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Bayern 2-magazin AUSGABE 03
Grenzenlos hรถren. GESPRร CH
BAYERISCHES
KULTUR
Belauschen Sie Daniela Arnu und Thomas Meyerhรถfer.
Harald Grill ist einem unterirdischen Geheimnis auf der Spur.
Ab in die Cloud. Was ist uns geistiges Eigentum wert?
Bayern 2 – preisgekröntes Radio CIVIS Medienpreis 2011 Hörspiel des Jahres 2010 Zonser Hörspieltage 2011
Friedrich-Vogel-Preis für Wirtschaftsjournalismus 2011 BVKJ-Medienpreis 2012 Medienpreis Mittelstand 2012
Hörbuch des Jahres 2011 Journalistenpreis Informatik 2011
Kurt-Magnus-Preis 2012 Wilhelm-Freiherr-von-Pechmann-Preis 2011
Deutscher Kinderhörspielpreis 2010 Herwig-Weber-Preis 2010 Exopharm-Medienpreis 2011
proDente Journalistenpreis 2011 Columbus Radio-Preis 2012
Prix Italia 2012 Dr.-Georg-Schreiber-Medienpreis 2012
»Es sind Hunderte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die täglich ›Ihr‹ Bayern 2 ins Radio bringen.«
editorial
Grenzenlos hören.
Liebe Bayern 2-Hörerinnen und -Hörer, liebe Leserinnen und Leser, dass wir, also »die vom Radio«, meist fast druckreif re den können, das ist kein Geheimnis. Wer will, kann das jeden Tag hören. Und in der Broschüre nachlesen, die Sie eben in der Hand halten. Das ist einerseits Talent sache, andererseits kann man zumindest das journalis tische Handwerk erlernen, das neben einer schönen Stimme und einer gewissen Extrovertiertheit am Mikro fon beim Radiomachen schlicht dazugehört. Vor allem, wenn man für ein Programm wie Bayern 2 arbeitet, bei dem es beileibe nicht genügt, gut gelaunte Sprüche zu machen, die Uhrzeit korrekt wiederzugeben und fehler frei merkwürdige Namen wie Jay-Z oder Gotye auszu sprechen. Bayern 2 ist ein Programm, das von erfahrenen Journa listinnen und Journalisten gemacht wird, die ihr Metier von der Pike auf gelernt haben. Sie kommen von den renommierten Journalistenschulen, haben ihr Fach an den großen Universitäten studiert, Hospitanzen und Vo lontariate absolviert. Und die meisten mussten in den Redaktionen, für die sie arbeiten, erst ganz klein anfan gen, ehe ihr Talent »hörbar« wurde und sie deshalb in die »Königsdisziplinen« aufgestiegen sind: als Mode ratoren und Korrespondenten, als Autoren großer Fea
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tures und eventuell auch als »Chefs« und »Chefinnen«, die Verantwortung tragen für die Inhalte, Konzeptionen und Formate ganzer Sendungen oder des gesamten Pro gramms. So hat ein Thomas Meyerhöfer, der seit Jahr zehnten auf Bayern 2 die »radioWelt« moderiert und damit für viele Tausend Hörerinnen und Hörer ein akustisches Frühstück für den Kopf serviert, als Hilfs redakteur im damals neu gegründeten »Verkehrssender Bayern 3« angefangen. Oder Achim Bogdahn, das Multi talent unter den Bayern 2-Stimmen: ursprünglich ein »Jugendfunker«, dann fast omnipräsenter ZündfunkModerator, Musikexperte, Talk-Gastgeber. Und vor al lem die Frauen am Mikrofon: Barbara Kostolnik am frühen Morgen, Barbara Knopf in der »kulturWelt«, die Kolleginnen, die »radioWissen«, das »Notizbuch« und das »Tagesgespräch« moderieren, andere, die zahllose Bei träge recherchieren, schreiben, sprechen, produzieren ... Es sind Hunderte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die täglich »Ihr« Bayern 2 ins Radio bringen. Und es sind natürlich nicht nur die Protagonisten, die man persön lich aus den Lautsprechern hören kann. Hinter und ne ben ihnen arbeiten und wirken viele, viele andere Kolle ginnen und Kollegen: Hochprofessionelle Toningenieure und Techniker in den Studios, ohne die eine »Kultur welle« wie Bayern 2 nicht halb so gut klänge; auch die Damen und Herren in den Sekretariaten tragen ihren
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Teil dazu bei, dass die Zahnräder dieses ebenso komple xen wie heterogenen Programms tagtäglich perfekt in einandergreifen. Immerhin produziert Bayern 2 »umge rechnet« jeden Tag ein rund vierhundert Seiten dickes Buch – weit mehr als jede Tageszeitung!
»Bayern 2 produziert täglich ein rund vierhundert Seiten dickes Buch.« Bayern 2-Programmbereichsleiter Wolfgang Aigner
Und sollte sich dabei gelegentlich jemand versprechen, ein nachdenkliches »Äh« zu viel in die ansonsten fast druckreife Spreche einbauen, eine Metapher danebengehen lassen oder gar im Kommentar eine Meinung ver treten, die nicht allen gefällt, dann bitte denken Sie da ran: Auch die Kolleginnen und Kollegen bei Bayern 2 sind »nur« Menschen, die versuchen, Ihnen, dem ge schätzten Publikum, all das Wissen und Können, das sie sich in vielen Berufsjahren angeeignet haben, so zu vermitteln, dass es Ihnen jeden Tag aufs Neue ein intel lektuelles Vergnügen ist, Bayern 2 einzuschalten und nicht nur nebenbei hinzuhören, sondern aufmerksam und »grenzenlos« zuzuhören.
Wolfgang Aigner
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inhalt
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06 Gespräch
06 »Sagen Sie mal ...« Unsere Moderatoren Daniela Arnu und Thomas Meyerhöfer über Gespräche und Interviews im Radio
gesellschaft
26 Feminismus Braucht’s das noch? Drei Frauen, die für die Abschaffung der Dominanz von Männern eintreten – vom Beginn der Frauenbewegung Ende der 1960er-Jahre bis heute.
Bayerisches
12 Unterirdisches Geheimnis Der Schriftsteller und Dichter Harald Grill erkundet Schrazellöcher und Erdställe in Bayern.
kultur
18 Wie kann Kultur in Zukunft leben? Ab in die Cloud Kultur-Konsum ohne Besitz
hintergrund
32 Wer schützt unsere Verfassung? Unser Grundgesetz, bis an die Zähne bewaffnet Geheimnis Kontinuität Unsere Verfassung im Schutz ihrer Feinde Eine unheilige Allianz Freie Kameradschaften, NPD und Verfassungsschutz
Kulturflatrate Pro und Contra Service radiokultur
24 Bayern 2 als Kulturradio »Kultur plus sehr viel X« Tagung »KulturRadio: Perspektiven und Potenziale«
36 Bayern 2 vor Ort Überall in Bayern
Bayern 2 – Grenzenlos hören. Hören Sie uns, klicken Sie uns, rufen Sie uns an!
Am Mikrofon Unsere Moderatorinnen und Moderatoren
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inhalt
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26 literatur
kabarett
40 Wir packen den Stier bei den Hörnern!
56 Ein kleiner Preis mit großer Wirkung Der Bayern 2-Wortspiele-Preis Ein Beispiel dafür, wie wir neue Literatur präsentieren und fördern.
Bayern 2 führt den »Salzburger Stier« in den Freistaat. Die Geschichte des internationalen Radio-Kabarett-Preises wurzelt in der Renaissance.
Auszug aus »Junge« Ein Roman von Sebastian Polmans, dem Preisträger im Jahr 2012
reportage
44 70 Tage Einsamkeit Mit dem Kanu auf dem Yukon durch Kanada und Alaska. Dirk Rohrbach ist Trappern, Jägern und Fischern begegnet, die vor allem auf der Suche nach Glück sind.
Radiokunst
60 »Der Klang gibt dem Gedanken Körper« Ein Gespräch mit Uwe Dick Sein »Lebenswerk« nennt der Schriftsteller sein Werk »Sauwaldprosa«.
wissen
50 Der Adler – Freiheit, Macht und Kraft Adler symbolisieren von alters her die Sehnsucht nach Höhenflügen aller Art.
musik
66 Gegen den Strom Wie rebellisch ist die Popmusik? Die Welt ist so komplex, dass sie sich nicht mehr mit ein paar Songzeilen erklären lässt.
Zwischenruf: Die Aktualität der Wissenschaft Bildungsboom im Radio 02
Editorial
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Programmschema
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Impressum
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gespräch
»Sagen Sie mal …« Über Gespräche und Interviews
Daniela Arnu von unserer Gesprächssendung »Eins zu Eins. Der Talk« und Thomas Meyerhöfer, Moderator der »radioWelt am Morgen«
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gespr채ch
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gespräch
A: Jetzt haben wir den Salat: zwei Moderatoren. M: Wieso ist das ein Problem? Sie haben angefangen zu moderieren, dann moderieren Sie jetzt mal. A: Wie lange? Sollen wir eine Uhrzeit ausmachen? M: Wie lange geht euer »Talk«? A: 53 Minuten minus vier Musiken sind ca. 40 Minuten Sprechzeit. M: Die »radioWelt« geht zweieinhalb Stunden, minus ein bisschen Musik. Aber da bleibt auch einiges zum Sprechen. A: Wir machen es anteilig? M: Aber ich würde sagen, dass die erste Frage doch Sie stellen. A: Ladys first. M: Ja, selbstverständlich.
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gespräch
Thomas Meyerhöfer fährt ausschließlich Autos der Marke Alfa Romeo und will im Restaurant nicht wissen, was dem Kellner schmeckt. Er moderiert seit 1989 die aktuelle Frühsendung »radioWelt am Morgen«.
A: Wären wir jetzt im »Talk«, dann würden wir hören, dass bei Daniela Arnu heute Thomas Meyerhöfer zu Gast ist, der Chefmoderator des Bayerischen Rund funks, zu hören immer wieder in der »radioWelt am Morgen« auf Bayern 2, und meine erste Frage an ihn ist: Erinnern Sie sich noch an einen Moment am Mikrofon, in dem Ihnen total heiß geworden ist? M: In der »radioWelt am Morgen« gab es mal einen Mo ment, da kamen die Schlagzeilen um halb, diese Kurz nachrichten, nicht. Es war eine relativ übersichtliche Themenlage an diesem Tag, und man muss ja, wenn man eine solche Sendung moderiert, einigermaßen wissen, was los ist. Also habe ich die Schlagzeilen aus dem Steg reif gesprochen. Habe gesagt, dass der Bundestag zu sammengetreten ist, um dies und jenes zu beraten, und dass die Konferenz in Washington in den zweiten Tag geht und noch paar so Kurzthemen und dass das Wetter weiterhin wechselhaft bis heiter ist. Da habe ich einen Moment schon Nerven gespürt. A: Sind Sie überhaupt noch nervös vor einer Sendung? Es gibt ja Leute, die sagen, wenn man nicht mehr nervös ist, sollte man aufhören. M: Tja, dann müsste ich, ehrlich gesagt, schon seit einer ganzen Weile aufgehört haben, weil ich wirklich nicht mehr nervös bin. Und zwar schlicht und einfach aus der Erfahrung heraus, dass es nur Radio ist. Dass nicht wirklich etwas passieren kann. Ich kann mich nur selbst ein bisschen blamieren – aber da hat man in meinem Alter auch keine Angst mehr davor. A: Was ist dann noch der Reiz? M: Der Reiz ist, eine einigermaßen attraktive und an
sprechende Frühsendung in diesem speziellen Bayern 2Format so zu gestalten, wie auch ich sie gerne hören würde. A: Die Sendung startet um sechs Uhr, wann müssen Sie aufstehen? M: Viertel nach drei. A: Wäre für mich eine Riesenquälerei. M: Ich gehe sehr gerne früh schlafen – immer. A: Ich geh gerne früh schlafen und schlaf lang. M: Wenn man um Viertel nach drei aufstehen muss, hat man eine wirklich ideale Ausrede, um am Abend alles sehr früh abzubrechen und zu sagen: »Weißt was, ich geh jetzt schlafen«. Ich gehe, wenn ich die Frühsen dungswoche habe, für gewöhnlich so um Viertel vor acht ins Bett, dann lese ich noch ein bisschen und spä testens um halb neun mach ich’s Licht aus. Das heißt, ich habe fast sieben Stunden Schlaf. Und ich weiß, wenn ich um drei Uhr fünfzehn aufstehe, dass ich spätestens um neun wieder in meinem Bettchen liege. A: Und wie lang schlafen Sie dann? M: Dann schlaf ich noch mal bis zwölf. Ich schlaf in den Wochen mit Frühdienst viel mehr als sonst. A: Was wollten Sie werden, als Sie zehn waren? M: Auf einem Fragebogen in der Schule habe ich mal geschrieben Tellerwäscher oder Weltherrscher … A: Beides nichts geworden. M: … oder doch Lokführer. Und später dann am ehesten noch Schriftsteller – ist auch nichts geworden. A: Und warum ist es Radio geworden und wie? M: Eigentlich durch reine Zufälligkeiten: Ich habe einen Studentenjob bekommen, das war 1973, da wurde
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gespräch
in dem damals relativ neu gegründeten Bayern 3 jemand gesucht, der Italienisch konnte. Da sollte es Reiserufe geben, die – warum auch immer – auf Italienisch ge bracht werden sollten. Daraus hat sich alles sehr, sehr schnell ergeben. Das hat mir mehr Spaß gemacht als das Studium. A: Was haben Sie studiert? M: Germanistik, Latein und Italianistik. A: War Ihnen klar, dass Sie eine besondere Stimme ha ben? Es gibt wohl kaum einen anderen bei Bayern 2, der so bekannt ist vom Namen her wie Sie und der eine so markante Stimme hat. M: Ich glaube, ehrlich gesagt, dass diese Bekanntheit weniger an einer herausragenden Stimme liegt als schlicht und einfach am Zermürbungsfaktor, wenn man jahrzehntelang mit ein und derselben Stimme im Radio bombardiert wird. A: Sie sind einfach lästig geblieben! M: Genau, ja. Aber, Frau Arnu, wir reden jetzt die ganze Zeit von mir. Wenn ich jetzt ein Schriftsteller wäre, würde ich sagen, reden wir doch über Sie, wie hat Ihnen mein neues Buch gefallen? A: Ich könnt Ihnen sagen, wie mir Ihre Sendungen in der vergangenen Woche gefallen haben. M: Nein, nein, das werden Sie mir jetzt nicht sagen. Andere Frage: Bei mir ist das Interessante im Vorfeld der Sendung sicher das frühe Aufstehen. Das spielt bei Ihnen nun überhaupt keine Rolle. A: Gott sei Dank! M: Aber worum ich Sie nicht beneide oder was ich mir zumindest hart bis schrecklich vorstelle, das ist, wenn man einen Studiogast hat in »Eins zu Eins«, der bei spielsweise mehrere dicke Bücher geschrieben hat. Und der doch von einem, der ihn eine Stunde lang befragt, wohl erwartet, dass man diese Bücher kennt. Was ma chen Sie da?
Daniela Arnu spricht von »ihrer kleinen Freiheit«, wenn sie das Fahrgefühl in ihrem roten Fiat 500 bei offenem Dach beschreibt. Bei uns ist sie als Redakteurin zuständig für »Eins zu Eins. Der Talk« und moderiert dort auch regelmäßig.
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A: Wenn jemand kommt, der fünf Bücher geschrieben hat, lese ich das aktuelle ganz und die anderen lese ich an. Schlimm wird es, wenn es Bücher sind, die einem nicht gefallen – aber Gott sei Dank passiert das relativ selten. Man ist sogar manchmal positiv überrascht. M: Wie viel Zeit haben Sie dafür, wie lang vorher wissen Sie, wer kommt? A: Also in der Regel weiß man schon ein, zwei Wochen vorher, dass jemand kommt. Ich lese die Bücher eigent lich nicht während der Dienstzeit, für ein Buch brauch ich dann schon auch mal eine Woche, in der ich es im mer abends lese. Und insgesamt kostet mich die Vorbe reitung auf einen Gast drei Tage. M: Das heißt, dass Sie die Arbeit wirklich ins Private verfolgt? A: Ja! M: Das ist bitter. Das ist zum Beispiel einer der Riesen vorteile, der mich an der Aktualität im Radio immer so gereizt hat, dass einen das überhaupt nicht nach Hause verfolgt. Wenn die Sendung vorbei ist, kann man’s eh vergessen, aber auch davor: Da muss man sich nicht groß zu Hause auf etwas vorbereiten. A: Darum beneide ich Sie, weil das tatsächlich bei mir nicht geht. Wir haben das Glück im Vergleich zu ande ren Talksendungen, die jeden Tag denselben Moderator haben, dass wir nur einmal die Woche – und ich sogar nur alle zwei Wochen – drankommen und tatsächlich viel Zeit für die Vorbereitung haben. M: Zeichnen Sie eigentlich lieber auf oder machen Sie es lieber live? A: Ich gestehe, dass ich früher lieber live gemacht habe und heute lieber aufzeichne. Ich war früher mutiger. M: Das zeigt aber, dass Sie ein sehr gewissenhafter Mensch sind, bei Ihrer Arbeit. Ich mache hundertmal lieber live, als dass ich was aufzeichne, aber mir ist auch ganz klar, warum; Bei mir ist das schlicht und einfach
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»Der Reiz ist, eine einigermaßen attraktive und ansprechende Frühsendung in diesem speziellen Bayern 2-Format so zu gestalten, wie auch ich sie gerne hören würde.«
Faulheit. Denn live: Dann ist es übern Sender und kann einem keine Arbeit mehr machen – vielleicht noch Ärger, aber keine wirkliche Arbeit mehr. Aber jetzt sind wir schon wieder bei mir – kommen wir wieder zu Ihnen. Gerade hab ich so getan, als ob ihr nur Schriftsteller interviewt. Es kommen zu euch ja auch Leute … sagen wir mal Jongleure oder welche, die irgendeine komische Ich-AG gegründet haben, die mich absolut überhaupt nicht interessieren. Wie schafft man es, mit so jeman dem ein anhörbares Gespräch zu führen? A: Da wären wir jetzt bei der Planung der Sendung und bei den Kollegen, die das Ganze vorbereiten. Denn da mit es eine spannende Stunde für den Hörer und für den Moderator wird, muss in der Vorbereitung von den Pla nern jemand gesucht werden, der ein besonderer Jong leur ist und viel zu erzählen hat. Ich bin da manchmal sogar ehrgeiziger als bei einem Prominenten, der Me dienerfahrung hat, es zu schaffen, dass man dem eine Stunde gerne zuhört. M: Das ist eigentlich der ganz große Reiz eurer Sen dung. Nicht, dass jemand kommt, den man eh schon mag und von dem man eigentlich eh schon alles weiß. A: Wenn Sie einen Interviewpartner haben, was spre chen Sie vorher mit dem ab? M: Gar nichts. Es gibt natürlich den Fall, dass die Re daktion, die jemanden als Gesprächspartner akquiriert, ihm sagt, worum es gehen soll, manchmal will der dann Fragen haben – wenn es ganz dumm geht, dann verlässt der sich darauf, dass ich die Fragen in dieser Reihen folge stelle, und wird schrecklich enttäuscht werden. A: Das ist wie bei uns. Denn es ist schon immer sinnvoll zu sagen, ich bin so frei, mich von dem Fragenkatalog zu lösen, weil ich zuhöre im Gespräch.
M: Das ist das Allerwichtigste. Ich frage das, von dem ich annehme, dass es das ist, was die meisten Leute interessieren wird. A: Wie viel vom Eigenen lassen Sie zu oder dürfen gene rell Moderatoren zulassen? M: Ich finde möglichst wenig. Weil ich unseren Job als einen Kellner-Job verstehe, als eine reine Dienstleis tung. Und mich interessiert im Lokal ja auch nicht, ob es dem Kellner schmeckt. Er kann vielleicht sagen, dass es anderen Gästen geschmeckt hat, aber sein persönlicher Geschmack interessiert mich nicht. Ich vergleiche uns am allerliebsten mit U-Bahn-Fahrern: Wir sind Dienst leistende im öffentlichen Dienst, und mich interessiert doch nicht, ob der U-Bahn-Fahrer, der mich zum Rot kreuzplatz bringt, eigentlich lieber zur Münchner Frei heit fahren würde. Ich möchte noch Klaus Cleber zi tieren, der mal gesagt hat: »Moderatoren sind keine Journalisten, sie sind Journalisten-Darsteller.« Je län ger man darüber nachdenkt, desto eher hat er für meine Begriffe recht. A: Wäre das ein schönes Schlusswort? M: Ja.
Hören Sie sich das ganze Gespräch an unter www.bayern2.de bei »Empfehlungen« oder über den QR-Code
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Unterirdisches Geheimnis SchrazellÜcher und Erdställe in Bayern Vo n H a r a ld Gr ill
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Lange bevor es U-Bahnen und Verkehrstunnel gegeben hat, gruben Menschen in Bayern, Österreich und Ungarn Röhren, Gänge und Kammern unter Bauernhäusern, Kirchen und Burgen. »Schrazellöcher« werden sie hierzulande genannt. Diese mittelalterlichen Anlagen sind oft so eng und niedrig, dass sich nur Kinder darin frei bewegen können. Harald Grill hat sich in dieser rätselhaften Unterwelt umgeschaut.
