Ve lag Ba Ver Bayerisc s her Mo Monat n ssp nat sspieg spieggel e | 45. 5 Jah J rgang rga gaang 200 2 9 | Post ver 20 ver tri triebs ebsstü ebs sstü tück c 69 692 9234 4 | ISSN N 18 86060 45 456 4 61 | E Einz in elp inz elprei reiss 7,50 rei 50 EU E R
Ausgabe 154
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Dezember 2009
Titelthema: Finanzen Volker Kauder: SPD verhöhnt SED-Opfer Hugo Müller-Vogg: Rote Rolle rückwärts Otto Wiesheu: Exportschlager Soziale Marktwirtschaft Meinhard Miegel: Geld und Glück Wolfgang A. Herrmann: Forscher-Oase in der Wüste Hildegard Müller: Deutschlands Zukunftsenergie Georg Fahrenschon: Gestärkt aus der Krise Franz-Christoph Zeitler: Neue Finanzordnung Abtprimas Notker Wolf: Soziale Verantwortung Manfred Weber: Aus der Krise lernen Markus Sackmann: Wir rücken zusammen Alois Glück: Missionarisch und selbstbewusst
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EDITORIAL
Hoher Gast beim Peutinger-Collegium: Otto Wiesheu (Mitte), Ex-Wirtschaftsminister und neuer Präsident des Wirtschaftsbeirats der Union, wird begrüßt von Peutinger-Präsident Walter Beck (links) und Monatsspiegel-Chefredakteur Peter Schmalz.
Vorwort des Herausgebers Denn sie wissen nicht, was sie tun! Dieser Satz galt sicherlich für einen Großteil der Finanzbranche, ob das nun bei den Rating-Agenturen, bei den Banken oder bei vielen Versicherungen zu beobachten war. Jeder glaubte dem anderen, der ihm höhere Rendite versprach, und meistens konnte gar nicht geprüft werden, was das für ein verlockendes Geschäft war, das der andere vorgeschlagen hat. Ignoranz als Begleiter des Vertrauens. Wie wir gesehen haben: Eine höchst gefährliche Mischung. Allerorten wird der Ruf nach den bewährten Regeln laut, auch in diesem Heft. Leider hilft der oft zitierte Satz: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser!“, auch nicht weiter. Nicht nur in der Weltwirtschaft sind die Parameter so unglaublich vernetzt, dass (wahrscheinlich) eine echte Kontrolle gar nicht möglich ist. Was dann? Wahrscheinlich bleibt wirklich nur Vertrauen auf der einen Seite, aber auch der Einsatz bewährter erfahrener Grundsätze, also im guten Sinn „wertkonservative“ Kriterien heranzuziehen. Wenn überdurchschnittlich hohe Gewinne versprochen werden, muss eben die Vorsicht einen mahnenden Zeigefinger heben. Wer dann die Gier sprechen lässt, sollte sich später nicht beschweren, wenn er dafür auch die Rechnung präsentiert bekommt. Das ist im meisten Fall auch gut so. Wenn aber ganze Volkswirtschaften durch die Massen-Gier gefährdet werden, ist das ein Problem, unser Problem. Ob es aber ein Rezept gibt, weltweit die Volkswirtschaften zu zähmen, wage ich zu bezweifeln. Bundesministerin Ilse Aigner hat heuer vor dem PeutingerCollegium in einer bemerkenswerten Rede darauf verwiesen, dass die Landwirtschaft eben auch Land-„Wirtschaft“ bedeutet. Bewährte land-„wirtschaftliche“ Regeln sind deshalb vielleicht auch ein guter Grundsatz für sonstiges wirtschaftliches Handeln.
Es bleibt die Frage, wem man denn trauen kann? Unseren Wirtschaftsweisen? Sie haben noch Anfang 2008 blühendes Wachstum vorausgesagt und lagen damit sehr gründlich daneben. Auch viele andere „Prognostiker“ haben nur wieder den Satz bewiesen: „Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.“ Das hindert die Zukunftsforscher dennoch nicht, kräftig Voraussagen zu machen. Damit unterscheiden sie sich oft nur in der Methode, nicht aber im Ergebnis von all den Wahrsagern. Trotzdem möchten – und können – wir nicht auf qualifizierte Projektionen in die Zukunft verzichten. Wir müssen aber auch hier wieder unser Vertrauen mit der gebotenen Skepsis kombinieren und eine Portion Vorsicht dazuschütten, wenn wir entscheidende wirtschaftliche Weichenstellungen auf diese Aussagen stützen. Es hilft alles nicht: Die Zukunft ist grundsätzlich unvorhersehbar und bleibt deshalb ungewiss. Was bleibt uns „Normalsterblichen“? Ohne Vertrauen geht es nicht. Vertrauen allein genügt aber nicht. Als Kontrolle bleibt uns eigentlich nur die Erfahrung, nicht unbedingt die eigene Erfahrung, aber die Erfahrung, die unsere Generationen gemacht haben. Diese Erfahrung heißt: Die Welt entwickelt sich weiter, wir wissen aber nicht wohin. Deshalb kommt es darauf an, den Weg mit bewährten Grundregeln zu gehen und glitzernden und goldenen Verheißungen mit großer Skepsis zu begegnen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine frohe Weihnachtszeit und einen glücklichen Start ins neue Jahr 2010. Ihr
Prof. Dr. Walter Beck Präsident
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INHALT
Aktuelles Editorial Kurz gemeldet
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Politik&Wirtschaft
Finanzen
Interview mit Volker Kauder SPD verhöhnt die Opfer der DDR
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Titelthema Finanzen
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Impressum
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Hugo Müller-Vogg Rote Rolle rückwärts
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Wolfram Weimer Eine Koalition mit der Stasi
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Otto Wiesheu Exportschlager Soziale Marktwirtschaft
Vorschau Das Heft 155 hat das Titelthema Augsburg und Schwaben: Mein Augsburg: Oberbürgermeister Kurt Gribl über seine Stadt · Erfolgsmodell Eurocopter · Das Land zwischen Hightech und glücklichen Kühen · Fuggers Segen wirkt nach · Allgäu-Airport hebt ab · Und vieles mehr über das blühende Schwaben · Italien in Bayern: Die Landesausstellung in Schwaben.
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Meinhard Miegel Geld und Glück
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Franz-Christoph Zeitler Chance für eine neue Finanzordnung
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Siegfried Naser und Rudolf Faltermeier Vertrauen auch in der Finanzkrise | 36 | 14 Christine Bortenlänger Der Weg aus der Kreditklemme
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Die Hüter des Schatzes
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Stefan Götzl Motor Mittelstand schafft Wachstum
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Die ältesten Börsenregeln
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Notker Wolf OSB Soziale Verantwortung
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Walter Beck Arabiens blühendes Land
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Wolfgang A. Herrmann Forscher-Oase in der Wüste
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Hildegard Müller Zukunftsenergie für Deutschland
Georg Fahrenschon „Hinter uns liegt ein ökonomischer Alptraum“
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Bayerischer Monatsspiegel 154_2009
INHALT
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Finanzen
Bayern&Kultur
Leben&Genießen
Reuschel & Co. Marktkommentar Gemischte Gefühle bewegen | 50 die Märkte zum Jahresende
Michael Weiser Bayern gibt Kraft und Halt
Interview mit Manfred Weber Aus der Krise lernen
Alexander Mettenheimer Selbstfindung in der Bank Erwin Horak Nehmt das Glück in die Hand
Bayerischer Monatsspiegel 154_2009
Hans-Joachim Epp Zu Gast bei Gerner
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Alois Glück Missionarisch und selbstbewusst | 66 | 52
Albrecht Fürst zu Castell-Castell | 56 Krisen gehören zum Leben Markus Hetzer Vorsorge mit mehr Rendite
| 64
Markus Sackmann Wir rücken zusammen
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Markus Reder Papst ehrt Würzburger Märtyrer
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Vorschau
Hannes Burger Über den Zaun schauen
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Veranstaltungen des Peutinger Collegiums 2010
Buchbesprechungen
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| 58
| 60
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Veranstaltungen des Peutinger Collegiums
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Weitere Themen im Heft 155: Prof. Paul Kirchhof und die einfache Steuer · Präsident Gerd Sonnleitner und Bayerns Bauern · Erzbischof Marx und der Ökumenische Kirchentag in München · Energisch in Brüssel: EU-Kommissar Günther Oettinger · Zwischen Bologna und den schönen Künsten: Bayerns Kultusminister Wolfgang Heubisch · Die Bärtigen von der Oberammergauer Passion.
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POLITIK & WIRTSCHAFT
Interview mit Volker Kauder
SPD verhöhnt die Opfer der DDR Koalition mit den Linken in Brandenburg ist empörend – Starke CSU für den Bund wichtig Volker Kauder führt im Berliner Reichstag die CDU/CSUBundestagsfraktion. Damit ist der gebürtige Badener einer der mächtigsten Politiker in Deutschland. Im Gespräch mit Peter Schmalz berichtet er über seine Gefühle zur deutschen Einheit und zum Verhältnis zur Linkspartei. Der 60-jährige CDU-Politiker spricht über das Versagen der SPD und über die Vorhaben der schwarz-gelben Koalition.
Spree, die Grenzfluss war und auch Flüchtlingen das Leben gekostet hat. Weckt der Blick noch immer Erinnerungen? Volker Kauder: Gerade in diesen Tagen werden natürlich Erinnerungen wach. Ich habe als 16-Jähriger erstmals in Berlin Mauer und Stacheldraht gesehen. Das war für mich ein bleibendes Erlebnis. Umso größer war die Freude, als vor 20 Jahren die Mauer gefallen ist. Der 9. November 1989 gehört sicher zu den Tagen, die ich in meinem Leben nicht vergessen werde.
Bayerischer Monatsspiegel: Herr Kauder, vor 20 Jahren fiel die Mauer. Sie blicken von Ihrem Büro jeden Tag hinunter zur
BMS: Der Wechsel nach Bonn fand dann ein Jahr später statt. Kauder: So ist es. Ich gehörte dem ersten gesamtdeutschen Parlament an. Das war für mich etwas Außergewöhnliches, zumal ich von früher Jugend an die deutsche Einheit als ein zentrales Thema für mein politisches Engagement hatte. Mit anderen Schülern zusammen habe ich am Gymnasium in Singen ein Kuratorium Unteilbares Deutschland gegründet. Dass schließlich die Einheit in Erfüllung gegangen ist, war und ist eine ganz wundervolle Sache.
Er gilt als ihre rechte Hand: Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Volker Kauder, dem Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion (rechts SPD-Fraktionschef Frank Walter Steinmeier). Kauder wurde 1949 im badischen Sinsheim geboren und studierte Jura.1990 zog er in den Bundestag ein und wurde 2005 Generalsekretär der CDU. Im gleichen Jahr wählte ihn die Unionsfraktion zu ihrem Vorsitzenden.
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POLITIK & WIRTSCHAFT BMS: Mit dem Glauben an die Einheit waren Sie nicht immer in der Mehrheit. Kauder: Da war so, aber in der CDU wie auch in der CSU war der Glaube an die Einheit immer fest, während er in anderen Parteien mehr und mehr verblasst ist. Ich erinnere mich noch an die erbitterte Diskussion über eine eigene DDR- Staatsbürgerschaft, die von allen anderen Parteien gefordert wurde. Dass wir dem widerstanden haben, war eine Voraussetzung dafür, dass die Ostdeutschen über Ungarn ohne Probleme in die Bundesrepublik ausreisen konnten, denn wir hatten ja dieselbe Staatsbürgerschaft.
Kauder: Wenn dies ein Signal sein sollte, dass die SPD bereit ist, mit ehemaligen Stasi-Leuten zusammenzuarbeiten, dann wird für die SPD das Signal der Weiterfahrt auf Rot stehen bleiben. Davon bin ich überzeugt. BMS: Immerhin hat die Linke der CDU im Saarland geholfen: Die Ankündigung von Lafontaine, nach Saarbrücken zurückzukehren, hat Ihren Parteifreund Müller dabei unterstützt, das Ministerpräsidentenamt zu verteidigen. Wenngleich in einer Jamaika-Koalition. Kauder: Da kann ich nur sagen: Die Grünen im Saarland haben mehr Anstand bewiesen, als die SPD in Brandenburg.
BMS: Sie führen die größte Fraktion im Bundestag. Ist in Ihrer Fraktion inzwischen zusammengewachsen, was zusammengehört? Kauder: Ich bin sehr froh, dass wir die größte Fraktion bilden können und damit der starke Teil in der Koalition sind. Wir haben mit großer Geschlossenheit vor wenigen Wochen unsere Gremien besetzt, wobei allein schon die Wahlergebnisse zeigen, dass diese Fraktion in großer Geschlossenheit zusammensteht. BMS: Sie brauchen keinen Ostbeauftragten? Kauder: Wir haben die Kolleginnen und Kollegen aus den neuen Bundesländern fest in die Koalitionsspitze integriert und wir haben mit Arnold Vaatz, einem früheren Bürgerrechtler, einen stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden, der für den wichtigen Bereich Verkehr und Infrastruktur zuständig ist. Und wir haben mit dem jungen sächsischen CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer einen Stellvertreter für den großen Bereich Bildung, Forschung, Kultur und Medien. Wir haben also auch in der obersten Spitze die Kolleginnen und Kollegen aus den neuen Ländern wirklich gut integriert. BMS: Kann es für Sie im Bundestag eine Gemeinsamkeit mit der Fraktion der Linken geben? Kauder: Wir haben schon in der letzten Legislaturperiode klare Entscheidungen getroffen, die auch jetzt gelten: Wenn es um Parlamentsrechte geht wie die Einsetzung von Ausschüssen und andere formale Gestaltungselemente, gibt es im Parlament gemeinsame Anträge, bei politisch inhaltlichen Fragen aber nicht. BMS: Welche Gefühle haben Sie, dass Sie manchem Kollegen gegenübersitzen, der eine Stasi-Vergangenheit hat? Kauder: Im Bundestag ist überprüft worden, wer Mitglied der Stasi war. Da wird es aber noch manches geben, was nicht öffentlich ist. BMS: Bei dieser Überprüfung hat aber nicht jeder PDS-Linke mitgemacht. Kauder: Eben, deswegen ist sicher manches noch nicht aufgedeckt. Aber das muss die Linke selbst mit sich ausmachen. Was mich aber sehr empört ist, dass im 20. Jahr des Mauerfalls der Ministerpräsident von Brandenburg, der kurzfristige SPD-Bundesvorsitzende Matthias Platzeck, Stasi-Leute an die Macht zurückführt und sie künftig mitbestimmen dürfen, wie die Politik in Brandenburg und darüber hinaus im Bundesrat aussieht. Das ist eine Verhöhnung der Opfer. BMS: War das nicht auch ein Signal der SPD für rot-rote Koalitionsmöglichkeiten auch auf anderer Ebene?
Bayerischer Monatsspiegel 154_2009
„Jeder Arbeitslose weniger verringert unsere Finanzprobleme ganz gewaltig“: Fraktionschef Volker Kauder am Rednerpult des Deutschen Bundestages.
BMS: Ist die erste Jamaika-Koalition ein Versuch der CDU, neue Partnerschaften zu eröffnen. Kauder: Das ist ein regionales Bündnis, bei dem man sehen muss, was es zustande bringt. Wir haben im Bund ein Bündnis mit der FDP, das ist unsere Wunsch-Koalition. Wenn wir zusammen unsere Arbeit gut erledigen, brauchen wir uns zur nächsten Wahl 2013 keine Gedanken über andere Koalitionen zu machen. BMS: Sie haben am selben Platz vier Jahre Schwarz-Rot hinter sich. Nun sind Sie mit Schwarz-Gelb gestartet. Spüren Sie schon einen Unterschied? Kauder: Wir haben in vielen wichtigen Fragen Gemeinsamkeiten, zum Beispiel in der Frage, wie wir Wachstum ankurbeln müssen und wie wir in der Wirtschaftspolitik vorangehen müssen. Deshalb ist auch die Zusammenarbeit in alltäglichen Fragen im Parlament viel einfacher. Bei der Steuerreform sind wir uns grundsätzlich darüber einig, mit erheblichen Entlastungen konjunkturpolitische Impulse auslösen zu wollen und gleichzeitig die Familien zu stärken. In anderen Bereichen wie etwa in der Gesundheitsreform, gibt es aber in Einzelfragen auch unterschiedliche Auffassungen. Wir werden uns noch in-
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tensiv darüber unterhalten müssen, wie wir die Gesundheitsreform durchführen werden. Insgesamt betrachtet kann ich feststellen, dass die Zusammenarbeit mit der FDP wesentlich harmonischer ist.
Und das geschieht nach unserer Auffassung vor allem über Wachstum. Mit mehr Wachstum kommt auch mehr Geld in die Staatskasse. Vor allem wollen wir durch Wachstum verhindern, dass aus 1,5 Millionen Kurzarbeitern Arbeitslose werden. Das
BMS: Auch wenn der kleinere Partner manchmal die Muskeln spielen lässt? Kauder: Ja, darin ist man als CDU-Politiker geübt. Wir haben auch eine gute Zusammenarbeit mit der CSU, die ja auch manchmal ihre Muskeln zeigt.
Verkehrsressort muss dringend auf die neuen Aufgaben ausgerichtet werden.
Karikatur: Horst Haitzinger
BMS: Sie kommen aus dem Süden, wo man was vom Sparen versteht. Wundert Sie, wenn die Leute an dem Versuch zweifeln, zugleich zu sparen und Steuern zu senken? Kauder: Sparen heißt, das Geld nicht ausgeben, das man hat. Insofern kann diese Bundesregierung gar nicht sparen, sondern wir müssen alles dafür tun, das Staatsdefizit zu verringern.
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größte Problem dabei ist die Haushaltslage der Bundesagentur für Arbeit, die in den nächsten Jahren einen Zuschuss von 40 Milliarden Euro benötigt. Jeder Arbeitslose weniger und jeder, der in Arbeit kommt, verringert unsere Finanzprobleme ganz erheblich.
BMS: Wobei sich auch die Kurzarbeit im Etat der Bundesagentur niederschlägt. Kauder: Ja, Kurzarbeit ist für die Arbeitsagentur fast gleich teuer wie Arbeitslosigkeit. Kurzarbeit gibt aber dem Betroffenen die Chance, in der Firma zu bleiben, und dem Arbeitgeber die Möglichkeit, seine qualifizierte Mannschaft zu erhalten. Natürlich kann Kurzarbeit keine Dauerlösung sein, auch deshalb brauchen wir Wachstum. BMS: Den Haushalt in Ordnung zu halten, wird eine Herkulesarbeit sein. Bleibt da die Kraft, weitere große Themen wie die Gesundheitsreform anzupacken? Kauder: Wir müssen die Gesundheitsreform anpacken und eine Antwort auf die demographische Entwicklung geben. Mancher denkt ja noch, das sei eine Aufgabe der Zukunft, aber wir stecken schon mitten drin. Wie kann die Qualität der Gesundheitsversorgung für alle Bürgerinnen und Bürger auf hohem Niveau aufrecht erhalten werden? Dabei müssen wir auch darauf achten, dass bei weniger jungen und mehr älteren Menschen die gesetzlichen Krankenkassen ihre Aufgaben erfüllen können.
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BMS: Eine Standortfrage ist auch die Infrastruktur. Sehen Sie es daher positiv, dass Ihr bisheriger CSU-Partner Peter Ramsauer das Verkehrsressort führt? Kauder: Das Verkehrsressort musste dringend auf die neuen Aufgaben ausgerichtet werden. Ich bin daher sehr froh, dass wir mit Peter Ramsauer einen Minister haben, der aus dem ländlichen Raum kommt und der weiß, was dort an Infrastruktur notwendig ist. Der aber auch aus seiner Heimat Bayern die Situation in Ballungsgebieten kennt. Ich setze sehr darauf, dass Peter Ramsauer eine moderne Infrastrukturpolitik macht, auch beim Stadtumbau Ost wie West, was in den vergangenen vier Jahren leider brach gelegen hat. BMS: Stimmen Sie ihm zu, dass ein Ausbau West notwendig ist? Kauder: Wir brauchen keine Ost-West-Diskussion, sondern müssen in ganz Deutschland schauen, wo Entwicklungen noch notwendig sind. In den neuen Ländern müssen Schienenprojekte dringend vorangetrieben werden, aber wir haben auch in den alten Bundesländern Aufgaben, die noch gelöst werden müssen. Wir sollten deshalb weder mit Aufbau Ost noch mit Ausbau West argumentieren, sondern sagen: Wo wir bei der Infrastruktur Herausforderungen haben, müssen sie angepackt werden. Auch müssen wir dafür sorgen, dass die ländlichen Räume in Zukunft attraktiv bleiben, dass sie Arbeitsplätzen binden und Platz haben für Forschung und Innovation. Hier muss das schnelle Internet ausgebaut werden, damit diese Räume nicht ausbluten.
Foto: Armin Linnartz
Auch Unions-Fraktionschef Volker Kauder (r.) betont: „Wir brauchen eine starke CSU.“ Mit Freude blickt CSU-Chef Horst Seehofer auf Bundeskanzlerin Angela Merkel, die als CDU-Vorsitzende die Vereinbarung beider Parteien für die 17. Wahlperiode unterzeichnet.
BMS: Zum Schluss ein Blick nach Bayern: Ein besonderer Wunsch des Unions-Fraktionschefs an die Bayern oder auch den neuen CSU-Landesgruppenchef? Kauder: Hans-Peter Friedrich kenne ich seit vielen Jahren und schätze ihn außerordentlich. Ich freue mich auf die gute Zusammenarbeit mit ihm. Und ansonsten kann ich nur wünschen, dass die Bayern so bleiben, wie sie immer waren: bayerisch und erfolgreich. BMS: Und auch künftig viele Prozente in die gemeinsame Fraktion mitbringen… Kauder: …ja, denn um im Bund erfolgreich zu sein, brauchen wir eine starke CSU. ■
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POLITIK & WIRTSCHAFT Hugo M체ller-Vogg
Rote Rolle r체ckw채rts
Karikatur: Horst Haitzinger
Sozialdemokraten verstehen die Inszenierung, doch die Probleme bleiben
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Bayerischer Monatsspiegel 154_2009
POLITIK & WIRTSCHAFT Der Zufall wollte es so, dass die SPD sich genau 60 Jahre nach dem historischen Programm-Parteitag von Bad Godesberg jetzt in Dresden versammelte, um die Wunden des Wahldesasters vom 27. September zu pflegen und sich selber Mut zuzusprechen. Die Parallele war auffällig: Damals wie heute kam eine von den Wählern verlassene Partei zusammen, um einen neuen Anfang zu wagen. Doch das war’s dann auch schon. Denn 1959 machte die Partei einen radikalen Schnitt, warf marxistischen und klassenkämpferischen Ballast ab und bewegte sich dorthin, wo es die meisten Stimmen zu gewinnen gibt – in Richtung Mitte. Bad Godesberg stand für die Abkehr von der Ideologie, hin zur Wirklichkeit. 60 Jahre später machten die Sozialdemokraten ebenfalls einen radikalen Schnitt. Kein Redebeitrag, in dem nicht die pragmatische „Agenda“-Politik verdammt wurde, keine Wortmeldung, die nicht missbilligte, dass die Regierung Schröder 2003 den Bedingungen des globalen Wettbewerbs und einer alternden Bevölkerung Tribut gezollt hatte. Dresden war die Rolle rückwärts: weg von der Wirklichkeit, zurück zur alten Ideologie, zurück auf das vertraute Gelände des Vollkasko-Wohlfahrtstaats. Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität: Das waren die Schlüsselworte des Godesberger Programms; es waren auch die Schlüsselworte von Dresden. Doch die ideologisch gealterten Sozialdemokraten haben sie neu interpretiert. Freiheit, das ist das Recht, vom umverteilenden Sozialstaat möglichst viel zu fordern
Niedersachsen haben Gabriel gedemütigt. – auch unter Verzicht auf Gegenleistung. Gerechtigkeit wird definiert als Umverteilung; Umverteilung wiederum rangiert vor Wachstum. Ob der Kuchen wächst oder schrumpft – Hauptsache die Stücke sind annähernd gleich groß. Denn Gleichheit kommt vor Leistung. Und Solidarität wird so definiert, dass ein schlechtes Gewissen haben muss, wer dank eigener Anstrengung und Leistung mehr Geld hat als der Durchschnittsverdiener. In Dresden stand die SPD kurz davor, per Parteitagsbeschluss zu erklären, „Agenda 2010 ist Mist“. Dass es nicht dazu kam, das verhinderte die Rest-Pietät mit dem scheidenden Vorsitzenden Müntefering und die Noch-Rücksicht auf den AgendaArchitekten Steinmeier. Ginge es nach der Gabriel-Nahles-SPD, bliebe von der „Agenda“ gerade mal noch die Zusammenfassung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe übrig. Aber die Regelsätze würden deutlich erhöht und die Rentenregelung mit so vielen Ausnahmen durchsetzt, dass von den notwendigen Anpassungen an die älter werdende Bevölkerung nichts mehr bliebe. Eines muss man den Sozialdemokraten freilich lassen: Sie verstehen sich zu inszenieren. Alter Vorsitzender weg, neuer Star her, große Rede, lauter Jubel, Solidaritätsbekundungen, Treueschwüre, Aufbruchstimmung, Siegerposen. Da kann man nur sagen: Übung macht den Meister. Der neue Vorsitzende trat auf als neuer Heilsbringer. Er hielt das, wonach der Parteitag geradezu lechzte: Eine mitreißende Rede, in der geschickt die Erinnerungen an die guten alten roten Zeiten verbunden waren mit wenig konkreten Ankündigungen. Und alles gewürzt
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mit gezielten Hieben gegen die politische Konkurrenz. Bei aller gewollten Unbestimmtheit erlaubte er zugleich einen Blick in die Den Parteitag in Dresden macht der neue Parteichef Sigmar Gabriel zur großen Aufbruchsshow. Das gab’s bei SPD-Parteitreffen schon öfter.
neue Zeit: Die FDP wird als potenzieller Bündnispartner gar nicht mehr erwogen, dafür wurden die Türen für die Genossen von ganz Links weit aufgemacht. Gabriel ist zweifellos ein begnadeter Redner und ein exzellenter Wahlkämpfer. Er wird wohl spätestens in der Mitte der Legislaturperiode den glücklosen Frank-Walter Steinmeier von der Fraktionsspitze verdrängen und nach der Kanzlerkandidatur greifen. Aber ob er auch „Kanzler kann“? Als Ministerpräsident von Niedersachsen wurde er jedenfalls auf fast demütigende Weise abgewählt, und als umtriebiger Umweltminister konnte er das Erstarken der Grünen auf Kosten der SPD nicht verhindern. Aber gut: Auch Angela Merkel wurde einst völlig unterschätzt – und Helmut Kohl sowieso. Dresden zeigte: Mit einer in die Opposition verbannten SPD wird das politische Klima rauer als zu Zeiten der schwarz-roten Kuschelei. „Wir da unten gegen die da oben“, so lautet Gabriels neue Kampfruf. Bildungs-Soli, Vermögenssteuer – das alles würde die Staatskassen nicht überfließen lassen. Doch es bedient das, worauf die SPD wieder unverhohlen setzt: Das weit verbreitete Neidgefühl. Die zweite Stoßrichtung hat der neue Vorsitzende ebenfalls vorgegeben: CDU, CSU und FDP werden als „demokratische Rechte“ attackiert. Das ist, politologisch gesehen, gar nicht falsch. Doch Gabriel setzt bewusst darauf, dass rechts und rechtsradikal hierzulande mehr oder weniger gleichgesetzt werden. Nicht von ungefähr stellt die vereinte Linke den Kampf gegen die Neonazis unter das Schlagwort „Kampf gegen Rechts“ – und hofft, dass diese vergiftete Parole ihre Wirkung nicht verfehlt. Ach ja, zum Schluss des Dresdner SPD-Treffens sprach der große Vor- und Querdenker Erhard Eppler. Der hat als Spitzenkandidat in Baden-Württemberg die SPD in zwei schwere Wahlniederlagen geführt. Umso besser ist der gescheiterte Praktiker als Theoretiker: Kenntnisreich und mitreißend, wortgewaltig und witzig. Der Kern seiner Botschaft: Wir haben Recht und alles wird gut. Die Parteitagsdelegierten haben’s gerne geglaubt. ■
Dr. Hugo Müller-Vogg, Publizist und u.a. BILDKolumnist. Sein neustes Buch: „Volksrepublik Deutschland – Drehbuch für die rot-rot-grüne Wende“, Olzog-Verlag. www.hugo-mueller-vogg.de.
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POLITIK & WIRTSCHAFT Wolfram Weimer
Eine Koalition mit der Stasi
Deutschland feiert zwanzig Jahre Mauerfall. Doch an das Grauen der DDR-Diktatur erinnert niemand mehr. Ostalgie ist in Mode, die DDR wird verklärt, und die alten SED-PDSLinkspartei-Kader reiben sich über die kollektive Amnesie die Hände. Immer mehr Stasi-Mitarbeiter wollen nun sogar zurück in die aktive Politik – in der Bundestagsfraktion der Linkspartei sitzen sie bereits und in Brandenburg werden sie jetzt sogar regieren. Die vier wichtigsten Linksparteienführer in dem märkischen Bundesland sind allesamt bei der Stasi gewesen. Der Landesvorsitzende Thomas Nord denunzierte bei der DDR-Marine die Fluchtabsichten eines Matrosen und spionierte später als Leiter eines Jugendclubs in Berlin gnadenlos regime-kritische Jugendliche aus. Die Fraktionschefin des brandenburgischen Landtags Kerstin Kaiser hatte sich für die Stasi sogar darauf spezialisiert, intime Details ihres Umfeldes auszuspionieren. Über Mitstudentinnen meldete sie der Stasi nicht nur, wer „keinen gefestigten Klassenstandpunkt“ habe oder wer in Klausuren abschreibe, sondern wer „Nickis auf bloßer Haut“ trage und wer „sexuell stark bedürftig“ sei.
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Mit diesen eifrigen Stasi-Figuren bildet der Ministerpräsident Matthias Platzeck nun eine neue Koalition. Nicht nur Bürgerrechtler und Opferverbände sind entsetzt. Denn kein Bundesland ist so sehr Heimatterritorium alter DDR-Seilschaften wie Brandenburg. Unter Linkspartei-Kadern sprechen sie schon von „unserer kleinen DDR“. Platzeck wechselt ohne Not von der Großen Koalition in das rot-rote Abenteuer. Vor kurzem noch bezeichnete er die Große Koalition als Glücksfall für Brandenburg, bei den Wahlen haben CDU und SPD leicht gewonnen, die Linkspartei hingegen verloren. Der Wechsel hat also demonstrative Züge und soll der SPD insgesamt die Tür nach links öffnen. Platzeck zahlt für diesen strategischen Schachzug einen hohen persönlichen Preis. Er gehörte 1989 zur Bürgerrechtsbewegung und hat diese nun verraten. Er galt über Parteigrenzen hinweg als integrer, gewissenorientierter Politiker. Nun gibt er den kalten Strategen. Seine Stärke war seine Glaubwürdigkeit und Anständigkeit, nun verhilft er den Unanständigen an die Schaltstellen der Macht. Er opfert sich damit ein zweites Mal für die SPD auf, einmal als er deren Vorsitzender wurde und in internen Machtkämpfen buchstäblich krank gerieben wurde. Und nun weil er der Partei einen scheinbaren Dienst erweisen will, da sie selber krank darniederliegt. Die SPD dürfte dieser Linksschwenk freilich kaum kurieren. Frank-Walter Steinmeier warnt bereits, dass das Heil der Partei nicht im Schatten der Stasi-Truppe liegen könne. Man habe mehr Wähler an FDP und CDU verloren als an die Linkspartei. Steinmeier hat Recht. Die Mehrheiten liegen für eine Volkspartei immer in der Mitte. Das gilt freilich auch für Deutschland insgesamt. Zwanzig Jahre nach dem Mauerfall fragen darum Bürgerrechtler und Opfer des DDR-Regimes zu Recht, warum ihnen weder Denkmäler noch Straßennamen gewidmet werden. Dagegen prangt der Name von Karl Marx, dem geistigen Vater der kommunistischen Bewegung, 550 Mal auf Schildern im Straßenbild Ostdeutschlands. 250 Straßen oder Plätze sind nach seinem Mitstreiter Friedrich Engels benannt, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht kommen zusammen sogar auf 596 Straßen. Absoluter Spitzenreiter ist der frühere KPD-Vorsitzende Ernst Thälmann, an den 613 Straßen und Plätze erinnern. Jedes Navigationssystem zeigt: Ostdeutschland ist auch 2009 noch Thälmann-Land. Doch werden im Osten nicht nur die kommunistischen Helden verherrlicht. Auch ihre Institutionen: 337 Mal erinnern „Straßen der Jugend“ an den kommunistischen FDJ-Jugendkult, 285 Mal verewigen „Straßen der Einheit“ an die Zwangsvereinigung von SPD und KPD. 220 Mal bewahren „Straßen der Freundschaft“ den „Bruderbund mit der Sowjetunion“.
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Der Wink ins rote Abseits: Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (li.) koaliert mit den Linken, der Ex-SED. Ihr Landeschef Thomas Nord (Mitte) und Fraktionschefin Kerstin Kaiser waren eifrige Stasi-Mitarbeiter. Das Bild auf der linken Seite zeigt eine Stasi-Minikamera, die durch einen Knopf fotografierte.
Vor allem die Linkspartei wehrt sich vor Ort gegen eine Rücknahme dieses DDR-Kults, ja gegen eine kritische Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit insgesamt. Sie kocht lieber DiktaturVerniedlichungs-Süppchen. Das wird dann unter dauerndem
Nach der Wende stürmten DDR-Bürger die Stasi-Zentrale in Berlin.
Eindreschen auf die Einheit, die Demokratie und ihre „sozialen Schieflagen“ umgerührt. Die ideologische Rezeptur für dieses Gebräu liefert die Rosa-Luxemburg-Stiftung. In einer ihrer Publikationen heißt es: „Wer heute noch mehr Würdigung für die Opfer der SED-Diktatur wünscht, scheint sich der Tatsache nicht bewusst zu sein, dass eine Gedenkstättenpädagogik viel Überdruss erzeugt.“ Überdruss! So, so. Die Opfer stören die Täter. Der Vorstandsvorsitzende der Luxemburg-Stiftung ist übrigens Genosse von Frau Kaiser und Herrn Nord: Heinz Vietze. Im Wendejahr 1989 war er Bezirkschef der Potsdamer SED, verfolgte gnadenlos Bürgerrechtler und verteidigte bis zuletzt die Mauer – noch im Herbst 1989 wollte er lieber schießen und internieren als Freiheit gewähren. Aber: Erinnern wir besser nicht daran. Sie wissen schon – der Überdruss. ■ Dr. Wolfram Weimer, geboren 1964, ist seit 2004 Chefredakteur und Herausgeber des von ihm gegründeten Politikmagazins Cicero. Zuvor war er Chefredakteur der Welt. Im kommenden Jahr wechselt Weimer nach München und wird Chefredakteur des Nachrichtenmagazins Focus.
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POLITIK & WIRTSCHAFT Otto Wiesheu
Exportschlager Soziale Marktwirtschaft Die Soziale Marktwirtschaft ist das erfolgreiche Ordnungsmodell, mit dem Ludwig Erhard das Fundament gelegt hat für das Wirtschaftswunder, das dem Nachkriegsdeutschland Arbeit, Wachstum und Wohlstand gebracht hat. Doch die Zustimmung zur Sozialen Marktwirtschaft hat in jüngster Zeit beängstigend gelitten, nicht nur im Osten, sondern auch im Westen. 20 Jahre nach dem Zusammenbruch von Sozialismus und Kommunismus ist dies eine bemerkenswerte Entwicklung.
Meister und Facharbeiter sorgen dafür, dass „Made in Germany“ geschätzt ist rund um den Erdball.
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Heute machen nicht wenige die Soziale Marktwirtschaft für die schwere Finanz- und Wirtschaftskrise und ihre Folgen verantwortlich. Dieser falschen Ursachendefinition und Schuldzuweisung gilt es entschieden entgegenzutreten. Wir haben keine Krise der Sozialen Marktwirtschaft. Im Gegenteil: Die Krise zeigt, was passieren kann, wenn gegen die Grundsätze der Sozialen Marktwirtschaft verstoßen wird und ihre Regeln missachtet werden.
