Mike Meire - Day in Day Out

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Vorderseite

mike meiré day in day out

mike meiré

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Rückseite

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mike meiré mike meiré

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mike meirĂŠ day in day out



Mike MeirĂŠ Day In Day Out Grid and Nude Paintings Stripped Portraits







The Discovery of  the Ordinary  Anh-Linh Ngo

Corpus Delicatus  Kathrin Luz


Die Entdeckung des Gewöhnlichen Drei Annäherungen an die »Grid« und »Nude Paintings« von Mike Meiré  Von Anh-Linh Ngo

­ rbeit ablesbar? Dieser Text versucht sich der AntA wort in drei Schritten anzunähern und bedient sich dabei der Methode des Palimpsests, die Mike Meiré in seinen Arbeiten immer wieder anwendet.

Take 1: »Everlasting layers«

Nancy, Freitag, 25. September 2009 2009, lacquer-paint on newspaper 57 cm × 40 cm

Die künstlerischen Arbeiten von Mike Meiré, der sich bisher vor allem als Art Director einen Namen gemacht hat, werfen Fragen auf, die seit über 50 Jahren in der Kunst virulent sind. Eine davon lautet: In welcher Weise in-formiert die Populärkultur des Massenkonsums die Kunst? Konkret: Ist Mike Meirés kommerzielle Arbeit in seiner künstlerischen

Wenn man ein durchgängiges Thema für die Arbeitsweise von Mike Meiré benennen müsste, so wäre es das Thema der Appropriation, der Aneignung vorgefundenen Materials. Was bei vielen Künstlern zum denkfaulen Stilmittel verkommen ist, ­gewinnt bei Meiré in seiner Doppelrolle als Art ­Director und Künstler eine intensive Dynamik. Beiläufiges und Triviales entwickeln durch deren Bearbeitung neue Bedeutungen. Bei den jüngsten Arbeiten, den »Nude Paintings« und »Grid Paintings«, sind es Zeitungsseiten, deren Inhalt er mittels Lackfarbe aus dem Baumarkt übermalt, abdeckt oder freistellt. Man kann diese Vorgehensweise auch im Sinne eines Palimpsests verstehen, das mit immer neuen Schichten und Bedeutungsebenen versehen und dadurch transformiert wird. Was ein Palimpsest ausmacht, hat der englische ­Essayist Thomas De Quincey 1845 in seinem Werk »Suspiria de Profundis« eindrücklich beschrieben: »What else than a natural and mighty palimpsest is the human brain? Such a palimpsest is my brain; such a palimpsest, oh reader! is yours. Everlasting layers of ideas, images, feelings, have fallen upon your brain softly as light. Each succession has seemed to bury all that went before. And yet, in reality, not one has been extinguished.«


Hier vergleicht De Quincey den menschlichen Geist und insbesondere das Gedächtnis mit einem Palimpsest, auf das ständig neue Ideen, Bilder, Gefühle einwirken, ohne dass alte Schichten verloren gehen. Analog beziehen die »Grid« und »Nude Paintings« ihre untergründige Kraft aus der Tat­ sache, dass die Farbschichten einerseits neue Bedeutungsebenen freilegen, andererseits sich wie ein Firnis schützend über die Inhalte der Zeitungs­ seiten legen. Dadurch werden die Bilder Teil eines kulturellen Gedächtnisses, das sowohl die banalen als auch schöngeistigen Äußerungen des mensch­ lichen Lebens bewahrt. Das Freistellen der nackten Frauen auf den Frontseiten der Boulevardzeitungen, die als Sex­ objekte den Gesetzen der Ökonomie der Aufmerksamkeit unterworfen sind, gibt ihnen eine ungeahnte Würde und verwandelt sie in Ikonen der zeitgenössischen Populärkultur. In den »Nude Paintings« macht Mike Meiré uns bewusst, dass selbst die trivialsten menschlichen Regungen voller Energie, voller Leben und voller Schönheit sind.

alles wieder Rohstoff werden kann, so gibt es keine kreative Schöpfung ex nihilo und das moderne Phantasma der Tabula rasa ist aufgehoben. Wenn Kunst aber nicht mehr Revolution spielen muss, kommt ihr und dem kreativen Prozess im Allgemeinen eine neue Bedeutung zu. Latour umschreibt in seinem Essay »Der vorsichtige Prome­ theus« (2008), in dem er eine Theorie des zeitgenössischen Designs zu begründen versucht, die sloterdijkschen Thesen mit den Worten: »To design is never to create ex nihilo. … If ­h umanity ›has been made (or should I have said ­designed?) as the image of God‹, then they too should learn that things are never created but rather carefully and modestly redesigned. It is in that sense that I take the spread of the word design as a clear substitute for revolution and modernization. … Designing is the antidote to founding, colonizing, establishing, or breaking with the past. It is an antidote to hybris and to the search for absolute certainty, absolute ­beginnings, and radical departures.«

Take 2: Redesigning Things Diese Umsicht und Bescheidenheit gegenüber der Schönheit des Lebens verdankt Mike Meiré vielleicht seiner Rolle als Designer. Wenn wir dem französischen Philosophen Bruno Latour folgen, dann ist der Designer ein »vorsichtiger Prometheus«, einer, dem bewusst ist, dass er auf Vorgefundenes zurückgreifen muss, um etwas Transitorisches zu schaffen, das einem immerwährenden Prozess des Redesign unterworfen ist. Latour beruft sich dabei ausdrücklich auf Peter Sloterdijk, der in seinem Essay über das Kunstsystem diese Idee im Jahr 2007 wie folgt zusammenfasste: »Immer größere Teile der Wirklichkeit verwandeln sich in Rohstoff für Produktionen – in Ausgangsmaterie für Abbildungen, Beziehungen, Umwandlungen. Alles, was Produkt war, kann wieder Rohstoff werden, um erneut als leidende Materie die Einwirkungen von Arbeit zu speichern.« Die Idee vom Stoffkreislauf verweist auf das Appropriationsprinzip und macht deutlich, warum es zu einem zentralen Topos der Kunst wurde. Denn wenn alles wieder Ausgangsmaterie für Umwandlungen,

Dessau (detail) 2009 scrap wood, foam plastic, card board 228 cm × 37 cm × 50 cm


Wenn wir Design im Sinne von Latour als ­»Redesign« verstehen, als etwas Relatives, dann verstehen wir auch Meirés Absage an die Figur des Künstler­ gottes, der Dinge aus dem Nichts erschafft. Der heutige Künstler und Designer ist vielmehr ein »vorsichtiger Prometheus«, der behutsam das kreative Feuer aus dem Himmel stiehlt, um die Flamme in den Dingen des Alltags, im unachtsam Weggeworfenen weiterlodern zu lassen. Dadurch entgeht Meiré auch der Tragik der Avantgarden der Moderne, die immer wieder eine Anti-Kunst propagierten, eine Verschmelzung von Kunst und Leben, um letztendlich in der Paarung des Sublimen mit dem Alltäglichen alles dem ­Diktat der Kunst zu unterwerfen. Es geht heute vielmehr darum, beide Bereiche zu ihrem Recht kommen zu lassen.