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ördlich des Regentals zwischen Roding und Cham in der Oberpfalz, nah der Marktgemeinde Stams ried, befindet sich in einem Wiesengrund die Rabmühle. Daneben – oder besser: Dahinter, darunter, unter einer begrasten Hügelschwelle gibt es ein Schrazelloch, ein uraltes Höhlenlabyrinth mit geheimen Gängen und Kammern. Johann Keil ist in der Rabmühle aufgewach sen. Der Bach neben der Mühle und vor allem auch das Schrazelloch gehören zu seinen ersten Spielplätzen: »Normal, sagns s, wo a Schrazelloch is, is aa a alte Sied lung gwen. Do miassert de Rabmühl praktisch a alte Siedlung sei.« Die Umgangssprache kennt für solche unterirdischen Anlagen eine ganze Reihe von Namen: Zwergenloch, Erdweiblschlupf oder Erdweiblschliaf, Alraunhöhle, Hollerloch, Geisterhöhle, Jungfrauenhöhle, Seelenkammer oder eben Schrazelloch. Der oberpfälzische Sagen- und Brauchtumsforscher Franz Xaver Schönwerth hat sich Mitte des 19. Jahrhun derts erzählen lassen, was unsere Vorfahren von Gene ration zu Generation weitergegeben haben. In seinem dreibändigen Werk »Aus der Oberpfalz: Sitten und Sa gen« gibt er auch über die oberpfälzischen Zwergenvöl ker Auskunft: »In den südlichen Theilen der Oberpfalz, nach Ost und West hin, gelten die Zwerge als kleine 14
Leute, welche in dem Innern der Berge hausen gleich den Menschen auf der Erde, und zu diesen öfter heraus kommen, um ihnen bey der Arbeit zu helfen, wofür sie mit den Speiseresten sich begnügen. (…) Die vielen un terirdischen Gänge, ihre Arbeit, die man jetzt noch sieht, geben von ihrem Daseyn Zeugniß.« Johann Keil führt mich quer über die Wiese neben dem Haus. Mitten in einen Hügelrücken versenkt, ist eine Tür. Er sperrt auf. Vor uns liegt ein enger, dunkler, mannshoher Gang, des sen Wände mit Ziegelsteinen ausgemauert sind. »Ent deckt wordn is s so 1914 umanand. Des is mei Großvat ter gwen mit ana Tochter. De ham do irgendwo an Sand grabn. Und dann sans do eibrocha. Und nach m Zwoatn Weltkriag is s erscht richtig erforscht wordn.« Wir ge hen ein paar Schritte weiter in die Höhle. Johann Keil schaltet seine Lampe an: nirgendwo mehr Ziegelsteine, auch keine Stützbalken. Wände und Decke sind jetzt aus blankem Fels. »Do gehts no weit hinte, 30 Meter is s scho no. Da gehts na rechts so hintre und da, links, do is der Brunnengang. Und do geht na wieder quer a Verbin dungsgang auf den hi. Des is aber alles, was herinert is. Mehr Gänge san net. Ganz do hint is dann no so a kloans Loch, a Dürrer kaannt vielleicht durchschliafa. Des geht schräg nach oben. Da habns gmoant des is praktisch a Lüftungsloch.« Meine Heimatregion hat mir auf einmal ein anderes Gesicht offenbart. Sie birgt Geheimnisse un ter ihrer Oberfläche, von denen ich nichts geahnt habe. Stätten unter der Erde Im Passauer Römermuseum kann ich mit dem Muse umsleiter und Stadtarchäologen von Passau Dr. JörgPeter Niemeier sprechen. Allein in Bayern seien an die 700 solcher Höhlensysteme verzeichnet, erzählt er. So etwa in Teunz, Vohenstrauß, Waldmünchen, Rötz, Cham, Roding, Michelsneukirchen, Viechtach, Saldenburg, Röhrn bach, Hauzenberg, Untergriesbach, Deggendorf, Hengersberg, Geisenhausen, Unterneukirchen, Tittmo ning, Aying, Glonn und Etting bei Ingolstadt. Charakte ristisch für einen Erdstall sei eben die labyrinthartige, anscheinend vollkommen willkürliche Anlage, erzählt mir Jörg-Peter Niemeier. Das Wort »Erdstall« hat nichts zu tun mit einem Stall für Tiere, sondern bedeutet erst einmal nur eine Stelle, eine Stätte unter der Erde. Der Begriff wird bereits seit dem 19. Jahrhundert in der wissenschaftlichen Literatur für die Schrazellöcher ver wendet. Nikolaus Arndt vom Arbeitskreis für Erdstall forschung schließt sich unserem Rundgang im Römer museum an. Er ist Geografielehrer und Ingenieur, einer, der sich auskennt mit unterirdischen Systemen, einer, der in Indien U-Bahnen gebaut und in Libyen fossiles Grundwasser durch die Wüste geleitet hat: »Die Größe dieser Stollen bewegt sich von 1,50 Meter in der Höhe und 60 Zentimeter in der Breite. Die Durchschlupfe ha ben ungefähr einen Durchmesser von 45 Zentimeter. Sie gehen manchmal senkrecht runter, manchmal waag
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recht und speziell hier im Bayerischen Wald auch in die Schräge.« Erdställe waren von Anfang an weder als Ge heimgänge noch als Vorratsräume gedacht. Über Sinn und Zweck rätseln Laien und Wissenschaftler bis heute. Viele Erdställe weisen bauliche Details auf, die auf die Nutzung als Zufluchtsort hinweisen, etwa Verriege lungsvorrichtungen, die nur von innen bedient werden können. Erdställe, die in direkter Verbindung mit mit telalterlichen Wehranlagen stehen, untermauern eben falls die Schutzraum-These, meint auch Nikolaus Arndt: »Erdställe findet man ganz selten einfach zufällig im Wald. Sie sind immer im Bereich frühmittelalterlicher Besiedelung. Siedlungsgeschichtlich sind die Erdställe im höchsten Maße interessant.« Die Kultstätten-These geht davon aus, dass es sich um symbolische Leergräber handelt. Sie sollen von mittel alterlichen Siedlern am neuen Wohnort gegraben wor den sein, um für die Seelen ihrer Ahnen ein neues, sym bolisches Grab anzulegen, weil sie die alten Gräber an ihren früheren Siedlungsorten zurücklassen mussten. Eine weitere These spricht in Bezug auf die Durch schlupfe auch von Reinigungsritualen. Jörg-Peter Nie meier ist allerdings skeptisch: »Dass man hier irgend welche Opferungen oder Reinigungsrituale gemacht hat, scheidet eigentlich aus. Weil die Erdställe nicht be nutzt worden sind: Die wurden angelegt und dann wur den sie verschlossen.« Wenn keine Gebrauchsspuren vorhanden sind, dann können dort auch keine Rituale oder kultische Veranstaltungen stattgefunden haben. Das klingt logisch.
Wartezimmer des Jüngsten Gerichts Eine Variante der Kultstätten-These bringt allerdings den Begriff »Seelenkammer« ins Spiel. Der 2007 verstor bene Heimatforscher Anton Haschner aus Markt In dersdorf vermutete in den Erdställen einen vorüberge henden Aufenthaltsort der Seelen von Verstorbenen, an dem sie die »Wartezeit« bis zum Jüngsten Gericht ver bringen würden. Die Lebenden wollten damit vermei den, dass die Verstorbenen Angst und Schrecken unter den Menschen verbreiten. Erst als sich die theologische Vorstellung des Fegefeuers Ende des 11. Jahrhunderts herausbildete, hörten die Menschen damit auf, Erd ställe zu errichten, da sie die Seelen nun sicher an ei nem jenseitigen Ort aufgehoben glaubten. Dazu passt, dass manche Gänge und Kammern Baumerkmale wie etwa Spitzbögen aufweisen, die an Kirchen erinnern.
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Und dann ist da noch die Sache mit den Mühlsteinen: Wir bleiben vor dem Foto eines Mühlsteins stehen, den ich schon im Original im Schrazelloch bei der Rabmühle gesehen habe. Nikolaus Arndt kennt ihn natürlich auch: »Das ist einer der ältest datierten. Der Mühlstein ist groß. Man hat bei der Erkundung des Erdstalls den so genannten Bauhilfsschacht entdeckt und dieser Bau hilfsschacht ist mit größeren Steinen zugemauert. Der Mühlstein konnte nur durch diesen Bauhilfsschacht reingebracht worden sein. Danach wurde der Erdstall zugemacht.« Und Jörg-Peter Niemeier ergänzt: »Die Mühlsteine haben mit der Bedeutung, mit der Funktion der Erdställe zu tun. Dafür gibt es aber keine schriftli chen Überlieferungen. Es wird spekuliert: Der Mühl stein ist ja das Symbol für das vergehende Leben, wie es langsam zermahlen wird. Das führt zu der Interpreta tion, dass die Erdställe sogenannte Seelenkammern waren.« Wenigstens aber konnte man aufgrund der Un tersuchungen des Materials von Verfüllungen mit der sogenannten C-14-Methode den Entstehungszeitraum der Erdställe abgrenzen. Der Erdstall der bayerischen Höcherlmühle bei Teunz ist nach einer Datierung aus dem Bauschacht frühestens zwischen dem Ende des 10. und der Mitte des 11. Jahrhunderts nach Christus ge baut worden. Holzkohle aus dem Erdstall von Trebers dorf, die ebenfalls mittels C-14-Methode datiert wurde, erbrachte einen Zeitraum von 950 bis 1050. 16
Zuhause von Feen und Zwergen Wissenschaftlich beschäftigt man sich erst seit Mitte des 19. Jahrhunderts mit den Erdställen. Einige Auto ren dieser Zeit verglichen sie mit Totengrüften und römischen Katakomben, mit den labyrinthischen Grab anlagen in Kleinasien und Ägypten. Andere wiederum sprechen von altheidnischen Tempeln oder einem Kult der Erdmutter. Der angesehene Historiker und Volks kundler Johann Nepomuk Sepp kam 1879 in einem Auf satz über »Die labyrinthischen Berggänge in Altbaiern« zu dem Schluss, dass wir es mit künstlichen Grab gängen zu tun haben: »Dass sie als Sitz der Schicksals schwestern, als Zwerg- und Schrazellöcher sowie als Behausung der Feen gelten, besagt eben, dass man die Geister der Verstorbenen, die auch zwergenhaft erschei nen, darin heimisch dachte.« Als Pionier der Erdstall forschung gilt der Benediktiner-Pater Lambert Karner aus dem Stift Göttweig. Er untersuchte zahlreiche Erd ställe und publizierte 1903 seine Forschungsergebnisse in dem Buch »Künstliche Höhlen aus alter Zeit«. In Bay ern setzte sich Karl Schwarzfischer aus Roding in der südlichen Oberpfalz seit den 1950er-Jahren intensiv mit den Erdställen auseinander und gründete 1973 den Arbeitskreis für Erdstallforschung. Er gilt als der Weg bereiter der Erdstallforschung im deutschsprachigen Raum. Der Arbeitskreis hat rund 250 Mitglieder. Eine amtliche Erforschung der Erdställe gibt es nicht. Im Landesamt für Bodendenkmalpflege werden sie le diglich registriert. Der Arbeitskreis für Erdstallfor schung ist die einzige Institution, die sich ernsthaft mit dem Thema in Bayern und Österreich auseinandersetzt. Immerhin untersuchte das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege zusammen mit dem Arbeitskreis für Erdstallforschung im Sommer 2011 als erste deutsche Denkmalschutzbehörde einen Erdstall im oberbayeri schen Glonn und erkannte damit die denkmalpflege rische Bedeutung der Erdställe an.
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Schoß der Mutter Erde Wäre es nicht möglich, dass das Bauen der Erdlabyrin the selbst schon eine kultische Handlung war? Das Höhlenbauen als heilige Handlung, als ein archaischgenetisches Grundmuster, das in uns Menschen seit Ur zeiten angelegt ist. Die Verehrung der Mutter Erde als Ahnin ist eine der frühesten religiösen Kultformen. Aus der Erdmutter entstanden der Kosmos, die Erde, die Tiere, Pflanzen und Menschen. Sie ist Beschützerin, Rat geberin und Lebensspenderin. Ihre Kräfte symbolisie ren Wandlung und Wiedergeburt. Man verehrte sie an heiligen Plätzen, aber auch in Höhlen, und spricht man nicht noch heute vom »Schoß der Mutter Erde«. Sei’s, wie’s mag: Es bleibt bei der Beschäftigung mit dem Phänomen der Erdställe derzeit nur die Erkenntnis, dass wir es mit einem der letzten ungelösten Rätsel der Ge schichte Mitteleuropas zu tun haben. Eine Herausforde rung, ja fast eine Provokation in einer Zeit, in der jedes Problem so schnell wie möglich gelöst, jedes vielschich tige Geheimnis auf einfachstem Niveau erklärt werden soll, um dann in einer Schublade zu verschwinden. Aber hat es denn nicht etwas Tröstliches, dass sich uns noch nicht alle Geheimnisse geöffnet haben? Und macht das Rätselhafte eine Sache nicht erst interessant?
Harald Grill ist Schriftsteller und Dichter, der auch im Dialekt schreibt. Er liebt seine Heimat und ganz besonders die Oberpfalz und die Menschen, die dort leben. Dieses Thema hat er für »Zeit für Bayern« bearbeitet, eine Sendung mit regionalen Informationen und vertiefenden Blicken auf die Eigenheiten der Menschen.
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»Das ist reines Banausentum und es geht immer nur gegen die Künstler, und das finde ich höchstgradig unangenehm.«
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»Das Plagiat müsste daher eine Sache der Ehre sein und von dieser zurückgehalten werden – Gesetze gegen den Nachdruck erfüllen daher ihren Zweck, das Eigentum der Schriftsteller und der Verleger rechtlich zu sichern, zwar in dem bestimmten, aber sehr beschränkten Umfange.«
Wie kann Kultur in Zukunft leben?
G e org W i lh e lm Fri e dri ch H e ge l, Ve rt re t e r de s D eu tschen I d eal is mu s
»M öge auch einmal die S tunde schlagen, wo das geistige E igentum des S chriftstellers ebenso ernsthaft anerkannt werde wie das baumwollene Eigentum des Nachtmützenfabrikanten.«
H ein rich H e i n e , de u tsch e r D i cht e r
E le m e n t- of - C ri m e - S ä n ge r S v e n R e ge n e r, a u s zu g a u s de m i n t e rv i e w
»Wir würden ein starkes Element der Demokratie in Mitteleuropa beschädigen, wenn wir die öffentliche, politische Verantwortung für Kultur ruinierten. Dieses Selbstverständnis als Kulturstaat, das ist ganz essenziell. Und wer das alles den Marktgesetzen überantworten will, der zerstört Element.« »Wenn jeder Autor, der ein Honorar für eine dieses Geschichteidentitätsstitende erhält, die ihre Entstehung Poe verdankt, den Zehnten für ein Monument des Meisters abgeben müsste, dann ergäbe das eine Pyramide Ju li a n N i da - R ü m e li n , P rof e ss or f ü r so hoch wie die von Cheops.«
P h i los ophi e , S ta ats m i n i st e r a . D .
S ir Arth ur Conan Doyle, bri ti scher A rzt u n d S chri ftst e lle r
»Es gibt kein geistiges Eigentum. Sobald eine Idee ausgesprochen ist, ist sie frei, denn: Wer eine Idee von mir empfängt, mehrt dadurch sein Wissen, ohne meines zu mindern, ebenso wie derjen ige, der seine Kerze an meiner entzündet, dadurch Licht empfängt, ohne mich der Dunkelheit auszusetzen.« T ho m a s J e ffe rso n , a me r ika n isch er Staatstheoreti ker
»Die Leute haben für alles Geld, aber wir sollen alles umsonst machen. Was soll das?« E le m e n t- of - C ri m e - S ä n ge r S v e n R e ge n e r, a u s zu g a u s de m in t erv iew
Mit seinem Pamphlet für das Urheberrecht im Zündfunk löste der Autor und Element-of-Crime-Sänger Sven Regener eine längst überfällige Diskussion über den Stellenwert von Kultur und Kulturschaffenden in unserer Gesellschaft aus. Hören Sie sich das ganze Gespräch an unter www.bayern2.de oder über den QR-Code.
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Ab in die Cloud Kultur-Konsum ohne Besitz V o n Micha e l B a rtl e
Liebe Leser, Sie sind ganz schön verwegen. Oder altmodisch. Wäh rend eine Menge Menschen nur noch von der Cloud re det, der großen virtuellen Tiefgarage, in der sie all ihre Artikel, Bücher und Musik geparkt haben, lesen Sie die sen Beitrag noch auf Papier. Am Ende hören Sie Musik noch auf Festplatte? Oder als CD? Ach, hören Sie doch auf damit! Vor einigen Wochen habe ich wie so viele meiner Generation (ich bin Jahrgang 1967) schwe ren Herzens Kultur-Feng-Shui vollzogen. Einen ganzen Koffer voller CDs habe ich aussortiert. Plastikmüll! Mittlerweile höre ich Musik vorwiegend im Radio oder in einem der neuen Streaming-Dienste. Das sind gigan tische Jukeboxen, die man für einen monatlichen Betrag anmieten muss, will man nicht andauernd Werbung über sich ergehen lassen. Diese neuen, riesigen Wur litzer beherbergen in ihren Bäuchen 20 Millionen und mehr Songs, sind aber so federleicht, dass sie ihre Fracht an jeden Zipfel der Welt transportieren können. 20 Millionen Songs, das sind ungefähr 70 Millionen Mi nuten Musik. Ich könnte also 13 Jahre meines Lebens Tag und Nacht, in jeder Sekunde Musik hören, ohne dass sich auch nur ein Song doppelt. Keinen einzigen davon muss ich besitzen.
The medium is the message. Die Geschichte der Kultur ist eine Geschichte der Formate: Und die Cloud könnte das Format aller Formate werden, ein Nicht-Format, selbst konturlos, das zudem alle anderen pulverisiert. Die Cloud ist der virtuelle Speicherplatz, auf den man mit Smartphones oder Computern zugreifen kann – überall dort, wo ein Netz besteht. Die Cloud ist eine beim Provider angemietete Kultur-Garage, in der wir in Zukunft eine Menge unserer Kultur parken werden und über die wir neue Kultur gestreamt bekommen. Die mo bile Nutzung von Musik, dieser gestaltlosen »Trägerin von Ideen«, wie es die deutsche Band Kraftwerk genannt hat, ist erst der Anfang. Noch haben wir zu Hause ein überquellendes Bücherregal und ein Zeitungsabonne ment, aber immer öfter steht der Laptop mit auf dem Frühstückstisch oder wandert mit ins Bett.
> Am Anfang war das Wort So heißt es in der Bibel. Interessanterweise ist das Buch der Bücher, also der Bestseller schlechthin, kein Fall für eine Urheberrechtsdebatte. Gemeinfrei, also von allen nutz- und verwertbar, werden Werke nach aktuellem Urheberrecht 70 Jahre nach dem Tod des Schöpfers. Der Urheber der Bibel, also Gott, von dem nur einige wenige vergeblich behaupten, er sei tot (etwa Nietzsche), legt hingegen zeit seines Lebens erheblichen Wert darauf, dass man sein Wort verbreitet. > Antike In der Antike kennt man kein Urheberrecht, aber schon Plagiate. Als ein gewisser Fidetinus die Werke des Dichters Martial als die seinen ausgibt, bezeichnet dieser ihn als »plagiarius«, als Menschenräuber.
> Mittelalter Auch im Mittelalter gibt es noch kein Urheberrecht. Dennoch werden Urheberrechtsverletzungen schon bestraft, und zwar mit einem Mittel, das in die Zeit passt: dem guten alten Fluch. Der Rechtsgelehrte Eike von Repgow zum Beispiel wünscht kurzerhand jedem, der seine Werke verfälscht, die Lepra an den Hals. > Um 1450 Im Spätmittelalter setzt sich langsam, aber sicher der Buchdruck durch. Bis dahin schreiben gemüt liche, biertrinkende Mönche in Klöstern Bücher ab, Buchstabe für Buchstabe. Das Kopieren ist eine langwierige, meditative und geradezu sakrale Tätigkeit. Doch bald geht es weit profaner zu: Der Buchhandel entsteht und damit auch die Druckindustrie. Immer noch kein Urheberrecht. > Ab 1475 Die Druckprivilegien setzen sich durch. Nur bestimmte Drucker dürfen eine Schrift drucken, wenn ihnen das Recht dazu von der weltlichen oder geistlichen Macht erteilt wurde. Dadurch entsteht aber auch die Frühform der Kulturpiraterie: Schwarzdrucker drucken Werke ohne Autorisierung nach und fluten den Markt mit billigen Kopien.
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Kultur und die Art, wie wir sie produzieren, wahrneh men und gebrauchen, wird sich also ein weiteres Mal fundamental verändern. In Zukunft werden wir Kultur vielleicht kaum mehr besitzen, müssen dafür aber auch keine Kisten von Büchern und CDs ins Auto hieven, wenn wir umziehen oder in den Urlaub fahren. Es ist der Beginn von Kultur-Konsum ohne Besitz. Und damit der Abschied vom Haben. Stattdessen wird es um »Ac cess« gehen, um Zugänge. Wenn ich von jedem beliebi gen Platz auf Erden Zugriff habe, nicht nur auf meine angehäufte Kultur, sondern potenziell auf die gesamte Kultur der Menschheit, auf jeden Film, der jemals ge dreht wurde, jedes Buch, das jemals geschrieben wurde, auf jede Radiosendung, die jemals gemacht wurde, dann wird das eine Menge verbessern, aber auch eine ganze Menge an Fragen aufwerfen. Wie verändert die Cloud unsere emotionale Bindung und Beziehung zu Musik und Kultur, wenn wir sie nicht mehr besitzen, anfassen, streicheln können? Werden wir unsere Musik anders hören, wenn sie zu einer reinen Link-Liste zusammen geschmolzen ist? Verdirbt uns die Allgegenwart, die schiere Möglichkeit, alles mit einem Klick herzuholen, nicht den Entdecker-Geist? Wollen wir nicht zu unserer Kultur hinreisen, zu unserer Lieblingsbuchhandlung, unserem Plattendealer, dem kompetenten Nerd in der Videothek, der uns immer so schön obskure Filme emp fohlen hat? Was, bitteschön, ist mit dem menschlichen Faktor? Wir werden Bücher doch nicht noch ein zweites, drittes Mal aus dem Kindle ziehen wie aus dem Regal, liebevoll betatschen, aus Versehen mit Rotwein besu deln? Werden wir in diesem Daten-Ozean überhaupt Unterscheidungen treffen können, welche E-Books bes ser und welche schlechter waren? Denn unsere Erinne rung, da bin ich mir sicher, benötigt doch Konturen, Anhaltspunkte, Fassbares. Gehören zu unserer Kultur nicht auch die Spuren ihrer Benutzung, der Kratzer, das
Eselsohr, das Altern und Vergilben oder ist das nur ein nostalgischer Flashback von gestern? Netzvordenker wie der Buchautor, Berater und Spiegel-Online-Kolum nist Sascha Lobo pfeifen auf Nostalgie. Und sind prag matisch. Kein Mensch brauche doch ernsthaft den digi talen Hänger auf der CD, den Kratzer auf der Platte, das Sich-Verhaken der DVD. Digitale Nomaden wie der Blog ger Michael Seemann sind erleichtert, dass Ideen und Kultur nun nicht mehr an ein Format festgekettet sind, das sie trägt und das sie wie das Buch- und Plattenco ver optisch oft nur leidlich repräsentiert. Und die Pub lizistin Mercedes Bunz findet: Guter Kultur ist es letzt lich egal, auf welchen Zug sie aufspringt, welcher Träger sie befördert. Über Social-Listening- oder Social-Rea ding-Plattformen kann ich meinen erlesenen Buch- und Musikgeschmack nicht nur mit meiner Handvoll Freun den, sondern mit der ganzen Welt teilen. Und natürlich kann ein E-Book längst alles, was ein Buch auch kann.