POLITIK & WIRTSCHAFT Versagt hat die anglo-amerikanische „Deregulierungs- Ideologie“, die einen „Laschheitswettbewerb“ auf den Finanzmärkten hervorgerufen hat. Ursächlich für das Desaster war, dass in Teilen des Finanzsektors Entscheidung und Verantwortung, Risiko und Chancen auseinandergefallen sind. Es hat bei einigen Akteuren aber auch an der Moral des „ehrbaren Kaufmanns“ gefehlt, die zu den konstituierenden Elementen der Sozialen Markwirtschaft zählt. Die Soziale Marktwirtschaft ist keine Ideologie wie der Sozialismus. Sie ist vielmehr eine Wirtschaftsordnung, die auf den Grundwerten und den Grundrechten des Grundgesetzes beruht. Menschenwürde, Vertragsfreiheit, Wahlfreiheit der Konsumenten, Gerechtigkeit, freie Berufswahl, Eigentum, gleiche Startchancen sind ebenso unverzichtbare Elemente der Sozialen Marktwirtschaft wie ein Ordnungsrahmen, der Regeln vorgibt. Mit dem Grundgesetz wäre z.B. eine Planwirtschaft nicht zu vereinbaren. Unsere freiheitliche Staats- und Gesellschaftsordnung steht auf den vier Säulen: der parlamentarischen Demokratie, dem liberalen Rechtsstaat, dem aktivierenden Sozialstaat und der Sozialen Marktwirtschaft. Keine der Säulen kann ohne Schaden für die anderen herausgebrochen werden. Wie die parlamentarische Demokratie setzt die Soziale Marktwirtschaft mündige, selbstverantwortlich handelnde Bürger voraus – als Unternehmer wie als Arbeitnehmer, als Selbständige wie als Konsumenten. Soziale Marktwirtschaft lebt von Teilhabe am Wirtschaftssystem und nicht an erster Stelle von Umverteilung. Wirtschaft und Märkte brauchen klare Regeln. Das haben schon Müller-Armack, Ludwig Erhard, Röpke und viele andere betont. Das zeigt der Kampf Ludwig Erhards für ein deutsches Kartellrecht zur Verhinderung von Kartellbildung und gegen den Missbrauch von Marktmacht in den 50er Jahren. Es müssen Leitplanken gezogen werden, die im Ergebnis zu einem fairen Leistungswettbewerb auf gut funktionierenden Märkten führen und damit den Wohlstand nachhaltig fördern. Deshalb muss die Lehre aus dem Finanzdesaster sein: • nicht weg von Ludwig Erhard, sondern zurück zur Sozialen Marktwirtschaft. • dieses Erfolgsmodell weder von Dogmatikern des Kapitalismus noch von „Neosozialisten“ zerstören lassen. • gemeinsam offensiv werben für die Renaissance der Sozialen Marktwirtschaft. Die Soziale Marktwirtschaft ist ein Exportschlager. Sie ist die ordnungspolitische Grundlage für die Europäische Union und sie wurde zum Modell für die mittel- und osteuropäischen Reformstaaten. Sie ist auch der ordnungspolitische Rahmen, innerhalb dessen sich die Herausforderungen und Aufgaben der Zukunft am besten bewältigen lassen. Auch deshalb kann und soll sie das Modell für die Ordnung der internationalen Finanzmärkte sein. Mit ihr lassen sich die großen Ziele „Wachstum“, „Wohlstand für alle“, „Arbeit für alle“, „sozialer Ausgleich“ und „Nachhaltigkeit“ am besten verfolgen und erreichen. Denn sie nutzt die Effizienz einer dezentralen Steuerung des Wirtschaftsprozesses durch den Markt und den dynamischen Leistungswettbewerb, ohne den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu vernachlässigen. Und sie ist keine starre, statische Ordnung,
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Ludwig Erhard, Vater des Wirtschaftswunders und der Sozialen Marktwirtschaft, auf einer 2-DM Münze.
sondern ist konzipiert als Leitidee für eine offene Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung. In der Sozialen Marktwirtschaft hat der Glaube an die Allzuständigkeit und Allmacht des Staates keinen Platz. Vollkaskomentalität und schleichende Entmündigung der Bürger zu Lasten von Eigenvorsorge und zugunsten von Kollektivlösungen verstoßen gegen ihren Geist. Die Soziale Marktwirtschaft braucht weder einen Nachwächterstaat, der einem ungezügelten Kapitalismus freien Lauf lässt, noch einen allmächtigen Staat, der alles bis ins Detail regeln will. Sie braucht vielmehr die
Wirtschaft und Märkte brauchen klare Regeln. Macht des Staates als ordnenden Faktor. Also einen starken, durchsetzungsfähigen Staat, der entschlossen seine Verantwortung für eine langfristig positive gesamtwirtschaftliche, soziale und ökologische Entwicklung wahrnimmt. Dazu zählen in erster Linie Bildung und Infrastruktur, aber auch staatliche Investitionen und Förderung von Forschung und Entwicklung. Daran hat sich auch in Zeiten der Globalisierung nicht das Geringste geändert. Allerdings bleiben die Aufgaben dabei nicht immer gleich. Manches muss mit größerem Nachdruck in Angriff genommen werden, in anderen Bereichen kann sich der Staat zurücknehmen. Neue Aufgaben kommen hinzu als Antworten auf neue Herausforderungen. Ludwig Erhard musste sich noch nicht mit ABS-Papieren, Zertifikaten und Zweckgesellschaften befassen. Zudem lässt sich eine ganze Reihe von Problemen längst nicht mehr auf nationalstaatlicher Ebene befriedigend lösen. Hier bedarf es bei zunehmender Internationalisierung der Wirtschaft im wachsenden Maße handlungs- und entscheidungsfähiger europäischer oder globaler Institutionen wie etwa der G 20. Aus der Fülle von Aufgaben, die derzeit ein entschlossenes Handeln auf dem Boden der Sozialen Marktwirtschaft erfordern, sollen nur einige der wichtigsten erwähnt werden:
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FINANZEN 1. Drohende Kreditklemme entschärfen. 2. Internationale Finanzmärkte sinnvoll und konsequent regulieren, wozu ein FrĂźhwarnsystem vor globalen Ungleichgewichten ebenso zählt wie nach Ăœberwindung der Krise das Abpuffern von Risiken durch eine stärkere Eigenkapitalunterlegung von Krediten. Die Ratingagenturen mĂźssen durchgreifend reguliert werden, sonst sind sie Ăźberßssig, die Bankenaufsicht ist effektiver auszugestalten und die Bonussysteme mĂźssen stärker am langfristigen Erfolg orientiert werden. 3. Mit einer Politik des Sparens, steuerlichen Entlastens und Investierens muss Deutschland aus der Krise heraus auf einen neuen Wachstumspfad zurĂźckgefĂźhrt werden, denn ohne Wachstum gibt es keine Haushaltskonsolidierung und keine Sicherung der Sozialsysteme. 4. Nach dem Motto „Neue Produkte, neue Betriebe, neue Märkte“ ist die Zukunft offensiv zu gestalten und die Innovationskraft weiter zu steigern. Dazu gehĂśrt auch, die Chancen der GrĂźnen Gentechnik bewusst wahrzunehmen
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5. Unsere Wirtschaftskraft kommt nicht von Rohstoffen, sondern von Wissen und KÜnnen, weshalb es vor allem auf Bildung ankommt. Dazu zählt auch, die beruiche Chancen von Frauen zu verbessern und Erfahrungen älterer Arbeitnehmer zu nutzen. Deshalb wäre es falsch, die Rente mit 67 zu kippen, wie dies kßrzlich der SPD-Bundesparteitag beschlossen hat.
Unsere Wirtschaftskraft kommt von Wissen und KĂśnnen. Bundesregierung zu begrĂźĂ&#x;en sind. Dazu zählen die krisenentschärfenden Korrekturen an der letzten Unternehmenssteuerreform sowie die Entschärfung bei der Erbschaftssteuer. 7. Die Verkehrsinfrastruktur ist weiter auszubauen, zu modernisieren und intelligent zu nutzen sowie der ländliche Raum ächendeckend mit Breitband zu versorgen. 8. Ein tragfähiges energiepolitisches Gesamtkonzept ist vorzulegen, das nicht nur den Kriterien „Versorgungssicherheit“ und „Klimaverträglichkeit“, sondern auch dem Kriterium der „Bezahlbarkeit“ gerecht wird. Dabei sind bei aller Steigerung der EnergieefďŹ zienz und FĂśrderung erneuerbarer Energien längere Laufzeiten der Kernkraftwerke unverzichtbar. 9. SchlieĂ&#x;lich gilt es, wieder zum Prinzip des aktivierender Sozialstaats zurĂźckzuďŹ nden, der schon bei Ludwig Erhard ein Teil seiner Sozialen Marktwirtschaft war. Das bedeutet, dass Hilfe zur Selbsthilfe Vorrang hat vor passiver Alimentierung.
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6. Der Mittelstand ist noch immer das tragende Element unserer Wirtschaft, er stellt die meisten Arbeits- und Ausbildungsplätze zu Verfßgung. Er ist von Steuern, Abgaben und Bßrokratie zu entlasten, weshalb die steuerlichen Beschlßsse der neuen
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FINANZEN
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Zusammenfassend ist festzustellen, dass der Staat allein mit der Sicherung der Zukunft mehr denn je überfordert ist. Die Zukunftssicherung wird stärker noch als bisher ein Gemeinschaftswerk sein, wobei die unterschiedlichen Verantwortungsbereiche nicht verwischt werden dürfen. Dazu sind ein neuer Gründergeist und ein dynamisches Unternehmertum notwendig, die dem Leitbild des „ehrbaren Kaufmanns“ folgen, und qualifizierte Mitarbeiter, die Mitverantwortung im und für den Betrieb übernehmen. Ebenso unerlässlich sind verantwortungsbewusste Tarifparteien und eine Gesellschaft, die nicht krampfhaft an Bestehendem festhält, sondern Mut zu Neuem aufbringt.
von der Zukunft ist ein Chancen- und Pionierland. Ich möchte es Optimismus-Land Bayern nennen: Wirtschaftlich stark, innovativ, führend in Bildung und Wissenschaft, human und sozial gefestigt. Das Potential dazu haben wir wie wenige andere Länder und Regionen der Welt. Und wir werden dafür internationale bewundert und auch beneidet.
Die jetzige Generation lebt von den Investitionen früherer Generationen, und sie steht in der Pflicht, zugunsten der nächsten Generation selbst in die Zukunft zu investieren. Unsere Vision
Der Wirtschaftsbeirat der Union e.V. wurde 1948 in Augsburg von dem Papier-Industriellen Georg Haindl und dem CSU-Gründer Josef Müller („Ochsensepp“) als Unternehmervereinigung aus der Taufe gehoben. Mit seinen 1900 Mitgliedern versteht er sich als Sprachrohr der Wirtschaft und Wegweiser für die Politik. Sein Leitbild ist die Soziale Marktwirtschaft. Der Wirtschaftsbeirat wird von Otto Wiesheu als Präsident und dem Präsidenten des bayerischen Genossenschaftsverbandes, Stephan Götzl, als Vizepräsident geleitet.
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Wenn wir unsere Möglichkeiten ausschöpfen wollen, müssen wir an der Sozialen Marktwirtschaft festhalten und auf der Basis dieser Leitidee aktiv und offensiv Politik gestalten. Der Wirtschaftsbeirat wird dazu beitragen, die Partnerschaft zwischen Politik und Wirtschaft zu stärken und in der Bevölkerung mehr Wissen über und damit auch mehr Verständnis für die Wirtschaft zu erreichen. Wie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist die Soziale Marktwirtschaft auch das Erfolgsmodell für das 21. Jahrhundert. ■ Dr. Otto Wiesheu, 1944 im oberbayerischen Zolling geboren, studierte Jura und trat schon als 15-Jähriger der CSU bei. Er war CSU-Generalsekretär, Kultusstaatsekretär und für 12 Jahre bayerischer Wirtschaftsminister. 2005 wechselte Wiesheu in den Vorstand der Bahn AG und ist seit Juli dieses Jahres Präsident des Wirtschaftsbeirat der Union in Bayern.
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POLITIK & WIRTSCHAFT
Meinhard Miegel
Geld und Glück Zufriedenheit auch ohne Wirtschaftswachstum möglich Die unlängst geschlossene Koalitionsvereinbarung von Unionsparteien und FDP steht unter dem Motto „Wachstum, Bildung, Zusammenhalt“. Doch was ist, wenn wohlstandsmehrendes Wachstum in den früh industrialisierten Ländern in absehbarer Zukunft zum Stillstand kommen oder gar in Schrumpfung umschlagen sollte? Was soll eine solche Frage bei wieder anspringender Konjunktur, einer Vielzahl guter Unternehmensberichte und kletternden Börsenkursen – so mag der eine oder andere jetzt denken. Sind wir nicht gerade wieder dabei, auf den alten Wachstumspfad einzuschwenken? Haben wir nicht gute Chancen, dort wieder anknüpfen zu können, wo uns der Faden unlängst entglitten ist? Wer so denkt und fühlt, denkt und fühlt kurzfristig in rasch aufeinander folgenden Sequenzen. Wer jedoch nicht nur Monate und allenfalls Jahre, sondern Jahrzehnte im Blick hat, der wird bei der Frage nach künftigem wohlstandsmehrendem Wachstum nachdenklich, vielleicht sogar sehr nachdenklich werden. Die Bundeskanzlerin könnte zu diesen nachdenklich Werdenden gehören. Zumindest enthält ihre erste Regierungserklärung in dieser Legislaturperiode zwei Sätze, die offenbar der Aufmerksamkeit der Medien entgangen sind und deshalb auch in der Öffentlichkeit keine Resonanz gefunden haben. Dort heißt es: „Im vor uns liegenden Jahrzehnt entscheidet sich, ob wir ins-
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gesamt eine Art des Wirtschaftens finden, die nicht mit den Grundlagen ihres eigenen Erfolgs Raubbau treibt. Es entscheidet sich, welche Zukunft unser Planet und damit wir, die wir diesen Planeten bewohnen, haben.“ Es ist noch nicht lange her, da hätte jeden, der dergleichen auch nur gedacht hätte, der Bannstrahl eben jener Partei getroffen, deren Vorsitzende so etwas jetzt sagt. Denn was sie da sagt lautet: Mit der derzeitigen Art des Wirtschaftens untergraben wir unseren Wohlstand und gefährden unsere Zukunft. Das ist in der Tat eine mutige Aussage, zumal die Bundeskanzlerin keinerlei Garantien dafür gibt und auch nicht geben kann, dass wir diese Art des Wirtschaftens finden werden, „die nicht mit den Grundlagen ihres eigenen Erfolgs Raubbau treibt“. Vorerst jedenfalls geht es auf der gewohnten Bahn weiter. Der Klimawandel wird weiter voranschreiten, die Verschmutzung der Weltmeere wird weiter zu- und die Nahrungsmittelproduktion pro Kopf der Weltbevölkerung weiter abnehmen, das Artensterben wird sich beschleunigen. Bis irgendwann in voraussichtlich nicht sehr ferner Zukunft entweder die aufeinander zurasenden Züge der bisherigen Art wachstumsfokussierten Wirtschaftens von der einen und der mit dieser Art des Wirtschaftens einhergehenden Beeinträchtigung unserer Lebensgrundlagen von der anderen Seite aufeinanderprallen – das wäre eine globale Katastrophe. Oder es den hellsichtigeren Teilen der Menschheit gelingt, diesen Zusammenprall
POLITIK & WIRTSCHAFT abzuwenden – das wäre eine menschheitsgeschichtliche Großtat. Ein Wunder wäre es jedoch, wenn das eine oder das andere ohne Rückwirkungen auf den materiellen Lebensstandard der Menschen zumindest in den früh industrialisierten Ländern bliebe. Denn nochmals: Dieser Lebensstandard war bislang nur möglich durch die rigorose Ausbeutung nicht nur von Natur und Umwelt, sondern auch von Mensch und Gesellschaft. Wird hieran etwas geändert, wird dies vielleicht nicht für immer, aber doch für einen beträchtlichen Zeitraum den materiellen Lebensstandard der Bevölkerung senken oder zumindest auf seinem heutigen Niveau einfrieren. Dass dies keineswegs nur spekulativ ist, zeigt sich schon heute in unterschiedlichsten Formen. So muss die Gesellschaft immer mehr Mittel aufwenden, um ihre erheblich beeinträchtigte Funktionsfähigkeit aufrecht zu erhalten. „Aus Liebe“ zur Umwelt, zum Klima, zum Wasser, zur Luft müssen – so heißt es in den einschlägigen Schreiben der Versorgungsunternehmen – ständig wachsende Einkommensanteile abgeführt werden. Und das ist erst der Anfang. Nahrungsmittel und zahlreiche Rohstoffe werden sich teilweise drastisch verteuern, für die Erhaltung des Zwei-Grad-Ziels sind Billionen-Beträge erforderlich, die ärmeren Staaten erwarten jährlich etwa 100 Milliarden Euro von uns, den Wohlhabenderen, für Zwecke des Klimaschutzes und anderes mehr. Richten wir uns also darauf ein – vorausschauend und bewusst –, dass es nicht so weitergehen wird wie bisher, dass es nicht möglich sein wird, durch „Raubbau“ und darüber hinaus immer gigantischere Schuldenberge ein Wachstum zu erzeugen oder richtiger: zu simulieren, das schon längst nicht mehr wohlstandsmehrend wirkt. Dass das für Gesellschaften, die mit allen Fasern auf Wachstum eingestellt sind und die ihr Wohl und Wehe von ihm abhängig gemacht haben, einen Paradigmenwechsel darstellt, steht außer Frage. Deshalb ist es erforderlich, dass möglichst viele über ihn nachdenken und ihn dann ins Werk setzen.
dürfnisse befriedigt sind – nicht schlimm. Schlimm ist es, in einer materiell reichen Gesellschaft wenig zu haben. Das verlangt Stärke. Wer diese Stärke nicht hat, ist unzufrieden. Doch so unstrittig der Zusammenhang zwischen objektiven materiellen Lebensbedingungen und subjektiver Lebenszufriedenheit ist, so unstrittig ist auch, dass durch eine fortwährende Verbesserung materieller Lebensbedingungen die subjektive Lebenszufriedenheit nicht immer weiter steigt. Das heißt nicht, dass die Menschen nicht nach einer immer weiteren Verbesserung ihrer materiellen Lebensbedingungen strebten. Schon vor 233 Jahren bemerkte der schottische Moralphilosoph und Volkswirtschaftler Adam Smith, dass zwar „der Hunger des Menschen durch die enge Kapazität des Magens begrenzt wird, es für seinen Wunsch nach Möbeln, Bequemlichkeit, schön verzierten Hausfassaden oder schönen Kleidern hingegen kein Limit zu geben scheint.“ Viele Menschen wollen mehr und immer mehr, doch zufriedener macht sie das nicht. Deshalb gilt es zu unterscheiden zwischen möglicherweise grenzenlosem Besitzstreben, das sich aus vielen Quellen speisen kann, und Lebenszufriedenheit, die in Abhängigkeit steht von materiellen Lebensbedingungen oder platter von „der wirtschaftlichen Lage“. Wie gesagt, dass die Lebenszufriedenheit eines Hungernden, der ein Stück Brot, oder eines Durstenden, der ein Glas Wasser erhält, beträchtlich steigt, ist Alltagserfahrung. Doch an welchem Punkt entkoppeln sich materielle Lebensbedingungen und Lebenszufriedenheit? Ab wann steigt die Lebenszufriedenheit nicht mehr zusammen mit den materiellen Lebensbedingungen? Oder zugespitzt auf die Fragestellung dieses Ameranger Disputs: Löst sich irgendwann die Entwicklung der materiellen Lebensbedingungen von der Entwicklung der subjektiven Lebenszufriedenheit in einer Weise, dass Rückschläge im materiellen Bereich auf die Zufriedenheit der Betroffenen gar nicht oder allenfalls nur
Die im oberbayerischen Amerang beheimatete Ernst FreibergerStiftung hat sich vorgenommen, in Expertengruppen zu klären, ob und wie Wirtschaft unter diesen veränderten Bedingungen funktioniert und wie die Funktionsfähigkeit bestimmter Märkte, namentlich des Arbeitsmarktes, gewährleistet bleibt. Am Anfang steht die Frage nach Zusammenhängen zwischen Wirtschaftswachstum und materieller Wohlstandsmehrung, oder allgemeiner, den objektiven materiellen Lebensbedingungen auf der einen und der subjektiven Lebenszufriedenheit auf der anderen Seite. Dass es Zusammenhänge zwischen objektiven materiellen Lebensbedingungen und subjektiver Lebenszufriedenheit gibt, ist so offenkundig, dass es keiner weiteren Untersuchung bedarf. Von wenigen Individuen abgesehen sind Menschen, die hungern und dursten, frieren und kein Dach über dem Kopf haben, mit ihrem Leben nicht zufrieden. Aber selbst wenn derartige Grundbedürfnisse befriedigt sind, ist es für die meisten oft noch ein langer Weg bis zur Zufriedenheit. Sie wollen nicht nur Essen und Trinken, sich kleiden und behaust sein, sie wollen auch soziale Sicherheit, Zugang zu gesundheitlichen und kulturellen Einrichtungen und nicht zuletzt wollen sie zumindest mit den Mitgliedern der Gruppe, in der sie sich befinden, wirtschaftlich mithalten können. Wenig zu haben ist – sofern die GrundbeLegt die Krise die Axt an unsere Lebenszufriedenheit?
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POLITIK & WIRTSCHAFT gedämpft durchschlagen? Und ganz kühn gefragt: Haben mehr oder minder große Teile der Bevölkerung in einem Land wie Deutschland bereits ein solches materielles Wohlstandsniveau erreicht, dass ein Stillstand oder auch ein Rückgang der wirtschaftlichen Entwicklung ihre Zufriedenheitszonen überhaupt nicht erreicht? Dass sie sagen: Auch wenn unser materieller Wohlstand sinkt – unsere Lebenszufriedenheit wird dadurch nicht oder kaum betroffen. Das Allensbacher Institut für Demoskopie untersuchte im Auftrag der Ernst-Freiberger-Stiftung den Zusammenhang von individueller und gesellschaftlicher Zufriedenheit und materiellem Wohlstand. Dabei erklären 41 Prozent „Mit mehr Geld wären wir glücklicher“ doch erstaunlicherweise sagen ebenso viele (42 Prozent), mehr Geld würde sie nicht glücklicher machen. Wobei vor allem die über 60-Jährigen gegen die Verlockungen von Geld und Besitz recht immun zu sein scheinen: 60 Prozent von ihnen bekunden, mehr Geld mache sie nicht glücklicher. Diese Zahlen werden ergänzt durch ein über Jahrzehnte nahezu gleichbleibendes und von Wachstums- und Wirtschaftsfaktoren kaum beeinflusstes relativ hohes Zufriedenheitsniveau. Allerdings ist festzustellen, dass die Lebenszufriedenheit mit sinken-
Menschliches Glück sprudelt aus vielen Quellen. dem materiellen Status abnimmt. Das zeigt sich bereits im Vergleich zwischen West- und Ostdeutschen. Bekunden in Westdeutschland 16 Prozent der Befragten den höchsten Grad an Lebenszufriedenheit, so sind es in Ostdeutschland nur 8 Prozent. Und so richtig unzufrieden ist in Westdeutschland nur jeder Siebte, in Ostdeutschland hingegen jeder Fünfte. Ursächlich hierfür dürften nicht nur materielle Gründe sein, aber sie spielen ersichtlich eine erhebliche Rolle. Wirtschaftliches Wohlergehen wird von der überwältigenden Mehrheit weder mit „Lebensglück“ noch mit einem „gutem Leben“ und noch nicht einmal mit „Wohlstand“ gleichgesetzt wird. Das alles ist aus Mehrheitssicht etwas grundlegend anderes als Gut und Geld. Aber was bedeutet für die Menschen Wohlstand? Nur für 8 Prozent der Befragten steht er für materielle Schätze, viel Geld, viel Besitz. Für jeden Zweiten hingegen – insbesondere für Frauen – bedeutet Wohlstand in erster Linie, von Menschen umgeben zu sein, die einem zugetan sind, einen lieben und für einen da sind. Für jeden Dritten – vor allem für Männer – ist wahrer Wohlstand die Freiheit, das zu tun, was einem wirklich wichtig ist. Was dabei besonders auffällt ist, dass sich in dieser Einschätzung Altersgruppen, Bildungsgrade, Berufskreise, Der Unternehmer Ernst Freiberger (Medical Park) hat 1994 in Berlin die Ernst-Freiberger-Stiftung gegründet, die sich der Erinnerungskultur und der wissenschaftlichen Erforschung gesellschaftlicher Problem widmet. Vor einigen Jahren verlagerte Freiberger den Hauptsitz seines Unternehmens in seinen oberbayerischen Heimatort Amerang. Der „Ameranger Disput“ seiner Stiftung diskutiert zurzeit die Frage „Wohlstand in Zeiten sinkenden Wachstums“. Darauf basiert auch oben stehender Beitrag.
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Glücklich sein hängt nicht von Reichtum ab.
Bezieher unterschiedlicher Einkommen und Menschen in unterschiedlichen wirtschaftlichen Verhältnissen verblüffend einig sind. Selbst für diejenigen, die nur eine einfache Schulbildung, einen schlichten Job und ein niedriges Einkommen haben, heißt Wohlstand nicht, viel Geld zu haben, viel zu besitzen. Für sie ist es vielmehr wichtig – noch wichtiger als für andere – mitmenschlich eingebunden zu sein. Menschliches Glück sprudelt für die meisten aus vielen Quellen, aber keineswegs vorrangig aus materiellen – so jedenfalls in einem insgesamt so reichen Land wie Deutschland. Glück – das ist in erster Linie körperliches Wohlbefinden, das tägliche Brot, sprich finanzielle Sicherheit, gute Freunde, eine gelungene Beziehung, ein freies Land. Schon messbar zurückgestufter sind als Quellen des Glücks: eine schöne Heimstatt, eine intakte Familie, Naturverbundenheit, ein selbst bestimmtes Leben (Sicherheit vor Freiheit!) und Freude am Beruf. Doch auch wenn Geld und Besitz keine vorrangigen Quellen des Glücks sind, vermögen sie dennoch bei vielen das Glück zu erhöhen. Wo stehen wir damit? Die Untersuchung zeigt eindrucksvoll, dass die allgemeine Lebenszufriedenheit in hohen Graden abhängt von der subjektiven Einschätzung der wirtschaftlichen Lage durch die Betroffenen. Aber Lebenszufriedenheit ist nicht gleichbedeutend mit „Wohlstand“, „gutem Leben“ oder gar „Lebensglück“. Hier treten materielle Komponenten deutlich zurück. Könnte ein Absinken der materiellen Lebensbedingen bedeuten, dass die Menschen zwar unzufriedener, aber nicht unglücklicher würden? Immer wieder findet sich in sozialwissenschaftlichen Untersuchungen sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene die Paarung arm und unzufrieden, aber auch arm und glücklich wie umgekehrt reich und zufrieden, aber eben auch reich und unglücklich. Eine spannende Frage, die die Gesellschaft bald schon beschäftigen könnte, wird sein: Welche Wirkungen hätte es für die Zufriedenheit, aber eben auch für „das Glück“ der Menschen, sollten künftig der materielle Wohlstand stagnieren oder gar sinken. ■
Professor Dr. Meinhard Miegel wurde 1939 in Wien geboren, studierte Musik und Rechtswissenschaften und wurde von CDU-Generalsekretär Kurt Biedenkopf in die CDU-Zentrale geholt. Gemeinsam gründeten sie das „Institut für Wirtschaft und Gesellschaft“. Miegel ist Vorstand des „Denkwerks Zukunft“ und wissenschaftlicher Leiter des „Ameranger Disputs“ der Ernst-Freiberger-Stiftung.
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AKTUELLES
Harter Winter Der bayerischen Wirtschaft steht ein harter Winter bevor. Diese Einschätzung liest der Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw), Bertram Brossardt, aus dem aktuellen vbw-Index ab: Er erreichte in diesem Herbst ein Rekordtief von nur noch 51 Prozent. Im Frühjahr waren es noch 60 Punkte und im Herbst 2008 sogar 103. Brossardt: „Wir können noch keine Entwarnung geben.“ Dennoch, so meint er, „schlägt sich unser Land in dieser Krise echt toll“. Er setze großen Optimismus auf die Kraft und die Fähigkeit der Menschen und Firmen, warnt allerdings: „Wir werden 2013 noch nicht da sein, wo wir 2007 waren.“
Münze für Würzburg Im nächsten Jahr wird das Bayerische Hauptmünzamt die Gedenkmünze für das Welterbe „Würzburger Residenz und Hofgarten“ prägen. In diesem Jahr lief die Goldmünze „Welterbe Stadt Trier“ durch die Prägemaschinen. Beide zählen zu der 100-Euro-Goldmünzen-Serie zum Thema „UNESCO-Weltkulturerbe Deutschland“. Ihr Gewicht entspricht einer halben Unze Feingold (15,55 Gramm). In den letzten Monaten wurden auch 6,3 Millionen 2-Euro-Gedenkmünzen geprägt, die dem Bundesland Bremen gewidmet sind. „Diese Münzen“, erläutert Bayerns Finanzminister Georg Fahrenschon, „werden im Rahmen der Serie Bundesländer im Februar 2010
ausgegeben.“ Die Münchner Münze existiert seit gut 800 Jahren und ist damit das älteste Unternehmen in der Landeshauptstadt. Sie kann jährlich eine Milliarde Münzen prägen. Die 63 Mitarbeiter erwirtschaften einen Jahresumsatz von über sechs Millionen Euro.
diesen Erfolgen eine erhebliche Verpflichtung, die internationale Positionierung voranzutreiben und als deutscher Tabellenführer die Marke „Made in Germany“ globalsichtbar zu machen.
Innovatives Bayern Exzellente Unis Die beiden Münchner Universitäten haben in aktuellen weltweiten Rankings exzellent abgeschnitten. Im renommierten World University Ranking des britischen Hochschulmagazin „Times Higher Education“ ist die Technische Universität (TUM) die Nummer 1 in Deutschland. Sie liegt weltweit auf Platz 55, vor Heidelberg (57), der Freien Universität Berlin (94) und der Ludwig-MaximilianUniversität München (LMU, 98). Auch im neuesten „Academic Ranking of World Universities“ der Shanghai Jiao Tong Universität liegen die beiden Münchner Hochschulen an der deutschen Spitze: LMU Platz 55, TUM 57, Heidelberg 63, Göttingen 90 und Bonn 98. TU-Präsident Professor Wolfgang Herrmann sieht in
Zitate: „Unsere SPD befindet sich in einem katastrophalen Zustand. Wir werden lange brauchen, uns davon zu erholen.“
Innovation und Unternehmergeist sind entscheidende Faktoren für die Wettbewerbsfähigkeit eines Standortes, sie entscheiden über Arbeitsplätze, Produktivität und damit auch die Wohlfahrt. „Deutschland“, so Thomas Dapp von Deutsche Bank Research, „zählt zu den innovativsten Volkswirtschaften.“ In einer Studie hat er das Innovationsklima ermittelt und kommt zu einem insgesamt positiven Ergebnis: Deutschland ist das Land der Erfinder, es hat ein starkes und international anerkanntes duales Ausbildungssystem, es gibt relativ viel für Forschung und Entwicklung aus und hat für diesen Bereich auch qualifiziertes Personal. Im Vergleich der Bundesländer, den Dapp auch durchgeführt hat, rangiert Bayern fast überall im vorderen Bereich: Beliebtestes Zuwanderungsland unter den Flächenländern, Platz 2 bei den Patentanmeldungen (nach BadenWürttemberg), ambitioniertes Programm für Forschung, Innovation und Technologie („BayernFit“). Nur die Quote der Hochschulabschlüsse liegt mit 21,64 Prozent unter dem Bundesschnitt von 23,38.
Sigmar Gabriel, frisch gekürter SPD-Vorsitzender
„Immerhin 40 Jahre waren wir da, und wir haben Spuren hinterlassen.“ Margot Honecker, ehemalige DDR-Bildungsministerin, 20 Jahre nach dem Mauerfall
„Wir wollen ein Teil dieser Gesellschaft sein, um sie dann grundlegend verändern zu können.“ Gregor Gysi, 1997 auf dem Schweriner Parteitag der PDS, die sich heute Die Linke nennt
„Anscheinend haben die Griechen seit Archimedes das Rechnen verlernt.“ Markus Ferber, Vorsitzenden der CSU-Europagruppe, über die Falschangaben aus Athen zu den Staatsschulden
BayernFIT – Forschung, Innovation, Technologie
„Pakt für Innovationen“ Gemeinsame Erklärung der Bayerischen Staatsregierung und der Organisationen der bayerischen Wirtschaft zur Stärkung der Innovationskraft
Bayerische Staatsregierung
„In der Medienbranche wird wenig so bleiben, wie es ist.“ Wolf-Dieter Ring, Präsident der Landeszentrale für Neue Medien
Internet: www.bayerischer-monatsspiegel.de
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POLITIK & WIRTSCHAFT Walter Beck
Der Oman vermeidet den Größenw wahn seiner Na ach hbarn – Beliebtes Ferrie enziel Erwähnte man Anfang der achtziger Jahre die arabische Halbinsel, kam das Gespräch auf den Irak oder auf SaudiArabien. Heute spricht jedermann über Dubai, Abu Dhabi und Bahrain. Die Zukunft gehört aber dem Oman. Bis 1970 hatte Sultan Taimur das Land im Mittelalter gehalten. Erst als Sultan Qaboos seinen Vater mit Hilfe der Briten ins Exil schickte und die Regierung übernahm, zog die Neuzeit am südlichen Zipfel der arabischen Halbinsel ein. Seitdem hat der Sultan die Omanis mit Riesenschritten auf den Weg in die Zukunft geführt. Er hat den Wachstumsirrsinn von Dubai und anderen Golfregionen vermieden und setzt stattdessen auf überlegtes, stetiges Wachstum. Er ist kein religiöser Fanatiker, wie es oft in Saudi-Arabien gepflegt wird. Stattdessen gilt die religiöse Toleranz als echtes Merkmal des Islam. Er verschwendet sein Geld nicht, um allen zu zeigen, wie viel man an Öl verdient, sondern setzt bewusst dominante Zeichen, wie die sehr ausgewogene Sultan-Qaboos-Moschee oder das achteckige 6-Sterne-Hotel Al-Bustan, beide in der Hauptstadt Muscat. Der Sultan hat seinem Land eine lang anhaltende, nachhaltige Entwicklung verschrieben. Dieses Rezept zeigt Wirkung und bekommt dem Land spürbar gut.