Take 3: »But today we collect ads« Diejenigen, die diese gegenseitige Abhängigkeit von Kunst und Alltag am klarsten und hellsichtigsten gesehen haben, waren die englischen Architekten Alison und Peter Smithson, beide Mitglieder der Londoner Independent Group und des Team X. In ihrem Artikel »But Today We Collect Ads«, der 1956 in der Zeitschrift »Ark« erschien, propagierten sie eine kritische Akzeptanz des ­Trivialen und Populären als Grundlage einer zeitgenössischen Identität und Entwurfshaltung. »Traditionell sind die schönen Künste von der ­Vitalität der Populärkultur abhängig«, beginnt der Text, in dem sie die Bildsprache der Werbung als Beispiel einer hochentwickelten Populärkultur darstellen. »Traditionally the fine arts depend on the popular arts for their vitality, and the popular arts depend on the fine arts for the respectability. It has been said that things hardly ›exist‹ before the fine artist has made use of them, they are simply part of the unclassified background material against which we pass our lives. The transformation from everyday object to fine art manifestation happens in many ways; the object can be discovered – objet trouvé or l’art brut – the object itself remaining the same; … or, the object can be used as a jumping-off point and is itself transformed.«

Damit redeten die Smithsons keinesfalls einer affirmativen Trashkultur das Wort, die Differenz aufhebt. Vielmehr entwickelten sie eine differenzierte Argumentation, welche die Populärkultur als Anregung und Herausforderung zugleich beschreibt. Indem sie sich auf die künstlerische Praxis der Transformation bestehenden Materials berufen, erliegen sie nicht der Versuchung, Hoch- und Populärkultur in eins fallen zu lassen. Als Architekten waren sie schließlich daran interessiert, die Strategien, die der kritische Apparat der Kunst entwickelt hatte, um eine fruchtbare Auseinandersetzung mit dem Realen zu erlauben, in die Architektur­praxis zu übertragen. Im Kontext der Independent Group wurden sie von den fotografischen Arbeiten des Künstlers und Fotografen Nigel Henderson zu ihrem berühmten Prinzip des »as found« angeregt. Zu Beginn der 1950er Jahre hielt Henderson in Aufnahmen von seinem Wohnumfeld in Bethnal Green, London, den grauen Alltag im Nachkriegsengland fest. Diese Aufnahmen entstanden aus einer anthropologischen Neugier und Wertschätzung für das Alltägliche: »I fell happiest among discarded things, vituperative fragments, cast casually from life, with the fizz of vitality still about them. There is an irony in this and it forms at least a partial symbol for an artists’ activity.« Die Ironie, die Henderson hier beschreibt, sollte daher nicht mit Verachtung gleichgesetzt werden. Denn die ironische Brechung, mit der die Hochkultur populäre Codes einsetzt, verändert die Rezeptionsebene und erlaubt es dem Betrachter, hinter der scheinbar vertrauten Oberfläche weitere Bedeutungsebenen aufzuspüren. In diesem Sinne rationalisiert das »as found«-Prinzip die bestehenden Strukturen, stellt neue Beziehungen her, ergänzt und transformiert sie. Das Verdienst der Gruppe lag darin, das Positive des Gewöhnlichen, des schon Dagewesenen zu behaupten und damit einen neuen Hintergrund, einen neuen Horizont aufzuspannen. Denn »as found« ist die Neigung, sich mit dem, was da ist, auseinanderzusetzen, das Vorhandene anzuerkennen, seinen Spuren zu folgen – mit der Gewissheit, dass man gerade auf diesen Wegen zu neuen Erkenntnissen und Formen kommt. Die Realitätskonstruktion des »as found«Prinzips geht nicht mehr von einer Ästhetik des


»Advertising has caused a revolution in the pop­ ular art field. Advertising has become respectable in its own right and is beating the fine arts at their old game. We cannot ignore the fact that one of the traditional functions of fine art, the defi­nition of what is fine and desirable for the ruling class, and therefore ultimately that which is desired by all ­society, has now been taken over by the ad-man.«

BAUHAUS 2008 kitchen towel on canvas frame 54.5 cm × 54.5 cm

I­ dealismus aus, der auf das Absolute hin orientiert war, wie dies die klassische Moderne noch getan hat. Entsprechend einer idealisierten Utopie geometrischer Kompositionen begeisterte sie sich für die klaren Formen von Industriebauten und Maschinen. Heute geht es umgekehrt darum, die Muster des real existierenden Lebens zu erkennen und aufzugreifen, nicht sie zu beseitigen und durch ein Ideal zu ersetzen: »Gropius wrote a book on grain silos, Le Corbusier one on aeroplanes, And Charlotte Periand brought a new object to the office every morning, But today we collect ads.« Die Werbung steht hier für den Aufruf, selbst das Alltäglichste radikal zur Kenntnis zu nehmen. Für die Direktheit, die Unvermitteltheit, das Rohe, aber auch für die Komplexität des Realen, des Gewöhnlichen. Schließlich spielt die Werbung ein doppeltes Spiel. Sie steht einerseits für das pralle Leben selbst, das sie aufgreift, um anderseits ein Ideal für die Massen zu schaffen. Die visuellen und psychologischen Umwälzungen, die die moderne Bildsprache der Werbung dabei ausgelöst haben, sind kaum zu unterschätzen:

