Sammlung Schroth - INFORMATION

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NEUZUGÄNGE IV INFORMATION

03.06. - 19.08.2012 KLOSTER WEDINGHAUSEN


BEGRÜSSUNG DES BÜRGERMEISTERS HANS-JOSEF VOGEL I. Der Unternehmer und Sammler Carl-Jürgen Schroth zeigt Werke und Positionen seiner Sammlung an einem historischen Ort in seiner Geburtsstadt Arnsberg.

II. Der Ausstellungsort ist also ein Ort, der durch die Kultur des abendländischen Mönchtums entstanden ist und viel mit ihr zu tun hat.

Dieser historische Ort war ursprünglich Begräbnisstätte der Grafen von Arnsberg. Hier gründeten dann 1170/73 die Söhne des heiligen Norbert von Xanten (Norbertiner oder Praemonstratenser genannt) ein Kloster und betrieben es über sechs Jahrhunderte lang bis zur staatlichen Zwangsauflösung im Jahr 1803.

Die Mönche von Wedinghausen wollten nicht Kultur schaffen. Sie schaffen und begründen Kultur, indem sie Gott suchten, indem sie das Endgültige hinter dem Vorläufigen finden und so aus dem Unwesentlichen zum Wesentlichen, zum allein Wichtigen und Verlässlichen kommen wollten (Dazu und zum Folgendem: Ansprache von Benedikt XVI. im Collège des Bernardins, 12. September 2008).

Erst seit einigen Jahren ist das in Vergessenheit geratene Kloster Wedinghausen in die Gegenwart zurückgekehrt als ein alter wie ein neuer Ort des Dialogs zwischen Glauben und Vernunft, zwischen christlichem Denken und intellektuellen und künstlerischen Strömungen unserer Zeit.

Ihr Weg zu Gott bildet das biblische Wort. Weil die Suche nach Gott also die Kultur des Wortes verlangt, schaffen die Mönche auch im Kloster Wedinghausen eine Schreibwerkstatt, in der die heiligen Bücher handschriftlich und kunstvoll dupliziert werden, sowie eine herausragende Bibliothek, die die Wege zum Wort aufzeigt, und eine Schule, in der Wege konkret geöffnet werden. Das Lesen oder besser das gemeinsame Lesen kommt hinzu. Es geht um eine Weggemeinschaft des Glaubens und nicht um einen lediglich individuellen Weg mystischer Versenkung. Und das Lesen führt die Mönche ganz selbstverständlich zu Gesang und Musik. Große Werke der abendländischen Musik haben hier ihren Grund, aber auch die Musikspiele des Klosters Wedinghausen. Den Mönchen geht es übrigens nicht um eine positivistische Auslegung der Heiligen Texte, sondern um ihre Transzendierung, um ihr Verstehen vom Ganzen her. Denn „der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig“, denn „wo der Geist … da ist Freiheit“, wie der Apostel Paulus formuliert hatte. Zum Mönchtum auch in Wedinghausen gehört neben der Kultur des Wortes eine Kultur der Arbeit, ohne die das Werden Europas, sein Ethos und seine Weltgestaltung heute nicht zu denken sind. Wobei die Grenzen oder die maßvolle Weltgestaltung Teil dieses Ethos sein muss, damit Weltgestaltung nicht zur Weltzerstörung wird, wie wir heute neu lernen. Im Kloster Wedinghausen zählen zur Kultur der Arbeit die Fürsorge für Kranke und Arme, ein öffentliches Hospital, vor allem aber die Land- und Forstwirtschaft und ihre stete Verbesserung, aber auch Fischerei und Jagd. Und nicht zuletzt ist die Kultur des Klosters Wedinghausen europäisch vernetzt und nicht etwa regional orientiert.


III. An diesem emblematischen Ort Wedinghausen werden nun zeitgenössische Kunstwerke der Sammlung Schroth ausgestellt. 39 Arbeiten von zwanzig Künstlerinnen und Künstlern, die unter dem Titel „INFORMATION“ präsentiert werden. Künstler und Künstlerinnen, die mit ihren Werken ein Abbild der Wirklichkeit – einen kleinen Ausschnitt ihrer Welterkenntnis wiedergeben. Kunstwerke, die in ihrer entschieden strukturierten Formensprache eine freiheitliche, phänomenologische Erfahrungsebene entwickeln. Die Ausstellung der Kunstsammlung von Carl-Jürgen Schroth fügt sich äußerlich in diesen mönchischen Kontext von Wedinghausen ein. Waren es zunächst die Hand- und Ab-Schriften, das Buchwissen oder die Buchkultur der Mönche, die diesen Ort kultiviert haben, so sind es mit dieser Ausstellung Werke freier Kunst, manifestierte und visualisierte Gedanken von Künstlerinnen und Künstlern. Es sind Schöpfungen bildender Kunst, die den Besucherinnen und Besuchern der Ausstellung neue Erfahrungsmomente vermitteln und ihnen Konzentration und Stille, aber auch Gespräche abverlangen. Um die Kultur des Bildes zu verstehen, bedarf es des aufmerksamen Betrachters. Und wer sich diesem Anspruch stellt, wird eine Sensibilisierung und Schärfung der Sinnesorgane mittels der Kunst erfahren, wie einst die mönchischen Schreiber bei ihren Werkschöpfungen. Die Ausstellung der Sammlung Schroth als Fortführung der monastischen Bildung im ehemaligen Skriptorium von Wedinghausen und des Bildungsauftrages des Klosters auf der Ebene zeitgenössischer Kunst? In jedem Fall bereichert der Dialog der Ausstellung mit dem historischen Ort und dessen Kultur und umgekehrt die Ausstellung und den Ort und damit uns, die Besucher von beiden. Wir erkennen innere Parallelen und Unterschiede. Ich bin Carl-Jürgen Schroth dankbar, dass er dies möglich gemacht hat. Arnsberg, im Juni 2012

Hans-Josef Vogel Bürgermeister


Zur Entstehung dieser Ausstellung carl-jürgen schroth Bereits zum vierten mal stellt die SAMMLUNG SCHROTH im Rahmen einer Werkschau Neuerwerbungen mit früher erworbenen Arbeiten in Beziehung. Die Vorjahresausstellung LICHT – RAUM, zeigte Arbeiten, die unmittelbar mit dem Ausstellungsraum korrespondierten oder sich thematisch mit Aspekten unterschiedlichster Raumkonzepte befassten. Die präsentierten Lichtkunst-Arbeiten waren durch zwei gegensätzliche Funktionsprinzipien charakterisiert: definierten sich die Exponate der einen Gruppe insbesondere über das Umgebungslicht des Ausstellungsraumes, so generierte die zweite Gruppe der lichtspendenden Exponate außergewöhnlich spannungsreiche Einflüsse auf ihre Umgebung. Zu dieser Ausstellung erschien auch erstmals ein begleitender Katalog. *

Wedinghausen an. Dieser wurde vor einigen Jahren als Ergänzung zum historischen Bestand zu einem Ausstellungs- und Veranstaltungsort hergerichtet, der modern und atmosphärisch höchste Standards erfüllt.

Schon während der intensiven Sichtungs- und Auswahlprozesse, die der Konzeption der Ausstellung LICHT – RAUM vorangingen, kristallisierte sich für mich das Thema einer Folgeausstellung heraus: Unter dem Titel INFORMATION wollte ich Arbeiten zeigen, die ihre Entstehung unterschiedlichsten, manchmal gar skurril anmutenden, spezifischen Informationen verdanken. In der Übersetzung durch die jeweiligen Künstler erhalten diese Informationen – seien es exakte Druckformat-Daten und Publikations-Zitate, seien es individuell beobachtete Wetterphänomene oder deutlich erkennbare Informationen, die sich aus dem Entstehungsprozess der jeweiligen Werke ableiten ließen um dann organisch in seinen weiteren Fortgang einzufließen. Man liest real, oder dechiffriert Oberflächen, die klar strukturiert sind, deren subtile Farbnuancierung oder Strichführung mit dem Umgebungslicht korrespondieren oder die spiegelnd täuschen und verblüffen. INFORMATION vermittelt durch jedwede Form der Betrachtung.

Ich bin glücklich darüber, dass INFORMATION an diesem geschichtlich so bedeutsamen Ort gezeigt werden kann – fast schon ließe sich aus dieser Ortswahl eine Affinität der SAMMLUNG SCHROTH zu historischen, sanierten und umgewidmeten Gebäuden herauslesen...

Auch hierbei verbinden sich Werke aus dem Bestand der Sammlung mit Neuerwerbungen zu einem facettenreichen Ganzen. Sehr gern erinnerte ich mich an die gute Zusammenarbeit mit dem Team der Wirtschaftsförderung Arnsberg, das mir im Jahr 2011 mit dem renovierten Flügel des industriehistorischen KaiserHauses einen hervorragenden Ort für die Ausstellung LICHT – RAUM und die sie begleitenden Aktionen zur Verfügung gestellt hatte. Auf der Suche nach einem geeigneten Ort für die aktuelle Ausstellung IMFORMATION bot mir das Kulturbüro-Team der Stadt Arnsberg Räume im Westflügel des Klosters

Die zuvor gesammelten guten Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit allen maßgeblichen Vertretern der Stadt Arnsberg hat mich nicht zögern lassen, das Angebot 2012 im Kloster Wedinghausen ausstellen zu können, anzunehmen. Meine schnell gewonnene Überzeugung, dass die vorgesehenen Exponate mit ihren sehr spezifischen Formaten in den Räumen des 800 Jahre alten Klosters einen großartigen Rahmen finden würden, bestärkte mich in meinem Entschluss.

Die herausragende Bedeutung des Klosters Wedinghausen als Hort von Information kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Wichtige Schriften des Mittelalters wurden hier geschaffen, sind oder waren Bestand der Klosterbibliothek. Beziehungsreich gestaltete Ausstellungen präsentierten Faksimiles und Originalschriften, die auch als beredte Belege von regem europäischen Informationsaustausch ab dem frühen Mittelalter gelten. Welch wundersame Fügung, ausgerechnet mit einer Ausstellung unter dem Titel INFORMATION hier präsent sein zu dürfen. Die Ausstellung der SAMMLUNG SCHROTH ist zudem eingebettet in das umfangreiche Programm des Arnsberger Kunstsommers 2012 - unter dem Motto Kommunikation wird es mutmaßlich für weiten und sprudelnden Informationsfluss sorgen. Seit einigen Jahren verbindet mich mit dem Regisseur Jörg Maria Welke eine enge Freundschaft. Im Jahre 2005 brachte er als Autor und Regisseur den tragischen Monolog IOKASTE zur Uraufführung. Das für die Schauspielerin Veronika Maruhn konzipierte Stück erzählt den vollständigen antiken ÖdipusMythos aus der Sicht der Königin IOKASTE, Mutter und unerkannt geehelichte Gattin des Ödipus. Das von den Göttern zur Sühne einer Freveltat ausgelegte und mit feinen Fäden gesponnene Handlungsgeflecht, das die vollkommene Auslöschung der


Familie zum Ziel hat, basiert auf dem Prinzip vorenthaltener oder unvollständiger Information. Der musikalisch von Ruthilde Holzenkamp (Konzertakkordeon) mitgestaltete Theaterabend wird die Ausstellung thematisch verflochten begleiten. Zu ihrer Eröffnung und ihrem Ende sowie an zwei weiteren dazwischen liegenden Terminen, werden im Klosterhof und in der Arnsberger Kulturschmiede Aufführungen der IOKASTE zu erleben sein. Den damals göttergewollten familiären Missverständnissen durch Informationsmangel möchte ich mit der Ausstellung INFORMATION in Sachen Kunst in der Gegenwart etwas erfreuliches entgegensetzen. Ich hatte schon zur Uraufführung der IOKASTE das Vergnügen, die Produktion unterstützen zu können. Das Zustandekommen von INFORMATION lag maßgeblich in den Händen eines mehrköpfigen Teams das mit funkensprühendem Enthusiasmus zu Werke ging. Zunächst darf ich mich bei Herrn Hans-Josef Vogel, Bürgermeister der Stadt Arnsberg, bedanken. Sein unermüdlicher Einsatz für die Entwicklung des Kulturstandortes Arnsberg trägt seit Jahren schöne Früchte. Das Kulturbüro unter der Leitung von Peter Kleine, Kathrin Ueberholz als Kunsthistorikerin inhaltlich eingebunden sowie Andreas Witte mit seiner organisatorischen Unterstützung der IOKASTE Aufführungen waren unverzichtbar für die Realisierung dieser Ausstellung – auch ihnen danke ich dafür. Herzlicher Dank gilt überdies meiner Tochter Miriam Schroth, in deren Händen die umfangreiche Öffentlichkeitsarbeit der SAMMLUNG SCHROTH liegt – auch für die organisatorische Vorbereitung der Ausstellungsräume zeichnet sie verantwortlich. Thomas Düring und Anton Quiring waren und sind für den Auf- und Abbau der Ausstellung sowie deren sachverständige Hängung unverzichtbar im Team. Für seine unschätzbare Hilfe bei der inhaltlichen Gestaltung des Katalogs spreche ich Niklas von Bartha meinen ganz besonderen Dank aus. Linde Hollinger zeichnet für das Layout des Katalogs verantwortlich – Dank auch dafür. Anlässlich der Ausstellung INFORMATION schuf Douglas Allsop die limitierte Edition „4 Diptychs, Kloster Wedinghausen, one round hole 1:20. North South East West, C-Print“ (Auflage 100 Stück), die auf Photomotiven basiert, welche nach allen vier Himmelsrichtungen ausgerichtet aus dem Kloster Wedinghausen heraus aufgenommen wurden. Für diese besondere Geste der Verbundenheit danke ich ihm herzlich.

* NEUZUGÄNGE III, LICHT – RAUM, SAMMLUNG SCHROTH, ISBN 978-3-00-033173-2


DAS KLOSTER WEDINGHAUSEN ALTES GEMÄUER - MODERNE KUNST Kloster Wedinghausen wurde 1170 als Prämonstratenser Kloster gegründet. Nach Auflösung des Klosters 1803 wurden große Teile der alten Klosteranlage abgebrochen. Der sakrale Raum war nicht mehr erkennbar und zum asphaltierten Parkplatz verkommen. Der Abbruch und die Öffnung des Klosterhofes im 19.Jh war jedoch nicht nur Verlust sondern ebenso ein Aufbruch in die Moderne. Er war Ausdruck eines gesellschaftlichen Prozess und einer „räumlichen“ Aufklärung, die eine neue Qualität von Offenheit und Licht in den Ort brachte. Der historische Klosterhof war ungerichtet und symmetrisch. Der vorgefundene Raum des 19.Jh war dagegen linear ausgerichtet. Die Neugestaltung verbindet die Widersprüche von Abgrenzung und Öffnung. Sie soll die räumlichen Brüche des Klosters ablesbar machen und einen gemeinsamen Raum für die unterschiedlichen Nutzer wiederherstellen. Die Neugestaltung des Klosterhofes von Kloster Wedinghausen ist eine verräumlichte Metapher für den Aufbruch in die Moderne. Der Eingriff besteht aus drei Teilen: dem Klosterhof, dem Lichthaus einer Art Filterraum für das Licht und einem Garten der Teil des Gebäudes ist. Das Lichthaus steht an der Stelle des abgebrochenen Südflügels und markiert die Grenze des historischen Klosterhofes. Der Besucher erlebt durch die Lage des Baukörpers eine Grenze und gleichzeitig durch die Glasfassade hindurch eine lineare Raumfolge, die von der Innenwelt des Klosters in die Außenwelt der nahen Waldlandschaft überführt und Licht wie Raumtiefe erlebbar macht. Um den Übergang in den Außenraum und Naturraum zu verdeutlichen, findet eine Auflösung des Raumkörpers auf seiner anderen Seite statt – eine Metamorphose des Raumes von der Architektur zur Natur. Der Garten ist durch die überspannende Seilkonstruktion Teil des Gebäudes.