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Mit 310 000 Quadratkilometern ist der Oman nur wenig kleiner als Deutschland (357 000 Quadratkilometer), doch in dem von Wüste oder Gebirge geprägten Land leben nur 2,7 Millionen Menschen, davon gut eine Million Ausländer. Nur rund fünf Prozent des Staatsgebietes sind bewohnt oder wirtschaftlich genutzt. Für den Touristen ist das Land im Geländewagen auch ohne Führer problemlos zu bereisen. Die Straßen sind größtenteils hervorragend, die Beschilderung ist meistens auch in Englisch. Weiß man wirklich nicht weiter, sind die Omanis sehr hilfreich. Selbst Wüsten-Camp viele Kilometer in der Wüste sind ohne Risiko oder Sicherheitsgefahren zu besuchen. Der Oman hält die liberale Marktwirtschaft hoch und unterstützt durch staatliche Hilfe Investitionen im Land intensiv. Der Omani Rial (1 Rial entspricht etwa 2 Euro) ist frei konvertierbar. Im Land wird auch häufig mit Euro oder mit Dollar gezahlt. Ausländische Firmen können inzwischen Mehrheitsgesellschafter werden. Auch der Erwerb von Eigentum wurde liberalisiert. Ausländer können Zweigniederlassungen gründen und Gewinne frei transferieren. Der Außenzoll ist auf dem Standard der GCC-Staaten, also 5 Prozent. Allerdings ist es ratsam, Geschäfte mit einem örtlichen Partner abzuwickeln, weil so die Verwaltungshürden schneller genommen werden können. Es gibt nur in wenigen Fällen Sonderzölle zum Schutz der einheimischen Industrie. Privatisiert werden die Kraftwerke, die Telekommunikation, Wasserund Stromversorgung. Noch immer hängt das Land am Öl, sein Anteil am Bruttoinlandsprodukt liegt bei 38 Prozent. Die Erdölreserven werden noch auf mindestens 30 Jahre geschätzt. Inzwischen werden auch die Gasvorkommen exploriert und haben sich zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor entwickelt. Flüssiggas trägt erheblich zum Exporterlös bei. In diesem Jahr wird der Oman etwa 16,7 Milliarden US-Dollar ausgeben. Seit 2000 ist der Oman Mitglied der Welthandelsorganisation WTO. Deshalb gibt es auch umfangreiche staatliche Förderinstrumente für private Investoren im Bereich der Kleinund Mittelindustrie, der Fischerei und vor allen Dingen des Tourismus. Für Ausländer gibt es Investitionserleichterungen. Auch die frühere Beschränkung, wonach Ausländer nur in bestimmten Bereichen Grundstücke erwerben können, soll aufgehoben werden. In größeren Städten werden jetzt Industriegebiete errichtet, so am Rande von Muscat, in Salalah, Sur oder Soha. Hier soll eine neue Infrastruktur entstehen, damit sich Firmen aus dem In- und dem Ausland ansiedeln. Der 5-Jahres-Plan bis 2010 setzt insbesondere darauf, die Großindustrie zu entwickeln und den des Tourismus auszubauen. War der Oman unter Ferienreisenden vor einigen Jahren noch ein Geheimtipp, so hat er sich bereits zu einem beliebten Reiseziel entwickelt. Umso mehr, als die nationale Fluggesellschaft Oman Airways nun auch Nonstop-Flüge von Berlin, München oder Frankfurt nach Muscat anbietet. Zudem sind in den letzten Jahren einige schön gelegene Hotelanlagen entstanden, weitere sind in der Planung. Ein Beispiel dafür ist das Shangri-La in der Nähe von Muscat: Gepflegter Strand, her-
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Oben: Das Regierungsviertel in Muscat. Eine ausgewogene Architektur, die arabische Elemente organisch übernimmt. Unten: Omanis beim Teetrinken und Studenten in der Diskussion.
vorragendes Essen, großzügige Zimmer, die Weite des Meeres und alle Ausflugsmöglichkeiten, die man sich wünschen kann. Das alles zu zivilen Preisen. Die romantischen Wadis, die teilweise bis zum Meer führen, die aus den Felsen gehauenen Straßen im Gebirge oder die hunderte Meter breiten Fahrwege in der Wüste, das alles sind auch Herausforderungen für jemanden, der die Allradtechnik wirklich einmal ausnutzen will. Für Naturliebhaber bieten die Flusstäler, das Meer, die Brutplätze der Meeresschildkröten vielfache Anreize. Besonderes Gewicht legt Sultan Qaboos darauf den Lebensstandard zu verbessern. Preisstabilität, Schutz von Umwelt und die Wahrung des nationalen Erbes zählen ebenso dazu wie die Förderung der Bildung. In Muscat gibt es eine Hochschule, die wissenschaftlich anerkannt ist. Pro Jahr gibt es im Oman etwa 30 000 Schul- und Universitätsabgänger, die jeweils in den heimischen Firmen Arbeitsplätze finden sollen. Mit Deutschland hat der Oman einen Beratungsvertrag, der über die GTZ mit Leben erfüllt wird. 2008 hat Deutschland Waren im Wert von etwa 933 Millionen Euro in den Oman ausgeführt, die omanischen Exporte nach Deutschland beliefen sich lediglich 13,2 Millionen Euro. Besonders betont Sultan Qaboos die Wichtigkeit der Umweltpolitik und der nachhaltigen Entwicklung. Großen Schutz genießen die Wasservorkommen. Dabei sollen beispielsweise die Aquiphären wieder aufgefüllt und die traditionellen Felaj-Bewässerungskanäle wieder gepflegt, erhalten und ausgebaut werden. Sie versorgen die landwirtschaftlichen Flächen nach altbewährter Methode mit Wasser. Es gibt umfangreiche Naturschutzgebiete, wie in dem Jebel Akhdar Gebirge. Seit 2007 hat Oman auch ein eigenes Umweltministerium, das auch aktiv nach außen tätig ist. So ist der Oman den Zusatzvereinbarungen von Montreal von 1997 und von Peking 1999 zum Schutz der Ozonschicht beigetreten. Oman wird absolutistisch regiert, was die Omanis offensichtlich wenig stört. Sie schätzen die wirtschaftlichen Fortschritte und die Verbesserung ihrer Lebenssitaution. Sultan Qaboos wurde gerade 70 Jahre alt. Da er keine Kinder hat, wird die Frage nach seiner Nachfolge das Land in den nächsten Jahren intensiv beschäftigen. Wenn er bei der Auswahl der Nachfolge eine ebenso glückliche Hand hat, wie bei der Entwicklung des Sultanats, wird der Oman ein blühendes arabische Land werden. ■
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POLITIK & WIRTSCHAFT Wolfgang g g A. Herrmann
Forscher-Oase i d Wü t TU München arbeitet in Saudi-Arabien an der modernsten Universität der Welt Nach nur zwei Jahren Bauzeit hat kürzlich die modernste und un d am b bes este ten n au ausg sges esta tatt tte e Un Univ iver ersi sitä tätt de derr is isla lami misc sche hen n Welt ihren Betrieb aufgenommen. König Abdullah von Saudi-Arabien erfüllt sich damit nicht nur einen Traum. Er stößt einen umfassenden Prozess der Modernisierung an, der von der neuen Uniiversitä itätt ausgehen h und d von iih hr befeuert werden soll. In unmittelbarer Nähe zu den heiligsten Stätten der islamischen Welt, in dem geographischen Dreieck aus Medina, Mekka und Dschidda, ist an der Küste des Roten Meeres eine weitere Pilgerstätte entstanden. Allerdings im übertragenen Sinne, denn die neue King Abdullah University of Science and Technology, T h l kurz k KAUST genannt, t ist i t die di modernste d t und d am besten ausgestattete Hochschule der arabischen Welt. Sie zieht schon h jetzt j Professoren, f Mitarbeiter Mi b i und d Studierende S di d aus viei len Ländern an.
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Das Land, und sein König an der Spitze, haben erkannt, dass neben Bodenschätzen vor allem Bildung und Ausbildung der jungen Bevölkerung die wesentliche Quelle für künftigen Wohlstand sein müssen. Neben Iran hat Saudi-Arabien die jüngste Bevölkerung der Welt: Mehr als die Hälfte aller Saudis sind jünger als 21 Jahre. Wissenschaft und Technik sollen nach Öl und Gas die wirtschaftliche und industrielle Basis bilden für das Saudi-Arabien der Zukunft. König Abdullah hat sich die Universität auf einem mehr als 36 Quadratkilometer großen Gelände über zwölf Milliarden Dollar kosten lassen. Der größte Teil davon floss in die Errichtung einer Stiftung zum dauerhaften Betrieb der Universität mit Stipendien Sti di fü für alle ll Studenten. St d t Aber Ab immerhin i hi etwa t zweii MilMil liarden Dollar sollen in die Bauten geflossen sein. So ist in nur zweii Jahren J h ein i hochmoderner, h h d durchdachter, d hd h zweckmäßiger k äßi und optisch ansprechender Campus entstanden. In der Mitte
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thront die Bibliothek, darum gegliedert sind die Lehr- und Forschungsgebäude Außen – durch einen Kanal abgetrennt – stehen Wohnungen und Häuser für Studenten und Dozenten. KAUST ist eine Bildungseinrichtung der Superlative: die jüngste Uni der Welt, die neuesten Geräte, darunter einer der schnellsten Computer. 20.000 Quadratmeter Solarkollektoren stehen auf den Dächern, Entsalzungsanlagen versorgen Labore, Wohnungen und Gärten mit Wasser. Mehr als 80.000 Bäume und Sträucher wurden in den vergangenen Monaten gepflanzt. Ein 63 Kilometer langes Netzwerk an Sprinklerleitungen bewässert grüne Rasenflächen mit entsalztem Meerwasser. KAUST wird als internationale Forschungsuniversität für Masterstudenten und Doktoranden errichtet und soll mit ihrem Programm die besten Dozenten und Studenten rekrutieren.
Kampf um die besten Köpfe. Mehr als 220 Professuren und viele hundert Wissenschaftlerstellen wurden neu geschaffen und besetzt, um über 2000 Studenten auszubilden und mit ihnen zu forschen. Immerhin sieben Professoren kommen aus Deutschland, 14 aus den USA, womit Deutschland das zweitstärkste Kontingent stellt. Das akademische Modell der KAUST ist um vier Forschungsinstitute mit verschiedenen Forschungszentren strukturiert, die sich den Themen Rohstoffe und Energie, Biotechnologie, Ingenieurwissenschaften, Chemie und Mathematik widmen und somit voneinander in ihren wissenschaftlichen und technischen Studien profitieren können. Man hat sich klangvolle Universitäten als Partner gesucht: Berkeley, Cambridge, Stanford, das Imperial College London und, als einzige aus Deutschland, die TU München. Diese Hochschulen erhalten Millionenbeträge, um ihre Forschungsprojekte an der KAUST voranzutreiben. Schwerpunkte sind Bio- und Nanowissenschaften, Energietechnik, Materialwissenschaften und Informatik. Zwei langfristige Forschungsstrategien werden verfolgt: Erstens soll eine weltweit führende Solartechnologie entwickelt werden, die dazu beiträgt, dass Saudi-Arabien neben Öl und Gas auch Sonnenenergie exportieren wird. Zweitens erwartet das Land von den Forschern ein ambitioniertes Biotechnologie-Programm. Es soll eines Tages ermöglichen, mithilfe von Sonnenenergie und entsalztem Wasser aus dem Roten Meer in der Wüste Weizen anzubauen. Neben dem hochmodernen Campus und dem internationalen Forscherteam stützt sich die Strategie noch auf eine dritte Komponente: Forschungspartnerschaften mit weltweit führenden Universitäten und Firmen – und davon möglichst viele.
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König Abdullah von Saudi-Arabien (Bild links) plant schon für die Zeit nach dem Öl: An der Küste des Roten Meeres, zwischen Dschidda und Medina gelegen, ließ er für über 12 Milliarden Euro die modernste Universität der islamischen Welt hochziehen.
KAUST stellt hierfür einige Hundert Millionen US-Dollar bereit. 42 Kooperationsvereinbarungen gibt es bislang, als einzige deutsche Einrichtung ist die Technische Universität München mit von der Partie. Über eine Laufzeit von vier Jahren bekommen die Bayern aus Saudi-Arabien 21 Millionen US-Dollar für drei gemeinsame Forschungsprojekte, die teils in München, teils vor Ort in Thuwal vorangetrieben werden. Während mit dem Geld neue Wissenschaftlerstellen in München geschaffen werden, hoffen die Saudis auf einen Wissenstransfer modernster Forschungspraktiken und -ergebnisse. „Wir wollen die besten Köpfe aus aller Welt anlocken“: KAUSTPräsident Choon Fong Shih aus Singapur lässt keine Gelegenheit aus, dies zu betonen. Darin liege die Herausforderung. „Denn, wissen Sie, wir konkurrieren mit den führenden Universitäten der Welt, in Europa, in den USA. Wir haben sehr hart dafür gearbeitet, einige der besten Leute aus diesen Teil der Welt zu holen.“ Damit Spitzenforscher kommen und auch bleiben, musste mehr geschehen als nur neue Gebäude hochzuziehen und schnelle Computer zu kaufen. Erstmals in Saudi-Arabien lernen und forschen Frauen und Männer gemeinsam. Auf dem Campus gelten keine speziellen Kleidungsvorschriften. Saudische Frauen sind an der KAUST gleichberechtigt, dürfen Auto fahren und müssen nicht in gesonderten Bereichen im Restaurant sitzen. Für König Abdallah ist die nach ihm benannte Universität nicht nur ein erfüllter Traum, sondern auch ein weiterer Schritt heraus aus der jahrzehntelangen Isolation seines Landes. Für uns Europäer, besonders uns Deutsche, wird ein weiteres Mal deutlich, welches Gewicht andere Länder der Ausbildung ihrer jungen Generationen beimessen und bereit sind, dafür viele Milliarden Dollar in die Hand zu nehmen. Überzeugend ist das Bekenntnis des Universitätsgründers: „Knowledge is the oil of the future.“ Das sagt alles. ■
Prof. Dr. Wolfgang A. Herrmann, 1948 im niederbayerischen Kelheim geboren, ist Chemiker, seit 1995 Präsident der Technischen Universität München, die er in den Rang einer Exzellenz-Universität geführt hat. Kürzlich wurde er zum „Hochschulmanager 2009“ gekürt. Der vielfach ausgezeichnete Wissenschaftler ist Mitglied des 2009 berufenen Advisory Councils der King Abdullah University of Science and Technology in Saudi-Arabien.
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POLITIK & WIRTSCHAFT Hildegard Müller
Zukunftsenergie für Deutschland Perspektiven 2020 – Vision 2050
Die energiepolitische Debatte und auch das Geschehen am Markt haben sich in den vergangenen Monaten weitergedreht. Schlaglichtartig seien nur drei Punkte erwähnt: Die Diskussion um die Kernenergie hat wieder an Fahrt aufgenommen. Sie findet nicht unbedingt sachlicher, aber dafür umso emotionaler statt. Die Debatte um Sonnenenergie erhält neue Facetten: Einerseits in Hinblick auf die Subventionierung der Fotovoltaik in Deutschland und die Lage der Modulhersteller in Deutschland und andererseits in Hinblick auf solarthermische Kraftwerke in Afrika – Stichwort „Desertec“. Letzteres ist technisch keine Neuheit, neu ist aber die politische Debatte darum. Und als dritter aktueller Anknüpfungspunkt ist das „VW-Kraftwerk im heimischen Heizungskeller“ zu erwähnen. Auch hierbei ist technisch nicht alles neu, jedoch bündeln sich hier verschiedene Trends zu einem neuen Auftritt am Markt. Soweit die schlaglichtartige Beleuchtung einiger „energiewirtschaftlicher Highlights“ der vergangenen Wochen. Auch sie sind einzubeziehen, wenn wir die energiewirtschaftlichen und politischen Ziele weit voraus bis ins Jahr 2050 benennen, aber gleichzeitig realistisch betrachten, was sich davon bis 2020 verwirklichen lässt. Dazu ein Bekenntnis zu Beginn: Die deutsche Energiewirtschaft strebt eine kohlenstoff-neutrale Energieversorgung bis 2050 an. Deshalb sind die Jahre bis 2020 der entscheidende Zeitraum, um die Weichen für eine nachhaltige Energieversorgung in einer globalisierten Welt bis zur Mitte dieses Jahrhunderts zu stellen. Unabhängig von der aktuellen Bewältigung der Wirtschaftskrise müssen noch in den nächsten Jahren dringend Entscheidungen getroffen werden, damit bis 2020 entsprechend gehandelt werden kann. Denn diese Entscheidungen beeinflussen die Investitionen der Energiewirtschaft für die nächsten 30 bis 40 Jahre. Die Energiewirtschaft steht vor einschneidenden Veränderungen, denn die Politik greift immer stärker ins Geschehen ein, der Klimaschutz hat eine dominierende Rolle in der Branche, technische und demografische Trends schlagen sich auch in unserer Branche nieder und der intensivere Wettbewerb auf dem Strom- und Gasmarkt zeigt seine Wirkung.
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POLITIK & WIRTSCHAFT Neben technischen Trends und Wünschen der Kunden bestimmen die politischen Ziele zurzeit die Entwicklung auf dem Energiesektor. So hat sich die alte Bundesregierung verpflichtet, die Klimagas-Emissionen bis 2020 um ein Drittel gegenüber 1990 zu reduzieren. Sie möchte die Energieeffizienz steigern, regenerative Energiequellen ausbauen und die Nutzung der Kernenergie beenden. Letzteres will die neue Regierung zwar modifizieren, dennoch bedeutet dieses Klimaschutzziel, den Anteil von Strom aus Kraft-Wärme-Kopplung auf 25 Prozent zu verdoppeln, den Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung auf 30 Prozent auszubauen, die Kraftstoff-Beimischung von Bioerdgas auf 20 Prozent sowie die Energieproduktivität um drei Prozent pro Jahr zu steigern. Zudem sind einige weitere wichtige Trends zu beachten. So ist generell damit zu rechnen, dass dezentrale Erzeugungs- und Anwendungstechnologien vermehrt genutzt werden. Neben der zentralen Stromerzeugung und der Nutzung erneuerbarer Energien wird auch die dezentrale Stromerzeugung aus Kleinst-KWK-Anlagen und aus kleinen Blockheizkraftwerken an Bedeutung gewinnen. In der Bevölkerung ist ein Streben nach Autarkie in der Energie- und Wärmeversorgung festzustellen. Doch dabei dürfen wir nicht übersehen: So sinnvoll die Fotovoltaik im Wärmemarkt sein kann, so wenig kann sie in Deutschland einen grundlastfähigen Beitrag für die Stromerzeugung leisten. Auch beim Zusammenschalten vieler kleiner VW-Motoren, also sogenannter „virtueller Kraftwerke“, stehen wir noch vor großen Herausforderungen. Insgesamt ist aber mit einer zunehmenden Dezentralisierung der Stromerzeugung zu rechnen. Am Beispiel der privaten Haushalte zeigt sich sehr deutlich, wie Kunden auf neue Technologien und Produkte reagieren. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft hat deshalb bei dem Baseler Wirtschaftsforschungsunternehmen Prognos die Studie „Energietrends 2020 für Haushalte“ in Auftrag gegeben, die eine Orientierung über die künftige Größe und Struktur des Energiemarkts der Privatkunden ermöglichen soll. Die Arbeit fokussiert sich auf den Energiemarkt der privaten Haushalte. Diese sind nicht nur wichtiger Ansatzpunkt für energie- und klimapolitische Maßnahmen, sie stehen auch im Mittelpunkt der politischen und öffentlichen Diskussion. Als Zieljahr wurde 2020 gewählt, um den unmittelbaren Handlungsbedarf aufzuzeigen. Einige Ergebnisse daraus: • Schon in zehn Jahren wird der deutsche Energiemarkt deutlich anders aussehen als heute. • Der Absatz von Brennstoffen, vor allem von Heizöl, für Heizzwecke in Wohngebäuden wird erheblich zurückgehen, multivalente Heizsysteme werden sich etablieren. • Der Anteil der erneuerbaren Energien am Endenergieverbrauch der Haushalte steigt bis 2020 auf zehn Prozent und bis 2030 auf 13 Prozent. • Die direkten Emissionen von Kohlendioxid (CO2) werden bei Privatkunden bis 2020 um rund 20 Prozent zurückgehen, bis 2030 sogar um minus 33 Prozent. • Die Zahl der Neubauten und der Gebäudesanierungen bleibt auf niedrigem Niveau. Deshalb setzen sich technische Neuerungen und Systeme nur relativ langsam durch. • Die Wärmepumpe ist die Erfolgstechnologie im Wärmemarkt.
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Die Energieversorger merken diese Entwicklung heute schon im Markt. Energieeffizienz, Energiedienstleistungen und erneuerbaren Energien zu fördern, bietet neue und wachsende Marktfelder. Dieser Trend zu mehr Klimaschutz spiegelt sich auch in den Kundenwünschen vor allem im privaten Bereich. Kunden zu beraten, wird massiv an Bedeutung gewinnen. Hier bedarf es übrigens nicht erst eines Energieeffizienzgesetzes, damit der Branche dies deutlich wird. Gewerbe und Industrie, Privatkunden sowie vor allem Kommunen fragen moderne Energiedienstleistungen nach. Gerade der energetische Investitionsbedarf im öffentlichen Sektor birgt für die Energiewirtschaft gleichermaßen Potenziale und Herausforderungen. Der Energiemarkt wird also künftig geprägt sein von einer weiter wachsenden Energieeffizienz. Diese ist aber oft auch mit mehr
Europas Kraftwerke decken ab 2015 die Strom-Nachfrage nicht mehr. Stromeinsatz verbunden. Der alte Satz „Immer weniger Strom je Anwendung, aber immer mehr Anwendungen für Strom“ Satz gilt weiterhin. Für diesen Übergang brauchen wir Investitionen, die uns heute aber sehr schwer gemacht werden. Ich möchte dazu ein Beispiel aufgreifen, dass im vergangenen Jahr die politische Debatte bewegt hat und auch im Bundestagswahlkampf eine Rolle gespielt hat: Das Thema „Jahreshöchstlast mit sicher verfügbaren Kraftwerkskapazitäten am Standort Deutschland“. Ich vertrete nach wie vor die Auffassung, dass bei bloßer Fortführung der herrschenden politisch-rechtlichen Rahmenbedingungen diese Jahreshöchstlast in zehn Jahren nicht mehr sicher gedeckt sein wird. Dies gilt auch dann, wenn die Stromeffizienzpotenziale engagiert ausgeschöpft sowie die Ziele zum Ausbau der regenerativen Energien und der zentralen Kraft-Wärme-Kopplung erreicht werden. Auch Stromimporte aus dem Ausland sind keine Alternative. Nach heutiger Kenntnis werden die vorhandenen und geplanten europäischen Kraftwerkskapazitäten ab 2015 nicht ausreichen, um eine verstärkte Nachfrage in Europa und Deutschland zu decken. Deshalb werbe ich entschieden für einen investitionsfreudigen Ordnungsrahmen. Dieser entwertet keinesfalls die Bemühungen auf den Feldern der Energieeffizienz und bei der Integration der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien. Daher ist es schlichtweg falsch, hier ein „Entweder – oder“ zu postulieren. Wir brauchen ein „Sowohl als auch“! Dazu gehört auch, dass wir im Übergang in ein Zeitalter regenerativer Energien die Kernenergie nutzen. Es geht hier um einen Übergang bis zu dem Zeitpunkt, an dem wir unsere Stromnetze ertüchtigt und die Kapazitäten - etwa in der Windkraft - aufgebaut haben, um die Spitzenlast abzufedern. Bis dahin verschafft der Weiterbetrieb bestehender Meiler Zeit. Und er ermöglicht es, die Klimaschutzziele zu erreichen. Dazu noch eine kurze Randbemerkung: Bezogen auf den gesamten Produktionszyklus von der Brennstoffgewinnung bis zum Abfall, kommt ein Kernkraftwerk auf 5 bis 33 Gramm CO2 pro Kilowattstunde, die Fotovoltaik auf 78 bis 217 Gramm, die Windkraft auf 10 bis 38 und die Wasserkraft auf 4 bis 36 Gramm. Zu betonen ist in diesem Zusammenhang aber auch: Falls es wirklich zu einer Laufzeitverlängerung
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POLITIK & WIRTSCHAFT kommen sollte, dann sollten die Vereinbarungen Ăźber Rahmenbedingungen dieser Laufzeitverlängerung wettbewerbsneutral gestaltet sein. Etwaige FĂśrdermittel oder Marktanreizprogramme, die aus einer Laufzeitverlängerung resultieren, mĂźssen allen Unternehmen der Branche gleichermaĂ&#x;en offen stehen. Die deutsche Energiewirtschaft verpichtet sich daher, Visionen von der Energiewelt des nächsten Jahrzehnts als ein Projekt mit dem Namen „Zukunftsenergie 2020“ zum Erfolg zu fĂźhren und so die notwendige Balance zwischen Klimaschutz, Versorgungssicherheit und Wirtschaftlichkeit herzustellen. Dazu aber brauchen wir allgemein akzeptierte Leitlinien, die auch nicht durch Wahlperioden und opportunistische Politik ständig wieder in Frage gestellt werden. Nur so ist nachhaltiges Wirtschaften mĂśglich. Wir streben eine Kohlenstoff-neutrale Stromerzeugung an. Dabei werden konventionelle Energieträger wie ErdĂśl, Erdgas, Kohle und Uran weit Ăźber das Jahr 2020 hinaus wichtige Eckpfeiler der Energieversorgung bleiben, wobei die Umwandlung fossiler Energieträger sehr viel efďŹ zienter und immer stärker „dekarbonisiert“ sein wird. Wer eine Kohlenstoff-neutrale Energieversorgung unterstĂźtzen mĂśchte, muss sich also fĂźr eine erfolgreiche technische Integration der Abtrennung und Speicherung von Kohlendioxid einzusetzen. Im Jahr 2020 werden erneuerbare Energien eine Selbstverständlichkeit im Geschäft aller Versorgungsunternehmen sein. Sie werden auf einem integrierten Strommarkt mit zu unserem Kerngeschäft gehĂśren. Und in diesem Zusammenhang muss auch gesagt werden: Die Kernenergie ist eine unverzichtbare BrĂźcke hin zur Kohlenstoff-neutralen Energieerzeugung mit hohen Anteilen erneuerbarer Energieträger. Deshalb sollten auch deutlich Ăźber das Jahr 2020 hinaus in Deutschland Kernkraftwerke weiterhin sicher am Netz sein. Das Zusammenspiel von dezentraler und zentraler Erzeugung, das grundsätzliche Problem uktuierender Energieerzeugung aus Wind, die regionale Verteilung von Erzeugung und Nachfrage und nicht zuletzt ein integrierter europäischer Markt erfordern weitgehende Veränderungen in unserem bisherigen Stromnetz. Hier liegt ein weiteres Feld fĂźr Investitionen in Versorgungssicherheit und Nachhaltigkeit. Die Stromproduktion und den Bedarf jederzeit in Deckung zu bringen, bleibt dabei die
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Kernaufgabe. Die RĂźckkopplung von Informationen in „intelligenten“ Stromnetzen und -anwendungen wird Bedarfsspitzen abmildern. Als umweltschonende Technologie spielt Erdgas in den kommenden Jahren weiter eine wichtige Rolle – vor allem wenn es um den Wärmemarkt, aber auch um die Regelleistung unserer Stromversorgung geht. Erdgas ist Bindeglied in ein Zeitalter regenerativer Energieversorgung. Deshalb ist eine dauerhafte und zuverlässige Versorgung mit diesem Rohstoff fĂźr uns wichtig. Ganz konkret werden wir deshalb die Pipeline-Projekte weiter
Erdgas ist Bindeglied ins regenerative Energie-Zeitalter. vorantreiben. Hinzukommen wird der zunehmende Einsatz von Bioerdgas und Investitionen fĂźr den Import von verßssigtem Erdgas sowie der Ausbau unserer Speicheranlagen. Ein GroĂ&#x;teil des heutigen Endenergie-Verbrauchs entfällt auf Gebäude. Hier die EfďŹ zienz zu erhĂśhen, ist absolut notwendig. Hieran mĂśchten wir uns nicht nur mit unserem technischen Know-how beteiligen, sondern auch als kompetente Dienstleister, die helfen, dringend notwendige Investitionen in diesem Sektor zu mobilisieren. Energieberatung, Finanzierung, Installation, Wartung und Qualitätssicherung sind hier Teile einer ganzen WertschĂśpfungskette, die uns zusammen mit Partnern in Industrie und Gewerbe zu umfassenden Dienstleistern rund um die Themen Wärme und Energie machen werden. Dies betrifft nicht allein den Bereich von Neubauten, sondern vor allem die Sanierung des Gebäudebestands in Deutschland. ZertiďŹ kat-Gutschriften wĂźrden hier helfen, weitere Potenziale zu heben. Allen anderslautenden Unterstellungen zum Trotz, hat die deutsche Energiewirtschaft ein starkes Interesse an EnergieefďŹ zienz zu der wir uns ganz klar bekennen. Wir sehen hier ein Handlungsfeld, das quer durch alle Felder reicht. Exemplarisch seien nur Gebäude, Heizung, KĂźhlung, Produktherstellung, Beleuchtung und Antriebstechnik erwähnt. Innovative technische LĂśsungen wie Wärmepumpen oder Solarthermie sind hierbei ebenso zu nennen, wie energieefďŹ zente Elektro- und Elektronikgeräte in Privathaushalten und Gewerbe,
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© LichtBlick/Manfred Witt
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Der Volkswagen im Keller: Das Blockheizkraftwerk fürs Eigenheim.
aber auch LED-Technik bei der Beleuchtung. In allen diesen Bereichen bestehen aus heutiger Sicht erhebliche Potenziale, die Energieeffizienz zu steigern. Mit einer „smarten“ Energiewelt bauen wir zudem eine Infrastruktur für die Zukunft. Die wirtschaftlichen und ökologischen Trends des Klimaschutzes werden insbesondere die Lebenswelt unserer Städte beeinflussen. Auch hier wird die Energiewirtschaft mit modernen, intelligenten Techniken und Dienstleistungen aktiv mitgestalten. Wer heute noch vom „Smart Meter“ als „intelligentem Stromzähler“ spricht, der ist nicht weit von „Smart Grids“ als intelligenten Netzen entfernt, um bis 2020 auch mindestens eine ganze Stadt in eine „Smart City“ umzubauen.
ist es notwendig, dass Kompetenzen und Interessen gebündelt werden. Für die zukunftssichere Energieversorgung Deutschlands ist es wichtig, Ökonomie und Ökologie miteinander zu verbinden und sie nicht gegeneinander auszuspielen. Dies muss sich dann übrigens auch in den politischen Institutionen spiegeln. Dies bedeutet, dass wir uns Ressort-Eitelkeiten und -Rivalitäten innerhalb der Regierung nicht mehr leisten können. Und es muss mindestens ein Energiekabinett als Kabinettsausschuss, der die Ressorts zusammenbringt, geschaffen werden. Notwendig ist mehr Abstimmung und Politik aus einem Guss, statt verkorkster Kompromisse. • Und wir brauchen Verantwortung und Mut in der Kommunikation. Dazu gehört auch, dass sich die Energiewirtschaft zum Klimaschutz bekennt. Wir sind uns unserer Verantwortung bewusst, zur Verringerung der weltweiten Treibhausgasemissionen maßgeblich beizutragen. Wir wissen aber auch, dass dies nicht zum Null-Tarif zu haben sein wird. Dies wird öffentlich aber allzu oft verschwiegen. Auch Klimaschutzpolitik muss effizient sein. Die Maßnahmen, die mit knappem Kapital die besten Klimaschutzwirkungen gewährleisten, sind zu bevorzugen und international abzustimmen. Nationale Klimaschutzpolitik kann zudem nur gelingen durch den Erfolg gemeinsamer Anstrengungen auf internationaler Ebene.
Der klimafreundlichen Mobilität hat sich die Gaswirtschaft bereits vor Jahren angenommen. Die Stromwirtschaft steigt jetzt ebenfalls ein. Vor uns liegen völlig neue Entwicklungen im Individualverkehr. Die Zahl der Fahrzeuge, die mit Elektrizität oder alternativen Kraftstoffen auf Kurz- und Mittelstrecken betrieben werden, wird zunehmen. So hat Erdgas – insbesondere in Verbindung mit der Beimischung von Bioerdgas – als Kraftstoff nicht zuletzt vor dem Hintergrund seiner günstigen CO2-Bilanzierung
• Hinzukommt ein Aspekt, der heute nicht Schwerpunkt ist, der aber nicht vergessen werden darf: Wenn fairer Wettbewerb im Energiesektor herrschen soll, dann dürfen große Marktsegmente diesem Wettbewerb nicht dauerhaft entzogen sein. Wenn wir beispielsweise den Anteil der Erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung von aktuell 14 Prozent auf 30 Prozent im Jahr 2020 steigern wollen, müssen wir uns Gedanken machen, wie wir hier zu einem Markt mit fairen Bedingungen kommen.
Deutsche Energiewirtschaft ist ein krisensicherer Konjunkturmotor.
Zusammenfassend kann man sagen, dass die deutsche Energiewirtschaft ein krisenfester Konjunkturmotor ist, der bis zum Jahr 2020 durchgängig hohe Summen investieren wird und muss. Energiepolitik stellt damit einen wichtigen Bestandteil der Wirtschaftspolitik dar. Hier müssen politische Kompetenzen und Interessen gebündelt werden. Bei einer Vorausschau helfen keine ideologischen Debatten, keine Verbote und kein Ausschluss von Optionen. Wir brauchen ein neues Energiebündnis aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. In diesem Zusammenhang ist es mein dringlichster Wunsch, dass wir uns in einem stabilen politischen und rechtlichen Ordnungsrahmen bewegen, in dem sich die beschriebenen Ziele umsetzen lassen, damit die Vision einer Kohlenstoff-neutralen Energieversorgung in 2050 Wirklichkeit werden kann. ■
auch weiterhin Ausbaupotenzial. Die Energiewirtschaft sieht die Elektromobilität als große Chance für Deutschland und geht die für einen Durchbruch nötigen Vorbereitungen offensiv an. Gemeinsam mit 15 Unternehmen aus sieben Branchen hat der BDEW die einzige übergreifende Initiative „ELAN 2020“ gegründet. Dabei steht ELAN für „Elektrofahrzeuge intelligent am Netz“. Das Projekt soll dem Elektroauto den Weg zum Massenmarkt ebnen. Wir halten die Zahl von rund einer Million Elektrofahrzeugen auf unseren Straßen im Jahr 2020 für realistisch. Auf diesem Spielfeld will und muss sich die Energiewirtschaft bis 2020 bewegen. Doch dafür sind einige Voraussetzungen unabdingbar: • Wir brauchen dafür einen langfristigen Ordnungsrahmen und eine Energiepolitik, welche die gleichberechtigten Ziele Versorgungssicherheit, wettbewerbsfähige Preise und Umweltschutz wieder unter einen Hut bringt. Nur in einem langfristig verlässlichen Ordnungs- und Regulierungsrahmen werden sich diese Ziele erfolgreich umsetzen lassen. • Wir brauchen dazu auch in regulierten Bereichen Rahmenbedingungen, die Investitionen erst möglich machen. Deshalb
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Hildegard Müller, 1967 im westfälischen Rheine geboren, wurde als Bundesvorsitzende der Jungen Union eine der engsten Vertrauten von Angela Merkel. Die Bundeskanzlerin holte Müller 2005 als Staatsministerin ins Kanzleramt. Im Oktober 2008 wechselte die Diplomkauffrau zum Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) und legte ihre Ämter als Staatsministerin und als CDU-Bundestagsabgeordnete nieder.
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FINANZEN Georg Fahrenschon
„Hinter uns liegt ein ökonomischer Alptraum“ Mit Wachstums- und Konsolidierungspolitik gestärkt aus der Krise
Mit dem Konkurs der Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 hat weltweit ein ökonomischer Alptraum begonnen: für Deutschland die schwerste Rezession der Nachkriegszeit. Auch Bayern ist davon nicht verschont geblieben. Im ersten Halbjahr 2009 ist die gesamtwirtschaftliche Leistung im Freistaat um 6,6 Prozent und im Bundesdurchschnitt um 6,8 Prozent geschrumpft. Dieser Einbruch liegt mittlerweile hinter uns. Im Sommer dieses Jahres haben wir die Talsohle durchschritten. Vor diesem Hintergrund wurden zuletzt die Konjunkturprognosen leicht nach oben korrigiert. Die Bundesregierung und die Wirtschaftsforschungsinstitut erwarten für Deutschland – nach einem Rückgang des realen Bruttoinlandsprodukts (BIP) in 2009 um fünf Prozent – im kommenden Jahr ein Wirtschaftswachstum in Höhe von 1,2 Prozent. Die konjunkturelle Stabilisierung ist maßgeblich auf das entschlossene Handeln der Notenbanken, der G20-Staaten und der Politik zurückzuführen. Auch die Bayerische Staatsregierung hat frühzeitig reagiert und schon im November 2008 mit ihrem Investitionsbeschleunigungsprogramm und dem Bayerischen Mittelstandsschirm Handlungsfähigkeit bewiesen. Mit dem Doppelhaushalt 2009/2010 wurde das Bayerische Konjunktur paket beschlossen. Trotz widriger finanzwirtschaftlicher Rahmenbedingungen steigern wir damit die Ausgaben 2009 um 6,8 Prozent gegenüber dem Rekordniveau des 1. Nachtragshaushalts 2008. Die Investitionen legen dabei überproportional zu: Einschließlich der Mittel nach dem Zukunftsinvestitionsgesetz wachsen sie in 2009 um 8,8 Prozent; in 2010 sieht der Doppelhaushalt eine weitere Erhöhung von 1,8 Prozent vor.
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FINANZEN Finanzielle Grundlage für dieses kraftvolle Handeln ist der in Bayern schon frühzeitig eingeschlagene Konsolidierungskurs. Ausgehend vom Vorrang der Eigenverantwortung hat bei uns eine solide Haushaltspolitik eine lange Tradition. Als Markenzeichen dieser vorsorgenden Politik wurde im Jahr 2000 in der Bayerischen Haushaltsordnung das Ziel des ausgeglichenen Haushalts ohne Nettoneuverschuldung für das Jahr 2006 festgeschrieben. Dieses Ziel haben wir konsequent verfolgt und 2006 auch erreicht. 2007 konnten wir im Vollzug bereits Schulden zurückführen und für 2008 hatten wir eine planmäßige Schuldentilgung vorgesehen. Die Finanzkrise und die infolge dessen notwendig gewordene Stabilisierung der BayernLB verhinderten allerdings, diesen Plan zu verwirklichen. Die Konjunktur hat sich zwar mittlerweile stabilisiert. Ein kräftiger und durchgreifender Aufschwung zeichnet sich derzeit allerdings nicht ab. Vor uns liegen harte Jahre bis wir gesamtwirtschaftlich wieder das Niveau von 2008 erreicht haben. Insbesondere auf dem Arbeitsmarkt steht uns der eigentliche Härtetest erst noch bevor. Daher gilt es jetzt, auf dem Weg aus der Krise gezielte Impulse für mehr Wachstum und Beschäftigung zu setzen. Darauf haben sich Union und FDP in ihrem Koalitionsvertrag verständigt. Konkret wollen wir die Motivation und Leistungsbereitschaft von Arbeitnehmern und Arbeitgebern auch durch Steuersenkungen stärken und die Unternehmen insbesondere bei der Finanzierung ihrer Investitionen unterstützen. Diese Maßnahmen zu realisieren, stellt angesichts der angespannten Lage der öffentlichen Haushalte eine enorme Herausforderung für die Finanz- und Haushaltspolitik dar. Für das kommende Jahr sieht die derzeitige Planung des Bundes eine Rekord-Neuverschuldung von 86 Milliarden Euro vor. Ein
Wachstums- und Konsolidierungspolitik gehen Hand in Hand. gewichtiger Teil davon lässt sich unmittelbar auf den Konjunktureinbruch zurückführen, der Löwenanteil des Defizits ist jedoch struktureller Natur. Mit Überwindung der Krise muss daher ein strikter Konsolidierungskurs einsetzen. Für Deutschland gilt es, die Vorgaben des Stabilitäts- und Wachstumspakts so schnell wie möglich wieder einzuhalten. Eine nachhaltige Haushaltskonsolidierung ist ohne Alternative. Wir dürfen den nachfolgenden Generationen keine erdrückende Schuldenlast hinterlassen. Mehr Schulden bedeuten mehr Zinsen und damit weniger finanzpolitischen Gestaltungsspielraum. Mit der im Rahmen der zweiten Stufe der Föderalismusreform beschlossenen neuen grundgesetzlichen Schuldenregel haben sich Bund und Länder selbst einen klaren rechtlichen Rahmen gegeben, um generationengerechte verantwortungsvolle Finanzpolitik zu betreiben. Der Bund darf danach in seinem Haushaltsplan für 2016 die Obergrenze für seine strukturelle Neuverschuldung von 0,35 Prozent des BIP, das heißt rund zehn Milliarden Euro, nicht überschreiten. Bereits ab dem Jahr 2011 ist er verpflichtet, einen linearen Abbaupfad beim strukturellen Defizit einzuhalten. Die Jahre 2006 und 2007 haben gezeigt, dass Haushaltskonsolidierung letztlich nur bei einem robusten
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Beim Tag der offenen Tür in der Staatskanzlei geht es auch für Finanzminister Georg Fahrenschon mal nicht nur um Zahlen und Bilanzen.