Unsentimental stellen die Smithsons die Verdrängung des »fine artist« durch den »ad-man« fest. In diesem Zusammenhang ist es interessant zu beobachten, dass Mike Meiré in seinen künstlerischen Arbeiten das Phänomen umkehrt: der »ad-man« wird wieder zum »fine artist«. Aber können wir angesichts der sich immer stärker ausdifferenzierenden Methoden der Kulturalisierung noch einen Unterschied ausmachen zwischen dem »ad-worker« und dem »art-worker«, wie Mike Meiré sich selbst gerne beschreibt? In welcher Weise in-formiert die Agenturarbeit seine Kunst? Ist das eine im anderen ablesbar? Oder besser gefragt: Ist das eine ohne das andere vorstellbar? »To understand the advertisements which appear in the New Yorker or Gentry one must have taken a course in Dublin literature, read a Time popularizing article on cybernetics, and have majored in Higher Chinese Philosophy and Cosmetics. Such ads are packed with information – data of a way of life and a standard of living which they are simultaneously inventing and documenting. Ads which do not try to sell you the product except as a natural ­accessory of a way of life.« Diese Aussagen sind über 50 Jahre alt. Inwiefern lässt sich die Dynamik der 1950er und 1960er Jahre in Bezug zu heute setzen? Oder anders gefragt: What do we collect today? Es ist eine Frage nach der Zeitgenossenschaft, nach den Impulsgebern unserer Zeit. Was damals begann, sich über die Zeit verbreiterte und mittlerweile jeden Bereich des Lebens berührt, hat eine neue Schärfe gewonnen. Es sind nicht mehr nur die Dinge des Massenkonsums, die das Material für unsere Auseinandersetzung mit der Massen­ ästhetik der Warenwelt bilden. Die mediale Revolution der letzten Jahrzehnte hat die Massenmedien und die Nachricht an sich zum Phänomen der Populärkunst gemacht. Im Zeitalter von Twitter müsste unsere Antwort lauten: But today we collect news.


Der Erfolg von Twitter und Co. zeigt aber auch, dass das »as found«-Prinzip seinen Siegeszug erfolgreich ins digitale Zeitalter fortgesetzt hat. Denn es bedeutet in gewisser Weise eine Emanzipation gegenüber allen normativen Einflüsterungsversuchen von oben. Es bedeutet die selbstbewusste Entdeckung von angeblich Unwichtigem und die Gabe, daraus etwas persönlich Wichtiges zu machen. In diesem Kontext können wir in den »Grid Paintings« die Architektur unserer nachrichtengeilen Zeit sehen. Als Art Director hat Mike Meiré den geschärften Blick für das, was sich hinter den Nachrichtenseiten verbirgt, für das Raster, auf dem sie aufgebaut sind, für die Mittel, mit denen sie transportiert werden. So ist es nicht von ungefähr, dass die Auseinandersetzung mit der NZZ, deren Relaunch 2009 von Mike Meiré durchgeführt wurde, ihn auf die Spur der »Grid Paintings« brachte. Was zunächst wie ein Rückgriff auf die Malerei des Konstruktivismus erscheint, erweist sich bei näherer Betrachtung geradezu als eine Umkehrung des konstruktivistischen Prinzips. Es handelt sich eben nicht um eine abstrakte, von Gegenstandsbezügen befreite Kunst, deren Reduktion auf geometrische Grundformen ein Ideal der menschlichen Erkenntnisprinzipien darstellen soll. Vielmehr handelt es sich um eine Visualisierung von etwas Abstraktem wie News, einem Fetisch unseres Echtzeit-Zeitalters. Die Frage nach dem Unterschied zwischen dem »ad-worker« und dem »art-worker« führt aber letztendlich in die Irre, zumal die Smithsons bereits hellsichtig festgestellt haben: »Today we are being edged out of our traditional role by the new phenomenon of the popular arts ­advertising.« Wenn es keine traditionellen Rollen mehr gibt, müssen wir die Frage vielleicht anders stellen. Es geht nicht mehr darum, Low und High gegeneinander auszuspielen. Vielmehr, wie wir die machtvollen Impulse der Populärkultur, die unser Leben durchdringt, für unsere eigenen Intentionen einsetzen können: »Mass-production advertising is establishing our whole pattern of life – principles, morals, aims, aspirations, and standard of living. We must somehow get the measure of this intervention if we are to match its powerful and exciting impulses with our own.«

Es scheint, dass Mike Meiré für sich die Frage nach dem »somehow« beantwortet hat. Denn es ­gelingt ihm, die Impulse der Populärkultur mit seinem ­eigenen künstlerischen Streben in Einklang zu bringen. Literatur: Thomas De Quincey: »Suspiria de Profundis«, in: Ders.: Confessions of an English Opium-Eater and Other Writings, Penguin Books, London 2003, S. 150 Peter Sloterdijk: »Der ästhetische Imperativ«, Kapitel VII: Kunstsystem, S. 400 f f., Hamburg 2007 Bruno Latour: »A Cautious Prometheus? A Few Steps ­Toward a Philosophy of Design (with Special Attention to Peter Sloterdijk)«. Keynote lecture for the Networks of Design m ­ eeting of the D ­ esign History Society, Falmouth, Cornwall, 3rd ­September 2008. Deutsch in: ARCH+ Nr. 196 / 197, Januar 2010 Alison und Peter Smithson: »But Today We Collect Ads«, in: Ark: the Journal of the Royal College of Art, November 1956, S. 49 f.

Order in Consciousness 2009, lacquer-paint on newspaper 49.5 cm × 35 cm


The Discovery of the Ordinary Three Takes on Mike Meiré’s »Grid« and »Nude Paintings« By Anh-Linh Ngo

The art works by Mike Meiré, someone who has above all made his mark as an art director, prompt questions that have proved very incendiary in the art world for over 50 years. One of these is: how does the popular culture of mass consumption in-form art? Concretely: is Mike Meiré’s commercial work detectable in his art work? This article will try to approach the answer to this question in three steps, deploying the methods of the palimpsest that Mike Meiré himself uses repeatedly in his works.

Take 1: »Everlasting layers« If we had to name a consistent theme for Mike Meiré’s way of working, it would be that of the appropriation of found material. What for many artists has degenerated into a lazy-minded choice of style has with Meiré, in his double role as art director and artist, gained in dynamism. The random and the trivial have, by their reworking, evolved into fresh significance. In his newest works—»Nude Paintings« and »Grid Paintings«—the material is newspaper pages whose content he has painted or covered over or masked with lacquer from a DIY shop. This way of working can be understood in the sense of a palimpsest that is repeatedly given new coats and levels of meaning by overwriting the original material. The English essayist Thomas De Quincey has given an elegant account

of the idea of a palimpsest in his work Suspiria de ­P rofundis (1845): »What else than a natural and mighty palimpsest is the human brain? Such a palimpsest is my brain; such a palimpsest, oh reader! is yours. Everlasting layers of ideas, images, feelings, have fallen upon your brain softly as light. Each succession has seemed to bury all that went before. And yet, in reality, not one has been extinguished.« Here De Quincey compares the human mind and ­especially memory with a palimpsest on which a steady stream of ideas, images, and feelings take effect without older layers being lost. In analogy, the »Grid« and »Nude Paintings« draw their underlying power from the fact that the paint layers, on the one hand, disclose new levels of meaning, on the other, protectively cover the contents of the newspaper pages like a varnish. In this way, the pictures become part of a cultural memory, a repository that preserves the banal as well as aesthetic formulations of human life. A good example for this approach are the »Nude Paintings« in which Mike Meiré has masked the whole page except the naked women who serve as sex objects on the front pages of certain German tabloids to attract the readers’ attention. By doing so the artist gives the figures an unexpected dignity and transforms them into icons of contemporary popular culture. In his »Nude Paintings« Mike Meiré makes us conscious of the fact that even the most trivial human sentiments are full of energy, full of life and full of beauty.