> 1837 Preußen führt endlich ein Urheberrecht ein, doch wegen der andauernden Kleinstaaterei ist das Gesetz im Deutschen Bund zunächst kaum durchzusetzen. Bestseller und wissenschaftliche Werke werden nachgedruckt und in großer Stückzahl und zu Ramschpreisen unters Volk gebracht. Sperrige Traktate, die sich mit Chemie, Mechanik, Maschinenbau, Optik oder der Stahlproduktion beschäftigen, verbreiten sich rasant zwischen Berlin und München. Manch ein Historiker sieht deswegen im fehlenden Urheberrecht die Ursache für den Aufstieg Deutschlands zur Ingenieursnation. > 1886 Mit der Berner Übereinkunft wird das erste internationale, multilaterale Abkommen zum Urheberschutz geschlossen. 1901 werden schließlich Werke der Literatur und der Musik, sechs Jahre später Werke der bildenden Künste und der Fotografie per Gesetz urheberrechtlich geschützt. Zum ersten Mal gibt es in Deutschland ein Urheberrecht, wie es in seinen Grundzügen bis heute Bestand hat.
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> ca. 1950 Die ersten Tonbandgeräte für den Heimgebrauch kommen auf den Markt. Es wird immer einfacher, Musik etwa aus dem Radio aufzunehmen oder zu Hause zu kopieren. Künstler und Musikindustrie sind empört, eine ganze Generation junger Menschen verfällt der Gratismentalität und nimmt dazu manchen Bandsalat in Kauf. Auf Schulhöfen ent stehen sogar regelrechte Tauschbörsen mit selbst zusammengestellten Mixtapes. Der Staat reagiert pragmatisch und erklärt private Kopien für legal. Künstler und Industrie werden entschädigt. Das Geld dafür kommt aus einer Pauschalabgabe auf Tonbänder und Leerkassetten, die dann über Verwertungsgesellschaften wie die GEMA verteilt wird. Noch heute zahlen wir, ohne dass wir es merken, für jedes Gerät, mit dem man kopieren kann, eine Gebühr: zum Beispiel für Leer-CDs, USB-Sticks und sogar Smartphones. > 1998 Shawn Fanning programmiert die Musiktauschbörse Napster und schafft es damit auf das Cover des TIME-Magazines. Mit Napster lassen sich Songs gratis über das Internet austauschen. Daraufhin brechen die Umsätze der Musikindustrie ein. Napster wird mit Klagen überzogen und irgendwann geschlossen, doch längst gibt es da schon neue Tauschbörsen. > 2004 Im Netzt gibt es kaum legale Angebote. Wer Musik benutzerfreundlich downloaden möchte, muss das zwangsläufig illegal tun. Und tut es auch. Bis 2004: Dann endlich startet iTunes und wird ein großer Erfolg. Die Idee dazu hat allerdings nicht die Musikindustrie, sondern ein IT-Unternehmen namens Apple. > 2006 In Deutschland gründet sich die Piratenpartei. Sie erhält schnell Zulauf, vor allem von jungen Leuten. Der Grund: Immer mehr Gesetze sollen verschärft werden, um das Urheberrecht durchzusetzen. Auch Grundrechte werden zunehmend infrage gestellt. Medienverbände etwa fordern die Vorratsdatenspeicherung, um gegen Urheberrechtsverletzer vorzugehen.
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> 2010 werden in Deutschland über 575.800 Abmahnungen wegen Urheberrechtsverstoßes verschickt. Eine regelrechte Abmahnindustrie entsteht. Schon lange geht es nicht mehr nur um Musik, sondern auch um Filme und Computerspiele. Doch Tauschbörsen kommen langsam aus der Mode. Filme etwa werden auf Streamingseiten angeschaut, zum Beispiel Kino. to. Die Seite wird im Sommer 2011 vom Netz genommen, aber auf die Schwarzseher wartet bereits ein Dutzend weiterer Alternativen. Ein vergleichbares legales Angebot ist in Deutschland bis heute nicht in Sicht. > Februar 2012 Seit Jahren wird über das ACTA-Abkommen verhandelt, das international Produktpiraterie und Urheberrechtsverletzungen bekämpfen soll. Die Verhandlungen finden hinter verschlossenen Türen statt, auch die Teilnehmer der Sitzungen sind zunächst unbekannt. Es kommt zu europaweiten Protesten, vor allem weil durch ACTA ein Abbau von Bürgerrechten befürchtet wird. Im Juni wird das Abkommen vom Europaparlament beerdigt.
Man kann es bekritzeln, markieren und unterstreichen, ihm virtuelle Eselsohren verleihen. Längst gibt es Hit listen, welche Absätze oder Lieblingsstellen in E-Books am öftesten hervorgehoben wurden. Das ist so schön wie unbestechlich: Natürlich können Verlage so auch erfassen, an welcher Stelle, auf welcher Seite der Leser ein E-Book weggelegt hat. Kultur, dies ist ein banaler Satz, macht unsere Identität aus, sagt, wer wir sind, wie wir ticken, was für Werte wir beschreiben. In der Cloud regeln aber vor allem weltumspannende Konzerne den Zugang. Die Wolke der Kultur darf jedoch keine Gated Community werden, in der die Nutzungsbedingungen profitorientierter Firmen gelten. Und wenn Verleger in Zukunft genau nachforschen können, welche Passagen in welchen Büchern erfolgreich waren, dann werden sie Autoren produzieren wollen, die uns nur nach dem Mund schreiben. Es wäre dann vermutlich eine Holly woodisierung des Buchmarktes. Ob die Generation In ternet in der Lage ist, nicht nur die Macht der Politik zu beeinflussen und bisweilen zu brechen, sondern auch die von Apple, Google, Facebook und Co, das wird sich zeigen. Darauf vertrauen sollte man besser nicht. Mau rice Summen, Sänger der klugen deutschen Band Die Türen, forderte vor einiger Zeit eine öffentlich zugäng liche Kultur-Cloud, sozusagen eine öffentlich-rechtliche Wolke. Eine Lebensversicherung dafür, dass wir alle weiterhin Zugang haben zu unserer digitalisierten Kul tur. Und natürlich bin ich als öffentlich-rechtlicher Ra diomann einer Kulturwelle dieser Idee durchaus zuge neigt. Immerhin hat die Wolke das Potenzial, Kultur in Zukunft mehr Menschen an allen Ecken der Welt zu gänglich zu machen als jemals zuvor. Und noch eine schöne Idee drängt sich mir in den Laptop: War der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht schon immer eine riesige Kultur- und Informations-Cloud, lange bevor es diesen modischen Namen gab? Der BR, eine riesige
> 21. März 2012 Sven Regener im Zündfunk: »Es wird so getan, als wenn wir Kunst machen würden als exzentrisches Hobby. Das Rumgetrampel darauf, dass wir irgendwie uncool seien, weil wir darauf beharren, dass wir diese Werte geschaffen haben, ist im Grunde genommen nichts anderes, als dass man uns ins Gesicht pinkelt und sagt, euer Kram ist eigentlich nichts wert.« > 19. April 2012 Die Musikindustrie wächst zwar nur um 0,1 Prozent, aber immerhin. Es ist das erste Wachstum seit 15 Jahren. Verantwortlich dafür sind vor allem die steigenden Umsätze mit legalen Downloads. > April 2012 Die Ära der offenen Briefe zur Urheberrechtsdebatte beginnt. Den Anfang machen 51 Tatort-Autoren, dann geht es gleich weiter mit »Wir sind die Urheber«, der Initiative eines Literaturagenten. Darauf antworten Netzaktivisten mit dem offenen Brief »Wir sind die Bürger«. Irgendwo dazwischen beschäftigt der Streit auch die Feuilletons, eine Armada von Bloggern, Lobbyisten von Medien- und Internetunternehmen, Historiker, Juristen, Betriebswirte und Philosophen, das Handelsblatt, diverse Musiker, Filmemacher, Abgeordnete, den Chaos Computer Club, einige Menschenrechtsorganisationen und viele andere mehr. > Juli 2012 In Schweden stiegen die Umsätze mit Musik in der ersten Hälfte 2012 um 30 Prozent. Im Heimatland der Piratenpartei nutzt ein großer Teil der Bevölkerung mittlerweile legale Streaming-Dienste wie etwa Spotify. Hier zahlt man eine Abo-Gebühr und darf dafür kostenfrei Musik hören, eine Art Kulturflatrate also. Auch in Deutschland gibt es nach langwierigen Verhandlungen mit der GEMA ab März 2012 diesen Musikdienst. To be continued …
bayerische Jukebox mit offenen Grenzen, weit mehr als 20 Millionen Songs. Mit Büchern und Geschichten, die von den größten Stimmen von heute und allen Zeiten vorgelesen wurden und werden! Und dem großen Vor teil, dass nicht Algorithmen, sondern Radio-Menschen, die oft viel gelesen und gehört haben, diese Kultur sor tieren, anordnen, empfehlen. Dieser Artikel gehört nicht mehr mir. Jetzt gehört er Ihnen. Sie können ihn jetzt ruhig wegschmeißen. Noch schöner wäre aber, Sie teilten ihn mit anderen Menschen, empfählen oder schickten ihn weiter in Ihre Social Com munitys oder wo auch immer Sie sich rumtreiben.
Michael Bartle verbringt seine Ferien gerne mal ganz offline und bei wolkenlosem Himmel statt in the cloud. Und, nein, so ganz und komplett entsorgt hat er seine CDs noch nicht. Er ist Redakteur beim Zündfunk und moderiert auch die Sendungen »Nachtmix« und »musikWelt«. Das ginge mittlerweile auch ganz ohne CDs.
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Kulturflatrate Pro und Contra v o n T h o m a s Pa lz e r
Pro: Einfach nur mehr, mehr nicht Von der Kulturflatrate ist nicht mehr viel die Rede. Man spricht von Kochkultur, Esskultur, Diskussionskultur, Auto kultur usw. Man hat den Eindruck, dass in den Massenme dien alles Kultur ist, außer der Kultur selbst. Insofern Kul tur sich um die Bedürfnisse des Individuums kümmert und nicht um die der Gattung, ist Erfolg ein untaugliches Krite rium. Was die Gattung braucht, ist notwendig; was nur ei nige wenige brauchen, steht erstens unter dem Verdacht, elitär zu sein, und zweitens kann darauf verzichtet werden, weil die meisten darauf verzichten können. Unter diesem Widerspruch von Gattung und Individuum leiden bekanntlich die Massen medien, zumal, wenn sie ihre Kanäle mit Kultur befüllen. Kultur lässt sich nicht ohne Weiteres zur Ware machen. Nur bei einer Quote von 100 Prozent würde die Masse in der Gattung aufgehen. Aber: Ein Gedanke, den alle denken, ist keiner. An diese Erkenntnis werden sich die Theoretiker des Er folgs und Massenkonsums noch heranwagen müssen. Als man 1950 die ARD gründete, wusste man um den intrinsischen Widerspruch zwischen Massenmedium und Kultur. Darum führte man die erste Kulturflatrate der Welt ein: die Rundfunkgebühr. Es ging darum, etwas zu sichern, was über den Markt nicht zu sichern ist, weil der Markt naturgemäß nur sichern kann, was gebraucht wird. Kultur meint nicht so sehr Kulturnachrichten als Philologie, Philosophie, Kritik. Um aus dem Di lemma halbwegs heil herauszukommen, hat man in den Medien den Kulturbegriff überdehnt und konfektioniert. Wer Kulturflatrate sagt, der ruft Gedanken an die Piraten herauf, an die Abschaf fung des Urheberrechts, an Fördersozialismus und Kulturinfarkt. Wenn ich hier die Kulturflatrate verteidige, dann geht es mir nicht um den straffreien Download von Musik- oder Filmdateien. Mir geht es weder ums Habenwollen noch um Gratis-Kultur. Kulturflatrate hat für mich damit zu tun, dass die Menschen, die in der Kultur und für sie arbeiten, angemessen bezahlt werden. Wie jeder Pförtner auch. Mir geht es darum zu zeigen, dass die Flatrate das geeignete Instrument ist, um Platz zu reservieren. Für Diversifikation und ihren Erhalt. Für die Gedanken des Individuums. Wenn wir die Kultur, die uns unsere Kultur zur Verfügung stellt, nicht mehr erschließen und uns aneignen können, ist sie bedroht. Ich glaube, die Kulturflatrate wäre ein geeignetes Mittel, um eine Art Mindestlohn für Kulturarbeit durchzusetzen. Ich würde sie aus der Rundfunkgebühr hervorge hen lassen und alle Kulturteilnehmer einschließen. Kulturflatrate heißt für Sender, Verlage usw. nicht, dass man sie in Anspruch nehmen muss. Man kann aber unter ihren Rettungsschirm schlüpfen. Die Rundfunk gebühr hat Deutschland eine der vielfältigsten Medien landschaften der Welt beschert. Seit Jahren nimmt diese Vielfalt des Programms bei den Öffentlich-Rechtlichen ab, ist aber gleichwohl immer noch unübertroffen. Eine Kultur flatrate würde helfen, diese Vielfalt zu sichern.
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vo n Dr . Klaus Beckschulte
Contra: Einfach pauschal, ist gar nicht so einfach Uns geht es bei der Kulturflatrate weniger um die viel diskutierten Probleme der Umsetzung, sondern um den Ansatz. Das Vorbild der Kulturflatrate könnte die Rundfunkgebühr sein. Diese ist aber nur ein Garant für vielfältige Inhalte, weil die Öffentlich-Rechtlichen redaktionell tätig sind. Ihre Binnenpluralität ist gesetzlich festgeschrieben. Bei einer Kulturflatrate könnte man gegen eine monatliche Gebühr digitale Inhalte aus dem Netz laden. Das ist aber nicht vergleichbar. Es geht uns nicht darum, die direkte Verbindung zwischen Künstlern und Nut zern zu vermeiden. Die Medienindustrie hat in einem direkten Verkauf über das Internet eine wichtige Rolle und die inhaltliche Zusammenarbeit von Verlagen und Autoren ist wichtig. Die Idee der Kulturflatrate kam auf, weil die Rechteverwaltung im Netz so kompliziert ist. Aber die Frage nach dem Umgang mit illegalen Uploads bleibt auch im System Kulturflatrate. Sie ist dafür keine Lösung. Argument für die Kulturflatrate wäre, dass für die Privatkopie auf Datenträ ger oder Papier aktuell auch Pauschalen gezahlt werden. Wenn ein solches System aber im digi talen Raum eingeführt würde, müssten auch diejenigen bezahlen, die sich im Internet nur kos tenlose Informationen holen. Bei Kopie und Datenträger zahlen nur diejenigen, die kopieren oder Speichermedien kaufen. Bei einer Kulturflatrate geht es nicht wie bei den Rundfunkgebühren um Inhalte, die die Rundfunkanstalten selbst geschaffen haben, sondern um Inhalte Dritter, die im System Kulturflatrate nicht mitzureden haben. Das Urheberrecht ist ein Eigentums recht. Autoren und andere Künstler sollen ihre Rechte abtreten und von einem »anonymen System« Geld bekommen? Gerecht verteilte Vergütung kann die Kulturflatrate nicht garantie ren. Der Wert geistigen Eigentums muss in der Gesellschaft aufgewertet – nicht pauschal ab gegolten – werden. Anstatt uns eine Kulturflatrate zu wünschen, möchten wir lieber diejenigen unterstützen, die im Internet funktionierende Geschäftsmodelle betreiben.
Thomas Palzer ist Autor, Filmemacher und Regisseur. Er arbeitet unter anderem für die ARD, arte und 3sat.
Pro und Contra – zwei Statements im »Nachtstudio«, der Sendung für alle, die Diskurs, Gedankenspiel und Kontroverse lieben. Ein Forum für Denker und Dichter, wo der Zeitgeist überprüft wird, intellektuelle Meinungen formuliert und wichtige Trends erforscht werden.
Dr. Klaus Beckschulte ist Geschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels – Landesverband Bayern e.V.
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Bayern 2 als Kulturradio v o n di e t e r he S S
Bayern 2 war nie nur ein Kulturradio im engeren Sinne, und gerade deshalb war es immer erfolgreich. Bayern 2 war und ist immer: Kultur plus X, plus sehr viel X. Das ist bis heute so geblieben. Bayern 2 ist kein Mischpro gramm aus Wort und klassischer Musik, weil wir wis sen, dass nur ganz wenige Hörer beides schätzen. Kultur plus X heißt in Bayern 2: Wir haben große Sen deflächen für jüngere Hörer und für ganz junge, für po litisch und religiös interessierte Menschen, für Fami lien, für Stadt- und Landbewohner, für engagierte und bewusst lebende Hörer, die seriös und zuverlässig und hintergründig informiert werden wollen. Nicht zu ver gessen alle die, die einfach nur auf gehobenem Niveau unterhalten werden wollen – mit Krimis, Kabarett, Ge sprächen und handverlesener Musik. In der kleinen Welt der Kulturradios finden sich diejenigen wieder, die an Kultur teilhaben wollen, die dieses Lebensmit tels bedürftig sind, die neugierig geblieben sind, offen, furchtlos und unerschütterlich und gelegentlich auch einmal ärgerlich und manch toller Ausblühun gen überdrüssig. Die kritisch-sympathetisch, wissenshung rig und diskussionsfreudig die Zeit, in der sie leben,
Dieter Heß sagt: »Radio ist flüchtig und sensibel für die umgebende Atmosphäre, wird von außen beatmet, lebt, pulsiert, wuchert und wächst in alle möglichen Richtungen, stößt zu neuen Hörern vor, verliert alte, wird verehrt, verstoßen, wiederentdeckt und hochgehalten.« Den Leiter unserer Redaktion Kulturkritik und Literatur können Sie auch als Moderator der Sendung »Kulturjournal« hören.
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begleiten. Ihnen bietet das Kulturradio mit seinen universellen Zugangsmöglichkeiten einen kulturellen Wahrnehmungsapparat, Orientierung, Instrumente der Distinktion, Ansätze zu einer kritischen Chronik der laufenden Ereignisse. Solange Bayern 2 sich als Kul turradio in diesem weiten Sinne versteht, mit einem Kulturbegriff, der die ganze Welt einbezieht, ganz wie es im Claim »Grenzenlos hören« versprochen wird, so lange wird es seine Hörer finden, wahrscheinlich sogar immer mehr. Tagung: »KulturRadio: Perspektiven und Potenziale« Im Juni 2012 haben wir zusammen mit der Evangeli schen Akademie Tutzing zu einer Tagung zur Zukunft des Kulturradios eingeladen. Radiomacher, Medienleute und interessiertes Publikum tauschten sich in Vorträgen, Dis kussionen und Foren über Entwicklungsaspekte des Kul turradios aus. Die vollständige Dokumentation zu dieser Tagung – und auch den vollständigen Vortrag von Dieter Heß – haben wir auf unseren Internetseiten für Sie zu sammengestellt: www.bayern2.de/hoertour
Die gesamte Tagung zum Nachhören und Nachlesen unter www.bayern2.de bei »Empfehlungen« oder über den QR-Code.
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Feminismus
Braucht’s das noch? Lila Latzhosen und Birkenstock-Sandalen – das Image der »Feministin« war noch nie besonders sexy. Gerade junge Frauen schütteln sich bei der Vorstellung, man könne sie in die Ecke der spaßbremsenden Mannweiber stellen. Es gehört wohl zur Geschichte des Feminismus, dass das Wort für viele ein Schimpfwort ist. Von Be at e Be h e i m - S chwa rzb a ch
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ntgegen landläufiger Meinung entsteht die autonome Frauenbewegung nicht 1971 mit der »Stern«-Kampagne unter dem Motto »Wir haben abgetrieben«. Urheberin ist auch nicht Alice Schwarzer mit ihrer Zeitschrift »Emma« im Jahr 1977. Die autonome Frauenbewegung nimmt schon Ende der 60er-Jahre in Berlin ihren Anfang. Katharina Hauck verliert nicht so leicht die Fassung. Sie ist Schulsozialarbeiterin an einer Münchner Berufs schule und die Schattenseiten des Alltags sind ihr mehr als vertraut. Doch alle paar Monate kommt ihr die Galle hoch. Immer dann, wenn wieder mal eine Schülerin be lästigt wird. So wie neulich. »Erst kamen Sprüche, dann kam, ,gehen wir doch nach der Arbeit wohin’, und dann hat er in der Umkleidekabine versucht, sie zu betat schen.« Heute haben Pädagoginnen wie die 35-jährige Katharina Hauck ein offenes Ohr für Klagen über Sexis mus am Arbeitsplatz. Doch das ist noch nicht lange so. Denn das Thema ist bis weit in die 60er-Jahre hinein tabu. Wie vieles, was Frauen angeht. Erst Ende der 60erJahre und in den 70er-Jahren thematisiert die autonome Frauenbewegung sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, bringt Gewalt gegen Frauen ins Gespräch, den Paragra fen 218 und das Problem der Kinderbetreuung.
Wie war das damals in Berlin? 1967 ist Berlin vor allem grau, höchstenfalls noch sand braun. Die Mauer steht schon sechs Jahre. Unverrück bare Hierarchien halten die Gesellschaft fest im Griff. Doch immer mehr Studenten begehren dagegen auf. Was die aber überhaupt nicht im Blick haben, sind die fest zementierten Rollen von Mann und Frau. Denn von Gleichberechtigung kann trotz Grundgesetz oft keine 28
Die Filmemacherin und Autorin Helke Sander ist bei der Kampagne gegen den § 218 StGB dabei und protestiert 1975 gegen das Urteil des Bundesverfassungs gerichts, mit dem die Fristenlösung gekippt wird. Das Bild zeigt sie Ende der 1970er-Jahre.
Rede sein. Frauen dürfen zum Beispiel nur mit Zustim mung ihres Mannes oder Vaters ein Bankkonto eröffnen, Ehefrauen müssen ihren Mann um Erlaubnis bitten, wenn sie eine Arbeit aufnehmen wollen. Zu diesem Zeit punkt ist eine junge Frau, gerade 30 Jahre alt, mit ihrem Sohn im Kindergartenalter nach Deutschland zurückge kehrt: Helke Sander, Jahrgang 1937, hat zehn Jahre in Finnland gelebt. Jetzt will die alleinerziehende Mutter an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin studieren. Wie allgemein üblich findet sie als Untermie terin eine Bleibe. Ihren Lebensunterhalt für sich und ihren Sohn bestreitet sie mit Übersetzungen und als Re porterin. Aus Finnland kennt Helke Sander die Möglich keit, kleine Kinder wenigstens für ein paar Stunden bei sogenannten Park-Tanten unterzubringen. Das vermisst sie in Berlin. An der Filmhochschule in Berlin gibt es Ende der 60er-Jahre weder Kinderkrippe noch Kinder garten. Und dass sich ein paar Studentinnen bei der Kinderbetreuung abwechseln, schließt sich aus. Denn es gibt keine, Helke Sander ist nach einem halben Jahr die Einzige, die durchgehalten hat. Dann kommt ihr die Idee, mit ihrem Problem, wie sie ihren kleinen Sohn tagsüber unterbringen soll, zum SDS zu gehen. Der So zialistische Deutsche Studentenbund gilt als fort schrittlich. Er macht damals in Berlin mit vielen Teachins an den Unis und Demos gegen den Krieg in Vietnam auf sich aufmerksam.