Wirtschaftswachstum möglich ist. Wachstums- und Konsolidierungspolitik müssen somit Hand in Hand gehen. Es wäre daher verkehrt, jetzt durch einen übertriebenen Sparkurs die absehbare wirtschaftliche Erholung abzuwürgen. Notwendig ist vielmehr eine besonnene Politik, die unter Berücksichtigung der haushaltspolitischen Erfordernisse gezielte Impulse für mehr Wachstum und Beschäftigung setzt. Mit dem Sofortprogramm der neuen Koalition der Mitte im Bereich der Unternehmensbesteuerung wollen CDU/CSU und FDP Maßnahmen ergreifen, um Unternehmen den Weg aus der Krise zu erleichtern. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Finanzierung von Unternehmen. Sowohl die Kredit- als auch die Beteiligungsfinanzierung werden seit der Unternehmenssteuerreform 2008 mit – gerade vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise problematischen – steuerlichen Hürden konfrontiert. So entfaltet etwa die Zinsschranke dann ihre größte Wirkung, wenn die Unternehmensgewinne in einer Phase des wirtschaftlichen Abschwungs zurückgehen. Wenn sich dann auch noch die Bedingungen für die Kreditvergabe verschlechtern, werden die Unternehmen von zwei Seiten regelrecht in die Zange genommen. Wir beabsichtigen daher, einerseits den Zinsabzug durch Einführung einer Vortragsmöglichkeit für in den Vorjahren nicht genutztes Zinsabzugspotenzial zu verstetigen und andererseits die Befreiungsmöglichkeiten zielgenauer auszugestalten. Um die Wirkungen der Zinsschranke auf größere Unternehmen, die leichter auf die Belastungswirkungen der Zinsschranke reagieren können, zu beschränken, wollen wir zudem die Freigrenze, unterhalb der ein uneingeschränkter Zinsabzug möglich ist, dauerhaft auf drei Millionen Euro anheben. Auch im Hinblick auf die Beteiligungsfinanzierung müssen „Stolpersteine“ aus dem Weg geräumt werden. Hierzu wollen wir die Wirkungen des Paragraphen 8c Körperschaftsteuergesetz auf die Verluste beschränken, die die im Unternehmen vorhandenen stillen Reserven übersteigen. Ergänzt werden soll die Regelung um eine Konzernklausel, durch die konzerninterne Umstrukturierungsmaßnahmen nicht von der Beschränkung des Verlustabzugs betroffen sind, sowie eine unbefristete Sanierungsklausel. Durch diese Änderungen wird
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FINANZEN die Vorschrift wieder primär darauf ausgerichtet, Gestaltungsmissbrauch zu verhindern. Darüber hinaus setzt das „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“ gezielte Akzente für den Mittelstand. Hierzu gehören die Absenkung des pauschalen Finanzierungsanteils, der für Zwecke der Gewerbesteuer bei Immobilienmieten und -pachten unterstellt wird, sowie die Wiederanhebung der Wertgrenze, bis zu der geringwertige Wirtschaftsgüter im Jahr der Anschaffung oder Herstellung vollständig als Betriebsausgaben abgesetzt werden können, auf 410 Euro. Ein zentrales Element der Steuerpolitik in der kommenden Legislaturperiode werden darüber hinaus Entlastungen im Bereich der Einkommensteuer sein. Die Inlandsnachfrage hat sich in der Wirtschaftskrise als die Konjunkturstütze erwiesen. Ein wichtiger Grund hierfür ist zweifellos, dass sich der Wirtschaftseinbruch bisher noch nicht gravierend auf den Arbeitsmarkt ausgewirkt hat. Das lässt sich insbesondere auf die massive Nutzung von Kurzarbeit und Zeitkonten zurückführen. Hinzu kommt, dass bereits die Große Koalition mit dem Familienleistungsgesetz, dem zweiten Konjunkturpaket sowie dem Bürgerentlastungsgesetz die Weichen dafür gestellt hat, die „Konsumlaune“ der Menschen positiv zu beeinflussen. Diesen Weg müssen wir konsequent fortsetzen. Deshalb soll bereits zum Jahreswechsel das Kindergeld um 20 Euro pro Kind und Monat angehoben werden. Ergänzend hierzu sollen die Kinderfreibeträge auf 7.008 Euro angehoben werden. Darüber hinaus soll zum 1. Januar 2011
eine Reform der Tarifstruktur bei der Einkommensteuer, durch die insbesondere Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen nochmals entlastet werden, aufgesetzt werden. Der Koalitionsvertrag sieht vor, einen Stufentarif zu prüfen, über dessen konkrete Ausgestaltung man sich zu gegebener Zeit Gedanken machen will. Allerdings wird man im Lichte der Steuerschätzung und der aktuellen wirtschaftlichen Entwicklung frühestens Mitte nächsten Jahres über Umfang, Art und genauen Zeitpunkt einer Steuertarifreform entscheiden können. Steuerentlastungen sind das zielgenaue Mittel, um spürbare Nachfrage- und Investitionsimpulse auszulösen. Auf diesem Weg wird das Wirtschaftswachstum nachhaltig gestärkt und es werden Spielräume zur notwendigen Konsolidierung der öffentlichen Haushalte geschaffen. Ich bin daher sehr zuversichtlich, dass wir dank dieser Maßnahmen schnellstmöglich und gestärkt aus der Finanz- und Wirtschaftskrise herausgehen werden. ■
Georg Fahrenschon ist Bayerischer Staatsminister der Finanzen. 1968 in München geboren, studierte er in München und Augsburg Wirtschaftswissenschaften und schloss als DiplomÖkonom ab. 2002 zog der CSU-Politiker in den Bundestag ein. Das Mandat legte er nieder, als er 2007 Staatssekretär im bayerischen Finanzministerium wurde. Ein Jahr später wurde er in diesem Ressort zum Minister berufen.
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FINANZEN Franz-Christoph Zeitler
Chancen für eine neue Finanzordnung Gut ein Jahr nach dem (hoffentlichen) Höhepunkt der Finanzkrise – dem Zusammenbruch der US-Investmentbank Lehman und der folgenden Vertrauensimplosion wichtiger Finanz- und Kreditmärkte – ist das „Krisenbewusstsein“ in der breiten Öffentlichkeit wieder weitgehend geschwunden. Dies ist zum einen sicher ein bemerkenswerter Erfolg von Regierungen und Notenbanken, denen es durch entschlossenes Handeln gelungen ist, die Krise im Wesentlichen vom „kleinen Mann“, von den breiten Bevölkerungsschichten fern zu halten; die massiven Liquiditätshilfen und Konjunkturprogramme haben zunächst die Krisendynamik gestoppt und dann zu einer Wiedererholung der Märkte und auch der realen Wirtschaft beigetragen. Dennoch wäre es ein historischer Fehler, wieder zur Tagesordnung überzugehen und nicht die Ursachen der Krise grundlegend aufzuarbeiten. Zu den Hauptursachen der Krise gehören sicherlich • eine zu große Sorglosigkeit bei der Verbriefung und der marktbasierten Finanzierung. Dies gilt vor allem für außerbilanzielle Verbriefungen und Wieder-Verbriefungen mit hohem Abstraktionsgrad („CDO’s of ABS“) • eine zu geringe Risikowahrnehmung im privaten Sektor vor dem Hintergrund einer jahrelang scheinbar unerschöpflichen Marktliquidität, verstärkt durch eine Scheinsicherheit, die oft von vergangenheitsorientierten, rein quantitativen Risikomessverfahren ausgegangen ist. Bestnoten von Ratingagenturen für hochkomplexe Wertpapiere haben diese Scheinsicher heit verstärkt.
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FINANZEN • Eine laxe Kreditkultur, die sich in einigen Ländern – wie im bekannten subprime-Bereich der USA – bei der Bewertung und den Beleihungsrelationen für Immobilienkredite zeigte, in anderen Ländern vor allem bei sogenannten leveraged buy outs, private-equity Finanzierungen und Unternehmensübernahmen mit hohem Fremdkapitalhebel. • Weltweit, jedenfalls außerhalb des Eurosystems, eine Tendenz, in der Geldpolitik die Bedeutung der monetären Analyse (zu deutsch: Geldmenge) zu unterschätzen und einer konjunktur(output)-orientierten Strategie den Vorzug einzuräumen. Zwar blieben die Inflationsraten wegen der vorübergehend preisdämpfenden Wirkung der Globalisierung im Rahmen, die geschaffene Liquidität blieb aber in anderer Form, eben als „Blasenbildner“ im Immobilienbereich und bei strukturellen Produkten wirksam. • Die jetzt in den Gremien auf nationaler, europäischer und • internationaler Ebene, insbesondere auf dem G20-Gipfel in Pittsburgh, vorgesehenen Einzelmaßnahmen würden zu kurz greifen, wenn sie nicht mit einem Wandel des Denkens und eine Besinnung auf bewährte Grundsätze und Tugenden verbunden wären. Erstens: Im Vordergrund steht hierbei die (Rück)besinnung auf die Grundsätze der Nachhaltigkeit und Langfristigkeit. Das Nachhaltigkeitsprinzip wurde ja ursprünglich im 18. Jahrhundert in Deutschland in der Forstwirtschaft entwickelt und später auf die Ökologie insgesamt übertragen. Es muss nunmehr konsequent
Branche muss sich wieder auf bewährte Grundsätze und Tugenden besinnen. in die Finanzwirtschaft umgesetzt werden. Dies betrifft z. B. Kreditvergabepraktiken, die auf ständig steigenden Wertzuwachs des Beleihungsobjekts nach Zeitwertgrundsätzen ausgerichtet waren („equity withdrawal“). Dies betrifft den klassischen Zusammenhang von Langfristfinanzierung und Finanzstabilität, der in den letzten Jahren vielfach in den Hintergrund gedrängt wurde. So war ein großer Teil der im Zahlungsverzug befindlichen subprime-Kredite variabel finanziert (oft mit besonders attraktiven Einstiegskonditionen – teaser rates – verbunden). Nachhaltigkeit sollte – darüber hinaus – ein zentrales Thema der Rechnungslegung und Gewinnermittlung sein. Das klassische „deutsche Modell“ mit Vorsichts- und Imparitätsprinzip, dessen Einführung unter Bismarck seinerseits eine Reaktion auf eine große Finanzmarktkrise im 19. Jahrhundert war, ist in den letzten Jahren mehr und mehr der Zeitwertbilanzierung gewichen. Dieses fair-value-accounting hat sicherlich den Vorteil schneller und transparenter Informationen und Entscheidungsgrundlagen für Unternehmensleitungen und Investoren, aber auch den Nachteil hoher Volatilität und einer prozyklischen Verstärkung der Auf- und Abwärtsbewegung des Marktes.
mittlung und Ausschüttung zu verbinden. Ein Teil des Zeitwertgewinnes aus Finanzinstrumenten ist nach der Neuregelung im BilMoG in eine Rücklage einzustellen und bildet somit einen antizyklischen Puffer für widrige Marktphasen. Der Zeitwert wird beim Ansatz bestimmter Wirtschaftsgüter akzeptiert, aber mit einem Ausschüttungsverbot belegt. Der Baseler Ausschuss hat deshalb – ausgehend von Überlegungen der Banque de France und Bundesbank – dem Standardsetzter IASB u. a. vorgeschlagen, bei Finanzinstrumenten mit erheblichen Unsicherheiten die Bewertung von der Gewinnauschüttung zu trennen. Zweitens: Ein wichtiger Ansatzpunkt ist ferner die Schaffung sinnvoller Anreizstrukturen, die das Interesse der Marktteilnehmer von vorne herein in die richtige Richtung lenken, während punktuelle Interventionen oft nur die Attraktivität von Umgehungen (Regulierungsarbitrage) erhöhen. Dies gilt vor allem für die Neuausrichtung der erfolgsabhängigen Vergütungs- und Bonussysteme (compensation schemes), die in der Vergangenheit durch eine einseitige Risikostruktur die Bereitschaft zu „Wetten“ am Finanzmarkt verstärkt haben und mit der Orientierung am kurzfristigen, oft Schätzverfahren unterworfenen Zeitwertgewinn auch nicht dem Nachhaltigkeitsprinzip genügten. Sinnvoller Anreizstrukturen zu schaffen heißt auch, bei Verbriefungen eine Selbstbehalt (ownership stake) einzuführen. Nur wenn der Urheber einer Verbriefung mit einem bestimmten Anteil selbst im Risiko bleibt, hat er einen Anreiz zur sorgfältigen Bonitätsanalyse und zum späteren Kreditmonitoring des der Verbriefung zugrundeliegenden Geschäfts. Und nur, wenn der Investor sich darauf verlassen kann, wird das Vertrauen in den Verbriefungsmarkt wieder dauerhaft zurückkehren. Eine in diese Richtung gehende Regelung hat mittlerweile in die Bankenrichtlinie der EU Eingang gefunden. Drittens: Gleiche Regeln für wirtschaftlich gleiche Sachverhalte (same risk, same rules), unabhängig davon, ob sich „der Sachverhalt“ innerhalb oder außerhalb der Bilanz abspielt oder ob bestimmte Finanzinstrumente im Handels- oder im Bankenbuch gehalten werden. Schließlich auch unabhängig davon, ob es sich um regulierte Kreditinstitute oder sogenannte Schattenbanken oder near-banks (Hedge Fonds, Private Equity-Unternehmen etc.) handelt. Viertens: Verminderung von Komplexität und höhere Transparenz über die Verteilung der Risiken. In der Krise haben zunächst und vor allem jene Finanzprodukte gelitten, bei denen der realwirtschaftliche Kern, der eigentliche Dienstleistungszweck des Finanzgeschäfts kaum mehr erkennbar war, sondern hinter einem vielfältig verschachtelten Gebäude von Derivaten (CDO’s) und
Hier sollte der vom deutschen Gesetzgeber im Bilanzmodernisierungsgesetz (BilMoG) beschrittene Weg auch international Beachtung finden, die positiven Signaleffekte der Zeitwertbilanzierung („Informationsbilanz“) mit dem Vorsichtsprinzip für GewinnerAuslöser der Krise…
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FINANZEN komplizierten Vertrags- und trigger-Konstruktionen verborgen war. Hier sind auch insbesondere die Ratingagenturen gefordert; die Verwendung ein und derselben Ratingkategorie für eine Unternehmensschuldverschreibung mit einer bestimmten Ausfallwahrscheinlichkeit und für komplexe Finanzinstrumente, bei denen sich Adressenrisiko, Marktrisiko, Liquiditätsrisiko und Komplexitätsrisiko überlagern, ist zurecht kritisiert worden. Die Transparenz der Verteilung der Risiken könnte erheblich verbessert werden durch eine „Risikolandkarte“ wie sie die von der Bundesregierung eingesetzte Arbeitsgruppe unter Otmar Issing vorgeschlagen hat. Wesentlicher Teil und Voraussetzung einer solchen Risikolandkarte wäre ein internationales Kreditregister,
Prinzip der Sozialen Marktwirtschaft international verankern. das der Sachverständigenrat einmal sogar als „Substitut einer europäischen Bankenaufsicht“1 bezeichnet hat. Im Eurosystem haben bisher sieben Staaten – darunter Deutschland – ihre Kreditregister für gegenseitige Auskunftsersuchen zusammengeschlossen. Das System steht weiteren Teilnehmern offen. Ohne zusätzliche politische Anstöße dürften aber Fortschritte sowohl auf europäischer wie auf internationaler Ebene kaum zu erzielen sein. Die Nachhaltigkeit zu sichern, bedeutet auch, regulatorische Lücken und Ineffizienzen des internationalen Bankaufsichtsrechts zu beseitigen. So hat die Deutsche Bundesbank, seit Herbst 2007, also unmittelbar nach dem Ausbruch der Krise, in den internationalen Gremien, vor allem im Baseler Ausschuss Wert darauf gelegt, die Regeln für die Liquiditätsvorsorge der Kreditinstitute zu präzisieren und zu verschärfen. Denn ein plötzliches Austrocknen der Marktliquidität und zu geringe Liquiditätspuffer der Institute haben die Krise maßgeblich ausgelöst und beschleunigt. Zudem haben wir auf darauf gedrungen, regulatorische Lücken bei der Kapitalunterlegung des Handelsgeschäfts der Kreditinstitute (sogen. Handelsbuch im Gegensatz zum langfristig angelegten Bankbuch) ebenso zu beseitigen wie bei der Errichtung und Finanzierung von Zweckgesellschaften (sog. conduits oder SIV’s) und risikoreichen Formen der Verbriefung, vor allem der Wiederverbriefung. Darüber hinaus wird derzeit international (zuletzt auf dem G20-Gipfel der Staats- und Regierungschefs in Pittsburgh) vielschichtig über das von den Banken vorzuhaltende Kapital diskutiert: eine generelle Erhöhung des regulatorischen Mindestkapitals und ein zusätzlicher Aufschlag für große, international tätige Banken; die Einführung eines Kapitalpuffers, der im Aufschwung zu- und im Abschwung abnehmen kann (Antizyklik); die Ergänzung der risikosensitiven Basel-II-Vorschriften durch eine leverage ratio; die Definition dessen, was überhaupt als Kapital anerkannt wird. In der Substanz ist die Kapitaldiskussion richtig; denn höheres und qualitativ besseres Eigenkapital erhöht die Krisenbeständigkeit des Finanzsystems und den Haftungsbeitrag der Eigentümer (und vermindert im Umkehrschluss den Einsatz öffentlicher Gelder). Allerdings mildern diese Maßnahmen nicht mehr die aktuelle Krise, sondern sind als Vorbeugung gegenüber
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...und einer, der die Rechnung bezahlen muss.
möglichen Wiederholungsgefahren gedacht. Auch sind die ökonomischen Auswirkungen umfangreicher zusätzlicher Kapitalanforderungen zu bedenken. Steht nämlich – wegen der Finanzkrise – privates Kapital nur begrenzt zur Verfügung und sind öffentliche Quellen – gerade in Europa im Hinblick auf die Praxis der europäischen Wettbewerbspolitik – nur unter engen Voraussetzungen „anzuzapfen“, haben die Institute nur die Möglichkeit, höheren Kapitalanforderungen dadurch zu begegnen, dass sie ihr Aktivgeschäfts, also ihr Kreditangebot, reduzieren. Bei einer durchschnittlichen Kapitalunterlegung eines Kredits von acht Prozent liegt der „Hebel“ zur Einschränkung des potentiellen Kreditvolumens beim 12,5-fachen. Die mit der Finanzmarktkrise begründeten Verschärfungen der Kapitalanforderungen könnten somit die Überwindung der realwirtschaftlichen Krise und des Wachstumseinbruchs erheblich erschweren. Um dieses „regulatorische Paradoxon“ zu vermeiden, haben die G20 auf dem Gipfel in Pittsburgh eine Umsetzung der höheren Kapitalanforderungen erst für den Zeitpunkt beschlossen, in dem die Finanzkrise verlässlich überwunden ist und die wirtschaftliche Erholung gesichert erscheint. Zugleich wollten sie sich aber nicht dem Vorwurf aussetzen, notwendige Maßnahmen „ad kalendas graecas“ zu verschieben, und haben deshalb als Zieltermin das Jahr 2012 vorgesehen. Der wohl wichtigste Schritt auf diesem Wege ist die von der Bundesbank geforderte und im Baseler Gremium für das Jahr 2010 beschlossene umfangreiche Auswirkungsstudie, in dem das Zusammenwirken der unterschiedlichen, auf das bankaufsichtliche Kapital bezogenen Maßnahmen ausgelotet werden soll. Insgesamt eröffnet die Krise die historische Chance, den Grundgedanken der Sozialen Marktwirtschaft international zu verankern, nämlich den Einfallsreichtum und die Dynamik der Märkte einzubetten in globale „Leitplanken“, die die Systemstabilität absichern und zerstörerische Exzesse abfedern. Die Leitgedanken beim Aufstellen dieser Leitplanken sollten sein: Nachhaltigkeit stärken, Anreize steuern und Prozyklik vermeiden. Für die Finanzwirtschaft wie für die Regulierung und Aufsicht bedeuten diese Prinzipien eine Rückbesinnung auf ihren Charakter als Dienstleistung im wirklichen Sinne. Aufsicht dient einerseits dem Gläubigerschutz, andererseits – wenn es um Normen und Regelwerk geht – mittelbar aber auch der Realwirtschaft; in dem sie Rahmenbedingungen setzt, die es der Finanzwirtschaft ermöglichen, ihrer Intermediärsfunktion nachzukommen. ■ Prof. Dr. Franz-Christoph Zeitler ist Vizepräsident der Deutschen Bundesbank. Er wurde 1948 in Augsburg geboren, war „Maximilianeer“ und promovierte in München zum Dr. jur. mit einer preisgekrönten Arbeit zum Verfassungund Völkerrecht. Dr. Zeitler war Staatssekretär im Bundesfinanzministerium und von 1995 bis zu deren Auflösung 2001 Präsident der bayerischen Landeszentralbank.
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FINANZEN
Siegfried g Naserr und d Rud dolf Faltermeier
Das Drei-Säulen-Modelll hat Deutschland vor Schlim mmerem bewahrt
Nach rund zwei Jahren Finanzkrise kann man sagen, dass sich das Geschäftsmodell der regional tätigen Sparkassen in kommunaler Trägerschaft bestens bewährt hat. In vielen Strategien der vergangenen Jahre spielten die Betriebsgröße eines Kreditinstituts und die globale Präsenz eine bestimmende Rolle. Heute wissen wir, dass es viel wichtiger ist, eine enge Bindung an die reale Wirtschaft sowie eine Verankerung im Mittelstand sowie bei den Privatkunden zu haben. War vor einigen Jahren noch eine heftige Diskussion über die Aktualität und die Tragfähigkeit des deutschen so genannten Dreisäulenmodells im Gange, so ist diese Debatte der Ansicht gewichen, dass sich gerade die Existenz ganz unterschiedlicher Geschäftsmodelle innerhalb der Kreditwirtschaft als stabilisierender Faktor erwiesen hat. Denn gäbe es in Deutschland eine Monokultur von Großbanken wie in anderen Ländern, so wäre die Volkswirtschaft wohl noch viel schlimmer in Mitleidenschaft gezogen worden. Wenn wir einen Blick auf andere Staaten werfen, in denen die Bilanzvolumen einiger weniger Banken das mehrfache Bruttoinlandsprodukts dieses Staates ausmachen und damit letztlich eine Bedrohung für den ganzen Staat entstanden ist, können wir in Deutschland sehr froh sein, wie stabilisierend sich das DreiSäulen-Modell mit seiner Vielzahl von regionalen Sparkassen und Genossenschaftsbanken erweist – nicht nur für das Finanzsystem, sondern eben auch für die Bundesrepublik insgesamt. Das deutsche Dreisäulenmodell könnte sich daher auch als eine grobe Blaupause für andere Industrieländer eignen, wenn man diejenigen Elemente betont, die sich in der vergangenen Zeit als strapazierfähig erwiesen haben. Was sich als stabil, notwendig und richtig erwiesen hat, ist ein Bankenmodell, das zwar darauf abzielt, Gewinne zu erwirtschaften, dabei aber nicht die reine Eigenkapitalmaximierung zum primären Zweck erklärt. Es ist ein Geschäftsmodell, das seine dienende Funktion für die Wirtschaft und die Gesellschaft in den Vordergrund stellt und die Geschäftstätigkeit weitgehend an die Realwirtschaft und die Gesellschaft in der Region anknüpft. Auf diese Weise kann es auch niemals Gefahr laufen, künstliche Konstrukte des Finanzsystems aus eigenem Gewinnstreben zur obersten Maxime ihres Geschäfts zu erheben. Die Sparkassen in
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Deutschland pflegen dieses Bankenmodell zum Nutzen der regionalen Gesellschaft und Wirtschaft seit Jahrzehnten, auch wenn sie dafür nicht immer Beifall geerntet haben. Ein Grundgedanke aus dem Geschäftsmodell der kommunalen Sparkasse sollte die Konstruktion der neuen Bankenwelt besonders begleiten: Dies ist die realwirtschaftliche Anbindung – im Gegensatz zur Verselbständigung der Finanzwirtschaft ohne Verankerung in der Welt der Güter. Die Banken müssen sich wieder ihrer dienenden Funktion und ihrer Verantwortung für die Entwicklung der Gesamtwirtschaft bewusst werden. Denn das abgehobene Eigenleben von Kreditinstituten mit wenig Eigenkapital hat sich als weit gefährlicher erwiesen als noch vor wenigen Jahren denkbar war. Die aktuelle globale Krise zeigt, dass ein Wirtschaftssystem, das auf nicht realen Transaktionen beruht, schnell zerstört werden kann.
FINANZEN Die Sparkassen pflegen die enge Bindung an die Realwirtschaft durch ihre geschäftspolitische Orientierung am Regionalprinzip. Sie können ihre Kunden aus dem Geschäftsgebiet einschätzen und wissen deshalb, wo sie zur Entwicklung der Region beitragen und dabei geschäftlichen Erfolg erzielen können. Es ist bemerkenswert, dass der Sachverständigenrat der Bundesregierung in seinem kürzlich vorgelegten Jahresgutachten ein realistisches Bild der Konjunkturlage und Konjunkturperspektiven gezeichnet und zu Recht die Rückkehr zu dauerhaft tragfähigen Staatsfinanzen in den Mittelpunkt seiner wirtschaftspolitischen Überlegungen gestellt hat.. Mit seinen Ausführungen zum Finanzsystem hat der Rat eine umfangreiche Analyse der Krise und des Krisenmanagements in den letzten Monaten vorgelegt. Zu Recht stellt er dabei die Fragen nach der Reduktion systemischer Risiken, der Erhöhung der Widerstandskraft und der Verminderung der Prozyklizität des Finanzsystems ebenso in den Mittelpunkt, wie die Neuausrichtung der Aufsichtskompetenzen und Aufsichtsstrukturen und den Umgang mit Schieflagen systemisch relevanter Institute. Damit bestätigt
Reine Eigenkapitalmaximierung nicht Primärzweck. der die Einschätzung der Sparkassen. Zuzustimmen ist ihm vor allem auch in der Einschätzung, dass es keine flächendeckende Kreditklemme gibt. Sparkassen und Landesbanken nehmen ihre Verantwortung zur Kreditversorgung der Unternehmen und Selbstständigen in Deutschland umfassend wahr. 42,8 Prozent aller Kredite an deutsche Unternehmen und Selbständige kommen aus der Sparkassen-Finanzgruppe, 18,1 Prozent allein von Landesbanken. Demgegenüber kommen aus dem Großbankenbereich nur 12,1 Prozent. Einschätzungen, Sparkassen und Landesbanken würden weniger Kredite ausreichen, sind durch die Zahlen nicht gedeckt. Per Saldo haben Sparkassen und Landesbanken zusammen in den ersten neun Monaten dieses Jahres 3,1 Milliarden. Euro mehr Kredite vergeben als im Vorjahreszeitraum. Man darf aber auch nicht vergessen, dass wir in einer Wirtschaftsrezession leben, wo Unternehmen weniger investieren und deshalb häufig auch weniger Kredite nachfragen. In dieser Lage müssen die Kreditinstitute sehr sorgfältig die Bonität der Kreditnehmer prüfen und auf die Fähigkeit zur Rückzahlung achten. Schließlich finanzieren wir Kredite aus den Einlagen unserer Kunden, die zu Recht eine vollständige Rückzahlung erwarten. Die Bürgerinnen und Bürger sind zu Vorsorgemaßnahmen bereit und haben ihre Sparanstrengungen erhöht. Die Sparquote ist von 10,8 Prozent im Jahr 2007 auf 11,2 Prozent in 2008 angestiegen. Damit liegt die Sparquote auf dem höchsten Niveau seit 1993. Nach unserer Prognose dürfte sie auch für das Gesamtjahr 2009 in dieser Größenordnung liegen. Angesichts der steigenden Eigenverantwortung der Bundesbürger für Lebensrisiken haben die Sparkassen eine deutliche Erhöhung des Sparerpauschbetrags vorgeschlagen. Die Bundesbürger werden künftig in noch höherem Maße für die private Altersversorgung, Gesundheit und
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Bildung eigenverantwortlich vorsorgen müssen. Das sollte der Staat durch eine verbesserte Sparförderung unterstützen. Bei vier Prozent Zinsen kann man mit dem heutigen Sparerpauschbetrag von 801 Euro nur rund 20.000 Euro steuerfrei anlegen. Das ist deutlich zu wenig, um ausreichend für Lebensrisiken selbst vorzusorgen. Auf diese Weise werden den Sparern die für
Eigenvorsorge durch bessere Sparförderung unterstützen. den langfristigen Vermögensaufbau wichtigen Zinseszinseffekte weitgehend genommen. Die Sparkassen wollen deshalb mittelfristig einen doppelt so hohen Pauschbetrag. Wir sehen uns in unserer Geschäftspolitik und vor allem in unserer Geschäftsphilosophie durch die Erkenntnisse der letzten zwei Jahre bestätigt. Es freut uns, dass auch unsere Kunden dies so sehen: 42 % der Deutschen sagen, dass die Sparkassen in der Finanzmarktkrise an Vertrauen gewonnen haben. Die große Mehrheit sieht die Sparkassen auch bei einer fairen und objektiven Kundenberatung deutlich vorne. Die Sparkassen setzen auf die ganzheitliche Beratung des Kunden. Wir haben inzwischen für alle Kundengruppen das Sparkassen-Finanzkonzept eingeführt. Das Leistungsversprechen besteht darin, mit diesem Beratungsangebot in überschaubarer Zeit alle Absicherungs-, Finanzierungs- und Anlagebedarfe des Kunden aufzufinden und ein finanzielles Gesamtkonzept vorschlagen zu können. Wir glauben, dass dieser Philosophie hochwertiger Beratung die Zukunft gehört. Wir wollen schließlich die besondere Gemeinwohlorientierung und die nachhaltige Geschäftsausrichtung der Sparkassen noch stärker in der konkreten Geschäftspolitik herausstellen. Sparkassen sollen Banken nicht immer ähnlicher werden, sondern der Kunde muss täglich den Unterschied zwischen Sparkassen und Banken spüren. Dabei geht es um die Nähe zum Kunden, das Gespräch auf Augenhöhe. Es geht darum, dass wir ein guter Nachbar vor Ort sind, der sich für eine Region, die dort lebenden Menschen und die dort arbeitenden Unternehmen engagiert, auch über das Kerngeschäft hinaus durch Spenden, Sponsoring, Unterstützung der Vereine, des gesellschaftlichen Engagements sowie der sozialen Einrichtungen innerhalb der jeweiligen Geschäftsgebiete. ■
Dr. Siegfried Naser (links) ist Geschäftsführender Präsident des Sparkassenverbandes Bayern, Rudolf Faltermeier ist Vizepräsident.
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FINANZEN Christtin ne Bo ortenlä änger
Seit Wochen werden in Talkshows, bei Podiumsdiskussionen und in der Presse zwei Fragen diskutiert: „Befindet sich der deutsche Mittelstand in der Kreditklemme?“ oder „Kommt die Kreditklemme in 2010?“ Fragt man bei Banken nach, so fällt die Antwort differenzierter aus: Noch sei keine Kreditklemme vorhanden, doch sollte die Konjunktur in 2010 anziehen, sei ein Kreditengpass zu befürchten. Zumal man ja gezwungen sei, deutlich mehr Eigenkapital vorzuhalten. Man prüfe derzeit auch sehr kritisch Kreditlinien, welche nicht in Anspruch genommen werden, die jedoch bei der Bank Kapital binden.
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FINANZEN Ganz bestimmt werden zukünftig Kredite noch sorgfältiger geprüft und auch nicht mehr großzügig gewährt werden können. Oft konzentrieren sich Banken auf bestehende Kundenkontakte und bedienen diese zuerst, manche Neukunden haben das Nachsehen. Für das vierte Quartal 2009 rechnet die KfW deshalb mit einem Rückgang des Kreditneugeschäfts um bis zu 13 Prozent. Mit anderen Worten: Die Kreditaufnahme wird schwieriger und teurer werden. Alternative Finanzquellen sind gefragt. Eine davon ist der Börsengang. Doch immer noch gilt es, Hemmschwellen abzubauen. 2009 wagten wieder mehr Unternehmen den Schritt an die Börse. Wie eine aktuelle Studie von Ernst & Young belegt, nahmen im dritten Quartal dieses Jahres 149 Unternehmen das Initial Public Offering (IPO) in Angriff. Ein Silberstreif am – östlichen – Horizont. Denn die Studie spiegelt vor allem die Zunahme der IPOs in Asien wider. In Europa sank die Zahl der Börsengänge auf neun, in Deutschland ging gar nur ein (chinesisches) Unternehmen an den Markt. Die Unternehmensberater von Ernst & Young machen dennoch einen Aufwärtstrend aus, der in den kommenden Monaten Europa und möglicherweise auch Deutschland erreichen wird. Dies ist nicht verwunderlich, denn die Situation am Kreditmarkt spitzt sich weiterhin zu. Das Gebot der Stunde lautet: Die Eigenkapitalbasis zu verbreitern. Eine Möglichkeit dafür ist der Börsengang. Daran denken die wenigsten deutschen Mittelständler. Das belegen Studien des Deutschen Aktieninstituts: Die Mehrheit der Unternehmen schließt einen Börsengang aus, weil die Inhaber keine anderen Teilhaber wünschen. Dazu kommt, dass viele Unternehmer die regulatorischen Anforderungen für unüberwindbar halten oder die Kosten dafür als zu hoch ansehen.
Börsengang bringt Kapital und erhöht den Bekanntheitsgrad. Dabei erschließt der Börsengang – anders als andere Finanzierungsformen – den Zugang zu unbefristetem Eigenkapital. Eigenkapital, das für unternehmerische Wagnisse im Wettbewerb genutzt werden kann, etwa, um Wachstumsstrategien zu verfolgen oder Innovationen zu finanzieren, die eine deutlich bessere Position im Wettbewerb ermöglichen. Oder aber, um mit eigenen Aktien in Zukäufe interessanter Unternehmen zu investieren. Ganz nebenbei erhöht sich bei einem börsennotierten Unternehmen der Bekanntheitsgrad – nicht nur für Investoren, sondern auch für Kunden oder zukünftige qualifizierte Mitarbeiter. Auch bei einer Unternehmensnachfolge oder einer Unternehmensübergabe hat ein börsennotiertes Unternehmen viele Vorteile: Bekanntheit, marktgerechte Bewertung und einfache Übertragbarkeit von Firmenwerten – um nur ein paar zu nennen. Sicherlich ist der Weg zur Börsen kein Spaziergang. Von der Due Dilligence Prüfung bis zum Zulassungsbescheid durch die BaFin ist es weit. Bei der Börse München haben wir professionelle Begleiter benannt, die den Mittelständler an die Hand nehmen. In unserem Marktsegment M:access unterstützen Emissionsexperten, dies sind Banken und Investmenthäuser,
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Die ehemalige Hutschenreuther-Villa am Karolinenplatz ist seit Juni der neue Sitz der Börse München.
die Neulinge am Kapitalmarkt. Die Experten sorgen für ausreichendes Wertpapier-Research, vertreiben die Emission und geben bei Erstnotizen Liquiditätsgarantien. Und sie schauen darauf, dass die Unternehmen sich auf die Anforderungen der unterschiedlichen Investoren vorbereiten. Eine Teilnahme an regelmäßigen Analystenkonferenzen ist Pflicht in M:access. Die dadurch entstehende Transparenz hat eine positive Rückwirkung auf die Unternehmen selbst – und auf das Image, das wiederum nach außen wirkt. Wobei die Börse München bei der Festlegung der IPO-Anforderungen und der Folgepflichten darauf geachtet hat, dass kleine und mittlere Unternehmen diese auch bewältigen können, zu überschaubaren Kosten. Wir haben mit M:access ein Börsensegment etabliert, dessen Anforderungen in einem nur fünfseitigen Regelwerk recht übersichtlich sind: Ein Jahresabschluss als Kapitalgesellschaft, ein Prospekt, der auch auf der Website des Emittenten veröffentlicht wird, und ein Grundkapital von mindestens einer Million Euro. Kein Mindest-Emissionsvolumen, kein Lock-up, keine verpflichtende Bilanzpressekonferenz. Denn nicht die Berichterstattung über kurzfristiges Wirtschaften in Quartalsabständen ist entscheidend, sondern der nachhaltige Erfolg. Um die Hemmschwellen für mittelständische Unternehmen abzubauen und den Börsengang attraktiv zu machen, brauchen wir entsprechende Marktsegmente – zugeschnitten auf die unterschiedlichen Unternehmensgrößen, auf den jeweiligen Kapitalbedarf und auch abgestimmt auf die Börsenerfahrung der Unternehmen. Sie sind wichtige Ergänzungen der Börsenlandschaft. Sie eröffnen Mittelständlern einen Weg an den organisierten Kapitalmarkt. Und nur so werden auch in Deutschland wieder mehr Unternehmen den Gang an die Börse wagen. ■ Dr. Christine Bortenlänger ist Geschäftsführerin der öffentlich-rechtlichen Börse München und Vorstand der Börse AG, die als privatrechtlicher Träger den Betrieb der Börse sicherstellt. Die gebürtige Münchnerin absolvierte nach einer Banklehre in Rekordzeit BWL-Studium und Promotion (über Börsenautomatisierung) und wurde schon mit 33 Jahren Chefin der Münchner Börse.