Take 2: Redesigning Things This discretion and modesty regarding life’s beauty is something Mike Meiré perhaps owes to his role as designer. If we follow the French philosopher Bruno Latour, the designer is a »cautious Prometheus« who is aware that he is working with existing material in order to create something transitory that is subject to an eternal process of redesign. Latour specifically invokes Peter Sloterdijk, who in his essay on the art system (2007) sums up this idea as follows: »Ever larger segments of reality are transformed into raw material for productions—into source ­material for images, relationships, transformations. Everything that was product can be turned again into raw ­material so as once again, as passive material, to preserve the effects of work.« The idea of a material cycle points to the idea of appropriation and makes clear why it has become a central topos of art. For if everything can again become source material for transformation, can again become raw material, then there can be no creation ex nihilo, and the modern phantasm of tabula rasa is negated. If art must then no longer play at revolution, a new meaning is given to the creative process in general. In his essay »A Cautious Prometheus« (2008), Latour, in trying to found a theory of contemporary design, rewrites Sloterdijk’s theses in the following words: »To design is never to create ex nihilo. … If humanity ›has been made (or should I have said ­designed?) as the image of God‹, then it too should learn that things are never created but rather carefully and modestly redesigned. It is in this sense that I take the spread of the word design as a clear substitute for revolution and modernization. … Designing is the antidote to founding, colonizing, establishing, or breaking with the past. It is an antidote to hybris and to the search for absolute certainty, ­absolute beginnings, and radical departures.« If we understand design in Latour’s sense as ­»redesign«, as something relative, then we also ­comprehend Meiré’s rejection of the figure of the artist-god who creates things out of nothingness. The present-day artist and designer is more a »cautious Prometheus« who warily steals the creative fire

from heaven in order to allow the flame to reignite in everyday objects, in thoughtlessly discarded articles. In this way Meiré also evades the tragedy of Modernism’s avant-gardists, who constantly propagated an anti-art, a fusion of art and life, and thus— in pairing the sublime with the quotidian—to end by subjecting everything to the dictates of art. Today it is much more about allowing the two fields to come into their own.

Take 3: »But today we collect ads« The ones who most clearly saw this mutual dependence between art and the commonplace were the English architects Alison and Peter Smithson, both members of the London Independent Group and of Team X. In their article »But Today We Collect Ads«, which was published in the journal »Ark« in 1956, they propagated a critical acceptance of the trivial and the popular as the foundation for a contemporary identity and design approach. They used the visual language of advertising as an example to portray a highly developed popular culture: »Traditionally the fine arts depend on the popular arts for their vitality, and the popular arts depend on the fine arts for the respectability. It has been said that things hardly ›exist‹ before the fine artist has made use of them, they are simply part of the unclassified background material against which we pass our lives. The transformation from everyday object to fine art mani­festation happens in many ways; the object can be discovered—objet trouvé or l’art brut— the object itself remaining the same; … or, the object can be used as a jumping-off point and is itself transformed.« In no way were the Smithsons putting the case for an affirmative trash culture that does away with difference. It was more about developing a differentiating argumentation that describes popular culture as both inspiration and challenge. By invoking the ­artistic practice of transforming existing material, they do not succumb to a temptation that would allow high and popular culture to coincide. As architects, after all, they were interested in translating into architectural practice the strategies that the critical apparatus of art had developed to allow a


The Way Things Go 2008, preserved geese, copper pipe, cardboard box, ­containers with soja oil and sesame oil, hose, cord, tape, wire 250 cm × 250 cm

fruitful engagement with the real. In the context of the Independent Group they were inspired by the photographic work of the artist and photographer Nigel Henderson to formulate their famous principle of »as found«. At the beginning of the 1950s, in photographs of his residential environs of Bethnal Green, London, Henderson recorded the gray everyday world of postwar England. These photographs came about from an anthropological curiosity and an appreciation of the ordinary: »I felt happiest among discarded things, vituper­ ative fragments, cast casually from life, with the fizz of vitality still about them. There is an irony in this and it forms at least a partial symbol for an artist’s ­activity.« The irony that Henderson describes here should therefore not be identified as contempt. For the ironic refraction with which highbrow culture deploys popular codes changes the reception level and allows the viewer to trace other layers of meaning behind the seemingly familiar surface. In this sense the »as found« principle rationalizes the existing structures, creates new relations, supplements and transforms them.

The Independent Group’s merit lay in claiming the ordinary and the already-there as a positive force and thus as a fresh background against which a new horizon could be generated. For »as found« is the tendency to become engaged with what is here, to recognize what is at hand, to follow its trail—with the assurance that it is exactly along this path that one can arrive at new insights and forms. The »as found« principle’s construction of reality no longer starts out with the aesthetics of idealism oriented towards the absolute, as ›classical‹ Modernism had done. In correspondence with an idealized utopia of geometric compositions, Modernism became enthusiastic about the clean forms of industrial buildings and machines. Whereas today it is all about the opposite, namely recognizing and taking up the patterns of real life and not doing away with them in order to replace them with an ideal. »Gropius wrote a book on grain silos, Le Corbusier one on aeroplanes, And Charlotte Periand brought a new object to the office every morning, But today we collect ads.« Advertisements stand here for an appeal to take radical note of the most commonplace. Stand for the directness, the unmediated, the raw, but also for the complexity of the real and the ordinary. After all, advertisement plays a double game. It stands, on the one hand, for life in all its fullness which it takes up so as, on the other, to create an ideal for the masses. The visual and psychological upheavals that advertising’s modern language has sparked can hardly be underrated. »Advertising has caused a revolution in the popular art field. Advertising has become respectable in its own right and is beating the fine arts at their old game. We cannot ignore the fact that one of the traditional functions of fine art, the definition of what is fine and desirable for the ruling class, and therefore ultimately that which is desired by all society, has now been taken over by the ad-man.« The Smithsons have unsentimentally noticed the replacement of the »fine artist« by the »ad-man«. In this context it is interesting to observe that Mike Meiré has reversed this phenomenon in his artworks: the »ad-man« reverts to »fine artist«. But, in view of the ever more marked differentiating methods of