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Im Dezember 1967 geht Helke Sander zu einem der SDSArbeitskreise, um ihr Anliegen vorzubringen. Wortfüh rer dort ist Peter Schneider, mit dem hat sie immerhin schon mal ein Wort gewechselt, deswegen traut sie sich hin. Ein paar Jahre später wird derselbe Peter Schnei der als Schriftsteller bekannt, in den 70er-Jahren mit seinem Roman »Lenz«, zehn Jahre später mit dem »Mau erspringer«. 1967 ist er aktiv in der Berliner Studenten bewegung. »Die saßen zusammen, haben diskutiert und ich saß dabei und habe kein Wort gesagt. Irgendwann nach zwei Stunden hat er mich gefragt, was ich denn nun hier wolle. Und dann habe ich mein Anliegen vor gebracht. Dann gab es so ein merkwürdiges Schweigen und alle guckten sich so ein bisschen komisch an. Und dann sagte der Peter Schneider, ja, geh mal in die Küche, da sitzt die Marianne, die macht auch so was.« Ihr be richtet sie von ihrem Versuch, an der Uni andere dafür zu gewinnen, das skandinavische Park-Tanten-System einzuführen. Und dass sie dafür nur Hohn und Spott ge erntet hatte. Marianne Herzog und Helke Sander reden sich die halbe Nacht lang die Köpfe heiß. Warum gibt es überhaupt solche Probleme mit der Unterbringung der Kinder? Wer hat ein Interesse daran? Was muss passie ren? »Die hat noch eine andere Frau angerufen und die hat dann das erste Flugblatt geschrieben, das nur an Frauen verteilt wurde. Und dann wurden die ersten fünf Kinderläden gegründet«, erzählt Helke Sander. Das ist die Keimzelle der autonomen Frauenbewegung.
Ein Blick nach München Anita Heiliger, Jahrgang 1942: »Ich kam 1973 von Berlin nach München für eine Arbeit am Deutschen Jugendin stitut, ich bin ja Soziologin und guckte mich um: Ich kam aus dem Berlin der 68er-Bewegung und ich wollte mich hier in München engagieren.« Anita Heiliger findet 1973 schnell Anschluss an eine Münchner Frauen gruppe. »In dem Moment, als ich in die Frauenbewe gung reinkam, ist mir meine eigene Situation erstmals bewusst geworden. Hand in Hand mit dem, wie es in der Gesellschaft aussieht.« Sie engagiert sich in der Para graf-218-Gruppe. In der beraten Frauen Schwangere, die nicht wissen, ob sie ihr Kind wirklich bekommen sollen. Sei es aus finanzieller Not, weil sie mit der Aus bildung nicht fertig sind oder weil der Kindesvater nicht zu ihnen hält. Viele der Frauen überlegen, ob sie abtreiben lassen. Doch damit machen sie sich strafbar, schließlich gibt es den Paragrafen 218, der den Schwan gerschaftsabbruch verbietet. Außerdem scheuen sich viele Schwangere aus Gewissensgründen davor. Deswe
Anita Heiliger beim Kongress des bundesweiten Frauennetzwerks zur Arbeitssituation 1985
gen brauchen sie Hilfe. »Ich wusste ja, worum es geht. Ich hatte selber Abtreibungen hinter mir und wusste, dass es wichtig ist, die Frauen zu beraten. Und dann kam ich eben dorthin und stellte fest, dass da noch viel mehr drum herum war.« Kurz nachdem Anita Heiliger sich den Münchnerinnen angeschlossen hatte, beginnen rund 20, 30 von ihnen, Räume für ein eigenes Frauenzentrum zu suchen. Schnell zieht das Münchner Frauenzentrum in der Ga belsberger Straße jede Menge Aktive an. Für die Miete kommen alle gemeinsam auf. »Das Zentrum, so wie ich mich erinnere, war in den 70er-Jahren für alle Frauen spannend und interessant. Da waren auch Frauen aus der SPD, da waren auch Frauen aus den Gewerkschaf ten. Es war eine Zeit, in der das Frauenzentrum, der Aufbruch der autonomen Frauenbewegung, für alle inter
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Studenten sitzen im Februar 1968 während der »Internationalen Vietnam-Konferenz« im Vorraum der Technischen Universität in Berlin.
essant war.« Zehn Jahre später hat sich das Bild stark verändert. Inzwischen haben Frauen überall Projekte ge- gründet, Frauenbuchläden, Frauenhäuser und FrauenGesundheitszentren. Allerspätestens jetzt teilt sich die autonome Frauenbewegung in viele einzelne Strömun gen. Das Frauenzentrum verwaist. »Das Zentrum hat sich dann ein paar Jahre später aufgelöst, ich glaube, das muss Mitte der 80er-Jahre gewesen sein. Sie hatten noch eine Weile eine Frauenbibliothek – aber es war ein fach nicht mehr die Zeit.«
Zurück nach Berlin ins Jahr 1968 Ende Januar 1968 gründet sich an der Freien Universi tät in Berlin der »Aktionsrat zur Befreiung der Frauen«. Das Ziel: Die Genossen im SDS sollen sich mit den For derungen der Frauen nach Gleichberechtigung ausein andersetzen. Im September 1968 hält Helke Sander ihre historische Rede: »Wir sprechen hier, weil wir wissen, dass wir unsere Arbeit nur in Verbindung mit anderen progressiven Organisationen leisten können und dazu zählt unserer Meinung nach heute nur der SDS. Die Zusammenarbeit hat jedoch zur Voraussetzung, dass der Verband die spezifische Problematik der Frauen begreift, was nichts anderes heißt, als jahrelang verdrängte Konflikte endlich im Verband zu artikulieren. (…) Wir können die gesellschaftliche Unterdrückung der Frauen nicht individuell lösen. (…) Genossen, wenn ihr zu dieser Diskussion, die inhaltlich geführt werden muss, nicht bereit seid, dann müssen wir allerdings feststellen, dass der SDS nichts weiter ist als ein aufgeblasener konterrevolutionärer Hefeteig.« 30
Mit der »Fristenlösung« wurde 1974 in der Bundesrepublik der Abbruch einer Schwangerschaft in den ersten zwölf Wochen straffrei gestellt. Dagegen protestierten z. B. Demonstranten in München (Foto). Nach einer Klage der CDU / CSUBundestagsfraktion vor dem Bundesverfassungsgericht wurde das Gesetz gekippt. Am 21. Juli 1976 trat die Neufassung des § 218 StGB in Kraft, die von einer grundsätzlichen Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs ausging.
Auf diese Rede reagieren die Genossen gar nicht. Sie wollen sofort zur Tagesordnung übergehen. Als darauf hin eine Studentin Tomaten auf die Männer im Prä sidium wirft, entsteht so ein Tumult, dass die Sitzung abgebrochen wird. Noch am gleichen Tag gründen Frauen die »Weiberräte«. Ihre Parole lautet: Das Private ist politisch. Das Lebensgefühl von Helke Sander und den anderen ist in dieser Zeit geprägt von vielen Experimenten und einer Aufbruchstimmung. Mittlerweile leben viele in Wohngemeinschaften: »Es war ein positives Gefühl, weil ich durch diese andere Wohnform in eine Situation geriet, in der sich ganz viel Neues entwickeln ließ. Wir kannten nur Untermietverhältnisse damals, das darf man nicht vergessen.«
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Katharina Hauck (mitte hinten) bei der Frauendemo 2011 in München.
Und heute? Dies alles ist jetzt mehr als vierzig Jahre her – also längst Geschichte. Einerseits. Andererseits sind die Themen der Frauen von damals brandaktuell, zum Bei spiel die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Also das Thema, mit dem die Schulsozialarbeiterin Katharina Hauck regelmäßig zu tun hat. Dass sie sich vor allem für ihre Schülerinnen einsetzt, kommt nicht von unge fähr. Denn die 35-jährige Katharina Hauck ist quasi eine der Töchter der autonomen Frauenbewegung. Ihre Mut ter war in den 70er-Jahren selbst aktiv. Inzwischen ha ben sich im Vergleich zu den 70er- und 80er-Jahren ein paar Dinge für Mädchen und Frauen verbessert, meint Katharina Hauck. Zum Beispiel gibt es heute an jeder Schule eine Mädchen-Beauftragte und natürlich auch jemanden für die Jungen. Viele Lehrer und Sozialpä dagogen schicken ihre Schüler und Schülerinnen zum Selbstverteidigungskurs. Und Jungs weisen sie darauf hin, dass sie die Grenzen der Mädchen respektieren. An dere Themen aber sind auch nach 45 Jahren noch aktu ell, findet Katharina Hauck: »Eine Frau, die alleiner ziehend ist und keinen Kinderkrippenplatz hat – was macht die? Die kriegt Hartz IV. Man produziert Abhän gigkeit. Würde man das anders strukturieren, könnten viele Frauen auch arbeiten. Ich bin, was Frauenthemen oder Mädchenthemen betrifft, sensibel. Ja, ich bin eine Feministin.« Katharina Hauck ist es mittlerweile egal, ob sie bei anderen mit ihrem Pochen auf Gleichberech tigung als angestaubte Emanze gilt. »Ich möchte nicht missionarisch auftreten, das nicht. Ich möchte nur, dass gewisse Sachen eingehalten werden.«
Helke Sander, längst renommierte Filmemacherin und Autorin, findet, es gibt noch einiges zu tun: »Es war im mer Blödsinn zu glauben, Feministinnen seien Frauen, die Männer hassen. Die Auseinandersetzungen waren notwendig. Es gab und gibt nach wie vor vieles, das ab geschafft gehört. Chauvinismus gibt es auch heute noch in vielfältiger Form.« Und Anita Heiliger, die Soziologin, die aus Berlin nach München kam, setzt noch eins drauf: »Wir brauchen den Feminismus nach wie vor. Aber den Feminismus, der wirklich was verändern will und nicht den Alpha-Mäd chen-Feminismus. Etwa dieser Equal Pay Day: Das sind Frauen, die sind ein bisschen sauer, dass sie nicht ge nauso viel verdienen wie die Männer. Aber strukturell oder im Verhältnis der Geschlechter wollen sie nichts ändern. Der Feminismus will das Geschlechterverhält nis verändern, er will die Dominanz von Männern über Frauen grundlegend abschaffen. Und dazu muss man konsequent dranbleiben.«
Beate Beheim-Schwarzbach arbeitet seit 1997 als Hörfunkautorin, vorrangig für Bayern 2. Für die Sendung »Notizbuch« hat sie drei Frauen getroffen, die die Frauenbewegung angestoßen haben oder von ihr geprägt wurden. Das »Notizbuch« ist das große Magazin mit allen Themen, die für unser alltägliches Zusammenleben von Bedeutung sind: Alltag und Familie, Landwirtschaft, Ökologie und Umwelt, Wirtschaft und Soziales, Gesundheit und Interkulturelles.
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Wer schützt unsere Verfassung?
? von lu k a s h a m m e rst e i n
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Deutschland ist ja auch darum solch ein Erfolg geworden, weil es eine Ver fassung hat, ein »provisorisches« Grundgesetz. Nach dem Debakel von Wei mar und der Katastrophe des Nazi-Regimes wollten und mussten wir es besser machen. Die Damen und Herren auf Herrenchiemsee setzten sich un ter Anleitung der Alliierten hin und schrieben ein höchst bescheidenes Grundgesetz, das es wirklich in sich hat. Eine Verfassung, auf die wir zu Recht stolz sind und die sich auf sanfte Weise bis an die Zähne bewaffnet hat auch gegen rechte wie linke Terroristen. Wir haben eine durchaus wehr hafte Demokratie, die ihre Feinde selbstbewusst bekämpft. Dazu braucht es nicht nur Richter, sondern Bürger, nicht nur Polizei, sondern auch einen Ver fassungsschutz, und unsere insgeheimen Schützer der Verfassung brauchen Leute aus dem Milieu, die wissen, wo was passiert. Eine Unzahl von V-Leu ten ist mit der Zeit zusammengekommen, mit denen man glatt Parteitag hal ten könnte. Dass das ins Auge gehen kann, haben wir beim letzten Versuch gesehen, die NPD zu verbieten – aber auch als die Zwickauer Zelle aufflog.
Lukas Hammerstein stiftet in seinen Romanen auch mal zu Straftaten an oder bringt Politiker auf die Bühne. Im journalistischen Teil seines Lebens hat es ihm vor allem das politische Feuilleton angetan, und so macht er natürlich die Sendung »Jazz & Politik«, was sonst.
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Geheimnis Kontinuität Unsere Verfassung im Schutz ihrer Feinde v o n r a in e r vo l k
Geschützt wird unsere Verfassung, unser Grundgesetz, von uns allen miteinander – oder zumindest von den meisten –, vom Karlsruher Verfassungsgericht und dem Verfassungsschutz. Doch die Herren Spione, Abteilung Inland, sind ins Gerede gekommen. Sie haben immerzu in den Osten gestarrt und doch die »Zwickauer Zelle« übersehen. Ein Blick zurück in die Geschichte des Verfassungsschutzes. Wer genau hinschaut, stellt fest: Der Verfassungs schutz ist älter als die Bundesrepublik, obwohl die Logik das eigentlich ausschließt. Das Rätsel klärt sich, wenn man weiß: Eine Keimzelle des Bundes amts für Verfassungsschutz war die »I-Stelle« in Düsseldorf. So nannten die Eingeweihten jenes Büro, das 1947 in der Hauptstadt Nordrhein-West falens entstand, um alles politisch Radikale diskret zu beobachten und möglichst zu beeinflussen. Der Laden war so geheim, dass vor allem die britischen Besatzer nichts von seiner Existenz wissen durf ten. Die hielten nämlich wenig von derlei Aktivitä ten der Deutschen. Ihnen war wohl klar, dass die politischen Aufpasser, so kurz nach Hitlers Ende, Erfahrungen in dessen Verfolgungs- und Terror apparat gesammelt haben mussten. Heute weiß man: Das Misstrauen war berechtigt. Was Soziologen »Elitenkontinuität« nennen – den Fortbestand staatlicher Bürokratien über alle Re gimebrüche hinweg –, lässt sich beim Auslandsge heimdienst BND, beim Bundeskriminalamt BKA und beim Verfassungsschutz gut nachweisen. Im Prinzip genügt ein Blick in Reinhard Gehlens Memoiren »Der Dienst«. Der legendäre BND-Chef erzählt darin ziemlich stolz, wie es ihm 1945 ge lang, mit seiner alten Wehrmachts-Spionagetruppe »Fremde Heere Ost« bei den Amerikanern anzudo cken. Der CIA in Washington notierte zwar kritisch, von seinen neuen Freunden in Pullach dürfe man bestenfalls Lippenbekenntnisse zur Demokratie er warten, doch der gemeinsame Feind Moskau half über alle Bedenken hinweg. Wo überall Gehlens Männer als SS- und Polizeioffiziere in Osteuropa an
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Massenerschießungen, sogenannten »Säuberungs aktionen« im Partisanengebiet und Massakern an Zivilisten beteiligt waren, kam zwar allmählich ans Licht, aber nur wenige »alte Kameraden« mussten ihre Nachkriegs-Karriere beenden. Historisch auf gearbeitet sind Namen, Zahlen und Seilschaften bis heute nicht. Auch das BKA versammelte 1951, als der Bundestag seine Gründung beschloss, seine Führungsriege überwiegend aus Adolfs SchergenHaufen. Wen wundert’s, dass das Folgen hatte? Reichskriminalamt, Reichssicherheitshauptamt und erst recht der Sicherheitsdienst SD waren unter Himmler zu hoch-ideologisierten Handlangern des Regimes gezüchtet worden. Intern konnte selbst das BKA nicht über seine braunen Wurzeln hinweg sehen. So ermittelte das Amt 1960 gegen etwa 100 Beamte wegen deren NS-Vergangenheit – ein Viertel seines damaligen Personals. Am dunkelsten, weil schlicht unaufgeklärt, sind Vorleben und Grün dungsära des Verfassungsschutzes. Wer fragte, be kam bis vor Kurzem von der Pressestelle des Kölner Amtes die Auskunft, es gebe da Zeitungsberichte aus den 60er-Jahren, die solle man lesen. Mutma ßungen, ein Drittel der führenden Beamten seien vor 1945 bei SS und SD gewesen, blieben ohne Ge gendarstellung oder Dementi. Das erklärt viel leicht, weshalb der Verfassungsschutz geradezu traditionell auf dem rechten Auge blind ist. Den an tisemitischen Naumann-Kreis in der nordrheinwestfälischen FDP ließ Anfang der 50er-Jahre der britische Geheimdienst hochgehen – er traute dem deutschen Ermittlungswillen nicht. Bei den Lan desämtern für Verfassungsschutz sah es nicht bes ser aus. Unsere Inlands-Schlapphüte waren scharf gegen links und blind gegen rechts. Unrühmliche Höhepunkte waren der »Fall Urbach« mit dem An schlag auf das Gemeindehaus in Berlin 1969 und der Fall des Studenten Ulrich Schmücker: Ihn wollte der Dienst in die linke Terrorszene einschleusen. Als Schmücker erschossen wurde, versteckten die Agenten die Tatwaffe im Tresor und boykottierten 15 Jahre lang einen Strafprozess – bis dieser einge stellt wurde. Alte Geschichten? Vielleicht. Sie erklä ren die unfassbaren Fahndungspannen der Thürin ger Staatsschützer in Sachen NSU nicht. Aber sie zeigen eine Tradition. Und da jedes Gewerbe auf den Schultern seiner Ahnen steht, auch das des Spions, ist die Geschichte der Verfassungsschützer verräterischer, als man zunächst glaubt.
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Rainer Volk schreibt im Ressort Politik vor allem über geschichtliche Themen. Seine Lieblings-Helden lebten im 19. Jahrhundert, hießen Struve, Hecker, Schurz und Sigel – und waren so urdemokratisch, dass sie in Deutschland nichts werden konnten. Diesen Text verfasste er für die Sendung »Jazz & Politik«, das wöchentliche politische Feuilleton zu jeweils einem Thema.
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Eine unheilige Allianz Freie Kameradschaften, NPD und Verfassungsschutz v o n th i e s ma r se n
In Ostdeutschland, in Zwickau, flog im Herbst 2011 die Terrorzelle NSU, Nationalsozialistischer Untergrund, auf. Bis dahin war sie nur Eingeweihten bekannt, die Sicherheitsbehörden wussten von der militanten Gruppe nichts oder hatten ihr Wissen für sich behalten. Die Mitglieder und Unterstützer des NSU entstammen allesamt den sogenannten Freien Kameradschaften, die überall in Deutschland aktiv sind. Sie sind oft eng mit der NPD verbunden, und der Verfassungsschutz nimmt mitunter eine problema tische Rolle ein. Sie nennen sich Jagdstaffel Deutsch Stolz Treu, Brigade Ost, Thüringer Heimatschutz oder Kameradschafts bund Hochfranken. Sie werben für sich im Internet und bei Aufmärschen, gerieren sich als Verteidiger nationa ler Werte und hetzen gegen alles, was nicht in ihr Welt bild passt: Juden, Muslime, Linke, Journalisten, Vertre ter des »Systems«, wie sie es nennen. Sie haben oft nur eine Handvoll Mitglieder, manchmal ein paar Dutzend, haben keinen offiziellen Vorsitzenden oder Führer, kein Vereinsheim und keine Vereinssatzung und sind doch meist straff und hierarchisch organisiert: Freie Kame radschaften nennen sich diese scheinbar losen Neona zigruppen, die es in Deutschland längst flächendeckend gibt. Sie sind der braune Bodensatz, aus dem sich auch die Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund rekrutierte und in dem die Neonazikiller ihre Sympathi santen und Unterstützer fanden. Die Freien Kameradschaften sind das Erfolgsmodell der Neonaziszene – entwickelt von führenden Kadern nach einer Idee, die sie bei ihren politischen Gegnern, den Linken, geklaut haben, genauer gesagt bei den soge nannten Autonomen der 80er-Jahre. Die Autonomen bil deten damals kleine unabhängige Gruppen, was unter anderem den Vorteil hatte, dass sie schwer zu über wachen und zu verbieten waren. Und genau dieser Punkt war es, der dieses Organisationsmodell auch für Neonazis interessant machte, sagt Andreas Speit, Mit herausgeber des Buches »Braune Kameradschaften«: »Es hat nach den massiven Übergriffen und Pogromen Anfang der 90er-Jahre eine Art Verbotswelle gegeben. Viele kleinst-neonazistische Organisationen, Vereine 34
und Parteien sind verboten worden. Neonaziführer wie Christian Worch und Thomas Wulff haben danach das Konzept der Organisationen ohne Organisation entwi ckelt, wonach alle aufgerufen werden, einzelne Kame radschaften zu gründen und diese losen, vermeintlich losen Kameradschaften dann in Aktionsbüros überregi onal zusammengeschlossen werden.« Die einzelnen Ka meradschaften, mögen sie auch noch so klein und ver einzelt wirken, sind verbunden durch ein engmaschiges Netz von persönlichen Kontakten und inzwischen vor allem durch neonazistische Internetforen. Am aktivsten in Bayern ist das Freie Netz Süd, eine Nachfolgeorgani sation der verbotenen Fränkischen Aktionsfront. Wie groß die Kameradschaftsszene ist, zeigt sich bei den all jährlichen Aufmärschen, die dem braunen Jahreskalen der folgen und zu denen teils mehrere Tausend Neona zis anreisen. Von Anfang an haben die Kameradschaften dabei eng mit der NPD zusammengearbeitet. Denn Mitte der 90er-Jahre änderte auch die bis dato eher altba ckene, von Altnazis geprägte Partei ihre Strategie. Sie öffnete sich gezielt den sogenannten »Freien Kräften«, um die jungen radikaleren Neonazis einzubinden. Ver antwortlich für diesen Kurswechsel war der 1996 ge wählte Parteivorsitzende Udo Voigt, der bis November 2011 im Amt war. Seit der Öffnung der NPD gibt es – trotz der für das braune Milieu typischen Rivalitäten und Streitereien – ein ständiges Zusammenspiel zwischen der Partei und den Kameradschaften. Die militanten Neonazis mar schieren bei Demonstrationen der NPD mit, kleben Plakate, betreiben Infostände, bestreiten ganze Wahl kämpfe. Dafür nutzen sie Geld und Infrastruktur der Partei, organisieren zum Beispiel Neonazikonzerte un ter dem Schutzmantel des Parteiengesetzes. Gleichzei tig sind viele Kameradschaften offen militant und ge waltbereit. Sie trainieren sogar gezielt Angriffe auf politische Gegner und Migranten, sagt der Journalist Andreas Speit: »Das liegt vor allem daran, dass sie sich ganz eindeutig ideologisch auf den Nationalsozialis mus beziehen, ganz offen die Vernichtung des Feindes, des Undeutschen, verkünden und sich aufstacheln zur Gewalt. In den letzten Jahren wurden ja immer wieder Strategiepapiere gefunden mit Debatten über den be waffneten Kampf, immer wieder werden Sprengstoff und Waffen gefunden.« Schon 2003 flog in München die sogenannte Kamerad schaft Süd auf. Die Gruppe um den Neonazi Martin Wiese hatte Waffen und Sprengstoff gehortet, was bun desweit für Schlagzeilen sorgte. Das Beispiel der Kame radschaft Süd wirft aber nicht nur ein Schlaglicht auf die Gefährlichkeit der Neonaziszene, sondern auch auf die problematische Rolle des Staates. Denn der saß bei der Kameradschaft Süd mit im Boot – in Person des V-Mannes Didier Magnien, eines französischen Rechtsterroristen, den das Bayerische Landesamt für Verfas
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NPD verfas sungs schutz
sungsschutz eingeschleust hatte. Im Wiese-Prozess al lerdings trug der Spitzel Magnien wenig zur Aufklärung bei, sein V-Mann-Führer erhielt, wie so oft in solchen Fällen, keine Aussagegenehmigung. In der Verhandlung aber wurde deutlich: Magnien trainierte die Münchner Neonazis im Wehrsport und im Observieren von politi schen Gegnern, er soll Attentatsziele vorgeschlagen und geholfen haben, Waffen zu besorgen. Der Verfassungsschutz und die rechte Szene – ein unse liges Kapitel. Schon der erste Versuch, die NPD zu ver bieten, scheiterte 2003 an der V-Mann-Problematik: Das Bundesverfassungsgericht stellte das Verfahren ein, weil angesichts der zahlreichen Spitzel innerhalb der Partei nicht mehr klar war, welche hetzerischen Aussa gen nun von der Partei selbst stammten und welche von staatlich alimentierten V-Leuten. Etwa der Fall Timo Brandt. Der Neonazi stand jahrelang auf der Gehalts liste des Thüringer Verfassungsschutzes, bis er 2001 enttarnt wurde. Brandt war Mitbegründer und Presse sprecher des Kameradschaftsnetzwerks Thüringer Hei matschutz, zu dem auch die Rechtsterroristen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe gehörten, bevor sie untertauchten. Außerdem war Brandt zeit weise stellvertretender NPD-Chef in Thüringen. Davor war er in Regensburg in diversen Neonaziorgani sa tionen aktiv. Ob er damals für den bayerischen Ver fassungsschutz arbeitete, ist unklar. Sicher ist: Vom Thüringer Geheimdienst kassierte er insgesamt rund 200.000 Mark. Und nach eigenen Angaben steckte er einen Großteil davon in seine Kameradschaft. Dass der
Staat Neonazis und deren Propaganda finanziert, ist kein Einzelfall, sagt der Bürgerrechtler und Publizist Rolf Gössner, Verfasser des Buches »Geheime Informan ten«, über die Arbeit von V-Leuten: »Damit fördert der Verfassungsschutz letztlich die Objekte, die er beobach ten soll. Und deswegen ist meines Erachtens der Verfas sungsschutz selbst Teil des Neonaziproblems gewor den. Im Laufe der Jahre ist ein regelrechtes Netzwerk aus Spitzeln in der Neonaziszene entstanden, ja wenn man so will, ein relativ undurchdringliches Gestrüpp aus braunen Parteien, Neonazigruppen, Verfassungs schutz und seinen dubiosen Zuträgern.« Ein Gestrüpp, in dem sich auch Geheimdienste und Staatsschutz nicht mehr zurechtfinden – wie der Fall der Zwickauer Terrorzelle zeigt. Am Ende profitieren die braunen Kameraden.