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Die H체ter des Schatzes 200 Jahre staatliche Finanzverwaltung in Bayern
Das Grenz- und Zollamt im heutigen Kirchweidach stand 1803 an der Grenze zum Erzstift Salzburg. Heute h채ngt das kurf체rstliche Amtsschild im Stadtmuseum von Burghausen.
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FINANZEN Was haben die Herrschaften in der Truhe? Ein Kgl. bayer. Hauptkontrolleur I. Klasse und sein Beimautner kontrollieren das Gepäck der Reisenden (Bild rechts oben, um 1840). Aquarell: Paul Ernst Rattelmüller Rechentücher halfen seit dem Mittelalter beim Zählen größerer Beträge, weil sie schon damals bei der Steuererhebung anfielen. Dieses bayerische grüne Rechentuch war um 1600 im Gebrauch. Darunter das erste bayerische Papiergeld, eine 10-GuldenNote, 1836 hergestellt von der Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank (Bilder unten).
Die Hüter der Schatzkiste: Bayerns Finanzstaatssekretär Franz Josef Pschierer (rechts) eröffnet gemeinsam mit Finanzsamtsleiter Hermann Schuller die Ausstellung „Hüter des Schatzes“ im Finanzamt Nürnberg Süd.
Gerecht besteuert kann nur werden, wenn zuvor gut vermessen wurde. Als Meßgrundlage diente die „Altbayerische Grundlinie“ von München nach Aufkirchen, die bereits 1801 aus militärischen Gründen festgelegt wurde. Bayern wurde das erste vollständig vermessene Land Europas (Bild unten).
Mit dem Erlass vom 1. Mai 1808 besiegelte das junge Königreich Bayern eine Steuerrevolution: Die Hoheit über die Steuern ging auf den Staat über, die bisherige Steuerverwaltung durch die Stände wurde aufgehoben. „Von nun an“, so Finanzstaatssekretär Franz Pschierer, „sollten die Steuern nach einem gleichen System im ganzen Königreich erhoben werden.“ Es war auch höchste Zeit: Bayern drückte eine Schuldenlast von über 80 Millionen Gulden und Minister von Montgelas musste gegen den drohenden Staatsbankrott kämpfen. Die Grundsteuer wurde schnell zur wichtigsten Einnahme des Staates was aber nur möglich war, wenn alle Grundstücke vermessen und bewertet wurden. So führte eine Steuerreform dazu, dass Bayern als erstes Land Europas vollständig vermessen wurde. Heute beschäftigt die Finanzverwaltung in Bayern 30.0000 Mitarbeiter, die sich mit der nachhaltigen Finanzpolitik ebenso beschäftigen wie mit dem Finanzausgleich für Bund und Kommunen. PS
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FINANZEN
Millionär zu werden, war nicht schwer: Ein bayerischer Fünf-Millionen-Mark-Schein aus dem Inflationsjahr 1923.
1819 wurde das erste Budget des Königreichs Bayern vorgelegt. Der bedeutendste Posten der Einnahmen war die Grundsteuer (Bilder Mitte).
Die Ausstellung „Die Hüter des Schatzes“ ist noch bis zum 5. Januar im Finanzamt Bamberg zu sehen, danach im Finanzamt Coburg (26. Januar bis 19. Februar), im Finanzamt Memmingen (2. März bis 16. April) und zum Abschluss im Finanzamt Traunstein (27. April 2010 bis 4. Juni). Zum 200-jährigen Jubiläum der staatlichen Finanzverwaltung hat das Bayerische Finanzministerium das Buch „Die Hüter des Schatzes“ herausgegeben, aus dem die Bilder dieses Beitrags entnommen sind. Es ist im Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, erschienen (296 Seiten, 24,90 Euro).
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FINANZEN Stefan Götzl
Motor Mittelstand schafft Wachstum Berliner Koalitionsvertrag bringt frischen Wind – Eckpunkte müssen umgesetzt werden
Mit dem Koalitionsvertrag haben CDU, CSU und FDP die Weichen für die Regierungspolitik der neuen Legislaturperiode gestellt. Die erklärten Ziele sind Wachstum, Bildung. Zusammenhalt. Durch eine kurzfristige Befreiung der Bürger und Unternehmen von Steuerlasten und Bürokratie sowie einen nachhaltigen Sparkurs will die neue Regierung das Land aus der Krise führen. Die Soziale Marktwirtschaft ist dem Vertrag als Leitbild vorangestellt. Klar ist, dass in der Finanzund Wirtschaftskrise gegen grundlegende Regeln dieser Wirtschaftsordnung verstoßen wurde. Die Bundesregierung tut gut daran, wenn sie mit ihrer Wirtschaftspolitik den Prinzipien von Haftung und Verantwortung wieder Geltung verschafft. Diese müssen zukünftig das Handeln der Marktteilnehmer bestimmen.
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FINANZEN Mit einem Sofortprogramm zur steuerlichen Entlastung von Unternehmen will die Bundesregierung schon zu Beginn des nächsten Jahres den Weg aus der Rezession ebnen. In diesem „dritten Konjunkturprogramm“ sollen unter anderem die Verlust- und Zinsabzugsbeschränkungen – „Mantelkauf“ und „Zinsschranke“ – entschärft werden. Diese Maßnahmen sind sinnvoll, weil damit die belastenden Wirkungen der Unternehmenssteuerreform abgemildert werden. Gerade in Zeiten schwacher Ertragslage kann sich beispielsweise für kleine und mittlere Betriebe als überlebenswichtig erweisen, bei Umstrukturierungen Verluste zum Abzug bringen zu können. Den Mittelstand steuerlich zu entlasten muss daher ganz oben auf der Agenda der Bundesregierung stehen. Denn nur der Wirtschaftsmotor Mittelstand kann neues Wachstum schaffen. Klar ist, dass die Steuererleichterungen nicht zur Ausuferung der Staatsverschuldung führen dürfen. Sie müssen solide gegenfinanziert werden. Ein richtiger Ansatz ist auch der geplante Bürokratieabbau. Dazu gehört, den Verwaltungs- und Kostenaufwand durch Aufbewahrungs- und Prüfungspflichten und das betriebliche Beauftragtenwesen zu reduzieren. Längst überfällig ist die ins Auge gefasste Überprüfung des umstrittenen Kontenabrufverfahrens. Die unsägliche Politik des gläsernes Bürgers, des staatlichen Misstrauens und Ausspähens muss ein Ende finden. Die Bundesregierung hat jetzt die Chance, eine Gesetzgebung, die zur Verunsicherung der Bürger, zur Kapitalflucht und zur übermäßigen Bürokratiebelastung der Banken geführt hat, zu korrigieren. Daneben gibt es weiteren dringenden Berichtigungsbedarf: Das noch von der alten Bundesregierung verabschiedete neue Schuldverschreibungsgesetz führt bei der Telefonberatung zu massiven bürokratischen Belastungen und rechtlichen Unsicherheiten für Bank und Kunde. Damit verfehlt es seinen gewollten Schutzzweck völlig. Es ist zu wünschen dass die Koalitionsregierung auf dem vorgegebenen Weg zum Bürokratieabbau auch nach links und rechts schaut. Damit den Bürgern und Unternehmen schnell und pragmatisch geholfen wird.
Künftig darf es kein Produkt und keine Akteure auf dem Finanzmarkt mehr geben, die nicht beaufsichtigt werden.
Entschlossen muss die Regierung vor allem bei der Neuordnung der Finanzmärkte vorgehen. In Zukunft darf es kein Finanzmarktprodukt und keinen Finanzmarktakteur mehr geben, die nicht beaufsichtigt werden. Das haben die G20 in Pittsburgh beschlossen – so steht es auch im Koalitionsvertrag. Die Absicht der Koalitionsparteien, künftig alle Anbieter von Finanzprodukten der staatlichen Finanzaufsicht zu unterstellen, ist ein dringend notwendiger Schritt. Dabei muss ein besonderer Fokus auf dem Grauen Kapitalmarkt liegen. Diesen hat die Politik bislang unter Verbraucherschutzgesichtspunkten komplett vernachlässigt. Aber gerade dort tummeln sich die Nepper, Schlepper und Bauernfänger. Der Schaden den sie in der Volkswirtschaft und beim Verbraucher verursachen, ist enorm. Durch sofortiges politisches Einschreiten können die Wettbewerbsbenachteiligungen von regulierten Banken gegenüber Anbietern des unregulierten Grauen Marktes beseitigt werden. Zu einer effektiveren Regulierung gehört auch, dass eine Ratingagentur künftig nicht mehr zugleich Finanzprodukte entwickeln, vertreiben und bewerten darf. Denn dieser Interessenkonflikt bei den Ratingagenturen hat die Finanzkrise mit verursacht. Hier muss sich die Bundesregierung auch auf EU-Ebene für internationale Mindeststandards und Sanktionsinstrumente stark machen. In Deutschland ist das Gleichgewicht des Bankenmarkts in der Finanzkrise durch wettbewerbsverzerrende Staatshilfen für angeschlagene Groß- und Landesbanken gestört worden. Das war teilweise nötig, um einen Kollaps des Finanzsystems zu verhindern. Dennoch muss die freie Marktordnung zügig wiederhergestellt werden. Dem Vorhaben der neuen BundesregieSein Rat ist gefragt: Als Vorsitzender der Expertenkommission „Zukunft Soziale Marktwirtschaft“ übergibt Stefan Götzl (Mitte) Bayerns Ministerpräsidenten Horst Seehofer den Abschlussbericht. Seehofer hatte im April dieses Jahres elf renommierte Experten aus Wirtschaft und Wissenschaft beauftragt, Vorschläge zur Überwindung der Finanzkrise sowie zur Zukunft der Sozialen Marktwirtschaft zu erarbeiten. Mit dabei war auch ifo-Präsident Prof. Hans-Werner Sinn (li.).
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rung, die Staatshilfen zeitlich so eng wie möglich zu begrenzen müssen nun Ausstiegsstrategien folgen. Das ist auch vor dem Hintergrund der belasteten öffentlichen Haushalte dringend geboten. In diesem Zusammenhang ist auch die beabsichtigte Entwicklung eines rechtlichen Instrumentariums zur Abwicklung oder Restrukturierung von großen, grenzüberschreitenden Finanzunternehmen in Schieflage richtig. Nur so kann verhindert werden, dass der Staat in Zukunft von systemrelevanten Kreditinstituten zu Rettungsmaßnahmen gezwungen wird. Zur Gewährleitung des freien Wettbewerbs dient zudem
Nicht von angelsächsischen Interessengruppen überrollen lassen. die Überprüfung der Geschäftsfelder der staatlichen KfW und der Finanzagentur, wie sie im Koalitionsvertrag angekündigt wird. Bisher besteht hier eine ungleiche Konkurrenz zwischen staatlichen Institutionen und der Privatwirtschaft. Die Aufsicht über die Kreditinstitute wollen die Koalitionspartner bei der Bundesbank zusammenführen, um eine effektive Kontrolle aus einer Hand zu ermöglichen. Das ist eine richtige Schlussfolgerung aus den strukturellen Defiziten, die in der Krise dazu führten, dass kein umfassendes Risikobild des deutschen Bankensystems vorlag. Bei der Umsetzung darf die Regierung jetzt nicht zögern. Sie muss höchste Priorität haben, da die Risikosituation bei einigen Banken noch nicht vollständig unter Kontrolle ist. Wesentlicher Teil der Neuordnung muss sein, die bisher unverhältnismäßig hohe Intensität bei der Kontrolle nicht systemrelevanter Regionalbanken – die die Krise eben nicht verursacht haben – zurückzufahren. In Zukunft muss sich die Tätigkeit der Bankenaufsicht vorrangig am Risiko und der Systemrelevanz des Einzelinstituts orientieren. Dafür die Prüfungskapazitäten konzentriert und die Prüfungsinstrumente an die Geschäftsfelder der Großbanken angepasst werden. Synergieeffekte, die sich aus der Bündelung der Bankenaufsicht ergeben, müssen konsequent für eine bessere Kontrollqualität genutzt werden. Den unmittelbaren Handlungsbedarf bei den Rechnungslegungsvorschriften hat die Koalition erkannt. Denn die
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Auch auf dem Frankfurter Bankenplatz (Bild) ist die Risikosituation einiger Großbanken noch nicht vollständig unter Kontrolle.
prozyklischen Wirkungen der derzeit geltenden internationalen Bilanzierungsregeln haben krisenverschärfend gewirkt. Das muss in Zukunft verhindert werden. Es ist zu begrüßen, dass die Bundesregierung die Einführung schärferer Eigenkapitalforderungen – gerade für systemrelevante Institute – auf internationaler Ebene unterstützen will. Allerdings besteht akut die große Gefahr, dass wir uns in Deutschland von angelsächsischen Interessengruppen überrollen lassen. Die Bundesregierung steht in der Pflicht, die Besonderheiten des deutschen Bankensystems deutlich zu machen und zu verteidigen. Es muss sichergestellt werden, dass die traditionellen Eigenkapitalinstrumente der Regionalbanken – das sind zum Beispiel Genossenschaftsanteile und stille Einlagen – als hartes Kernkapital anerkannt bleiben. Ansonsten wären Wettbewerbsverzerrungen zum einseitigen Nachteil der deutschen Kreditinstitute die Folge. Zudem droht dann auch eine massive Kreditverknappung für die deutsche Wirtschaft. Mit dem Koalitionsvertrag haben sich die Parteien viel vorgenommen. Besonders die Entlastung der Unternehmen und die Finanzmarktregulierung dürfen nicht hinausgezögert werden. Nur so kann die Rezession schnellstmöglich beendet und erneute Verwerfungen auf den Finanzmärkten können verhindert werden. Die Bundesregierung steht in der Pflicht. ■ Dr. h.c. Stefan Götzl ist seit 2005 Vorstandsvorsitzender und Verbandspräsident des Genossenschaftsverbands Bayern. Er wurde 1960 im Oberpfältzer Kemnath geboren und absolvierte die Universität Erlangen/Nürnberg als Diplom-Kaufmann. Nach einem Ausflug in die Politik (Umweltstaatssekretär in Rheinland-Pfalz) und in die Wirtschaft (Siemens und Pfleiderer) wurde Götzl 1999 der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) und des Verbands der Metall- und Elektro-Industrie.
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Vor 70 Jahren schrieb der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler und legendäre Inverstor Benjamin Graham über die typischen Krisenauslöser bei der Börse. Das waren seine wichtigsten Grundsätze: • Der Kurs einer Aktie soll nicht mehr als zwei Drittel über dem Buchwert liegen • Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) sollte weniger als 40 Prozent des höchsten KGV der vergangenen 5 Jahre betragen • Die Dividendenrendite soll mindestens zwei Drittel der Anleihenrendite betragen • Das Eigenkapital sollte höher sein als die Schulden • Das Umlaufvermögen sollte mindestens doppelt so hoch sein wie die kurzfristigen Verbindlichkeiten
• Das durchschnittliche Ertragswachstum sollte in den vergangenen 10 Jahren mindestens 7 Prozent betragen haben • Die Rendite beim Kauf einer Aktie (Gewinn je Aktie geteilt durch Aktienkurs) sollte mindestens zweimal so hoch sein wie die Rendite 30-jähriger Staatsanleihen • In den vergangenen 10 Jahren sollte der Gewinn nicht mehr als zweimal rückläufig gewesen sein • Der Börsenwert eines Unternehmens sollte zwei Drittel des Nettoumlaufvermögens der Firma nicht übersteigen
Mehr darüber in der neuen Auflage von Benjamin Graham und David Dodd: „Die Geheimnisse der Wertpapieranalyse“, erschienen im Finanzbuch-Verlag, München, 992 Seiten, 64,90 EUR.
• Die Verschuldung sollte geringer sein als das doppelte Nettoumlaufvermögen
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Soziale Verantwortung Seit 1929, so heißt es, sei keine solche Wirtschaftskrise mehr über die Welt gerast wie jene, die wir gerade erlebt haben und an deren Folgen wir lange zu tragen haben werden. Nun bringt eine Krise immer Leid mit sich oder – für diejenigen, die nicht von Ruin und Arbeitslosigkeit betroffen sind – zumindest Furcht und Unsicherheit. Aber eine Krise bedeutet auch eine Chance. Professor Eckerle, bei dem ich an der Universität in München Moral studiert habe, forderte uns auf, nicht nur die schlimmen Seite zu beachten, sondern innezuhalten und kühlen Kopf zu bewahren. Denn jede Krise, so sagte er, sei die „Selbstvergewisserung der Freiheit“. Halten wir also inne und vergewissern uns: nicht nur unserer wirtschaftlichen Lage, sondern auch des Standes unserer Gesellschaft und der Freiheit, die sie sich gibt oder nimmt. Auslöser der Krise waren riskante Geschäfte von Banken. Das Versagen so genannter Topmanager hat zu diesem historischen Debakel geführt. Der heilige Benedikt sagt: „Diese Menschen sind schuldig geworden, ohne dass ich sie deshalb verurteile – das ist Sache Gottes.“ Ich möchte auch kein Urteil nach moralischen Maßstäben fällen. Aber ich will die Dinge klar beim Namen nennen: Die Ordnung ist aus dem Lot geraten, das rechte Maß verloren.
„Ora et labora“: Zu beten und zu arbeiten gab Ordensgründer Benedikt von Nursia seinen Anhängern als noch heute gültige Regel vor.
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FINANZEN Wo wir Vorbilder suchen, finden wir Manager mit krimineller Selbstüberschätzung und Gier, da finden wir moralfreie Wissenschaftler, gar Mediziner, die Titel verkaufen oder gleich Patienten an Rathäuser. Die Finanzkrise war gestern, habe ich gelesen, und wenn man sich das Gebaren der Banken ansieht, ist man geneigt, diesen Eindruck zu teilen: Ein Jahr nach dem katastrophalen Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers zahlen die Banken der USA ihren Mitarbeitern höhere Gehälter als je zu vor. Und auch in London wachsen die Erwartungen schon wieder.
Geld spielt keine Rolle bei der Besinnung im Klostergarten.
Da frage ich mich, in welchen Gleisen das Denken dieser Menschen hinter den Glas- und Granitfassaden der Banken verläuft. Haben sie nicht genügend Geld? Waren die Lehren der vergangenen eineinhalb Jahre nicht deutlich genug? In den Toppositionen findet man immer noch oder schon wieder die Menschen, welche die Krise ausgelöst haben. Und sie handeln noch immer oder schon wieder so, wie sie gehandelt haben, bevor der FinanzTsunami die Welt ins Chaos stürzte. Da werden Millionen am Boni gezahlt. Warum? Die Bilanzen sind zwar schlecht – um es milde auszudrücken. Aber im Jahr davor waren sie ja vielleicht noch gut.
richtet sich vielmehr gegen ein offenes Ärgernis. Ein großer Teil der Bevölkerung verarmt, und Top-Leute, die eigentlich Vorbilder sein sollen, wollen es nicht nur nicht wahrhaben – sie richten weiterhin Schaden an. Dabei tragen sie große Verantwortung für das Wohl nicht nur ihres Volkes, sondern für die Menschen auf aller Welt. Sie aber scheinen weiterhin nur an die Vermehrung des eigenen Vermögens zu denken. Sie leiden unter krankhafter Gier. Sie tragen nicht das geringste Lebensrisiko und tragen nicht die Haftung für die Risiken, die sie eingehen. Sie bürden sie anderen auf, den Bürgern etwa, die mit ihrem Geld Banken retten müssen, die in Schieflage geraten sind.
State O Neal, der damalige Chef der Merrill Lynch Bank, hat 161 Millionen Dollar Abfindung kassiert. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen, diese Zahl von einhunderteinundsechzig Millionen Dollar. Jeder, der arbeitslos geworden ist, ob in Nürnberg oder in Detroit, ob in Madrid oder Reykjavik, muss sich bei solchen Nachrichten fragen „Was ist hier faul am System?“ Diese Frage hat nichts mehr mit Sozialneid zu tun. Sie
Wir brauchen gute Manager. Sonst funktioniert die Wirtschaft nicht. Sie sollen auch reich entlohnt werden. Wenn es aber heißt, die wandern ab, wenn sie nicht gleich Millionen kassieren können, dann würde ich sagen: „Geht ruhig.“ Nicht alle unserer TopManager waren großartige Leute. Sie haben versagt in vielerlei Hinsicht. Wir brauchen gute Manager. Es müssen Menschen sein, die weit blicken und die auch für ein Risiko stehen, das sie eingehen. Weit blicken – diese Forderung führt auch weit. Wir können heute beispielsweise nicht mehr sagen, dass es allen gut geht, wenn es den Unternehmern und den anderen Angehörigen der Eliten gut geht. Denn wie sieht es bei der Bevölkerung aus? Viele können nicht mehr von der eigenen Hände Arbeit leben, wie es dem benediktinischen Prinzip entspräche. Der heilige Benedikt hat gesagt: „Die Mönche sind erst dann wahre Mönche, wenn sie von der eigenen Hände Arbeit leben.“ Wir müssen also Sorge tragen, nicht nur für ein einzelnes Unternehmen, sondern auch für die Gesamtbevölkerung. Viele Menschen verlieren in diesen Monaten ihre Arbeit, und dieses Schicksal bedeutet mehr als nur den Verlust eines Einkommens. Es geht an die Substanz der Persönlichkeit, der Familie. Arbeitslosigkeit greift das Selbstwertgefühl an. Denn Arbeit stiftet auch Lebenssinn. Es kann bei einem Unternehmen nicht darum gehen, dass ein Top-Manager seine Gelder einstreicht und ein Jahr später das Unternehmen Insolvenz anmelden muss. Es gab früher so etwas wie Solidarität auch in Unternehmen. Ich erinnere mich noch, als die Firma meines Vaters in Insolvenz gehen musste. Da haben alle zusammengehalten, damit die Firma wieder aufsteigen kann. Was auf der anderen Seite dazu gehört, hat Jürgen
Auch die Gitarre hilft Abtprimas Notker Wolf OSB, das Wort Gottes zu verkünden. Er ist Chef aller Benediktiner weltweit.
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FINANZEN R. Thumann, damals noch Präsident des Bundesverbandes der deutschen Industrie, sehr gut ausgedrückt: „Ich bin mir als Unternehmer bewusst, dass ich für meine Arbeitnehmer genauso verantwortlich bin wie für die Familien dieser Leute und genauso für das ganze Volk“. Genau so was brauchen wir. Wir müssen zusammen denken, zusammen an einem Tisch. Der heilige Benedikt sagt: „Wann immer eine wichtige Frage ansteht, rufe der Abt sämtliche Brüder zusammen und berate mit ihnen, wie es weitergehen soll, und keiner nehme sich heraus, die eigene Meinung hartnäckig zu vertreten.“ Er fügt einen sehr interessanten Satz hinzu: „..und ich habe ausdrücklich gesagt ,alle’, weil Gott oft den Jüngeren eingibt, was das Bessere ist.“ Vielleicht deswegen, weil die Jüngeren noch nicht festgefahren sind. An die Jüngeren sollten wir auch aus anderen Gründen denken. Die Lasten, die wir heute kommenden Generationen aufbürden, sind immens und werden deren Spielraum gewaltig einengen. Wir können uns nicht mehr damit aufhalten, uns allein mit uns selbst zu beschäftigen. Nicht als Individuen, aber auch nicht als Junge oder Alte, als Arbeitnehmer oder Arbeitgeber, als Deutsche oder gar Europäer. Wer beobachtet, mit welch wachsendem
Wie den Alkoholiker müsste man den Geldgierigen auf Entzug setzen. Selbstbewusstsein China auftritt, wie es sich in Afrika bemüht, sich Zugriff auf zukunftssichernde Ressourcen zu sichern, der kann erahnen, welch rauer Wind uns bald entgegenblasen könnte. Wer sich ansieht, welche Risiken die Menschen wiederum auf sich nehmen, um aus Afrika nach Europa zu flüchten – sie riskieren Ertrinken, Tod durch Erschöpfung, ohne im gelobten Land willkommen zu sein –, der kann erahnen, wie höllisch die Verhältnisse dort sind. Solange Gier die Welt regiert, sind die Hoffnungen auf Besserung vergebens. Es ist Zeit, über den Tellerrand hinauszuschauen. Alle müssen wir uns um die drängenden Fragen kümmern. Freiheit ist das größte Geschenk, das uns gegeben wurde. Aber Freiheit bedeutet Verantwortung. Gier dagegen ist mehr als das Verlangen nach Geld. Sie ist Sucht nach Geld und Gütern, die sich steigert. Das Streben nach Besitz ist an sich natürlich, so wie andere Triebe wie zum Beispiel die Aggression. Wir benötigen diese Triebe, sie treiben uns an wie Motoren. Die Frage ist das rechte Maß, und das ist verloren gegangen. Wie einen Alkoholkranken müsste man auch den Geldgierigen auf Entzug setzen. Für die Betreffenden könnte das etwas Wunderbares sein. Dann würden sie wieder erfahren, was Freiheit ist. Sie beginnt da, wo die Selbstversklavung endet. Da wären wir wieder bei der Selbstvergewisserung, diesmal bei der Selbstvergewisserung der Freiheit. Sie beginnt, wenn man nicht bis zur Übersättigung isst, wenn man nicht bis zum Rausch trinkt, nicht bis zur Perversion Geld anhäuft. Wenn man also isst und nicht frisst, wenn man trinkt und nicht säuft, wenn man lebt und nicht rafft. Vor Gott zählt diese Freiheit, etwa wenn Jesus sagt: „Leichter geht ein Kamel durch ein Nadelöhr als dass ein Reicher ins Himmelreich kommt.“ Daran denke ich
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immer, wenn ich von diesen gierigen Millionären höre. Dabei bete ich für sie, dass sie vielleicht doch noch in den Himmel kommen. Es geht, wie gesagt, um Selbstvergewisserung. Sie kann nicht funktionieren, wenn es an Ehrlichkeit fehlt. Dem ist die Political Correctness nicht zuträglich. Der Titel meines ersten Buches lautete „Worauf warten wir“, und es hatte damals schon den Untertitel „Ketzerische Gedanken zu Deutschland“. Ketzerisch ist heute, was gegen die Political Correctness spricht. Diese absonderliche Art der Korrektheit verlangt, dass man sich einem Code, einer Übereinkunft unterwirft, und macht letztlich das eigenständige Denken unmöglich. Sie ist das Gegenteil von Gelassenheit und Souveränität. Und daher ist sie fürchterlich humorlos, diese angebliche Korrektheit, die doch nur normiertes Denken meint. Nehmen wir als Beispiel die Kampagne für Nichtraucherschutz, die oft genug in eine Kampagne gegen Raucher ausartet. Ich habe auch etwas gegen verqualmte öffentliche Räume, doch mich stört hier die Verbissenheit. Auch hier sollte Freiheit walten. Bleiben wir doch bei dem Humor, der von echter Souveränität zeugt. Als wegen an sich recht läppischer Mohammed-Karikaturen eine Welle übertriebener Empörung durch die islamische Welt raste, hielten wir zu Recht dagegen. Als dann wenig später Papstkarikaturen erschienen, ging’s hierzulande bei manchen Kirchenstellen hoch her. Mit Shakespeare könnte man sagen: Viel Lärm um nichts. Menschenskinder, lasst doch so etwas einfach mal laufen, so was müssen wir vertragen und verkraften. Über sich selber lachen zu können, ist die gesündeste Art Humor. Die Anderen zu ärgern und nicht sich selbst, ist viel gesünder. Man sollte sich genau überlegen, was man auf dieser Welt ernst nimmt. Sich selber jedenfalls nicht. Daran fehlt es den Verfechtern der Political Correctness. Disziplin einzufordern: Auch das war ja lange Zeit nicht unbedingt korrekt. Erst langsam setzt sich durch, wie wichtig Disziplin für jeden Lebensentwurf ist, von der Schule über die Ausbildung bis zum Beruf. Auch in der Ehe ist Disziplin wichtig. Wenn aber die Kirche auf dem Zusammenhalt der Familie besteht, dann verhält sie sich nicht „korrekt“. Denn heute geht man schon nach dem ersten Problem auseinander. Doch die Ehe ist kein Wellness-Tempel. Die Ehrlichkeit gebietet aufzuzeigen, was die Krankheiten unserer Zeit sind. Wir brauchen zur Bekämpfung dieser Krankheiten Gesetze, ganz klar. Das hat uns erneut die Finanzkrise gezeigt. Aber Gesetze reichen nicht. Wenn die Gesetze nicht von innerer Haltung getragen werden, von Selbstachtung und Anstand, dann haben die Gesetze keine Geltung und wir keine Zukunft. ■
Dr. Notker Wolf OSB wurde 1940 in Grönenbach im Unterallgäu geboren, studierte Philosophie und mehrere andere Fächer, promovierte zum Dr. phil. und wurde 1977 Erzabt von St. Ottilien. 2000 wurde er zum neunten Abtprimas und obersten der Repräsentanten der Benediktiner gewählt. Er führt damit den ältesten Orden der Welt mit 7.500 Mönchen und 17.100 Nonnen.
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Reuschel & Co. Marktkommentar
Gemischte Gefühle bewegen die Märkte zum Jahresende Nachdem die Kurse auf den internationalen Kapitalmärkten in den letzten Monaten in beeindruckende Höhen gestiegen waren, gerieten sie im Oktober zeitweise ins Schlingern. Allerdings konnten diese Verluste im November wieder annähernd aufgeholt werden. Ein klassisches Bild: Korrektur und Gegenbewegung – die Volatilität (und Nervosität) hat wieder deutlich zugenommen. Wir gehen davon aus, dass die Aktienmärkte vom derzeitigen Niveau bis zum Ende des Jahres noch über ein verhaltenes Aufwärtspotenzial verfügen. In der Berichtssaison des dritten Quartals überwogen die positiven Überraschungen und führten damit vereinzelt sogar dazu, dass Gewinnerwartungen nach oben angepasst wurden. Anziehende Ergebnisprognosen sind der ideale Nährboden für steigende Kurse und sinkende Risikoaufschläge. Auch gute Nachrichten an der Konjunkturfront würden zu weiteren Impulsen führen. Es ist zu erwarten, dass die massiven geld- und fiskalpolitischen Unterstützungsprogramme
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dazu beitragen, dass das Wirtschaftswachstum im vierten Quartal besser ausfällt, als von den meisten Experten erwartet. Kurzfristig bleiben wir für die Kapitalmärkte noch positiv gestimmt: Die weltweite konjunkturelle Erholung und die gleichzeitig noch günstigen Inflationsperspektiven stellen grundsätzlich ein kapitalmarktfreundliches Umfeld dar.
Reuschel & Co. Privatbankiers ist eine der führenden Privatbanken Deutschlands. Sie verbindet die persönliche Atmosphäre und das individualisierte Leistungsangebot eines renommierten Bankhauses mit der Expertise eines internationalen Netzwerks.
Gold glänzt wie noch nie Am 16.11.2009 erreichte der Goldpreis mit ca. 1.143 US-Dollar ein neues vorläufiges Allzeithoch. Woher kommt dieser Glanz? Noch vor einigen Monaten war die häufigste Erklärung, dass die Anleger in das Krisenmetall flüchten. Doch an den Kapitalmärkten ist derzeit von Krise nichts zu spüren. Das allein kann also nicht der Grund sein. Die Angebotsseite rückt in den Vordergrund. Schätzungen gehen für dieses Jahr von einer Produktionsausweitung auf ungefähr 4.000 Tonnen aus. Allerdings wird allgemein bezweifelt, dass die Goldproduktion sich in den
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FINANZEN kommenden Jahren weiter steigern lässt. Begründet wird dies mit den teils veralteten Minenanlagen. So finden sich vor allem in Südafrika Bergbauanlagen, die über 100 Jahre alt sind. „Es kostet mehr, das Erz nach oben zu bekommen, und die Arbeiter brauchen länger, um zu den Vorkommen zu kommen“ berichtete vor kurzem Mark Cutifani, Vorstandschef von Anglogold Ashanti. Auch muss immer mehr Erz gefördert werden, um die gleiche Goldmenge zu schöpfen, da der Goldgehalt des Erzes immer weiter sinkt. Zudem wird es schwieriger, neue Vorkommen zu entdecken bzw. zu erschließen. Somit hinkt die Produktion der Nachfrage deutlich hinterher. Der rasante Kursanstieg der letzten Wochen macht auch uns etwas „Angst“. Zwar hat sich der Goldpreis auch gegenüber anderen Währungen deutlich verteuert, aber Euro-Anleger müssen noch warten, um ein neues Hoch zu sehen. Alles in allem gehen wir nach dem Erreichen unseres Kursziels vorerst von einer Konsolidierung aus. Langfristig ist jedoch der Trend intakt. Der Preis sollte aber nicht mehr unter 1.000 US-Dollar fallen.
Er wartungen geringer geworden und die Dynamik hat nachgelassen. Derzeit sehen wir hier noch keinen echten Belastungsfaktor. Fallen die Konjunkturdaten nicht ganz so gut aus wie erwartet, wird schnell eine Diskussion über eine erneute Abschwächung der wirtschaftlichen Entwicklung in 2010 aufkommen und für Volatilität an den Märkten sorgen. Dies schafft mit Blick auf das Jahr 2010 Enttäuschungspotenzial. Vor diesem Hintergrund bleibt eine disziplinierte Anlagepolitik das Maß aller Dinge. In Folge der kräftigen Markterholung seit März raten wir Anlegern weiterhin zu einer konservativen Ausrichtung in der Assetklasse Aktien. Als Instrumente kommen zum Beispiel Aktienanleihen oder Discountzertifikate in Frage. ■
Ihre Ansprechpartner: André Will-Laudien (Investment Center) +49 (0)89 2395-1649 Stefan Blaukat (Pressesprecher) +49 (0)89 2395-1296
Ausblick Der Wirtschaftsaufschwung wird im kommenden Jahr weniger dynamisch ausfallen als in früheren Konjunkturzyklen. Von der gesamtwirtschaftlichen Seite hat der Rückenwind etwas nachgelassen, das Überraschungspotenzial ist angesichts der gestiegenen
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Interview mit Manfred Weber
Aus der Krise lernen Kommen wir mit einem blauen Auge aus der Kreise? Hat sich die Bundeskanzlerin als Krisenmanagerin bewährt? Muss Wirtschaft ein Schulfach werden? Peter Schmalz sprach darüber in Berlin mit Professor Dr. Manfred Weber, dem Geschäftsführenden Vorstand des Bankenverbandes deutscher Banken.
Professor Dr. Manfred Weber ist geschäftsführender Vorstand des Bundesverbandes deutscher Banken mit Sitz in Berlin. 1950 in Altenkofen bei Landshut geboren, studierte er Volkswirtschaftslehre in Frankfurt und promovierte mit einer Arbeit über Schlüsselzuweisungen. Nach Tätigkeiten bei der Bundesbank und in der Schweiz wurde Dr. Weber 1992 Hauptgeschäftsführer des Bankenverbands, seit 1997 ist er Vorstandsmitglied. Er hat eine Honorarprofessur an Universität Potsdam.
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Bayerischer Monatsspiegel: Die Aktienkurse steigen, Banken schreiben wieder Gewinne und die Kurzarbeit hält die Zahl der Arbeitslosen in Grenzen. Kommen wir mit einem blauen Auge aus der Krise? Manfred Weber: Von einem blauen Auge zu sprechen wäre doch sehr untertrieben. Wir haben es mit einer tiefgreifenden Krise zu tun. Fünf Prozent minus beim Wirtschaftswachstum spricht für sich. Dennoch: Die akute Krise scheint überstanden. Um es mit einem Bild zu sagen: Der Patient ist von der Intensivstation auf die normale Station verlegt worden. Gesund ist er deshalb aber immer noch nicht. Es bleibt noch viel zu tun. Denn wir haben noch keinen selbst treibenden Wirtschaftsaufschwung. Auch bei der Zahl der Arbeitslosen muss man mit Sorge auf das nächste Jahr schauen. Eine wichtige Aufgabe ist es deshalb, das leichte Wachstum dieses Quartals zumindest zu stabilisieren. Außerdem muss die Kapitalausstattung der Unternehmen verbessert werden. Und es gilt, die Banken in die Lage zu versetzen, dass sie den Aufschwung finanzieren können. BMS: Immerhin sieht man beim Export Licht am Horizont. Weber: Sie haben Recht. Wir sind ein sehr stark exportorientiertes Land, auch wenn uns China in diesem Jahr den Rang als Exportweltmeister ablaufen wird. Wir würden einen gravierenden Fehler machen, wenn wir nicht weiter auf Export setzen würden. Denn der ist unsere Stärke. Trotzdem müssen wir uns zusätzlich im Inland ein zweites Standbein schaffen. Mehr
FINANZEN Ausgewogenheit zwischen Export und Binnennachfrage würde uns gesamtwirtschaftlich gut tun.