Silence 2009, lacquer-paint on newspaper 49.5 cm × 35 cm

culturalization, are we even capable of spotting a difference between the »ad-worker« and the »artworker«, as Mike Meiré likes to describe himself? In which way does his agency work in-form his art? Is the one detectable in the other? Or better: Is the one imaginable without the other? »To understand the advertisements which appear in the New Yorker or Gentry one must have taken a course in Dublin literature, read a Time popularizing article on cybernetics, and have majored in Higher Chinese Philosophy and Cosmetics. Such ads are packed with information—data of a way of life and a standard of living which they are simultaneously inventing and documenting. Ads which do not try to sell you the product except as a natural ­accessory of a way of life.« These statements are more than 50 years old. To what ­extent is the dynamism of the 1950s and 1960s ­applicable today? Or to put it differently: What do we collect today? It is a question that asks about contemporaneity, about the initiators of our time.

What began then, spread over time and meanwhile touched every walk of life, has gained new potency. It is no longer only the things of mass consumption that make up the material for our engagement with the mass aesthetics of the consumer world. The media revolution of the past decades has turned the mass media and news per se into a phenomenon of popular art. In the age of Twitter, our answer reads: But today we collect news. The success of Twitter and co., however, also shows that the »as found« principle has successfully continued its triumphal progression into the digital age. For in a certain sense it signifies an emancipation vis-à-vis all normative attempts at insinuation from above. It means the self-assured discovery of the allegedly unimportant and the talent to make it into something personally important. In this context we see in the »Grid Paintings« the architecture of our news-mad age. As an art ­director, Mike Meiré has a sharp eye for what is hidden behind the news pages, for the template into which they are fitted, for the means with which they are transmitted. Thus it is not by chance that the discourse with the NZZ (Neue Züricher Zeitung), whose relaunch was carried out by Mike Meiré, put him on the track to the »Grid Paintings«. What at first seems like a return to the painting of Constructivism, at a closer look proves to be an exact reversal of the constructivist principle. This is precisely not about an abstract art freed from realistic references whose reduction to geometric elementary forms are meant to depict the ideal of human principles of cognition. This is more about a visualization of something ­abstract like news, a fetish of our real-time age. The question as to the difference between the »adworker« and the »art-worker«, however, is in the end misleading, particularly since the Smithsons had ­already discovered: »Today we are being edged out of our traditional role by the new phenomenon of the popular arts of advertising.« If there are no more traditional roles, we might have to pose the question differently. It is no longer about playing off the low and the high against each other. Rather how we can use the powerful impulses of popular culture that pervade our life for our own ­intents and purposes:


»Mass-production advertising is establishing our whole pattern of life—principles, morals, aims, aspirations, and standard of living. We must some­ how get the measure of this intervention if we are to match its powerful and exciting impulses with our own.« It seems as if Mike Meiré has discovered the »some­ how« on his own. For he succeeds in bringing the exciting impulses of popular culture into harmony with his personal artistic aims.

Bibliography: Thomas De Quincey: »Suspiria de Profundis« in: idem.: Confessions of an English Opium-Eater and Other Writings, Penguin Books, London 2003, p. 150 Peter Sloterdijk: »Der ästhetische Imperativ«, chapter VII: Kunstsystem, p. 400 et seq., Hamburg 2007 Bruno Latour: »A Cautious Prometheus? A Few Steps Toward a Philosophy of Design (with Special Attention to Peter Sloterdijk)«. Keynote lecture for the Networks of Design meeting of the Design History Society, Falmouth, Cornwall, 3rd September 2008. German in: ARCH+ No. 196 /197, January 2010 Alison and Peter Smithson: »But Today We Collect Ads« in: Ark: the Journal of the Royal College of Art, November 1956, p. 49 et seq.

Claire, Donnerstag, 22. Oktober 2009 (work in progress) 2009 lacquer-paint on newspaper 57 cm × 40 cm



CORPUS DELICATUS Von Kathrin Luz

»Das grundsätzliche Thema für mich ist das Leben mit seinen Stationen: Geburt, ­Biografie, Tod. Dazu schaffe ich Installationen, Objekte, Keramiken, Malereien, die die Bewegung und Entwicklung des Lebens aufzeigen. Eine prozesshafte Ästhetik, in der es mir um Gesten, Posen, Klischees und Codes geht. Visuelle Zeichen und Metaphern von ursprünglicher, ländlicher Arbeit sowie urbanen Baustellen. Ein permanentes ­Oszillieren zwischen Intellekt, also der Erkenntnis des Geistes und dem Trieb, der ­Bedürfnisbefriedigung.« — Mike Meiré DAS LEBEN Die farblich changierende Glasur glänzt delikat, reizt zur Berührung. Die Gestalt ist amorph, organisch, kaum beschreibbar. Öffnungen, Schlünde und Tentakeln recken sich dem Betrachter entgegen. Vulva, Vagina, warmes, weiches Fleisch, pulsierend wie das Herz in einem geöffneten Brustraum – diese Haptik erwartet man und stößt doch bei der Berührung auf die kalte Glätte des tönernen Materials. Weibliches und männliches Prinzip ringen miteinander und verschlingen sich in der skulpturalen Vereinigung. So entsteht eine Art Urform. »Meine organischen Keramikskulpturen sind fließende Formen, die weibliche und männliche Geschlechtsteile assoziieren. Im Ursprung des Lebens ist der Mensch noch nicht endgültig als Frau oder Mann definiert. Somit können diese Skulpturen als Leib eine Art archaischer Geschlechterkampf gelesen 2009, ceramic werden, dem Überlebenstrieb folgend. Die Ge45 cm × 30 cm × 55 cm schlechter symbolisieren sowohl das Gebären von neuem Leben, die Fortpflanzung, als auch den damit verbundenen notwendigen sexuellen Akt einer physischen Fusion.« So Mike Meiré selbst über seine Arbeiten. Die ewige Verführungskraft des Körperlichen steigert sich im panerotischen Moment. Auch wenn alles fließt: Jede Skulptur bildet ihre eigene Identität aus. Die abstrakte Form entwickelt ein unverwechselbares Gesicht, aus dessen Tiefen und Schlünden so etwas wie der Urschrei zu erklingen scheint, dem Bacon’schen »Befreiungsschrei« im Sinne eines Befreiungsschlags – aus den Zwängen der geschundenen Materie heraus – nicht unähnlich.


