Unser Wert

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Unser Wert Qualit채tsbericht des Bayerischen Rundfunks 2012



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Vorwort des Intendanten

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Vorwort des Vorsitzenden des Rundfunkrates

Programmwert 11

Editorial Der Wert unseres Programms Qualitätsjournalismus

16 Sechsmal live: Voller Einsatz für die Aktualität Ein Tag mit Kirsten Girschick, Landtagskorrespondentin des Bayerischen Fernsehens 22 Unbequem und aufregend Kontrovers – Das Politmagazin im Bayerischen Fernsehen 27 Fünf Fragen an … Sigmund Gottlieb, Chefredakteur des Bayerischen Fernsehens und Leiter des Programmbereichs Politik 28 Vom Sendungsbewusstsein zum Auftrag Der Qualitätsprozess im Bayerischen Fernsehen 30 Das Salz in der Suppe BR-Hörfunkkorrespondenten in Berlin und im Ausland 35 Fünf Fragen an … Mercedes Riederer, Chefredakteurin und Leiterin des Programmbereichs B5 aktuell – Politik und Wirtschaft 36 Früh am Morgen im Badezimmer beginnt der Alltag eines Nachrichtenchefs

Menschenwürde und Barrierefreiheit 38 „Ich taste mich an Grenzen vor.“ Ein Gespräch mit Evelyn Schels über Respekt und Vertrauen im Dokumentarfilm 42 Barrierefreies Fernsehen und Internet Programmvielfalt 44 Wenn im Hotroom die Temperatur steigt … Einblick in einen ganz normalen Fußballbundesliga-Samstag­nach­mittag von Heute im Stadion 47 Fünf Fragen an … Werner Rabe, Leiter des Programmbereichs Sport und Freizeit 48 Total lokal: Ein Tag hinter den Kulissen bei on3-südwild in Nürnberg on3-südwild, das junge TVProgramm des Bayerischen Rundfunks sendet jede Woche aus einer anderen Ecke Bayerns 52 Die Große Passion Aufzeichnungen von Jörg Adolph über die Oberammergauer Passionsspiele 55 Fünf Fragen an … Andreas Bönte, Programmbereichs­ leiter Planung und Entwicklung Bayerisches Fernsehen 56 Außenstimme: Orientierung! – Für welche Gesellschaft? Für welches Publikum? Eine erste Diagnose aus sozio­logischer Sicht von Professor Dr. Armin Nassehi

58 Wertebild „Programmwert“, gesehen von Fotografin und Dokumentarfilmerin Petra Wallner

Bayernwert 61 Editorial Bayern in seiner Vielfalt Regionalität 66 Franken 3 x 3: Studio Franken Mehrwert für den Norden Bayerns und Vorreiter in Sachen vernetzter Aktualität 69 Fünf Fragen an … Martin Wagner, Leiter Studio Franken 70 Abendschau bewegt! Nah am Menschen und informativ 72 Mehr Zeit für Hintergrund und Exklusivität Die BayernCenter-Recherchereporter 73 Fünf Fragen an … Dr. Susanne Zimmer, Programmbereichsleiterin Bayern 1 – Bayern 74 Die Regionalredaktionen München, Oberbayern, Schwaben und Ostbayern 76 Bayern anders Reporteralltag der BR-Landeskorrespondenten 78 Bayern 3-Dorffest Ein gemeinsames Ziel schweißt die Bayern zusammen Tradition & Identität 82 Traditionsbewusst, vielfältig und echt Unter unserem Himmel – Ein Sendeplatz wie Bayern

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I nhalt

84 Bayerische Kultserien 30 Jahre Zusammenarbeit mit Franz X. Bogner 87 Fünf Fragen an … Annette Siebenbürger, Leiterin des Programmbereichs Bayern und Unterhaltung Bayerisches Fernsehen 88 „Vom Ohrwaschl direkt in den Bauch!“ Ein Porträt über „Mister Volksmusik“ Stefan Frühbeis 90 Host mi? Sprach-Lust im Dialekt-Dschungel Wandel 92 Für die Heimatkrimis unterwegs … Notizen einer Leidenschaft 96 Dahoam is Dahoam Unsere tägliche Geschichte. Von der ersten Idee bis zum fertigen Drehbuch 98 Heimat – Abseits der Klischees Abgründig: Ein Interview mit dem Regisseur Hans Steinbichler Lebensnah und humorvoll: Ein Interview mit Drehbuchautorin Ursula Gruber 104 Außenstimme: Wider das Plastikbairische! Helmut Schleich über Bayern, das Bayerische Fernsehen und bayerische Politik 108 Wertebild „Bayernwert“, gesehen von Fotografin und Dokumentarfilmerin Petra Wallner

Gesellschaftswert 111 Editorial Orientierung geben in einer komplexen Welt Meinungsvielfalt und Orientierung 116 Die Welt im Radio – radioWelt Das Bayern 2-Magazin bringt täglich die Hintergründe zu den Geschehnissen auf der Welt 119 Fünf Fragen an … Wolfgang Aigner, Programm­ bereichsleiter Bayern 2 – Kultur und Gesellschaft 120 Expect the unexpected! – quer Fernsehen 2.0: Der Programmmacher und sein Publikum 124 Auf Augenhöhe mit Europa Jetzt red i – Europa versteht sich als Sprachrohr der Bürger 128 Flagge zeigen Das Notizbuch und die Energiewende 129 Fünf Fragen an … Werner Reuß, Leiter des Programmbereichs Wissenschaft – Bildung – Geschichte 130 Bühne der Politik: München im 20. Jahrhundert Mit der Sendereihe Das Bayerische Jahrtausend schildert der BR die großen historischen Zeitströmungen, die die Städte, Regionen und Menschen in Bayern über zehn Jahrhunderte hinweg prägten. In der letzten Folge der zehnteiligen Reihe steht München im Mittelpunkt. 135 Fünf Fragen an … Walter Schmich, Programm­ bereichsleiter Bayern 3 – Jugend

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136 Tragisch, skurril, aber auch komisch Mensch, Otto! – der etwas andere Talk 138 „Es gibt keine einfachen Antworten“ Theo.logik auf Bayern 2 hilft bei der Orientierung im Deutungswirrwarr Migration und Integration 140 Ihr seid wir. puzzle – das InterKulturMagazin des BR 142 „Typisch Griechisch, oder?“ Eleni Iliadou und Interkulturalität im Hörfunk Kultur, Bildung und soziales Engagement 144 radioWissen Nicht nur Podcast – Spitzenreiter auf Bayern 2 145 Fünf Fragen an … Dr. Sabine Scharnagl, Leiterin des Programmbereichs Kultur und Familie 146 Capriccio – the last defenders of public television 148 Kunst für Radio und Internet Hörspiel und Medienkunst heute 151 Fünf Fragen an … Axel Linstädt, bis 2012 Leiter des Programmbereichs BR-Klassik und künstlerischer Leiter des Inter­ nationalen Musikwettbewerbs der ARD 152 U21 – Deine Szene. Deine Musik. U21 sprengt das Radio, ist trimedial 158 Sternstunden – Wir helfen Kindern Sternstunden reagiert schnell und fördert nachhaltig

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160 Außenstimme: Wann ist eigentlich Heimat? Klaudia Wick, Fernsehkritikerin 162 Wertebild „Gesellschaftswert“, gesehen von Fotografin und Dokumentarfilmerin Petra Wallner

Unternehmenswert 165 Editorial Qualität und öffentlichrechtlicher Auftrag Talent und Kreativität 170 Die journalistische Elite – die Volontäre des BR Seit 25 Jahren besteht die Volon­tärsausbildung im Bayerischen Rundfunk 174 Universell – Heimat im Film Gespräch mit den beiden jungen Filmemachern Josef Mayerhofer und Sebastian Stern 178 Wummern im Ohr Impressionen aus der Welt eines Tonmeisters Kompetenz und Wertschätzung 180 Die Stiftung Prix Jeunesse Eine einzigartige Qualitätsinitiative für gutes Kinderfernsehen 181 Das Internationale Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen Mehr als nur eine Institution – IZI steht für Qualität im Kinderund Jugendfernsehen

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182 Faszination Tiere und Natur BR-Naturfilmproduktionen zählen zu den beliebtesten Formaten im Fernsehen 186 Sozial und verantwortungsvoll – der BR als Arbeitgeber In Zeiten der Krise ist der BR als Arbeitgeber ein verlässlicher Sozialpartner

202 Wertebild „Unternehmenswert“, gesehen von Fotografin und Dokumentarfilmerin Petra Wallner

204 Impressum

Investitionen und Wertschöpfung 188 Die Möglichmacher Die Produktions- und Technik­ direktion des BR sorgt für die pro­ fessionelle, kreative, technische und wirtschaftliche Umsetzung von allen Produktionen des BR im Fernsehen, im Hörfunk und im Internet 190 BR auf allen Kanälen Programmdistribution, Programmverbreitung und Wettbewerbs­ fähigkeit in einer fragmentierten und hybriden Medienwelt 194 Qualität auf Mausklick – die BR-Mediathek Mehr als 150.000 Audios und Videos stehen rund um die Uhr zum Abruf bereit 196 Auch (das ist) „Unser Wert“ Der BR als Medienunternehmen 197 Fünf Fragen an … Bettina Ricklefs, Leiterin des Programmbereichs Spiel – Film – Serie 198 Bleibende Werte Der Bayerische Rundfunk als Filmproduzent 200 Außenstimme: Vertrauen hat einen Preis von Dr. Klaus Unterberger, Leiter des Public-Value-Kompetenzzentrums in der ORF-Generaldirektion

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„Wir wollen dokumentieren, wie wir unseren vielfältigen Programmauftrag erfüllen und auf welchen grundlegenden Werten und welchem Selbst­verständnis der Bayerische Rundfunk gründet.“ Ulrich Wilhelm, Intendant des Bayerischen Rundfunks

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Vorwort des intendanten

Eine der Hauptaufgaben des öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems ist es, allen Menschen die Teilhabe an unserer demokratisch verfassten Gesellschaft zu ermöglichen. Unser Programmauf­trag verpflichtet uns, sie unabhängig, unparteilich und umfassend über alle wichtigen politischen und gesellschaftlichen Ereignis­ ­se zu informieren, und Orientierung in einer zunehmend komplexen Welt zu geben. Zudem fördern unsere Programmangebote Bildung und Wissenschaft, sie tragen zum Kulturleben bei und unterstützen die europäische Verständigung sowie den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Bayern und Deutschland. Das gilt nicht nur für unsere Informations-, Service- und Kulturprogramme, sondern auch für unsere Unterhaltungssendungen und unsere Sportberichterstattung.

Liebe Leserin, lieber Leser, als öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt hat der Bayerische Rundfunk eine außergewöhnliche Stellung in der Medienlandschaft des Freistaats, mit der eine besondere gesellschaftliche Verantwor­ tung einhergeht. Diese Tatsache bildet die oberste Richtschnur unserer täglichen Arbeit für die Menschen in Bayern bei Hör­funk, Fernsehen und online. Mit der Publikation „Unser Wert – Qualitätsbericht des Bayerischen Rundfunks“ möchten wir Ihnen zeigen, mit welcher Ernsthaftigkeit und welchem Engagement wir versuchen, unserer Verantwortung für die Gesellschaft gerecht zu werden. Wir wollen dokumentieren, wie wir unseren vielfältigen Programmauftrag erfüllen und auf welchen grundlegenden Werten und welchem Selbstverständnis der Bayerische Rundfunk gründet.

In der Erfüllung dieses Auftrags sehen wir den zentralen gesellschaftlichen Wert. Dafür stehen wir als BR und dafür arbeiten wir – das ist Unser Wert! Im Frühjahr 2011 haben wir in Zusammenarbeit mit dem Rundfunk­rat einen Wertekanon für den gesamten Bayerischen Rundfunk erarbeitet, der unseren gesellschaftlichen Auftrag und unsere besondere öffentlich-rechtliche Verantwortung in vier Wertedi­ mensionen zusammenfasst: Programmwert, Bayernwert, Gesellschaftswert und Unternehmenswert. Diese bilden die Grundlage für die vorliegende Publikation. Mit „Unser Wert“ geben wir ei­nen ungewöhnlichen Einblick in die Programmvielfalt des Bayerischen Rundfunks und dokumentieren facettenreich das Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, den von der Gesellschaft an uns gestellten Ansprüchen gerecht zu werden. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine anregende Lektüre!

Die digitale Revolution stellt bisher geltende Gesetze der Me­ dienwelt und ihre überlieferten Ertragsmodelle auf den Kopf. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat das Privileg, dass er sich aus Beiträgen der Bürgerinnen und Bürger finanziert. Daraus ergibt sich für uns die Selbstverständlichkeit und das Selbstverständ­nis, dass wir gegenüber der Gesellschaft Rechenschaft ablegen über unser Tun.

Ulrich Wilhelm, Intendant des Bayerischen Rundfunks

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„Mit dem vorliegenden Qualitätsbericht ‚Unser Wert‘ wird der Wertekodex des Bayerischen Rundfunks transparent gemacht und ein Einblick in die Viel­ fältigkeit der Programme und die tägliche Arbeit der Programmmacher gegeben.“ Bernd Lenze, Vorsitzender des Rundfunkrats

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Vorwort des vorsitzenden des rundfunkrats

Liebe Leserin, lieber Leser, der Bayerische Rundfunk hat aufgrund seines gesetzlich festge­ legten öffentlichen Programmauftrags eine besondere Verant­ wortung für Demokratie und Gesellschaft: Er ist zugleich Medium und Faktor freier, individueller und öffentlicher Meinungsbil­­dung. In der Diskussion um den Nutzen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wurde in den letzten Jahren verstärkt auf den sogenannten „Public Value“, also den spezifischen Wert des öffent­lich-rechtlichen Rundfunks bzw. des Bayerischen Rundfunks hin­ge­wiesen. Dieser spezifische Wert für die Menschen in unserem Land entsteht durch die Qualität der Programme: Sie ist das Marken­zeichen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und alle BR-Programmmacher bemühen sich, den hohen qualitativen Ansprü­chen gerecht zu werden. Hierfür orientieren sich die verantwortlichen Mitarbeiter an konkreten Qualitätskriterien. Um die Standards transparent zugänglich zu machen, hat der BR-Rundfunkrat im Herbst 2010 gemeinsam mit den Programmverantwortlichen begonnen, die­se Standards zu dokumentieren. Im Rahmen der Verabschiedung der Programmrichtlinien für den Hörfunk wurde im Frühjahr 2011 der „BR-Wertekodex“ erarbeitet. Die darin formulierten vier Wertedimensionen „Programmwert“, „Bayernwert“, „Gesell­schafts­wert“ und „Unternehmenswert“ konkretisieren den öffentlichen Auftrag für die Programmgestalter und legen verbindliche Qualitätsstandards fest, über deren Einhaltung der Rundfunkrat als Kontrollorgan wacht.

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Zugleich veranschaulicht der Wertekodex für die Bürgerinnen und Bürger, welchen gesellschaftlichen Werten sich der Bayerische Rundfunk verpflichtet fühlt. Mit dem vorliegenden Qualitätsbericht „Unser Wert“ wird dieser Wertekodex des Bayerischen Rundfunks transparent gemacht und ein Einblick in die Vielfältigkeit der Programme und die tägliche Arbeit der Programmmacher gegeben. Der Wert des öffentlichen Rundfunks bzw. des BR ist unser aller Wert – deshalb danke ich den Programmverantwortlichen für den kontinuierlichen, kon­ struktiven Dialog über die Umsetzung der Qualitätskriterien im Programm.

Bernd Lenze, Vorsitzender des Rundfunkrats

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Programmwert Der Wert unseres Programms



Programmwert

Ob Kabarett oder Comedy, ob Nachrichten oder  Sport, Spielfilm, Hörspiel oder Dokumentation, Volks­theater, Volksmusik oder Klassikkonzerte: Der Bayerische Rundfunk bietet eine Vielzahl an Inhalten auf all seinen Kanälen und Verbreitungs­ wegen. Der BR ist ein integriertes Medienhaus. Was in Zeiten medialen Rund-um-die-Uhr-Kon­ sums bedeutet: Wir senden nicht mehr nur an jedem Tag der Woche 24 Stunden, sondern stehen auch mit unseren vielfältigen Onlineangeboten mit den Medienkonsumenten in Bayern in regem Austausch. Aber worin unterscheiden wir uns von all den anderen Sendern und Medienhäusern in Deutsch­ land, die das auch machen? Es sind die Vielfalt, die Qualität und der Regional­bezug unserer Ange­ bote. Wir machen Programm für die Menschen in Bayern. Und genau darin liegt auch unser Wert – unser Programmwert.