Aus der Sendung »Dossier Politik«, die politische und gesellschaftliche Entwicklungen reflektiert – mit Hintergrundinformationen, Analysen und Kommentaren.
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Bayern 2 vor Ort Bayern 2 unterstützt Kultur überall in Bayern
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19 Tom Fleckenstein 20 Dagmar Schwermer 21 Dieter Heß 22 Matthias Dänzer-Vanotti 23 Iska Schreglmann 24 Martin Schramm 25 Arthur Dittlmann 26 Werner Buchberger 27 Ralf Summer
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52 Jeanne Turczynski 53 Leslie Rowe 54 Daniela Arnu 55 Ulrich Chaussy 56 Karl Bruckmaier 57 Judith Heitkamp 58 Joana Ortmann 59 Jutta Prediger 60 Ulrike Ostner
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Tanja Zieger Susanne Merkle Veronika Schreiegg Lukas Hammerstein Christina Teuthorn
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Bayern 2 führt den »Salzburger Stier« in den Freistaat Vo n Tho ma s K o pp elt
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Wie konnte ausgerechnet ein männliches Rindvieh zum Sinnbild für Witz und List werden? Was hat ein prominenter Stier aus Salzburg in Süddeutschland zu suchen? Und warum ist das oberbayerische Fürstenfeldbruck 2013 die Kabarett-Hauptstadt Europas? Die Geschichte des internationalen Radio-Kabarettpreises »Salzburger Stier« wurzelt in der Renaissance, hat zahlreiche prominente Hauptdarsteller und führt 2013 in den Westen von München. s begab sich im Jahr 1525. Im gesamten süddeut schen Sprachraum protestierten Bauern gegen die gestiegenen Abgaben und gingen auf die Bar rikaden. Auch vor der Festung Hohensalzburg bezogen die Aufständischen Stellung. 14 Wochen lang belagerten sie den Salzburger Landesfürsten. Doch die Stadtmau ern waren stark, und die Burg ließ sich nicht einneh men. So versuchten die Belagerer die Stadt vom Lebens mittelnachschub abzuschneiden und auszuhungern. Es kam der Tag, an dem in Salzburg alle Vorräte aufge braucht waren – bis auf einen einzigen braun gefleckten Stier. Da verfiel der Stadtkommandant auf eine List: Am Morgen des nächsten Tages wurde der Stier auf die Fes tungsmauer getrieben und dem Feind gezeigt. In der kommenden Nacht malten die Salzburger das Tier weiß an und führten es erneut den Belagerern vor. Am dritten Morgen trabte ein pechschwarzer Stier über die Fes tungsmauer. Die aufständischen Bauern waren irritiert: Offensichtlich verfügte Salzburg noch immer über ge nügend Lebensmittelreserven. Die Belagerung war ihrer Meinung nach gescheitert. Und in einer dunklen Nacht zogen die fremden Kriegsknechte heimlich ab. So erzählt es die Legende. Und so erklärt es sich, dass ein Stier noch heute als Symbol für listigen Witz steht und eine gehörnte Trophäe alljährlich an die besten Kabarettisten und Kleinkünstler aus dem deutschen Sprachraum vergeben wird. Der internationale RadioKabarettpreis »Salzburger Stier« wurde zwar nicht zu Zeiten der Bauernkriege erfunden, und noch kein Künst ler hat versucht, seine Verleihung durch eine Belage rung zu erzwingen – begehrt aber ist er allemal, und mittlerweile verfügt er über eine mehr als drei Jahr zehnte dauernde Tradition (womit er übrigens die na türliche Lebenserwartung eines durchschnittlichen Rindviehs bereits deutlich überschritten hat). 1982 wurde der Stier erstmals in Salzburg von den öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten in Deutschland, Öster reich, der Schweiz und Südtirol vergeben. Heute zählt die mit jeweils 6.000 Euro dotierte Auszeichnung zu den wichtigsten ihrer Art und hat zahlreiche mittlerweile prominente Träger gefunden: Josef Hader, Emil Stein berger, Urban Priol, Frank-Markus Barwasser alias Er win Pelzig, Werner Schneyder, Dieter Hildebrandt und viele mehr. Wer vom »Salzburger Stier« auf die Hörner genommen wird, der hat dies noch nie bereut. Aber wa
rum wird die namhafte Auszeichnung mit der österrei chischen Stadt im Titel 2013 in Fürstenfeldbruck verlie hen? Nun, Rindviecher wirken auf den Betrachter in der Regel alles andere als bewegungsfreudig. Wissenschaft ler aber gehen davon aus, dass das heutige Hausrind einst aus dem Nahen Osten über Zypern nach Europa gelangte. Es ist also im Laufe seiner Geschichte ganz schön herumgekommen. Auch der »Salzburger Stier« be schloss nach ein paar Jahren in Salzburg auf Reisen zu gehen, um die Hörerinnen und Hörer der am Preisver fahren beteiligten Sender zu besuchen. Bereits 2004 hat er einmal die Alpen überschritten und sein Unwesen im Freistaat getrieben. Zum Glück wurde er nicht als Prob lemrind eingestuft und blieb deshalb von Jägern unbe helligt. Der Bayerische Rundfunk veranstaltete damals die feierliche Übergabe im Hofgarten Aschaffenburg, wo unter anderem Georg Schramm, Urban Priol und Se verin Groebner auf der Bühne standen. 2013 kehrt der Stier nach Süddeutschland zurück. Und weil ein traditi onsreicher Preis einen würdigen Rahmen braucht, packt der Bayerische Rundfunk den Kabarett-Stier bei den Hörnern und entführt ihn ins ehemalige Zisterzienser kloster Fürstenfeld im Westen von München, das seit einigen Jahren auch ein Kulturzentrum und einen mo dernen Stadtsaal beherbergt. Dieser Saal wird im 750. Gründungsjahr des Klosters zum europäischen Kabarettzentrum. Zwei Tage lang treffen hier die besten Künstler ihres Fachs aufeinan der: Bei der feierlichen Eröffnungsgala begegnen sich Anfang Mai 2013 Claus von Wagner, Mathias Tretter und Philipp Weber (gemeinsam auch bekannt als das Erste Deutsche Zwangsensemble), Georg Ringsgwandl und seine Band sowie der Moderator Christoph Süß. Außerdem nehmen Preisträger aus Deutschland, Öster reich und der Schweiz die gehörnten Trophäen entgegen.
Thomas Koppelt ist gebürtiger Fürstenfeldbrucker – weshalb er sich besonders darüber freut, dass der Stier seinen Weg 2013 in die Amperstadt findet. Einst war er als Mitglied der Musikkabarett-Gruppe »Höngdobel« selbst in der Kleinkunstlandschaft unterwegs, daher weiß er, wie schwierig und anstrengend es sein kann, lustig zu sein. Seit 2003 berichtet Thomas Koppelt als Autor für den Bayerischen Rundfunk über kulturelle Ereignisse, verfasst Glossen und moderiert Sendungen, unter anderem die »radioSpitzen« auf Bayern 2.
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Martina Schwarzmann – Die deutsche Preisträgerin des »Salzburger Stiers« 2013 Die Musikkabarettistin aus Über acker (Landkreis Fürstenfeldbruck) ist Trägerin des Deutschen Klein kunstpreises, des Bayerischen und des Deutschen Kabarettpreises – und die Lokalmatadorin beim »Salz burger Stier« 2013. Seit über zehn Jahren steht Martina Schwarzmann auf der Bühne, derzeit mit ihrem vierten Soloprogramm »Wer Glück hat kommt!« (Premiere 2011). Mit ih rer Wandergitarre, den streng nach hinten gesteckten Haaren und der Brille auf der Nase macht sie einen braven Eindruck. Das ändert sich, wenn man ihre skurrilen Lieder durchschaut. Martina Schwarzmann liebt es, ungewohnte Blickwinkel einzunehmen und entwickelt dabei eine schier überbordende Fabulier lust. Nach wie vor macht es ihr gro ßen Spaß, das Treiben ihrer Mit menschen auf dem Brucker Land zu beobachten und daraus die aben teuerlichsten Geschichten zu stri cken. Der lässige Charme, mit dem
sie dabei auch Abgründe des Alltäg lichen furchtlos in den Blick nimmt, ist faszinierend und macht sie zur Königin des lustvollen Fremdschä mens. Martina Schwarzmann nennt die Dinge unverblümt beim Namen, erzählt frech und witzig, was sie auf- und anregt, spart aber auch heikle Themen nicht aus. Sie macht Lebenswahrheiten an kleinen, oft alltäglichen Geschehnissen fest und verliert dennoch nicht das große Ganze aus den Augen. Und Spaß, ja, den hat sie obendrein – und ihr Pub likum auch.
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70 Tage Einsamkeit Mit dem Kanu auf dem Yukon durch Kanada und Alaska
»Ein Sprichwort sagt: Der Schöpfer wird dir niemals Probleme schicken, die du nicht lösen kannst. Wir tragen die Fähigkeiten, all unsere Probleme zu lösen, in uns selbst, in unserem Volk. Aber wir müssen diese Fähigkeiten erst entwickeln und dann nutzen.«
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Über 3.000 Kilometer zieht sich der Yukon durch die nordische Tundra. Bären, Lachse und Adler sind hier zu Hause genau wie Abenteurer und Gold sucher. Dirk Rohrbach hat auf seiner Reise abgelegene Indianerdörfer be sucht und ist Häuptlingen, Trappern, Jägern und Fischern begegnet, die vor allem nach dem eigenen Glück suchen.
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arcross ist die erste Siedlung auf dem Weg von den Quellseen des Yukon bis zum Beringmeer. Der Fluss wird erst hundert Kilometer weiter nördlich aus dem Marsh Lake entspringen. Smaragd grün ist das Wasser hier gefärbt. Fichten und Kiefern drängen sich nah ans Wasser und verströmen ihr inten sives Aroma. Schwalben tanzen artistisch durch die Luft, majestätische Weißkopfadler schwingen sich auf Baumwipfel, und aus den Wäldern dringt der Gesang der Vögel. Die nun folgenden 700 Kilometer von White horse bis Dawson zählen zu den beliebtesten Paddelre vieren im Norden. Im Sommer versuchen sich bis zu 2.000 Paddler hier. Überall finden sich noch Relikte aus der Zeit des Goldrauschs und der Ära der Schaufelrad dampfer. Verwaiste Siedlungen, gespenstische Schiffs wracks, eingestürzte Blockhütten. Eine faszinierende und immer wieder überraschende Zeitreise in die Ver gangenheit, als dieser Abschnitt des Yukon deutlich dichter besiedelt war als heute. Der Goldrausch aber scheint anzuhalten. Gerade erst macht die Kunde vom Fund der vermeintlichen Mother Lode, der sagenumwo benen Mutterader, wieder die Runde. Großkonzerne ha ben innerhalb kürzester Zeit Tausende von Claims in den Bergen abgesteckt. Aber auch die kleinen Minenbe treiber findet man noch, die sich zum x-ten Mal durch den Dreck des Klondike-Tals wühlen. 46
»Wir passen nicht in die normale Gesellschaft, und das wollen wir auch gar nicht. Deshalb sind wir schließlich hier draußen!« David Millar schimpft auf die Paragra fenreiter, als ich ihn in seiner Mine am Gold Bottom Creek außerhalb von Dawson City treffe. »Das ist eine sterbende Industrie, lange machen wir nicht mehr. Ich geb dir ein Beispiel: Als wir anfingen, gab es hier einen reißenden Bach ohne Fische. Durch die Minenarbeit sind Tümpel entstanden, in denen jetzt Fische leben können. Und nun wollen sie die Minen schließen, weil sie der Meinung sind, dass wir die Fische gefährden und sie sterben. Tatsächlich aber sind die ja überhaupt erst wegen uns dort. Das ist doch verrückt!« David wirkt nicht verbittert, zynisch vielleicht ein we nig. Humor hilft wohl am besten, mit den Enttäuschun gen fertig zu werden. Das meiste Gold hat er gefördert, als der Preis noch zwischen 250 und 400 Dollar lag, also nicht mal ein Viertel des heutigen Wertes besaß. Aber um Geld geht es ihm dabei ohnehin nicht: »Wenn das der Grund wäre, würde meine Frau mir das nicht erlau ben. Nein, ich liebe es einfach, die Unabhängigkeit, die Freiheit. Außerdem sind wir alle ziemliche Dickschädel, wir ziehen durch, was wir für richtig halten. Zu schade, dass du weiter musst. Ich hab eine Menge Arbeit hier und könnte Hilfe gut gebrauchen.«
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LINKS: Debbie verbringt jedes Jahr ein paar Wochen in einem Fish Camp, um Königslachse zu fischen. Den Rest des Jahres leitet sie das Berufsbildungsprogramm für den Yukon-Flats-School-District. MITTE: David Millar trifft Dirk Rohrbach vor seiner Mine am Gold Bottom Creek. RECHTS: Dirk Rohrbach hat seine Reise in einem traditionellen Kanu aus Birkenrinde unternommen.
Kurz hinter Dawson beginnt Alaska. 2.000 Kilometer Wildnis bis zum Beringmeer. Der Yukon kämpft sich erst noch weiter nach Norden, ehe er knapp oberhalb des Polarkreises seine Richtung ändert und gen Westen strömt. Berge und Hügel weichen immer weiter zurück. Mit der letzten Steilklippe am rechten Ufer erreiche ich einen neuen Abschnitt des Flusses, um den sich viele Mythen ranken: die Yukon Flats. Ein Labyrinth aus Zehntausenden Seen, Tümpeln, Inseln und weitver zweigten Flussarmen, 300 Kilometer lang und 30 Kilo meter breit. Vorankommen zäh, Orientierung aussichts los. Welcome to Bush Alaska! »Bären sind immer ein Thema, vor allem wenn wir Fi sche räuchern und der Wind den Geruch in die Wälder bläst. Wie eine Köder-Station für Bären.« Randy kennt sich hier bestens aus. Mit seiner Frau Debbie zieht er jedes Jahr für ein paar Wochen in ein Fish Camp, um Königslachse zu fischen. 80 bis 100 Königslachse pro Saison reichen für den Eigenbedarf. Randy filetiert die Lachse dann in einem kleinen Verschlag aus Wellblech vorne am Steilufer zu Steaks oder Streifen. Debbie setzt mit einem großen Messer im Abstand von etwa zwei Zentimetern Querschnitte in die Filets und zieht das Fleisch auseinander, damit es anschließend besser trocknet und zusammen mit den Streifen geräuchert
werden kann. Die Räucherkammer hinter dem Well blechverschlag ist an den Seiten mit blauer Plane abge trennt. Am Boden kokelt ein schwelendes Feuer in ei nem aufgeschnittenen Blechfass mit Deckel. »Es ist harte Arbeit, du brauchst gute Beine und einen guten Rücken. Und du musst verdammt aufpassen. Das ist ein raues Land, gnadenlos, weißt du.« Debbie leitet als Pädagogin das Berufsbildungsprogramm für den Yukon-Flats-School-District. Dazu gehören sieben Schulen, die sich über die Siedlungen in den Flats ver teilen. »Unsere Alten haben uns immer gelehrt, dass wir auf unser Land achten müssen. Wir haben hier keine Industrie, keine Wirtschaft, was bleibt also unseren jungen Leuten? Sie leben vom Land, sie schlagen Bäume, verkaufen Holz und tun einfach alles, was nötig ist, um etwas zu verdienen. Da gibt es eine spirituelle Verbin dung zu diesem Land. Und ich möchte, dass du das mit nimmst und weitererzählst, dass wir diese Verbindung haben und wie sehr wir darauf achten müssen.« Längst klingt Debbies sonst so fröhliche Stimme leiser und nachdenklicher. Selbst in der hintersten Buschhütte ha ben Videospiele, Dokusoaps und die Musik urbaner Popstars Einzug gehalten und prägen die Ideale der Ju gend. Ich umarme Randy und Debbie lange, als ich mich von ihnen verabschiede.
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In Carcross, einer kleinen indianischen Gemeinde, feiern die Ureinwohner am 21. Juni, dem Aboriginal Day, ihre Kultur mit Gesängen und Tänzen. Ihre meist rot-schwarzen Gewänder sind mit ihren Clan-Tieren bestickt.
An Debbies letzte Worte werde ich noch lange denken, auf dem Fluss und später nach der Reise: »Hier draußen zu sein, ist etwas Besonderes, das dich berührt. Wie nichts sonst dich jemals berühren wird.« Seit fünf Wo chen bin ich nun auf dem Wasser unterwegs, habe jetzt etwa 1.600 Kilometer hinter mir, gut die Hälfte der Stre cke. Halbzeit also. Im letzten Licht des Tages erglühen die Pfeiler der Dalton Highway Brücke. Es ist die einzige Brücke in ganz Alaska über den Yukon. Ab jetzt gibt es nur noch den Fluss und die Wildnis, die das Leben und die Menschen dort prägen. Mutig sind sie und beson ders, manchmal vielleicht sogar ein wenig schrullig, aber immer irgendwie liebenswert. So wie Jake, der ei gentlich Jakov heißt, vor vielen Jahren aus Russland kam und jetzt in Galena lebt. »Hier können die Men schen die Dinge nicht so kontrollieren. Der Yukon hält sich nicht an menschliche Gesetze oder Bestimmungen. Da gelten andere Regeln.« Und die scheinen ihm weit aus besser zu behagen. 1994 baute sich Jake mit seiner amerikanischen Frau und einem Freund ein Floß, mit dem sie einen Sommer lang auf dem Yukon von Eagle bis Galena trieben. »Meine Frau und mein Freund hat ten sicher andere Vorstellungen und Erwartungen an diese Reise, aber für mich stand schon vorher fest, dass ich niemals zurückgehen würde.« »The Mad Russian – der verrückte Russe« nennen sie ihn hier liebevoll. Mit seinem zerzausten braunen Rau schebart erinnert er an Rasputin, den russischen Wan derprediger und Geistheiler. »Mir gefällt es hier. Allein das Wasser zu beobachten, ist faszinierend. Seine Dyna mik und die Weite, das verändert psychologisch gese hen die Art und Weise, wie du denkst. Die Distanz, mit der du gewohnt bist, die Dinge zu betrachten, beeinflusst, wie du über alles Mögliche denkst und es einschätzt.« Je weiter der Horizont, desto offener der Geist? Viel leicht eine Erklärung für die betörende Magie des Yu kon. Meine Etappen werden nun immer kürzer, die Be dingungen immer härter. Dauerregen setzt ein, der vom Wind über die weite Landschaft getrieben wird. Gele gentlich schieben monströse Lastenkähne ihre tonnen schwer beladenen Frachtflöße durch die tief hängenden Wolken. Je näher ich dem Delta komme, desto mehr häufen sich die Siedlungen. An manchen Tagen passiere ich jetzt zwei oder drei Dörfer und erreiche nach Wo chen im Gebiet der Gwich’in nun das Territorium der 48
Yup’ik Eskimos. Sie besiedeln das weitläufige YukonDelta. Die größte Siedlung heißt Emmonak. 900 Men schen leben hier am Ende des Yukon. Die Straßen sind staubig, die Hütten meist schäbig, viele Familien hau sen in Armut, vor allem im Winter, wenn die Fischfabrik geschlossen hat und es keine Jobs gibt. Ich verlasse Emmonak und den Yukon mit einer kleinen Passagiermaschine. Nach mehr als 3.000 Kilometern und 70 Tagen. Er hat mich durch ein wildes, raues Land getragen zu den Menschen, die an und von ihm leben. Für einen Moment ist der Yukon ebenso mein Zuhause gewesen wie für die Menschen in den Dörfern an sei nem Ufer, die mich mit ihrer Herzlichkeit und Offenheit so beeindruckt haben. »Hier draußen zu sein, ist etwas Besonderes, das dich berührt. Wie nichts sonst dich je mals berühren wird«, hat Debbie mir im Fish Camp in den Yukon Flats prophezeit. Und Recht behalten.