Kalhöfer-Korschildgen Architektur, Köln

2002 Umgestaltung des Westflügels für das Stadtund Landständearchiv und für eine historische Ausstellung, Restaurierung der alten Klosterbibliothek, Neugestaltung des Klosterinnenhofes. 1956 Beseitigung der Nachkriegsschäden, Umgestaltung des Ostflügels mit Kreuzgang und Grafenkapelle.. 1886 Die Stadt Arnsberg kauft den Westflügel, Umbau zu Schulzwecken, Abriss des Südflügels mit Kreuzgang. 1826 Abriss des Verbindungstraktes zwischen Westflügel und Prälatur und Aufbau des Hirschberger Tores. 1803 Säkularisation: der Abt und 24 Chorherren müssen Wedinghausen verlassen, Ende einer 630 jährigen Klostertradition. Abriss des nördlichen Kreuzgangflügels. 1794 Flucht des Kölner Domkapitels mit den Domschätzen, der Dombibliothek, dem Domarchiv und den Hl. Drei Königen nach Wedinghausen, dessen Kirche provisorische Kathedralkirche wird. 1717 Fertigstellung des für das Gymnasium und die Klosterkellerei wesentlich vergrößerten, im Kern mittelalterlichen Westflügels (Klosterstraße 11). 1691 / 94 Bau des Pförtner- und Verbindungstraktes zwischen Westflügel und Prälatur und 1694 Vollendung der Bibliothek mit Weinkeller an Stelle des alten Abtshauses. 1666 Fertigstellung des Prälaturgebäudes als Wohnung für den Abt. 1643

Gründung des Gymnasium Laurentianum.

1634 Belagerung Arnsbergs durch General Beckermann, der in Wedinghausen Quartier nimmt. Er zieht am 11. Juli (Norbertustag) überraschend ab. Seitdem Dankprozession zu Ehren des Hl. Norbertus. 1583 Plünderung und Zerstörung durch Söldner des Gebhard Truchsess (1547-1601). Die Mönche müssen Wedinghausen für Monate verlassen.


Lichthaus, Kloster Wedinghausen, Arnsberg

1274 Graf Konrad v. Rietberg stiftet für seine Eltern, Graf Heinrich II. von Arnsberg und Gräfin Ermengard, die Grafenkapelle. 1254 Weihe des frühgotischen Chores der Klosterkirche und des Hauptaltars. Der gotische Bau schreitet nach Westen fort und wird um 1350 in spätgotischen Formen vollendet. 1238 Wedinghausen bindet sich in die Befestigungen der Stadt Arnsberg mit ein. Um 1220 Klosterschreiber Ludowicus schreibt eine prächtige Bibel und verfasst die „Heime-Erzählung“, ein Bestandteil der Thidreks-Saga. 1190 / 10 Der Engländer Richard von Arnsberg, ein bedeutender Wedinghauser Klosterschreiber, stirbt im Rufe der Seligkeit. Beim Klosterbrand 1210 findet man im Grab seine rechte Schreibhand unversehrt (Schwarze Hand).

1170 / 73 Graf Heinrich I. stiftet zur Sühne in Wedinghausen ein Kloster. Er bittet den Abt von Marienweerd bei Utrecht, Prämonstratenser zu senden. Beginn des romanischen Kirchenbaues. 1164 / 66 Graf Heinrich I. v. Arnsberg inhaftiert seinen Bruder, der 1165 stirbt. Heinrich der Löwe und die Bischöfe von Köln, Münster, Paderborn und Minden belagern Arnsberg; „der Brudermörder“ entkommt. 1132 Nennung des Hofes Wedinghausen als „Widinchusen“. Hier wird 1124 Graf Friedrich der Streitbare von Arnsberg beigesetzt.


INFORMATION Kunst zwischen Konstruktion & Phänomenon Vier Räume und ein Flur - angefüllt mit konkreter, postminimalistischer oder neokonzeptueller Kunst! Eine Ansammlung von Kunstwerken, deren geometrisches Formenvokabular auf mathematisch – naturwissenschaftlichen Grundlagen und Regelwerken basiert, das in ihrer Zurückgenommenheit der Effekte gleich schon auffällig ist. In seiner mathematisch strukturierten Formensprache, bestehend aus Punkten, Linien und Farbflächen, löst sie eine Erscheinung beim Betrachter aus, die jenseits von Punkt, Linie und Farbfläche liegt und den Blick auf das Periphere, das Ephemere, das Latente und das Dazwischen freigibt. Was man hinter den DIN-Maßen, einer rot geschwungenen Linie, dem Spiel mit leeren Flächen, der Beschränkung von Linie und Raster und alltäglichen Büromaterialien sieht, ist ein künstlerisches Phänomen jenseits des Offensichtlichen – eine kosmische Vielfalt. Mittels Reduktion, Einfachheit und mathematischen Prinzipien entstehen Bildwerke, die zum Beispiel ganze Wolken- oder Flußlandschaften entstehen lassen. Trotz der Beschränkung, vom Künstler genau kalkuliert und seine geistige Leistung widerspiegelnd, enthält das Kunstwerk eine weitreichende, komplexe Erfahrungsebene. Eine Freiheit, die gerade wegen der Ordnung und Regel entsteht und zu differenten, vielfältigen, Eindrücken beim Betrachter führt. Ausgehend von der Entscheidung zur Beschränkung der Konstruktion entsteht beim Betrachter eine Dimension von Freiheit im Phänomenon. Es lohnt sich, einen genauen Blick zu riskieren! Es lohnt sich den zweiten Blick auf die Kunstwerke zu werfen und die dort enthaltenen Informationen auf phänomenologischer Ebene zu entschlüsseln!1 Gleich im Flur wird der Besucher vom Werk „Information“ des Künstlers Frank Gerritz in Empfang genommen, dessen Arbeit namensgebend für diese weitere öffentliche Kunstschau – Neuzugänge IV – aus der Sammlung Carl-Jürgen Schroths ist. Dieses Werk entstammt der sogenannten Invitationals - AuctionsSerie, mit Paintstick, ölhaltigem Wachsstift, in gleichförmigem Bürsten-Duktus teilweise abgedeckte Einladungen zu Kunstausstellungen oder die Titelseiten von Auktionskatalogen. Die sichtbaren, teils figurativen Teile dieser Drucksachen ergeben, aus ihrem ursprünglichen Kontext genommen, völlig neue Eindrücke und Erkenntnisse. 1 Vgl.: Ausstellungskatalog „Nichts“. Hg. von Martina Weinhart und Max Hollein, anlässlich der Ausstellung Nichts, Schirn-Kunsthalle Frankfurt, 12. Juli - 1. Oktober 2006, Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2006.

Gerritz Werke bewegen sich zwischen Zeichnung und Malerei einerseits und Skulptur andererseits. Weitere Arbeiten von Gerritz werden im dritten Raum gezeigt, und vertiefen das Verständnis seines Oeuvres. Mehr dazu an entsprechender Stelle. Doch zunächst gelangen wir, nach dem schmalen Flur, in den ersten Raum. Hier ist die Neon-Arbeit von Brent Birnbaum „That’s what (s)he said“ zu sehen. Leinwände von Jean-Francois Dubreuil werden zusammen mit einer Papierarbeit aus Tageszeitungen von Mike Meiré (AMOK) und einer Wachspapierarbeit von Stefana McClure gemeinsam mit der Neon-Arbeit „¥€$“ von Bosse Sudenburg präsentiert.


Raumgreifend ist die Bodeninstallation „Formzweck“ des Berliner Künstlerduos Burghard aus dem Jahr 2009 inszeniert. Die aus sauerländischem Schiefer bestehende Bodenarbeit inszeniert die DIN-Norm-Formate und lotet diese als Bedeutungsraum und Speichermedium unseres Büroalltags aus. Hinterfragt wird damit die Begrenzung kultureller Normative. Gleichzeitig öffnen sie durch ihre künstlerische Setzung auf scheinbar spielerisch, lyrische Weise unerwartete Denkräume mit neuen Mustern des lang tradierten schwarzen Schrift- und Zeichenträgers. Die Arbeit „Fold Spin Couples“ von Ignacio Uriarte hat ihren Ursprung und Ästhetik ebenfalls im Büroalltag. Zwei geteilte DINA4 Papierstapel, jeweils andersfarbig, ergeben in ihrer Gesamtheit einen rechteckigen Block. Irrwitzig ist das gesuchte, gewünsch-

te Zusammenspiel: Jeweils nur aus einer Hälfte bestehend, ringen beide Papierseiten miteinander, um zu einer gemeinsamen, gleichgewichtigen Einheit zu gelangen: Ying und Yang im Rechteck. Funktionalität und Befreiung sind dabei wichtige Aspekte in Uriartes künstlerischer Praxis. Das mannigfaltig, kreative Potential im Büromaterial scheint unbegrenzt und versucht, den Betrachter zu verführen. Die Kraft seiner Arbeit liegt vor allem in seiner Imagination, die voll von Möglichkeiten und Leben ist. Die Idee der Kunstwerke des ersten Raumes wird durch den Bildträger sichtbar. Sie bestehen aus Büromaterialien, Zeitungspapieren oder anderen Trägermaterialien für Schrift und Zeichen (Neonschrift, Schiefer, Leinwand, Wachs). Sie zeigen den Informationskontext, den Antagonismus von lesbaren und verschlüsselten Inhalten in seiner Mehrstimmigkeit und Ambivalenz auf.


So führt das Weglassen des einzelnen Buchstabens „S“ in der Neonarbeit von Brent Birnbaum dazu, dass der abgebildete Satz seine einende, individuelle Autorenschaft verliert und in die problemaufgeladene Aussage zweier Personen zerfällt. Das sensible Beziehungsgeflecht und das empfindliche Gleichgewicht zwischen Einheit und Zerrissenheit wird sichtbar. Im zweiten Raum ist die Arbeit von Julieta Aranda, eine Papierarbeit als Triptych von Jill Baroff, eine Buntstiftzeichnung von Sabine Boehl, vier Werke von Spencer Finch, drei Papierarbeiten von Klaus Staudt und zwei monochrome Malereiobjekte von Anton Quiring zu sehen. Die zweiteilige Spiegel-Arbeit von Julieta Aranda „Between timid and Timbuktu“ kann frei übersetzt werden mit „Zwischen Scheu und Unerreichbarkeit“. Der getrübte, nichts wiedergebende Spiegel referiert den Themenkomplex Selbsterkenntnis und Unerreichbarkeit; das Sehen und Verblendetsein, das Durchdringungsvermögen der verschiedenen Erkenntnisbereiche und der begrenzten Erreichbarkeiten. Der in Brooklyn lebende Spencer Finch richtet sein Augenmerk gern auf Naturphänomene – Wolken, Sterne, die Sonne und Wasser sind oftmals zentral für seine Arbeit. Die Erfahrung von sensiblen, sensitiven Momenten, die kaum sichtbar sind und eine besondere Aufmerksamkeit gegenüber Phänomenen und

Vorgängen verlangen, geht in poetischer, gar ironischer Weise in seinen Bildern und Installationen ein. Wie zum Beispiel im Werk „17 Melting Snowflakes“ oder in der Klebeband-Arbeit „Cloudy Study (Cumulus mediocris)“. Hier wird auf verblüffende Weise das Leichte, Verschwindende, das Ephemere einer Wolke mit Hilfe des Übereinanderschichtens des semitransparenten Klebebandes eingefangen und bildlich manifestiert. Der dritte Raum wird durch das Oeuvre des in Hamburg lebenden Frank Gerritz dominiert. Seine spezielle Materialbehandlung, Werkherstellung und die Verschmelzung zwischen Zeichnung und Skulptur und Erweiterung der Bildfläche in die Dritte Dimension wird in diesem Raum deutlich. Die unmittelbare Relation der Skulptur zum Standflächendruck und umgekehrt, zeigt, dass Frank Gerritz nicht nur Bildhauer, Zeichner und Maler, sondern zudem ein Raumgestalter ist. Für den Betrachter entsteht ein Raumgefüge, in dem die Wechselwirkung von Ursache und Wirkung, aber auch Ruhe und Klarheit kontemplativ nachvollziehbar ist.2 Im vierten Raum finden sich mehrere Werke des bereits verstorbenen Rudolf de Crignis, die Utensilien zur Multiple Wandarbeit „blaues Dreieck“ des Environment- und Objektkünstlers Blinky 2 Vgl.: Christoph H. Seibt, Laudatio aus Anlass der Verleihung des Edwin Schaff-Preises 2010 an Frank Gerritz. Hamburger Kunsthalle am 4. November 2011.


Palermo (1943-1977), eine Arbeit von Douglas Allsop, eine weitere Arbeit von Mike Meiré und zwei Werke von Beat Zoderer. Der Schweizer Beat Zoderer ist ebenfalls mit einer Stempel-Papierarbeit „Stempelung“ aus dem Jahr 1998 vertreten, ebenso wie mit einer verblüffenden PVC-Hüllen-Arbeit aus dem Büroalltag. „Transparente Ordnung“, so lautet der Titel des Werks, das aus sechs verschiedenfarbigen Klarsichthüllen entstanden ist, die ineinander geschoben, an die Kunst von Paul Klee oder Piet Mondrian referieren. Zitat: „Dank Beat Zoderer wissen wir: auch das Langweiligste und Alltäglichste liegt nah an der Kunst. Und wenn der Büroalltag trist und öde ist, dann denke man an den Künstler und sein Abrakadabra mit DIN, RAL und ISO“3

der Mannigfaltigkeit und Komplexität der Kunst und ihrer Urheberschaft entspricht.

Abschließend noch ein Blick zurück in den Flur - auf die NeonArbeit „Brainwaves“ des niederländischen Künstlers Jan van Munster. Grundlage für dieses Werk ist die medizinische Aufzeichnung eines EEG – in diesem Falle die Gehirnströme des Künstlers selbst, die er in die Form einer geschwungenen Neonlichtlinie übertragen hat. Eine einfache rote Leuchtröhre, die jedoch die menschliche geistig-schöpferische Kraft bildnerisch und energetisch ausdrückt. Ein roter Faden, der in seiner Reduziertheit aber dennoch

Er legt sich ein beispielgebendes Kunst-Vokabular zu, immer auf der Suche nach dem weiteren, referierenden, dialektischen Werk.