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P rogrammwert

Der Bayerische Rundfunk hat als öffentlichrecht­liches Medienhaus einen klaren gesellschaft­ lichen Auftrag: Wir sollen objektiv, unparteilich und ausgewogen unsere Programmangebote ge­ stalten und damit eine wichtige Aufgabe zur Wah­ rung der Demokratie in unserem Land erfüllen. Aufklärung, Meinungsbildung, Unabhängigkeit, Glaubwürdigkeit, Respekt im Umgang mit den Menschen und kulturelle Teilhabe – für diese Werte stehen wir. Wir möchten den Menschen das Wissen an die Hand geben, das sie brauchen, um an unserer de­mokratisch verfassten Gesellschaft teilhaben zu können. An dieser Befähigung zur Teilhabe muss sich unser Programmwert täglich mes­sen lassen. Wir haben uns der Achtung der Menschen­würde verpflichtet. Deshalb stehen wir für eine möglichst barrierefreie Mediennutzung ein. Alle Menschen sollen über alle Wege den Zugang zu unseren Inhalten haben.

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Programmwert

Wir agieren frei von externen Interessen und Beeinflussungen und stärken nicht zuletzt dadurch unsere Glaubwürdigkeit. Wir setzen Themen, die auch nach kurzer Zeit nicht an Relevanz verlieren und berichten aktuell, transparent und verständlich – das verstehen wir unter Qualitätsjournalismus. Wir haben uns der programmlichen Vielfalt und Ausgewogenheit verschrieben. All das sind unsere Werte. Zusammen ergeben sie unseren Auftrag und den Wert unseres Programms.

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P rogrammwert Qua litätsj o u r n alismu s

Sechsmal live: Voller Einsatz für die Aktualität Ein Tag mit Kirsten Girschick, Landtagskorrespondentin des Bayerischen Fernsehens Mario Beilhack

Atomausstieg der Union und Vorstandsklausur der CSU im Kloster Andechs: Kirsten Girschick interviewt Ilse Aigner, Mitglied des CSU-Präsidiums und Bundesministerin für Landwirtschaft und Verbraucherschutz.

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Q ua l it채tsj ou r na l i smu s Programmwert

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P rogrammwert Qua litätsj o u r n alismu s

Anruf bei Kirsten Girschick, Landtagskorrespondentin des Bayerischen Fernsehens. Der Termin stand schnell fest: Klausur des CSU-Vorstands zur energiepolitischen Wende in Kloster Andechs am 20. Mai 2011. Das Bayerische Fernsehen, auch im Auftrag der ARD, ist ganz vorne dabei. 12.00 Uhr Treffpunkt mit Frau Girschick im Freimanner Büro. Sie meint, das sei so ein Tag, an dem man sich ein gutes Bild von ihrer Arbeit machen könne, wenn es mal so richtig rundgehe. Girschicks Hauptaufgabe ist die regelmäßige Berichterstattung aus dem bayerischen Landtag, darunter auch die Beobachtung der Oppositionsarbeit. So hat sie bereits über die leidenschaftlichen Debatten im Parlament nach der Atomkatastrophe von Fukushima berichtet. Heute allerdings dreht sich alles um die CSU. Die Parteispitze, vorneweg der Bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Horst Seehofer, zahlreiche CSU-Minister des Bundes und des Freistaats sowie Bundes- und Landtagsabgeordnete kommen nach Andechs. An dem Wochenende werde CSU-Geschichte von bundespolitischer Bedeutung geschrieben, meint Girschick. Die Berichterstattung für das Bayerische Fernsehen sowie für die ARD sei deshalb besonders umfangreich, weil man ja auch der Bedeutung der CSU als eigenständiger Koalitionspartner der Bundesregierung Rechnung tragen müsse. Schließlich wolle sich die CSU – als die früher entschiedene Pro-Kernkraft-Partei – nun endgültig von der Atomkraft verabschieden. Ja, sagt die Reporterin, sie habe schon im Vorfeld mit einigen Vertretern des CSU-Vorstands gesprochen. Seit Wochen verfolge sie schon das Thema, das immerhin die CSU auf allen Ebenen umtreibe und entzweie. Ja, es gäbe Widerstand zu den Atomausstiegsplänen innerhalb der Parteispitze und dem von Parteichef Horst Seehofer vorgegebenen Ausstiegsdatum 2022. „Das kann spannend werden.“ Mehr sagt sie dann nicht mehr. Die Zeit drängt. Kirsten Girschick packt ihre Sachen im Büro zusammen und eilt zum Auto. Mit dabei: Unterlagen, Notebook, Handy und Smartphone.

Die Parteispitze trifft ein, die Jagd der versammelten Pressefotografen und Fernsehteams nach Bildern und ersten O-Tönen kann beginnen.

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Mehrere Live-Schalten sind geplant:„Tagesschau“, EinsExtra, Phoenix, „Abendschau“, „Rundschau-Magazin“. Außerdem müssen Beiträge für die Nachrichtensendungen der ARD und des Bayerischen Fernsehens produziert werden. Sie sei froh, dass ihre beiden Kollegen, Reporter Eckhart Querner und ihre Stellvertreterin Stephanie Stauss, ebenfalls vor Ort seien. Allein wäre die Arbeit an einem solchen Tag gar nicht zu bewältigen. Seit dem frühen Morgen hat zudem eine Crew von Technikern um den Aufnahmeleiter Fabian Stetter einen Satellitenübertragungswagen (SNG) und ein Schnittmobil für den Einsatz vorbereitet. Hunderte Meter Kabel für Strom und elektronische Signale wurden verlegt. Ein fester Platz für Live-Schalten und Aufsager vor Ort musste auch gefunden und eingerichtet werden. Seit mehr als einer Woche sei man schon am Planen und Organisieren, damit alles klappt. Die Bestellungen für Beiträge und Schalten der ARD und Phoenix seien aber erst seit einigen Stunden wirklich fix. Nach 50-minütiger Fahrt kommen wir kurz vor 13.00 Uhr am „Heiligen Berg“ an. „Wir liegen gut in der Zeit“, meint Frau Girschick. Die erste Live-Schalte für die „Tagesschau“ sei gegen 14.00 Uhr. Ab zu den Kollegen: Hallos und Begrüßung der Crew, Gespräche und Abstimmung mit den Reporterkollegen, den Kameramännern Jürgen Katzur und Andreas Schulte sowie dem Aufnahmeleiter. Es herrscht ein kollegialer und herzlicher Umgangston. Vertrautheit ist zu spüren, aber auch professionelle Anspannung. Die Lage wird sondiert. Spielt das Wetter mit? Es ist heiß, ein Gewitter ist für den späten Nachmittag angekündigt. „Mal schau’n.“ Kirsten Girschick eilt, gefolgt von Kameramann Katzur und Aufnahmeleiter Stetter, den Berg hinauf zum Standort für die Aufsager und Live-Schalten vor der Andechser Klosterkirche. Die Kollegen Querner und Stauss positionieren sich an der Auffahrt zum Klosterberg, um die eintreffenden CSU-Granden abzupassen. Girschick zieht ihr lachsfarbenes Sakko an, macht Stell- und Sprechproben. In fünf Minuten geht es auf Sendung, die Satellitenleitung für die Live-Schaltung zur „Tagesschau“ nach Hamburg steht bereits. Nebenan macht sich ein weiteres Fernsehteam eines privaten Nachrichtenkanals bereit. Schnell noch einmal Puder, dann folgt schon die Frage von „Tages­ schau“-Sprecherin Susanne Stichler zum Positionspapier der CSU: „Kirsten Girschick in Andechs, das Konzept sorgt für Unmut innerhalb der CSU, wo laufen denn genau die Konfliktlinien?“ Es folgt eine erste Antwort Girschicks. Dauer: 30 Sekunden. Zweite Frage, zweite Antwort. „Danke für diese erste Einschätzung. Kirsten Girschick in Andechs.“ Nächstes Thema … Girschick legt ihr Sakko ab, weiter geht’s zur Klosterauffahrt. Die Parteispitze trifft ein, die Jagd der versammelten Pressefotografen und Fernsehteams nach Bildern und ersten O-Tönen kann beginnen.

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Q ua l it채tsj ou r na l i smu s Programmwert

Vertrautheit ist zu sp체ren, aber auch professionelle Anspannung.

oben: Kirsten Girschick in der Sprecherkabine des Bayerischen Landtags links: Bayerischer Ministerpr채sident Horst Seehofer im Pressepulk, Kloster Andechs

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P rogrammwert Qua litätsj o u r n alismu s

Es ist schwül und ein Blick in den Himmel verheißt nichts Gutes, Gewitterwolken ziehen auf. Dräuender Himmel und drohende parteiinterne Auseinandersetzung, das passt eigentlich ganz gut zusammen. Während Reporter Querner mit dem Kameramann Katzur schon einmal das einsetzende Wetterleuchten dreht, macht sich bei den Technikern Nervosität breit. Mittlerweile hat die Landtagskorrespondentin Girschick bereits live für EinsExtra und Phoenix berichtet. Hoffentlich hält das Wetter noch für die „Abendschau“-Ausgabe. Erste Tropfen fallen und dann folgt ein veritabler Wolkenbruch. Wird die Satellitenverbindung zum Sendezentrum nach Freimann halten? Nach zehn Minuten lässt der heftige Regen plötzlich nach. Es ist kurz vor 18.00 Uhr, die Satellitenverbindung steht. Reporterin Girschick hält sich be­reit für die Fragen von „Abendschau“-Moderatorin Annette Betz. Inzwischen haben Stephanie Stauss und Eckhart Querner für „Rundschau“, „Abendschau“ und „Tagesschau“ bereits Beiträge im Schnittmobil produziert und via Satellit überspielt.

Dräuender Himmel und drohende parteiinterne Auseinandersetzung, das passt eigentlich ganz gut zusammen.

Nach dem Auftritt in der „Abendschau“ eilt Girschick zum Schnittmobil, um ihren Beitrag für die „Tagesschau“-Ausgabe um 20.00 Uhr zu schneiden und eine weitere Live-Schalte für Phoenix um 21.00 Uhr vorzubereiten. Dann ist für das „Rundschau-Magazin“ im BR um 21.45 Uhr ein Exklusivinterview mit Horst Seehofer geplant. Und irgendwie muss auch noch Bundeskanzlerin Angela Merkel untergebracht werden, deren Ankunft für 21.00 Uhr vorgesehen ist. Die kommt aber schon um 20.30 Uhr und will sich erst am nächsten Tag äußern. Immerhin gibt es Bilder: Abt mit Kanzlerin – die werden in den Beiträgen für das „Rundschau“-Magazin und in den Tagesthemen dann auch zu sehen sein. Indessen, um 21.30 Uhr diskutiert die CSU noch immer – weder Parteichef Seehofer noch Generalsekretär Dobrindt können zur Schalte ins „Rundschau“Magazin kommen. Kein Interview, mit der Bitte um Verständnis. Kirsten Girschick muss jetzt deshalb in der Sendung erklären, was die Verzögerung bedeutet und wie die CSU sich in Sachen Atomkraft positioniert hat. Moderatorin Anouschka Horn ist zufrieden. Die Debatte hinter den dicken Klostermauern von Andechs dauert an. Die CSU-Spitze lässt sogar die Kanzlerin warten. Um 22.30 Uhr ist dann endlich Schluss: Generalsekretär Dobrindt und Umweltminister Söder verkünden den wartenden Journalisten, das Ausstiegsdatum 2022 stehe, die Parteispitze habe das energiepolitische Konzept verabschiedet. Andere Vorstandsmitglieder dagegen laufen leise murrend an den wartenden Journalisten vorbei. Reporterin Girschick bespricht mit ihren Kollegen noch den folgenden Tag, Lob wird verteilt. Müdigkeit stellt sich ein. Es ist 23.00 Uhr, als Kirsten Girschick vom Heiligen Berg herab in ihr Auto steigt, um die Heimfahrt anzutreten. Morgen um 8.30 Uhr geht die Klausur weiter: Gegen Mittag dann Pressekonferenz – dieses Mal mit der Bundeskanzlerin und dem Ministerpräsidenten. Bilanz dieses Tages: Sechs Live-Schalten und acht Beiträ­ge vom Auftakt eines politisch wichtigen Ereignisses.

Kirsten Girschick arbeitet seit 2010 als Landtags­korrespondentin des Bayerischen Fernsehens. Sie berichtet über die bayerische Landespolitik in aktuellen Sendungen, sowohl im Bayerischen Fernsehen als auch in der ARD. Dazu zählen auch die Berichterstattung über die Politik der Staats­regierung und der im Land­tag vertretenen Parteien sowie die Berichte von Klausurtagungen, Partei­tagen und Delegierten­ versammlungen. Außerdem planen und koordinieren die Landtagskorrespondentin und ihre Stell­ vertreterin Stephanie Stauss für „Rundschau“ und „Abendschau“ Themen zur bayerischen Landes­­politik und organisieren die Berichterstattung von bundesweit relevanten parteipolitischen Ver­ anstaltungen wie zum Beispiel dem politischen Aschermittwoch aus Bayern.

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Q ua l it채tsj ou r na l i smu s Programmwert

Der Bayerische Ministerpr채sident Horst Seehofer tr채gt die Regierungserkl채rung zum Atomausstieg im Bayerischen Landtag vor.

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P rogrammwert Qua litätsj o u r n alismu s

„Kontrovers“-Redaktionsleiter Andreas Bachmann (Bildmitte) und Moderatorin Ursula Heller sichten einen Beitrag für das Politmagazin „Kontrovers“.

Unbequem und aufregend Kontrovers – Das Politmagazin im Bayerischen Fernsehen Philipp Gruell

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Q ua l itätsj ou r na l i smu s Programmwert

Kontrovers „Kontrovers“ wird moderiert von Ursula Heller. Zweiter Moderator ist Andreas Bachmann, der gleichzeitig die Redaktion leitet. Unter dem Namen „Kontrovers“ gibt es die Sendung seit 2007. Zuvor hieß sie fast 30 Jahre „Zeitspiegel“.

Sie macht viel Arbeit und viel Ärger. Sie kostet viel Zeit und Geld. Und sie hatte es nicht leicht in den vergangenen Jahren: die Recherche. Heerscharen von PR-Managern treffen auf ausgedünnte Redaktionen. Dazu kommt die enorme Beschleunigung des Mediengeschäfts durch das Internet. Doch gründliche Recherche ist der einzige Weg, Missstände und Fehlentwicklungen aufzudecken. Deshalb steht für „Kontrovers“ diese journalistische Urtugend im Mittelpunkt. Die Redaktion will nicht Geschichten aus den Tickern der Nachrichtenagenturen verfilmen, sondern selbst Themen setzen. Ein hoher Anspruch, den die „Kontrovers“-Journalisten immer wieder einlösen: So deckten sie die Machenschaften krimineller Spendensammler in deutschen Fußgängerzonen auf, brachten nach dem Desaster um den HGAA-Kauf einen führenden BayernLB-Mitarbeiter zum Sprechen oder belegten, dass Rechtsextreme mit einer verqueren Blut- und Bodenideologie die Ökobewegung unterwandern wollen. Außerdem wiesen sie schon frühzeitig auf die verheerenden Auswirkungen extensiver Biosprit-Produktion auf die Natur hin. Bereits lange bevor die Debatte um E10-Benzin und die Energiewende bundesweit die Schlagzeilen bestimmte, stellten sich „Kontrovers“-Autor Thomas Kießling und „report München“-Redakteur Mike Lingenfelser die Frage: Welche Chancen und welche Risiken birgt der Ausbau von Biokraftstoffen und Biogas?

Die Autoren tauschten sich mit Experten des wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung und des Freiburger Ökoinstituts aus. Interviewt wurden bayerische Bauern, die vor den Folgen von Mais-Monokulturen warnen, und Imker, deren Bienen dadurch ihre Nahrungsgrundlage verlieren. Spitzenpolitiker wie EU-Energiekommissar Günther Oettinger wurden mit den Recherchen konfrontiert. Am Ende entstand das halbstündige „Kontrovers extra“-Feature „Der Biospritskandal: Klimapolitik in der Sackgasse“. Der Film ist eine Gemeinschaftsproduktion mit dem ARD-Schwestermagazin „report München“, das sich seit Jahren mit dieser Thematik beschäftigt. Ausgestrahlt im November 2010, lösten die Recherchen eine breite politische Diskussion aus. Im Juni 2011 bekamen Mike Lingenfelser und Thomas Kießling dafür den Bayerischen Fernsehpreis, den Blauen Panther. Die Auszeichnung ist einer der Höhepunkte in der Sendungs­ geschichte. Doch die Ziele von „Kontrovers“-Leiter Andreas Bachmann und seiner Redaktion sind für jeden Beitrag dieselben – gleich ob halbstündige Dokumentation, fünfminütiger Magazin­ film oder Spitzenpolitiker-Interview. „Kontrovers“ will den Dingen auf den Grund gehen, unbequem sein, anregen – und aufregen.