Dirk Rohrbach war schon längst wieder auf dem Fluss, als dieses Heft in Druck ging. Der Autor und Fotograf ist Mitbegründer des Vereins Tatanka Oyate zur Unterstützung indigener Völker und hat diese Reportage für die Reihe »Breitengrad« geschrieben, eine Sendung über fremde Kulturen und Länder.
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Fort Yukon Stevens Village
Kaltag Ziel
Emmonak
Grayling Holy Cross
Pilot Station
Circle
Rampart
Galena Nulato
Beaver
Tanana Ruby
Eagle Dawson City
Fort Selkirk Carmacks
Russian Mission Whitehorse Carcross Start
Der indianische Name »Yukon« wurde auch für den Fluss übernommen, nachdem Händler im Jahr 1847 Fort Yukon gegründet hatten. Bei den Eskimos, die das Flussdelta bewohnten, hieß er »Kuikpak«, »großer Fluss«, wofür auch das Wort »Yukon« stehen soll. Im Jahr 1890 übernahmen Kanada und die USA offiziell »Yukon« als Bezeichnung für den mit 3.185 Kilometern (mit Quellfluss Nisutlin) fünftlängsten Fluss Nordamerikas.
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ontag, 7. Dezember 1835: Am Nürnberger Bahnhof zischt und raucht der »Adler«. Die Reise geht ins sechs Kilometer entfernte Fürth. Es ist die erste Eisenbahnfahrt auf deutschem Boden. Die Eisenbahn war eine technische Revolution, mit ihr nahm das Industriezeitalter Fahrt auf. Der Name Adler passte also ganz gut. Denn Adler stehen von alters her für Macht und Kraft, für Fortschritt, für die Neugier auf das Unbekannte, für die Sehnsucht nach Höhenflügen aller Art. v o n Br i g i tte K o hn
Der Biologe Henning Werth arbeitet für den bayerischen Landesbund für Vogelschutz als Gebietsbetreuer des Naturschutzgebietes Allgäuer Hochalpen. Adler faszi nieren ihn seit seiner Kindheit: »In Deutschland leben vier Adlerarten. Der größte von ihnen ist der Seeadler. Aktuell haben wir etwa 640 Brutpaare. Schwerpunkt sind die großen Flüsse, die Elbe zum Beispiel. Er besie delt auch Bayern seit einigen Jahren. Möglicherweise wird er sich als Nächstes an der Donau ansiedeln. Es ist eine Art, die auf dem Vormarsch ist. Dann gibt es den Fischadler, der 480 Brutpaare in Deutschland hat, Schwerpunkt in Ostdeutschland. Der gefährdetste Adler ist der Schreiadler, der in Brandenburg und Mecklen burg-Vorpommern vorkommt. Der Bestand liegt aktuell bei ungefähr 100 Brutpaaren, Tendenz leider abneh mend. Und der seltenste, aber eigentlich der stabilste, ist der Steinadler, mit 45 Brutpaaren ausschließlich im bayerischen Alpenbogen.« Steinadler werden bis zu 30 Jahre alt. Bei Eintritt der Geschlechtsreife, also mit vier bis fünf Jahren, binden sie sich lebenslang an einen Partner und investieren ge meinsam viel Zeit und Energie in ihre Kinderstuben. Ihre Horste sind im Durchschnitt 1,5 Meter breit und oft ebenso hoch oder noch höher. Man findet sie unter Felsüberhängen, aber auch auf Bäumen. Sie werden immer wieder repariert und erweitert und von vielen Generationen genutzt. Bis Mitte April werden die Eier 52
gelegt, meist sind es zwei, im Mai schlüpfen die Küken, und 70 bis 80 Tage dauert es, bis sie ausfliegen. Oft überlebt allerdings nur eines, erzählt Henning Werth: »Beim Steinadler ist der Geschwistermord verbreitet. Bei der Eiablage vergehen bis zu fünf Tage zwischen dem ersten und dem zweiten Ei. Das eine ist also viel größer als das andere. Ein grausames Phänomen, das die Natur entwickelt hat. Das sieht nicht vor, dass zwei Jungvögel gleichberechtigt aufwachsen. Nur wenn der Erste genug zu fressen bekommt, ist die Chance da, dass auch der Zweite überlebt.« Geschwistermord gibt es bei Fisch- und Seeadlern nicht. Er findet sich nur bei Arten, die Nahrungsknappheit befürchten müssen. Um der vorzubeugen, braucht der Steinadler ein großes Re vier, das 40 bis 100 Quadratkilometer umfasst. Kein anderes Tier hat in der Fantasie der Menschen eine so große Nähe zur göttlichen Sphäre wie der Adler. Im Christentum wird er mit Christus, mit Auferstehung und Himmelfahrt in Verbindung gebracht. Im Buch Ex odus verspricht Gott auf dem Berge Sinai dem auser wählten Volk der Juden, es zu beschützen wie der Adler seine Jungen: »Ihr habt gesehen, was ich mit den Ägyp tern getan habe und wie ich euch getragen habe auf Adlerflügeln und euch zu mir gebracht. Werdet ihr nun meiner Stimme gehorchen und meinen Bund halten, so sollt ihr mein Eigentum sein von allen Völkern, denn die ganze Erde ist mein.«
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m griechischen Mythos begleitet der Adler den höchsten Gott Zeus. Dem Titanen Prometheus ge reicht das sehr zum Nachteil: Ihn lässt Zeus an eine Felswand schmieden, weil er den Menschen das Feuer gebracht hat, die Voraussetzung für die Entfaltung von Kultur und Technik. Und anschließend schickt der höchste Gott des Olymps, verärgert über die Selbststän digkeit, die die Menschen Prometheus verdanken, auch noch seinen Adler vorbei. Prometheus in der gleichna migen Tragödie des Aischylos: »Am dritten unglückselgen Tage je erscheint mit schwerem Flug Zeus’ Bote, schlägt die krummen Klaun in meine Weichen, nagt an mir mit stummer Gier, gesättigt dann von meiner Leber leckerem Mahl, erhebt er seine Stimme, schlägt die Flügel, tränkt in meinem Blut den trägen Schweif und fliegt empor. Hat dann die fortgenagte Leber sich erneut, dann kommt er hungrig wieder her zum neuen Mahl. So nähr ich selbst den Wächter meiner bittren Pein, der mich Lebendgen nährt mit Todesqual; Denn unter dieser Ketten Last, ihr seht es selbst, kann ich den Adler scheuchen nicht von meiner Brust.« In der Gestalt des Adlers behauptet hier der Gott seinen Machtanspruch über die Menschen.
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öttlich und Respekt gebietend ist der Adler auch und vor allem für die India ner Nordamerikas, sagt der Ethnologe Dr. Wolfgang Stein, stellvertretender Direktor des Münchner Völkerkunde museums und zuständig für die Ab teilungen Südasien und Nordamerika: »Es gibt im Südwesten, bei den Hopi zum Beispiel, den Adlergott, da ist eine ganz enge Verbindung zwischen Mensch und Vogel und dem Vogel als Gottheit da. Wir haben auch den Adler als Kulturbringer, der den Menschen alles Notwendige auf die Erde bringt, da mit sie überleben können. Es gibt Adlertänze, da wer den ihm Opfer dargebracht. Der Adler hat immer eine Verbindung mit der spirituellen Welt.« In den Zeremonien wurden und werden bis heute viele Federn verwendet, so Dr. Wolfgang Stein: »Man nimmt vor allen Dingen die Schwanzfedern oder die Schwung federn. Wir wissen, dass zum Beispiel ein kompletter Federsatz eines Adlers vor hundert Jahren den Wert eines Ponys hatte. Die Medizinmänner, die Heiler, die haben zum Beispiel mit den Röhrenknochen, den Schwingenknochen, die Krankheit aus dem Patienten herausgesogen.«
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er Adler hat in den Mythen der In dianer auch eine Gegenspielerin, die Schlange. Auch die wird weltweit mysti fiziert, wenn auch unter anderen Vorzeichen. Das Gegen satzpaar Adler und Schlange repräsentiert die Polarität des Kosmos. Ein Beispiel aus der nordischen Mytholo gie: Yggdrasil, der Weltenbaum. In seinem Wipfel wohnt ein Greifvogel, Schlangen und Drachen nagen an seinen Wurzeln. Auch Balten, Inder, Perser und andere indo germanische Völker haben ihre Weltenbäume; manche Forscher meinen, das christliche Kreuz sei mit ihnen verwandt. Hier die Nacherzählung eines germanischen Mythos: »Weit hinaus rauschte der Wipfel eines gewalti gen Baumes, der immergrünen Weltesche Yggdrasil. Ihre Krone ragte in den Himmel und breitete sich über die ganze Welt, ihre drei Hauptwurzeln aber stießen weit hinein in die Tiefe. Hier lag der scheußliche Drache Niddhöggr und nagte an den Wurzeln und mit ihm viel anderes hässliches Gewürm, sodass den Baum Auszeh rung und Fäulnis bedrohten. Hoch oben in Yggdrasils Krone saß ein Adler, der zornige Schmähworte gegen das Untier der Tiefe schleuderte.« Schlangen und Würmer sind Sinnbilder der Erde, der Leiblichkeit, der Sünde und des Todes, über die der Ad ler als männliche Lichtgestalt triumphiert. Eher selten kommt es vor, dass sich ein Adler in der weiblichen Sphäre zu Hause fühlt. Der Vogel aus der »Geierwally«, dem berühmten Roman von Wilhelmine von Hillern, erschienen 1875, ist kein Geier, sondern ein Steinadler und ausnahmsweise ganz auf Frauen fixiert. Genauer gesagt, auf die Geierwally, die ihn aus dem Horst ge raubt und aufgezogen hat. Der Adler symbolisiert in diesem Roman die Macht der Natur, mit der die Geier wally ganz vertraut ist. Er symbolisiert auch die männ lichen Wesensanteile dieses kühnen Mädchens, das sich mit den Spielregeln der Dorfgemeinschaft und vor allem der Männer so gar nicht anfreunden kann.
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Dass die Geierwally einen Adlerhorst aushebt, noch dazu einen, an den sich die Burschen nicht herantrauen, ist ein besonders spektakulärer Bruch mit dem traditi onellen Rollenverhalten und ein Affront sondergleichen. Denn Adlerhorste ausheben war im 19. Jahrhundert ei ne Mutprobe unter Männern, sagt Henning Werth vom Landesbund für Vogelschutz: »Das waren regelrechte Volksfeste. Da hat man bei Blasmusik und Bier dem Jagdgesellen zugeschaut, der in den Horst geklettert ist und dann hat man den Jungadler rausgenommen. Wenn sich die Alten dem Horst genähert haben, hat man sie erschossen. Die Jungtiere wurden an Fürsten und Herr schaftshöfe weitergegeben, um sie abzurichten.« Vergötterung oder Idealisierung haben einem Tier noch nie etwas geholfen. Es nützt dem Adler nichts, Parla mente und Wappen zu zieren oder seine Federn für angeblich indianische Traumfänger zu opfern, die größ tenteils in China produziert werden. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war der Steinadler fast ausgerottet. Seit 1925 steht er unter Naturschutz, und zwischen 1997 und 2007 gab es ein erfolgreiches Artenhilfsprogramm in Bayern, um den Bruterfolg zu erhöhen. Die Vogel schützer haben den Adler gerettet.
Brigitte Kohn ist Literaturwissenschaftlerin und findet es interessant, naturwissenschaftliche und kulturelle Aspekte zu mischen. Der Adler, der König der Lüfte, ist ihr beim Schreiben sehr ans Herz gewachsen: Er beflügelt die Fantasie der Menschen in vielfältiger Art und Weise, aber sein Leben in einer bedrohten Natur ist nicht immer leicht. Alle Aspekte sind Inhalt ihrer radioWissen-Sendung, geschrieben für den Bereich »Natur und Technik« ab dem 8. Schuhljahr. Alle »radioWissen«-Sendungen gibt es auch auch als Podcast und Manuskript.
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Die Aktualität der Wissenschaft V o n Dr . Je a n n e Ru bner
Wissenschaft lebt vom Detail, von Zahlen, von der Ex aktheit, von der Abstraktion. Journalismus lebt von der Geschwindigkeit, vom Ungefähren, auch vom Persönli chen. Man könnte meinen, dass beides nicht zusammen passt. Lange Zeit war daher auch das Credo vieler Jour nalisten, dass Wissensthemen auf der ersten Seite einer Zeitung oder in der morgendlichen Nachrichtensendung im Radio nichts verloren haben. Das ändert sich. Die Spuren des Higgs-Teilchens, die ökologischen Folgen der Ölpest im Golf von Mexiko, die Unberechenbarkeit des Vulkans Eyjafjallajökull, das Erbgut des anstecken den Bakteriums Ehec oder die geschönten Daten von Transplantationspatienten – das sind nur ei nige der Wissensthemen, die tagelang die Schlagzeilen beherrschten und reich lich Stoff für Reportagen, Kommen tare und Analysen lieferten, auch zur besten Sendezeit. Deshalb ist es nur richtig, dass in den Mor genmagazinen, den radioWelten, den Rundschauen die Ergebnis se der Klimaforscher, der Teil chenphysiker und der Mediziner ebenso wichtig genommen wer den wie das Interview eines Poli tikers oder der Dauerstreit der Ökonomen über die richtigen Re zepte gegen die Euro-Krise. Wis senschaftsthemen sind kompliziert? Stimmt, aber die Journalisten, die sich damit beschäftigen, wissen, wie man die Er gebnisse aus dem Labor übersetzt. Sie wissen, dass auch Forscher eine Agenda haben und dass nicht jede angebliche Sensation eine Nachricht wert ist. Sie sind die Vermittler zwischen der schnellen, nach Sensatio nen gierenden Welt der Nachrichten und der nüchter nen Welt der Wissenschaft, die auf langsame Fort schritte baut.
Dr. Jeanne Rubner ist Physikerin und sagt: »Die Ergebnisse aus den Forschungslabors, den Kliniken oder den Teilchenbeschleu nigern können unser Leben verändern, vielleicht nicht ganz so schnell wie eine Finanzkrise, möglicherweise aber nachhal tiger.« Sie leitet unsere Redaktion Wissenschaft und Bildungspolitik und ist als Moderatorin von »IQ – Wissenschaft und Forschung« zu hören.
Bildungsboom im Radio Von S u s a n n e P oe lcha u
Die Themenvielfalt, Seriosität und ansprechende Aufbe reitung komplizierter Inhalte – das ist es, was immer mehr Menschen zum Hören von Wissenssendungen ein lädt. Im Radio und zeitunabhängig als Podcast – sei es beim Walken, im Zug, auf langen Autofahrten oder in der Badewanne. Gerade Wissenssendungen werden oft auch weiterempfohlen – in User-Foren, auf Fa cebook oder per Mail-Verteiler. Viele Fra gen und Entwicklungen in der heutigen Zeit sind so komplex, dass das Erfah rungswissen des Einzelnen dafür einfach nicht ausreicht. Deshalb ist das Bedürfnis nach fundierter Information und kritischer Ein ordnung immens. In einer Zeit, in der Informationen meist den schnellen Zyklen im Medienge schäft unterworfen sind, geht es mehr denn je darum, Entwick lungen zu verfolgen, Hintergründe zu verdeutlichen und langfristig an Themen dranzubleiben. Wissens sendungen setzen auf Einordnung und Nachhaltigkeit. Die Herausforderung: Begriffe wie Ökologischer Fußabdruck, EuroRettungsschirm oder freier Wille so zu erklären, dass sich auch Nicht-Fachleute ein Urteil bilden kön nen. Schwierige Themen zu vereinfachen, ohne sie je doch zu verfälschen. Beim Zuhören soll ein Gesamtbild entstehen, in das sich bereits vorhandene Wissensfet zen einordnen lassen. Aufwendige Produktionen mit professionellen Regisseuren und exzellenten Sprechern, Originaltönen, Interviews, Zitaten, Geräuschen und Mu sik machen das Hören zu einem sinnlichen Erlebnis. Es entstehen Bilder im Kopf und es bleiben Geschichten zum Weitererzählen. So ist Bildung spannend!
Susanne Poelchau ist Sozialwissenschaftlerin, hat ein Faible für Psychologie und Verhaltensbio logie und leitet die Redaktion Wissen und Forschung. Deren Sendung »radioWissen« ist mit rund 1,2 Millionen Abrufen monatlich unser Podcast-Spitzenreiter und führt deutschlandweit die Hitlisten von Wissenssendungen an.
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Ein kleiner Preis mit großer Wirkung Der Bayern 2-Wortspiele-Preis von c orn e li a ze t zsch e
Eine schwarze Halle, schwarze Wände, schwarzer Tisch und Stuhl. Unterm Lichtkegel: sechzehn Schriftstelle rinnen und Schriftsteller mit neuen Texten, die zeigen, was den Autoren-Nachwuchs beschäftigt. Jung meint hier beim »Internationalen Festival junger Literatur«: Mancher ist unter zwanzig, keiner über vierzig Jahre alt, alle lesen in der Club-Atmosphäre des Ampere. Das Muffatwerk, Münchens historisches Elektrizitätswerk, vibriert heute vor geistiger Energie. Seit 2001 ist Bayern 2 Medienpartner der »Wortspiele«, seit 2006 gibt es den Bayern 2-Wortspiele-Preis, das heißt: die Lesung im Radio und 2.000 Euro Preisgeld, z. B. für die Reise nach Kalifornien. Seit 2009 spendet die Villa Aurora zum Geldpreis einen Monat Aufenthalt in der Feuchtwanger-Villa hoch über der Bucht von Santa Monica. Der Bayern 2-Wortspiele-Preis ist nur ein Beispiel, wie die Literatur- und Kultur-Sendungen auf Bayern 2 neue Literatur präsentieren und fördern: mit Rezensionen und Gesprächen im Büchermagazin »Diwan«, mit Porträts und Essays im »Kulturjournal«, 56
mit Lesungen, exklusiven Geschichten und Auftragstex ten in »radioTexte – Das offene Buch«. Dass Sebastian Polmans bei den Wortspielen 2012 mit einer Adoles zenz-Geschichte gewann, ist kein Zufall. Familie und Erwachsen-Werden sind beliebte Themen bei jungen Autoren, die sich oft gerade erst von zu Hause gelöst haben. Die Jury beurteilt den Text, nicht die Perfor mance. Berlin hat den open mike. München die »Wort spiele« – und Bayern 2 ist dabei!
Cornelia Zetzsche möchte Lust aufs Lesen machen. Ihr Faible gilt der Literatur zum Hören, der Bibliothek im Ohr für den mobilen Menschen. Sie führt durch den Dschungel der Neuerscheinungen, auch von außereuropäischen Autoren wie dem Nobelpreis kandidaten Ngugi wa Thiong’o oder Indiens elegantem Stilisten Kiran Nagarkar, mit deren Büchern man auf Weltreise gehen kann, ohne sich einen Meter aus dem Haus zu begeben. Nachzuhören im Bücherma gazin »Diwan« oder in »radioTexte – Das offene Buch« am Wochenende.
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s war ein schöner Abend im August, und als der Junge kurz vom Fenster zurücktrat, spürte er die Wärme auf seiner Wange. Noch drei Stunden und er hätte Fei erabend. Er würde die rote Ringmappe aufklappen und die Dienstliste ausfüllen, und unter Vorkommnisse würde er NICHTS schreiben, sowie jeden Samstag bisher. Seine Sachen würde der Junge in den Rucksack packen, den Stecker vom Radio aus der Dose ziehen und vom Telefon im Turm den Feuerwehrnotruf wählen, und so bald jemand abhebt, sagen, Wachturm 693, Grenzwald … Ich mach Feierabend … Nichts ist passiert …
Auszug aus »Junge«, ein Roman von Sebastian Polmans S u hr ka mp Verlag Berli n, 2011
Der Mann oder die Frau in der Leitung würde ihn bit ten, lauter zu sprechen. Er würde sich zusammenrei ßen und räuspern, würde tief einatmen und versuchen, »Nichts ist passiert« laut und deutlich zu wiederholen. Doch dann ein bleischweres Geräusch, ein Krach aus dem Himmel, plötzlich, wie ein mitten im Lied einset zendes Play. Ein Donnern, das sich von außen in seine Vorstellung wälzte. Oder verhielt es sich umgekehrt? Das Dröhnen ähnelte dem der startenden Jets auf dem Flughafen. Dieses aber war ortloser, machte den Him mel zu einem übersteuerten Lautsprecher. Eine Weile hielt der Junge den Lärm aus, bevor er mit seinen Zei gefingern die Knorpel vor die Gehörgänge presste, zu erst nur sekundenweise, bis er seine Finger schließlich auf den Knochenplättchen liegen ließ. Er wollte nichts mehr hören, nichts, trotzdem umschwirrte ihn weiter das Sausen. Er spannte seinen Körper an, den Nacken, die Schultern, seinen Po. Doch er konnte sich abmühen, wie er wollte, sich die Ohren zuhalten oder nicht, das Rauschen verschwand nicht mehr. Er schreckte zusam men, versuchte sich mit Gedanken ans Meer zu beruhi gen, das er manchmal, meist gegen Ende seiner Schich
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ten am Abend, wenn es der Sonne nicht mehr gelang, die Dunstschleier und Dämmerschwaden zu durch brechen, vom Turm an den Horizonträndern zu sehen glaubte. Das sanfte Flimmern der Wellendecke vor Au gen, atmete er tief ein. Seine Anspannung löste sich ein wenig. Er roch das Salz und hörte Kielwasser gegen die Außenwände seines Turms brechen, ein Geräusch, das das Rauschen in seinen Ohren für eine Weile schluckte.
ft zerrannen die Blicke des Jungen in dieser Aus sicht und er sah in den vier dampfenden Kühltürmen der Kraftwerke tief im Westen einen holländischen Dampfer auf seinem Weg nach Amerika. Er stellte sich unten im Blechbauch des Schiffes die Heizer in den Maschinenräumen vor, deren rußschwarze Gesichter verkrampft und schmierig vom Schweiß, wie sie unter dem lauten Hämmern und Scheppern der Maschinen um sie herum Kohlen in die Trommel des glühenden Dampfkessels schippten. Die hier und da auftauchen den Gerüste und Strommasten im Südosten versah er mit Segeltüchern, und in der Ferne glaubte er, die Pe quod zu entdecken, knapp vor dem im Dunst versteck ten Felsen am Kap der Guten Hoffnung. Drei Tage hat ten sie Jagd gemacht auf den weißen Wal, Ahab war von Bord des Schiffes geschleudert und unter Wasser gezogen worden. Der Junge schob seinen Kopf vorsich tig unter das Fenster, und nun beobachtete er als letz ter Zeuge den Untergang des Walfängers, dessen Mas ten kurz vor seinem Ende wie Zahnstocher zerbrachen. Mit seinem Fernglas suchte er, unruhig, nach einem Zeichen von Ismael, der die Katastrophe als Einziger überleben sollte. Er fand ihn nicht. Der Junge schaute nicht mehr aus dem Fenster, mit geschlossenen Augen,
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den Kopf geneigt, stand er in der Mitte der Kanzel, die Ellbogen abgelegt am Rand der dünnen Kreisscheibe, die auf einen rostigen Eisenstab geschweißt war, das Peilgerät zur Ortung von Waldbränden, die Perforation über dem Zirkelkreis fasrig. Die Kimme stand bei 82°, das Korn ver wies entsprechend auf 262°. Es war auf den flimmernden Halbkreis der untergehenden Sonne ausgerichtet.
as war das?« Auch wenn niemand mit ihm in der Kanzel stand, war da ein Anschreien, und er konnte diesem Gebrüll nur noch seinen Kopf entgegenstrecken, mutig und ohne sich die Ohren zuzuhalten, weil dies so und so nichts brachte. Vielleicht gab es dieses Rauschen gar nicht und er stellte es sich nur vor. Er schüttelte sich, schlug nach einer Mücke, die um ihn herumsirrte. Dann fühlte er eine Hand in seinem Nacken. Finger, die sich in seine Haut bohrten. Er schaute ruckartig über die Schulter. Das Rauschen in seinem Kopf drängte vorwärts und wurde lauter. Jetzt schrie er selbst. Aber alles war still. Er riss das Fernglas mit ei nem Ruck vom Hals und schmiss es auf den Boden. Etwas brach ab. Vor seinen Augen zog sich eine Spinne an ihrem Faden Richtung Decke. Er tat einen Schritt ans Fenster. Er wollte wegrennen, aber er stand da, wie eingefroren. Unter sich sah er die Blätter wehen, auf der Grenzstraße fuhr ein Lkw mit einer Ladung Kies. Er fühlte sein Herz rasen und tastete mit einer Hand seine Brust ab, bis er an die Stelle kam, an der er das Klopfen bis in die Fingerspitzen spürte.