3 Zitat: Suzann-Viola Renninger, Beat Zoderer, Aus Zweck wird Unzweck, Werke von Beat Zoderer in: Schweizer Monat. Die Autorenzeitschrift für Politik, Wirtschaft und Kultur, Ausgabe 955, Juli 2007, ProLitteris, Zürich 2007.

Carl-Jürgen Schroth sammelt Kunst und sucht der Erfahrungswelt des Alltäglichen, bis hin zum Beispiel des Büroalltags, eine spielerisch-lyrische, auch humorvolle Dimension abzugewinnen. Er setzt sich mit seinem Sammlungsinteresse mit naturwissenschaftlichen Regeln, Mathematik, Physik auseinander. Er liebt die Kunst in ihrer konkreten Form, deren Freiheit und geistige Dimension sich durch und in Folge ihrer Regeln und Beschränkungen ergibt.

Denn Kunst gibt eine, wenn auch ausschnitthafte Erklärung von Wirklichkeit wieder, nach der wir uns sehnen: die Erkenntnis von Welt und Wirklichkeit! Kathrin Ueberholz Kunsthistorikerin, MA


DOUGLAS ALLSOP

Douglas Allsop Diptych, 1 / 4 A + B, Kloster Wedinghausen Editor, one round hole 1:20. North, 2012 Diptych, 2 / 4 A + B, Kloster Wedinghausen Editor, one round hole 1:20. East, 2012 Diptych, 3 / 4 A + B, Kloster Wedinghausen Editor, one round hole 1:20. South, 2012 Diptych, 4 / 4 A + B, Kloster Wedinghausen Editor, one round hole 1:20. West, 2012 C-Print Auflage 100 Je 21 x 29.7 cm


EDITION SAMMLUNG SCHROTH 2012

Diese Edition von Douglas Allsop besteht aus acht digital bearbeiteten Photographien. Sie wurden aus dem Kloster Wedinghausen heraus in alle Himmelsrichtungen aufgenommen. Jedes Blatt ist vom K체nstler auf der R체ckseite signiert und nummeriert. Die Edition wird in einer Mappe mit Deckblatt geliefert.

Herausgeber: Edition Sammlung Schroth Photographien: Christoph Meinsch채fer, Arnsberg Hergestellt durch: Bartha Contemporary , London


Frank Gerritz INFORMATION, 2009-10 Paintstick auf bedrucktem Papier 23.7 x 15.8 cm



MARKUS LEITSCH

Markus Leitsch, *1978 in Klagenfurt, AT, lebt und arbeitet in Wien Spiegelndes Metall stellt in mehreren Arbeiten des Künstlers das Kontrastmaterial zu einem seiner anderen Hauptmaterialien, dem Fell dar. Das Glatte, Kalte, Reflektierende und Anorganische wird dabei dem Weichen, Warmen, Absorbierenden und Organischen gegenübergestellt. Durch die Faltung des Metalls in 90 Grad Winkeln wird zunächst das Bild, dessen Träger der Spiegel ist, gebrochen, während das Trägermaterial selbst einen Körper erhält und so zum Gegenstand der Betrachtung wird. Der Betrachter dagegen, der übliche Gegenstand der Betrachtung in einem Spiegel, kann sich zwar im Vorbeigehen dabei betrachten, wie er sich selbst näher kommt, verschwindet aber im Moment der frontalen Gegenüberstellung mit seinem Spiegelbild. Stattdessen trifft er auf eine gebrochene Reflektion des Hintergrundes, in der sich das Bild in einem geometrisch-abstrakten Muster ins Zweidimensionale auflöst. Die Verhältnisse in Bezug auf die Dimensionen haben sich also umgekehrt: während der flache Spiegel ein dreidimensionales Bild wiedergibt, wirft der dreidimensionale Spiegel ein zweidimensionales Bild zurück. In dieser „Reflektion“ über die mimetische, naturgetreue Widergabe eines Gegenstandes, über Bild, Bildgegenstand und den Gegenstand, der das Bild selbst ist, fallen Figuration und Abstraktion, Illusion und Wirklichkeit zusammen.

Markus Leitsch Mirror, 2011 Edelstahl 160 x 96 cm




JAN VAN MUNSTER

Jan van Munster, *1939 in Gorinchem, NL, lebt und arbeitet in Oost-Souburg, NL Der Niederländer Jan van Munster gehört zu den LichtkunstKlassikern. Bereits in den 60er Jahren, als junger Künstler von knapp über 20, war er in Ausstellungen in allen größeren Museen der Niederlande zu sehen, bald darauf wurde er auch international bekannt. Seit den 70er Jahren ist Licht ein fester Bestandteil seines bildhauerischen Repertoires – aber, und das ist ihm sehr wichtig, Licht ist keinesfalls das einzige Material, mit dem er arbeitet. In den 60er Jahren wurde er mit Plastiken aus Holz, Stein, Ton und Bronze bekannt, im Laufe der Jahre kamen Kunststoffe und Glas hinzu, bevor er begann, auch mit so ungewöhnlichen Materialien wie Kälte, Wärme, elektrischen und magnetischen Feldern, Radioaktivität und schließlich Licht zu arbeiten. Angesichts der großen Vielfalt und Verschiedenheit der Materialien Jan van Munsters ist es schon fast verblüffend, wie homogen sein Werk auf thematischer Ebene ist. Über Jahrzehnte hinweg scheint er mit größter Konsequenz ein einziges Thema zu verfolgen. Er findet zwar immer wieder neue Aspekte, Fassetten und Blickwinkel, aber im Grunde dreht sich bei ihm alles um das Eine: um Energie! Was ist Energie überhaupt? Wo steckt sie drin? Welche Form kann sie annehmen? Wie wird sie übertragen, gespeichert, erzeugt oder verschwendet? Energie begegnet uns in allen Bereichen des Lebens: Wärme, Licht, Beschleunigung, elektrische und magnetische Wellen sind Formen von Energie, die von der Physik beschrieben werden. Abgesehen davon aber gibt es noch eine Reihe rätselhafter Phänomene, mit denen sich seit Jahrhunderten und in fast allen Kulturen Philosophen und andere Geistes- und Sozialwissenschaftler beschäftigen. Lebensenergie, geistige Energie, emotionale Energie und noch viele Formen von Energie mehr. Bei so viel wissenschaftlichem Hintergrund könnte man annehmen, dass auch Jan van Munster das Thema auf intellektueller Ebene

Jan van Munster Brainwave, 2004 Neonröhren 285 cm

verfolgt. Aber: Das Gegenteil ist der Fall! Auch wenn er seine künstlerische Arbeit durchaus in der Rolle eines Forschers betreibt, der sich durch Versuche und Experimente dem Kern einer Sache immer weiter annähert, geht es ihm in allererster Linie nicht um das rationale Erfassen und Begreifen von Energie, sondern um ihre sinnliche Erfahrung. Energie ist für ihn nichts Abstraktes oder vom konkreten Leben Losgelöstes. Energie erfahren wir durch seine Werke als etwas, das jeden von uns (den Künstler selbst eingeschlossen) persönlich betrifft und das mit uns in engster Verbindung steht. Über seine Arbeiten sagt van Munster: „Sie sehen zwar aus wie abstrakte Kunstwerke, aber im Grunde bin ich ein realistischer Künstler.“ Die Energie des Künstlers steht im Mittelpunkt der Werkgruppe „Brainwaves“ Jan van Munsters. Beim Blick auf die gewundenen Linien eines Elektroenzephalogramms, also einer Aufzeichnung der im Gehirn zu messenden Stromflüsse, kam ihm der Gedanke: „Warum soll ich immer neue Formen erfinden, wenn mein Kopf dies schon von ganz allein macht?“ Und so ließ er ein EEG seiner eigenen Gehirnströme aufzeichnen und nahm die dabei entstandene Linienzeichnung zum Ausgangspunkt einer Reihe von Lichtobjekten. Die mit den Gasen Neon (rot) oder Argon (blau) gefüllten Leuchtstoffröhren bilden jeweils einen kleinen Ausschnitt einer Linie von van Munsters EEG nach. Sie sind Zeichen seiner Gehirnaktivität, im Grunde also ein auf die absolute Essenz reduziertes Symbol für etwas unfassbar Großes: die geistigen Leistungen, die kreative Energie, kurzum: das Genie des Künstlers. Moment mal, so einfach soll sich zeigen lassen, worüber Philosophen und Kunstwissenschaftler seit Generationen rätseln? Natürlich nicht. Die wunderbar mäandernden Linien von van Munsters „Geistesblitzen“ werfen eine ganze Menge Fragen auf: Was zeigt ein EEG eigentlich wirklich? Und was lässt sich aus dem kleinen Ausschnitt, den van Munster für uns zum Leuchten bringt, tatsächlich ablesen? Auf jeden Fall nichts, was den Künstler allein beträfe. Und so stellt er gleich selbst die Einzigartigkeit seiner Gehirntätigkeit in Frage, indem er die Wellen vervielfältigt, vergrößert, verkleinert und über den Kunstmarkt oder Installationen im öffentlichen Raum als für alle zugängliches Allgemeingut kennzeichnet. Sie bieten also jede Menge Stoff zum Weiterdenken. Dr. Julia Otto, Auszug der Einführung in die Ausstellung Leuchtzeichen von Jan van Munster am 30.10.2009 im Kunstmuseum Celle mit Sammlung Robert Simon


BLINKY PALERMO

Blinky Palermo, *1948 in Leipzig, †1977 Schon in der Studienzeit bildeten sich enge Freundschaften zu den Künstlerkollegen Sigmar Polke, Gerhard Richter und Imi Knoebel. Palermo arbeitete im Laufe seiner kurzen Karriere mit unterschiedlichen Medien und Techniken. In Anlehnung an den Suprematisten Kasimir Malewitsch entwickelte Palermo „sein Werk auf der Grundlage eines komplexen und experimentellen Umgangs mit Form und Farbe“ und setzte einen neuen „Standard des Sehens“. Eine erste Abweichung vom üblichen Tafelbild waren seine Wandobjekte, mit Leinwand oder Klebeband umwickelte Holzformen wie Grünes T, 1966, Komposition Rot/Orange, 1967 oder Blaue Scheibe und Stab, 1968 sowie Stoffbilder aus verschiedenfarbigen Nesselbahnen wie Stoffbild, 1966. Letztere fertigte er von 1966 bis 1972 an. Ab 1968 und bis 1973 widmete sich Palermo auch der Wandmalerei und Wandzeichnerei. Unter anderem in Kunstgalerien, aber auch im Münchener „Kunstforum“, entstanden mehr als 20 Arbeiten dieser Art. „Blinky Palermos ortsbezogene Arbeiten machen Raumbezüge anschaulich.“ (aus Blinky Palermo, Biographie) Bei fast allen Palermo-Schöpfungen ist die Präsentation und Hängung der Bilder/Objekte sehr wichtig und Teil des Werks. Dies setzt sich zum Beispiel auch in der Art der in dieser Ausstellung präsentierten Arbeit und der dazugehörigen Anweisung an die Besitzer der Edition „Blaues Dreieck“, 1969, fort. Nicht zuletzt wegen seines frühen und nicht eindeutig geklärten Todes ist Palermo eine „mythische Figur der NachkriegsKunst“ (Laura Cummings) geworden, eine Art „James Dean der Kunstszene“. Seine Arbeiten würden auch Zeugnis geben

von einem großen, nicht ganz realisierten Talent und Potential. Vor allem Palermos Farbfeld-Wandmalereien werden als Erweiterung der Malerei in den Raum begriffen; die sonst unsichtbare architektonische Umgebung wurde mit ihrem Beitrag zur Wirkung des Kunstwerkes sichtbar gemacht. Andere sehen hier die Mystifizierungsmaschinerie des Kunstmarktes am Werk, welche einen Künstler verklären will, der im Grunde nur ein „Innenarchitekt mit hochfliegenden Ideen“ (aus Blinky Palermo, Biographie) gewesen sei. Auf jeden Fall bleibt Palermo ein schwer einzuordnender Künstler: er steht weder für die einfach darstellende, noch für die rein abstrakt-konzeptuelle Kunst. Manche interpretieren ihn als Minimalisten, andere sehen dafür zu viele sinnliche und taktile Qualitäten am Werk. Bei Palermo treffen Zitate der Wirklichkeit, wie zum Beispiel das Design eines Flipperautomaten, auf konzeptuelle Aspekte. Die Werke wirken gleichzeitig „mönchisch und schalkhaft.“ (aus Blinky Palermo, Biographie) Palermos „frühe Ausrichtung an konstruktivistischen Bildelementen und Farbfeldmalerei blieb für sein ganzes Werk bestimmend“ (Prestel-Künstlerlexikon). Die Distanz der materialen und reduzierten Kunst Palermos zum Stil seines transzendentalistisch-tiefgründelnden Lehrers Joseph Beuys wurde oft vermerkt. Seine Bilder wurden mit etlichen theoretischen Analysen überzogen. Dabei scheinen sie „viel zu fragil zu sein, um so viel angestrengte Theorie auszuhalten.“ (Laura Cummings) aus Wikipedia: Blinky Palermo

Blinky Palermo Blaues Dreieck, 1969 / 2012 Guache Edition 6 von 50 23 x 46 cm




RAUM 1







BRENT BIRNBAUM

Brent Birnbaum *1977 in Dallas, TX, USA, lebt und arbeitet in Brooklyn, NY, USA Brent Birnbaum benutzt eine Vielzahl an Medien, mit denen er auf ästhetische Weise zur Reizüberflutung neigt, dies ist jedoch als ironische Konfrontation zu sehen. Birnbaums erste Neonarbeit „That’s what (s)he said) ist eine ironisch gemeinte Erfahrung des Mediums, und ihrer langen, berühmten Geschichte. Solche wie Bruce Nauman, Jason Rhoades and Tracey Emin inspirieren ihn, Birnbaum erkennt alle Neonwerke an die vor Ihm kamen, wörtlich: „That’s what (s)he said.“ Über den kunstgeschichtlichen Bedeutungsumfang hinaus, ist die Phrase „That’s what (s)he said“ in der amerikanischen Popkultur schon seit Jahrzehnten regelmäßig genutzt. Die junge Generation denkt an humoristische sexuelle Bezüge, während aus der Perspektive der Älteren eher der Film „Wayne’s World“, bis hin zur Fernsehserie „The Office“ von Bedeutung sind. Unabhängig davon, ist es Birnbaums Glaube, das wir stets reales Leben mit dem der Fiktion in Verbindung bringen. Daria Brit Shapiro

Brent Birnbaum That’s what (s)he said., 2011 White Neon 120 x 10 x 7 cm


BURGHARD

BURGHARD, Künstlerpaar, lebt und arbeitet in Berlin Romy und Stef beobachten Veränderungen in der Umwelt an Gebäuden, dokumentieren solche Veränderungen und bedienen sich in der Umsetzung derartiger Informationen alltäglicher, im Zusammenhang mit den Veränderungen stehender Gegenstände. Film, Photo, Papier, Zeitung, meist fragmentarisch genutzt, sind ihre Kommunikationsmittel. Die hier ausgestellte Bodeninstallation FORMZWECK reproduziert die Druckformate von DIN A0 bis herunter auf DIN A7 mittels Schieferplatten, die, unbedruckt, ihre eigene Information durch ihre kristallinen wie auch oberflächlichen Struktur tragen und mitteilen. In ihrem Format exakt, sind sie aber im Randbereich ungenau und lassen somit die Frage offen, in wie weit die auf einem Informationsträger befindliche Information vollständig oder auch wahrheitsgemäß ist.