BMS: Also mehr Privatkonsum, obwohl doch Sparen als deutsche Tugend gilt? Weber: Ja. Ich kann aber auch verstehen, dass die Menschen derzeit sparen, weil die Folgewirkungen der Krise noch nicht klar zu erkennen sind und die Bürger noch Risiken befürchten. Zudem ist Sparen grundsätzlich etwas Gutes. Denken Sie nur an die öffentlichen Haushalte. Diese waren ja schon vor der Finanzmarktkrise nicht nachhaltig konsolidiert und wurden nun zusätzlich belastet. Hier steht die neue Regierung vor einer ganz großen und wichtigen Aufgabe, die in der Koalitionsvereinbarung allenfalls angerissen worden ist. BMS: Hat sich die Bundeskanzlerin als Krisenmanagerin bewährt? Weber: Absolut. Das gilt nicht nur für die Bundeskanzlerin, sondern auch für den ehemaligen Bundesfinanzminister Peer Steinbrück. Wir haben nicht die Fehler der Weltwirtschaftskrise vor 80 Jahren wiederholt. Damals hatte die Politik den Geldhahn zugedreht und die Staatsausgaben drastisch zurückgeführt. Wir haben das Gegenteil getan. Die Europäische Zentralbank und die Bundesbank haben die Märkte mit Liquidität geflutet, um Schlimmeres zu verhindern. Und wir haben ein Konjunkturprogramm in einer Größenordnung aufgelegt, wie es dies noch nie gegeben hat. Über Einzelheiten mag man dabei streiten, aber im Grundsatz war es absolut richtig und notwendig. Vor dem Krisenmanagement der alten Bundesregierung kann man nur den Hut ziehen. BMS: Und mit der neuen bürgerlichen Koalition steht der Aufschwung vor der Tür? Weber: Das kann eine Regierung allein nicht gewährleisten, aber sie kann die richtigen Rahmenbedingungen setzen. Im Augenblick muss alles getan werden, damit die Wirtschaft wächst und mehr Menschen in Lohn und Brot gebracht werden. Gleichzeitig muss die Regierung die Haushalte konsolidieren. Um diese Aufgabe ist niemand zu beneiden, aber sie ist unerlässlich und darf auch nicht auf die lange Bank geschoben werden. Dazu gehört auch, dass die außerordentlichen Maßnahmen, die in der Krise richtig und nötig waren, so bald wie möglich ihr Ende finden. So ist der Staat in dieser Zeit bei einigen Banken der bessere Eigentümer. Aber wir wissen alle, dass er nicht der bessere Unternehmer ist. Deshalb sollten wir uns auf unser bewährtes Wirtschaftsmodell zurückbesinnen. Bei diesem hat der Staat eine wichtige Aufgabe. Diese lautet nicht, in die Wirtschaft hineinzuintervenieren, sondern den Rahmen zu setzen, die Regeln vorzugeben und deren Einhaltung zu gewährleisten. BMS: Ist der Staat als Unternehmer für die privaten Banken nicht ein Schreckgespenst? Weber: In normalen Zeiten schon. Aber was wir durchlebt haben, waren keine normalen Zeiten. Wir hatten es mit einer schweren systemischen Krise zu tun. In einer solchen Situation gibt es keinen anderen Akteur, der in der Lage wäre, der Krise Herr zu werden. Ich verstehe aber natürlich auch die Menschen, die sich angesichts der weltweit angehäuften Risiken wundern, in welchem Umfang öffentliche Mittel mobilisiert werden mussten. Die Schlussabrechnung steht noch aus, diese Bilanz
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werden wir nach der Krise aufstellen. Aber ein Gutteil dessen, was aufgewendet werden musste, ist ja nicht verzehrt, sondern wurde als Garantie gegeben, die entsprechend verzinst wird.
BMS: Aber erschrecken Sie nicht, wenn Sie von Plänen hören, große Banken zu zerschlagen? Weber: Diese Diskussion wird zu einfach geführt. Richtig ist, dass wir eine solche Krise nicht wieder erleben wollen. Auch im Interesse der Banken nicht. Gemeinhin wird das Problem ja als „too big to fail“ umschrieben. Das bedeutet: Ein Marktteilnehmer ist so groß, dass er im Falle des Scheiterns in einer Notoperation über das Wochenende mit staatlichen Mitteln gerettet werden muss, um größeren Schaden zu vermeiden. Diese Situation ist auf Dauer nicht hinnehmbar. Nur bedeutet große Bank nicht automatisch großes Risiko. Lehman ist in Amerika das herausragende Beispiel, aber wir haben es auch in Deutschland erlebt mit der IKB oder der einen oder anderen Landesbank. Das waren sicher nicht große Banken, aber sie waren auf das Engste mit anderen Instituten vernetzt. Wichtig sind deshalb Regeln, wie eine Bank bei einer Schieflage in einem geordneten Verfahren aufgefangen, restrukturiert oder gegebenenfalls auch abgewickelt werden kann. Das aber ist eine Aufgabe, die europäisch, oder noch besser international gelöst werden muss. BMS: Ausgerechnet die staatlichen Landesbanken sind die großen Verlierer der Krise. Kommen aber nicht auch die Privatbanken im Vergleich zu Genossenschaftsbanken und Sparkassen geschwächt aus der Krise? Weber: Die Krise hat das Bankensystem insgesamt geschwächt. Allerdings gibt es einen großen Unterschied zwischen Privatbanken und Landesbanken. Dieser liegt darin, dass Landesbanken oft kein Geschäftsmodell haben. Deshalb kann ich mir nicht vorstellen, dass Landesbanken, wenn sie fusionieren, besser funktionieren werden. Dann haben wir zwar eine größere Landesbank. Aber die Frage nach ihrem Geschäftsmodell bleibt. BMS: Die Krise hat tiefe emotionale Spuren hinterlassen. Banker wurde zum Schimpfwort, das Ansehen der Sozialen Marktwirtschaft leidet. Ein Grund zu Sorge? Weber: Sicher. Die Banken haben Fehler gemacht. Aber sie ziehen daraus auch Lehren. Wir halten heute mehr Eigenkapital vor und größere Liquiditätsreserven. Und wir richten die Vergütungssysteme mehr am nachhaltigen Erfolg für das Unternehmen aus. Auch damit wollen wir verlorengegangenes Vertrauen wieder zurück gewinnen. Richtig ist auch, dass das Ansehen der Sozialen Marktwirtschaft gelitten hat. Dies stellen wir freilich seit Jahren fest, was mir große Sorge bereitet. Denn die Soziale Marktwirtschaft ist das beste Modell, das wir uns vorstellen können. Es war in der Nachkriegszeit erfolgreich, und wir sollten uns dringend wieder darauf zurück besinnen. BMS: Immerhin sind bei der Bevölkerung die Erfolge in der Vergangenheit unbestritten. Weber: Aber die aktuelle Zustimmung ist bedenklich niedrig. Der Bankenverband lässt das Vertrauen in unsere Wirtschaftsordnung seit Jahren erforschen. Stimmten 1994 noch 73 Prozent der Befragten dem Satz zu, die Soziale Marktwirtschaft habe sich bewährt, sind es in unserer aktuellen Umfrage nur noch 52 Prozent. Dass dies zwei Prozent mehr sind als im vergangenen Jahr, ist nur ein kleiner Trost. Wenn eine Mehrheit der
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FINANZEN Bevölkerung die Bedeutung von Unternehmensgewinnen für Wachstum und Arbeitsplätze nicht mehr erkennt und wenn eine deutliche Mehrheit hohe Gewinne für unmoralisch hält, dann haben Politik und Wirtschaft eine große gemeinsame Aufgabe vor sich. Der gute alte Grundsatz „so viel Staat wie nötig, so viel Markt wie möglich“ galt vor der Krise und sollte auch weiterhin
den Zusammenhängen der Wirtschaft vertraut machen. Denn auch da gilt: „Was Hänschen nicht lernt, das lernt Hans nimmer mehr.“ Letztlich bleibt meine Forderung, Wirtschaftswissen systematisch in einem eigenständigen Schulfach zu vermitteln. Gute Grundkenntnisse über ökonomische Zusammenhänge müssen künftig zum Allgemeinwissen gehören. Einige Länder wie auch Bayern sind hier schon ein Stück vorangegangen. Man kann dieses Wissen nicht nebenbei in anderen Fächern mit vermitteln, indem man zum Beispiel den mathematischen Dreisatz mit einem wirtschaftlichen Sachverhalt unterlegt.
BMS: Interessieren sich die jungen Menschen überhaupt dafür? Weber: Auch das zeigen unsere Umfragen: Über 80 Prozent der jungen Leute sind an Wirtschaftsthemen interessiert. Wir erleben das auch bei unserem Bankenplanspiel „SCHUL/ BANKER“, zu dem wir Schüler einladen: Da werden Teams gebildet, die über Monate hinweg eine Bank steuern müssen. Die Jugendlichen sind mit großer Begeisterung dabei und lernen viel. Von den 920 Teams, die gerade an den Start gegangen sind, kommen übrigens 134 aus Bayern.
Spielend Wirtschaft lernen: Das Team „FiduciaBank“ vom Geschwister-SchollGymnasium in Berenbostel bei Hannover hat beim Bankenplanspiel den 1. Preis gewonnen.
gelten. Und wir müssen wieder ins öffentliche Bewusstsein bringen, was Wirtschaft tatsächlich heißt: Nämlich Chancen zu nutzen und dafür auch Risiken zu übernehmen, aber nur in dem Maße, wie ich sie unternehmerisch auch beherrschen kann.
BMS: Sie beklagen allgemeine Unkenntnis über die oft komplizierten Zusammenhänge der Wirtschaft. Sind wir ein Volk von ökonomischen Dilettanten? Weber: Das wäre nicht meine Formulierung, aber sicher verfügt die Bevölkerung generell über zu wenig Wissen über wirtschaftliche Zusammenhänge. Wir untersuchen auch dies seit Jahren und stellen fest, dass nur wenige der Jugendlichen so grundlegende Prinzipien unserer Wirtschaftsordnung wie „Angebot und Nachfrage“ erklären können. Dem versuchen wir seit vielen Jahren entgegen zu wirken, indem wir auf die Schüler zugehen und sie beispielsweise in Wettbewerben spielerisch mit
BMS: Liegt das auch daran, dass die 68-er Generation in Rente geht und eine optimistischere und auch an Wirtschaft interessierte Generation nachwächst? Weber: Das kann ich nicht ausschließen. Ich freue mich jedenfalls darüber, dass wir schon heute unter den Lehrern sehr viel Zustimmung finden. Es wird zunehmend erkannt, dass Wirtschaft wichtig ist. Um dies zu fördern, haben wir im vergangenen Jahr für alle Jahrgangsstufen ein Curriculum für das Fach Wirtschaft vorgelegt und dies ergänzt durch einen Ausbildungsplan für angehende Lehrer in diesem Fach. Die zuständigen Stellen müssen nur zugreifen. BMS: Wachsendes Interesse an Wirtschaftsthemen bei Schülern wie bei Lehrern – eigentlich kein schlechter Ausblick für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Weber: Zumindest eine gute Voraussetzung, wenngleich wir noch längst nicht zufrieden sein dürfen. Aber ich stimme Ihnen zu: Wir können optimistisch in die Zukunft blicken. Die Erwartungen werden sich nur dann erfüllen, wenn es uns gemeinsam gelingt, die Wirtschaft als das darzustellen, was sie wirklich ist: Der Motor, der für Arbeitsplätze und für Wohlstand sorgt. ■
Der Bankenverband Der Bundesverband deutscher Banken, kurz Bankenverband wurde 1951 in Köln gegründet und vertritt die Interessen der privaten Banken. Er repräsentiert über 220 Banken und elf Mitgliedsverbände. 1999 hat er seinen Sitz nach Berlin verlegt. Der elfköpfige Vorstand wählt aus seiner Mitte für drei Jahre einen Präsidenten. Zur Zeit ist es Andreas Schmitz von der HSBC Trinkaus&Burkhardt AG, Düsseldorf. Jährlich im Herbst lädt der Verband zu den Schönhauser Gesprächen nach Berlin ein, um mit hochrangigen Referenten aktuelle Themen zu diskutieren. Unser Bild zeigt von dem, diesjährigen Gespräch unter dem Titel „Deutschland im Wahl- und Krisenjahr“ (v.li.) Bankenverbandspräsident Andreas Schmitz, EUKommissar Günter Verheugen, Bundesbankpräsident Axel Weber und Verbands-Vorstand Manfred Weber.
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DJE Fonds Leistungsstark, klare Strategie und langjährige Erfahrung
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Dr. Jens Ehrhardt Gruppe | München | Frankfurt | Köln | Luxemburg | Zürich
FINANZEN Albrecht Fürst zu Castell-Castell
Krisen gehören zum Leben
Was ist eigentlich eine Krise? Ich denke, wir alle haben schon einmal Krisen in unserem Leben erlebt. Vielleicht haben wir bestimmte Situationen so bezeichnet. Wer kennt sie nicht: Entwicklungen, Ereignisse und Erlebnisse, die wir nicht erwartet haben, Tiefpunkte, Enttäuschungen, Situationen, wo wir nicht „ein und aus“ wussten. Solche Situationen fordern ein tieferes und stärkeres Nachdenken und Reagieren auf das, was sie ausgelöst hat. Manchmal habe ich mir eine Krise selber eingebrockt. Oft aber waren es Ereignisse, die auf mich zugekommen sind, in denen ich plötzlich stand, ohne es zu wollen. Was macht man da?
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Wenn die Krise einen Wendepunkt, einen Tiefpunkt, eine Zuspitzung bedeutet, dann fordert das von mir eine Kraftanstrengung. Ich möchte nicht in der Krise stecken bleiben, ich möchte herauskommen und sie hinter mir lassen. Ich möchte sie durchstehen, um wieder krisenfrei zu leben. Nun erleben wir eine weltweite Finanzkrise. Die meisten von uns wurden davon überrascht. Ich hatte mir zwar schon seit mehreren Jahren klargemacht, dass Wachstum nicht unendlich und uneingeschränkt weitergehen wird, konnte mir aber auch nicht vorstellen, wie das gehen soll. Dann kam die Krise plötzlich auch in unser Land. Unsere Wirtschaft ist davon betroffen und damit viele Menschen, deren Arbeitsplatz nicht mehr sicher ist und die sich deshalb um ihre Existenz sorgen müssen. Andere, die unmittelbar und persönlich noch nicht die Auswirkung der Krise spüren, nehmen wahr, was um sie herum geschieht, was sie lesen und hören.
FINANZEN Als ich zum ersten Mal hörte, dass man den Werteverlust in den USA mit einer dreistelligen Milliardensumme beziffern kann, bin ich erschrocken. Wenn es auch üblich geworden ist, in Milliarden zu disponieren, zu planen und Entwicklungen zu beschreiben, so ist es nicht einfach, sich solche Zahlen vorzustellen. Wo ist dafür ein Vergleich im eigenen Umfeld und Leben? Mein Erschrecken war mein Anstoß, mich intensiv mit dem Thema Wirtschafts- und Finanzkrise zu beschäftigen, die kein amerikanisches Problem geblieben, sondern in allen Wirtschaftsnationen der Welt unvorstellbare vermeintliche Werte wertlos gemacht hat. Das ist ein radikaler Vorgang, den wir in Deutschland in dieser Größenordnung und Auswirkung nicht kannten. Was sagt uns das? Mich beschäftigt, eine realistische Definition für das zu finden, was wir „Werte“ nennen. Was ist ein Wert? Was ist wertbeständig? Was ist dauerhaft wertvoll? Meine Fragen zielen auf die Grundwerte des Lebens. Was macht mein Leben wertvoll? Ist es mein Vermögen, mein Ansehen, meine Leistung, meine Arbeit, mein Erfolg? All das will ich nicht abwerten, aber ich möchte nicht allein darauf bauen. Durch den Schöpfungsakt Gottes ist uns eine wertbeständige Würde zugeordnet, die uns von allen Lebewesen unterscheidet. Wir tragen Verantwortung, weil wir einen freien Willen haben, weil wir uns entscheiden können. Wir haben deshalb die Wahl, aus der Vielfalt der heute angebotenen Wertvorstellungen das Richtige auszuwählen. Ich denke, dass Krisenzeiten uns dazu in besonderer Weise auffordern, ja geradezu drängen, Wertvorstellungen als Richtpunkt und Maßstab für das eigene Verhalten und als Ziel unse-
„Unsere innere Stärke macht uns nicht übermütig, aber zuversichtlich.“ res Lebens zu finden. Diese Überlegungen halte ich für dringend notwendig, weil es hier um das Fundament unseres Lebens und die Ausrichtung unseres Denkens und Handelns geht. Welche Wertvorstellungen bestimmen mein Tun? Welche Autorität erkenne ich an? An welchen Leitlinien kann ich mein Denken und Handeln prüfen? Wo finde ich Bestätigung, aber auch Korrektur? Es ist wichtig, dass wir uns diesen Fragen stellen. Dabei ist es hilfreich, auch mit vertrauten Menschen darüber zu sprechen. Ich habe es getan und etwas sehr Schönes dabei erlebt: Ich bin nicht allein! Wenn ich mich anderen anvertraue, spüre ich die Kraft, die aus Beziehungen kommt. Da ist es ein besonderes Geschenk, sich gemeinsam der Allmacht und Liebe Gottes anzuvertrauen und aus dem Glauben an Jesus Christus Geborgenheit und Frieden zu erleben. Damit hören die Sorgen aber nicht auf. Damit werden auch nicht alle unangenehmen und angstmachenden Ereignisse hinfällig. Die Krise kam über uns wie ein Orkan oder ein Erdbeben, gegen das wir uns nicht schützen können. Ich habe damals viel für unsere Kunden und unsere Mitarbeiter gebetet und will damit auch jetzt nicht aufhören, denn das Gebet hat mir selber sehr geholfen, aus meiner Hilflosigkeit herauszufinden. Meine innere Haltung verwandelt sich in Gelassenheit. Das erlaubt mir, getrost und zuversichtlich nach vorne zu schauen und mit Hoffnung den Weg aus der Krise zu gehen. So bin ich dankbar
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für die Erfahrungen der vergangenen Monate, in denen ich zwar oft Angst hatte, weil die Welle der schlechten Nachrichten aus dem Finanzgeschehen für mich unheimlich war. Aber ich habe auch erlebt, dass es auch in sorgenvollen Zeiten Hoffnung und Zuversicht gibt. Für die Castell-Unternehmen hat sich in allen Wirtschaftsbereichen gezeigt, dass kurzfristig geplante Maßnahmen nicht unseren Wertvorstellungen entsprechen. So habe ich auch Bestätigung erlebt für die Grundsätze unserer Unternehmensführung. Unser Wald ist durch nachhaltiges Wirtschaften ein stabiler Teil unseres Familienvermögens, das soll auch so bleiben. Im Weinbau ist es in den letzten Jahren gelungen, dem Markt eine sehr hohe Qualität anzubieten. Die Klimaerwärmung hat uns vor früher häufigen Frostschäden bewahrt. Umsicht, Sorgfalt und Feingefühl bei der Pflege des Bodens, der Rebstöcke und des Weins sind in der Zusammenarbeit unserer Mitarbeiter das Fundament der besonderen Casteller Spezialität und Qualität. In der Bank haben wir die innerbetriebliche Organisation und unsere Leistungsfähigkeit auch mit neuen Mitarbeitern wesentlich verbessert. Die Selbstbeschränkung auf durchschaubare Anlagen, persönliche Beratungsgespräche und für unsere Kunden nachprüfbare Konditionen werden die wichtige Sparte der Vermögensanlage zum soliden und stabilen Teil unserer Bank wachsen lassen. Holz, Wein und Bankdienstleistung basieren auf dem Vertrauen, das unsere Mitarbeiter und unsere Familie durch Generationen gepflegt und aufgebaut haben. Die innere Stärke unseres familiengeprägten und geführten Unternehmens macht uns nicht übermütig, aber zuversichtlich. Nun lesen wir wieder hoffnungsvolle und zum Besseren klingende Berichte. Dabei stelle ich mir die Frage, ob wir jetzt einfach so weitermachen wie bisher, mit dem Kommentar „es ist noch mal gutgegangen“, oder ob wir uns fragen, was muss ich auch an meinem Handeln verändern, damit die Krise, die wir erlebt haben, sich nicht wiederholt? Es ist mein großer Wunsch, dass wir uns gegenseitig helfen, um zu einer Neuorientierung finden zu können. Unsere innere Haltung muss sich umsetzen in unser persönliches und berufliches Tun. Deshalb werde ich nicht aufhören, unsere Mitarbeiter daran zu erinnern, dass die Grundwerte des Lebens „Treue und Wahrhaftigkeit“ bei uns gültige Leitlinien sind. Sich daran zu orientieren und zu prüfen, ist ein Auftrag, der nie aufhört. Dieser Auftrag ist keine Pflicht und auch keine Last, sondern eine Hilfe, eine Verheißung, eine Zusage Gottes für ein gelingendes Leben. Und so spüre ich, dass die bewältigte – durchgestandene Krise meine Kraft für zukünftige Aufgaben stärkt. ■
Albrecht Fürst zu Castell-Castell wurde 1925 auf dem elterlichen Schloss im unterfränkischen Castell geboren. Nach dem Tod des Vaters und des älteren Bruders im Krieg musste als Zwanzigjähriger die Leitung der Casteller Familienbetriebe übernehmen. Dazu zählen neben der Fürstlich Castell‘sche Bank ein traditionsreiches Weingut und die familieneigenen Betriebe der Land- und Forstwirtschaft. Als gläubiger Christ war der Fürst lange Jahre Mitglied der evangelischen Landessynode.
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FINANZEN Markus Hetzer
Vorsorge mit mehr Rendite Lebensversicherungen werden nicht aktiv als Baustein einer individuellen Finanzplanung angeboten. Diese Erfahrung machen viele vermögende Kunden. Die Ursache: Berührungsängste der Berater mit biometrischen Risiken wie Todesfall oder Langlebigkeit sowie Vorurteile gegenüber Versicherungsverträgen. Außerdem liegt die Vermögensverwaltung bei Versicherungen und nicht bei der Privatbank. Diese Verlagerung der Anlagen weg von der vertrauten Depotbank oder vom Vermögensverwalter hin zum Versicherer widerspricht dem Interesse des Beraters und dem Transparenzbedürfnis des Kunden. Weiterhin fehlt es vielfach an dem im Private Banking und der Vermögensverwaltung üblichen umfassenden professionellen Reporting über die gewählten Anlagen und die entsprechende Performance. Hinzu kommt: Auswahl und Gestaltung der Kapitalanlage bei herkömmlichen Versicherungen sind oft eingeschränkt oder per se ausgeschlossen. Für die kollektiv verwalteten Kapitalanlagen der Versicherungskunden gelten in Deutschland strenge Vorgaben des Regulators. Die Anlagen sind in aller Regel sehr konservativ strukturiert. Lebensversicherer im europäischen Ausland bieten hier vielfach größere Freiheitsgrade bei der Kapitalanlage, Risikoübernahme durch den Versicherungsnehmer und der Stellung von Garantien. In der betrieblichen Altersvorsorge (bAV) und den in Deutschland bekannten fünf Durchführungswegen bieten ausländische Pensionsfonds insbesondere deutschen Unternehmern größere Flexibilität. Ausländische Pensionsfonds haben hier mehr Freiheit bei der Produktgestaltung und können daher besser auf die Bedürfnisse der Unternehmen eingehen. So sind deutsche Pensionsfonds an einen fest vorgeschriebenen Höchstzins gebunden; ausländische Pensionsfonds dagegen dürfen einen höheren Zins garantieren.
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FINANZEN Oft Ăźbersehen: Lebens- und Rentenversicherungen sind in vielen Ländern Europas, so auch besonders in Deutschland, aufgrund ihres Vorsorgecharakters gegenĂźber sonstigen Anlageformen steuerlich privilegiert. Die hälftige Steuerfreiheit der Versicherungsleistung bei altersnaher Auszahlung ist ein Aspekt. Das Alleinstellungsmerkmal der Lebensversicherung: die bevorzugte Besteuerung von Rentenleistungen nach dem Ertragsanteil und die vollständige Einkommensteuerfreiheit der Versicherung im Leistungsfall. Das Anfang Oktober 2009 verĂśffentlichte Schreiben des BundesďŹ nanzministeriums zur Besteuerung von Lebensversicherungen schafft zusätzlich die notwendige Rechtssicherheit und Klarheit bei Beratung, Gestaltung und Verwendung von VersicherungslĂśsungen im Privatbereich. Zu den sehr attraktiven Einkommensteuer-Regelungen kommen die Vorteile im Schenkungs- oder Erbschaftsfall. So genieĂ&#x;en Lebensversicherungen im Erb- und im Insolvenzrecht entscheidende Vorteile, die in keiner Nachlass- bzw. Vorsorgeplanung unberĂźcksichtigt bleiben dĂźrfen. So fällt beispielsweise im Leistungsfall die Versicherung nicht in den Nachlass des Erblassers, sofern BegĂźnstigte in den Vertrag eingesetzt wurden. Erben kĂśnnen einen Ăźberschuldeten Nachlass des Erblassers ausschlagen und gleichzeitig eine Versicherungsleistung aus einem durch den Erblasser abgeschlossenen Vertrag beziehen. Vorbehaltlich der Wirksamkeit einer Gläubigereinrede fallen Versicherungsverträge mit einer unwiderruich BegĂźnstigung im Krisenfall nicht in die Insolvenzmasse eines Versicherungsnehmers. Im Unterschied zu den klassischen Lebensversicherungen gibt es bei der portfoliogebundenen Lebensversicherung eine Trennung der Funktionen: Versicherung, Depotbank und VermĂśgensverwaltung. Der Versicherer trägt das Risiko der Langlebigkeit bei der Rentenversicherung, beziehungsweise das Todesfallrisiko bei der Kapitallebensversicherung. Die Depotbank fĂźhrt die Konten des Versicherers. Der VermĂśgensverwalter kĂźmmert sich im Auftrag des Versicherers um die Umsetzung der gewählten Anlagestrategie. Liechtenstein ist seit 1995 Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR). Dies erlaubt dem FĂźrstentum auf Basis des freien Dienstleistungsverkehrs das Angebot von Versicherungsund PensionsfondslĂśsungen in den insgesamt 30 Staaten des EU/ EWR-Raums. Der Lebensversicherungs- und Pensionsfondsstandort Liechtenstein steht damit vollumfänglich auf einem soliden europäischen Fundament. Die liechtensteinischen VorsorgelĂśsungen erfĂźllen die steuerlichen und rechtlichen Voraussetzungen am Wohnsitz des Versicherungsnehmers in vollem Umfang. Gleichzeitig proďŹ tieren Privatkunden und Unternehmen von der grĂśĂ&#x;eren Flexibilität des Aufsichtsrechts in Liechtenstein, insbesondere hinsichtlich Kapitalanlagen und vereinbarte Garantien. Der Standort Liechtenstein erlaubt den ansässigen Versicherern und Pensionsfonds weiterhin durch ein bilaterales Abkommen die einzigartige MĂśglichkeit, in der Schweiz tätig zu werden und dort VorsorgelĂśsungen anzubieten. Somit kĂśnnen portfoliogebundene Lebensversicherungen auch von Banken und VermĂśgensverwaltern in der Schweiz fĂźr ihre deutschen Kunden eingesetzt werden. Weitgehend unbemerkt von den inländischen Medien haben Deutschland und das FĂźrstentum Liechtenstein mit der Unterzeichnung eines Steuerabkommen ihren Steuerstreit am
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2. September 2009 beigelegt. Der Abschluss eines Doppelbesteuerungsabkommens (DBA) zwischen beiden Ländern ist geplant. Damit stehen die schon seit vielen Jahren von Privatbanken und Beratern genutzten innovativen, steuerlich und rechtlich anerkannten Lebensversicherungs- und PensionsfondslĂśsungen wieder fest im Blickpunkt jeder professionellen VermĂśgensplanung oder betrieblichen Beratung. Dazu ein Beispiel: Werner MĂźller, 55, aus Berlin unterhält seit einigen Jahren bei seiner Privatbank ein Wertpapierdepot ausschlieĂ&#x;lich mit Bundesanleihen und bezieht aus diesem Depot mit einem Nominalwert von 100.000 Euro (Kurswert: 110.000 Euro) jährlich steuerpichtige Erträge in HĂśhe von 6 Prozent, d.h. also 6.000 Euro. Hiervon ieĂ&#x;en dem Anleger nach Abgeltungssteuer rund 4.500 Euro zu. Nun aber bietet die Privatbank Werner MĂźller in Zusammenarbeit mit einem ausländischen Versicherer eine standardisierte Anlagestrategie: Sie basiert zum Beispiel auf Bundesanleihen
"VT[BIMVOH OBDI "C[VH EFS "CHFMUVOHTTUFVFS &VSP
4UBOEBSE
4UFVFSPQUJNJFSU
Steuersparende Anlagemodelle bringen hÜhere Erträge.
"CHFMUVOHTTUFVFS "VT[BIMVOH
und sieht eine jährliche AusschĂźttung von ebenfalls 6.000 Euro vor. Die Anlagestrategie wird als Teil einer VersicherungslĂśsung gefĂźhrt und erfĂźllt alle gesetzlichen und steuerlichen Vorgaben in Deutschland. GemäĂ&#x; einer bestehenden Regelung des BundesďŹ nanzministeriums werden auf Teilauszahlungen aus einem Versicherungsvertrag fĂźr Besteuerungszwecke die auf diese Zahlungen entfallenden Versicherungsbeiträge abgezogen. Das Ergebnis: ein beachtlicher Steuerstundungseffekt, der die Kosten der VersicherungslĂśsung grundsätzlich Ăźberkompensiert. So wird im ersten Jahr der Teilauszahlung von angenommenen 6.000 Euro ein steuerfreier Beitrag in HĂśhe von 5.660 Euro zum Abzug gebracht. Damit sind nur 340 Euro der Abgeltungsteuer zu unterwerfen. Damit ieĂ&#x;en Herrn MĂźller statt 4.500 nunmehr gerundet 5.915 Euro netto zu. Ein Unterschied, der ein gutes Argument ist. â– Markus Hetzer ist Vorsitzender der Geschäftsleitung der LV 1871 Private Assurance AG mit Sitz im liechtensteinischen Vaduz. Seine beruichen Schwerpunkte liegen in der Finanz-, Vorsorgeund Nachlassplanung fĂźr internationale Unternehmen und Familien sowie der Entwicklung von SpeziallĂśsungen im Versicherungsbereich.
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FINANZEN Alexander Mettenheimer
Selbstfindung in der Bank Unterstützt durch einen guten Berater, lernen Anleger viel über sich und ihre Bedürfnisse.
„Wahrheit steht am Anfang des Vertrauens“, wusste der dänische Philosoph Søren Kierkegaard – zwei Schlagworte, die derzeit gerne mit Fragezeichen versehen werden. Vor allem, wenn Akteure im Finanzsektor sie gebrauchen. Die Finanzkrise hat nicht wenige Bankkunden verunsichert, manche Institute stehen unter Erklärungszwang und nahezu jede Bank entdeckt den Wert des Vertrauens neu; zumindest in der Kommunikation mit Kunden und Anlegern. Was aber ist Wahrheit?
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Viele ökonomische Wahrheiten werden inzwischen relativiert oder neu bewertet; manche sind wahr geblieben. So besteht die Börse zu einem großen Teil aus Psychologie – sogar zu 90 Prozent, meinte der Börsenguru André Kostolany. Doch die Börse ist kein Leviathan, dem der Anleger hilflos ausgeliefert wäre. Noch immer gilt die Grundwahrheit des magischen Dreiecks aus Rentabilität, Sicherheit und Liquidität: Mehr von dem einen bedeutet immer zugleich auch weniger von dem anderen. Oder verkürzt gesagt: Wer auf hohe Renditen schielt, handelt
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FINANZEN sich auch ein entsprechendes Risiko ein. Diese Wahrheit wird auch weiter gültig bleiben. Wer aber die gegenwärtig Unzufriedenheit vieler Anleger mit Bank und Beratung auf den „Eigensinn“ von Kunden schiebt, hat weit gefehlt! In der Praxis wird häufig der Beratungsbedarf von Anlegern nicht erkannt oder schlicht übergangen. Eine Analyse von Merck Finck & Co, Privatbankiers förderte das Ausmaß der Fehleinschätzungen in der Branche zutage: Nahezu 100 Prozent der Private-Banking-Kunden, wie die Privatbankiers sie betreuen, bezeichnen sich selbst als konservative Anleger. Hier ließe sich eine Aktienquote von maximal 30 Prozent vermuten. Doch die meisten Kunden, die von anderen Instituten zu uns wechselten, waren zum überragenden Teil übergewichtet in Aktien oder risikoreichen Anlageklassen investiert; mehr als jeder zweite war übergewichtet in Unternehmensbeteiligungen oder Immobilieninvestitionen. Dies lässt jedoch nicht etwa auf fehlenden ökonomischen Sachverstand schließen, sondern offenbart Defizite in der Beratung: Immerhin sind oder waren 80 Prozent der Kunden von Merck Finck & Co Unternehmer. Im persönlichen Gespräch offenbart sich, dass sich viele Bankkunden schlecht oder einfach nicht beraten fühlen. Die persönliche Risikoneigung des Kunden hat bei Beratern, bei denen der Vertrieb von Produkten des eigenen Instituts im Vordergrund steht, oft keine Auswirkung auf deren Empfehlungen. Häufig richtet sich eine angestrebte Optimierung des Portfolios nur an einem Faktor aus. Dies wurde im vergangenen Jahr deutlich: Vor dem Hintergrund der Abgeltungsteuer
Halsstarrige „Berater“ treffen auf unentschlossene Kunden. wurde vielerorts großer Wert darauf gelegt, Anlagen steuerlich zu optimieren, während alle übrigen Kriterien einer sinnvollen Vermögensplanung dabei oft auf der Strecke blieben: Welches Verhältnis besteht etwa zwischen Einnahmen und Ausgaben, welches zwischen einmaligen und laufenden Steuern? Ist die Vermögensnachfolge geklärt, sind Erbschaften zu berücksichtigen? Daneben sollten Spezialthemen und Anlagehorizonte besprochen werden. Auch die familiäre Situation des Anlegers darf in einer ganzheitlichen Beratung, die viele Häuser für sich beanspruchen, keinesfalls fehlen. Wie ist es überhaupt um die Anlegermentalität, also um die Ziele und Wünsche des Kunden bestellt? Die Summe der zu berücksichtigenden Themen kann es daher sinnvoll erscheinen lassen, einen Trend zur steuerlichen Optimierung zu ignorieren – auch wenn die Bank zu diesem Zweck eine sinnvolle und ausgereifte Finanzlösung anbieten könnte – und statt dessen eine Reihe anderer Vorteile zu nutzen. Ein Portfolio sollte stets der jeweiligen Situation und den finanziellen Zielen des Anlegers entsprechen, was erschreckend oft nicht der Fall ist. Anders ausgedrückt: Auch nach der Krise wird es nicht „gute“ und „schlechte“ Finanzprodukte geben, sondern als einzigen Prüfstein die Frage, ob ein Vehikel zu den Anlagezielen des Kunden passt. Das kann eine hoch spekulative Anlage sein, wird es aber meistens nicht. Daher passt zu jedem Kunden eine genau auf seine Verhältnisse und Be-
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dürfnisse abgestimmte Anlagestrategie. Diese zu finden und anzubieten, zeichnet den Berater aus, der mit der Hebammenkunst eines Sokrates ansetzt und dem Kunden zur Selbstfindung verhilft – und eben dies unterscheidet den Berater vom Verkäufer.
Viele Anleger erinnern sich noch an vereinzelte Renditeversprechen im zweistelligen Bereich. Dies aber spielt beim Beratungsalltag in einer Privatbank keine Rolle. Ihrer Klientel ist Vermögenserhalt weitaus wichtiger als Vermögenswachstum. Beide Ziele sind gerechtfertigt, erfordern jedoch immer eine Grundsatzentscheidung des Anlegers: Er muss wählen, wie viel gefühlte Sicherheit ihm auch zu Lasten der Rendite wichtig ist. Durchaus sinnvoll kann es sein, vor einem sich abzeichnenden Aufschwung sein Portfolio gleichsam virtuell zu trennen – etwa in einen kleineren Teil des Vermögens, der eher dynamisch angelegt wird, und in einen Großteil mit langfristiger, vermögenserhaltender Ausrichtung. Wäre es nicht so zynisch gegenüber jenen, die Vermögen verloren haben, könnte man die Finanzkrise als „wunderbaren Neuanfang“ preisen – eine Reihe alter Sichtweisen gegenüber Vermögen und dem Umgang damit haben sich jedenfalls als nicht praxistauglich erwiesen. So etwa die Annahme, Banken könnten nicht „bankrott“ gehen oder einer Krise könne man immer entgehen, wenn nur die Asset Allocation stimmt. Den guten Steuermann erkennt man bekanntlich im Sturm; nun werden Anleger genau hinschauen, wie einzelne Vermögensverwalter nach dem großen „Kahlschlag“ dastehen. Gelernt haben hoffentlich beide Seiten, dass es sich lohnt hinzuhören. Wer nun – mit fachkundiger Hilfe – seine Finanzen grundlegend überprüft, wird vor derartigen Entwicklungen mit großer Wahrscheinlichkeit künftig verschont bleiben. ■
Alexander Mettenheimer ist persönlich haftender Gesellschafter und Sprecher der Geschäftsleitung der Münchner Privatbank Merck Finck & Co. 1952 geboren, studierte er in Frankfurt, Bonn und Modena Jura, wurde Vorstandschef der Citibank Privatkunden AG in Deutschland, arbeitete für die Citibank in Mexiko und Lateinamerika und ist seit 2001 bei Merck Finck & Co.