Die Frage war der Ausgangspunkt einer aufwendigen Recherche: Die beiden wälzten Forschungsberichte und Gesetzestexte, sprachen mit Informanten und bekamen Zugang zu vertraulichen Dokumenten. Sie trafen unter anderem den Münchner Biologieprofessor Florian Siegert, der seit 15 Jahren gegen Brandrodungen im indonesischen Regenwald kämpft, wo Wälder für Ölbaumplantagen vernichtet werden.

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P rogrammwert Qua litätsj o u r n alismu s

Kontrovers gefragt! Redaktionsleiter Andreas Bachmann und Moderatorin Ursula Heller sprechen über die Rolle und den Wert des BR-Politmagazins im digitalen Zeitalter. Worin liegen Ihre Vorstellungen, was ein politisches Magazin im Bayerischen Fernsehen leisten muss/sollte? Bachmann: Wir wollen über Politik informieren und die Auswirkungen von Politik auf die Menschen erklären. Der Kern unseres politischen Magazins ist die bayerische Landespolitik. Wir wollen aber auch über den Tellerrand hinausblicken: Bundes- und auch Europapolitik wirken sich ebenso auf das Leben der Menschen in Bayern aus und sind deshalb für uns von Belang. Dazu gehört auch die politische Analyse von Wahlausgängen wie der von Baden-Württemberg im Frühjahr 2011. Wir gehen aber als Polit­ magazin auch ganz bewusst harte, parteipolitische Themen an, indem wir beispielsweise fragen: Wie steht die bayerische SPD da, wie die CSU? Würden Sie sagen, dass „Kontrovers“ dafür politisch ausgewogen sein muss? Bachmann: Selbstverständlich! Natürlich müssen wir politisch ausgewogen sein. Wir müssen aber auch Haltung zeigen und diese deutlich machen. Als eine Sendung des Bayerischen Rundfunks sind wir ja einem bestimmten, öffentlich-rechtlichen Wertesystem gegenüber verpflichtet: Überparteilichkeit und Unabhängigkeit sowie Meinungs- und Pressefreiheit sind für uns hohe Güter. Heller: Für mich ist es ganz wichtig, dass wir kein Blatt vor den Mund nehmen und keine Scheu haben. Politik muss transparent gemacht und damit dem Bürger näher gebracht werden. Wichtig ist außerdem, Politik oder schwierige Sachverhalte verständlich darzustellen, um den Leuten das Gefühl von Ohnmacht und Frustration zu nehmen. Die Leute müssen das Gefühl haben, dass sie mit ihren Anliegen ernst genommen werden. Bachmann: Es muss aber auch darum gehen, unpopuläre Entscheidungen, die Politiker auch vertreten müssen, und die womöglich keine Mehrheit in der Bevölkerung haben, verständlich zu machen und ggf. zu vertreten. Kurzum, wir können nicht nur als der reine „Bürgeranwalt“ auftreten.

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Welche Zielgruppe beabsichtigen Sie mit „Kontrovers“ anzusprechen? Bachmann: Natürlich wollen wir im Idealfall auch die Gruppe der „Entscheider“ ansprechen. „Kontrovers“ soll als Magazin in dieser Gruppe genauso wahrgenommen werden wie etwa andere Leitmedien auch. SZ-Redakteure schauen bereits jetzt während der Spätschicht nicht nur, was die bei „quer“ machen, sondern auch, wer bei uns im Studio zu Gast ist. Darüber hinaus versuchen wir natürlich, alle politisch Interessierten und auch die, die nicht so sehr interessiert sind, zu erreichen. Junge Leute wollen wir durch Facebook und andere Onlineaktivitäten ansprechen oder auch durch unsere Rubrik „Wahnsinn“. Warum sollten sich die Zuschauer für „Kontrovers“ entscheiden? Heller: Wir sind informativ, wir greifen aktuelle Themen auf, wir sind anregend, wir sind gelegentlich auch aufregend. Das alles in einer schönen Bildsprache und flott präsentiert. Bachmann: Klar, wir sind vielleicht nicht so unterhaltend wie andere Formate, dafür eben „Kontrovers“ im besten Sinne des Wortes. Heller: Und auf alle Fälle nicht langweilig, sondern kurzweilig! Welche Rolle spielt die Recherche im alltäglichen journalistischen Ablauf? Wie kommt man an Themen und wie werden diese verarbeitet? Bachmann: Wir verstehen uns natürlich auch als Recherchemagazin, auch im Sinne von investigativer Recherche. Fakt ist aber auch, dass eben die investigative Recherche richtig viel Geld kostet. An Themen kommen wir aber auch durch Kontakte. Ich versuche meine Mitarbeiter dahingehend zu motivieren, indem ich sage: „Geht raus, trefft euch mit Leuten, geht auf Konferenzen, Symposien oder nehmt an Seminaren teil.“ Also dafür gebe ich schon Geld aus. Meine Leute sollen aber auch den Kontakt zu den Politikern suchen und mit ihnen reden. Oft berichten sie über Politik, reden aber nicht mit den Menschen, die Politik machen. Unser Anliegen ist es doch, nicht die Zeitung abzufilmen, sondern selbst Themen zu suchen und diese dann bestmöglich aufzubereiten.

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Q ua l itätsj ou r na l i smu s Programmwert

„Kontrovers“-Moderatorin Ursula Heller ...

Natürlich wollen wir im Idealfall auch die Gruppe der „Entscheider“ ansprechen. „Kontrovers“ soll als Magazin in dieser Gruppe genauso wahr­ genommen werden wie etwa andere Leitmedien auch.

... und Redaktionsleiter Andreas Bachmann sprechen über das Profil ihrer Sendung.

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Welchen Stellenwert hat politischer Journalismus im digitalen Zeitalter? Bachmann: Ich glaube, dass dieser immer wichtiger wird, gerade auch im Magazinbereich. Wir reden ja immer von Aktualität, und es wird ja alles immer schneller durch das Internet. Wir können als Magazin Hintergründe liefern und Dinge auch mal vertiefend darstellen. So setzen wir in dieser schnelllebigen Zeit auch einen Gegenpol. Heller: Zu unserer 30-Minuten-Sendezeit kommen ja noch Zusatzinformationen auf unserer Homepage hinzu. Die Möglichkeit, sich nach der Sendung weitere Informationen oder Hintergründe sowie längere Interviews anzusehen, wird sehr gut angenommen. Außerdem erfahren wir so, welche Themen für die Menschen wichtig sind, und können das in unsere redaktionelle Arbeit miteinbeziehen. Mobile Multimediageräte wie iPhone oder iPad werden in unserer heutigen Informationsgesellschaft immer wichtiger. Wie würden Sie die Rolle dieser Medienvertriebswege einschätzen? Bachmann: Wir stellen alle unsere Filme online, es sind alle abrufbar. Da die jüngere Zielgruppe uns leider nicht um 21.15 Uhr im Bayerischen Fernsehen schaut, müssen wir allein schon deshalb auf allen Vertriebswegen mit unseren guten Inhalten präsent sein. Wenn man sich die Liste unserer „Freunde“ bei Facebook anschaut, merkt man schnell, dass das zu 80 Prozent Leute sind, die nicht Stammzuschauer des Bayerischen Fernsehens sind, und die ich nur auf diese Weise erreiche: Ich schicke denen einfach einen Link und dann sehen sie den Film.

„Für mich ist es ganz wichtig, dass wir kein Blatt vor den Mund nehmen und keine Scheu haben.“

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Das Stichwort „Facebook“ ist ja schon gefallen und Social Media-Plattformen erfreuen sich ungebrochenen Zustroms. Aber warum muss ein Politmagazin wie „Kontrovers“ da präsent sein? Bachmann: Unsere Intention war im Grunde einfach die: Wir wollten dadurch andere Zielgruppen erreichen. Jüngeres, nachwachsendes Publikum für Politik und natürlich auch für unsere Sendung begeistern. Außerdem nutzen wir die Möglichkeit zum Dialog mit unseren Zuschauern. Heller: Teilweise binden wir Fragen, welche uns über Facebook erreichen in die Sendung ein. Zum Beispiel in Form von Inter­ viewfragen. Sehen Sie dadurch nicht auch eine gewisse Gefahr, dass dem Magazin Fernsehzuschauer verloren gehen und diese dann im Internet, nur noch bei Facebook zu finden sind? Bachmann: Ehrlich gesagt, wenn uns Zuschauer nicht mehr einschalten und uns nur noch im Internet schauen, dann ist mir das egal! Ich mache ja nicht Fernsehen, damit uns das Publikum zu Hause am Fernsehen guckt, ich mache eine Sendung damit sie unsere Inhalte konsumieren. Wo die das tun, ist mir letztendlich egal! „Kontrovers“ wurde ja schon mit einigen Preisen und Auszeichnungen bedacht. Unter anderem erhielt die Sendung 2011 den bayerischen Fernsehpreis! Hat „Kontrovers“ damit schon alles erreicht? Bachmann: Also der „Grimme-Preis“ fehlt uns noch in unserer Sammlung. Heller: Der „Deutsche Fernsehpreis“ wäre da noch – und: Hollywood wir kommen! Bachmann: Spaß bei Seite, wir versuchen uns immer auch weiterzuentwickeln. Heller: Preis und Lohn für mich ist, wenn uns Leute schreiben und sagen: „Hey, das fand ich klasse und mutig von euch“ Wir erhalten tolle Mails und Briefe, die uns bestätigen und uns Mut machen. Bachmann: Und eins muss man, glaube ich, immer bedenken: Wir machen die Sendung nicht für den Intendanten oder sonst jemanden – wir machen sie für die Menschen! Das Gespräch führte Bernhard Paulus.

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Fünf Fragen an … Sigmund Gottlieb, Chefredakteur des Bayerischen Fernsehens und Leiter des Programmbereichs Politik Worin sehen Sie Ihre Hauptaufgabe a) als Chefredakteur des Bayerischen Fernsehens? b) als Leiter des Programmbereichs Politik? In beiden Fällen geht es um die Vermittlung von Information. In Zeiten der Globalisierung und Verunsicherung vieler Menschen ist dies eine besondere Herausfor­derung. Als Chefredakteur muss man neue, moderne Erklärungsformen entwickeln, die unseren Zuschauern oder Onlinenutzern immer schwerer durchschaubare Zusammenhänge transparent machen. Der Chefredakteur darf nie müde werden, Anker der Verlässlichkeit im digitalen Meer zu werfen.

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Was bedeutet für Sie heutzutage Qualitätsjournalismus? Qualitätsjournalismus hat vorrangig eine Erkläraufgabe. Es ist gut und unverzichtbar, dass sich die öffentlich-rechtlichen Sender tiefschürfende Recherche und investigativen Journalismus leisten. Es ist in hohem Maße wünschenswert, wenn journalistische Qualitätsprodukte auch hohe Einschaltquoten erzielen. Dies ist jedoch nicht immer der Fall – und dann heißt es, sich im Zweifel für die Qualität zu entscheiden. Wie fördern oder schützen Sie journalistische Qualität im Bayerischen Fernsehen? Die Qualitätsdiskussion, wie wir sie im Bayerischen Fernsehen führen, ist keine Sache der Theorie oder irgendwelcher Kennziffern. Qualität wird jeden Tag neu erfunden durch die Leidenschaft und den klaren journalistischen Standpunkt der Kolleginnen und Kollegen. Qualitätsjournalismus ist zuallererst Handwerk! Es ist der tägliche, ja der unermüdliche Kampf gegen Schlendrian und Schluderei: Qualitätsjournalismus ist Überwindung des inneren Schweinehundes.

Welche Bedeutung hat die aktuelle Berichterstattung im BFS? Welchen Nutzen haben die Menschen in Bayern davon? Die aktuelle Berichterstattung im Bayerischen Fernsehen möchte und muss den Zuschauerinnen und Zuschauern in Bayern ein maßgeschneidertes Informationsangebot bieten. Dies heißt konkret: Nachrich­ten aus Bayern, aus Deutschland und der Welt – zugeschnitten auf die Nutzer im Freistaat. Den Bedürfnissen der Menschen kommt dieses Angebot, wie es von „Rundschau“, „Rundschau-Magazin“ und „Rundschau-Nacht“ gemacht wird, offensichtlich sehr entgegen. Unsere Nachrichtensendungen erzielen Spitzenquoten. Wo sehen Sie die Zukunft der journalistischen Informations­angebote im BFS? Lineare und non-lineare Programme werden schnell zusammenwachsen. Unsere Informationsangebote müssen auch den mobilen und zeitsouveränen Nutzer erreichen. Die journalistische Königsdisziplin der nächsten Jahre hat nur einen Namen: Erklärung, Erklärung, Erklärung.

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P rogrammwert Qua litätsj o u r n alismu s

Vom Sendungsbewusstsein zum Auftrag Der Qualitätsprozess im Bayerischen Fernsehen Georg Scheller

Public Value und Programmqualität Die intensive öffentliche Legitimationsdebatte um den öffentlichrechtlichen Rundfunk zeigt, dass der gesetzliche Auftrag für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk allein nicht (mehr) für dessen Legitimation gegenüber der Gebühren zahlenden Öffentlichkeit taugt. Es gilt eine grundsätzlich Frage zu klären: Ist der besondere öffentlich-rechtliche Wert, der „Public Value“ etwas, was die Gesellschaft schätzt – also ein hoher Marktanteil – oder ist er doch etwas, was gut und wichtig ist für die Gesellschaft? Dabei meint „Gut und wichtig“ nicht das gute alte öffentlich-rechtliche „Sendungsbewusstsein“ – das gehört der Vergangenheit an. „Public Value“ heute, das muss das Ergebnis eines Verständigungsprozesses sein zwischen Anbieter und Nutzer. Und dieser Prozess kann nicht allein quantitativer Natur sein. Denn der Marktanteil allein ist genau betrachtet nur ein sehr rudimentäres Zuschauer-Feedback: „Die Sendung hat mir gefallen und ich habe deshalb nicht weggezappt“ oder „Habe anderswo etwas Interessanteres gefunden“ oder „Habe den Fernseher gar nicht erst eingeschaltet, weil ich was anders zu tun hatte.“ Es gilt – mehr als bisher – den qualitativen Aspekt des Programms herauszuarbeiten. Diese besondere Qualität des öffentlich-rechtlichen Programms zu definieren und in der Konsequenz auch mess- und steuerbar zu machen, damit haben sich alle deutschen Fernsehsender in den letzten Jahren sehr intensiv auseinandergesetzt. Dabei ging es auch darum, wegzukommen vom jahrzehntealten Credo, dass Qualität immer nur subjektiv empfunden werden könne – vom Programmmacher wie auch vom Zuschauer.

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Inzwischen hat sich in allen öffentlich-rechtlichen Sendern die Erkenntnis durchgesetzt, dass Qualität sehr wohl zu messen ist und die Messergebnisse auch Basis für einen Prozess zur Verbesserung der Qualität sein können. Im Mittelpunkt des Qualitätsprozesses des Bayerischen Fernsehens stehen die vier Wertedimensionen „Programmwert“, „Bayernwert“, „Gesellschaftswert“ und „Unternehmenswert“. Sie stehen für die Ansprüche, die die Gesellschaft an unser öffentlich-rechtliches System hat. Sie bilden gleichzeitig auch den Maßstab für das Gesamtprogramm. Der gesellschaftliche Auftrag, der uns über die Rundfunkgesetzgebung gegeben wurde, muss sich daran messen lassen. Dieser Auftrag spiegelt sich aber nicht nur im Programm als Ganzes wider, sondern muss auch in jeder einzelnen Sendung zu finden sein. Das bedeutet in der Umsetzung, dass jede Fernsehredaktion einen ganz bestimmten Auftrag im Sinne des öffentlich-rechtlichen Gedankens hat. Hier setzt der Qualitätsprozess des Bayerischen Fernsehens an.