Burghard Detail: FORMZWECK, 2009 Schiefer, 19-teilig 255 x 168 cm




JEAN-FRANÇOIS DUBREUIL

Jean-François Dubreuil, *1946 in Tours, Frankreich, lebt und arbeitet in Paris Seit Mitte der 70iger Jahre basieren Jean-François Dubreuils Arbeiten auf einem von ihm entwickelten und durchdachten System: Seine Malereien sind demzufolge eine Abschrift von Nachrichtenveröffentlichungen in Farbe. Wenn man sich diesen Grundsatz vor Augen hält, sind alle seine Überlegungen die später auf der Leinwand repräsentiert werden, Berichte der gedruckten Massenmedien, meistens lokaler, nationaler, und ausländischer Zeitungen (entweder Nachrichten der Titelseite oder der gesamten Ausgabe), oder auch Magazine in ihrer Gesamtheit. Die Logik der Serienkunst herrscht hier vor, wenn auch eine entwickelte Serie nur einen Nachrichtengegenstand umsetzt. Zum Beispiel: Die Abschrift aller französischen überregionalen Zeitungen an einem bestimmten Tag; oder eine gegebene Veröffentlichung über mehrere aufeinander folgende Tage; oder ein und dieselbe Bekanntmachung die mehrmals aufgegriffen wird und nach verschiedenen Kriterien oder unterschiedlichen Layoutmustern dargestellt wird. Die Skalierung und die Anordnung der Seiten sind abhängig von der Seitenzahl der ausgewählten Publikation/en, und / oder von der Größe der verwendeten Leinwand.

Jean-François Dubreuil Liberation, 1991 Acryl auf Leinwand 126 x 56 cm

Von Anfang an nutzt Dubreuil ein Raster, das die Farben bestimmt: rot für Werbung, schwarz für Fotos, grau und weiß für alle anderen Felder die nicht von den vorgenannten Farben belegt waren. Andere Farben können bei Bedarf dem Grundmuster hinzugefügt werden, in diesem Fall wird die Anzahl zusätzlicher Farben durch die Publikation selbst und das gewählte Raster speziell für diese Serie / Folge definiert. Zum Beispiel: die Flächen von Artikeln auf der Titelseite, die im Inneren der Zeitung weitergeführt werden, werden hervorgehoben indem sie jeweils eine andere Farbe erhalten, die Reihenfolge der Farbe wird durch eine zufällige Auswahl getroffen. Durch solche Einschränkungen hat Dubreuil kompositorische Entscheidungen beseitigt, welche durch die Struktur der Publikation vorgegeben sind; ebenso wenig benutzt er bestimmte Regeln wenn es darum geht Farben nebeneinander zu setzen. Wie Dubreuils Arbeiten zeitbezogen sind, hat er diese zeitliche Definition zu den Formzwängen hinzugefügt: jede Serie ist codiert anhand der chronologischen Folge der dargestellten Publikation. Diese von Dubreuil frei angenommene Systematik führt zum Verzicht auf die meisten Vorrechte individueller Entscheidung eines Künstlers, jedoch erlauben ihm diese, das Medium Malerei auf eine möglichst objektive Weise zu hinterfragen.


STEFANA MCCLURE

Stefana McClure, *1959 in Lisburne, Nord Irland, lebt und arbeitet in Brooklyn, NY, USA Stefana McClure ist wahrscheinlich am besten für ihre „Filme auf Papier“ bekannt. Diese bis heute andauernde Serie monochromer Bilder schafft die Künstlerin aus einer Abfolge von überlagerten Untertiteln, Intertiteln oder speziellen Untertiteln für Hörgeschädigte und stellt somit ganze, oft ausländische, Filme dar. In einem kürzlich erschienenen Artikel, geschrieben von Robert Davis und veröffentlicht im „Paste Magazine“ stellte der Kunstkritiker fest, dies sei ein „scheinbar zwanghaftes Kunstprojekt, in dem sie mühsam alle Untertitel eines Filmes zusammenträgt, in Schichten übereinander .... daraus ergibt sich ein abstraktes Bild, ungefähr der Größe eines Computerbildschirmes, das nicht die Geschichte oder die Kinematographie eines Filmes einfängt, sondern die Form und Platzierung seines Textes, den Teil des Films, den man normalerweise übersehen sollte …. Ihr mühsamer Vorgang des Übertragens offenbart nicht nur Muster die wir normalerweise ignorieren, sondern er erfasst scheinbar etwas Wesentliches der Sprache dahinter - die Sprache innerhalb jeden Films.“

Stefana McClure Touch of Evil, japanische Untertitel eines Orson Wells Films, 2003 Wachspapier 76,5 x 60,5 cm




MIKE MEIRÉ

Mike Meiré, *1964 in Köln, Lebt und arbeitet in Köln „Das grundsätzliche Thema für mich ist das Leben mit seinen Stationen: Geburt, Biografie, Tod. Dazu schaffe ich Installationen, Objekte, Keramiken, Malereien, welche die Bewegung und Entwicklung des Lebens aufzeigen. Eine prozesshafte Ästhetik, in der es mir um Gesten, Posen, Klischees und Codes geht. Ein permanentes Oszillieren zwischen Intellekt, also der Erkenntnis des Geistes und dem Trieb, der Bedürfnisbefriedigung.“ Wir befinden uns an der Schwelle von der Industriegesellschaft zur Wissensgesellschaft. Information wird zum wichtigsten Rohstoff. Das Internet mit seinem unendlichen Datenraum übernimmt zunehmend die Rolle unseres kollektiven Gedächtnisses. Dennoch hat das Format der Zeitung seinen Stellenwert. Die Zeitung ist einer der ältesten Wissensträger, sie strukturiert den täglichen Informationsfluss. AMOK ist eine fraktale Collage die sich aus diversen Zeitungsseiten zusammensetzt. Anstelle von Farbe sind es die teilweise verwitterten und gefalteten Texte und Bilder selbst, welche die Komposition bestimmen. Der alltägliche Wahnsinn des Lebens wird zum Rohstoff an sich.

Mike Meiré AMOK, 2010 Verwittertes Zeitungspapier und Klebeband 100 x 70 cm

SUICIDE transformiert den Schmerz der Fans über den Selbstmord „ihres“ deutschen Nationaltorhüters Robert Enke im November 2009. Die drei übereinander platzierten Seiten aus dem Nachruf einer Sonderbeilage fügen sich zu einer Art Mahnmal. Der Aufbau der Zeitungsseiten leitet sich aus dem Flächenraster der unterschiedlich großen und kleinen Nachrufe der Trauernden ab. Das Leben und seine mediale Dokumentation folgen somit den ökonomischen Sachzwängen heutiger Informationsmedien. Die formale Strenge der Komposition ist ein Ergebnis dessen. Mir geht es um das Sichtbarmachen dieser systematisch effizienten Informationsarchitekturen. „Es ist dieser alltägliche „flow of life“ der mich interessiert. (day in day out)“

Mike Meiré


BOSSE SUDENBURG

Bosse Sudenburg, *1975 in Magdeburg, lebt und arbeitet in Berlin Fiona McGovern schrieb: „Perfekt verarbeitete, häufig reflektierende Oberflächen kennzeichnen Bosse Sudenburgs überwiegend in reduziertem Schwarzweiß gehaltene Arbeiten. Spiegel dienen dem Display von Objekten oder als ‚Malgrund‘ und erzeugen so Mehrfachansichten wie die Überblendung von Kunstwerk und Betrachtersituation. In unterschiedlichen Medien wie Video, Skulptur und Zeichnung greift Sudenburg das Spiel mit Dopplungen sowie der Variation bestimmter Formen und sprachlicher Elemente auf.“* ¥€$, New Markets and old Habits! In der hier gezeigten Neon-Arbeit YES, entstanden vor der gegenwärtigen Finanzkrise, wird die gesamte Spannung zwischen Positivismus, ausgestrahltem Optimismus, Finanzliberalismus und dem weltumspannenden Konflikt zwischen Kapital und Sozial ausgedrückt.

* Auszug aus einem Vortrag zu den Arbeiten Bosse Sudenburgs. Fiona McGovern ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Sonderforschungsbereich 626 „Ästhetische Erfahrung im Zeichen der Entgrenzung der Künste“, Freie Universität Berlin

Bosse Sudenburg ¥€$ New Markets and old Habits!, 2008 - 09 Neonlicht Auflage 5 von 5 19 x 35 x 14 cm



Ignacio Uriarte, *1972 in Krefeld, lebt und arbeitet in Berlin Uriarte ist durch Arbeiten bekannt geworden, f체r die er Utensilien aus der banalen Welt des B체roalltages benutzt. Durch Wiederholungen von beil채ufigen Gesten und durch die Dekontextualisierung der verwendeten Materialien entstehen Werke, die sich formal und inhaltlich auf die Minimal Art und Konzeptkunst der 60er und 70er Jahre beziehen. Aus Text zur Ausstellung Arbeitsrhytmus, 2012, Figge von Rosen, Berlin


IGNACIO URIARTE

Ignacio Uriarte Fold Spin Couples, 2011 Papier A4 6-teilig



RAUM 2





JULIETA ARANDA

Julieta Aranda *1975 in Mexico City, Mexico, lebt und arbeitet in Mexico City und Berlin Es gibt zwei traditionell rivalisierende Betrachtungsweisen von Zeit: diejenige auf Materialismus beruhende, die Zeit als unabhängig von Ereignissen innerhalb der Zeit existierend definieren, und die rationalistische Betrachtung, nach der Zeit aus der Aneinanderreihung von Ereignissen besteht, und hauptsächlich als Anzahl von Veränderungen gemessen wird. Julieta Arandas Arbeit befasst sich oft mit Zeit und subjektiven Zuständen. In den Arbeiten „Between timid und Timbuktu: (Zeit ohne Ereignisse) untersucht sie die widersprüchlichen Aussagen zur Zeit um den Raum zwischen Veränderung und Möglichkeit zu untersuchen und zu verstehen, den Zwischenraum als ein zeitlich begrenztes Vakuum zu sehen, ein vollständiges Nichts, in dem gegenständliches, Ereignisse oder Wahrheit entstehen können. Im Timaios konfrontiert uns Plato mit einer Definition des Beginns der Zeit als die erste Regung der Himmelskörper, woraus sich der Zusammenhang zwischen Zeit und Veränderung ergäbe.

Konzept in dem, mit ihren eigenen Worten gesagt, „von der Veränderung unabhängige Zeit bedeutet, dass anstelle unendlicher Verzögerung die Gegenwart ein Raum unendlicher Veränderung wird, der notwendiger Weise nicht im Verhältnis steht zu „was gewesen ist“ oder zu „was da passieren wird“. Zusätzlich als Wink an die substanzialistische Betrachtung von Zeit macht sie Anleihen beim Titel eines fiktionalen poetischen Buchs, das in der Novelle von Kurt Vonnegut „The Sirens of Titan“ vorkommt: „Between timid and Timbuktu“*, ein Titel der sich davon ableitet, dass in sehr kleinen englischen Wörterbüchern alle Vokabeln zwischen timid und Timbuktu, eine gewollte Umkehrung, denn orthographisch wäre „zwischen Timbuktu und timid“ die korrekte Reihenfolge, auf Zeit bezogen sind: z.B. timeless, timely, timer. Gemäß Aristoteles sind alle Versuche die Zeit zu stoppen vergebens, daher können wir auch die Veränderung nicht stoppen. Sollten aber alle Veränderungen gestoppt werden können, wäre das ebenfalls das Ende der Zeit?

Aristoteles bezieht sich darauf argumentierend, dass Zeit nicht identisch mit Veränderung sein könne, weil, im Gegensatz zur Zeit, erstens Veränderungen in unterschiedlichen Geschwindigkeiten erfolgen können, zweitens Veränderung immer an einen Ort gebunden, während Zeit allgegenwärtig sei. Julieta Aranda stellt im Gegenzug die Frage was es bedeute wenn man über „jemandes eigene Zeit“ spricht? In ihren Arbeiten setzten sich die festgehaltenen Reflektionen von Spiegeln in Spiegeln, auf Spiegel aufgedruckt, mit der Gleichstellung von „leerer Zeit“ und „unveränderlicher Zeit“ auseinander. Sie untersucht die Zeit als ein nicht messbares

timid = scheu, schüchtern

Julieta Aranda Between timid and Timbuktu, 2011 Spiegel Auflage 1 von 5 46,2 x 32,7 cm

Julieta Aranda Between timid and Timbuktu, 2011 Spiegel Auflage 1 von 5 29,7 x 21 cm

Nach einem Text zur Ausstellung „Between timid and Timbuktu“: (A time without events), 2011, Galerie Niklas Belenius, Stockholm


JILL BAROFF EVERYTHING IS A PROCESS Jill Baroff *1954 in New Jersey, lebt und arbeitet in Brooklyn, NY Auch für den, der nicht um ihren Hintergrund und Kontext weiß, zeigen die Zeichnungen Jill Baroffs unmittelbar etwas, das mit Rhythmen, Wiederholung, mit zyklischem Geschehen zu tun hat. Zugleich machen sie sichtbar, wie sich in diesen Repetitionen kleinste Rückungen, allmähliche Verschiebungen vollziehen. Diese Irritationen des vermeintlich Gleichen sind augenfällig in zweierlei Hinsicht. Zum einen in den stets minimal voneinander abweichenden, sich immer wieder, mitunter nur um Winzigkeiten verändernden Distanzen zwischen den Linien aus denen sich Baroffs Tide Drawings aufbauen, die sich stellenweise – und auch dies mit einer gewissen Regelmäßigkeit – verdichten, beinahe berühren. Zum anderen sind es zeichnerische Details, bedingt durch das Eigenleben der Materialien und die Unwägbarkeiten der Handarbeit beim Zeichnen, die zu Abweichungen, kleinen Unterbrechungen, Unregelmäßigkeiten bis hin zu fleckigkleinteiligem oder flächigem Ineinanderlaufen der Tinte und Beschädigungen des Papiers führen. Bei aller zunächst fast technisch anmutenden Präzision erweisen sich diese Blätter – gerade aus der Nahsicht, bei einer allmählichen Lektüre – als ereignisreiche, visuell lebendige Bildräume im fundamentalen Spannungsfeld von Differenz und Wiederholung, augenblicklicher Einmaligkeit und Permanenz. Tide Drawings, Gezeiten-Zeichnungen, nennt Jill Baroff ihre seit 2002 entstehende umfangreiche Werkgruppe zu der auch die Arbeiten dieser Ausstellung gehören. Zeichnen wird von Jill Baroff in einem denkbar weiten Sinn verstanden und schließt über traditionelle Vorstellungen hinausgehende Aktivitäten mit ein. Aus detaillierten, im Internet abrufbaren, ortsbezogenen Gezeitentabellen, die die sich stetig verändernden Wasserstände für Zeitintervalle von wenigen Minuten angeben, dienen der Künstlerin als Basis ihrer Arbeit; die Titel der Zeichnungen beziehen sich auf die entsprechenden Orte, manchmal ergänzt um Hinweise auf besondere Umstände (Hurricane Isabelle) oder bei mehrteiligen Arbeiten versehen mit genaueren Zeitangaben (New York Harbour March 31 – April 30, 2005). Die Square Drawings mit ihren unregelmäßigen Gittern aus horizontalen und vertikalen Linien trennen zwischen steigendem und fallendem Wasser, indem jeweils eine Bewegung ihre Entsprechung in den Waagerechten, die andere in den Senkrechten hat.