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FINANZEN Erwin Horak
Nehmt das Glück in die Hand Glück ist die Fähigkeit, mit seinem Handeln glücklich zu werden
Als Präsident der Staatlichen Lotterieverwaltung in Bayern, also von Lotto Bayern, werde ich immer wieder gefragt, was in meinen Augen Glück ist. Ich sage dann meist automatisch, dass es sicher für den Freistaat ein Glück ist, dass er aus Lotto, Toto, GlücksSpirale, ODDSET, den Sofortlotterien und aus den neun bayerischen Spielbanken beispielsweise allein im letzten Jahr über 410 Millionen Euro erzielte. Das sind weit mehr als ein Prozent des Gesamthaushalts. Mit diesen Beträgen kann sehr viel bewegt werden, was angesichts knapper Kassen sonst nicht darstellbar wäre. Und als LottoChef freue ich mich natürlich mit unseren bayerischen Gewinnern. Schließlich wurden allein im Lotteriebereich im letzten Jahr 485 Millionen Euro an Gewinnen ausgeschüttet.
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FINANZEN Aber ist das die richtige Antwort? Schließlich wissen oder erahnen die meisten, dass das subjektive Glücksempfinden nach einem großen Geldgewinn schon nach eineinhalb Jahren wieder abflaut, die Euphorie also verflogen ist. Dabei ist die Frage nach dem Glück sicher nur unwesentlich jünger als die Menschheit überhaupt. Sicher würde der Mensch ohne sein Streben nach Glück nicht als das Wesen existieren können, das er ist. Gefragt ist also wohl nicht nach dem Instantglück, sondern nach dem allumfassenden, dem Lebensglück. Das Wort Glück bedeutet zunächst zweierlei, nämlich ein Ereignis, Glück zu haben, und einen Zustand, glücklich zu sein – die aber bei uns begrifflich nicht unterschieden werden, was in anderen Sprachen anders ist. Luck und happiness, fortuna und beatitudo, oder chance und bonheur sind Beispiele dafür. In der mittelhochdeutschen Wortwurzel „Gelücke“, was seinerzeit für Geschick, günstiger Ausgang oder guter Lebensinhalt stand, ist jedenfalls bereits beides angelegt: Einerseits Tüchtigkeit und Können – also Glück als Aktivität. Aber auch Fügung und günstiges Schicksal – also ein glücklicher Zufall eben. Das Glück der Erde – für manche liegt es auf dem Rücken der Pferde. Andere suchen es in manchen Betten, wieder andere im
Glück bedeutet für jeden etwas anderes und sehr eigenes. Gebet und Versenkung. Glück! Es gibt Menschen, die meinen, es zu mehren, in dem sie „Schätze“, welcher Art auch immer ansammeln und horten. Ordensleute andererseits sprechen oft vom Glück der Entäußerung und dem Glück, ganz für andere da zu sein. Es scheint, dass das Glück für jeden von uns etwas anderes und sehr eigenes bedeuten kann. Manche suchen es bei sich selbst, andere beim anderen. Manche glauben, dass es materieller Natur sein kann. Andere glauben, dass das Glück nicht mit Händen zu greifen ist. Fast könnte man sagen: Soll doch jeder nach seiner eigenen Fasson glücklich werden. Es gibt sicher nicht sehr viele Dinge, die so vielgestaltig sind, wie das, was man jeweils für das persönliche Glück hält. Auch ohne wissenschaftliche Untersuchungen ist eines sicher: es gibt kein objektives Raster, kein Glücksdiagramm, das unser individuelles Glück auszuweisen vermag. Allerdings: Man muss nicht nur Glück haben, der Mensch muss es als solches auch erkennen. Und er wird sich stets fragen: wie komme ich zum Glück. Was muss ich machen, fällt es mir in den Schoß? Oder ist das Sprichwort richtig: Jeder ist seines Glückes Schmied! Und das glaube ich ist die richtige Fährte. Denn während sich das Unglück stets von selbst einstellt, ist Glück regelmäßig der Lohn sinnvoller Bemühungen. Anders als das Unglück muss das Glück angestrebt und erarbeitet werden. Dauerhaftes Glück ist das Ergebnis unserer Handlungen. Freilich nicht irgendwelche Handlungen, sondern solche, die als sinnvoll erkannt werden und zudem mit den Begabungen und Fähigkeiten des Handelnden korrespondieren. Für das persönliche Glücksempfinden ist es beispielsweise außerordent-
lich wichtig, wie der Mensch sein Verhältnis zu seiner Arbeit gestaltet. Job, Karriere oder Berufung sind die Schlagworte von heute. Menschen, die ihr Handeln als Berufung ansehen, sind nicht nur glücklicher, sondern an ihrem Arbeitsplatz erwiesenermaßen kreativer und leistungsfähiger. Sie empfinden sich selbst als wichtig und verleihen so ihrer Arbeit und damit ihrem Selbst einen Sinn. Aber nicht das Glück selbst sollten wir mit unserem Tun verfolgen, sondern ein Ereignis, das uns glücklich macht. Erreichen wir dieses, so stellt sich das Glück von selbst ein. Grundbedingung unseres Glücks ist es demnach, sich Aufgaben zu setzen, die einen solchen Anlass auslösen. Wir müssen das Glück in die Hand nehmen! Ein glückliches Leben steht für das schrittweise Gelingen, eine bewusst gewählte Lebensplanung, Lebenslinie und Lebenskonzeption zu erfüllen. Das Glück ist so gesehen kein Zustand, es ist ein Prozess. Es ist bedingt durch menschliches Handeln. Dabei ist ein Scheitern durchaus nicht ausgeschlossen! Ein glückliches Leben ist auch keine unendliche Glückssträhne, die uns alles erreichen lässt. Glück liegt vielmehr in unserem ständigen aktiven Glücksstreben. Nicht das schnelle Instantglück ist echtes Glück. Diese Glücksmomente werden sehr schnell vergessen. Was wir uns erarbeitet haben, führt zu dauerhaftem Glück. Glück erreicht man nicht mit Bequemlichkeit. Und wenn ich Arbeit und Anstrengung sage, meine ich nicht nur die Arbeit im Beruf. Arbeit findet auch statt in der Beziehung, mit Mitmenschen, mit der eigenen Gesundheit, mit dem eigenen Geist, mit der Religion. Glück ist Aktivität. Glück folgt aus Aktivität und Anstrengung. Unser Glück wird umso größer sein, je mehr unser Handeln mit unserem Selbst übereinstimmt, je mehr es also aus uns selbst heraus motiviert ist. Aber jeder muss den persönlichen Sinn seines Handels für sich selbst finden. Wer ein eigenes, sein authentisches Glück sucht, wird trotz vielfältiger Ablenkungen um uns herum der Frage nach der Sinngebung seines Lebens nicht entfliehen können. Glück ist letztlich immer das, was man zum Glück erklärt, also ein aktiver Akt. Das Glück ist so unterschiedlich wie die Menschen. Und die Wege zum Glück sind so zahlreich, wie es Menschen gibt. Glück ist letztlich die Fähigkeit, mit seinem Handeln glücklich zu werden. Glück ist eben nicht nur Schicksal und Fügung, sondern eigenes Tun – welch ein Glück! ■
Erwin Horak ist Präsident der Staatlichen Lotterieverwaltung in Bayern. Sie untersteht dem bayerischen Finanzministerium, betreut rund 3000 Lotto-Annahmestellen und führt an den Freistaat jährlich einen dreistelligen Millionenbetrag als Gewinn ab. Horak sieht als Aufgabe der Lotterieverwaltung, „den Bürgern eine offene, sichere und seriöse Möglichkeit zu bieten, das ‚Spiel nach dem Glück‘ zu versuchen.
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BAYERN & KULTUR Michael Weiser
Bayern gibt Kraft und Halt Studie zeigt Stolz und Heimatgefühl der Bayern
Was Heimat in Bayern ausmacht? Der Bayerische Rundfunk scheint es zu wissen: Die Kirche im Dorf, das Wirtshaus wenige Schritte davon entfernt, Brauerei und Bilderbuchlandschaft, gefunden und aufgenommen im Landkreis Traunstein, und der Ortsname Lansing, der schon fast so typisch klingt wie der des real existierenden Huglfing. Dazu Menschen in mehr oder weniger freundliche Nachbarschaft, sogar ein fränkischer Apotheker mit dem Namen Bamberger ist dabei. Mehr Klischees als bei „Dahoam is dahoam“ lassen sich so leicht nicht in einer Serie unterbringen. Dennoch – oder gerade deswegen – ist das Format erfolgreich, das zeigt nicht nur die Quote, das beweisen auch die zwölftausend Besucher, die am Tag der Offenen Tür hinter die Kulissen des Filmdorfs bei Dachau blickten. Der Bayer mag sich, scheint es. Und er mag seine Heimat. Bestätigung kommt ausgerechnet aus Hamburg. Dort arbeitet der Sozialforscher Helmut Jung, der im Auftrag der Hanns-Seidel-Stiftung das Heimatgefühl der Bayern untersuchte. Kürzlich stellte Jung seine Studie in München vor, sechs Jahre nach der letzten Erhebung, und zeigte sich überrascht, „dass das Heimatgefühl noch einmal angestiegen ist“. Kurz gesagt: Der Bayer ist – noch immer und immer mehr – stolz auf sich und sein Land, auf seine Wirtschaft und seine Traditionen, seine gemütliche Lebensart und natürlich seine Eigenart, voller Zutrauen in die eigene Kraft und in den Reichtum seines Landes. Ein bisserl so wie immer. „Herrlichstes Land, erstrahlend in Anmut, überreich an Wäldern, fruchtbar an Wein, ergiebig an Eisen, an Gold und Silber und Purpur; die Männer hochgewachsen und strotzend in Kraft, aber gutmütig und handsam; das Erdreich gesegnet mit Garben, Zugvieh und Herden so viel, dass sie fast den Boden
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BAYERN & KULTUR bedecken“, schrieb schon vor 1200 Jahren Arbeo von Freising, in nicht ganz so nüchternem Ton wie Helmut Jung heutzutage. Wie tickt er nun der Bayer? Er grantelt nicht oder zumindest weniger als es die Fama verbreitet. Gerade mal sieben Prozent meinen, das Leben im Freistaat biete keine Vorteile – das entspricht einem von vierzehn Bayern. Jeder Dritte findet dagegen nur Vorteile. Verhältnismäßig oft bemängelt wird der Preis der Lebensqualität: Jeder Vierte kritisiert die hohen Kosten im Freistaat. Kaum ins Gewicht fallen dagegen Wetter und lange Winter. Dementsprechend eng ist das Verhältnis zur Heimat. Neun von zehn Bayern – genauer: 89 Prozent – fühlen sich vor allem dem Wohnort verbunden, es folgen die Region und Bayern. Vielleicht liegt’s auch an Globalisierung und Krise: Wenn einem der Wind kalt um die Ohren bläst, sucht man nach Geborgenheit. Eine Reaktion, die neue Kräfte freisetzt. „Je schneller sich das Globalisierungskarussell dreht, desto mehr erweist sich der gefestigte
Die Bayern glauben an einen schnellen Aufstieg nach der Krise. kulturelle Unterbau einer Region oder Gesellschaft als Kraftquell und Halt“, schrieb vor nicht allzu langer Zeit Wolfram Weimer im Berliner Magazin Cicero. Dabei blickt der Bayer durchaus über den Tellerrand. Denn Gewinner im Vergleich der Jung-Studien sind auch Deutschland und Europa: Die Verbundenheit zur Bundesrepublik stieg innerhalb der vergangenen fünf Jahre von 72 auf 85 Prozent. In Europa wiederum fühlen sich 60 Prozent der Bayern heimisch, acht Prozentpunkte mehr als noch 2003. Der Bayer verbindet, so scheint es, Heimatliebe mit Weltoffenheit und Gelassenheit. Eine Beobachtung, die übrigens mit einem anderen Ergebnis der Umfrage korrespondiert: Das Motto „Leben und leben lassen“ gilt drei von vier Einwohnern des Freistaats als typisch bayerisch. Was den Bayern sonst noch ausmacht, findet sich auf einer Skala zwischen Lebensart und Aushängeschildern, FC Bayern und BMW. Dirndl und Lederhosen sind nicht mehr so gefragt wie noch vor fünf Jahren, aber immerhin noch für jeden Vierten typisch. Dicht dahinter folgen Brauchtum und Traditionen, Volksfeste und Volksmusik. Berge und Seen sind eine wichtige Zutat des Freistaats, ebenso wie Schlösser, Kirchen und Klöster. In der Wichtigkeit nimmt dagegen ab, wovon man zunimmt: Weißwürste, Weißbier und Wirtschaften sind dem Bayern nicht mehr so wichtig wie vor fünf Jahren. Was manchen aufrechten Kämpfer für den Dialekt schrecken wird: Grad einmal drei Prozent sehen das bayerische Idiom als typisch an, viel weniger noch als vor fünf Jahren. Ein Zeichen auch der Verstädterung Bayerns, der anwachsenden Speckgürtel rund um die Metropolen München, Nürnberg und Augsburg. Und wo gibt es, selbst auf dem Land, die Volksschulen, an denen Kinder noch einen bayerischen Dialekt erfahren? Ausgerechnet das internationalste aller Feste hierzulande bleibt dagegen stabil: Was die Bedeutung des Oktoberfestes betrifft, schwankt die Wertschätzung weit weniger als so mancher trunkene Besucher der Wiesn. Es ist insgesamt die Einigkeit in der Vielfalt, die so fasziniert. „Ich lebe gern in Bayern, und Franken gehört selbstverständlich
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dazu“, sagt Michael Ronalter, Chef der Trachtler im Rhein-MainGau. Als Bauingenieur wie als Oberster der Trachtler in der Umgebung von Aschaffenburg kommt er herum im Freistaat. Er mag die Landschaften zwischen Oberstdorf und Kissingen, die Architektur, die Kirchen, die Dialekte. Und die Tracht, in all ihren Ausprägungen, mit all ihren Überraschungen. Wer zum Beispiel hätte gedacht, dass man ausgerechnet im nordwestlichen Bayern Miesbacher Tracht trägt? Man übernimmt, was man gut findet. Bei den alteingesessenen bayerischen Stämmen ebenso wie bei dem jüngsten, den Vertriebenen. „Die Vielfalt in Bayern, das ist etwas Starkes“, sagt Ranolter daher zu Recht. Der Bayer war schon stolz vor fünf Jahren und ist es – Krise hin, Krise her – sogar noch ein wenig mehr geworden. Auf die Landschaften am allermeisten, die hohen Berge, die klaren Seen und Flüsse, aber auch auf Traditionen. Was dem Bayern einiges gilt, sind seine wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Leistungen ebenso wie seine Historie. „Der Bayer ist stolz auf seine Geschichte, anders als die anderen Deutschen“, stellt Helmut Jung fest. Vielleicht liegt’s ja daran, dass Bayern mit seinen 1500 Jahren der älteste noch bestehende Staat Europas ist. Auch die Leistungen in Kunst und Kultur machen den Bayern froh. Und immerhin jeder zweite Bayer ist stolz auf die Politik im Freistaat. Was auffällt: Die Bayern sehen ihr Land in einer Spitzenstellung, glauben an einen schnellen Aufstieg nach der Wirtschaftskrise und an die Stärke ihrer Wirtschaft: Was Innovationskraft der Unternehmen, ihre Führung und die Qualität der Ausbildung betrifft, sehen die Befragten den Freistaat weit vorn. In Jungs Studie ist allerdings die Politik zurückgefallen. 2003 hielt noch jeder Zweite Bayerns Spitzenstellung der Regierung zugute – nun ist es nur noch jeder Dritte. Man kann über Bayern viele Statistiken erstellen. Kann die Spitzenstellung des Freistaats an nüchternen Zahlen festmachen. Man kann Bayern aber auch einfach aus Erfahrung gut finden. So wie Adnan Maral, der türkische Vater aus der preisgekrönten Serie „Türkisch für Anfänger“. Er arbeitet in Berlin und wohnt mit seiner Familie in Oberbayern am Ammersee. „Berlin war schon ein Stück weit Heimat“, sagt der Schauspieler. „Aber am Ammersee ist die Landschaft wunderbar, das Essen schmeckt, und in der Gemeinschaft der Menschen fühlt man sich wohl und gut aufgenommen.“ Adnan Maral weiß auch warum: „Die Menschen sind hier stärker verwurzelt als anderswo, und sie pflegen ihre Traditionen. Das ist ein Reichtum, den sie gerne teilen.“ ■ Die Generationenstudie 2009 „Heimatgefühl und Leben in Bayern“ ist kostenlos zu beziehen bei der Hanns-Seidel-Stiftung per E-Mail unter info@hss.de oder online unter www.hss.de
Michael Weiser, 43, gebürtiger Münchner, studierte an der LudwigMaximilian-Universität München Geschichte und Politik. Er war Redakteur beim Münchner Merkur und leitet das Kulturressort beim Bayernkurier.
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BAYERN & KULLTUR Alois Glück
Missionarisch und selbstbewusst Der neuer Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken über die Laienarbeit in der Kirche
Der Weg der katholischen Kirche durch die Zeit, der Weg des pilgernden Gottesvolks ist von Anfang an geprägt von Konflikten, vom Ringen um den richtigen Weg, um die notwendige Entwicklung und die notwendige Bewahrung der grundlegenden Wahrheiten unseres Glaubens. Ich sehe darin einen Weg des Wirkens des Heiligen Geistes. Wo es keine Meinungsverschiedenheit mehr gibt, keine Vielfalt, sondern nur noch Einförmigkeit, gibt es keinen lebendigen Geist und keine geistige Kraft. Das gilt für die Kirche genauso wie für Kultur oder Politik. Die entscheidende Frage ist, wie wir Meinungsverschiedenheiten austragen. Ob das Ringen um die Wahrheit und um den richtigen Weg vom Geist der Liebe, vom Respekt vor dem Anderen und seiner Gewissensfreiheit, vom Anspruch des christlichen Menschenbildes geprägt ist oder vom Geist der Unversöhnlichkeit, der Ausgrenzung, des Anspruchs,
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dass nur die eigene Position die allein katholische ist. Es ist eine wichtige und notwendige Aufgabe, diese Kultur des Dialogs und auch der Kontroverse gut zu gestalten. Josef Kardinal Ratzinger hat in dem Interviewband mit Peter Seewald „Salz der Erde“ formuliert: „Es gibt so viele Wege zu Gott, wie es Menschen gibt.“ Diese grundsätzliche Anerkennung der unterschiedlichen personalen Beziehung zu Gott bedeutet nicht Beliebigkeit, begründet aber eine grundsätzliche Offenheit für unterschiedliche Wege des Glaubensvollzugs. Eine Kirche, die selbstbewusst missionarisch ist, geht offen auch in Milieus, die ihr zunächst fremd sind. Ich sehe in unserer Kirche zu viel Ängstlichkeit gegenüber der modernen Welt, zu viel Abwehr, zu viel Tendenz, in den eigenen Schutzräumen zu bleiben. Eine missionarische Kirche wird ohne die Erfahrung und Mitwirkung der Laien und deren Möglichkeit mitzugestalten, wenig wirksam
BAYERN & KULTUR sein können. Ich stimme ganz dem zu, was Caritas-Präsident Prälat Peter Neher formuliert hat: „In den kommenden Jahren werden die Weichen gestellt, ob wir eine Kirche werden, die sich auf den heiligen Rest beruft, oder ob wir eine Kirche sind, die weiter mitten unter den Menschen präsent ist.“ Unser besonderer Auftrag als Laien ist neben dem Engagement in der Kirche das Engagement in Gesellschaft und Staat. Mein Eindruck ist, dass wir in unserer Kirche Beratungs- und Klärungsbedarf haben über die Bedingungen des Engagements von Katholiken im öffentlichen Leben, in der sowohl persönliche Überzeugungen wie auch offizielle kirchliche Positionen in einer offenen Gesellschaft und bei der Trennung von Staat und Kirche nicht einfach eins zu eins übersetzt und realisiert werden können. Es ist natürlich einfacher, in den Schutzräumen der eigenen Gesinnungsgemeinschaft zu bleiben, als sich in die öffentliche Debatte, die geistigen Auseinandersetzungen, auch den Wettbewerb unterschiedlicher Wertvorstellungen und Überzeugungen einzubringen – notwendigerweise auch mit der grundsätzlichen Bereitschaft zum Kompromiss. Ich widerspreche denen, die meinen, dass christliche Werte in dieser Zeit ohnehin keine Chance hätten. Im Gegenteil: Wir haben heute mehr Chancen als vor zehn oder auch fünf Jahren, mit solchen Positionen und Argumenten gehört zu werden. Das ist eine Folge allgemeiner Verunsicherungen, der Erkenntnis, dass Konsum und Lebensstandard noch nicht sinnstiftend sind, der Erfahrungen der Grenzen bisheriger Entwicklungen und der Zusammenbrüche von Verheißungen. Noch nie waren so viele Menschen auf der Suche nach Sinn und Orientierung unterwegs wie gegenwärtig. Dazu zählt, dass Religion wieder einen neuen Stellenwert hat, nicht als rückständig und gestrig gilt. Ebenso ist Wirklichkeit, dass es einen organisierten aggressiven Atheismus gibt. Wir müssen uns in die aufbrechenden geistigen Auseinandersetzungen stärker einbringen. Zum Themenkreis Religion gehört auch die Bedeutung des Islam in Deutschland, in Europa und weltweit. Ich plädiere dafür, dass wir uns damit intensiver befassen. Wie viel wissen wir über den Islam? Sind wir in der Lage, unsere eigenen Positionen klar zu formulieren und reichen unsere Kenntnisse über den Islam, um überhaupt in ein Gespräch, in einen Dialog oder auch einen kontroversen Diskurs eintreten zu können? Wirksam können wir nur sein, wenn wir für Zeichen der Zeit offen sind. Der Historiker und frühere US-Außenminister Henry Kissinger hat zum Jahreswechsel 2006/2007 formuliert: „Die Welt befindet sich an der Schwelle gleichzeitiger Umbrüche, die es so in der Geschichte noch nicht gab.“ Mittlerweile sind große Ereignisse und Aufgaben wie die Finanzkrise und der Klimawandel hinzugekommen. Allmählich wird Allgemeingut, dass die nächsten zehn Jahre und darüber hinaus in jedem Fall anspruchsvoller Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) mit Sitz in Bonn ist der Zusammenschluss von Vertretern der Diözesanräte und der katholischen Verbände sowie von Institutionen der Laienvertretung und weiteren Persönlichkeiten aus Kirche und Gesellschaft. Das 1952 gegründete ZdK organisiert die Deutschen Katholikentage und geht auf den Katholischen Verein Deutschlands von 1868 zurück.
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und anstrengender sein werden als die vergangenen zehn oder zwanzig Jahre. Es wird für viele Menschen immer offensichtlicher, dass ein „Weiter so“ unserer Art zu leben eine Sackgasse ist. Unsere heutige Art zu leben ist nicht zukunftsfähig. Was ist eine zukunftsfähige Kultur, was sind ihre Merkmale und ihre Handlungsfelder? Die Krisen werfen neue Fragen auf und führen zu neuen Chancen. So hat die Finanzkrise zu einer neuen Wertedebatte geführt. Die tieferen Ursachen dieser Krise sind ja Wertvorstellungen, Leitbilder und Lebensstile. Die Soziale Marktwirtschaft und der Sozialstaat sind wesentlich geprägt worden durch die Prinzipien der Katholischen Soziallehre. Was ist unser notwendiger Beitrag in diesem gegenwärtigen Ringen um neue Ordnungen, im eigenen Land und unter den Bedingungen der Globalisierung und der weltweiten Vernetzungen? Wir werden uns mit diesen neuen Entwicklungen, ihren Möglichkeiten, Notwendigkeiten und Gefahren auseinandersetzen müssen, wenn wir nicht nur Zuschauer sein wollen. Es wäre aber fatal, wenn wir dabei primär eine Angstkultur pflegten, nur die Risiken und nicht auch die Chancen sehen würden. Die großen Jahrhundertthemen wie Klimaveränderungen, künftige Energieversorgung, Ernährung der Weltbevölkerung, Konflikte um Wasser und Rohstoffversorgung stehen schon auf der Tagesordnung. Die Globalisierung braucht eine neue Orientierung. Papst Benedikt XVI. hat in seiner Enzyklika „Caritas in veritate“ und in der Konferenz der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen zur Ernährung der Weltbevölkerung deutlich Positionen benannt und Impulse gegeben. Es ist absehbar, dass wir in den nächsten Jahren zu schweren Verteilungskonflikten in unserer Gesellschaft kommen und die zukünftige Ausgestaltung des Sozialstaates eines der ganz zentralen Themen ist. Wir müssen uns aber auch damit auseinandersetzen, wie wir in unserer Leistungskraft an der Spitze der leistungsfähigen Länder der Erde bleiben, jedenfalls so lange wir den Wunsch haben, auch in Lebensstandard und Lebensqualität in der Spitzengruppe zu bleiben. Zu den großen Aufgaben dieser Zeit zählen auch die Auswirkungen der demographischen Entwicklung. Das Thema „Generationengerechtigkeit“ wird neu aufbrechen. Eine weitere Herausforderung ist die Frage der Integration, des Zusammenlebens von Menschen unterschiedlicher kultureller Prägung auf einer gemeinsamen Wertebasis. Das Menschenbild der jüdisch-christlichen Wertetradition, das christliche Menschenbild, die Prinzipien der Christlichen Soziallehre. Wir brauchen eine neue Qualität der Kultur der Verantwortung, der Verantwortung für sich selbst, für die Mitmenschen, für das Gemeinwesen und vor allem, als eine der größten ethischen Herausforderung unserer Zeit, für die Nachkommen. ■ Alois Glück wurde im November zum Präsidenten des Zentralkomitees der deutschen Katholiken gewählt. Der 69-jährige gelernte Landwirt war 15 Jahre Vorsitzender der CSU-Landtagsfraktion und sechs Jahre Präsident des Bayerischen Landtags. Glück ist Vorsitzender der CSU-Grundsatzkommission und Chef der Bergwacht Bayern.
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BAYERN & KULTUR Markus Sackmann
Wir rücken zusammen Das Altern der Gesellschaft verändert alle Lebensbereiche tiefgreifend und nachhaltig – Bürgerhilfe stärkt gesellschaftlichen Zusammenhang Finanz- und Wirtschaftskrise, Afghanistan, Bundestagswahl und die anschließenden Koalitionsverhandlungen haben die öffentliche Aufmerksamkeit von einer gesellschaftlichen Entwicklung abgelenkt, die bereits vor Jahrzehnten begonnen hat und deren Auswirkungen auch im Freistaat zunehmend spürbar sind: Der demographische Wandel. Wie kaum ein anderer Prozess wird die Alterung unserer Gesellschaft auch Bayern in allen Lebensbereichen tiefgreifend und nachhaltig verändern. Die Gründe dafür sind bekannt: Da ist zum einen die überaus erfreuliche Entwicklung, dass ein rasanter medizinischer Fortschritt im Verbund mit gesünderen Lebensumständen die Lebenserwartung deutlich angehoben hat und damit das Alter im
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Vergleich zu früheren Generationen neue, erfreuliche Perspektiven bietet. Da ist aber auf der anderen Seite die bedenkliche Entwicklung, dass bereits seit über drei Jahrzehnten weniger Kinder geboren werden als für eine ausgewogene Bevölkerungsentwicklung notwendig wären. Zuwanderung mildert diese Effekte in Bayern im Vergleich zu anderen Regionen in Deutschland etwas ab, doch auch wir müssen uns auf die Zeit einstellen, wenn die letzten geburtenstarken Jahrgänge, die so genannten „Babyboomer“ zwischen den 1950er und dem Beginn der 1970er Jahre, das Rentenalter erreichen. Dann wird sich auch von Aschaffenburg bis
BAYERN & KULTUR Berchtesgaden das Verhältnis zwischen den über 50jährigen und den Jüngeren – natürlich unterschiedlich in den einzelnen Regionen Bayerns – stark verändern. Dies hat nicht nur Folgen für die sozialen Sicherungssysteme mit Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung, sondern auf das gesamte Gemeinwesen sowie das gesellschaftliche Miteinander in unserem Land. Gerade auch die ländlichen Regionen müssen sich auf einen tiefgreifenden Wandel einstellen: Lebten im vergangenen Jahr noch über sieben der 12,5 Millionen Einwohner im ländlichen Raum, so wird ihre Zahl bis 2028 um zwei Prozent abnehmen, dagegen werden in den Ballungsräumen fast fünf Prozent mehr Menschen leben. Noch leben in ländlich geprägten Gebieten mehr junge Menschen als in den Ballungsregionen, doch die Städte sind gerade für junge Menschen und Familien mit kleineren Kindern zunehmend attraktiv, während auf dem Land die potentiellen Eltern stetig weniger werden. Noch deutlicher wird die „demographische Schere“ zwischen Land und Stadt bei den Erwachsenen bis 65 Jahren auseinandergehen: Während ihre Zahl in Ballungsräumen bis 2028 etwas zunimmt, sinkt sie im ländlichen Raum um über acht Prozent. Die größten Veränderungen finden aber innerhalb der älteren Bevölkerung statt, wobei der ländliche Raum deutlich stärker „altert“ als die Verdichtungsräume, so dass in zwei Jahrzehnten bereits mehr als jeder Vierte auf dem Land über 65 Jahre alt sein wird. Dies bedeutet in Kürze: Es werden gerade im Vergleich mit den Ballungsräumen deutlich weniger Jüngere und mehr Ältere auf dem Land leben als heute. Bevölkerungsprojektionen klingen theoretisch und scheinen weit weg vom Alltag, doch sie bringen grundlegende Fragen, mit denen sich Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und auch jeder einzelne auseinandersetzen muss: Wie schaffe ich die Pflege meiner Eltern, ohne Beruf und Familie zu starken Belastungen auszusetzen? Wie möchte ich selbst alt werden? Was kann die Zukunft angesichts vieler Ein-Kind-Familien aussehen? Welche Auswirkungen hat die Alterung der Gesellschaft auf die öffentliche Infrastruktur und wie reagieren wir angemessen darauf? Wir müssen uns bewusst machen: Alle Lebensbereiche und jeder Einzelne ist von einer dieser Fragen in irgendeiner Form betroffen. Ich bin überzeugt davon, dass wir diese gewaltige Herausforderung auch als Chance sehen müssen. Sie ist nur gemeinsam zu bewältigen, indem wir jetzt agieren, umfassende Strategien entwickeln und die richtigen Weichenstellungen vornehmen. Eine ganze Reihe von zentralen Handlungsfeldern tut sich dabei auf: So müssen wir die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern, eine chancengerechte Bildungs-, Jugend- und Familienpolitik optimieren und auch gezielter als bisher qualifizieren, um damit die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass jeder die besten Bedingungen und Entfaltungsmöglichkeiten in einer gewandelten Arbeitswelt vorfindet. Gleichzeitig muss das Alter als würdevoller, vitaler und bereichernder Lebensabschnitt verstanden werden. Wir brauchen auf kommunaler Ebene moderne seniorenpolitische Gesamtkonzepte, welche die Potentiale und die Bedarfslagen älterer Menschen ausgewogen im Blick haben. Schlüssel zum Erfolg ist ein solidarisches und gerechtes Miteinander aller Generationen, da wir alle auf der Basis einer gegenseitigen Wertschätzung voneinander profitieren und uns gegenseitig unterstützen können. Dafür müssen wir uns von althergebrachten Vorstellungen des Alters und des Alterns verabschieden. Die
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ältere Generation ist heute viel aktiver, gesünder und leistungsfähiger als ihr bisweilen zugetraut wird. Dabei sollten wir auf ihren wertvollen Erfahrungsschatz bauen, der uns helfen wird, die Zukunft bestmöglich zu gestalten. Gerade mit Blick auf den ländlichen Raum möchte ich drei Aspekte von besonderer Bedeutung herausgreifen: Kommunale Seniorenpolitik, Unterstützung für Familien und bürgerschaftliches Engagement. 앫 Wir müssen unsere Kommunen tatkräftig dabei unterstützen, sich auf den demographischen Wandel einzustellen, zum Beispiel indem sie den älteren Menschen ein Umfeld bieten, das ihren speziellen Lebensumständen und Wünschen gerecht wird. Ziel unserer Politik ist es, so lange wie möglich ein Leben in vertrauter Umgebung zu ermöglichen. Wir setzen uns für ein Altern in Gesundheit und Selbständigkeit ein. Für diese Aufgaben wollen wir die kommunalen Ebenen sensibilisieren. Unser Anspruch, gleichwertige Lebensbedingungen zu schaffen, muss konsequenterweise auch und gerade für den ländlichen Raum und die Kommunen vor Ort gelten. Zu einer modernen und nachhaltigen Seniorenpolitik, wie sie die Bayerische Staatsregierung fördert, gehört das Modellprojekt „Kommunale Altenhilfekonzepte in Bayern für kleine Gemeinden bis zu 8.000 Einwohnern“ ebenso wie der Förderpreis Kommunale Seniorenpolitik, der innovative Gesamtkonzepte von Kommunen in ganz Bayern auszeichnet. Wir regen an, Betreuungsformen für ältere Menschen weiterzuentwickeln, und fördern kleinräumige und wohnortnahe Alternativen zur traditionellen Betreuung Damit sollen die Gemeinden und Landkreise darin bestärket werden, ganz bewusst neue Wege zu
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Mehr Ältere und weniger Junge: Die frühere Alterspyramide wird zum Baum mit mächtiger Krone.
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gehen. Wie erfolgreich mit geringen finanziellen Mitteln das generationengerechte Zusammenleben verbessert werden kann, zeigt das vor kurzem verlängerte Ingolstädter Modellprogramm, wo durch eine Kommission für Seniorenarbeit ältere Menschen gezielt in Entscheidungen eingebunden werden und sie so aktive daran beteiligt sind, ihr Lebensumfeld zu gestalten. 앫 Die gleiche Aufmerksamkeit müssen wir aber auch den Familien und den Jüngsten unserer Gesellschaft widmen. Und das bedeutet zum Beispiel, den Kommunen beim Ausbau einer qualitativ hochwertigen, bedarfsgerechten und vielfältigen Kindertagesbetreuung zur Seite zu stehen. Dies ist ein wichtiger, wenn nicht gar der entscheidende Standortfaktor für junge Familien bei der Wahl ihres Lebensmittelpunkt. Der Grundsatz für die Schüler „Kurze Beine – kurze Wege“ muss in gleichem Maße für die (Klein-)Kinder-betreuung gelten. Wir wollen auch dem ländlichen Raum bestmögliche und gleichwertige Bildungschancen bei frühkindlicher Betreuung eröffnen. Das heißt aber auch, dass wohnortnahe Angebote in
Solidarisches Miteinander der Generationen wird künftig noch wichtiger sein. kleineren Gemeinden nur aufrechterhalten werden können, wenn sie besonders gefördert werden. Gerade vor dem Hintergrund sinkender Kinderzahlen kann dies nur durch kommunale Kooperationen auf Gemeinde- und Landkreisebene bewerkstelligt werden. Sei es bei Bedarfsanerkennungen oder Gastkinderregelungen oder auch bei neuen innovativen Lösungsansätzen. Hier ist auch das Engagement von Unternehmen wünschenswert, die von einer guten Infrastruktur in ihrem Umkreis profitieren. Ein Beispiel dafür ist der kürzlich gestartete Modellversuch, bei dem einige bayerische Gemeinden bei der Kinderbetreuung unterstützt werden. 앫 Und nicht zuletzt wird das ehrenamtliche Engagement aller Altersgruppen künftig noch unverzichtbarer für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft und für ein funktionierendes Gemeinwesen sein. Bereits jetzt helfen Hunderttausende in Bayern unspektakulär und ohne großes Aufhebens. Sie leisten tagtäglich freiwillig einen wichtigen Beitrag für ein menschliches Miteinander. Ehrenamt, bürgerschaftliches Engagement und Hilfe zur Selbsthilfe werden für ein solidarisches Miteinander der Generationen künftig noch sehr viel wichtiger sein. Das Potential dafür ist gewaltig: Bereits jetzt engagieren sich 37 Prozent der bayerischen Bevölkerung freiwillig, weitere 30 Prozent zeigen Bereitschaft, ein Ehrenamt zu übernehmen. Diese beeindruckende Hilfsbereitschaft wollen wir in Bayern mit dem Aufbau neuer, flächendeckender Freiwilligendienste aller Generationen unterstützen und bayernweit ein engmaschiges Netz knüpfen, in dem sich jeder nach seinen Vorstellungen und Möglichkeiten einbringen kann.
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Der demografische Wandel stellt uns vor gewaltige Herausforderungen. Mehr denn je werden das bürgerschaftliches Engagement und ein solidarisches Miteinander der Generationen notwendig sein. Zusammenhalt aller und das Einstehen des Einzelnen für die Gemeinschaft ist gerade für den ländlichen Raum charakteristisch. Sich darauf zu besinnen, es zu fördern und zu stärken, ist eine Chance für die gesamte Gesellschaft. Sie zu nutzen, wird aber nur durch eine große gemeinsame Anstrengung möglich sein. ■
Markus Sackmann ist direkt gewählter CSU-Landtagsabgeordneter im Landkreis Cham und Staatssekretär im Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen. Zuvor war er Staatssekretär im Wirtschaftsministerium. Der 48-jährige Jurist ist auch Stadt- und Kreisrat sowie Bezirksvorsitzender des Bayerischen Roten Kreuzes.