Call It A Day 2008, ceramic 23 cm × 13 cm × 35 cm

DIE HAND Dem tönern-steinernen Ergebnis ist der Prozess seiner Entstehung anzusehen. ­Spuren der manuellen Bearbeitung, des Knetens und Walkens, haben sich durch das Brennen und anschließende Glasieren für immer manifestiert. Der amorphen Urform bleibt die formende Begegnung mit der menschlich-schöpferischen Hand eingeschrieben, die als Abbild des schöpferischen Aktes immer präsent bleibt. Dabei ist eine Wandlung des Instruments von der Funktion zum Fetisch festzustellen: Nicht von ungefähr wird die Hand selbst – eigentlich Teil des aktiven Subjekts – zugleich auch zum ­Objekt des künstlerischen Schaffens: »Die keramischen Abgüsse meines ledernen Arbeitshandschuhs verstehe ich zum Beispiel als mein Selbstporträt als Arbeiter«, sagt Mike Meiré. Der Künstler wird zum reinen Produzenten, der den immanenten Gesetzen der Formfindung intuitiv folgt. Zugleich haben die abgeformten Gummihandschuhe auch eine starke weibliche Konnotation. »Am ›weiblichen‹ Gummihandschuh interessiert mich die Lesart so unterschiedlich komplexer Rollenspiele der Frau innerhalb der ­Gesellschaft, wie zum Beispiel Mädchen, Mutter, Hausfrau, Verführerin. Daher betone ich immer wieder die Öffnung des Gummihandschuhs.« Auch diese Öffnung avanciert zum anonymen weiblichen Geschlechtsteil, Hort sexueller Entladung wie Entlastung und menschlicher Fortpflanzung. Dabei werden Eros und Sex von Schmutz und Dreck flankiert: Die deutlichen Arbeitsspuren des künstlerischen Gebärens verweisen einmal mehr auf die Dialektik von Leben und Tod, Lust und Schmerz, Verzehren und Verdauen: »Die Schönheit suche ich auf der Straße, daher die Ästhetik des Zufälligen, Kaputten, Verbrauchten. Ausrangierte Dinge, die von der Bewegung des Lebens gezeichnet sind.« In den Erdbildern Mike Meirés machen Schmutz und Schlamm ihre ganz eigene Karriere als künstlerische Ausdrucksmittel, sie werden zur malerisch genutzten Farbe – auch wenn sie ihren spezifischen Reiz gerade aus der Materialität der Un-Farben beziehen. Keramik, Ton, Erde – sie werden als Ur-Materialien eingesetzt und repräsentieren damit zugleich den globalen Lebenszyklus.

DER KÖRPER

Wahre Arbeit Wahrer Lohn 2008, ceramic 23 cm × 13 cm × 9 cm

Der keramische Körper ist ein sich wollüstig rekelnder, der ebenso formbar wirkt, wie er längst erstarrt ist. Das Pendant des keramischen, des mütterlichen Körpers ist der des Aktes, des Pin-ups. Perfekte, einladende Glätte, wie geschaffen für die mediale, zweidimensionale Verwertung, sticht aus der tristen Zeitungsblattästhetik mit seiner limitierten Farb­palette hervor – die Übermalung des Typo-Text-Rasters betont die reine, »entgeistigte« Körperlichkeit einmal mehr. Die Kunstgeschichte lässt grüßen: Der standardisierte »Jung-Frauen«-Körper, eine Ikone der Pop-Kultur, muss sich behaupten gegen die ­Materialität des Blattes, das Mike Meiré kunstvoll durch die ­Lackierung zum Leben erweckt. Einer Lasur ähnlich, begegnen sich auch hier delikate Oberfläche und rohes Grundmaterial, werden miteinander in den Ring geschickt. Die mit gewöhnlichem ­Malerlack überstrichenen Zeitungsseiten entwickeln ihre eigene

Fille De Joie 2008, ceramic 28 cm × 12 cm × 5 cm




Körperlichkeit. Ihr leises Aufbegehren artikuliert sich in Form von Wellen, Beulen, Falten, die das plane Blatt in die dritte Dimension eintreten und eine eigene Haptik ausbilden lassen: »Die Zeitungsseiten dokumentieren das tägliche Leben, daher ­benutze ich sie als Bildgrund für meine Lackbilder. Den Lack aus dem Baumarkt benutze ich, um eine ähnliche Oberfläche wie die der Keramiken zu erzielen. Eine Art Wesensverwandtschaft. Gerade im Medium Tageszeitung zeigt sich das Spannungsfeld von Intellekt und Triebbefriedigung im übermalten Raster des Feuilletons in den ›Grid Paintings‹ als scheinbar formales Erbe des Bauhauses auf der einen Seite sowie dem nackten Mädchen von der Titelseite eines Boulevardblatts in der Pose der Verführung in den ›Nude Paintings‹ auf der anderen. Es ist aber auch eine Demonstration für die Lust am Leben.« Und doch bleibt das Verhältnis zwischen dem weiblichen Körper und dem der Bildgrundlage ambivalent. Selbst aus dem bauhausgeschulten Raster erhebt sich der billige Zeitungsakt als zeitlose Muse des Künstlers.

DAS BLATT Dreck, Erde, Schmutz: Bisweilen verlangen sie nach einer Purifikation, bisweilen überwinden die Blattarbeiten das Figürliche und widmen, ja wagen sich in das Reich der reinen Abstraktion. Freischwebende Farbflächen – ähnlich dem bekannten RothkoSchema – gehen dann aus den Spaltenübermalungen hervor, denen nicht selten ­Todesanzeigen zugrunde liegen. Trotz der Banalität des Malgrunds erhalten sie eine geradezu spirituelle Erhabenheit, erinnern an chinesisches Tempelgeld, dessen spezifische Haptik und formale Eigenheit auch von der straffenden Bedruckung auf welligem Papier zehrt. Die Läuterung, die der Auseinandersetzung mit dem Tod vorangeht, klingt hier durch: »Die ›Cabinets‹ mit den präparierten Tieren, die übermalten Todesanzeigen oder die monochromen ›Grid Paintings‹ dienen mir als Vanitas-Motive, sie symbolisieren die Vergänglichkeit alles Irdischen. Der Mensch kann das Leben eben doch nicht kontrollieren. Das ­Materielle trifft auf das Spirituelle. Demut, Stille, Schweigen, in sich ruhende, endgültige, formale Setzungen.« Vom keramischen Körper zum körperlichen Blatt: So schließt sich der Kreis(lauf) zwischen Geburt und Tod, Eros und Verwesung, Körper und Geist, Figuration und Abstraktion.