Die unmittelbare Arbeit an den Blättern folgt strikt den computergenerierten Vorgaben. Jede Linie, jeder Kreis wird gemäß dieser Vorlage – schmalen Papierstreifen mit ausgedruckten Strichdiagrammen – mit Hilfe von Lineal oder Zirkel mit der Reißfeder gezogen, einem ursprünglich für technisches und kartographisches Zeichnen entwickelten Präzisionsinstrument. Als weiteres Arbeitsmaterial dient Jill Baroff pigmentierte Tinte. Die Künstlerin nutzt sie in einer begrenzten, innerhalb der wenigen Farben jedoch vielfach nuancierten Skala. Das zunächst häufig verwendete Blau wurde wegen seiner zu unmittelbaren Identifikation mit Wasser zunehmend durch Schwarz und Rot ersetzt; eher selten sind gelbe oder grüne Tide Drawings. Als Träger aller ihrer Zeichnungen dient Gampi, ein äußerst dünnes, halbtransparentes, trotzdem erstaunlich robustes Papier, das traditionell in Japan gefertigt und von Jill Baroff seit den frühen neunziger Jahren für viele ihrer installativen und zeichnerischen Arbeiten verwendet wird. Nach dem Beschneiden des Blattes auf sein endgültiges Format wird es auf festem Karton montiert. Im Rahmen dieses Prozesses, wird die Zeichnung in einem den Arbeitsprozess abschließenden, riskanten Akt vollständig in Wasser getaucht und so vorübergehend dem Element ausgesetzt, dessen unentwegtes Steigen und Fallen an den Küsten die Tide Drawings reflektieren. Die Tide Drawings beziehen sich auf konkrete Orte, basieren auf bestimmten Zeitabschnitten, objektiven Daten. Die Entscheidung für diese Plätze an den Küsten Amerika und Japans ist jedoch subjektive Wahl der Künstlerin. Sie entwickelte sie aus dem Bedürfnis sich mit den Wasserbewegungen um ihre Heimat New York zu beschäftigen, später entstanden verwandte Arbeiten zu von ihr besuchten Orten und solchen, auf die sie neugierig war. Vor diesem Hintergrund erscheint es plausibel in den Tide Drawings auch persönliche, diskrete Wasserlandschaftszeichnungen zu sehen. Wie Ausschnitte aus einem potentiell unendlichen Ganzen erscheinen beide Formen der Tide Drawings. Jenseits der Blattränder könnte sich fortsetzen, was diese Grenzen des sichtbar gemachten scheinbar willkürlich abschneiden. Keinen Anfang, kein Ende, keinen Halt weisen die Square Drawings auf. Als anschauliche Parallelen zum Naturprozess von Ebbe und Flut vergegenwärtigen sie mit den Möglichkeiten prozessualen Zeichnens Geschehnisse, die durch ihre ungeheure zeitliche


Kontinuität weit über menschliches Maß hinausweisen. Von den Gezeiten, die keinen Stillstand und keine Wiederholung kennen, die ununterbrochene Veränderung und also in exemplarischer Weise selbst Prozess sind, handeln diese Zeit aufhebenden Zeichnungen, zeitigen sie fortwährenden Übergang. Die Überschrift zitiert eine Äußerung Jill Baroffs während eines Gesprächs mit dem Autor am 17.05.2008.

Jens Peter Koerver

Jill Baroff Detail: Rotes Gezeiten Triptych, 2010 Rote Tinte auf japanischem Gampi Papier Je 50 x 50 cm


SABINE BOEHL

Sabine Boehl, *1974 in Darmstadt, lebt und arbeitet in Düsseldorf und Istanbul Aus einem Interview von Necmi Sönmez mit Sabine Boehl anlässlich der Ausstellung im Kunstverein Arnsberg, 2008: N.S.: Deine neuen Arbeiten entwickeln sich über das Monochrome hinaus in eine Vielfarbigkeit, die eindeutig simultan geprägt ist. Interessant ist zu beobachten, wie diese Farbstrukturen durch das Eintreten von figürlichen Elementen unterbrochen werden. Dadurch entsteht eine spürbare Spannung, die den Betrachter in ihren Bann zieht. Was denkst du drüber? S.B.: Wirklich monochrom sind ja auch die Perlarbeiten nicht – zwar reduziert in der Farbigkeit – konzentriert auf ambivalent konnotierte Farben wie Weiß und Grau, aber das sind die neuen Arbeiten auch – stärker farbig wirken sie vielleicht, weil am Ende noch eine Farbschicht überlasiert wird. Hier werden aber immer Komplementärkontraste eingesetzt – gelbe Strukturen also mit violett überlasiert usw. … im Vorfeld dieser Arbeiten liegt die Serie abstrakter Arbeiten auf Papier MEMORY, von denen auch eine in der Ausstellung zu sehen ist. Auch hier waren Toroiden bzw. Torusknoten über einem Raster platziert, das dieser Anordnung als Matrix dient. Mit diesen aus sich überlagernden geometrischen Grund Modulen generierten Figuren ist natürlich auch wieder eine Nähe zu islamischen (Kachel-) Dekoren gegeben durch das lavierende Übermalen der beiden Schichten mischen oder vermischen die Linien je nach Auftrag- Vorder- und Hintergrund werden zu einer indifferenten Einheit und changieren zwischen vorn- hinten oder malerischem und zeichnerischem Duktus.

Sabine Boehl Memory (renza sottotoitoli I), 2007 Buntstiftzeichnung auf Papier 50 x 50 cm




SPENCER FINCH

Spencer Finch, *1962 in New Haven, Connecticut, USA, Arbeitet in Brooklyn NY, USA Spencer Finch beobachtet aufmerksam die unsichtbare Welt, während er gleichzeitig bestrebt ist, die Hintergründe seiner Beobachtungen zu begreifen. Der Künstler nutzt immer wissenschaftliche Messmethoden, um letztlich zu seiner charakteristischen Poesie zu gelangen. Frei von jeder daraus entstehender Erwartung, ergeben Finchs Bemühungen um Genauigkeit, seine präzisen Messungen unter verschiedenen Bedingungen und zu unterschiedlichen Tageszeiten, keinen empirisch-präzisen Nachweis des Objekts. Geradezu gegensätzlich verstärken seine mit Beharrlichkeit angewandten Methoden den Eindruck der Vergänglichkeit, der Endlichkeit der beobachtbaren Welt. Sie illustrieren die eigene Version einer „Relativitätstheorie“. Finch steht auf dem Standpunkt dass Kunst mehr leistet: „sie kann unsere Fähigkeiten, Wunder(bares) zu erkennen entfachen“.

Kann das Auge des verwunderten Betrachters auf der ersteren keine gestalterische Aktion erkennen, wenngleich Finch von einer, wenn auch nur marginalen chemischen Veränderung durch die Schneeflocken ausgeht, so sind die 700 Farbflächen auf 100 Blättern, jeweils ein Pixel aus jeder der 700 Aufnahmen repräsentierend, ausgewählt. Die vom Sonnenstand, der wechselnden Bewölkung und dem sich minütlich ändernden Reflektionsvermögen des Hudson Rivers ergeben diese Farbveränderungen, korrespondierend mit Ebbe und Flut, die den Fluss auf der Höhe Manhattans in beide Richtungen fließen lässt. Diese Arbeit auf Papier gibt Spencers große 700-teilige Glasarbeit an der High-Line in Manhattan wieder.

Mit der Finch zuzuschreibenden Akkuratesse von Beobachtung und Umsetzung, aber auch einem hintergründigen Humor, finden wir in dieser Ausstellung Arbeiten, die beides repräsentieren. Herauszuheben sind als Pole dieser Positionen die Arbeit „Seventeen melting Snowflakes“ und „The River that flows both Ways“.

Text aus: Susan Cross, What time Is It on the Sun pp. 9-17, 2007, gekürzt aus dem Amerikanischen und ergänzt von Carl-Jürgen Schroth

Spencer Finch Cloudy Study Cumulus mediocris, 2010 Scotch Klebeband auf Papier 76.9 x 55.9 cm


Spencer Finch The river that flows both ways, 2010 100 Seiten, Deckblatt und Colophon Tinte auf Papier Auflage 3 von 15 50 x 34 x 8 cm



ANTON QUIRING

Anton Quiring, *1970 in Tadschikistan, lebt und arbeitet in Frankfurt am Main Anton Quiring arbeitet bis auf wenige Ausnahmen mit einer sehr stark reduzierten Farbpalette. Braun, Grau, Weiß oder Schwarz sind die vorherrschenden Farben. Von monochromer Malerei ausgehend, schuf er in den letzten Jahren Zeichnungen, Objektbilder, Miniaturarchitekturen und Installationen. Seine Arbeiten weisen oft eine stark narrative Ebene auf. Ihre Titel, wie „Weltenskizze“ oder „Über der Tiefe“ fungieren dabei wie Wegweiser für den Betrachter. Es sind verschlüsselte, kritische oder auch sympathisch-menschliche Geschichten. Sie finden teilweise in Miniaturarchitekturen Raum und wirken seltsam vertraut.

Monochrome Arbeiten bieten ein Gegengewicht zu diesem erzählerisch angelegtem Werk. So basiert die Werkgruppe „Phoenix“ auf dem Grundprinzip der radikalen Malerei, die allein auf die spezifische Ausdrucksqualität der Farbe und ihrer Malstruktur vertraut, somit einem puristisch-asketischen Ansatz folgt. Aus dem Feuer gezogene verkohlte Holzscheite, gelöscht, zerstampft und zu einer Eitempera angerührt ergeben einen fein-kristallinen, in sämtlichen Farben changierenden Ausgangsstoff. Als Bildträger dient Holz in seiner Rohform. Es vollzieht sich die Verwandlung vom dumpfen Schwarz in ein Höchstmaß an Farbigkeit. Bildlich gesprochen trägt der Phoenix Purpur, das ist ihm Antwort genug.

Eine größere Werkgruppe dieser Art sind „Die Reisen des Kosmonauten Petrov“. Er erkundet mit seinem Hausraumschiff und mit Hilfe selbstgebauter Instrumente die Welt und ihre Grenzen. Eine weitere Figur ist der „Kosmosmann“, der durch Zeichenbilder spricht. Die reduziert gehaltenen Objektbilder haben einen poetischen Wert und behandeln Schlüsselthemen Quirings.

Anton Quiring Phoenix I, 2011 Eitempera mit Holzkohlepigmenten auf Holz 46,5 x 34,5 cm

Anton Quiring Phoenix II, 2011 Eitempera mit Holzkohlepigmenten auf Holz 46,5 x 36,5 cm




KLAUS STAUDT

Klaus Staudt, *1932 in Otterndorf, Niederelbe, lebt und arbeitet in Frankfurt am Main Wir dürfen generell die Linie als Ergebnis von Ordnung, Disziplin und rationalem Kalkül verstehen. Ihr gegenüber steht die Farbe als Ausdruck von Emotion und unmittelbarer malerischer Kraft. Eine solche Gleichung lässt sich nicht nur für die beiden Künstler Albers und Staudt aufmachen, sie entspricht auch einer spätestens seit der Renaissance in der westlichen Malerei zu beobachtenden Auffassung. Bereits damals meinte man in der Position venezianischer Maler, wie Giovanni Bellini und Tizian, die sich ganz der Wirkung der Farbe anvertrauten, und der Betonung der Linie in Florenz eine Dichotomie zu erkennen, die das Feld der Malerei insgesamt absteckt. Diese Spannung lässt sich dann später wiederum zwischen Rubens und Poussin beobachten und genauso im 19. Jahrhundert zwischen Delacroix und Ingres als zentralen Protagonisten.

Staudt arbeitet als Zeichner grundsätzlich nicht mit dem undefinierten Papierbogen, sondern setzt sich auf der leeren Fläche des Papiers eine strukturelle Vorgabe, innerhalb der sich dann die eigentlichen Zeichnungen entwickeln. Über lange Zeit setzte er mit dem Bleistift ein feines, nur schwach wahrnehmbares Liniengerüst, das ein quadratisches oder rechteckiges Netz markierte oder Endpunkte angab, in die die Linien mündeten. So entstand ein konzeptionelles Raster, eine abstrakte verfasste Grundstruktur, innerhalb der sich dann die eigentliche Zeichnung, die mit farbigen Stiften ausgeführt wurden, entfalten konnte. Das Raster war der konkreten Zeichnung Widerstand und Resonanzraum zugleich, Ausgangspunkt einer eigentlichen Transformation. Ordnung und Kalkül auf der einen Seite verbanden sich mit Bewegung Offenheit.

Dieser grundsätzliche Befund dient uns zunächst, um zu verdeutlichen, dass die Position des Zeichners Klaus Staudt sich von Beginn an keinem dieser beiden Pole ausschließlich zugeneigt, sondern sich einer Vermittlung zwischen ihnen verdankt. Geometrische Klarheit und ein mathematisch gestimmter Impuls verbinden sich auf unverkennbare Weise mit Elementen des Spontanen, die das Unvorhersehbare des bildnerischen Prozesses ins Spiel bringen. Dies hat Gottfried Boehm einmal von einer „Identität des Verschiedenen“ bei Staudt sprechen lassen. Wenn Staudts in Bethany entstandene Amerikanischen Zeichnungen sich nun pointiert auf die Farbe stützen und das Bildfeld mit einer dichten Formation von Linien besetzen, die unser Auge bis zum Eindruck einer Unübersehbarkeit fordern, so markiert dieser Schritt also keinen Bruch mit seiner über Jahrzehnte entwickelten Bildsprache, sondern lässt sich als organische Entwicklung beschreiben.