Sebastian Polmans, geboren 1982 in Mönchengladbach. Geistes- und musikwissenschaftliche Studien an Universitäten in Siegen, Hildesheim und Rom. Mit dem Bayern 2-WortspielePreis wurde er für seinen Debütroman »Junge« ausgezeichnet. In der Begründung der Jury heißt es: »Sebastian Polmans bietet hier ein großartiges und hochsubtiles Szenario jugend licher Irritationen und Erwartungen, in einer poetischen Prosa, die trifft, ohne jemals zu überzeichnen.«
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»Der Klang gibt dem Gedanken Körper« Katarina Agathos im Gespräch mit Uwe Dick im Juli 2012
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1976 entstand die erste Fassung der »Sauwaldprosa«, welche 1978, 1981, 1987, 2001 und 2008 erweitert wurde. Knapp 600 Seiten enthält die letz- te Fassung, eine weitere Ausgabe ist in Vorbereitung. Was enthielt die erste Fassung von 1976? Die Entdeckung einer Landschaft: die Reise in den geografischen Sauwald, in das Granitgebirge des Böhmischen Meeres, von Brannenburg aus, also den Inn abwärts. Der Inn macht einen Knick bei Passau, einige sagen Pas sauwald, daher der Name. Andere haben andere Motive, die Sau in den Vor dergrund zu jagen. Diesen Sauwald habe ich gründlich beschrieben, die Fährte dorthin, die Stationen durchs Tertiärhügelland, Niederbayern, Eg genfelden, Passau. Ein Reisebuch. Ich hab vorher über die Faröer Inseln geschrieben, die Shetlands, Venedig. Aber das waren jetzt zum ersten Mal Anfälle zu einer größeren Prosa. Die drei Worte Sau – Wald – Prosa: Was erzählen die für sich genommen? Das Zentrum ist der Wald: Der wortwurzelwidrige Wirrwarrwald, der wächst und wächst, und es gelingt sogar mir manchmal nicht, mich daraus zu befreien. Es ist ein Stolperwerk. Wir stolpern und daraus entsteht das Bewusstsein. Sau – da steckt auch das Glücksschwein drin, Sein und Schwein – trau Sau wem? Also, dieses Täuscheln steckt drin. Prosa ist die vorwärtsgerichtete Bewegungskurve, von provorsa, immer mit dem Vorha ben, dort rauszukommen, wo man es sich vorgenommen hat, aber dieses Vorhaben scheitert natürlich oft, wie im wirklichen Leben. Waren die Erweiterungen, war das work in progress von Anfang an Konzept oder war’s eine zufällige Entwicklung? Das Leben spielt mir mit und ich lasse es zu. Bei der ersten »Sauwaldprosa« war ich der Meinung, ich hätte ein Buch geschrieben. Das war damals im Ehrenwirth Verlag und Martin Ehrenwirth fragte nach einer zweiten Aufla ge. Ich meinte, das ließe sich machen. Er sagte ja. Im Vorwort? Ich dachte, das passt nicht. So wie’s anfängt, müsste ich’s hinten anstellen. Das Jagd motiv ist mir eingefallen – also gut: Schreibe ich ein Nachstellvorwort, nachgestellt und Nachstellung in einem. Das bekam dann eine Eigendyna mik, und ich musste mich sehr zusammennehmen, nicht ins Epische zu ge raten. Auch war der Geburtstag Jean Pauls in Sicht. Darum habe ich ein Murki zu Ehren Jean Pauls geschrieben: Fußnoten, die manchmal länger sind als der Text, unter dem sie stehen. Das hat mir gezeigt: Das Potenzial ist unendlich: Sau, Wald, Prosa – jetzt hat’s mi. Lässt sich ein Werk wie die »Sauwaldprosa« überhaupt abschließen? Man kann es abschließen, so, wie man plötzlich mit dem Denken aufhören kann. Aber: nicht nur ich, jeder Leser hat die Möglichkeit, seine Sauwald prosa weiter zu denken, sich an sein Schwein zu erinnern, das er im Leben gehabt hat, seinen Wald der Wälder zu imaginieren. Wir sind zwar kontin giert, doch das, was wir erleben und erträumen, ist, wenn es niederge schrieben ist, noch nicht erledigt. Ich sehe das an der antiken Literatur und an der Literatur der Renaissance und dem Barock, dass mich manche Auto ren mit einigen Sätzen weiterbewegen, wo ich schon geglaubt hatte, ich hab’s. Heuristisch: Ha! Nix! – Weiter! Und so handle und füßle ich mich fort durch Spruch und Widerspruch. Das ist von Haus aus dialektisch. Es wühlt, wütet, foppt und fabelt nicht nur ein Dialekt-Dick in der »Sauwaldprosa«.
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»Das Zentrum ist der Wald: Der wortwurzelwidrige Wirrwarrwald, der wächst und wächst, und es gelingt sogar mir manchmal nicht, mich daraus zu befreien. Es ist ein Stolperwerk.«
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Welche Rolle spielt der bayerische Dialekt bzw. Dialekt überhaupt? Am Anfang, im Innviertel, feiere ich die lippenwarme Mundart als sinn lichste aller Sprachen, entdecke ihre Schönheit und die Genauigkeit. Das, was man landläufig Boarisch nennt, dieses Leberkaasboarisch, ist da ganz weit weg. Mir geht’s darum zu erinnern, dass der Dialekt älter ist als das Hochdeutsche, das so hoch nicht ist, als dass ich es nicht erreichen könnte: Die bayerische Sprache hat an der »Sauwaldprosa« nur einen Anteil von etwa drei bis fünf Prozent. Zudem ist sie erweitert – ins Indoeurobayeri sche. Andererseits speist sich auch manches Gedicht und auch mal eine Prosapassage aus dem Niederdeutschen und anderen Idiomen. Für mich gibt es keinen sprachlichen Rassismus. Alles ist Sprache. Welche Rolle spielt die Karikatur? Nehmen wir den Satz: Heit in da Fruah, wiari aufgschtandn bin, hob i oan gsähng, dem hätt i glei oane schtian meng. Aber wenni zuagschlogn hätt, waar da Schpiagl hi gwen. Selbstkritik! Ich bin mir ja oft genug selbst ein Widerling. Mit meiner Ungeduld zum Beispiel. Die meisten Klein- und Teil wahrheiten entreiße ich mir beim ersten Zupacken. Je länger ich brüte, des to weniger Wirklichkeit entreiße ich dem All. Ich bin ein Sprinter im Den ken, ein Marathonläufer, jedoch, was die Gestaltungsversuche betrifft: no a moi, no a moi, no a moi. Es gibt Gedichte und Aphorismen, die ich 60-mal oder öfter umgeschrieben habe, bis sie ihre präzise Lautgestalt erreicht haben. Und die Lust an der Reduktion führt dazu, dass ich jetzt Ein-WortRomane schreibe, einige von ihnen finden sich in einem Bändchen, das im Herbst 2012 erschien. Ich schreibe Festseller, keine Bestseller, und das stei gerte sich in den letzten Jahren zu dem Programm: So dicht schreiben, bis er sich verdünnisiert, der Lesepöbel. Was findet ein Leser, der Uwe Dick in die Tiefe liest? Die Geschichtlichkeit eines Wortes zum Beispiel. Ich arbeite ja viel mit Klängen, mit Motiven. Vieles ist wie eine Echosymphonie komponiert. Die Namen-San-Schicksal-Symphonie zieht sich durch die ganze Sauwaldprosa und verästelt sich immer mehr, sodass wir auch räumliche Verstecke haben. Die Metamorphosen des Waldes, bis hin zum Antennenwald oder zum wan dernden Wald Shakespeares, der mir nachrückt und mich umstellt. Man ches geschieht unterschwellig. Unter dem Laub- und Nadelboden ist schon wieder etwas anderes im Werden. Im Granit – also noch tiefer – wachsen Kristalle: Gedichtkristalle aus dem Muttergestein. Und so ist das Buch in die Höhe, Tiefe und in die Weite komponiert. Das entdecken manche erst beim zweiten oder dritten Lesen, also nicht viele. Doch ein Buch, das nicht wert ist, mehrmals gelesen zu werden, lohnt auch kein erstes Mal. Was wird noch zu erzählen sein in der nächsten Ausgabe? Das weiß ich noch nicht. Ich schreibe, um mich selbst zu überraschen. Aber ich habe einen riesigen Katalog von Material und Zentralgestirnwörtern. Ich weiß ja auch noch nicht, ob ich die nächsten paar Jährchen noch gesund bleibe oder sich, wenn ich merke, iatz geht’s auf Gra(b)mbach zua – wie der Bayer sagt –, die Gewichtungen ändern. Das entscheide ich während der Arbeit: Ich hab eh viel mehr Einfälle, als ich brauch. Ich vergleiche meine Einfälle – und hab das schon mal beschrieben – mit den Einfällen der Hun nen. Sie gallopieren über mich hinweg, weg, weg, weg. Wenn ich die letzten Gallopiaden verklingen hör, wage ich wieder aus dem Baaz heraus, in den sie mich hineingeritten haben. Die wenigsten Einfälle kann ich gebrauchen. Doch auch ohne sie gilt: Ich denke nur noch in Fragmenten. Na und?! In dividuum – sagt Ludwig Marcuse – meint nur die Unteilbarkeit, nicht die Harmonie der Teile. Darum der Ein-Wort-Roman: Harmo…niiie!
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Wie pflegen Sie die Gabe, sich selbst zu überraschen? Es heißt ja irgendwo: Ich komm Hirn Dick schon auf die Schliche. Mit dem Versuch der Selbstbeobachtung beim Denken? Manchmal funktioniert’s, manchmal nicht. Ein Regelwerk ist hier nicht abzuleiten. Sind viele Texte von Ihnen auf die Form des Live-Vortrags oder des Laut-Lesens angelegt? Das meiste in meinen Texten, ich sag mal zu achtzig bis neunzig Prozent, ist gesprochene Sprache. Bei mir geht die akustische Dimension vor. Der Klang gibt dem Gedanken Körper. Wenn die Leser den Text laut läsen, hätten sie einen Großteil dessen versinnlicht, was von mir notiert wurde. Dann gibt es natürlich auch noch das, was aus meinem Unterbewusstsein kommt. Die Sprache hat ja ein Potenzial von 3.000 bis 5.000, vielleicht sogar 100.000 Jahren Menschendenken, Menschenträumen, Menschenbangen, Menschen hoffen. Deswegen sag ich: Ich bin gar need so gscheit, i lass nur die Sprache für mich denken, das bringt’s – vielleicht! Nun sind aus der Sauwaldprosa unter der Regie von Michael Lentz zwölf Hörspiele produziert worden. Erkannten Sie die Texte noch wieder? Es ist faszinierend, was andere aus der Partitur herausholten. Und Michael Lentz als Regisseur ist ein Glücksfall, da er selber ein virtuoser Sprecher, aber auch ein virtuoser Leser ist und sich in meinem Werk sehr gut aus kennt. Fast besser als ich. Ich bin verblüfft, wie er z. B. ein Gedicht für fünf Sprecher atomisiert. Gibt es Passagen, die sich für die Radioproduktion nicht geeignet haben? Die diskursiven Teile ja, die Essays. Die sind im Buch genau richtig, aber im Hörspiel fehl am Platz. Das meiste jedoch eignet sich – sogar für eine wei tere Hörspielreihe. Auch meine Gedichte sind meistens Hörspiele. Ich ma che auf lyrischer Ebene eigentlich das, was Hubert Fichte gemacht hat, aber die Kritik hat das nicht entdeckt, die haben gar nichts entdeckt. Die haben halt nicht gelesen. Und dann gibt es sogar welche, die mir vorwerfen, ich hätte die Rezeption meiner Literatur selbst verhindert, weil ich akustisch arbeite. Schreibe statt Sprache? Der Einwand ist lächerlich, dass die Texte für den Vortrag komponiert seien und solchermaßen das Lesen erschwert würde! Die Literaturkritik könnte Sie also noch entdecken. Braucht sie aber nicht. Die Rezeption ist gelaufen. Ich bin nicht bange. Es gibt immer wieder Leser, die nicht vor einem Text versagen. Insgesamt ge sehen – und gehört! – gilt der Satz: Die Quantitäter sind meistens Quali töter. Dichte ist entscheidend. Smaragde und Topase kann man sich mit dem Tieflader kommen lassen, aber den Wert bestimmt der Schliff. Das ist meine Arbeit.
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Informationen zur Produktion »Sein Lebensbuch« – so nennt der Schriftsteller Uwe Dick sein Werk »Sauwaldprosa«. Seit 1976 ist die »Sauwaldprosa« in sechs stets er weiterten Ausgaben erschienen. Die Bildkraft und Denkweite erstaunt die Literaturkritik und die Leser schaft seit Jahrzehnten. Dick steht für Sprache, nicht für Schreibe. Das Wortwurzelwerk des poetischen Re bellen wider alle Hierarchien – Dichtung des Zorns und Lachstau nen, Grobiansidiotikon und subtile Wortkunst – speist eine Waldkab bala ohnegleichen: Magischer Sur realismus weitet das Innviertel zum Inniversum. Dass die »Sauwaldprosa« gut alle li terarischen Genres – Roman, Essay, Krimi, Märchen, Reportage, Stachel rede, Poly-, Dia- und Monolog, Brief, Predigt, Tag- und Nachtbuch, Epi gramm pp. – in einem Lebensbuch vereinigt, ist eine Konsequenz der Maxime: »Vielfalt statt Einfalt, bitte!« Der Bayerische Rundfunk produ zierte Dicks »Sauwaldprosa« 2012 als fast zwölf Stunden umfassendes Hörspiel. Regie führte Michael Lentz (Redaktion: Herbert Kapfer/Katarina Agathos). An der Produktion ist Dick, der mit »Der Öd«, dem »Bio-Drama eines Amok denkenden Monsters«, berühmt geworden ist, selbst betei ligt. Weitere Mitwirkende sind u. a. Marisa Burger, Eisi Gulp, Peter Fri cke und Hanns Zischler. Zur Ursendung erschien das Hörspiel »Sauwaldprosa« als Hörbuch-Edition im Verlag Antje Kunstmann, München.
Uwe Dick, geboren 1942 in Schongau am Lech. Autor von Lyrik und Prosa, Sprachmusiker und Rezitator. Bereits Gedichte des Zehnjährigen werden in Zeitungen abgedruckt. Kindheit in verschiedenen Internaten. Nach unregelmäßigen Schulbesuchen ab 1961 diverse Jobs, z. B. Arbeit in einer Kupferschmiede, einer Zahnfabrik und in Gasthöfen. Zeitungs-Volontariat in Rosenheim, Arbeit als Redakteur bei Tageszeitungen in Rosenheim und München. 1969 Aufgabe der Redakteursstelle und Entscheidung für ein Leben als freier Autor und »Überlebenskünstler«. Zahlreiche Reisen – zu Fuß und auf dem Fahrrad – u. a. durch den Balkan, nach Sizilien, Dänemark, Wales, Schottland, Venedig. Veröffentlichungen im Eigenverlag. 1972 Förderpreis des Freistaates Bayern sowie der Stadt Rosenheim für »Tag und Tod«. 1976 erste Veröffentlichung der »Sauwaldprosa«, 1978 Neuauflage mit weiteren Texten und Konzeption des Werkes als work in progress. 1979 Umzug an die Wasserburger Inn-Schleife, Veröffentlichung von »Der ÖD, das Bio-Drama eines Amok denkenden Monsters« als Buch und Langspielplatte sowie einer dritten Weiterschrift der »Sauwaldprosa«. 1983 nach zahlreichen Aufführungen von »Der ÖD« Abschluss der Aufführungsserie und Rückzug in ein Blockhaus am Salamanderberg über dem Inntal, wo er autark von »Satz- und Gartenbau« lebt. 1985 Veröffentlichung und zahlreiche Rezitationen von »Monolog eines Radfahrers, Überlebensprosa«. 1986 MarieluiseFleißer-Preis der Stadt Ingolstadt. 1987 Tukan-Preis der Stadt München für das Gesamtwerk. 1988/89 Rezitation und Interpretation der »Sauwaldprosa« mit dem Budapester KontrabassVirtuosen Aladár Pege unter dem Titel »Jazz und Sauwaldprosa« in Deutsch-land und Österreich. 1992 erneut Tukan-Preis der Stadt München für »Pochwasser. Eine Biographie ohne Ich«. 1993 Renovierung und Übersiedlung in ein Haus nördlich von Passau, weiterhin zahlreiche Auftritte und Rezitals. 2001 erscheint eine vierte erweiterte Auflage der »Sauwaldprosa« im Residenz-Verlag, Salzburg. 2007 Jean-Paul-Preis. 2008 Nachdruck der »Sauwaldprosa« von 2001 im ResidenzVerlag, Salzburg.
Katarina Agathos, geboren 1971, ist seit 2007 Chefdramaturgin beim Bayerischen Rundfunk / Hörspiel und Medienkunst.
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Gegen den Strom Wie rebellisch ist Popmusik? Vo n V e ro n ika S chr e ie g g
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tanzbar. Der Hüftschwung von Elvis – pure Provokation. Schon allein deshalb sind die Rock-’n’-Roll-Musiker der 1950er-Jahre Re bellen, weil sie den Jugendlichen Alternativen zu den gängigen Lebensentwürfen ihrer El tern bieten: S oon as three o ’clock rolls around You finally lay your burden down C lose up your books , get out of your seat Down the halls and into the street U p to the corner and ’round the bend Right to the juke joint, you go in » S chool D ays « , C h u ck Be rry
Wie rebellisch Popmusik heute ist, lässt sich nicht an politisierten Liedermachern, linken Punkbands und Occupy-Barden festmachen. Die Welt ist mittlerweile zu komplex, als dass sie sich durch ein paar Songzeilen erklären ließe. Die Berliner Zeitung schreibt am 25. Oktober 1958: »Mit einer blutigen Schlacht endete gestern Abend im Berliner Sportpalast das Konzert des amerikanischen Rock-'n'-Roll-Königs Bill Haley. (...) Rund 1000 Jugendliche stürmten die Eingänge, zerschlugen sämtliche Scheiben und drängten ohne Eintrittskarten in den Saal. Das Orchester Kurt Edelhagen, das den ersten Teil der Veranstal tung bestreiten sollte, wurde von der Bühne geprügelt. In aller Eile musste Bill Haley aus seinem Hotel in den Sportpalast geholt werden.« Leichenblass war Bill Haley angeblich, als er kurze Zeit später unter Polizeischutz die Bühne des Sportpalastes verlassen musste. Doch warum zeigte sich das junge Publikum so aggressiv? Rock around the clock – Rock ’n’ Roll als kulturelle Rebellion Die Teenager-Revolution beginnt in den USA. Das Amerika der 1950er-Jahre ist erzkonservativ. Selbst die Shakespeare-Lektüre an den Highschools gibt es nur in einer harmlosen, moralisch gesäuberten Fassung. Der Rock ’n’ Roll kommt da wie gerufen: Chuck Berrys »School’s Out« ist ein Manifest, das den HighschoolAlltag um die kulturelle Dimension Freizeitaktivität erweitert. Bill Haleys »Rock Around The Clock« – schmutzig, mitreißend,
In Europa, vor allem in England, trifft der amerikanische Rock ’n’ Roll hingegen auf Ju gendliche aus der Arbeiterklasse. Die soge nannten Halbstarken richten ihr Selbstbild plötzlich am Freizeitverhalten amerikanischer Schüler aus. Zwei Lebenswirklichkeiten pral len aufeinander, die im Grunde wenig mitein ander zu tun haben. Doch auch die Working Class Kids verspüren eine schwer zu fassende Sehnsucht nach dem »eigentlichen Sinn« des Lebens. Der amerikanische Rock ’n’ Roll, dar gestellt in Spielfilmen wie »Der Wilde« oder »Jenseits von Eden«, verspricht Freiheit und Selbstverwirklichung. Tanzen, Musikhören, Motorradfahren sind die Lebensinhalte, die in starkem Kontrast zum grauen Arbeitsalltag stehen. Vor allem im Rhythmus des Rock ’n’ Roll finden Jugendliche ein Ventil, um sich von der spießigen Erwachsenenwelt abzu grenzen. Gekämpft wird letztlich um den Sieg des Lustprinzips über das Leistungsprinzip.