Qualitätsprozess im Bayerischen Fernsehen In einem sogenannten „Sendungsprofil“ ist festgelegt, welchen Auftrag die Redaktion auf ihrem Sendeplatz erfüllen soll: es sind die inhaltlichen und auch formalen Merkmale einer Sendung. Der erste Schritt im Qualitätsprozess besteht darin, zu überprüfen, ob der Auftrag, den die Redaktion hat, auch tatsächlich vom Zuschauer als solcher wahrgenommen wird. Um dies herauszufinden, werden aus dem Sendungsprofil spezifische, sendungstypische Qualitätskriterien abgeleitet und 120 repräsentativ aus­gewählten Zuschauern vorgelegt. In Zusammenarbeit mit der

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Q ua l itätsj ou r na l i smu s Programmwert

Medienforschung werden diese Zuschauer unmittelbar nach der Sendung angerufen und gebeten, die Qualitätskriterien auf einer Skala von 1 bis 5 zu bewerten. 5 heißt „Dieses Qualitätskriterium trifft voll und ganz zu“, 1 bedeutet, dass das Kriterium überhaupt nicht zutrifft. Für jedes Kriterium ergibt das einen bestimmten interpretierbaren Wert. Alle so ermittelten Werte ergeben dann den sogenannten „Wertschätzungs-Index“; schließlich wird auf diese Weise gemessen, welche Wertschätzung der Zuschauer der Sendung entgegenbringt. Ergänzt werden die sendungsspezifischen Kriterien durch einen Katalog von allgemeinen Qualitätskriterien, die aus den vier Wertedimensionen abgeleitet werden und für alle Sendungen des Bayerischen Fernsehens gelten. Das Gesamtergebnis ist dann ein Qualitätsprofil, welches Stärken und Schwächen einer Sendung ziemlich exakt widerspiegelt. Mit der Präsentation dieser Zuschauer-Einschätzung vor der Redaktion kann der Qualitätsverbesserungsprozess starten.

Die fünf Schritte im Qualitätsprozess

Sendungsprofil Welchen Auftrag hat die Redaktion?

Zusammenarbeit mit den Redaktionen

Ist-Profil

Die Redaktion kann nun entscheiden, inwieweit sie die Erwartungen der Zuschauer erfüllen will, um dann bei der nächsten Zuschauerbefragung ein besseres Ergebnis – einen höheren Wertschätzungs-Index – erzielen zu können. Um dieses Ziel zu erreichen, erarbeitet die Redaktion Maßnahmen zur Verbesserung der Programmqualität. Das Besondere des Qualitätsprozesses des Bayerischen Fernsehens ist, dass sowohl Kameraleute als auch CutterInnen daran teilnehmen. Fernsehen ist Teamwork und deshalb kann auch die Arbeit an der Verbesserung der Programmqualität nur im Team geschehen. Das Qualitätsmanagement des Bayerischen Fernsehens begleitet diesen Prozess – von der Erarbeitung der Qualitätskriterien bis zu maßgeschneiderten Fortbildungsangeboten für alle am Prozess Beteiligten.

Wie kommt der Auftrag beim Zuschauer an?

Die Qualitätsvereinbarung und der öffentliche Wert des Fernsehens Den vorläufigen Abschluss des Qualitätsprozesses bildet die sogenannte „Qualitätsvereinbarung“ zwischen der Redaktion und der Fernsehdirektorin. Natürlich sollte sich der Erfolg dieses Qualitätsprozesses langfristig auch in der Quotenentwicklung bemerkbar machen. Im Vordergrund steht aber die Auseinandersetzung mit dem Programmauftrag und der Frage, was das öffentlich-rechtliche Fernsehen für die Gesellschaft wertvoll macht und welche Rolle die Redaktion dabei spielt. Über diesen Wert muss in einem ständigen Prozess das Einvernehmen mit dem Zuschauer gesucht werden. Es handelt sich dabei um nichts weniger als die ständige Verantwortung der öffentlich-rechtlichen Programmmacher gegenüber ihren Zuschauern.

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Soll-Profil Wie sieht das Ziel aus?

Massnahmenkatalog Wie kann das Ziel erreicht werden?

Qualitätsvereinbarung Wie werden die Ziele verbindlich?

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P rogrammwert Qua lit채tsj o u r n alismu s

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Q ua l itätsj ou r na l i smu s Programmwert

Das Salz in der Suppe BR-HĂśrfunkkorrespondenten in Berlin und im Ausland Ralf Borchard

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P rogrammwert Qua litätsj o u r n alismu s

Ist Merkels Koalition in der Krise? Wie ist die Wahlkampfstimmung in den USA? Was passiert mit dem Wrack der Costa Concordia? Fragen wie diese prägen täglich die BR-Radioprogramme. Antworten geben unsere Korrespondenten. Sie sind das Herz der aktuellen Berichterstattung. Beispiel Merkel: Berlin-Korrespondentin Eva Corell war vor Kurzem mit der Kanzlerin auf Auslandsreise. Im Regierungsflugzeug hat sie Angela Merkel im Hintergrund-Gespräch erlebt. Zurück in der Hauptstadt spricht sie mit Abgeordneten von Union und FDP. Und mit Vertretern der Opposition. Ist Merkel weiter unangefochten? Die Leiterin unseres Hauptstadtstudios kann es einschätzen. Beispiel USA: Washington-Korrespondent Klaus Kastan war bei den Vorwahlen der Republikaner in Iowa, Florida und anderen Bundesstaaten. Er stand neben den potenziellen Herausforderern Barack Obamas. Hat gespürt, wie der Ton im Wahlkampf schärfer wird. Was ist zu erwarten, falls Obama verliert? Was kommt, wenn er noch einmal gewinnt? Unser Mann in den USA weiß Antworten. Beispiel Schiffswrack: Rom-Korrespondent Tilman Kleinjung war gleich nach der Havarie der Costa Concordia auf Giglio. Er hat mit Inselbewohnern gesprochen und mit Experten, die das Öl aus dem Schiff abpumpen. Er verfolgt seitdem die Ermittlungen zur Unglücksursache. Trägt allein der Kapitän die Schuld? Unser Korrespondent kann es einordnen.

Israel-Korrespondent Torsten Teichmann verfolgt täglich die Spekulationen um einen Luftschlag gegen Iran. Er hat schon während des Gaza-Kriegs und der jüngsten Libanon-Krise aus Israel berichtet. Er lässt sich trotz aller Anspannung im Land nicht aus der Ruhe bringen. Südamerika-Korrespondent Julio Segador hat ein Jahr nach der Rettung der eingeschlossenen Bergleute in Chile mit Betroffenen gesprochen. Wie verkraften sie den kurzen Ruhm? Segador hat es erlebt. Südosteuropa-Korrespondent Jörg Paas ist immer wieder in Ungarn unterwegs. Warum provoziert die Regierung Orban die EU-Partner? Paas gibt Antworten. Die BR-Korrespondenten in Berlin und im Ausland haben einen unvergleichlichen Wissensschatz. Weltweit verfügt kaum ein anderes Medienunternehmen über ein so dichtes Korrespondentennetz wie die ARD-Senderfamilie, zu der der BR gehört. Die Korrespondenten sind das Salz in der Suppe, das Gewürz, das die Radio­programme des BR von der privaten Konkurrenz unter­ scheidet. Gerade in Zeiten globaler Vernetzung und einer Flut von Informationen ist es wichtig, das Wesentliche herauszufiltern, einzuordnen, einzuschätzen. Das tun unsere Korrespondenten. Sie vermitteln den BR-Hörern das Gefühl: Wer hier zuhört, weiß Bescheid.

Die Liste der Beispiele lässt sich fortsetzen: Brüssel-Korrespondentin Birgit Schmeitzner war im Hauptquartier der NATO-Truppen in Afghanistan. Zieht die Bundeswehr wirklich 2014 aus Afghanistan ab? Unsere Korrespondentin ist skeptisch.

Teambild: die Hörfunkkkorrespondenten des BR: Hintere Reihe v. l.: Julio Segador (Studioleiter Buenos Aires), Ralf Borchard (Chef vom Dienst, München), Mercedes Riederer (Chefredakteurin, München), Torsten Teichmann (Studioleiter Tel Aviv), Sebastian Engelbrecht (Studio Tel Aviv), Mittlere Reihe v. l.: Wolfgang Vichtl (Redaktionsleiter Politik, Studios Berlin und Ausland, München), Klaus Kastan (Studioleiter Washington), Karla Engelhard (Studio Wien/Südosteuropa), Vordere Reihe v. l.: Jörg Paas (Studioleiter Wien/ Südosteuropa), Birgit Schmeitzner (Studio Brüssel) Tilmann Kleinjung (Studioleiter Rom), Stefan Troendle (Studio Rom)

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Die BR-Korrespondenten in Berlin und im Ausland haben einen unvergleichlichen Wissensschatz. Weltweit verfügt kaum ein anderes Medienunternehmen über ein so dichtes Korrespondentennetz wie die ARD-Senderfamilie, zu der der BR gehört.

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Israel-Korrespondent Torsten Teichmann beim Interview

Standorte der BR-Hörfunk­ korrespondenten Berlin Brüssel Buenos Aires Rom Tel Aviv Washington Wien

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Fünf Fragen an … Mercedes Riederer, Chefredakteurin und Leiterin des Programmbereichs B5 aktuell – Politik und Wirtschaft Welche Bedeutung hat ein Informationsprogramm im Internet-Zeitalter? Radioinformation hat trotz der vielen Online-Newsangebote nicht an Bedeutung verloren, denn Radio hat ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal: Man braucht zur Nutzung die Augen nicht. Mit Radio kann man sich schnell und neben anderen Tätigkeiten informieren, z. B. im Bad, in der Küche oder im Auto. Die Radionutzung ist in den vergangenen Jahren sogar gestiegen. So hat B5 aktuell die besten Hörerzahlen seit dem Sendestart vor 20 Jahren. Viele unserer Inhalte können aber auch online genutzt werden. Radio, wie es der BR anbietet, ist eine ergiebige Quelle für „publizistischen Mehrwert“, als Textquelle oder als podcast, zu finden unter br.de.

Was sind die wichtigen Kriterien für Qualitätsjournalismus? Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit. Deshalb geht Sicherheit vor Schnelligkeit, d. h. wir verlassen uns nicht nur auf eine Quelle. Reporterinnen und Reporter müssen unvoreingenommen und vorurteilsfrei recherchieren. Zur Recherche gehört immer auch die Gegenrecherche. Kommentare müssen klar als Meinung gekennzeichnet sein. Der große Journalist Herbert RiehlHeyse hat auf die Frage „Was ist ein guter Journalist?“ geantwortet: „Seine Kardinaltugenden sind Fleiß und Glaubwürdigkeit, er hat einen Hass auf das Vorurteil und eine nimmer endende Liebe zum Leser.“ Dem ist nur hinzuzufügen: Das gilt auch für Hörer.

Wie viel Bayern gehört in die Nachrichten? Hier gilt die Leitlinie: Alles aus Bayern erfahren und nichts in der Welt verpassen. Welche Rolle spielt in einer globalisierten Welt noch ein eigenes Korrespondentennetz? Das Korrespondentennetz ist ein Markenzeichen unserer Informationssendungen. Der BR und die ARD entsenden die besten Journalistinnen und Journalisten an die Brennpunkte dieser Welt. Sie liefern Informationen aus erster Hand mit eigenem unverwechselbaren Blick. Hörerinnen und Hörer wissen, dass sie sich auf diese Informationen verlassen können.

Der BR möchte auch im Internet seine Informationskompetenz hervorheben, was ist hier geplant? Ein zentrales Aktualitätsangebot, in dem alle Informationen und Hintergrundberichte des BR gebündelt und klar aufzufinden sind. Dieses Aktualitätsportal wird von den Redaktionen, die für Informationen im Hörfunk und im Fernsehen ste­hen, gemeinsam erstellt – B5 aktuell, die  „Rund­­schau“ und das BayernCenter sowie die Onlineredaktion. Bisher musste man diese Informationen auf verschiedenen Seiten zusammensuchen.

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Früh am Morgen im Badezimmer beginnt der Alltag eines Nachrichtenchefs Peter Biermann

Mein Tag als Chef vom Dienst (CvD) beginnt im Badezimmer, pünktlich um 4.00 Uhr morgens. Dann schalte ich das Radio ein und höre auf Bayern 3 die Nachrichten, erstellt von einem Nachtschicht-Kollegen aus meiner Redaktion. Ein erster Über­blick, was der Tag an Ereignissen bereithält.

cher machen sollten? Haben wir schon konkrete Zahlen, was die ausgefallenen Schulstunden betrifft? Wir wägen ab und diskutieren, welches Thema wo seinen Platz finden soll. Am Ende landen der Euro und Griechenland wieder einmal auf Platz eins, aber auch die Themen aus Bayern bekommen einen prominenten Sendeplatz.

Knapp eine Stunde später sitze ich an meinem Platz im Sendekomplex von B5 aktuell und jetzt geht es ins Detail. Wie ist die Nachrichtenlage genau? Dutzende Agenturmeldungen und Berichte der BR-Korrespondenten lesen; das Material sichten, welches die B5-Planungsredakteure für den Tag vorbereitet haben. Dabei kristallisieren sich schon die wichtigsten Themen heraus: der Dauerbrenner Griechenland, die Lage in Syrien, Zahlen aus dem Kultusministerium zum Thema ausgefallene Schulstunden und der Produktionsstopp in einer Großbäckerei in Bayern.

Koordination und Absprache – das sind die zentralen Aufgaben des CvD von B5 aktuell. Nicht nur mit den Nachrichten-Kollegen stimme ich mich ab, sondern natürlich auch mit den B5-Moderatoren und mit den Redakteuren, die zuständig sind für unsere Sendeplätze Bayern, Wirtschaft, Kultur und Sport. Was ist konkret auf jedem Platz geplant, welches Thema ist so wichtig, dass es auch einmal im Info-Block laufen sollte? Ein kurzes Gespräch mit jedem Kollegen, dann noch schnell ein Telefonat mit dem Hauptstadtstudio in Berlin. Der dortige Früh-Redakteur bereitet schon einen Beitrag vor über die Initiative einer Gruppe von CDU-Politikern, Kinderlose stärker zur Kasse zu bitten. Auch dieses Thema plane ich in den ersten Info-Block ein. Nur noch zwanzig Minuten bis zum Sendestart: Jetzt muss ich zügig daran gehen, mir die Beiträge anzuhören, die wir gleich senden werden. Im Schnelllauf wird ein „Audio“ nach dem anderen gecheckt. Fehler entdecke ich ganz selten – die Studioredakteure haben gute Vorarbeit geleistet.

Welches Thema hat für unsere Hörer in Bayern welches Gewicht, welche Ereignisse werden heute den Tag prägen? Das bespreche ich jetzt mit den Kolleginnen und Kollegen, die ein paar Schritte von meinem Arbeitsplatz entfernt die „klassischen“ Nachrichten für alle BR-Programme schreiben. Gibt es zu Griechenland wirklich so viel Neues und Wichtiges, dass wir die Euro-Krise zum Aufma-

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Im Schnelllauf wird ein „Audio“ nach dem anderen gecheckt. Fehler entdecke ich ganz selten – die Studio­ redakteure haben gute Vorarbeit geleistet. Per „Drag-and-drop“ am PC-Bildschirm wird der Sendeplan für die erste halbe Stunde ab 6.00 Uhr zusammengestellt – und dann kann es losgehen. Der CvD hat jetzt erst einmal etwas Zeit, er kann die eigene Sendung verfolgen, hören, ob die Moderationen zu den Beiträgen passen, ob die Reihenfolge der Themen passt, ob die Sendung „rund“ läuft. Dann aber muss schon die nächste halbe Stunde geplant werden. Wieder Agenturmeldungen sichten, was hat sich getan, gibt es erwähnenswerte neue Ereignisse? Muss man möglicherweise einen Korrespondenten aus dem Bett klingeln und um einen Bericht bitten? Welche Interviews sendet heute die „radioWelt“ auf Bayern 2, die man nachrichtlich verwerten könnte? Und was plant das ARD/ZDF-Morgenmagazin, welche Gespräche haben dort Informationswert? Auch wenn sich nicht viel tut, wenn die Nachrichtenlage sich kaum verändert – eigentlich ein Graus für Nachrichtenredakteure: Man kann immer wieder neue Aspekte finden, damit trotz Themenwiederholung im HalbStunden-Takt das Programm frisch und neu klingt. Koor­dination und Absprache: So geht es auch in den Vormittag hinein. Gegen 9.00 Uhr meldet sich der CvD des BR-Hauptstadtstudios und vereinbart mit mir die Beiträge, die den Tag über aus Berlin zu­ geliefert werden sollen. Kurz danach ein Gespräch mit ei­nem Kollegen aus der Redaktion Landespolitik, in dem abgeklärt wird,

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wo heute die Schwerpunkte der Berichterstattung in Bayern liegen. Und immer wieder eine kurze Beratung mit den eigenen Nachrichtenredakteuren: Wie ist die aktuelle Lage, stimmt die Reihenfolge unserer Themen noch? Kurz vor 10.00 Uhr entscheiden wir uns, den Aufmacher zu wechseln: Ab sofort steht das soeben ergangene Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Professoren-Gehältern ganz oben. Die Redaktionskonferenz – pünktlich um 10.05 Uhr – rundet das Frühprogramm ab: Die Chefredakteurin Mercedes Riederer ist dabei, der Redaktionsleiter Max Stocker und alle an der Sendung Beteiligten. Was ist gut gelaufen, was nicht so gut: Es gibt detaillierte Programmkritik und es wird debattiert, welche Themen B5 aktuell an diesem Tag schwerpunktmäßig behandeln und eingehender erklären sollte. Genau 25 Minuten ist für die Diskussion Zeit. Dann muss ich wieder zurück an meinen Arbeitsplatz. Die Welt der Nachrichten dreht sich weiter; die nächste aktuelle Sendestunde ist zu planen.

