum“, verweist auf eine jener gestalterischen Spielereien, die für Ravel Teil des Komponierens waren. Er steht für den Pantum, eine malaysische Gedichtform, bei der einzelne Zeilen der ersten Strophe in der zweiten wiederaufgenommen werden. Musikalisch umgesetzt heißt das: Beide Themen des ersten Teils – zuerst ein scharf gestochenes Staccato, dann ein schwelgerisches Legato – werden anschließend nacheinander über ein drittes geschichtet. Doch Ravel gibt sich damit nicht zufrieden: Stehen die beiden ersten Motive jeweils im Dreivierteltakt, baut das dritte Thema mit seinen choralartigen Akkorden auf einen geraden Vier-Halbe-Takt auf. Was nach angestrengter Konstruktion klingt, wird unter Ravels genialen Händen zu einer mitreißenden Abfolge kleiner, nahtlos aneinander geknüpfter Klang-Explosionen.

Klassisch gibt sich dagegen die streng durchgeführte Passacaille, deren langsam fortschreitendes Thema, zuerst im Klavierbass vorgestellt, durch alle Stimmen wandert und sich nach und nach in einen gewaltigen Fortissimo-Ausbruch steigert, um schließlich wieder in die spröde Linearität des Anfangs zurückzufinden. Das Finale macht seinem Namen alle Ehre, mit einem glitzernden Klaviersatz und brillant, geradezu orchestral auftrumpfenden Streichern mit endlosen Trillerketten. Allerspätestens hier sind drei Virtuosen gefragt, die sich mit ihrer ganzen musikalischen Meisterschaft den technischen und klanglichen Herausforderungen stellen, die Ravel für sie bereithält.

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