C ome senators, congressmen P lease heed the call Don ’ t stand in the doorway Don ’ t block up the hall » Th e Ti m e s Th e y A re A - C h a n gi n « , Bob D yl an
Bis Ende der 1970er-Jahre politisieren sich Rock- und Popmusiker immer mehr. Der Re bell schwimmt nicht nur gegen den Strom und stellt gesellschaftlich genormte Lebensent würfe infrage. Er ist nicht nur dagegen, son dern hat jetzt einen eigenen Standpunkt, eine Meinung zu diversen gesellschaftspolitischen Themen. Johnny Cash ist ein Rebell. Er ist kein abgeschmackter Südstaaten-Redneck, der den konservativen, texanischen TodesstrafeBefürwortern nach dem Mund redet. Er spielt
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Gefängniskonzerte in Folsom Prison und St. Quentin, zeigt Mitge fühl für die Täter – Moralpredigten überlässt er anderen. Auch David Bowie ist ein Rebell. Er trägt den Lidstrich extra dick auf. »Ich bin homosexuell«, verkündet er den Journalisten, obwohl er nur ein halbes Jahr zuvor das Model Angela Barnett ehelichte. Reine Effekthascherei oder gesellschaftlicher Tabubruch? Egal, er hat seinen Beitrag dazu geleistet, sexuelle Uneindeutigkeit salon fähig zu machen. Jimi Hendrix zeigt sich in Woodstock ebenfalls politisch provokativ. Auch wenn sich der Mythos Woodstock rück wirkend dekonstruieren lässt, weil die Veranstaltung nicht nur ein hippieskes Happening war, sondern ein von Anfang an auf wirtschaftlichen Erfolg ausgerichtetes Festival, bei dem die Orga nisatoren auf die Präsenz von Superstars setzten: Auf der Bühne zerpflückt Jimi Hendrix genüsslich die amerikanische National hymne. In seiner Version spiegelt er die amerikanische Gesell schaft als angriffsbereit und lustfeindlich, derweil sich sein be kifftes Publikum mit nackten Oberkörpern im Schlamm wälzt.
Seit den 1960er-Jahren mischt sich Popmusik ganz konkret in die Politik ein, sei es nonverbal in Hendrix’ Version des »The StarSpangled Banner« oder auch ganz konkret in den Texten klassi scher Protestmusiker wie Joan Baez und Bob Dylan. The Times They Are A-Changin – Was in den USA vor dem Hinter grund der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung und des Viet nam-Kriegs geschieht, findet in Deutschland vor dem Hintergrund der Nazi-Vergangenheit statt. Die 68er-Generation setzt sich mit ihrer Elterngeneration auseinander. Die jugendlichen Rebellen entlarven diese als verlogen und entziehen sich der elterlichen Doppelmoral durch enthemmte Musik, bewusstseinserweiternde Substanzen und freie Liebe. 68
Es gibt keine linken Akkorde Popmusiker als Rebellen gegen eine repres sive Gesellschaft – das funktioniert, solange sich Pop selbst als linke, liberalistische Bewe gung deuten lässt. Doch damit ist spätestens Ende der 1980er-Jahre Schluss. Mit der Plura lisierung von Musikstilen wird auch die Lesart von Pop vielfältiger. Die Musikindustrie boomt und verdient viel Geld. Hip-Hop-Mu siker zeigen sich zunehmend gewaltverherr lichend, sexistisch und machen auch vor anti semitischen Statements nicht halt. Para llel sieht sich der Verfassungsschutz in An betracht einer wachsenden Rechtsrock-Szene vor neuen Herausforderungen. Nichts ist mehr so, wie es war. Popmusik ist nicht mehr Sprachrohr einer homogenen Alternativ-Ge sellschaft, sondern zersplittert in eine Viel zahl popmusikalischer Genres, hinter denen sich keine eindeutig definierbaren Subkultu ren mehr verbergen. Damit beginnt das Werte gerüst Pop zu wackeln. Authentizität und po litische Gestaltkraft werden nun mehr zu reinen Projektionen. Natürlich gibt es noch die moralisch »gute« Popmusik, die die Welt ver bessern möchte. Doch die Positivität dieser Musik klammert immer mehr das Konkrete aus und leugnet oftmals die Vermarktungsmecha nismen, die mit ihrer Entstehung einhergehen. Dies betrifft auch die sogenannten Indepen dent-Labels. Deren Musiker bleiben mit indif ferenten Song texten meist vage und unver bindlich, denn in einer komplex gewordenen Welt klammert zu viel Eindeutigkeit das Indi viduum aus. I ’m all lost in the supermarket, I can no longer shop happily I came in here for that special offer , guaranteed personality » L ost i n the S u p e rm a rk e t « , Th e C la sh
Der Neonazi, der auf dem Schulhof eine CD mit linksorientiertem Punk in die Hand ge drückt bekommt, lässt er sich überzeugen? Wohl kaum. Popmusik wirkt in der Regel affir
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mativ, verstärkt bereits vorhandene Überzeu gungen. So lässt sich auch heute noch das politische Potenzial eines Songwriters ein schätzen, der sich vor den Wagen der OccupyBewegung spannt und versucht, gegen das Bankensystem und die Wirtschaftspolitik an zutreten. Mit festem Willen und einem enga gierten Songtext dürfte sich auch heute noch kein Klassenkampf gewinnen lassen. Heutzu tage ist zwar der politische Einfluss von Pop musik auf die Gesellschaft gering, dennoch kann Popmusik das Leben des Einzelnen po sitiv prägen. Eine Tracy-Chapman-Platte hat noch niemandem in der Persönlichkeitsent wicklung geschadet. Ein ironisch-bissiger Text der irischen Indie-Band The Divine Comedy zur Bankenkrise ist notwendig, weil er einem das Gefühl gibt: Da gibt es auch noch andere, die Richtig von Falsch unterscheiden können. Selbst rebellisch anmutende Musikerpersön lichkeiten wie Pete Doherty und die im ver gangenen Jahr verstorbene Soulsängerin Amy Winehouse hinterlassen Spuren im individu ellen Wertegerüst ... allerdings mit bitterem Nachgeschmack. Provo-Gesten im Popzirkus Man verspürt irgendwie Mitleid mit Musi kern, die nach 1990 in den Club 27 eingetreten sind, mit Kurt Cobain von der Grunge-Band Nirvana oder mit Amy Winehouse. Das rebelli sche Dreigespann aus Sex, Drugs & Rock ’n’ Roll mutierte in diesen Fällen zu einer trauri gen Reminiszenz an die Vergangenheit. Hotel zimmer kurz und klein zu schlagen, Alkohol exzesse, Sexorgien − die früher großen Gesten des Rebellentums − kommen heute anachro nistisch daher. Sie sind zu Provo-Gesten mu tiert, die entweder konstruiert wirken oder von einem selbstzerstörerischen Wesen zeu gen. Auch die Strahlkraft kulturell aufgelade ner Symbole hat durch ihre vielfältige Lesbar keit nachgelassen: Die Lederjacke ist zum Must-Have teurer Designerlabels verkommen, die langen Haare sind nichts weiter als ein Fashiontrend. »Der Mythos ist ein Wert, er hat nicht die Wahrheit als Sicherung; nichts hin
dert ihn ein fortwährendes Alibi zu sein. Es genügt, dass sein Be deutendes zwei Seiten hat, um immer über ein Anderswo zu verfü gen: Der Sinn ist immer da, um die Form präsent zu machen, die Form ist immer da, um den Sinn zu entfernen.« (»Mythen des Alltags«, Roland Barthes) Nichts daran wirkt heute rebellisch oder gar politisch. Und doch scheint es eine Sehnsucht nach Werten und Sinnstiftung zu ge ben, die sich seit den 1990er-Jahren in vielen Songtexten bemerk bar macht. Das Paradebeispiel hierfür liefert die Hamburger Band Tocotronic, die Mitte der 1990er-Jahre textete »Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein«. Auch der britische Songwriter Kenny Wilson wünscht sich in seinem Song »Marlon Brando & James Dean« die Zeit der Teenager-Revolution zurück. Doch leider sind die gesellschaftlichen Verhältnisse aufgeweicht. Es herrscht deshalb weitestgehend Konsens und kaum jemand stört sich an der Lebensweise Jugendlicher. Die einen Musiker zeigen sich in Anbetracht der Zustände abgeklärt. Sie gehen das Ganze hedonis tisch an und verlustieren sich in diversen Image-Konstrukten, die sie nomadenartig von Platte zu Platte verändern. Die anderen Musiker setzen auf Retrotrends. Sie lieben das Handgemachte und ihre Songtexte speisen sich aus der Reise ins Seeleninnere oder aus pittoresker Naturprosa. Vom Pop-Rebellentum ist nicht mehr viel übrig geblieben, nur noch ein Mythos.
»Musik im Tagesprogramm hat die Funktion einer Wohlfühl-Tapete. Aber wer sagt, dass die nicht bunt und außergewöhnlich sein darf?« Als Moderatorin der Sendung »musikWelt« präsentiert Veronika Schreiegg musikalische Legenden und Entdeckungen sowie Hintergründe zur Musik auf Bayern 2.
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programmschema
Montag bis Freitag
Samstag
Morgen
Morgen
05.00 Uhr Nachrichten mit Verkehr 05.03 Uhr Heimatspiegel Volksmusik und Informationen 06.00 Uhr Nachrichten mit Verkehr 06.05 Uhr radioWelt Magazin am Morgen mit Gedanken zum Tag, Kurznachrichten mit Verkehr um 6.30 Uhr und 7.30 Uhr und Nachrichten mit Verkehr um 7.00 Uhr und 8.00 Uhr 08.30 Uhr kulturWelt Aktuelles Feuilleton
Vormittag 09.00 Uhr Nachrichten 09.05 Uhr radioWissen Die ganze Welt des Wissens mit Kalenderblatt 10.00 Uhr Nachrichten 10.05 Uhr Notizbuch Familie, Verbraucher, Gesundheit und Soziales mit Nachrichten um 11.00 Uhr
Mittag 12.00 Uhr Nachrichten mit Verkehr 12.05 Uhr Tagesgespräch Hörerforum (auch in BR-alpha) Telefon: 0800-94 95 95 5 (gebührenfrei) Fax: 089-59 00 38 37 E-Mail: tagesgespraech@bayern2.de 13.00 Uhr Nachrichten mit Verkehr 13.05 Uhr radioWelt Magazin am Mittag 13.30 Uhr Bayern 2-regionalZeit Aktuelles aus Südbayern und Franken
Nachmittag 14.00 Uhr Nachrichten 14.05 Uhr Montag: radioReisen Unterwegs in fremden Ländern und Kulturen Dienstag: Bayern 2-Favoriten Empfehlungen für Bücher, Musik, Filme und mehr Mittwoch: Breitengrad Reportagen und Musik aus aller Welt Donnerstag: kulturLeben Das Wochenende in Bayern Freitag: radioSpitzen Kabarett und Comedy
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15.00 Uhr Nachrichten 15.05 Uhr radioWissen am Nachmittag Die ganze Welt des Wissens (Mo-Do) Schalom (Fr) Jüdischer Glaube – jüdisches Leben Sozusagen! (Fr, 15.20 Uhr) Bemerkungen zur deutschen Sprache Nahaufnahme (Fr, 15.30 Uhr) Die Reportage 16.00 Uhr Nachrichten mit Verkehr 16.05 Uhr Eins zu Eins. Der Talk Eine Stunde, zwei Menschen 17.00 Uhr Nachrichten mit Verkehr 17.05 Uhr radioWelt Magazin am Abend mit Börsengespräch um 17.25 Uhr und Kurznachrichten mit Verkehr um 17.30 Uhr
Abend 18.00 Uhr Nachrichten mit Verkehr 18.05 Uhr IQ – Wissenschaft und Forschung 18.30 Uhr radioMikro Magazin für Kinder mit klaro – Nachrichten für Kinder (Fr) 19.00 Uhr Nachrichten 19.05 Uhr Zündfunk Das Szenemagazin 20.00 Uhr Nachrichten 20.03 Uhr Montag: Hörspiel Dienstag: Nachtstudio Mittwoch: radioKrimi 1 x pro Monat: ARD Radio Tatort Donnerstag: radioThema Freitag: Zündfunk Das Szenemagazin 21.00 Uhr Nachrichten 21.03 Uhr Montag: Theo.Logik Dienstag: radioTexte am Dienstag Mittwoch: Dossier Politik Donnerstag: radioKrimi 1 x pro Monat: ARD Radio Tatort Freitag: hör!spiel!art.mix (bis 23.00 Uhr) 22.00 Uhr Nachrichten (Mo-Do) 22.05 Uhr Eins zu Eins. Der Talk. (Mo-Do) Eine Stunde, zwei Menschen 23.00 Uhr Nachrichten 23.05 Uhr Nachtmix Die Stunde für anspruchsvolle Popmusik 00.00 Uhr Nachrichten 00.05 Uhr Reflexionen (Mo-Do) mit Gedanken zum Tag und Kalenderblatt 00.05 Uhr Nachtsession (Fr) 00.12 Uhr Concerto bavarese (Mo-Do) 02.00 Uhr ARD-Nachtkonzert bis (wie BR-KLASSIK) 04.58 Uhr
05.00 Uhr Nachrichten mit Verkehr 05.03 Uhr Heimatspiegel Volksmusik und Informationen mit Gedanken zum Tag und Nachrichten mit Verkehr um 6.00 Uhr und 7.00 Uhr 07.30 Uhr Weitwinkel Reportage vom Land 08.00 Uhr Nachrichten mit Verkehr 08.05 Uhr Bayerisches Feuilleton Kultur und Geschichte Bayerns
Vormittag 09.00 Uhr Nachrichten mit Verkehr 09.05 Uhr orange Seitenblicke auf die Woche mit Nachrichten und Verkehr um 10.00 Uhr 11.00 Uhr Nachrichten mit Verkehr 11.05 Uhr Bayernchronik Hintergründiges aus dem Freistaat mit Bayernkommentar
Mittag 12.00 Uhr Nachrichten mit Verkehr 12.05 Uhr Gesundheitsgespräch mit Dr. Marianne Koch Telefon: 0800-246 246 9 (gebührenfrei) E-Mail: gesundheitsgespraech@bayern2.de 13.00 Uhr Nachrichten mit Verkehr 13.05 Uhr radioFeature Letzter Sa im Monat: das ARD radiofeature
programmschema
Sonntag Nachmittag
Morgen
Nachmittag
14.00 Uhr Nachrichten 14.05 Uhr Diwan Das Büchermagazin 15.00 Uhr Nachrichten 15.05 Uhr Hörspiel im Anschluss: Bayern 2-radioMusik Blues, Folk, Country, Soul und Songs 17.00 Uhr Nachrichten mit Verkehr 17.05 Uhr Jazz & Politik Politisches Feuilleton 17.55 Uhr Zum Sonntag Glaube – Kirche – Kommentar
05.00 Uhr Nachrichten mit Verkehr 05.03 Uhr Heimatspiegel Volksmusik und Informationen Nachrichten mit Verkehr um 6.00 Uhr 06.30 Uhr Positionen Religions- und Weltan schauungsgemeinschaften 07.00 Uhr Nachrichten mit Verkehr 07.05 Uhr radioMikro Magazin für Kinder mit klaro – Nachrichten für Kinder und Sonntagshuhn 08.00 Uhr Nachrichten mit Verkehr 08.05 Uhr Katholische Welt Glaube und Leben 08.30 Uhr Evangelische Perspektiven Erfahrungen mit Gott
14.00 Uhr Nachrichten 14.05 Uhr musikWelt Pop-Geschichten aus der ganzen Welt Letzter So. im Monat: Musik aus aller Welt mit Dagmar Golle 15.00 Uhr Hörspiel 16.00 Uhr Nachrichten mit Verkehr 16.05 Uhr Eins zu Eins. Der Talk Eine Stunde, zwei Menschen 17.00 Uhr Nachrichten mit Verkehr 17.05 Uhr Sonntagsbeilage Feuilletonistische Seitenblicke
Abend 18.00 Uhr Nachrichten mit Verkehr 18.05 Uhr Breitengrad Reportagen aus aller Welt 18.30 Uhr radioMikro Magazin für Kinder 19.00 Uhr Nachrichten 19.05 Uhr Zündfunk Das Szenemagazin 20.00 Uhr Nachrichten 20.05 Uhr radioSpitzen Kabarett und Comedy 21.00 Uhr Nachrichten 21.03 Uhr radioTexte am Samstag Die klassische Lesung 22.00 Uhr Nachrichten 22.05 Uhr Diwan Das Büchermagazin 23.00 Uhr Nachrichten 23.05 Uhr Nachtmix Die Stunde für anspruchsvolle Popmusik 00.00 Uhr Nachrichten 00.05 Uhr radioJazznacht Klassiker, neue CDs und Live-Musik 02.00 Uhr ARD-Nachtkonzert bis (wie BR-KLASSIK) 04.58 Uhr
Vormittag 09.00 Uhr Nachrichten 09.05 Uhr radioReisen Unterwegs in fremden Ländern und Kulturen 10.00 Uhr Nachrichten 10.05 Uhr Sonntagsbeilage Feuilletonistische Seitenblicke 11.00 Uhr radioTexte – Das offene Buch Neue Literatur und Autoren 11.30 Uhr Musik für Bayern Volksmusik, Klassik, Jazz und Pop – Selbst gemacht!
Mittag 12.00 Uhr Nachrichten mit Verkehr 12.05 Uhr Zeit für Bayern Akustische Reisen durch Bayern 13.00 Uhr Nachrichten mit Verkehr 13.05 Uhr radioZeitreisen Exkursionen in der Zeit 13.30 Uhr Bayern – Land und Leute Das unbekannte Bayern entdecken
Abend 18.00 Uhr Nachrichten mit Verkehr 18.05 Uhr Kulturjournal Kritik. Dialog. Essay 19.30 Uhr Bayern 2-radioMusik anspruchsvoll – entspannt – europäisch 20.00 Uhr Nachrichten 20.05 Uhr Bayerisches Feuilleton Kultur und Geschichte Bayerns 21.00 Uhr Nachrichten 21.03 Uhr radioFeature Letzter So. im Monat: das ARD radiofeature 22.00 Uhr Nachrichten 22.05 Uhr Zündfunk Generator Ideen aus Pop, Politik und Gesellschaft 23.00 Uhr Nachrichten 23.05 Uhr Nachtmix Die Stunde für anspruchsvolle Popmusik 00.00 Uhr Nachrichten 00.05 Uhr Nachtsession 02.00 Uhr ARD-Nachtkonzert bis (wie BR-KLASSIK) 04.58 Uhr
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Herausgeber Bayerischer Rundfunk Bayern 2: Wolfgang Aigner (Programmbereichsleiter Bayern 2 – Kultur und Gesellschaft) Programm-Marketing Bayern 2: Claudia Holzner Redaktion Alexander Schaffer, Karen Zoller Konzept & Gestaltung fpm factor product münchen Bildmaterial Titel Reflektierende Bäume im Wasser des Weitsees, in der Nähe von Reit im Winkl / Seegatterl, Bayern, Deutschland (Alexander S. Kunz / Collection Flickr, Getty Images). S.03 Wolfgang Aigner (Denis Pernath). S.07 – 10 Daniela Arnu und Thomas Meyerhöfer (Denis Pernath). S.17 Porträt Harald Grill (Bruno Moser). S.21 Porträt Michael Bartle (Theresa Högner). S.23 Porträt Thomas Palzer (Ralf Wilschewski). Porträt Dr. Klaus Beckschulte (Börsenverein des Deutschen Buchhandels – Landesverband Bayern). S.24 Porträt Dieter Heß (Ralf Wilschewski). S.26 oben: Frauendemonstration gegen den Paragrafen 218 in Frankfurt am Main 1974 (SZ Photo / ddp images / AP). Mitte: Helke Sander 1975 (Privat). Unten: Anita Heiliger bei einer Kundgebung zur Kampagne »Aktiv gegen Männergewalt« in München (Privat). S.27 oben: Anita Heiliger bei einer Aktion zur Walpurgisnacht am Münchner Stachus im Jahr 2000 (Privat). Mitte: Angehörige des »Aktionsrates zur Emanzipation der Frau« des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes am 12. Oktober 1968 in Frankfurt auf einer SPD-Veranstaltung zum 50. Jahrestag des Frauenwahlrechts (picture-alliance / dpa / dpaweb). Unten: Mitglieder der deutschen Frauenbewegung zwischen 1895 und 1908: v.l.n.r. Anita Augspurg, Marie Stritt, Lily Braun, Nina Cauer und Sophie Goudstikker(?) (SZ Photo / Scherl). S.28 Helke Sander Ende der 1970er-Jahre (Privat). S.29 Anita Heiliger beim Kongress des bundesweiten Frauennetzwerks zur Arbeitssituation 1985 (privat). S.30 links: Studenten am 17. Februar 1968 während der »Internationalen Vietnam-Konferenz« der Technischen Universität in Berlin (picture-alliance / dpa). Rechts: Demonstration für den Paragrafen 218 im Jahr 1974 in München (SZ Photo / Rita Stroth johann). S.31 oben: Katharina Hauck bei der Frauendemo 2011 in München (Privat). Unten: Porträt Beate Beheim-Schwarzbach (Privat). S.32 Porträt Lukas Hammerstein (Ralf Wilschewski). S.33 Porträt Rainer Volk (Natasha-Iris Heuse). S.38 / 39 Bayern 2-Moderatoren (Ralf Wilschewski / Theresa Högner / Natasha-Iris Heuse). S.41 Porträt Thomas Koppelt (Natasha-Iris Heuse). S.44 – 49 Mit dem Kanu auf dem Yukon durch Kanada und Alaska (Dirk Rohrbach). S.51 Bald Eagle / Haliaeetus leucocephalus (Andy Gehrig / Collection Vetta, Getty Images). S.54 Porträt Brigitte Kohn (Privat). S.55 Mikroskop (pixabay). Porträt Dr. Jeanne Rubner (Natasha-Iris Heuse). Porträt Susanne Poelchau (Ralf Wilschewski). S.56 Porträt Cornelia Zetzsche (Ralf Wilschewski). S.59 Sebastian Polmans (Jürgen Bauer). S.65 Porträt Katarina Agathos (Daniel Kluge). Porträt Uwe Dick (Anna-Lena Zintel). S.69 Porträt Veronika Schreiegg (Natasha-Iris Heuse). Stand: Dezember 2012
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Der neue Rundfunkbeitrag. Der Rundfunkbeitrag löst die geräteabhängige Rundfunkgebühr ab und stellt die Finanzierung von ARD, ZDF und Deutschlandradio auf eine zeitgemäße Grundlage. Für Bürger gilt: eine Wohnung – ein Beitrag. Wie viele Fernseher, Radios oder Computer vorhanden sind, spielt keine Rolle mehr. Der Rundfunkbeitrag bleibt stabil bei 17, 98 Euro monatlich.
Was muss ich tun? Wer bereits Rundfunkgebühr bezahlt, wird automatisch auf den Rundfunkbeitrag umgestellt. Ab 2013 muss nur ein Beitragszahler pro Wohnung angemeldet sein: Darüber hinaus angemeldete Personen in dieser Wohnung können sich abmelden. Alle anderen Bürger melden sich zum 1. Januar 2013 selbstständig an.
Weiterführende Informationen. Auf www.rundfunkbeitrag.de finden Sie die wichtigsten Details zum Beitrag. Bei weiteren Fragen nutzen Sie das Web-Kontaktformular oder die Hotline: 0185 9995 0888. (6,5 Cent/Minute aus den deutschen Festnetzen; abweichende Preise für Mobilfunk)
www.bAyern2.de