Die einzelne feinsinnige Linie findet ihre Erfüllung im Gesamtensemble aller Elemente eines Blatts. Niemals sehen wir eine Linie isoliert, immer das Einzelne unter der Bedingung des Ganzen. Die unterschiedlich farbigen Striche mit ihren differierenden Richtungswerten, verdichten sich zu Gruppen, die sich wiederum öffnen können. Die unbestimmte Fläche des weißen Papiers verwandelt sich in eine Erfahrung des Raums. Es entstehen vor unserem Auge verschiedene Bewegungs- und Zeitzustände. Aus den zunächst einfach scheinenden Regeln, die Staudt vorgibt, entsteht letztlich eine produktive Unübersichtlichkeit, die dem Betrachter mehr Informationen anbietet, als er bewältigen kann.

Klaus Staudt Erzählung, 2009 Buntstifte auf Papier 30 x 30 cm

Aus dem Text „Regel und Offenheit“ von Heinz Liesbrock, Katalog Klaus Staudt Amerikanische Zeichnungen, Josef Albers Museum Quadrat, Bottrop 2007


Klaus Staudt Marterl, 2009 Buntstifte auf Papier 30 x 30 cm


Klaus Staudt Epilog, 2009 Buntstifte auf Papier 30 x 30 cm



RAUM 3




FRANK GERRITZ LAUDATION AUS ANLASS DER VERLEIHUNG DES EDWIN SCHARFF-PREISES 2010 Sehr verehrte Frau Bürgermeisterin Stapelfeldt, lieber Herr Gaßner, liebe Frau Roettig, sehr verehrte Würdenträger und Ehrengäste, lieber Franky, sehr geehrte Damen und Herren und liebe Freunde,

Biografie mit Werkphasen

bei einer Preisverleihung vor einigen Jahren in New York begann der Preisträger seine Dankesrede mit den Worten: „Diese sehr ehrenvolle Preisverleihung hat mich überrascht“ – um dann nach einer längeren Kunstpause selbst anzuschließen: „Endlich!“ Frank Gerritz ist Laureat 2010 des sehr renommierten Edwin-ScharffPreises der Freien und Hansestadt Hamburg – eine überzeugende Entscheidung – und wie auch hier anzufügen ist: Endlich! Frank Gerritz ist eine in internationalen Kennerkreisen höchst geschätzte Künstlerpersönlichkeit und seine über die letzten 25 Jahre stetig weiter-entfaltete Werkgruppen stellen eine deutlich eigenständige Kunstposition dar, die bereits jetzt unser tradiertes Verständnis der Werkgattungen Zeichnung, Malerei und Skulptur sowie den künstlerischen Blick auf menschliche Grundfragen verändert hat und sicherlich in der Zukunft noch weiter verändern wird. Mein Name ist Christoph Seibt, ich bin 1965 in Hamburg geboren, erwarb nach einer Ausstellung im Kunstverein Hamburg 1988 die ersten Druckgraphiken von A.R. Penck, schon kurz darauf aber Holzdrucke von Donald Judd und Zeichnungen von Fred Sandback, studierte Rechtswissenschaften, Philosophie und Japanologie und war hierzu unter anderem 1987 an der Harvard Universität und 1991/1992 an der Yale Law School (dem genius loci der Minimal Art vor allem Mitte der 60er Jahre mit Donald Judd, Robert Morris und deren Studenten Fred Sandback). Diese biografischen Eckpunkte sollen belegen, dass Laureat und Laudator nicht nur derselben Generation entstammen, sondern – wie gleich noch auszuführen sein wird – durchaus zu gleichen Zeiten an denselben Orten lebten. Frank Gerritz habe ich trotzdem erst nach dem Hinweis einer New Yorker Sammlerin 2002 mit einem Atelierbesuch in Hamburg kennengelernt, glücklicherweise sind wir nun befreundet, und seine Arbeiten aus allen Werkgruppen bilden einen wichtigen Teil unserer Sammlung abstrakt-konzeptioneller Kunst.

Frank Gerritz wurde 1964 in Bad Oldesloe bei Hamburg geboren und kam mit der Bewertung als „besondere künstlerische Begabung“ 1983 an die Fachhochschule für Gestaltung an der Armgartstraße, Studiengang Kommunikationsdesign und Illustration: Die Top-Kaderschmiede insbesondere für führende Werbeagenturen wie Springer & Jacoby. Dort war er unter anderem in der Klasse von Adam Jankowski, nach dessen noch heute lebhafter Erinnerung war Frank Gerritz eine herausragende, energetische Leitfigur, aktiver und visibler Teil einer Punk/ HipHop Musik- und Graffiti-Kunstszene, z.B. treibende Kraft des Kunsthappenings „Volle Düse“ auf Kampnagel 1984. Auch sein Kommilitone, der Hamburger Künstler Jochen Hein erinnert sich an den „Natural Born Star“, technisch brillant, sperrig, eigen und anspruchsvoll. In dieser Zeit pendelt Frank Gerritz mit seinem Alter Ego Johnny Welz (der später, Mitte der 90er Jahre tragisch tödlich verunglückte) bereits zwischen Hamburg und New York, erlebt die rauschhaften 80er-Jahre in New York mit all ihren Innovationen, Brüchen und Extremen, und zwar in der Nähe von Billy Idol und anderen Idolen der Zeit. Ende 1984 nach dem Besuch der legendären, von Kaspar König kuratierten Kunstleistungsschau „von hier aus“ in Düsseldorf mit dem – in den Worten Frank Gerritz: Chief Master Rockers der 80iger Jahre – die Entscheidung: „Ich will einen eigenen Platz!“ – in der Kunst und mit ihm im Zentrum. 1985 übernimmt Gerritz ein ungeheiztes und zum Abbruch vorgesehenes Atelier auf Kampnagel, und beginnt ohne erkennbare Außeninitiative oder auch nur Außenmotivation, also aus sich selbst heraus mit der Bildhauerei, und zwar von reduzierten Steinskulpturen, eine besondere Herausforderung in mehrfacher Hinsicht: Materialbearbeitung, aber auch Materialbeschaffung und Materialhaltung sind in besonderem Maße schwierig. Er unternimmt Lehrreisen nach Carrara in die Marmorsteinbrüche und schafft mit großem Talent reduzierte Kopfformen, in einer durch Constantin Brancusi beeinflussten, auf das essentielle fokussierten Formensprache der Sleeping Muse (1909/10)1. Das ist ein ungeheurer, promethischer psychologischer Kraftakt gegen alle Moden (damals der figurativen Malerei), er zeigt enorme Kraft, Mut, Eigensinn, Selbst- und auch Sendungsbewusstsein.

Nun aber zum Lorbeerkranzträger, und zwar zunächst mit einem Überblick zu dessen Biographie mit den einzelnen Werkphasen, hiernach zu seiner Werkherstellung und den Inhalten und schließlich zu seiner Künstlerauffassung und seinem Verhältnis zum kunstbezogenen Umfeld:

1 In der famosen und sehr konzentrierten Tate ModernAusstellung „constantin brancusi – the essence of things“ (29.1. – 23.5.2004) wurde auch die Wirkmächtigkeit von Brancusis Arbeiten für Barbara Hepworth, Carl Andre oder Donald Judd herausgearbeitet.


Frank Gerritz, Installation Hamburger Kunsthalle 2011

1986 mit Four Center Square kreiert Frank Gerritz eine erste Stahlskulptur und ab 1988 folgen die Eisenskulpturen, alles begleitet durch erste Ausstellungen in Deutschland. Frank Gerritz beginnt ab 1989 die Eisenskulpturen in Bleistiftzeichnungen zu übersetzen und mit einer Mappe reist er 1991 nach New York, wo er bereits kurz nach seiner Ankunft an Eric LaFontaine Stark verwiesen wird, den seinerzeit legendären und wirkungsmächtigen Galeristen für sog. Post Minimalist Artists. Er überzeugt mit der mitgebrachten Musterzeichnung und seinem Selbstbewusstsein – für das paradigmatisch der freudsche Fehlausdruck gegenüber Eric Stark stehen mag: „I am very interesting“ anstatt „I am interested in“ – und wird sofort in die in Vorbereitung begriffene Ausstellung „Invitational Drawings“ aufgenommen. Noch im selben Jahr hat er seine erste Soloshow, im Jahre 1992 wird er im Arthur M. Sackler Museum in Boston mit Sol LeWitt ausgestellt, 1993 im Brooklyn Museum of Art, er wird in viele wichtige öffentliche und private Sammlungen (wie die Sammlungen von Wynn Kramarsky oder Panza-di-Biumo) aufgenommen, neben seinen deutschen Galerien vertritt ihn ab 1995 insbesondere Brandstetter & Wyss aus Zürich. 1992 schafft Gerritz in der Stark Gallery die erste Wandzeichnung – genauer die „Column Drawing“2 – mit Graphitstiften, seit 1994 2 Hierzu instruktiv Alison Green, Five Wall Drawings, in: Ausstellungskatalog „Further Down the Line“, Köln 2008, S. 90.

arbeitet er mit seinen Faber Castell 9B-Graphitstiften auf MDFPlatten (mit dem im Katalog abgebildeten „First Born“) und ab 1998 nutzt er den ölhaltigen Wachsstift – den Paintstick – zur Bearbeitung von eloxierten Aluminiumplatten. Die Jahre 2000 bis 2002 sehen Herausforderungen vor: Zunächst verunglückt Daniela Brandstetter tödlich und die Galerie Brandstetter & Wyss löst sich 2001 auf - und dann schließt Eric Stark auch als Folge der Kunstmarktdepression nach dem Inferno des 11. September 2001 seine Galerie und er zieht sich in den Hudson Valley mit Möbeln des 18. Jahrhunderts zurück. Aber Frank Gerritz arbeitet mit eiserner Härte weiter, gewinnt neue Galerien und Sammler in Europa und in den USA, hat Jahr für Jahr mehrere Ausstellungen und beginnt 2005 die Werkgruppe der Invitationals und in 2009 die der Auctions – humorvolle Reflexionen des Kunstbetriebes, die allerdings ganz den speziellen Ausdrucksformen Frank Gerritz´ verpflichtet sind. Seit der umfangreichen Retrospektive „Further down the Line“ in der Bremer Weserburg 2008 folgten Jahr für Jahr wichtige Solo-Museumsausstellungen im Gemeentemuseum Den Haag, wieder in der Bremer Weserburg, im Musée TavetDelacour in Pontoise bei Paris und ab heute nun in der Hamburger Kunsthalle.



Werkherstellung und Werkinhalte Frank Gerritz einzigartige Materialbehandlung, Werkherstellung und die Verschmelzung von Zeichnung bzw. Malerei mit der Skulptur und die Erweiterung der Bildfläche in die Dritte Dimension sind häufig beschrieben worden. Hier sei nur an folgende Besonderheiten erinnert: -

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Bei dem blockhaften Eisenskulpturen handelt es sich um perfekte Gießarbeiten mit einem eher unedlen Material, jedoch ergänzt um ein Standflächendruck, also dem Farbabdruck der nicht-sichtbaren Standfläche der Skulptur. Dieser Druck, durch das Eigengewicht der Struktur, zuweilen unterstützt durch das Körpergewicht von Frank Gerritz, hergestellt, hat in seiner Unschärfe eine malerische Qualität. Die Wechselbezüglichkeit der Skulptur zum Standflächendruck, aber auch der Skulptur und als deren Transformation angelegte Zeichnungen3 bilden eine Einheit, wobei Perfektion, Präzision und Resolutheit sich mit handwerklicher, malerischer bzw. zeichnerischer Handschrift verbinden. Bei der Werkgruppe der MDF-Skulpturen schafft es Frank Gerritz, den unedlen, industriell hergestellten MDF-Bildträger durch eine gleichmäßige Bearbeitung mit dem Faber Castell 9B-Graphitstift, Lage für Lage in gleichförmiger und gleichausgerichteter Strichführung zu veredeln und gleichzeitig eine skulpturale Wirkung zu erzeugen. Farbunterschiede werden durch den Wechsel der Strichführung von Horizontalität in Vertikalität bzw. umgekehrt und der damit einhergehenden unterschiedlichen Lichtbrechung erreicht. Das Erreichen einer perfekt veredelten, spiegelgleichen Graphitoberfläche setzt nicht nur den gleichförmigen Strich voraus, und die Herstellung selbst bedarf wegen der Fragilität der Oberfläche höchster Sorgfalt.

3 Die Zeichnungen waren in der New Yorker Werkzeit auch gleichsam ein konzentratives Substitut für die dort aus technischen Umständen unmögliche Produktion von Eisenskulpturen.

Frank Gerritz Back 2 Back, 2007 Paintstick auf eloxiertem Aluminium 120 x 60 cm

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Das Gleiche gilt für die Bearbeitung der eloxierten Aluminiumplatten: Bereits die Herstellung der Aluminiumplatten ist ein über die Jahre optimierter Kooperationsprozess zwischen Frank Gerritz und dem Aluminiumveredler. Auch bei der Nutzung des Paintsticks kommt es auf den gleichförmigen Stich, eine gleichförmige Bürstung, Lage über Lage nach jeweiligen, immer länger werdenden Trocknungsphasen, vergleichbaren Klimaverhältnisse und höchste Sorgfalt und Präzision an, wiederum ein häufig Jahre über Jahre dauernder Prozess von bis zu 35 aufgetragenen Ölwachs-Lagen für ein Werk.

Zwar weiß man intellektuell von der hohen physischen Anstrengung bei der Werkerstellung, von dem enormen Zeit und Konzentrationseinsatz, aber diese Umstände treten nie in den Vordergrund des Werkes, behindern nie die inhaltlichen Aussagen. Die Werke sind bereits handwerkliche Meisterwerke, d.h. sie versagen sich der industriellen Reproduktion (gerade die technische Produktion und Reproduzierbarkeit wird ja von einigen Kunsttheoretikern als „tragic flaw of Minimalistic Art“ bezeichnet) und sie versagen sich – für Frank Gerritz hohe Ansprüche ‑ sogar der typischen Künstlerwerkstatt mit Assistentenausführung. Es bedarf nicht nur einer besonderen Konsistenz im Sinne einer Standfestigkeit, einer Konsequenz im Sinne einer Unbeirrbarkeit, einer Konzentration im Sinne einer Fähigkeit, die eigene Arbeit auf das Gehaltvolle, das Zentrum zu reduzieren, und einer Kontinuität im Sinne einer andauernden Stetigkeit, sondern auch Leidenschaft und damit Leidensfähigkeit und Leidenswilligkeit. Nur diese Eigenschaften ermöglichen die erfolgreiche Suche nach dem konzentrierten Ausdruck und der kontrollierten Extremheit. Formal erreicht Frank Gerritz damit die Auflösung der Dichotomie zwischen Zeichnung und Malerei einerseits und Skulptur andererseits. Frank Gerritz ist von Donald Kuspit als „The Last Abstract Hardliner“ charakterisiert worden4 und dieser Ausspruch ist oft rezipiert worden. Gerritz ist aber beileibe nicht der letzte in einer vordefinierten Reihe abstrakter oder minimal-expressiver Künstler, sozusagen das dead-end dieser Kunstauffassung, sondern er steht inhaltlich vorneweg, kraftvoll, eigenständig und in Übereinstimmung mit den wirkmächtigen Notes on Sculpture von Robert Morris aus dem Jahre 1966, in dem dieser das Ziel der Skulptur beschreibt5: „Art that takes relationships out of the work and makes them a function of space, light, and the viewer’s field of vision“.