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„Ich taste mich an Grenzen vor.“ Ein Gespräch mit Evelyn Schels über Respekt und Vertrauen im Dokumentarfilm

Warum machen Sie eigentlich Dokumentarfilme? Der Dokumentarfilm bietet eine unglaubliche Authentizität. Ich kann über Menschen Geschichten erzählen und diese dazu bringen, dass sie sich selbst erzählen. Damit erlaube ich dem Betrachter, in eine andere Welt, in eine Familienkonstellation richtiggehend hineinzublicken und diese Menschen zu erleben. Ich lerne so auch, sie besser zu verstehen. Was bedeutet für Sie dabei „Haltung“? Auf jeden Fall muss man die Protagonisten mit größtem Respekt behandeln. Die Haltung, die von mir eingenommen wird, vermittelt sich ja indirekt: Was lasse ich die Leute sagen, wie stelle ich sie dar, welche Auswahl der O-Töne treffe ich und wie vermitteln sie sich dem Betrachter? Ich möchte, dass man gerade Minderheiten zu verstehen lernt. Ich habe einmal eine algerische Familie in Frankreich (Und die Liebe kommt später ... – Die Geschichte einer Einwandererfamilie, BR 2007, 89 Min.) porträtiert , wo vieles wegen der kolonialen Vergangenheit sehr viel dramatischer ist als in Deutschland. Ich glaube, dass man durch so eine Innenansicht einer Familie wiederum die große Geschichte besser verstehen lernt. Und der Mensch ist hier mehr als nur der „Araber“, der in kurzen Berichten oder Reportagen gezeigt wird, in denen er ein-

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mal einen O-Ton hat und dann die Erzählerstimme aus dem „Off“ kommt. Ich bemühe mich sehr darum, dass meine Protagonisten von sich und von innen heraus erzählen. Wie finden Sie Ihre Geschichten? Das ist ganz unterschiedlich. Ganz allgemein gesagt: Man hält die Augen auf. Angefangen hat es damit, dass ich mich für Minderheiten interessiert habe. Deshalb hab ich mich ja auch so für das Porträt dieser algerischen Familie eingesetzt. Sie gehörte eben zu einer Gruppe von Menschen, von der ich glaubte, sie besser verstehen zu müssen. Ich finde, immer wenn kulturelle Überlagerungen stattfinden, verschiedene Traditionen, z. B. eine östliche und eine westliche zusammenkommen, dann entsteht ein sehr in­ teressantes Spannungsfeld. Die Leute müssen sich neue Fragen nach ihrer Identität stellen und sich neu verorten. Also, das sind die Dinge, die mich sehr interessieren. Wie stellen Sie das Vertrauen zu Ihren Protagonisten her? Da habe ich die Erfahrung gemacht, dass es entweder ziemlich schnell da ist oder aber es kommt nie, wobei mir letzteres, Gott sei Dank, noch nicht passiert ist. Bisher hat sich das Vertrauen immer eingestellt. In der Regel danken es einem auch die Menschen,

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Dokumentarfilme von Evelyn Schels: oben groß: „Barbara, die Frau des Yogi“ oben Mitte: „Aylin“ links: „Asiye und ihre Töchter“

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wenn man ihnen und ihrer Geschichte Aufmerksamkeit schenkt. Den Protagonisten gehört dabei meine ganze Empathie. Ich will sie verstehen und sie durch den Film begleiten. Das hat natürlich mit Vertrauen zu tun. Ich bemühe mich, sehr behutsam vorzugehen. Ich falle nicht mit der Tür ins Haus. Man muss Vertrauen aufbauen, durch Verständnis und Einfühlsamkeit. Menschen haben ein sehr feines Gespür, ob sie einem vertrauen können oder nicht. Das darf man nicht unterschätzen; und das hat nichts mit Intellekt oder Bildungsgrad zu tun. Sind Sie schon einmal einem „Schauspieler“ unter Ihren Protagonisten aufgesessen, jemandem, der Sie in die Irre führen wollte, einem Aufschneider oder Schwindler? Nein. Das hält keiner lange durch. Dazu sind die Dreharbeiten zu intensiv. Selbst bei Leuten, die berühmt sind und die natürlich immer darauf bedacht sind, dass sie gut wegkommen. Es ist eben eine Frage des Vertrauens; und selbst, wenn Fragen nicht beantwortet werden oder der Protagonist gereizt schaut und sagt: „Da sage ich jetzt nichts dazu“, dann ist das auch eine Aussage. Und ist es vorgekommen, dass Sie schon einmal instrumentalisiert wurden? Das habe ich noch nie so empfunden. Instrumentalisieren Sie die Menschen? Nein, auf keinen Fall. Meine Protagonisten und ich, wir haben ein gemeinsames Ziel. Den bestmöglichen Film zu machen. Aber ich würde das niemals als instrumentalisieren bezeichnen. Für wen machen Sie Ihre Filme? Für den Zuschauer. Ich muss doch alles dafür tun, dass der Zuschauer die Protagonisten mag. Dass er Lust bekommt, sich auf diese Reise zu begeben. Dass er Lust hat, in ein Leben oder eine Familie deutlicher hineinzublicken. Ich bin ja als Zuschauer auch gnadenlos. Wenn mich ein Film nach 20 Minuten immer noch langweilt, dann kann es schon sein, dass ich aus dem Kino gehe oder den Fernseher ausschalte. Ich finde das ganz wichtig. Ich könnte auch sagen, ich will auf eine gewisse Art und Weise unterhalten. Warum auch nicht? Beschleicht Sie nicht manchmal das Gefühl, dass Sie Ihren Protagonisten sehr viel zumuten? Das ist eine Frage, die ich mir selbst manchmal stelle und ich entschuldige mich dann auch und sage: „Entschuldigung, wir sind jetzt wie eine Invasion in Ihre Wohnung eingedrungen. Aber wir machen alles wieder ordentlich.“ Ich möchte keine Zumutung sein und ich erkläre deshalb immer, warum etwas notwendig ist. Ich schränke auch die Technik ein, weil ich nicht der Meinung bin, dass große Technik den Film besser macht. Ich richte es sehr gerne so ein, dass die Kamera möglichst weit weg ist, sodass ich mit gerin-

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ger Tiefenschärfe arbeite und das Team schön weit hinter mir habe. Ich selber bin dicht dran am Protagonisten. So versuche ich die Zumutungen eines Drehs aufzulockern. Der Protagonist muss sich natürlich wohlfühlen. Das ist ganz wichtig. Aber wenn Sie dann an einen Punkt kommen, wo es dem Protagonisten weh tut, hören Sie dann auf oder machen Sie weiter? Nein, ich höre dann auf. Da gibt es für mich Grenzen. Es geht ja immer um die Konflikte und Brüche der Menschen, insbesondere bei den „Lebenslinien“. Da muss ich mich einfühlen. Ich möchte nicht, dass die Leute vor der Kamera in Tränen ausbrechen und sich nicht mehr halten können. Das finde ich, geht nicht, das lehne ich ab. Ich bin keine Psychotherapeutin. Es ist sehr hart, das dann aufzufangen, denn ich taste mich ja an Grenzen vor. Das könnte aber für die Story doch besser sein? Nicht unbedingt. Nein. Ich bin der Meinung, dass auch sehr viel zwischen den Zeilen und auch assoziativ möglich ist. Ich muss die Menschen nicht vorführen und das würde ich auch ablehnen. Also dazu respektiere ich sie zu sehr. Ich bin nicht der Meinung, dass eine Geschichte interessanter und tiefer wird, wenn ein Mensch in Tränen aufgelöst gezeigt wird. Ich glaube nicht, dass das nötig ist. Wenn einmal eine Träne fließt, dann ist das nicht das Problem. Was wünschen Sie sich als Filmemacherin? Ich wünsche mir, dass ich weiterhin bei den „Lebenslinien“ und beim Dokumentarfilm für den BR die Produktionsbedingungen vorfinde, die es ermöglichen, hochqualitative Filme zu produzieren. Ich wünsche mir, dass das erhalten bleibt und weiterhin im BR geschätzt wird. Dass wir Geschichten erzählen dürfen, die über Grenzen blicken, die thematisch eine Offenheit beinhalten. Ich finde das ganz, ganz wichtig, und ich denke, das wird vom Zuschauer auch angenommen. Man hat mit dem Dokumentarfilm im Unterschied zur journalistischen Reportage ganz andere erzählerische Möglichkeiten. Große gesellschaftliche Fragen können von innen heraus erzählt werden. Um es deutlich zu machen: Wenn man bei 100.000 Opfern sagt, es seien 100.000 Opfer, dann bleibt das lediglich eine Zahl. Wenn ich mir aber eine Lebensgeschichte aus den vielen herausgreife, diese mit allen Hintergründen intensiv erzähle, wie die über den versuchten Ehrenmord an Aylin, dann ist das eben nicht nur eine weitere Geschichte zum Thema Ehrenmord, sondern es wird zu einer ganz eigenen. Wir fühlen mit ihr mit, und sie zeigt uns ihre Stärke, und wir verstehen danach einfach mehr. Weil es einen intimeren Blick gestattet. Den herzustellen erfordert Zeit und Einfühlungsvermögen und auch die Möglichkeit, dass ich so arbeiten kann, wie ich arbeiten muss. Gibt es denn eine Gefahr, dass man so nicht mehr arbeiten kann? Ja. Ich habe auch für andere Fernsehsender und Redaktionen gearbeitet. Es gibt Formate, wo alles sehr, sehr schnell gehen muss.

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Da erreicht man natürlich nicht diese Intensität. Man erreicht auch nicht diese Vielschichtigkeit. Das ist sehr schade; denn ich habe ja auch eine Verantwortung gegenüber meinen Protagonisten. Ich kann denen ja nicht sagen, die Konditionen waren nicht so gut, deshalb bekommen sie einen schlechten Film oder einen mäßigen oder einen hingeschluderten. Das geht nicht. Man sollte sich schon überlegen, warum so etwas nötig ist beim öffentlichrechtlichen Fernsehen. Das muss eigentlich nicht sein. Wir sind ja schließlich kein Privatfernsehen und von Werbeeinnahmen abhängig. Wir sollten unseren Zuschauern doch das Bestmögliche bieten. Heißt das für Sie als Filmemacherin, dass Sie mehr Zeit brauchen? Ich brauche nicht mehr Zeit, aber ich brauche die Zeit, die ich bei den „Lebenslinien“ und beim großen Dokumentarfilm im Moment zugestanden bekomme. Wenn man die Möglichkeit hat, genauer zu drehen und im Schnitt fünf Tage mehr hat, lohnt es sich. Ein Film wird dann besser. Oft sind es Winzigkeiten: ein kleine Umstellung in der Szenenabfolge, ein Satz an einer anderen Stelle. Das ist wie bei einem Diamanten, der geschliffen wird.

Lebenslinien Prägende Programmfarbe des Bayerischen Fernsehens ist die Reihe „Lebenslinien“. Deren guter Ruf reicht weit über die Landesgrenzen hinaus, ihr hohes Qualitätsniveau wurde mehrfach ausgezeichnet. Gegenstand der Sendereihe ist das menschliche Leben in seiner Vielfalt. Erzählt werden Geschichten von Menschen in Bayern und anderswo. Jeder Film folgt den Wegen einer einzelnen Person und beleuchtet die besonderen Ereignisse und Einflüsse, die in ihrem Leben von entscheidender Bedeutung waren oder immer noch sind. Einfühlsam und fern jeglicher Sensationsgier wird gezeigt, wie dieser Mensch mit Brüchen, Wendepunkten, Irrwegen, Hoffnungen und Enttäuschungen umgegangen ist. Letztlich geht es darum, wie jeder sein Leben meistert.

Verstehen wir die Welt dann besser? Ja. Der Dokumentarfilm ist – wenn man das Handwerk gut beherrscht – ein großartiges Mittel, um die Welt besser zu verstehen, um den Zuschauer auf die Reise mitzunehmen und ihm fremde Welten zu zeigen. Das Gespräch führte Mario Beilhack

Evelyn Schels ist eine gefragte Autorin. Ihre Spezialität: dokumentarische Essays und Porträts u. a. für die „Lebenslinien“. Ihren ersten Porträtfilm für die Redaktion hat sie 1997 über eine Ballettmeisterin des Pariser Variété-Theaters Moulin Rouge gedreht. Mehr als zehn weitere „Lebenslinien“ sollten bis heute folgen. In all diesen Filmen zeigt sich die besondere Qualität der Autorin: die fast schon intime Nähe zu ihren Protagonisten, die uns Zuseher nicht unberührt lässt. Zuletzt waren von ihr die „Lebenslinien“ „Ich bin stolz auf meinen Dialekt“ und „Aylin“ sowie „Salz im Mokka“, ein 90-minütiger Dokumentarfilm über eine türkische Einwandererfamilie, im Bayerischen Fernsehen zu sehen.

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Barrierefreies Fernsehen und Internet Gabriele Krüger

Im Gegensatz zu anderen ARD-Sendern besteht das barrierefreie Angebot des Bayerischen Fernsehens nicht „nur“ aus Sendungen mit Videotext-Untertiteln, sondern auch aus einem großen Angebot von „Hörfilmen“ (Audiodeskription). Zudem produziert und finanziert der Bayerische Rundfunk als einzige Landesrundfunkanstalt die Sendereihe „Sehen statt Hören“, die kostenfrei von allen Dritten Programmen übernommen wird.

Videotext-Untertitelung (für Gehörlose und Schwerhörige) Das Bayerische Fernsehen hat das Volumen der Videotext-Untertitelung im Jahr 2011 noch einmal ausgeweitet. Gegenüber dem Vorjahr 2010 betrug der Zuwachs rund 10 Prozent. Seit 2007 (73.000 Sende-Minuten mit VT-Untertiteln) wurde das Angebot mehr als verdoppelt: auf nunmehr ca. 180.000 Minuten Programm mit Videotext-Untertiteln. Derzeit liegt der Anteil der für die gehörlosen und hörbehinderten Zuschauerinnen und Zuschauer barrierefrei zugänglichen Sendungen im Bayerischen Fernsehen im Hauptabendprogramm (zwischen 18.45 Uhr und 23.00 Uhr) durchschnittlich bei rund 75 Prozent und bei nahezu 40 Prozent im Gesamtprogramm. Das Angebot umfasst die erfolgreichsten Sendungen des Bayerischen Fernsehens aus den Bereichen Bildung, Information und Unterhaltung, wie z. B. die Hauptausgabe der „Rundschau“ um 18.45 Uhr, alle Magazine und Dokumentationen auf dem 19.00- und 21.15 Uhr-Sendeplatz sowie Fernsehfilme und Serien, die Daily „Dahoam is Dahoam“, aber auch Reportagen, LiveSendungen wie „Fastnacht aus Franken“ und regelmäßig Fern-

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sehgottesdienste an Sonn- und Feiertagen. Hinzu kommen Volkstheater-Programme wie „Chiemgauer Volkstheater“ und „Der Komödienstadel“ sowie Volksmusiksendungen wie „Melodien der Berge“. Im Ersten Programm strahlt der Bayerische Rundfunk u. a. folgende Sendungen mit Untertiteln aus: Fernsehfilme (einschließlich „Tatort“ und „Polizeiruf“), Dokumentationen, ARDRatgeber Geld und Gesundheit und auch die politischen Magazine „Weltspiegel“, „Report München“ und „plusminus“, sowie das Kulturmagazin „ttt – Titel, Thesen, Temperamente“. Außerdem Volksmusiksendungen wie „Musikantenstadl“.