Sophie, Mittwoch, 30. September 2009 (detail) 2009 lacquer-paint on newspaper 57 cm × 40 cm

Grace Will Lead Me Home 2007, scrap wood, wire netting, hard rubber bucket, rubber glove, preserved duck 176 cm × 82 cm × 62 cm


CORPUS DELICATUS By Kathrin Luz

»For me the basic theme is life with its stations: birth, biography, death. For which I create installations, objects, ceramics, paintings that show life’s bustle and evolution. A processual aesthetic for which I deploy gestures, poses, clichés and codes. Visual signs and metaphors of elemental, rural labor as well as urban building sites. A permanent oscillation between intellect, that is, between the cognizance of mind and ­instinct, of the gratification of needs.« — Mike Meiré Life The iridescent glaze shines delicately, appealing to our sense of touch. The figure is amorphous, organic, hard to describe. Openings, jaws and tentacles outstretch towards the viewer. Vulva, vagina, warm, soft flesh, pulsating like the heart in an opened chest—it’s a tactility you expect and yet your touch encounters the cold smoothness of fired clay. The male and female principles wrestle with and engorge each other in a sculptural union. In this way a kind of primal form emerges. »My organic ceramic sculptures are flowing forms associated with male and female genitals. At the outset of life, a human is not yet conclusively defined as man Sweet Sixteen or woman. Thus these sculptures can be read as (detail) 2009 ceramic, acrylic paint, wood, a kind of archaic battle of the sexes, following plastic crates (sprayed) their instinct for survival. The genders symbolize 97 cm × 51 cm × 31 cm the begetting of new life, procreation, as well as also the associated sexual act of a physical fusion.« Mike Meiré himself describes his works this way. The eternal seductive power of corporeality escalates to a panerotic event. Even if everything flows: each sculpture shapes its own identity. The ­abstract form develops an unmistakable face from whose depth and gullet something like a primal scream appears to sound, Bacon’s »cry of release«—somewhat similar to the sense of an act of liberation—from out of the constraints of the maltreated ­material. Oh Boy 2009, ceramic, acrylic paint, wood 57 cm × 50 cm × 31 cm




The Hand The clayish-stony product shows the process of its genesis. Traces of the manual working, of the kneading and pounding, have become forever visible via the firing and subsequent glazing. The amorphous primal form is inscribed with its transforming encounter with the creator’s hand, which remains omnipresent as an image of the creative act. Whereby a transformation of the instrument from function to fetish is traceable. It is not by chance that the hand itself—part of the active subject—becomes at the same time the object of artistic creativity: »I understand the ceramic casts of my leather work glove as an example of my self-portrait as a worker,« Mike Meiré says. The artist ­devolves into a pure producer who intuitively follows the immanent laws of form invention. At the same time, the molded rubber gloves also have a feminine connotation. »What interests me in the ›feminine‹ rubber glove is reading in it the so diverse and complex role play of the woman within society, as girl, mother, Elude 2009, ceramic housewife, seductress. Which is why I repeatedly emphasize the 28 cm × 12 cm × 5 cm opening of the rubber glove.« This opening then advances to an anonymous female genital, a hoard of sexual charges as well as release and human reproduction. Whereby Eros and sex are flanked by grime and dirt. The clear working traces left by artistic begetting point once again to the dialectic of life and death, lust and pain, consumption and digestion. »I seek beauty in the street, thus the aesthetic of chance, of the kaput, the used. Discarded things that are branded by life’s turmoil.« In Mike Meiré’s earth pictures, dirt and mud make an entire career as artistic means of expression; they turn into paint-applied color—even if their specific appeal is derived from the materiality of the non-color. Ceramic, clay, soil—they are deployed as primal material and thus simultaneously re­present the global life cycle. The Body

Eva, Montag, 27. Juli 2009 (detail) 2009 lacquer-paint on ­newspaper 57 cm × 40 cm

The ceramic body is a mass that voluptuously sprawls, which seems just as formable as it is (long since) rigid. The pendant to the ceramic or to the motherly body is that of the nude, the pin-up. A perfect, inviting smoothness, as if made for medial, two­dimensional exploitation, stands out against the triste aesthetic of the newspaper page with its limited color palette; painting over the typo-text raster once again underlines its pure »unspiritualized« corporeality. Shades of art history! The standardized (»virginlike«) young female body, an icon of Pop Art culture, must hold its own against the materiality of the page, which Mike Meiré artfully kisses to life by lacquering it. Similar to a glaze, the delicate surface meets basic raw material, and they are sent into the ring


together. The newspaper pages painted over with standard wall paint develop their own physical presence. Their quiet revolt is articulated in the form of crinkles, bulges, creases that transport the flat sheet of paper into the third dimension and let it formulate its own tactility. »Newspaper pages document daily life, for which reason I use them as a picture ground for my lacquer paintings. The paint from the DIY shop I use to achieve an outer skin that resembles that of the ceramics. A kind of natural affinity. Especially in the medium of a daily newspaper, the tension between the poles of intellect and instinctual gratification is shown in the ›Grid Paintings‹ with their painted-over raster of the culture section as the ostensible legacy of the Bauhaus, on the one hand, as well as the naked girls on the cover of the yellow press in a seductive pose in the ›Nude Paintings‹, on the other. It is, however, also a demonstration of a lust for life.« And yet the relationship between the female body and the picture ground is ambivalent. Even the cheap newspaper nude and (even) the Bauhaus-schooled raster is elevated to the artist’s timeless muse. The Page Dirt, earth, grime: At times the paper sheets demand purification, at times they overcome the figurative and dedicate themselves to, yes even venture into, the realm of pure abstraction. Freely floating color fields—similar to the well-known Rothko schema—emerge from the painted-over columns, which not seldom are those announcing deaths. ­Despite the banality of the painting ground, they are given a virtual spiritual transcendence and recall Chinese temple money, whose specific haptic feel and formal singularity thrive on the tautened printing on crinkly paper. The purging process that precedes an engagement with death sounds through. »The ›cabinets‹ with stuffed animals, the overpainted death announcements or the monochrome ›Grid Paintings‹ serve me as a vanitas motif; they symbolize the transience of everything earthbound. Man has decidedly no control over life. Materiality meets spirituality. Humility, stillness, silence, serenity, final, formal postulations.« From corporeal ceramics to the corporeal sheet of paper: the cycle comes round again between birth and death, Eros and decay, body and spirit, figuration and abstraction. Beyond Violence (detail) 2009 lacquer-paint on newspaper 49.5 cm × 35 cm