4 Donald Kuspit, The Last Abstract Hardliner, in: Carsten Ahrens (Hrsg.), Frank Gerritz. Further Down the Line, Köln 2008, S. 48. 5 Robert Morris, Notes on Sculpture II, Artforum (Los Angeles) 5 (Oct. 1966), S. 42, abgedruckt auch in: Gregory Battcock (Hrsg.), Minimal Art: A Critical Anthology, New York 1968, S. 232.


Space: Frank Gerritz ist nicht nur Bildhauer, Zeichner und Maler, er ist zudem Architekt und hervorragender Raumgestalter. Er ist kein Künstler der euklidischen Geometrie der Ebene. „Mich interessiert Architektur immer“, sagte Gerritz im Interview mit Jochen Stöckmann6. Das ist offenkundig: Er denkt vielmehr nicht nur bei seinen Werken in Raumvolumen, z.B. bei den von ihm bearbeiteten Aluminiumplatten an die Kantenbearbeitung oder an die von ihm selbst konstruierten Aufhängevorrichtungen, die die Werke vor der Wand schweben lassen, sondern auch und gerade für die Beziehung des Kunstwerks zum Umgebungsraum. Frank Gerritz ist eben nicht nur an closed volumes, sondern immer auch an den open spaces interessiert, mehr noch: er schafft erst eine besondere Architektur des Ortes – einen „sculptural space“ – mit seinem Werk oder Werken im Zentrum. Light: Frank Gerritz ist aber auch ein begnadeter Lichtkünstler. In dem Film von Bodo Kessler aus Anlass seiner Münchner SoloAusstellung „Breeze of Light“ bei Nusser & Baumgart (19.4. – 21.5.2011) sagt er7: „Das Licht hat eine ganz besondere Bedeutung in meiner Arbeit. Es geht mir darum, Oberflächen zu kreieren, die für Licht empfänglich sind, um Strukturen, die das Licht aufnehmen und Reflexionen zulassen, die aus der schwarzen Farbe bzw. Anthrazitfarbe etwas Andersfarbiges machen und spiegelnde Frakturen, sogar Andeutungen von Figurationen ermöglichen“. Viewer’s Fild of Vision: Durch diese Raumgestaltung und die Lichtnutzung und Lichtführung wird Frank Gerritz zu einem faber mundi, einem Welterschaffer höchster Konzentration. Er schafft damit Räume der Ruhe und Klarheit, die auch Kontemplation zulassen. Bemerkenswert ist hieran, dass dies von einem Künstler erreicht wird, der in besonderem Maße energetisch und kraftstrotzend ist und dessen Arbeitsprozess von physischer Kraftanstrengung geprägt und durch laute – wie er sie beschreibt –Rock´n Roll-Musik angetrieben wird. Die Arbeit beschränkt sich aber nicht auf die Ermöglichung der Kontemplation durch den Betrachter und sie begeistert auch nicht nur durch die Machart. Die Arbeit behandelt Grundfragen:

Die Graphit- und Paintstickoberflächen fügen dem Thema eine Dimension hinzu, nämlich die Reflexion des Betrachters. AnnaCatharina Gebbers hat dies m.E. treffend so ausgedrückt: „Die strengen, symmetrischen und völlig autonomen Formen bieten Raum, Licht und Betrachter eine Bühne, die ihr Gegenüber zugleich einsaugt und widerspiegelt“9. Die Werke stellen aber auch die Frage nach einer möglichen Bipolarität des Weltverständnisses von Licht, Geist und Reinheit einerseits und Dunkelheit, Materie und Unreinheit andererseits, aber auch von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, und zwar auch in der Ausprägung der Gestaltpsychologie10: Betrachter mögen wegen der Reflexion der Dunkelflächen diese mit Licht und Geist verbinden, andere mit dem gleißenden, puren BildträgerAluminium; und auch die Bewegung der Betrachtung lässt immer Neues entdecken. Ein Sammlerfreund hat dies treffend zusammengefasst: „Franky schafft es, mit größter Reduziertheit die ganze Welt abzubilden“ [Wolfgang Betz].

Künstler und sein Umfeld: Galeristen und Sammler Frank Gerritz ist nicht nur einer der wenigen weltweit herausragenden Künstler ab­strakter Formensprache, und zwar einer eigenständig geschaffenen, klaren Formensprache, sondern ihn zeichnet auch sein tiefes Interesse an der Vermittlung seiner Ideen und Werke aus – aber nicht nur isoliert, sondern eingebettet in Gallery], 1997, S. 32; Ludwig Seyfarth, Unsichtbare Seiten, in Frank Gerritz. Standflächen, Stuttgart 2006, S. 5; Carsten Ahrens, Frank Gerritz – Die gezeichnete Skulptur, in: Ausstellungskatalog „Further Down the Line“, Köln 2008, S. 12; Christophe Duvivier, Frank Gerritz.Musée Tavet-Delacour, 2011, S. 7. 9 Anna-Catharina Gebbers, Frank Gerritz, in: Daimler Art Collection, Private/Corporate V - Works from the Lafrenz Collection, Hamburg and Daimler Art Collection, Stuttgart/Berlin (20.6. – 21.9.2008), S. 34. 10 Hierzu z.B. – erstmals – Christian von Ehrenfels, Über Gestaltqualitäten, Vierteljahresschrift für wissenschaftliche Philosophie 14 (1890), S. 249-292; vgl. aber auch Ludwig Fleck, Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache, Frankfurt, 1980; ders., Erfahrung und Tatsache, Frankfurt 1983.

Sie beschäftigt sich zuallererst mit der Frage des menschlichen Körpers im Raum und stellt hierbei den Kopf bzw. den Körper in das Zentrum und als Zentrum. Das ist bei den auf menschliche Proportionen ausgerichteten Eisenskulpturen offenkundig8. 6 Das auf Deutschlandradio Kultur am 27.1.2008 ausgestrahlte Interview von Jochen Stöckmann mit Frank Gerritz aus Anlass der Ausstellung “Further Down the Line” in dem Neuen Museum Weserburg, Bremen in ist Textform abrufbar unter http:// www.dradio.de/dkultur/sendungen/fazit/730634/. 7 Der YouTube-Film ist abrufbar unter http://www.nusserbaumgart.com/en/artists.html?id=50. 8 So entsprechen z.B. die Kantenlängen von jeweils 20 cm der blockförmigen Eisen-Bodenskulpturen dem Durchschnittsdurchmesser eines Kopfes, und das Gewicht von 60 kg dem Durchschnittsgewicht eines Menschen; hierzu z.B. Donald Kuspit, Frank Gerritz [Brandstetter & Wyss; Stark

Frank Gerritz Between the Lines, Trihedron, 2008 Bleistift auf MDF 60 x 60 cm



ein tiefes Verständnis der Kunstgeschichte und der Kunsttheorien. Er ist dabei sehr fordernd und anspruchsvoll nicht nur gegenüber sich selbst, sondern auch gegenüber seiner Umwelt, manchmal auch überfordernd in seinem Anspruch auf Anerkennung, vor allem gegenüber Ausstellungsinstitutionen und seinen, ihn durchweg beispielhaft unterstützenden Galeristen. Aber er ist gleichzeitig immer bereit, auch seinerseits allen Einsatz in jeglicher Hinsicht zu geben, häufig bis an die Grenzen der physischen und mentalen Erschöpfung. Er lässt die Nähe seiner Sammler zu, sucht diese auch gezielt, hat ein tiefes Interesse daran zu erfahren und ‑ mehr noch – zu bestimmen, in welches Umfeld seine Arbeiten in die Sammlungen gelangen und wie sie dort präsentiert werden. Die Funken zwischen dem Künstler und dem Sammler springen über11, und Frank Gerritz lässt dies absichtsvoll zu. Er lässt seinen befreundeten Sammler am Schöpferischen teilhaben – und damit kreiert er – jedenfalls bei mir – Schöpferlaune. Frank Gerritz hat und lebt mit einer besonderen Aura. So ist es authentisch, wenn er beispielsweise auf die spielerische Bitte des Laudators in Vorbereitung dieser Rede nach dem Ausfüllen des Fragebogens der Salons des 19. Jahrhunderts, „den Marcel Proust in seinem Leben gleich zweimal ausfüllte“12, das war ja wegen der Reihe im damaligen F.A.Z.-Magazin ein beliebtes Gesellschaftsspiel unserer beider 80iger und 90iger Jahre, bei dem es ja bekanntermaßen nur sekundär auf den Inhalt der Antworten ankommt, sondern primär das Wie der Fragenbeantwortung interessiert, antwortete: „Das ist nicht Dein Ernst!? Meine Realität ist eine ganz andere, und die meisten Fragen sind für mein Handeln nicht relevant.“ Gerritz Künstlerauffassung treibt ihn dazu, sich für sämtliche, auch technische Aspekte seiner Werkschaffung und -verbreitung zu interessieren und mit hoher Selbstkontrolle umzusetzen. Das gilt z.B. für die fotographische Erfassung jedes Werkes, die Katalogisierung, die Gestaltung von Katalogen, Druckerzeugnissen und Anzeigen bis hin zur Organisation von Sammleressen. Das zeigt auch beispielhaft die Umsetzung dieser Preisverleihung und Ausstellung. Er hat durch all dies über die Jahre erreicht, dass eine besondere Verbundenheit und gar Vertrautheit zwischen ihm, seinen Galeristen und seinen Sammlern entstanden ist, von denen heute so viele gekommen sind: Ein wunderbares Geschenk, für das Frank Gerritz heute neben der übergroßen intellektuellen und ästhetischen Bereicherung durch seine Werke auch zu danken ist.

Fazit Die Kunstwelt hat Frank Gerritz sehr viel zu verdanken und ich bin überzeugt, dass er uns alle noch mit großartigen Erfahrungen konfrontieren wird – bald hoffentlich auch mit Außenskulpturen, im Wallis und anderswo. Ein Token unser aller Dankbarkeit ist die Verleihung des Edwin-Scharff-Preises 2010 – Endlich!

11 Zur Metapher des „Funkenübersprungs“ zwischen Künstler und Sammler Beat Zoderer, in: Coninx Museum Zürich, Sammelwut Sammelgut (21.10.2010 – 30.4.2011), Ausstellungskatalog 2010, S. 22. 12 Aufrufbar z.B. unter http://www.alphas.de/downloads/ ProustFragebogen.pdf.

gehalten von Prof. Dr. Christoph H. Seibt in der Hamburger Kunsthalle am 4. November 2011


Frank Gerritz, Installation Hamburger Kunsthalle 2011


Frank Gerritz Four Center Square, 1993 Bleistift auf Papier 42 x 58.5 cm


Frank Gerritz Two Abstract Paintings, 2010 Paintstick auf bedruckten Papier 45 x 29.5 cm



RAUM 4





MIKE MEIRÉ

Mike Meiré Triptych: Suicide (R. E.), 2010 Lackfarbe auf Zeitungspapier 200.5 x 104.5 cm

Frank Gerritz Two Abstract Paintings, 2010 Paintstick auf bedruckten Papier 45 x 29.5 cm


RUDOLF DE CRIGNIS

Rudolf de Crignis, *1948 in Winterthur, CH. † 2006 in New York Ein Gemälde entsteht

Das Erlebnis einer Malerei

„Nie habe ich eine Vorstellung wie ein Gemälde aussehen soll. Meine Arbeiten verstehe ich als einen Bewegungsprozess. In einer Weise bringt mich eine Entscheidung oder Arbeit zur nächsten. Dies gilt für alle meine Arbeiten: auf Leinwand und auf Papier, Ultramarinblau und Grau. Das hält mich davon ab zu bequem mit dem zu werden was ich tue. Am Anfang muss ich meinen Weg finden. Es kann mehrere Wochen dauern bevor ich sehe wie ein Gemälde ist – wie das Licht den Raum beeinflusst und innerhalb dessen funktioniert. Die Malerei muss in der Lage sein sich in jedem Licht darzustellen: Morgens, Nachmittags, Abends an einem grauen Tag, an einem hellen Tag, im Licht des Vollmonds, im künstlichen Licht. Damit das Gemälde in allen Lichtsituationen arbeitet, muss das Licht Schicht um Schicht aufgebaut werden. Die Farbe muss deshalb strukturiert sein, so dass das Licht ganz in das Bild aufgenommen werden kann. Alle meine Arbeiten im Studio entstehen unter Nordlicht. Große Arbeiten werden an der Westwand gemalt, primär am Morgen, da ich den Einfluss des Hintergrundlichts mag. Die kleinen Arbeiten male ich auf einem bewegbaren Tisch. Je nach Malerei stelle ich diesen näher an das Fenster, oder weiter weg, aber wie bei den größeren Arbeiten werden diese im Morgenlicht gemalt. Im Tagesverlauf verlagere ich die Bilder im Studio um sie in den verschiedenen Lichtverhältnissen zu sehen. Niemals betrachte ich sie mir unter künstlichem Licht. Die Farben und Ihre spezifischen Kombinationen werden für das Licht gewählt nach dem ich in einer Malerei suche. Im Laufe der Jahre war ich in der Lage Farbe besser zu verstehen und wie ich sie gebrauche. Dennoch bin ich immer auf der Suche um ein besseres Verständnis zu erlangen, kann aber dieses Wissen niemals vervollständigen.

„Ich verstehe meine Gemälde nicht als Gegenstände. Die Ränder werden weiß behalten, so dass sie die Wände ästhetisch mit einschließen. Es gibt keinen idealen Abstand um sich eines meiner Bilder anzusehen. Dieser muss selbst heraus gefunden werden; man kommt zu einem Verständnis, wenn der Raum zwischen der Oberfläche und dem Auge zu einem aktiven Raum wird. Für das Auge ist es sehr schwierig die Größe des Gemäldes zu bestimmen, da es keinen klaren Fixationspunkt an den Rändern oder der Oberfläche hat. Im wesentlichen ist es für den Teilnehmer wichtig aktiv zu bleiben – um die Malerei als Erlebnis zu empfinden.“

Auszüge aus Interviews mit Rudolf de Crignis.