Audiodeskription/Hörfilme (für Blinde und Sehbehinderte) Auch in Sachen Audiodeskription/Hörfilme hat der Bayerische Rundfunk sein Leistungsvolumen erheblich gesteigert, von 2.500 Minuten Neuproduktion im Jahr 2007 auf jeweils rund 4.000 Sendeminuten in den Jahren 2009 und 2010, also um rund 60 Prozent. Der Anteil der Hörfilme im Bayerischen Fernsehen liegt derzeit im Hauptabendprogramm bei ca. 5 Prozent. Das Angebot umfasst vor allem Spiel- und Fernsehfilme, da bei diesen ohne die Bildinformation das größte Verständnisdefizit in der Zielgruppe der Sehbe­hinderten und Blinden herrscht. Bestückt werden somit im Bayerischen Fernsehen besonders die Sendeplätze am Dienstag und Mittwoch ab 21.45 Uhr und samstags ab 20.15 Uhr. Im Ersten werden neben den Spielfilmterminen regelmäßig die Sende­plätze am Sonntagabend (Tatort- und Polizeiruf-Erstsendungen) und am Mittwochabend (Fernsehfilm der Woche) bestückt.

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Auch in Sachen Hörfilme hat der Bayerische Rundfunk sein Leistungsvolumen erheblich gesteigert.

Wöchentliche Sendereihe „Sehen statt Hören“ Als einziger Sender produziert und finanziert der Bayerische Rundfunk darüber hinaus die wöchentliche Sendereihe „Sehen statt Hören“, die neben Untertiteln auch Ton und Gebärdensprache anbietet, sodass Menschen mit Hörbehinderung, die sich durch die zuweilen schnelle Textfolge überfordert sehen, auch die Möglichkeit haben, am politischen, religiösen, kulturellen, sportlichen und gesellschaftlichen Geschehen teilzunehmen. Der Bayerische Rundfunk beschäftigt für die Sendereihe auch Hörgeschädigte und zwei Gebärdendolmetscher, um ein authentisches und auf die Zielgruppe optimal abgestimmtes Angebot bieten zu können. Zwar wird die Sendereihe von allen Dritten Programmen übernommen, doch die Finanzierung liegt fast ausschließlich beim Bayerischen Rundfunk.

Punkten erhalten. BIK ist ein Gemeinschaftsprojekt des DBSV (Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband e. V.), des DVBS (Deutscher Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e. V.) und der DIAS GmbH. Das Projekt wird durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales gefördert. Mit dieser Bewertung gilt br.de als „gut zugänglich“ und erfüllt in hervorra­ gender Weise eines der zentralen Ziele des Relaunches. Natürlich darf auch hier die Entwicklung nicht stehen bleiben. Der Ausbau der medialen Angebote im Internet sowie auch deren Verbrei­tung über mobile Endgeräte muss möglichst barrierearm erfolgen und darf nicht zum Ausschluss von ganzen Bevölkerungsgruppen führen. Darin liegt auch künftig eine große Herausforderung für den Bayerischen Rundfunk.

Barrierefreies Internet und Trimedialität Ein möglichst barrierearmer Zugang zu br.de war auch eines der zentralen Ziele des Relaunches im Frühjahr 2008. Im Rahmen der technischen und finanziellen Möglichkeiten hat die Multimediaabteilung den Webauftritt des Bayerischen Rundfunks grundsätzlich überarbeitet und dabei insbesondere den Bedürfnissen be­ hinderter Menschen Rechnung getragen. Das Angebot von br.de wurde 2008 vom Projekt „barrierefreiheit informieren und kommunizieren“ (BIK) geprüft und hat 93,25 von 100 möglichen

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Wenn im Hotroom die Temperatur steigt … … fallen draußen die Tore – Einblick in einen ganz normalen Fußballbundesliga-Samstagnachmittag von Heute im Stadion. Lutz Bäucker

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Fußballbundesliga, Saison 2007/2008. Am 29.03.2008 spielt der 1. FC Nürnberg gegen den FC Bayern München. Die Moderatoren Edgar Endres (links) und Wolfgang Reichmann (rechts).

„Toooor in Nürnberg! Der Ausgleich für die Bayern! Führung für den FC Augsburg!“ Manchmal fallen sie fast gleichzeitig, die Tore für die bayerischen Mannschaften in der Fußballbundesliga, dann überschlagen sich die Ereignisse, dann steigt bei allen Beteiligten von „Heute im Stadion“ auf Bayern 1 der Blutdruck, werden Leitungen „aufgerissen“, Kommandos geschrien und Reporter von der Leine gelassen. Diese Sendung lässt keinen kalt, diese Sendung zeigt alles, was Radio ausmacht: direkt, schnell, hautnah und emotional. Gänsehaut ist immer dabei, Samstag für Samstag, zwischen 15.00 und 19.00 Uhr auf Bayern 1. Es fängt ganz harmlos an, kurz nach zwölf am Samstagmittag kommt der Moderator in das Großraumbüro von Bayern 1: Mal ist es Christoph Deumling, mal Uwe Erdelt. Ihre wichtigste Moderationsunterlage ist der „Laufplan“, in dem auf rund 20 Seiten genau beschrieben wird, was in welcher  Sekunde passieren soll: „15.00 Uhr 45 Minuten 00 Sekunden: Abruf Reporter Karlheinz Kas beim Spiel SC Freiburg gegen FC Bayern, Sprechdauer 45 Sekunden!“

heiten: „Du, unseren Experten, den Olaf Thon, den musst du heut’ auch auf den neuen Berliner Trainer ansprechen!“ Gegen 13.30 Uhr zeichnet Moderator Uwe ein Telefoninterview mit Rachid Azzouzi auf – der Manager der SpVgg Greuther Fürth gibt Einblicke ins Seelenleben des fränkischen Aufstiegsaspiranten. Dann werden die Aufgaben verteilt: Produzent Achim Hofbauer bereitet witzige, informative O-Töne vor, Mitarbeiterin Christine Kellermann kümmert sich unter anderem um die Dritte Liga. „Regensburg fällt aus, zuviel Schnee im Jahn-Stadion!“ Die Crew der Bayern 1-Techniker wird instruiert und informiert, sie prüft ein halbes Dutzend Leitungen zu den ARD-Reportern in den Stadien der Republik: „Hallo, Edgar Endres in Nürnberg, ich hör dich nicht! Wo ist der Siems? Kein Ton aus Leverkusen! Ja, HansPeter Pull in München, danke, der ist da!“

Die Moderatoren markieren sich die Anweisungen mit verschiedenen Farben, sie haben umfangreiche Informationen über Spiele und Spieler auf Karteikarten oder Manuskripten notiert, ihr Kopf ist „vollgestopft“ mit Statistik, nicht zu vergessen Anekdoten und Sprüche aus der zurückliegenden Fußballwoche: „Haben wir den Original-Ton vom griechisch singenden Otto Rehhagel?“ will Uwe Erdelt von Regisseur Florian Hecht wissen. „Haben wir!“, nickt der, „senden wir um 15 Uhr und 6 Minuten – pünktlich!“ Beide gehen den in tagelanger Kleinarbeit erarbeiteten Laufplan durch, passen ihn an tagesaktuelle Ereignisse an und besprechen Fein-

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Jetzt noch die 15.00 Uhr-Nachrichten, dann ist es soweit – „Heute im Stadion!“ ist „on air“, der erste Reporter meldet sich gleich live: „In Mönchengladbach geht’s um die Wurscht – ich bin für Sie dabei!“ ruft Wolfgang Reichmann ins Mikrofon. 25 Minuten später schaltet Bayern 1 in die Augsburger Arena: „Gerade pfeift der Schiedsrichter die Partie an“, schildert Reporter Thomas Kattenbeck die Szenerie, „der FCA muss heute endlich 3 Punkte holen!“ Nach 45 Sekunden ist Schluss mit Augsburg, „Heute im Stadion“ ruft Armin Lehmann auf Schalke, der darf 1 Minute und 30 Sekunden reden, danach ist – exakt um 15.36.00 Uhr – Detlev Lindner mit dem VfB dran, aber nur 35 Sekunden lang; denn plötzlich schreit Karlheinz Kas in Freiburg: „TorTorTor – Führung für die Bayern!“ Die Sendung nimmt Fahrt auf: Hörer-Reaktionen werden eingespielt, Uwe Erdelt würzt seine prägnanten Ausführungen mit diversen Original-Aussagen – ein Knopfdruck genügt, um sie abzuspielen, das volldigitalisierte Bayern 1-Studio macht’s möglich. Der Regisseur hört fünf Reporterleitungen gleichzeitig ab, er muss blitzschnell Entscheidungen treffen: „Tor in Berlin, wir gehen rüber zu Guido Ringel! Nein, halt, Elfmeter für den Club, bitte Eddi!“

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Beide Moderatoren verlassen sich blind auf ihr Team – anders geht’s gar nicht. „Kopilotin“ Sonja Weinfurtner sitzt immer direkt neben ihnen im Studio und füttert sie mit Toren, Zeiten und anderen spielrelevanten Infos. Im „Hotroom“ steigt die Temperatur bis hin zur längst legendären ARD-Schlusskonferenz ab 16.55 Uhr – da sind alle Reporter zusammengeschaltet, sie dürfen sich ins Wort fallen, wenn ein Tor fällt, ein Elfer gepfiffen wird, ein Spieler vom Platz fliegt. Reihum kommt jeder dran, für ein paar dichte, hoch emotionale Sekunden, die Bälle fliegen förmlich durch die Luft. Je plastischer die Bilder der Radioreporter ausfallen, desto besser können sich Hunderttausende von „Heute im Stadion“Hörern vorstellen, was da gerade in den Stadien der Fußballbundesliga passiert. Es wird gejubelt und gebrüllt, spitze Schreie fallen wie plötzliche Tore, Wortkaskaden rauschen wie scharfe Schüsse rein ins Gehirn des Zuhörers – die Schlusskonferenz ist einfach das Herzstück der Sendung. Ihretwegen sitzt das Schulkind genauso wie der Ministerpräsident vorm Radio, schalten Menschen weltweit ihr Internet ein und fiebern mit.

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Fünf Fragen an … Werner Rabe, Leiter des Programmbereichs Sport und Freizeit Herr Rabe, Sie sind für den Sport im Fernsehen und im Hörfunk zuständig. Wie gestaltet sich die bimediale Zusammen-arbeit der beiden Redaktionen? Ungeachtet der räumlichen Trennung – TV in Freimann, HF im Funkhaus – ist die bimediale Arbeit in den letzten Jahren langsam, aber sicher in Schwung gekommen und hat sich in erster Linie bei Großereignissen schon bewährt, wie zuletzt bei der Biathlon-WM in Ruhpolding, als wir sogar mit dem Livestream der Siegerehrungen schon trimedial gewesen sind, aber auch in der Vorbereitung auf die Olympischen Winterspiele 2012 in Sotschi mit der ARDFederführung durch den Bayerischen Rundfunk. „Blickpunkt Sport“ am Montagabend – über Jahrzehnte ein Muss für Sport- und Fußballfans – schwächelt. Haben sich die Fernsehgewohnheiten der Zuschauer verändert? Was braucht die Sendung – einen neuen Sendeplatz, ein neues Profil? Die Zuschauer wollen Livesport, wollen Eventfernsehen, wie nicht nur die Biathlon-

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WM in Ruhpolding, sondern zuvor auch schon die WM im Frauenfußball in Deutschland gezeigt haben. Außerdem hatte der „Blickpunkt“ früher ein Alleinstellungsmerkmal am Montag. Heute gibt es über das ganze Wochenende verteilt Talkrunden und Stammtische, haben die Zeitungen ihr Sportangebot speziell montags erheblich ausgeweitet und informieren sich mehr und mehr Menschen über Internet etc. Wir haben die Herausfor­ derung „prime time“ angenommen, obwohl die zweite Liga gegen uns Fußball spielt und viele Menschen um diese Uhrzeit selbst noch in den Sportvereinen oder Sportstudios aktiv sind. Wir müssen unser Profil verschärfen und hätten nichts ge­gen eine etwas spätere Sendezeit einzuwenden, obwohl auch dann die Konkurrenz groß sein würde. Die Berichterstattung von großen, nationalen oder internationalen Sportevents dominiert die Medien. Welche Rolle spielen beim BR der Breitensport bzw. die regionale Sportberichterstattung? Wir leisten uns „Telegym“, das Magazin „freizeit“, die Kultsendung „Bergauf-Berg­ab“, die gesplittete „Sport in Bayern“-Sendung aus München und Nürnberg und sind auch bei Sonderaktionen wie „Lauf 10“ der Kollegen der „Abendschau“, der BR-RadlTour oder der Medienpartnerschaft mit den Special Olympics sogar live dabei. Im Fernsehen, im Hörfunk und online. Wer außer uns berichtet über rund 50 Spor­tarten im Jahr? Mehr geht da nicht, auch wegen

der nur im Sport so speziellen Rechtelage. Nicht alle diese Aktionen werden übrigens von den Sportfans so belohnt, wie sie es verdient hätten! Ob Fußball, Biathlon oder Ski Alpin, Spitzensport ist nicht nur hochprofessionell, sondern auch hochkommerziell und damit auch anfällig für Skandale. Was bedeutet für Sie journalistische Qualität in der Sportberichterstattung und wie gewährleisten Sie diese? Die Kommerzialisierung des Sports wäre ohne Fernsehen nicht möglich gewesen. Wir bezahlen teure Rechte, um Topevents zu übertragen und auf Skandale zu reagieren, wie wir es etwa im Radsport getan haben. Es gilt den Spagat zwischen Präsentation des Sports und der kritischen journalistischen Begleitung Tag für Tag zu schaffen. Auch das oft im Widerspruch zu einem weit weniger kritischen Sportpublikum. Digitalisierung und die Verbreitung des Internets sorgen für eine Vielfalt von konkurrierenden Angeboten in der Sportberichterstattung. Wie reagieren Sie als Sportchef des BR auf diese multimediale Angebotsvielfalt? Wir wollen und werden multimedial dabei sein – soweit es uns möglich und erlaubt ist. Mein Traum in naher Zukunft: eine „Blickpunkt Sport“-App!

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Total lokal: Ein Tag hinter den Kulissen bei on3-südwild in Nürnberg on3-südwild, das junge TV-Programm des Bayerischen Rundfunks sendete bis 2012 jede Woche aus einer anderen Ecke Bayerns Markus Putz

In 40 Städten pro Jahr macht der on3-Sendebus halt. Das Team reist seit 2008 durch alle bayerischen Regierungsbezirke und setzt zusammen mit jungen Leuten aus den Orten die Themen um, die in der Region im Gespräch sind und die Leute an dem Tag bewegen. Seit 2010 ist auch on3-Moderatorin Sandra Rieß mit an Bord. Im Wechsel mit dem Moderatorenpaar Andi Poll und Vivian Perkovic ist Sandra Rieß mit Simon Schneller alle zwei Wochen mit dem 15-köpfigen Team und dem on3-Sendebus in einer anderen bayerischen Stadt zu Gast. Sandra Rieß und das Team nahmen uns in der Sendewoche aus Nürnberg einen Tag lang mit hinter die Kulissen der Live-Produktion. 9.00 Uhr Milchkaffee und Müsli – Der Tag am Sendeort Nürnberg beginnt für on3-Moderatorin Sandra Rieß und das Sendeteam mit einem gemeinsamen Frühstück im Hotel. Eine Woche im Sendeort leben und arbeiten hat für Sandra Rieß einen besonderen Charme: „Wenn ich mit „on3-südwild“ unterwegs bin, erinnert mich das ein bisschen ans Schullandheim. Kollegen fühlen sich nicht an wie Kollegen. Es ist ein großer Roadtrip mit Freunden durch Bayern.“

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9.45 Uhr Auf dem Weg zu ihrem Arbeitsplatz, dem on3-Sendebus, schaut sich Sandra Rieß gerne noch die Stadt an: „So bekomme ich mit, was die Themen und Hotspots der jungen Leute in der Stadt sind …“ Oft erhalte ich auch Anregungen für Moderationen oder Interviews. So eine Recherche kann kein Mensch vom Telefon in München aus machen!“

„Ich bin vor jeder Sendung ein bisschen nervös. Nur so kann ich mich gut konzentrieren“, verrät Moderatorin Sandra Rieß.