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BAYERN & KULTUR Markus Reder
Papst ehrt Würzburger Märtyrer Bald Seligsprechung von Priester Georg Häfner
Einen Termin gibt es offiziell noch nicht. Doch dass der Würzburger Märtyrerpriester Georg Häfner (1900-1942) im nächsten Jahr seliggesprochen wird, gilt inzwischen als sicher. Häfner wäre damit innerhalb kurzer Zeit der zweite Glaubenszeuge aus Bayern, den die katholische Kirche „zur Ehre der Altäre“ erhebt. Erst im Oktober hatte das Bistum Regensburg die Seligsprechung von Frater Eustachius Kugler (1867-1946) gefeiert. Kugler war Provinzial der Bayerischen Ordensprovinz der Barmherzigen Brüder. Er setzte sich in besonderer Weise für die Schwachen und Kranken ein. Nun steht in der Diözese Würzburg die Seligsprechung Georg Häfners bevor. Bereits im Juli hat Papst Benedikt XVI. den katholischen Geistlichen, der im Konzentrationslager Dachau ums Leben kam, als Märtyrer anerkannt. Ein vom Papst genehmigtes Dekret der Heiligsprechungskongregation bestätigt, dass der Würzburger Priester aus „Hass gegen den Glauben“ getötet wurde. Damit steht seiner Seligsprechung nichts mehr im Wege. Bei Märtyrern ist der Nachweis eines Heilungswunders, wie er sonst in einem Seligsprechungsverfahren vorgesehen ist, nicht erforderlich. Georg Häfner war Pfarrer in Oberschwarzach. 1900 wurde er in Würzburg geboren und dort mit 23 Jahren zum Priester geweiht. Schon als Kaplan zog sich Häfner wegen seiner kritischen Haltung den Argwohn der Nationalsozialisten zu. Sein unbeirrtes und mutiges Glaubenszeugnisses führte schließlich im Oktober 1941 zu seiner Verhaftung. Kurze Zeit später wird Häfner nach Dachau gebracht. Dort stirbt er am 20. August 1942 an den Folgen von Krankheit, Unterernährung und Misshandlung. „Nur in der Schule des Heilands ist die Liebe zu lernen, die auch vor dem Feind nicht halt macht“, schreibt Häfner aus dem KZ. Und wenige Wochen vor seinem Tod: „Trost, Kraft und alles finden wir im Gebet und in der Hingabe an Gott.“ Häfners Urne wurde zunächst auf dem Würzburger Hautfriedhof beigesetzt. 1982 folgte die Überführung in die Krypta der
Neumünsterkirche. Ein stiller Ort im Herzen der Stadt, wo sich immer wieder Gläubige zu Gebet und Gedenken an den Glaubenszeugen aus der NS-Zeit einfinden. Dort, vor der Büste des Märtyrerpriesters, trafen sich im Sommer Mitglieder der Studentenverbindung Unitas Hetania, der Häfner angehörte, um an dessen Todestag Vertretern des Würzburger Stadtrats eine Petition zu überreichen, wonach eine Straße der fränkischen Domstadt den Namen Häfners erhalten soll. Neben Häfner steht im Bistum Würzburg einwe zweite Seligsprechung an. Im Juli sprach der Papst dem ebenfalls in Dachau gestorbenen Mariannhiller Missionar Pater Engelmar Unzeitig (1911-1945) den so genannten heroischen Tugendgrad zu. Ursprünglich hieß es von Seiten des Bistums, beide Seligsprechungen sollten gemeinsam in Würzburg stattfinden. Inzwischen steht fest, dass zunächst Häfner seliggesprochen wird. Dem Vernehmen nach soll dies noch im Priesterjahr geschehen. Das von Papst Benedikt XVI. ausgerufene Priesterjahr endet am 11. Juni 2010. Der Postulator des Seligsprechungsverfahrens, der Würzburger Domdekan Günter Putz, ist davon überzeugt: „Das Lebenszeugnis Häfners hilft dazu, das Priesteramt von seiner Mitte her zu verstehen“. Häfner sei eine „auffallend normaler“ Priester gewesen, „kein sich absetzender Kleriker mit Machtansprüchen“. Sein beispielhaftes Christuszeugnis bewahre vor vielerlei Missverständnissen und Entstellungen des Priesteramtes. „Sein Amt war Dienst.“ ■
Markus Reder, Markus Reder, 1970 in Augsburg geboren, studierte katholische Theologie und Germanistik in Würzburg. Seit 1997 arbeitet er in die Redaktion der überregionalen katholischen Zeitung „Die Tagespost“, die in Würzburg erscheint. Seit April 2006 ist er Chefredakteur dieser Zeitung“ und Geschäftsführer der Johann Wilhelm Naumann Verlag GmbH.
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BAYERN & KULTUR
n e u a h c s n u a Z n e d Über rger Hannes B u
Die neue Botschaft Niederbayerns in München: Das historische Bauernhaus im Münchner Westpark, vom niederbayerischen Unternehmer Georg Höltl zur Internationalen Gartenausstellung IGA 1983 gestiftet.
„Je fester man mit beiden Beinen auf dem Boden seiner Heimat steht, desto freier ist der Kopf, um über den Zaun zu schauen.“ Dieses Zitat von einem steirischen Politiker passt auch für Bayern, aber mit am meisten für die sehr bodenständigen und zugleich selbstbewusst global aktiven Niederbayern. In Dingolfing stand die Wiege von BMW, die Deckensysteme internationaler Flughäfen kommen aus Grafenau und in den modernsten 5-Sterne-Hotels Arabiens schlafen die Gäste in Daunenbetten von Mühldorfer in Haidmühle an der böhmischen Grenze. Für die Internationale Gartenschau 1983 im Münchner Westpark hat die niederbayerische Familie Höltl aus ihrem Museumsdorf Bayerischer Wald in Tittling ein schönes altes Bayerwald-Holzhaus gestiftet. Kürzlich hat Bezirkstagspräsident Manfred Hölzlein darin – selbstironisch, aber
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wirkungsvoll – eine „Botschaft Niederbayerns“ eröffnet und gesagt: „Wir möchten hier interessante kulturelle Ereignisse aus den Landkreisen und Städten Niederbayerns ankündigen, Wirtschafts- und Tourismusverbände vorstellen, Begegnungen mit ausländischen Besuchern organisieren und auf historische Städte, schöne Regionen und berühmte Feste Niederbayerns aufmerksam machen.“ Wie unbekümmert und neugierig ein Niederbayer die Welt erobert, zeigt das Beispiel des heute 81-jährigen Georg Höltl. Nicht einmal 10 Jahre alt war das Reiseunternehmen dieses jungen Omnibuschauffeurs aus Tittling im Bayerischen Wald, da wagte er 1959 ein Abenteuer, von dem ihm das Auswärtige Amt in Bonn dringend abriet: Eine Reise nach Jerusalem auf dem Landweg mit dem Bus und einem neuartigen, nach seiner Idee gebau ten Schlafwagen-Anhänger. Höltl führte als Reiseleiter
eine 40-köpfige mutige Reisegruppe auf den Spuren des Apostels Paulus und der Kreuzfahrer auf gefährlichen Wegen durch den Balkan, Griechenland, Türkei, Syrien, Libanon und Jordanien zu den heiligen Stätten dreier Weltregionen in Damaskus, Jerusalem und Bethlehem. Seine Frau Centa, der allzeit ruhende Pol der Familie und Firma, brachte zur gleichen Zeit daheim in Tittling als zweites Kind einen Sohn zur Welt: Peter Höltl ist heute Mehrheitseigentümer und zusammen mit Vater Georg Geschäftsführer des Unternehmens Rotel Tours. Gemeinsam mit den bei seiner Geburt erstmals auf so weiter Strecke bewährten Rollenden Hotels hatte Peter Höltl daher heuer seinen 50. Geburtstag. Die kleinen, aber kühnen Anfänge des Unternehmens reichen zurück bis 1945. Mit seinem Wehrmachts-Führerschein erwarb der 16-jährige Georg Höltl für 4000 Reichsmark einen alten Holzgaser-Kleinbus und reparierte ihn. Nach ein paar Jahren Linienverkehr von Tittling nach Passau wagte der Draufgänger die ersten innereuropäischen Pax-Christi-Pilgerreisen nach Rom, Lourdes, Ars, Fatima und Syrakus – preisgünstig mit Bus und Zelten. Heute rollen die roten Hotelbusse aus dem Bayerwald mit 300.000 Stammkunden für eine der ältesten Reisefirmen Europas und sind Mittelpunkt eines der ungewöhnlichsten Unternehmen weltweit. Als Aufbauhelfer würdigt Pionier Höltl, was für viele heute selbstverständlich ist: „Die Zeit von 1945 bis heute war eine Zeit des Friedens und wirtschaftlichen Aufschwungs in Europa. Ohne diese Rahmenbedingungen wäre es nicht möglich gewesen, unser Unternehmen aufzubauen.“ Mittlerweile gehören zum Familienunternehmen drei weitere Hotels und zwei stattliche Museen: das Ferienhotel Dreiburgensee in Tittling und daneben das Museumsdorf Bayerischer Wald mit über 50 von Höltl geretteten Häusern, Bauernhöfen und Stadeln samt historischer Einrichtung und Gerätschaft; ferner das historische Hotel Wilder Mann am Passauer Rathausplatz und darin das Glasmuseum sowie das Hotel Rotel Inn am Passauer Donauufer für Radler, Bahn- und Schiffsreisende. Zu den 50 Jahren Erfolgsgeschichte von Rotel Tours und der drei weiteren Hotels gehört Höltls Engagement für die beiden Museen. Es war kein Politiker und kein Denkmalpfleger, sondern der ehemalige Omnibuschauffeur Georg Höltl, der selbst in einem alten Dorf aufgewachsen war und es nicht ertragen konnte, wie ab den Sechziger Jahren ein „Waidlerhäusl“ und ein alter Bauernhof nach dem anderen der Modernisierung und den Planierraupen zum Opfer fiel. Man schämte sich des „alten Graffels“, lechzte nach Fortschritt und scheute die Renovierung, die vielen zu teuer war. Idealistische Heimatliebe wurde zum Fundament für ein privates Museum. Nach und nach wurde es mit unzähligen Sammlerstücken und altem Inventar eingerichtet und immer wieder verbessert und ergänzt. Oft musste rasch entschieden werden. „Manchmal“, erzählt Petzer Höltl, „waren es die Bauherren, meist aber Architekten oder Baufirmen, die oft erst am Freitag bei meinem Vater angerufen haben: ‚Es is schad‘ um des oide Hoizhaus. Aber wennst es retten wuist, muasst es glei abbauen, weil am Montag werd ois abgrissen!‘ Heute sind die alten Holzhäuser bis auf ganz wenige Ausnahmen aus der BayerwaldLandschaft verschwunden.“
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Von Niederbayern hinaus in die weite Welt: Ein rotes rollendes Hotel mitten in der Wüste.
Ebenso waren es nicht noble Glasbarone und ehemals reiche Herren der Glashüten, die im Laufe von rund 800 Jahren Glasgeschichte im Bayer- und Böhmerwald rechtzeitig Beispiele aus verschiedenen Epochen und Techniken gesammelt haben. Es war wieder Georg Höltl, der einen Teil des mit Rotel Tours in der Welt verdienten Geldes in eine Sammlung von europäischem Glas mehrerer Stilarten investierte. Er erwarb Glas, das seit 1650 in Hütten des Bayerwaldes, Schlesien und Böhmen geblasen wurde und rettete es vor der Vernichtung. Das Passauer Glasmuseum, untergebracht im Hotel Wilder Mann, ist nicht nur ein Schmuckstück der Dreiflüssestadt, sondern auch ein Studien- und Forschungszentrum. Dies alles ist nur zu unterhalten, wenn die roten Hotelbusse auch nach einem halben Jahrhundert weiterhin erfolgreich durch die Welt rollen. Und dem scheint so. „Unsere Reisegäste wissen genau, warum sie das Rotel wählen und nicht bequemere Reisen in noble Hotels,“ sagt Peter Höltl, „sie wollen zum halben Preis mitten hinein in ferne Länder reisen, dort viel sehen, viel erleben, andere Kulturen bis in die Dörfer hinein kennenlernen und auch verstehen.“ Dazu verhilft ihnen die nach Vater Höltls langer Erfahrung erstaunlich gut harmonierende Kombination: „Wir haben meist ebenso organisations- wie redebegabte ‚Preußen‘ als Reiseleiter, die viel wissen und erzählen können, aber dazu ruhige, erfahrene und handwerklich versierte Bayerwäldler als Busfahrer.“ Da schließt sich der Kreis wieder mit einem selbstironischen Satz bei der Einweihung der „Botschaft Niederbayerns“ in Höltls Bayerwaldhaus im Münchner Westpark: „In unserer berühmten Bescheidenheit knüpfen wir an die zentraleuropäische Rolle der Herzöge von Niederbayern an und ziehen hier die Fäden einer globalen Regionalpolitik für unsere Wirtschaft und Kultur – all over the world.“ ■ Hannes Burger, 1937 in München-Schwabing geboren, war Mitarbeiter der Süddeutschen Zeitung und Bayern-Korrespondent der WELT. 22 Jahre lang schrieb er die Salvatorreden für den Starkbieranstich auf dem Nockherberg. Heute lebt er im Bayerischen Wald und trägt den Ehrentitel „Botschafter Niederbayerns“.
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LEBEN & GENIESSEN
Hans-Joachim Epp
Zu Gast bei Gerner Fränkische Küche zum Verlieben – versteckt zwischen Wäldern, Feldern und Weihern
„Hier bin ich willkommen“ ist das erste Gefühl beim Eintritt in die „Wirtschaft von Johann Gerner“. Im ältesten Teil des Anwesens, einem urgemütlichen sparsam möblierten Fletz mit Treppenhaus, wird der Gast von der jungen, charmanten Wirtin Tanja Gerner begrüßt und zu seinem Tisch begleitet. Drei unterschiedlich gestaltete Gasträume (im Sommer zusätzlich eine sonnige Terrasse) stehen zur Wahl. Die „Alte Stube“, Urgastronomie seit über 100 Jahren, wurde gerade mit viel Aufwand und Geschmack renoviert. Stein und Holz sind die bestimmenden Elemente, wechselnde Bilderausstellungen von Künstlern aus der Umgebung sorgen bei den bis zu 38 Gästen für Gesprächsstoff über das lukullische Programm hinaus. Bei der sogenannten Lounge prägen viel Licht, Eichenholz, Leder und Gemäldeausstellungen das Ambiente. Das kleine „Ofenstüble“, benannt nach dem mit Holz zu beheizenden gusseisernen Stubenofen, füllt eine lange Tafel mit bis zu 16 Stühlen und eignet sich für kleine Feste und Weinproben. Der 38-jährige Detlef Gerner führt Haus und Küche in der vierten Generation. Sein Urgroßvater Johann Georg erwarb 1901 den Brehmhof in Dannberg vor den Toren von Erlangen.
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LEBEN & GENIESSEN Ab 1904 begann er Bier für Nachbarn und Handlungsreisende bereit zu halten. Damals fuhr man in einer frühen Form der Selbstvermarktung die Schweinehälften mit der Schubkarre bis nach Bamberg, um sie dort zu verkaufen. Die Wohnstube der Wirtsleute – heute die „Alte Stube“ – wurde zur Gaststube. Sonntags gab es für die Familie Braten, und wer des Weges kam fand einen vorzüglichen Mittagstisch. 1928 übernahm Sohn Johann Gerner das Haus, begann mit der Aufzucht von Enten und Hühnern und probierte immer neue Rezepte aus. Eine kulinarische Neugierde, die bei Gerners vererbt wird. Der heutige Chef gründet die Speisekarte auf Regionales, verfeinert sie aber gekonnt durch Farbtupfer aus der Ferne. So bei den Vorspeisen, wo frische Austern auf Eis mit Kerbelbutterbrot (13,50 E) liegen, oder beim
Schwarzwurzel und Zwergorangen sowie Rotbarbe und Artischocken, ehe das Quittensorbet mit Kardamombrot eine kleine Pause einlegt vor dem Rinderfilet im Rucolamantel. Den Abschluss bilden caramelisierter Ziegenkäsecreme mit Maulbeeren und Mohnravioli mit Sherry-Mandeleis (69 E). Groß ist das Angebot an Bier und alkoholfreien Getränken. Die Preise sind moderat. Die Halbe Helles von der Brauerei Loscher kostet 2,90 E.
Tipp: Marinierten Lachs auf Chicorée-Thunfischspieß, (11,90 E)
Gerner ist Kreativer und Macher zugleich. Die Lehrjahre verbrachte er im „Herzogspark“ in Herzogenaurach, wurde in die Jugendnationalmannschaft der Köche berufen und gewann mit diesem Team in Toronto den „Taste of Canada“. Fremde Länder und Nationen, Toleranz und viele Rezepte lernte er als Schiffskoch auf einem Luxusliner kennen, bevor er im Münchner „Tantris“ erfuhr, was an Mühe, Zeit und Ingredienzien in eine Sterneküche zu investieren ist. Das erworben Können spürt der Gast in der handgeschriebenen Speisekarte, die am besten bei einem Aperitif studiert werden sollte Tipp: Quitte mit Kardamom und Sekt, (5,50 E).
Zumeist drei Suppen werden angeboten. Die Tipp: Lebernockerlsuppe mit Kräuterpfannkuchen (3,40 E),
sollte man auf alle Fälle probieren, weil sie fränkisch authentisch ist. Die im Spätherbst offerierte Kürbissuppe mit Champagneressig und Lachs, (6,10 E) spielt mehr die Nebenrolle eines Experiments. Acht bis zehn Hauptgerichte stehen zur Wahl, alle unter 20 E. Lokal oder doch von weiter her? Diese Frage kommt beim Fischgang auf. Die Wirtschaft in Heßdorf-Dannberg liegt im Aischgrund, wo Bayerns berühmteste Karpfen gezüchtet werden. Tipp: Kleine Portion gebackener Karpfen mit Kartoffel- und Feldsalat, (9,00 E). Die Alternative wäre das Wallerfilet auf Rote Beete mit Kartoffelpüree (18,90 E).
Den Fleischgang zu bestimmen fällt leicht, wenn nicht Kaninchen und Lamm gleichzeitig die Tagesspezialitäten sind: Kaninchenkeule auf Rahmwirsing mit Semmelknödeln, Egerlinge, (16,90 E) oder Lammbraten auf gebratenem Fenchel mit Kartoffelgratin, (14,50 E). Tipp: Pflegen Sie mit ihrem Partner die amerikanische Tischkultur des dish sharings, so kann jeder beide Köstlichkeiten genießen. Die Saucen sind einfach himmlisch!
Bei den drei süßen Desserts fehlt die Leichtigkeit (oder der Patissier). Vanilleeis mit frischen Früchten und Mandeln (6,70 E) sind schlicht langweilig. Die Alternative Topfenmousse und Zwetschgeneis mit Zwetschgenröster (9,90 E) ist ein bisschen zu viel des Guten. Es empfiehlt sich ein Blick auf das Dessert der täglichen Menüs. Wer sein Mahl mit Rohmilchkäse aus Frankreich mit Früchtesenf (8,90 E) abschließen möchte, trifft eine gute Wahl.
Die große Weinkarte ist beeindruckend. Es lohnt, sich in diese zu vertiefen. Schwerpunkte sind die wichtigen Weinanbaugebiete von Deutschland, Frankreich und Italien. Dem Gebiet Bordeaux wird eine besondere Rolle zugestanden. Die Affinität von Tanja und Detlef Gerner zu Kellern und Küchen dieser Region – möglichst einmal im Jahr gibt’s eine Studienreise dorthin – ist unübersehbar und die Weinberatung durch die Wirtin kompetent. Tipp: 2005er Château Citran Haut-Médoc, E 49,00. Ein sehr großer Jahrgang, allerdings zurzeit noch etwas frisch.
Ein wenig vernachlässigt ist die heimische Frankenwein-Karte. Immerhin sind mit Klaus Henke (Sommerach) und Theo Luckert (Weingut Zehntof aus Sulzfeld) zwei aus der neuen fränkischen Winzergeneration präsent. Sie machen hervorragende Weine und spielen immerhin bei den deutschen Weinen in der Wirtschaft von Johann Gerner eine Hauptrolle. Tipp: 2008 Sommeracher Katzenkopf, Silvaner, Klaus Henke (0,75 zu 17,90, der 0,2-Schoppen zu 3,50 E) oder 2008 Silvaner Kabinett „alte Reben“, Sulzfelder Maustal, Theo Luckert, (0,75 zu 22,70 E).
Das 105 Jahre alte Wirtshaus liegt nach der Autobahnausfahrt Erlangen-West versteckt in Feldern, Wiesen und Weihern. Das lässt Küchenklassiker eines bodenständigen fränkischen Dorfwirtshauses wie Schäufele oder Bratwürste erwarten. Serviert wird sehr wohl Regionales wie Forelle und Karpfen, Ente und Kaninchen, Ferkel und Ochs, doch alles zubereitet mit dem Können, das Detlef Gerner in der weiten Welt erworben hat. Das bringt überraschende neue Aromen und Geschmackserlebnisse. Wirtschaft von Johann Gerner Dannberg 3, 91093 Heßdorf, Telefon 09135-8182, restaurant@wirtschaft-von-johann-gerner.de Ruhetage: montags und dienstags
Hans-Joachim Epp ist Sachverständiger für das Hotelwesen und Mitglied der Chaîne des Rôtisseurs Oberbayern.
Zum Jahresausklang bietet Gerner ein Silvestermenü als Verführung pur. Der Paprikasülze mit Hummer folgen Kaninchen mit
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FÜR SIE GELESEN Fuhrer stellt Fakten den Schönfärbereien und Vertuschungen entgegen. Er klärt auf und widerlegt die Gysi-BiskyRamelow-Lügen. Schade nur, dass er es versäumt hat, in einer kurzen Faktensammlung den gängigsten Nostalgie-Mythen zwei knappe Tatsachen-Sätze gegenüberzustellen und so eine schnelle Argumentationshilfe zu liefern. MW
Armin Fuhrer
Von Diktatur keine Spur? Mythen und Fakten über die DDR Olzog Verlag, 160 Seiten, 14,90 Euro Das Buch ist ein Ärgernis. Nicht, weil es erschienen ist, sondern weil es erscheinen musste. 20 Jahre nach dem Fall der Mauer kehrt der SED-Staat ins Bewusstsein des Landes zurück, schöner und strahlender als er je real existieren konnte. Vor allem in Berlin und in den neuen Bundesländern erscheint „die untergegangene zweite deutsche Diktatur heute zunehmend wie ein soziales Paradies mit zahlreichen bewahrenswerten Errungenschaften“, ärgerte sich Armin Fuhrer und machte sich an die Arbeit: Der Hauptstadtkorrespondent von Focus und ehemaliger DDR-Bürger räumt mit einem kleinen, aber faktenreichen Büchlein auf mit der von der SED-PDS-Linke listig und erfolgreich beförderte DDR-Nostalgie. Angesichts von Käuferschlangen beim Berliner Bäcker, der „original Ostschrippen“ anbietet, schreibt Fuhrer über die 2,8 Millionen DDR-Rentner, von denen die Mehrheit hart an der oder unter der Armutsgrenze leben musste. Oder über die geschätzt 16 Prozent verdeckten Arbeitslose, die nicht auffielen, weil die Betriebe von der SED gezwungen wurden, mehr Werktätige aufzunehmen als sie tatsächlich benötigten. Oder über die sozialistische Bildung, die zu einem Fördersystem der Funktionärsklasse verkommen war und kurz vor der Wende nur noch zehn Prozent Arbeiterkinder auf den Universitäten duldete.
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Heinrich August Winkler
Geschichte des Westens - Band 1 Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert C. H. Beck Verlag 1343 Seiten, 38 Euro Nach seiner zweibändigen deutschen Geschichte „Der lange Weg nach Westen“, im Jahr 2000 erschienen, wagte sich der Berliner Historiker Heinrich August Winkler an eine noch größere Herausforderung: Ein Standardwerk zu schreiben über den Westen und dabei hineinzutauchen in die antiken Anfänge und über die Jahrtausende hinweg die vielen Sonderwege aufzudröseln. Es wurde die erste und sicher für lange Zeit bestimmende Beschreibung einer trotz vielen Irrungen großen Erfolgsgeschichte. Der Geschichte unserer eigenen Identität. Der voluminöse Band gibt eine umfassende Antwort auf die Frage, was den vielfach gespaltenen Westen im Innersten zusammenhält. Winkler geht bis ins 14. vorchristliche Jahrhundert zurück, als in Ägypten der Nofretete-Gatte Amenophis IV. den Sonnengott Aton zur alleinigen Gott-
heit erhob und sich Echnaton, „dem Aton Wohlgefällige“, nannte. Der Monotheismus und die Eingebung, die eigene Herrschaft durch Gottes Gnaden zu legitimieren, ist für Winkler eine Kulturrevolution, die ihre Fortsetzung fand bei Moses und der jüdischen wie der christlichen Religion. Nach dem Investiturstreit im 11. und 12. Jahrhundert folgte die Trennung von geistlicher und weltlicher Macht, für Winkler ein epochenmachendes Ergebnis, das später ergänzt wurde von der Trennung von fürstlicher und ständischer Gewalt, was wiederum Pluralismus und Zivilgesellschaft ermöglicht hat. „Ein Rationalisierungsschub, der von der Rezeption des römischen Rechts ausging“, schreibt Winkler. „Nur im Westen konnte sich der Geist des Individualismus entfalten, der eine Bedingung allen weiteren Fortschritts war.“ England war als erste parlamentarische Monarchie Vorbild für die moderne Gewaltenteilung, wie sie Montesquieu 1748 in seinem Werk „Vom Geist der Gesetze“ beschrieb. Verdienstvoll vergleicht Winkler die Amerikanische Revolution von 1776 mit der französischen von 1789 und macht aus seiner Sympathie für die erstere keinen Hehl: Die amerikanischen Verfassungsväter haben sich am englischen „checks and ballances“ orientiert und damit das Fundament gelegt für einen dauerhaft Ausgleich zwischen den Gewalten. Frankreich dagegen mühte sich noch lange mit Kaiser, Juli-König und zweitem Kaiser auf dem Weg zur Republik. Und in deutschen Landen des 19. Jahrhundert war von Begeisterung für die neuen Ideen aus Amerika und aus dem westlichen Nachbarland kaum etwas zu spüren. Im Gegenteil. Der Autor zeigt viele Sonderwege, die aber dann doch wieder zu einer gemeinsame Idee fanden, die als „der Westen“ im Kalten Krieg zum Symbol für Freiheit und Demokratie wurde und die heute im Islam nicht nur religiösen Fanatikern als ein Werk des Teufels gilt. Doch darüber verspricht Winkler ein weiteres Buch. Sein erster, über tausendseitiger Band endet 1914 mit Beginn des Ersten Weltkriegs. PS
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FÜR SIE GELESEN ein Hoffnungsfunke dafür, dass es für den Islam auch einen Weg gibt aus dem geistigen und gesellschaftlichen Mittelalter. MW
Hamed Abdel-Samad
Liselotte Vogel
Mein Abschied vom Himmel
Ich lebe weiter selbstbestimmt
Aus dem Leben eines Muslims in Deutschland
Hubertus Knabe
Fackelträger Verlag 320 Seiten, 19,95 Euro
Honeckers Erben
Er ist der Sohn eines sunnitischen Imams, geboren und aufgewachsen in einem Nil-Dorf bei Gizeh. Sein Leben war vorbestimmt: Später einmal sollte Hamed Abdel-Samad die religiöse Respekts-Rolle seines Vaters übernehmen. Doch er verließ die Enge seiner Heimat, lernte Englisch und Französisch in Kairo, Politikwissenschaften in Augsburg und Japanisch in Japan. Heute lehrt der 37-jährige Moslem an der Universität München die Geschichte der Juden in der islamischen Welt. Das Leben in der fremden Welt hat ihn verstört und bedrängt, er brauchte schmerzvolle Jahre, ehe er sich aus dem Kokon islamischer Zwänge schlüpfen konnte. Heute sagt er: „Ich bin ein Muslim, der vom Glauben zum Wissen konvertiert ist.“ Sein Buch ist keine Abrechnung mit dem Islam, es ist weit kraftvoller, denn Abdel-Samed strebt nach einem besseren, offeneren, menschlichen Islam und bricht dafür die drei großen Tabus der islamischen Welt: Religion, Sexualität und Politik. Sein Fazit, entwickelt aus einer Fülle verstörender Details: Der gegenwärtig praktizierte Islam habe abgewirtschaftet, er brauche „eine geregelte Insolvenz.“ Als das Buch in seinem Heimatort verbrannt werden sollte, predigte sein Vater in der Moschee: „Wir sollten uns ärgern, weil das, was Hamed geschrieben hat, tatsächlich überall geschieht, und nicht, weil er es geschildert hat.“ Es ist nur ein Buch, aber es ist doch auch
Propyläen Verlag 447 Seiten, 22,90 Euro
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Die Wahrheit über Die Linke
20 Jahre nach dem Fall der Mauer weht der böse Geist der DDR noch immer durchs Land. Von vielen unerkannt, von nicht wenigen aus opportunistischen Gründen ignoriert, konnte sich das ideologische Gedankengut der alten SED im Schoß der Linkspartei wie in einer politischen Wärmestube auch im vereinten Deutschland erhalten. Es ist ein Verdienst des Historikers Hubertus Knabe, das Bewusstsein über die fortwährende Wirkung der Erben Honeckers zu schärfen und die Fakten über eine der erfolgreichsten und frechsten Tarnung der deutschen Nachkriegsdemokratie aufzubereiten. Als Leiter der Gedenkstätte Hohenschönhausen, dem einstigen Machtzentrum des skrupellosen Stasi-Chefs Erich Mielke, ist sein Blick besonders geschärft auf das Treiben der alten Seilschaften. Er belegt, wie die SED durch Täuschung und Betrug sich unbeschadet in die neue Zeit hineinrettet und durch mehrfache Namensänderung ihre Herkunft verschleiert und salonfähig wird. Er beleuchtet das wenig bekannte Innenleben der Gysi-Lafontaine-Truppe und beklagt eine weitgehend unkritische Haltung der Medien gegenüber den SED-Nachfolgern. Knabe klärt auf, wo andere gerne vertuschen. LZ
Für einen mutigen Umgang mit dem Alter Fackelträger Verlag 192 Seiten, 17,97 Euro Der Schritt hat viel Aufmerksamkeit erregt: Vor drei Jahren zogen HansJochen Vogel (Jahrgang 1926) und seine Frau Liselotte (Jahrgang 1927) in das Münchner Altenstift Augustinum. Nicht Gebrechlichkeit hat sie dazu veranlasst, sondern der schlichte Grund, dass genau die Wohnung frei wurde, die sie sich bei ihrer Vormerkung Jahre zuvor erhofft hatten. Liselotte Vogel, die nur ungern im Scheinwerferlicht steht, war das Aufheben um ihre Entscheidung nicht recht, ihr Mann aber nutzte seine Prominenz als Ex-OB und ehemaliger SPD-Chef, um über zahlreiche Interviews einen dringend notwendigen Denkanstoß zu geben: Im Älterwerden rechtzeitig und noch selbstbewusst für die Zeit vorzusorgen, wo die Selbstbestimmung schwindet und Hilfe notwendig sein wird. Doch nun ist auch seine Frau an die Öffentlichkeit gegangen. Ihr Buch ist ein Appell, sich mutig den Unabwägbarkeiten des Alterns zu stellen, es ist ein Erlebnisbericht über den Weg ins Stift und über die ersten Jahre dort und es ist ein Ratgeber bei der Wahl der Wohnform im Alter, von der Alten-WG bis zum Pflegeheim. Ein ihr wichtiges Motiv, dieses wichtige Buch zu schreiben: „Denjenigen Mut machen, die sich bisher scheuten, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen.“ PS
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Veranstaltungen des Peutinger Collegiums
Willkommensgruß an den Benediktiner-Chef: Alexander Mettenheimer (oben links) begrüßt den Abtprimas in der Münchner Privatbank Merck Finck & Co. – Ernste Themen, heitere Stimmung (oben, von rechts): Peutinger-Präsident Prof. Dr. Walter Beck, Ex-Ministerin Christa Stewens und Chefredakteur Peter Schmalz.
Er redet der Wirtschaft ins Gewissen: Abtprimas Notker Wolf, OSB, mahnt bei seinem Vortrag im Bankhaus Merck Finck & Co besonders die Banker an ihre soziale Verantwortung.
Aufmerksame Zuhörer beim Vortrag von Wirtschaftsbeirats-Präsident Otto Wiesheu.
Ein Wächter für den Berliner Schreibtisch: Energie-Expertin Hildegard Müller freut sich über den bayerischen Löwen aus der Hand von Peutinger-Präsident Prof. Dr. Walter Beck.
Die Rotunde des Hotels Bayerischer Hof bot den stimmungsvollen Rahmen für das festliche Dinner nach dem Vortrag von Hildegard Müller (unten). Humorvolle Ankündigung des Referenten (v. r.): Der neue Wirtschaftsbeirats-Präsident Dr. Otto Wiesheu vor seinem Referat über die Soziale Marktwirtschaft, Dr. Sonnfried Werner, Chef der Bayerischen Beteiligungsgesellschaft, Dr. Jürgen Hofmann, Generalsekretär des Wirtschaftsbeirats, Rechtsanwalt Dr. Peter J.R. Koppe und Dr. Albrecht Schleich, Vorstand der RheinMain-Donau AG.
VORSCHAU
Veranstaltungen des Peutinger Collegiums 2010 Montag, 22. Februar 2010 Dr. Wolfgang Heubisch, MdL, Bayerischer Staatsminister für Wissenschaft und Forschung Montag, 22. März 2010 Gerd Sonnleitner, Präsident Deutscher Bauernverband e. V. und Bayerischer Bauernverband Dienstag, 13. April 2010 Henning von der Forst, persönlich haftender Gesellschafter der Fürst Fugger Privatbank KG Montag, 17. Mai 2010 Dr.-Ing. Manfred Bayerlein, Vorstandsmitglied, TÜV Süddeutschland Mittwoch, 16. Juni 2010 Dr. rer. pol. h. c. Frank-Jürgen Weise, Vorstandsvorsitzender der Bundesagentur für Arbeit, Nürnberg
Impressum Redaktion Peter Schmalz (Chefredakteur) Julius Beck Schellingstraße 92 D-80798 München redaktion@bayerischer-monatsspiegel.de Leserbriefe an die Redaktion oder an leserbriefe@bayerischer-monatsspiegel.de Verlag & Anzeigen Bayerischer Monatsspiegel Verlagsgesellschaft mbH Schellingstraße 92 D-80798 München Tel: +49 89 600 379-66 Fax: +49 89 600 379-67 www.bayerischer-monatsspiegel.de Herausgeber Prof. Dr. Walter Beck, Peutinger Collegium Gestaltung, Realisierung & Anzeigen NBB GmbH Ridlerstraße 33 80339 München www.nbbgmbh.de Druck Messedruck Leipzig GmbH Ostwaldstraße 4 04329 Leipzig www.messedruck.de
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Montag, 19. Juli 2010 Prof. Dr. Dr. h.c. Paul Kirchhof, Bundesverfassungsrichter a. D., Direktor des Institutes für Finanz-und Steuerrecht Universität Heidelberg. Überreichung der „Goldenen Peutinger-Medaille“ Donnerstag, 23. September 2010 Dr. Thomas Enders, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Luft-und Raumfahrtindustrie e.V. (BDLI), CEO von Airbus Montag, 18. Oktober 2010 Prof. Dr. Harald Lesch, Astrophysiker, Naturphilosoph, Institute for Astronomy and Astrophysics, Ludwig-Maximilians-Universität München Montag, 29. November 2010 Dr. Ludwig Spaenle MdL, Bayerischer Staatsminister für Unterricht und Kultus
Konrad Peutinger, der Namensgeber des Peutinger Collegiums, war einer der einflussreichsten Augsburger Bürger während der Wirren der Reformationszeit. Er war Berater zweier Kaiser, doch weder bei Maximilian I. noch bei Karl V. konnte er sein Bestreben, zwischen den streitenden Religionsparteien einen Ausgleich herzustellen, mit Erfolg krönen. 1465 in Augsburg geboren, wo er 82 Jahre später starb, studierte in Bologna und Padua, wurde Doktor beider Rechte und vertrat als Syndikus und Abgeordneter seine Heimatstadt bei mehreren Reichstagen. Toleranter, als es sein Kaiser wünschte, lud er auch Martin Luther zum Frühstück. Er korrespondierte mit Erasmus von Rotterdam, baute sich eine enorme reichhaltige Bibliothek auf und zählte auch den Nürnberger Kaufmann und Humanisten Willibald Pirckheimer zu seinen Freunden, der wiederum befreundet war mit Albrecht Dürer. Peutinger, von Kaiser Karl V. in den erblichen Adelsstand erhoben, war ein Verfechter der freien Marktwirtschaft, ohne dass er damals diesen Begriff gekannt hätte: Den ökonomischen Eigennutz zu verfolgen (propia utilitas), kurbele die die Wirtschaft an und führe zu gesteigertem Allgemeinwohl (commoditas publica). Noch heute bekannt ist er vor allem wegen der „Tabula Peutingeriana“, einer spätantiken Straßenkarte des Römischen Reiches, deren Veröffentlichung er vorbereitete, die jedoch erst nach seinem Tode erfolgen konnte.
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