Oft werde ich gefragt woher ich weiß wann ein Gemälde fertig gestellt ist. Es gibt einen genauen Moment bei dem die Kombination der Farben im Gleichgewicht mit dem Licht in der Malerei sind. An diesem Punkt wird es klar, dass die Arbeit kein Bild über die Farbe ist. Tatsächlich ist die Farbe der einzige Katalysator, der die Arbeit in eine Erfahrung verwandelt.“

Rudolf de Crignis Triptych Painting #93017, 1993 Öl auf Leinwand Je 61 x 61 cm




Rudolf de Crignis Paintings #90040, #90041, #90043, #90044, 1990 Tempera und Bleistift auf Papier Je 25.5 x 25.5 cm



Rudolf de Crignis Details: Paintings #92137, #92138, 1992 + Painting #93065, 1993 Bleistift auf Papier Je 38.1 x 28.6 cm


Graphiken „Die drei Graphiken ergänzen das Gesamtwerk meiner künstlerischen Arbeit. In dieser graphischen Blattfolge versuche ich, der Vollkommenheit von Licht und Raum – sowie deren Rhythmus – gerecht zu werden, indem ich mich der Technik des Radierens bediene (Hartgrund-, Weichgrund- und Kaltnadelradierung). Damit ordne ich die Farben verschiedenen Schichten zu, die von einem irisierenden Orange (Nasturtium Zitronengelb, Schwarzer Graphit, Silber) über ein ebensolches Grün (Phtalo Grün- Primrose Gelb, Schwarzer Graphit, Kupfer) bis zu einem Schimmer von Blau (Ultramarin Blau – Prozess Blau, Schwarzer Graphit, Gold) reichen: Farbige Lichträume entstehen auf dem Papier.“


Rudolf de Crignis Surface: Orange, Green, Blue, 2006 Drucke auf Papier Edition 5 von 25 Je 40 x 40 cm


Douglas Allsop, *1943 in London, UK, lebt und arbeitet in London Douglas Allsops Werke sind Installationen die einen architektonischen Charakter haben. Sie sind weder abstrakt noch illusorisch, sondern reflektierend. Die Werke fangen eine spiegelverkehrte Welt ein, die sich mit unserer Wahrnehmung verändert. Sie hinterfragen die Art und Weise wie wir sie betrachten und was wir

sehen mÜchten. Douglas Allsop schafft keine Bilder, sondern seine Werke tun dies. Mit reflektierenden Materialien spiegeln sie die Räume wieder in den sie sich befinden, wie auch die Aussicht durch die Fenster und die Menschen die sie betrachten. Diese Bilder sind schwer fassbar, fast schon gespenstisch. Sie spiegeln


DOUGLAS ALLSOP

sich als bewegte Bilder auf durch den Raum gespannten Flächen aus Videobändern oder auf durchbrochenen Arbeiten, z.B. aus Acrylglas oder Photofilm. Allsop erkundet unsere Prozesse der Wahrnehmung und spielt mit unserem Streben nach Stabilität und Sinn.

Douglas Allsop Reflective Editor ‘1 horizontal rectangular hole, parallel pattern 1/4. 2/4. 3/4. 4/4., 2011 Acrylglas, Stahlstifte und Polyesterröhrchen Edition 1 von 3 Je 30 x 75 x 0.3 cm


JAMES HOWELL

James Howell,*1935 in Kansas City, MO, lebt und Arbeitet in New York City und Montauk, Long Island, NY, USA Seit 1962 male ich, meine Arbeiten reduzierten sich seit dem, nach und nach bis zu dem Punkt, dass ich seit 1993 mich ausschließlich mit einem tonalen Verlauf einer bestimmten grauen Farbe beschäftige. Jede Arbeit kennzeichnet sich darin, dass sie von einer hellen Farbe am oberen Bildrand in einen dunkleren Schatten am unteren Bildrand verläuft. Begleitend mache ich laufend Studien; diese Papierarbeiten beschreiben den ersten und letzten Grauton jeder Arbeit, so genannte Limitdrawings. Mit deren Hilfe kann ich auch bestimmen, wie sich der Verlauf in einer neuen Werkgruppe verändern soll. Mathematische Berechnungen helfen mir weiter den tatsächlichen Verlauf innerhalb der einzelnen Arbeiten festzulegen. Dabei arbeite ich mit diversen Differential- und Kurvengleichungen. Die hiermit erzeugten Kurven bestimmen die Bewegung innerhalb der Bildfläche. Um die Bilder zu malen, manipuliere ich vor dem Mischen der Farben deren Viskosität und mische sie anhand der im Vorfeld berechneten Gewichtsverhältnisse. Dieser zeitaufwändige Prozess erlaubt es mir, den Arbeiten eine Leichtigkeit zu verleihen. Begleitend zu den Bildern und deren Studien mache ich laufend eigenständige Papierarbeiten mit denen ich die Möglichkeiten innerhalb meines Systems auf eine weitere Art und Weise untersuche. Auch hier geht es mir in erster Linie um ein chromatisches Erscheinungsbild. Jede Arbeit und ihre Entstehung wird akribisch dokumentiert. Seit 1996 arbeite ich an der Serie 10, welche bis zum heutigen Tag rund 500 Bilder und Arbeiten auf Papier beinhaltet.

James Howell, New York, NY, July 21, 2011

James Howell Six part progression drawing, 48.17 - 73.20, 2008 Acryl auf Papier 60.3 x 76.2 cm




BLINKY PALERMO

Blinky Palermo Blaues Dreieck, 1969 Schablone und Anleitung Edition 6 von 50


BEAT ZODERER

Beat Zoderer, *1955 in Zürich, lebt und arbeitet in Wettingen (CH) und Genua (IT) Seit Anfang der 90er Jahre verwendet Zoderer als Ausgangsmaterial für seine Arbeiten Gegenstände aus dem Baubedarf, Haushalt oder Büro. Bevorzugt werden Dinge ohne Gefühlswert, denen eine geometrische Grundform innewohnt. Ziel ist eine Systematisierung und Minimalisierung der gestalterischen Mittel, das Ergebnis ist jedoch ein üppig wucherndes Ornament. „Die zivilisatorischen Errungenschaften, die üblicherweise zur Alltagsbewältigung dienen, entwickeln, von den Sachzwängen befreit, einen provokativen ästhetischen Eigensinn.“ Elisabeth Grossmann 1999

Beat Zoderer Transparente Ordnung, 1991 PVC 32 x 64.4 cm




Beat Zoderer Stempelung No. 3, 1998 Acrylfarbe auf Papier 225 x 218 cm





MARIENSCHULE SOEST






James Howell Six part progression, 05 AUG 10, 48.17 - 73.20, 2010 Acryl auf Leinwand je 42 x 42 cm

Vera Molnar A Dieu Kniver No.1, 2005 / 2010 Computer Druck auf Leinwand 200 x 200 cm

Frank Gerritz Four Center Square, 1986 Gegossener Stahl je 80 x 8 x 8 cm

Vera Molnar A Dieu Kniver No.2, 2005 / 2010 Computer Druck auf Leinwand 200 x 200 cm


VERA MOLNAR

Vera Molnar, *1929 in Budapest, lebt und arbeitet in Paris Das Werk von Vera Molnars charakterisiert der Kunsttheoretiker Eugen Gomringer als „ein Fingerabdruck der Menschheit: so viele Existenzen so viele unterschiedliche Profile“. Die Vielfalt an bildnerischen Mitteln und künstlerischen Ausdrucksformen ist im Oeuvre Molnars nahezu unerschöpflich. Neben geometrischen Figuren – allen voran das Quadrat - entwickelte sie im Umgang mit der freien Linie verschiedene Serien. Nicht nur den Zeichenstift und den Pinsel nutzt sie, sondern auch den Computer. Molnar arbeitet seit über 40 Jahren mit diesem technischen Hilfsmittel. Sie beschreibt die Möglichkeiten, die ihr der Computer bietet, folgendermaßen: „Dank seiner großen Kombinationsmöglichkeiten verhilft der Computer zu systematischen Forschungen im visuellen Bereich, hilft dem Maler, sich von kulturellen „ready-mades“ zu befreien und Formkombinationen zu finden, die man nie zuvor gesehen hat, weder in der Natur, noch im Museum: er hilft, unvorstellbare Bilder herzustellen.“ Erste Computerzeichnungen der Serie ‚A Dieu Julije Knifer’ entstanden kurz nach dem Tod des kroatischen Künstlers, mit dem Vera Molnar eng befreundet war. Knifer malte seit 1959/60 nur ein einziges Motiv: der Mäander. Ein Ornament, das keinen Anfang und kein Ende hat. Es ist somit der Dimension der Zeit enthoben und doch ist die ausschnitthafte Abbildung des Ornaments darin enthalten. Der Mäander steht metaphorisch für das Gesamtwerk Knifers und bildet auf jedem seiner Gemälde eine Bewegung innerhalb der Zeit ab: „I wanted to

achieve rhythm and extreme contrasts. The simplest and the most expressive rhythm is monotony. Monotony is a slow and rhythm at once. From my work process a monotonous rhythm has emerged. Continuity matters, but chronology does not“. Vera Molnar greift das Motiv des Mäanders auf und überträgt es in diesem Sinne in ihre Art und Weise der Kunstherstellung, nämlich mit dem Computer. Das Überzeitliche und somit die Verbundenheit zu ihren Künstlerfreund post mortem findet in der Übernahme und in der Modifikation ihren künstlerischen Ausdruck. Vera Molnar studierte von 1942 bis 1947 Malerei sowie Kunstgeschichte und Ästhetik an der Hochschule für bildende Kunst in Budapest. Schon 1968 stellte sie erste Computergrafiken her. Von 1974 bis 1976 entwickelt sie ihr eigenes Softwareprogramm ‚MolnArt’. Ihre Werke wurde in zahlreichen Einzelausstellungen vorgestellt und sie nahm mehrfach an Gruppenausstellungen teil. Sie gilt international als Pionierin der Computerkunst und erhielt 2005 für ihr Lebenswerk den ersten ‚d.velop digital art award’ (ddaa), 2007 wurde sie mit dem ‚Ordre des Arts et des Lettres’ geehrt. 2012 erhielt sie die französische Auszeichnung ‚Chevalier de l’ordre de la Légion d’honneur’ und den ungarischen ‚Ordre du Mèrite’. Seit 1947 lebt und arbeitet sie in Paris.

Dirk Martin


BLINKY PALERMO

Blinky Palermo Blaues Dreieck, 1969 Guache auf Papier Edition 6 von 50 48.5 x 54 cm




JOAN WITEK

Seit den 70er Jahren hat Joan Witek ausschließlich in Schwarz und Weiß gearbeitet, welche sie, entlang anderer Medien in Tinte, Pastell, Aquarell, und Enkaustik erkundet. Fasst man diese überraschenden Ergebnisse der selbst aufgelegten Grenzen zusammen, Lilly Wei beobachtet: „Witeks Zeichnungen zeigen zum Einen, wie eingeschränkt ihr Lexikon der Mittel innerhalb dieser selbst aufgelegten Einschränkungen ist, zum Anderen, wie auch Ihre visuelle Welt variieren kann, so reich in Tonarten, raffinierten Markierungen und Texturen, dass es als lebendige, vielfache und vielfarbige polychromatische Wirklichkeit erscheint.“ In dieser Ausstellung sehen wir Arbeiten aus der Mitte des letzten Jahrzehnts, bei denen Joan Witek die durch knittern des Papiers entstandenen Topographien in mit Bleistift gezeichneten Flächenteilungen, durch eine raffinierte Technik hervorhebt. Der Kontrast zwischen Weiß und Schwarz hebt sich auf, die Arbeiten erscheinen besonders sensibel und fein, an fernöstliche Gefühlswelt erinnernd.

Joan Witek Wrinkled mulberry paper drawing XV, 2006 Tinte auf Maulbeerenpapier 91.5 x 62.2 cm


DOUGLAS ALLSOP

5 SINGLE 5 SINGLE ROWS,ROWS, 30 SINGLE 30 SINGLE VERTICAL VERTICAL SLOTSSLOTS

4 SINGLE 4 SINGLE COLUMNS, COLUMNS, 22 SINGLE 22 SINGLE HORIZONTAL HORIZONTAL SLOTSSLOTS

PARALLEL PARALLEL PATTERN PATTERN 2006/72006/7

PARALLEL PARALLEL PATTERN PATTERN 2006/72006/7

Size: 1600x1200x5mm Size: 1600x1200x5mm

Size: 1600x1200x5mm Size: 1600x1200x5mm

Douglas Allsop 5 Single Rows, 30 Single Vertical Slots, Parrallel Pattern, 2006 4 Single Columns, 22 Single Horizontal Slots, Parallel Pattern, 2006 Lithographischer Film Edition von 10 Je 50 x 37.05 cm


10 SINGLE 10 SINGLE ROWS,ROWS, 60 SINGLE 60 SINGLE VERTICAL VERTICAL SLOTSSLOTS

7 SINGLE 7 SINGLE COLUMNS, COLUMNS, 21 SINGLE 21 SINGLE HORIZONTAL HORIZONTAL SLOTSSLOTS

PARALLEL PARALLEL PATTERN PATTERN 2006/72006/7

PARALLEL PARALLEL PATTERN PATTERN 2006/72006/7

Size: 1600x1200x5mm Size: 1600x1200x5mm

Size: 1600x1200x5mm Size: 1600x1200x5mm

Douglas Allsop 10 Single Rows, 60 Single Vertical Slots, Parrallel Pattern, 2006 7 Single Columns, 21 Single Horizontal Slots, Parallel Pattern, 2006 Lithographischer Film Edition von 10 Je 50 x 37.05 cm


Douglas Allsop 931 Round Holes, Square Pitch, 2005 Acrylglas, Stahlstifte und Polyesterrรถhrchen 30 x 75 x 0.3 cm



Copyright Sammlung Schroth, Soest Die Künstler und Autoren wo zutreffend VG Bild-Kunst, Bonn 2012 Übersetzungen Kirstin Waibl, Arnsberg Carl-Jürgen Schroth, Soest Daniela von Bartha, London Photographie Seite 7, Joerg Hempel Seite 8, 11, 15, 17, 18, 21, 24, 25, 26, 27, 31, 40, 41, 44, 45, 64, 65, 78, 79, 80, 94, 95, 98, 101, 104, 105, 106, 107, 108, 117, Manuel Thomé Seite 32, 46, 49, 51, 54, 55, 58, 61, 62, 74, 88, 89, 93, 111, 112, Sebastian Kempa Seite 68, 71, 75, Dirk Masbaum Seite 52, Gerhard Kassner Seite 67, 73, Gunter Lepkowski Seite 83, 84, 85, 86, 87, Christopher Burke Layoutvorlage Linde Hollinger Gestaltung Niklas von Bartha Druck Unitedprint Auflage 500 Exemplare ISBN 978-3-00-037666-5



Sammlung Schroth Fr端here Marienschule Filzenstrasse 6 59494 Soest T +49 (0) 2921 141 77 F +49 (0) 2921 141 78 info@sammlungschroth.org www.sammlungschroth.org



ISBN 978-3-00-037666-5


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