10.00 Uhr Die Lokalzeitung ist tägliche Pflichtlektüre. Ein kurzer Plausch mit den Einwohnern ist für Sandra Rieß aber noch eindrucksvoller: „Wenn ich mit Leuten vor Ort quatsche, erzählen sie aus dem Bauch heraus, was sie ärgert oder begeistert. Heiße Adresse: der Zeitungsverkäufer am Kiosk. Der kriegt immer den Gossip einer Stadt mit.“ Der on3-Sendebus auf dem Nürnberger Aufseßplatz: eine Woche lang ist er Arbeitsplatz des Teams, Anlaufstelle für Interessierte aus dem Ort und Schaltzentrale für die Live-Sendung. Der Doppeldeckerbus ist ausgestattet mit einer kompletten Sende- und Tonregie, Schnitträumen, Arbeitsplätzen und Internetterminals.

17.00 Uhr Lokale Musik am on3-Sendebus. Die gemeinsame Musikredaktion von on3-radio, „on3-startrampe“ und „on3-südwild“ recherchiert die größten Talente der Region, die dann die Chance zu Auftritten im Fernsehen, im Radio und auf on3.de bekommen. So manche bayerische Newcomer-Band hatte ihren ersten TV-Auftritt bei „on3-südwild“.

10.30 Uhr Telefonkonferenz mit dem verantwortlichen Redakteur in München: Das Team entscheidet sich, das aktuelle Thema „Finanzkrise“ heute in die Sendung zu nehmen.

17.29 Uhr Junge Leute aus dem Sendeort bestimmen die Themen und können sich vor Ort in die Live-Sendung einbringen, per Webcam, über soziale Netzwerke und natürlich auf on3.de. „Leute spontan in die Live-Sendung einzubeziehen, ist das Spannendste an „on3südwild“. So passieren Sachen, die du als Moderatorin nicht geplant hast – immer eine Herausforderung!“

11.00 Uhr Aktuelle Themen lokal umgesetzt: Sandra Rieß und VJ Tatjana Alekseeva drehen in der Nürnberger Innenstadt eine Umfrage: Wie fühlen sich die jungen Nürnberger von der Finanzkrise betroffen? 12.30 Uhr Zurück am on3-Sendebus: Das Team geht die Sendung noch einmal durch und legt Kamerapositionen fest. Trotz wochenlanger Planungen ist viel Platz für Spontanes: Ein junger Nürnberger Filmemacher bringt dem Team seinen neuen Kurzfilm vorbei. Nach einer redaktionellen Prüfung steht fest: Der Film wird in der heutigen Sendung laufen, der Filmemacher als Gesprächspartner eingeladen. 14.00 Uhr Probedurchlauf der Sendung: Die Lichttechniker sorgen dafür, dass die Moderatoren ins rechte Licht gesetzt werden. Letzter Schliff an den Moderationen. 16.29 Uhr „Noch 5 Sekunden“. Aufnahmeleiterin Iris Riedel zeigt den Moderatoren die letzten Sekunden vor der Live-Sendung an. Gleich sind die Themen aus Nürnberg eine Stunde live in BR-alpha zu sehen.

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16.45 Uhr Während der Live-Sendung steuert der verantwortliche Redakteur im Sendezentrum Freimann die Sendung und hält per Knopf im Ohr Kontakt zu den Moderatoren vor Ort.

17.05 Uhr Nach dem Auftritt geht es zum Interview. Die Newcomer-Bands können nicht nur ihre Musik einem großen Publikum präsentieren, sondern auch ihre Meinung sagen.

17.35 Uhr Allen Interessierten steht der on3-Sendebus offen. Sandra Rieß führt zwei Nürnbergerinnen durch die kompakte Regie im oberen Stockwerk des Doppeldeckerbusses. „Die am häufigsten gestellte Frage der Leute: Schlaft ihr eigentlich in dem Bus? Die Antwort: Neiiiin!“ 17.45 Uhr Gleich nach der Sendung schalten sich die Regie-Crew in Freimann, die Redaktion in München und das Sendeteam in Nürnberg zur Kritik-Konferenz am Telefon zusammen: Was lief gut? Was kann man in Zukunft noch besser machen? 19.00 Uhr Gebackener Fränkischer Karpfen und Kellerbier: Lokale Spezialitäten stehen auf dem Speiseplan beim gemütlichen Ausklang eines anstrengenden Arbeitstages. Nach einer Vorbereitungswoche in der Redaktion heißt es für Sandra Rieß und das Sendeteam dann: nächster Halt: Sonthofen.

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Die Große Passion Aufzeichnungen von Jörg Adolph über die Oberammergauer Passionsspiele Am Anfang meiner Recherche für diesen Film steht der Spielleiter (so wird der Regisseur in Oberammergau genannt) Christian Stückl vor zahlreich erschienener Lokalpresse und erklärt, dass der Jesus bisher in Oberammergau für seinen Geschmack immer ein wenig zu heilsgewiss aufgetreten sei: „Der kam auf die Bühne, als hätte er einen Korken im Hintern, auf dem Ich-bin-der-Messias steht.“ Spätestens nach diesem Satz wollte ich unbedingt seine Neuinterpretation des Passionsspiels filmisch begleiten. In Oberammergau ist die Passion keine einfache Sache. Das ganze Dorf redet überall mit, streitet sich auf Teufel komm raus und findet schließlich doch für die eine, große Aufgabe zusammen. Natürlich musste auch unser Filmprojekt erst vom Gemeinderat genehmigt werden, und ehrlich gesagt verstehe ich bis heute nicht, warum ich als evangelischer Nordhesse den Zuschlag erhielt. Beim Filmen waren wir dann stets mittendrin – und außen vor. Die perfekte Position für einen beobachtenden Dokumentarfilm also. Am Beginn der Dreharbeiten, die sich über einen Zeitraum von zwei Jahren, 200 Drehtagen und mehr als 300 Stunden Filmmaterial erstreckten, sitze ich bei den Text-Diskussionen zwischen Spielleiter Stückl und dem Dramaturgen Otto Huber und komme mir vor wie in einem Bibelgesprächskreis mit Raucherlaubnis. Kaum zu glauben, dass hier gerade die Passionsspiele im Kern entstehen und in diesem Qualm solche Gedanken möglich sind. Im wöchentlichen Jour fixe des Leitungsgremiums bewahrheitete sich, dass rund um die Passionsspiele alles eine handfeste politische und wirtschaftliche Dimension hat.

„Die Große Passion“ zeigt nun in unkommentierten Szenen die beständige Arbeit am Mythos. Dabei macht der Film die Brüche hinter der Schauseite des Bibelspektakels zum System und demontiert allzu eingeschliffene Wahrnehmungen. Die Passionsspiele in Oberammergau sind unter der Leitung von Christian Stückl längst keine fromme Folklore mehr, sondern ein lebendiges Laboratorium, um das christliche Abendland und sein bestimmendes Narrativ zu erforschen. Ich wollte einen ebenso analytischen wie liebevollen Film machen, der der geleisteten Arbeit und der epischen Dimension der Oberammergauer Passionsspiele angemessen ist und dabei immer wieder deutlich macht: „Die größte Geschichte aller Zeiten“ ist alles andere als einfach zu erzählen.

Das war ja vor 2000 Jahren in Jerusalem nicht anders. Wie also inszeniert man „Jesus in der Basisdemokratie“, ohne wieder mit großer Geste und viel Geschrei die Händler aus dem Tempel zu vertreiben? All diese unterschiedlichen Erwartungen, die auf dem Spielleiter lasten. Der unüberbrückbare Graben zwischen Traditionalisten und Reformern. Das ganze Welttheater im Dorf ... Längst sind die Spiele für Christian Stückl selbst zur Passion in jeder Bedeutung des Wortes geworden: Leidenschaft. Unbedingtheit. Sein Kreuz.

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linke Seite: Filmregisseur Jörg Adolph führt selbst die Kamera. links: „Kreuzanprobe“ für die Kreuzigungsszene während der Passionsspiele unten klein: Spielleiter Christian Stückl und sein Jesusdarsteller in einer Probenpause unten groß: Inszenierung der Kreuzabnahme als Pietà-Darstellung

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rechts klein: Regisseur Christian Stückl nimmt in den Proben selbst das Kreuz. unten groß: der Einzug von Jesus in Jerusalem am „Palmsonntag“ als Massenszene im Passionsspielhaus Oberammergau

„Die größte Geschichte aller Zeiten“ ist alles andere als einfach zu erzählen. <

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Fünf Fragen an … Andreas Bönte, Programmbereichsleiter Planung und Entwicklung Bayerisches Fernsehen Wo sehen Sie für Ihren Programmbereich in den nächsten Jahren die größte Herausforderung? Darin, das Bayerische Fernsehen als Vollprogramm im Markt zu positionieren – und zwar für eine Gesellschaft, die sich stark verändert hat. Die Zuschauer erkennen das Bayerische Fernsehen sofort und lieben es für sein „entschleunigtes“ Programm. Das heißt, wir müssen genauso unverwechselbar bleiben und gleichzeitig noch mehr innovatives und geistreiches Programm für alle anbieten. Wie prüfen und sichern Sie die Programmqualität des Bayerischen Fernsehens? Zunächst, indem gut ausgebildete Menschen mit Gespür für Themen Programm machen. Erfahrung und Bauchgefühl sind aber nur das eine – wichtig ist, dass wir uns laufend zu den Vorstellungen von Qualität rückversichern. Dank des Wertschätzungsindex-Verfahrens haben wir ein Werkzeug, mit dem wir direkt bei den Zuschauern erfragen können, ob diese unsere Qualitätsmaßstäbe im Programm auch

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erfüllt sehen. In Zuschauergesprächen vor Ort, durch Studien der BR-Medienforschung, im Austausch mit der Wissenschaft und den Gremien als Vertreter der Gesellschaft erlangen wir noch mehr Einblick in Qualitätsurteile.

Im Vordergrund stehen die unterschied­ lichen Nutzungsbedürfnisse im Tagesverlauf – und wir werden zukünftig noch mehr versuchen, mit unseren zu Mediennutzern gewordenen Zuschauern in eine Art von „Ko-Produktion“ einzusteigen.

Worin liegt der spezifische, gesellschaftliche Wert der Fernsehprogrammangebote des BR? Einerseits liegt der Wert in dem, was wir machen; Angebote, die die Zuschauer eben nur bei uns finden. Im Rundfunkgesetz steht deutlich, welche Funktionen wir auf diese Weise zu erfüllen haben: Wir stützen die Demokratie, weil wir unabhängige, umfassende und für die Menschen in Bayern relevante Informationen in unterschiedlichsten Formen anbieten. Wir bilden und wir unterhalten. Andererseits liegt der Wert in dem, was wir nicht machen: Bei uns werden die Zuschauer keine respektoder anspruchslosen Programme finden. So übernehmen wir Verantwortung für unsere Gesellschaft.

Wie sieht das Sendeschema des Bayerischen Fernsehens im Jahr 2030 aus? Über das Sendeschema 2030 machen wir uns keine Gedanken, dazu sind die Entwicklungen im Fernsehmarkt zu unvorhersehbar. Entscheidend sind vielmehr die kommenden fünf Jahre. Hier arbeiten wir am optimalen Mix aus Konstanz und Flexibilität. Das heißt, wir brauchen weiterhin feste Plätze, weil Fernsehen ein Gewohnheitsmedium ist. Aber dazwischen müssen wir flexibler werden, um den Zuschauern immer wieder thematische Strecken und auch Unerwartetes anbieten zu können. Das Schema der Zukunft wird sich vom klassischen Kästchendenken verabschieden müssen, gerade weil Inhalte auf allen Wegen zum Zuschauer gelangen.

Mit welcher Strategie begegnen Sie den Herausforderungen der neuen digi­ talen Medienwelt? Wir werden auch zukünftig nur mit Topinhalten punkten können. Und diese Inhalte können dann auch gerne „anders daher kommen“ Dass alle Ausspielwege sich verzahnen, daran ist nicht zu rütteln. Aus diesem Grund bleibt es auch so wichtig, dass wir auf allen Ausspielwegen vertreten sind. Aber das passiert „hinter den Kulissen“.

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Außenstimme:

Orientierung! – Für welche Gesellschaft? Für welches Publikum? Eine erste Diagnose aus soziologischer Sicht

Wer nach der Funktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und Fernsehens fragt, wird erwartbare Antworten bekommen – etwa der Art, dass die Öffentlichen anders als das kommerzielle Fernsehen eine Grundversorgung in Information, Bildung, Kultur und Unterhaltung sicherzustellen haben und zugleich eine Orientierungsfunktion für die Gesellschaft wahrnehmen. Letztlich ist diesen Antworten nicht zu widersprechen. Allerdings stellt sich die Frage, wie diese Orientierungsfunktion heute erfüllt werden kann – und dabei spielt nicht nur die Tatsache eine Rolle, dass die öffentlich-rechtlichen Medien große Teile der Gesellschaft gar nicht mehr erreichen. Als Formel kann wohl gelten: Je jünger und je bildungsferner das Publikum, desto weniger wird es durch die gebührenfinanzierten Medien erreicht werden. Mehr noch als diese Diagnose spielt freilich die Frage eine Rolle, was Orientierung in der heutigen Gesellschaft bedeuten kann und soll. Orientierung ist, zugespitzt formuliert, ein bürgerliches Konzept, ein Konzept der bürgerlichen Gesellschaft. Orientierung ist dabei kein einseitiges Geschehen; denn orientieren kann nur der, der auf ein Publikum trifft, das orientiert werden will, das orientierbar ist. Bürgerliche Öffentlichkeiten waren noch Öffentlichkeiten, in denen zweierlei möglich war: Einerseits waren es Öffentlichkeiten, in denen die Selektion von gesellschaftlich relevanten Themen in Politik, Kultur und Unterhaltung vorgenommen wurde. Was relevant war, wurde durch diese Öffentlichkeit bestimmt. Andererseits waren es Öffentlichkeiten, die an eine eigentümliche

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Asymmetrie gewöhnt waren, an die Asymmetrie nämlich, dass in diesen Öffentlichkeiten sagbare Argumente, akzeptierte ästhetische Standards und die kollektive Agenda festgelegt werden. Traditionell hätte man wohl gesagt: Bürgerlichkeit unterwirft sich in der Öffentlichkeit einem Allgemeinen und erfährt gerade darin ihre Freiheit. Exakt diese Öffentlichkeit gibt es nicht mehr. Wir leben inzwischen in einer „post-bürgerlichen“ Gesellschaft. Übrigens stimmt die manchmal bequeme Diagnose nicht, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk seine Orientierungsfunktion schon deshalb nicht mehr erfüllen kann, weil die Privaten sich ausbreiten. Mir scheint, es ist eher umgekehrt. Die Privaten breiten sich in dieser Weise aus, weil wir in einer „post-bürgerlichen“ Gesellschaft leben. Wie muss das gebührenfinanzierte Mediensystem darauf reagieren? Wie lassen sich „post-bürgerliche“ Gesellschaften orientieren? Darauf gibt es keine kurze Antwort und erst recht kein endgültig schlüssiges Konzept. Zumindest aber sollte die Diagnose ernst genommen werden, dass man nicht mehr für eine bürgerliche Öffentlichkeit plant.

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Orientierung ist, zugespitzt formuliert, ein bürgerliches Konzept, ein Konzept der bürgerlichen Gesellschaft.

Armin Nassehi Professor Dr. Armin Nassehi ist Soziologe und lehrt seit 1998 am Institut für Soziologie der LudwigMaximilians-Universität München. Zuletzt erschienen von ihm die Bücher „Gesellschaft verstehen. Soziologische Exkursionen“ sowie „Mit dem Taxi durch die Gesellschaft. Soziologische Storys“ (beide Murrmann Verlag, Hamburg) und bei Suhrkamp die Taschenbuchausgabe von „Der soziologische Diskurs der Moderne“ (Frankfurt 2009).

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Wertebild

„Programmwert“, gesehen von Fotografin und Dokumentarfilmerin Petra Wallner

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Bayernwert Bayern in seiner Vielfalt



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Bayerischer Rundfunk – das ist nicht nur der Name einer öffentlich-rechtlichen Rundfunk­ anstalt in Bayern. Beim BR handelt es sich um das Medienhaus für die Menschen in Bayern. Mit seinen Inhalten will der BR alle Menschen in Bay­ ern gleichermaßen erreichen. Flächendeckend in allen Regionen Bayerns verankert, spiegelt der Bayerische Rundfunk Bayern, wie es wirklich ist: seine Traditionen und seine Identität ebenso wie den kontinuierlichen Wandel in Gesell­­­schaft, Kultur und Natur. Regionalität, Tradition, Identität und Wandel – das sind die Schlagworte, die für den Begriff „Bayernwert“ stehen.