Low–Life 2008, cardboard, tape 94 cm × 31 cm × 60 cm




On Love And Loneliness (detail) 2009 lacquer-paint on newspaper 49.5 cm × 35 cm



Grid Paintings


On Love And Loneliness 2009 lacquer-paint on newspaper 49.5 cm × 35 cm



Mind Without Measure 2009 lacquer-paint on newspaper 49.5 cm × 35 cm



Freedom From The Known 2009 lacquer-paint on newspaper 49.5 cm × 35 cm






Deep In The Memory, Of What Once Was Love (tryptic) 2009 lacquer-paint on newspaper 49.5 cm × 35 cm


The Ending Of Time 2009 lacquer-paint on newspaper 49.5 cm × 35 cm



Think On These Things 2009 lacquer-paint on newspaper 49.5 cm × 35 cm



Leben ohne Illusionen 2009 lacquer-paint on newspaper 49.5 cm × 35 cm



Education 2009 lacquer-paint on newspaper 49.5 cm × 35 cm



Du bist die Welt 2009 lacquer-paint on newspaper 55.5 cm × 33 cm



Beyond Violence 2009 lacquer-paint on newspaper 49.5 cm × 35 cm



The Energy In Emptiness 2009 lacquer-paint on newspaper 49.5 cm × 35 cm



Freedom, Love And Action 2009 lacquer-paint on newspaper 49.5 cm × 35 cm



Awakening Of Intelligence 2009 lacquer-paint on newspaper 55.5 cm × 33 cm





Konflikt und Wahrheit 2009 lacquer-paint on newspaper 47 cm × 35 cm

Verstand und Liebe 2009 lacquer-paint on newspaper 47 cm × 35 cm


Revolution durch Meditation 2009 lacquer-paint on newspaper 49.5 cm × 35 cm

Frei Sein! 2009 lacquer-paint on newspaper 49.5 cm × 35 cm


Commentaries On Living 2009 lacquer-paint on newspaper 49.5 cm × 35 cm

Ideal und Wirklichkeit 2009 lacquer-paint on newspaper 55.5 cm × 33 cm


The Only Revolution 2009 lacquer-paint on newspaper 49.5 cm × 35 cm

Totale Erneuerung 2009 lacquer-paint on newspaper 49.5 cm × 35 cm



Nude Paintings and Stripped Portraits


Eva, Montag, 27. Juli 2009 2009 lacquer-paint on newspaper 58 cm × 40 cm





(previous page left) Rattana, Freitag, 13. November 2009 2009 lacquer-paint on newspaper 57 cm × 40 cm (previous page right) Isabelle, Dienstag, 4. August 2009 2009 lacquer-paint on newspaper 58 cm × 40 cm

Molly, Dienstag, 25. August 2009 2009 lacquer-paint on newspaper 58 cm × 40 cm





(previous page left) Sophie, Donnerstag, 30. Juli 2009 2009 lacquer-paint on newspaper 58 cm × 40 cm (previous page right) Peta, Dienstag, 6. Oktober 2009 2009 lacquer-paint on newspaper 57 cm × 40 cm

Janine, Montag, 10. August 2009 2009 lacquer-paint on newspaper 58 cm × 40 cm





(previous page left) Leanne, Montag, 7. Dezember 2009 2009 lacquer-paint on newspaper 57 cm × 40 cm (previous page right) Kelly, Dienstag, 20. Oktober 2009 2009 lacquer-paint on newspaper 57 cm × 40 cm

Sophie, Mittwoch, 30. September 2009 2009 lacquer-paint on newspaper 57 cm × 40 cm





(previous page) Claire, Donnerstag, 22. Oktober 2009 (diptych) 2009 lacquer-paint on newspaper 57 cm × 40 cm






Tatjana 2009 lacquer-paint on newspaper 20 cm × 25.5 cm


Aimee 2009 lacquer-paint on newspaper 33 cm × 20 cm


Nadina 2009 lacquer-paint on newspaper 30 cm × 19 cm



Alexandra 2009 lacquer-paint on newspaper 47 cm × 31.5 cm

Camilla 2009 lacquer-paint on newspaper 33.5 cm × 20 cm



Miranda 2009 lacquer-paint on newspaper 47 cm × 31 cm

Maja 2009 lacquer-paint on newspaper 27 cm × 20 cm


Vita Mike Meiré 1964 born in Darmstadt, lives and works in Cologne Selected solo and group exhibitions and projects 2010 Icons of a Modern Age, group exhibition, Bartha Contemporary, London 2009 The Farm Project, installation, Designhuis Eindhoven, Netherlands 2009 Erd-Leib, exhibition, Factory, Cologne 2007 Mortal Life, installation at the Museion, Bozen, Italy 2007 The Farm Project, installation, Factory, Cologne

The Farm Project, associated project at sculpture projects muenster 07, Muenster

The Farm Project, installation at Design Miami, Miami

(catalog, Verlag der Buchhandlung Walther König)

2006 The Farm Project, installation, Milan 2004 The Stardust Festival by Mark Borthwick, introducing such an idea,

exhibition and performance at Mike Meiré’s Factory, Cologne

2003 E-R-S, Energetic Recovery System, installation, Galerie Fiedler, Cologne (catalog) 2002 E-R-S, Energetic Recovery System, installation in Verona (catalog) 1999 et seq. Art director of brand eins, Kid’s wear, 032c and Arch+ 1997–2003 Statements, launch of the Dornbracht Culture Projects Editions 1996–1998 The Apartment, in cooperation with Peter Saville, London 1991–1993 Shop, experimental salon showing objects, installations and videos, Cologne 1990 Participant in New European Design at the Centre Georges Pompidou, Paris 1983 Founder and art director of APART, an arts and culture magazine, Cologne



Imprint Mike Meiré – Day In Day Out published on the occasion of the exhibition Icons of a Modern Age Bartha Contemporary, London January 25–February 28, 2010 A numbered and signed edition of 30 + 3 a. p. is published with an original work, Jade Essays Anh-Linh Ngo Kathrin Luz Editing Stephanie Eckerskorn Layout Tobias Tschense Photography Tim Giesen Mike Meiré Lithography Heinrich Miess Translation Jeanne Haunschild Copy editing Thomas Donga-Durach Printing Sommer Corporate Media, Waiblingen Publisher Meurer Verlag, www.meurer-verlag.de ISBN 978-3-940312-03-7 © 2010 by the artist, authors and Meurer Verlag, Cologne


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mike meiré mike meiré

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Vorderseite

mike meiré day in day out

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Rückseite

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Rückseite

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