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Für eine starke Präsenz des Bayerischen Rundfunks im gesamten Freistaat sorgen neben der Zentrale in München, dem Studio Franken in Nürnberg und dem Studio Mainfranken in Würzburg auch die Korrespondentenbüros von Aschaffenburg bis Passau und von Hof bis Lindau. Die multimedial aus­gestatteten Korrespondentenbüros ermögli­-­ chen somit eine umfangreiche und tagesaktuelle Berichterstattung für alle aktualitätsbezogenen Formate und auf allen Kanälen – ob im Radio, Fern­ sehen oder online im Internet unter BR.de und mobil in Form von Podcasts oder Apps. Mit Regelsendungen wie „Unser Land“ und „Wir in Bayern“ im Bayerischen Fernsehen oder „Zeit für Bayern“ in Bayern 2 und den Regio­nal­sendungen in Bayern 1 sowie anderen täglichen Formaten der fünf Radiowellen setzt sich der Bayerische Rund­ funk mit den Tra­ditionen und der Identität der ver­ schiedenen Regionen des Frei­staats auseinander.

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Der BR leistet in einer Zeit, die durch die Digitali­ sierung der Welt und die Auflösung traditioneller Milieus geprägt ist, einen wichtigen Beitrag zu Integration und Zusammenhalt der Gesellschaft. Indem er Bayern in seiner ganzen Vielfalt abbildet, wirkt er identitätsstiftend. Der Bayerische Rund­ funk will mit seinen Programmangeboten den Menschen in Bayern eine Heimat geben.

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bayernwert regiona lität

Franken 3 x 3: Studio Franken Mehrwert für den Norden Bayerns und Vorreiter in Sachen vernetzter Aktualität Norbert Küber

Franken, Bayern und die Welt Zugegeben ein gewagter Dreisprung, aber im Studio Franken kann man ihn getrost machen. Denn hier entstehen Sendungen aus der Region – für Franken, für Bayern und gelegentlich für die Welt. Regionalität ist: das Kleine im Großen, aber auch das Große im Kleinen. Regionalität bedeutet allerdings nicht: Provinzialität, Abgrenzung oder gar Ausgrenzung. Daher liefert das Studio Franken fränkische Themen auch für die gesamtbayerischen Sendungen in Hörfunk und Fernsehen zu. Und wenn sich die Menschen in England, Frankreich oder den USA für das „Memorium Nürnberger Prozesse“ oder den Nürnberger Eisbär Flocke interessieren, dann sieht man das auch in der „Tagesschau“ oder als Weltbild für internationale Sender. Außerdem kann man von jedem Ort auf der Welt mit ein paar Klicks im Internet die fränkischen Onlineseiten abrufen – mit einer Fülle an Informationen: von den aktuellen Nachrichten bis zu aufwendig gestalteten Dossiers zur fränkischen Zeitgeschichte.

Unser Auftrag: „Franken 3 x 3“ Der eindeutige und scheinbar leichte Arbeitsauftrag im Studio Franken lautet: die fränkische Region in ihrer ganzen Vielfalt ab­

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zubilden. „3 x 3“ ist dabei die Formel, journalistische Themen der drei Regierungsbezirke Ober-, Mittel- und Unterfranken für die drei Ausspielwege Radio, Fernsehen und Online aufzubereiten. Aktualität, Zeitgeschichte, Kultur, Unterhaltung, Service – die vielen Facetten der Region spiegeln sich in ebenso vielen Bildern, Tönen und Geschichten. Stoff genug, um diese Farben auch auf verschiedenen Wegen zu den Menschen zu bringen. Dabei werden die traditionellen Medien Radio und Fernsehen zunehmend durch Internet, Smartphone, iPad oder Twitter ergänzt. Auch da heißt es für das Studio Franken, mit seinen Inhalten präsent zu sein.

Vernetzte Aktualität – oder: „Derfs a weng mehr sei?“ Weil im Studio Franken die Menschen nah beieinander sind, die Wege zwischen den Fernseh-, Hörfunk- und Onlineredaktionen kurz sind, weil man gut und schnell miteinander über die Region reden kann, war das Studio Franken schon früh Vorreiter für neue Wege der vernetzten, medialen Zusammenarbeit. Federführend erprobte man hier das Konzept der Videojournalisten (VJs), die in einer Person recherchieren, drehen, schneiden und texten. Hier entstand gemeinsam mit den anderen „Regionalen“ aus ganz Bayern, das neue „RegioOnline“-Konzept. Ein „Heimatportal“ im

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Internet, das die regionalen Informationen des BR noch gezielter, noch näher an die Menschen bringen wird. Nach dem Motto „Wir sind ein Haus“ wird in der vernetzten Aktualität zukünftig gemeinsam für alle Ausspielwege geplant und recherchiert. Im Redaktionsalltag sieht das dann z. B. so aus: Pro Tag ca. 150 Termin- und Themenangebote aus den drei Regierungsbezirken – einem Sendegebiet so groß wie Hessen – stellen die Planer vor die Qual der Wahl: Ist das regional oder muss das Thema großgespielt werden? Machen das die Redaktion Mainfranken in Würzburg oder die Kollegen in Nürnberg, oder sind die Münchner Kollegen schon dran? Dazu kommen die freundlichen Hinweise aus der Chefetage: Bitte den regionalen Proporz wahren! Bitte nicht immer nur weiche Themen! Nicht schon wieder soviel Landschaft! Bitte an Hörfunk und Online denken!

Damit können wir noch schneller sein, unsere Ressourcen effektiver nutzen und so noch besser informieren. Ein Weg, auf den sich die Regionalstudios schon gemacht haben und der zukünftig im gesamten BR eingeschlagen wird. Übergreifend und flächendeckend schöpfen wir dabei aus vielen regionalen Quellen – und das „aus erster Hand“. Wir öffnen Türen, die „Fremden“ vielleicht verschlossen blieben. Insgesamt ergibt das eine bunte Mischung, geschöpft aus der Professionalität und der großen Vertrautheit unserer Redaktionen mit der Region und ihren Bewohnern. Kurzum: ein echter Mehrwert für die Menschen in Franken und in ganz Bayern.

Alle diese Fragen lassen sich am besten klären, wenn alle Beteiligten gemeinsam an einem Tisch, dem „Newsdesk“ sitzen. Die Themen werden von allen Seiten durchleuchtet, die jeweiligen Aspekte den spezifischen Ausspielwegen zugewiesen, und so das passende Medium mit den passenden Inhalten zusammengebracht. Dabei respektieren wir freilich auch weiterhin die unterschiedlichen Stärken der einzelnen Medien und auch der Menschen, die für die jeweiligen Bereiche arbeiten. Fernsehen, Radio und Online treten nicht in Konkurrenz, sondern ergänzen sich.

Sendungen So vielfältig wie die fränkische Landschaft, die Dialekte, Mentalitäten und Befindlichkeiten, so vielfältig ist das Programm, das im Studio Franken mit 3000 Sendestunden pro Jahr in Hörfunk und Fernsehen produziert wird. Auswahl „Frankenschau aktuell“ „Frankenschau am Sonntag“ „Kabarett aus Franken“ „Asül für alle“ „Fastnacht in Franken“ „Ich mach’s“ (für BR-alpha) br.de/franken

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Fünf Fragen an … Martin Wagner, Leiter Studio Franken

Wie definieren Sie die Rolle des Studio Franken im BR? Als größter Standort des BR außerhalb Münchens steht das Studio Franken mit seinen rund 400 Mitarbeitern in Nürnberg und Würzburg exemplarisch für die regionale Kompetenz des BR. Wir sehen es als unsere Aufgabe an, Franken in seiner gesamten Vielfalt darzustellen, wir machen es „sicht- und hörbar“. Wir verstehen uns als „Kompetenzzentrum Franken".

Gibt es auch mediale Unterschiede zwischen „Bayern“ und „Franken“? Sagen wir mal so: Die Franken verstehen sich selbst nicht als Bayern, sondern eben als Franken und wollen so auch wahrgenommen werden. Das ist verständlich. Kritisch wird hier deshalb die mediale Dominanz der Altbayern gesehen, die das Bild von Bayern prägen – vom Oktoberfest bis zum FC Bayern. Wir versuchen, die fränkische Befindlichkeit, die Feste und das Lebensgefühl aufzunehmen und in den Programmen des BR spürbar zu machen – schließlich sendet der BR für ganz Bayern, und dazu gehört auch Franken, auch wenn das manche Franken gar nicht gerne hören. Wie weit kann/soll die Regionalisierung gehen? Da sind wir sehr gut aufgestellt: Kein Medienunternehmen hat in Bayern ein so umfangreiches Korrespondentennetz wie der BR. Wir haben Korrespondenten von Aschaffenburg und Hof bis Rosenheim und Lindau. Damit können wir Bayern in seiner regionalen Vielfalt darstellen. Natürlich denken wir immer darüber nach, ob man da oder dort noch etwas tun muss – so haben wir jetzt einen Fernsehkorrespondenten in Bayreuth etabliert. Aber wir können und wollen nicht mit der lokalen Kompetenz der Zeitungen konkurrieren.

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Das Studio Franken ist derzeit Vorreiter für das „trimediale“ Miteinander von Hörfunk, Fernsehen und Online. Welche Erfahrungen machen Sie? Gute Erfahrungen, ehrlich gesagt. Hier sind die Kollegen nahe beieinander und uns verbindet ein gemeinsames Thema: Franken. Wir bündeln unsere Kräfte, planen und recherchieren gemeinsam und präsentieren die Ergebnisse mediengerecht im Hörfunk, im Fernsehen und im Internet. Ziel ist es, die journalistische Qualität weiter zu verbessern. Wie wichtig ist das Internet für die Regionalberichterstattung? Es ist nicht mehr wegzudenken. Wir müssen auch im Internet mit unseren journalistischen Produkten präsent sein. So haben unsere Zuschauer und Zuhörer die Chance, das, was sie im Radio oder Fernsehen verpasst haben, nachzulesen, zu hören oder zu sehen. Das wird heute einfach von einem Medienunternehmen erwartet. Außerdem kann so jeder, der unterwegs ist, schnell erfahren, was in der Heimat los ist. Dafür sind wir da, der Bayerische Rundfunk und das Studio Franken.

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Abendschau bewegt! Nah am Menschen und informativ

Die „Abendschau“ ist das Flaggschiff für regionale Information am frühen Abend und ist damit eine der zentralen Marken des Bayerischen Fernsehens. In 45 Minuten erfahren die Zuschauer von Montag bis Freitag tagesaktuell, was die Menschen in Bayern beschäftigt. Wir haben Matthias Keller-May, Redaktionsleiter der „Abendschau“, fünf Fragen zu seiner Sendung gestellt. Herr Keller-May, was ist das Besondere an der „Abendschau“? Die „Abendschau“ berichtet über relevante Themen aus Bayern, über Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Sport und Kultur bis hin zu Brauchtum. Bei uns erfahren die Zuschauer in den 45 Minuten tagesaktuell, was die Menschen in Bayern bewegt. Die „Abendschau“ zeichnet sich besonders durch ihre Genrevielfalt aus – von der politischen Berichterstattung bis zur Unterhaltung (Musikgruppen, Prominente), Sport und ausführlichem regionalen Wetterbericht vor Ort. Dabei liegt der Fokus der Berichterstattung auf den Menschen aus ganz Bayern. Die „Abendschau“ bildet ein Ereignis nicht einfach nur ab, vielmehr werden in den Beiträgen Geschichten erzählt. Dabei stehen Menschen mit ihren Gefühlen und Befindlichkeiten im Mittelpunkt. Wir decken innerhalb der Sendung die gesamte Palette des öffentlich-rechtlichen Rundfunkauf­trags in seiner Bandbreite ab. Worauf muss man als Macher eines Regionalmagazins achten? Für uns ist es wichtig, Bayern mit all seinen Facetten in unserem Programm zu präsentieren. Wir legen großen Wert darauf, in alle Regionen Bayerns zu kommen mit unseren Reportagen, mit den täglichen Live-Schaltungen sowie mit den Kurznachrichten,

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die auch dank unseres Korrespondentennetzes Bayerns Vielfalt widerspiegeln können. Wir achten darauf, dass unsere ausgewählten aktuellen Nachrichtenbeiträge hintergründiger als die einer klassischen Nachrichtensendung sind. Zur Auflockerung des Programms laden wir prominente Gäste überwiegend aus Bayern ein, Musiker, Künstler, Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Religion und dem gesamten öffentlichen Leben, die Spannendes zu erzählen haben. Wie wichtig ist Ihnen der Kontakt zum Zuschauer? Ein Kernelement der Sendung ist der Kontakt zum Zuschauer, vor allem durch die Präsenz mit zwei Live-Übertragungswagen täglich, die im Norden und im Süden des Freistaats unterwegs sind. Wir kommen zu den Menschen vor Ort, wir kümmern uns um ihre Themen, wir nehmen somit ihre Anliegen auf. Zudem sind Besuchergruppen jeden Tag eingeladen, unsere Sendung direkt im Studio mitzuerleben. Zunächst erhalten sie ausführliche Informa­ tionen über die Organisation und die Arbeitsweise der Redaktion, bevor sie direkt dabei sein können, wenn die Moderatoren die Sendung live präsentieren. Wichtige Elemente zur Zuschauer­ bindung sind auch Umfragen, fallweise TED-Umfragen oder Online-Votings sowie eigene Events. Für welche Zielgruppe ist ein Regionalmagazin Ihrer Meinung nach relevant? Wir wollen möglichst große Teile der Bayerischen Bevölkerung ansprechen. Im linearen Programm setzen wir verstärkt darauf, die Zuschauer ab 30 Jahre für die Sendung zu gewinnen. Nach Er-

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kenntnissen der Medienforschung nimmt das Interesse am eigenen Umfeld und an regionalen Themen ab diesem Alter deutlich zu. Dazu sollte auch die Platzierung der Sendung im Programmschema überprüft werden. Durch die Erarbeitung eines Wertschätzungs-Index für die Sendung, durch den Kriterienkatalog für einen guten „Abendschau“Beitrag und vor allem natürlich durch Schulungen der Mitarbeiter haben wir an der Machart und der Qualität unserer Beiträge intensiv gearbeitet. Mit der Themenauswahl sowie durch eine jüngere, „frische“ Gestaltung der Filme wollen wir auch jüngeres Publikum für unsere Sendungen gewinnen. Dafür sind zusätzlich die multimedialen Verbreitungswege von großer Bedeutung, um die Marke „Abendschau“ auch dem jüngeren Publikum nahe­ zubringen.

Wo sehen Sie die „Abendschau“ im Jahr 2020? Ich sehe die „Abendschau“ auch in neun Jahren als eine Kernmarke des weiterhin starken öffentlich-rechtlichen Bayerischen Rundfunks. Das lineare Programm wird weiterhin ein Schwerpunkt bleiben. Große Anteile der Nutzung werden sich dann im non-linearen Bereich abspielen. Und zudem wird die „Abendschau“ mit ihrer gesamten Bandbreite an Themen vom Zuschauer via Internet-Anbindung auf dem Fernseher gesucht und genutzt werden!

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Mehr Zeit für Hinter­ grund und Exklusivität Die BayernCenter-Recherchereporter Nikolaus Neumaier

Komplexe Themen gründlich recherchieren, mit Zeit und angemessener Bezahlung – und mit der Aussicht auf exklusive Geschichten. Damit das möglich ist, gibt es im BayernCenter seit dem Frühjahr 2011 den Dienst der Recherchereporter. Aktuell arbeiten etwa zehn Journalisten in der Regel zwei Wochen lang an einem oder mehreren Themen. Bei ihrer Arbeit werden diese Reporter auch von den Kollegen des Zeitungs- und Hörfunkarchivs unterstützt. Sie klären ab, was zu einem Thema bereits publiziert wurde. Dazu kommt das fundierte Spezialwissen der einzelnen Reporter. Die ermittelten Ergebnisse führen dazu, dass die Recherchereporter des BayernCenters „Geschichten“ liefern, die sonst im alltäglichen Betrieb nur schwer umsetzbar wären. So haben sie aufgedeckt, dass bayerische Lehrer nicht immer so frei reden dürfen, wie sie es gerne täten. Die Rechercheergebnisse wurden mit Verweis auf den BR auch von der Nachrichtenagentur dpa und der Süddeutschen Zeitung aufgegriffen. Unsere Reporter haben nachgewiesen, dass Bayern auch nach dem Abschalten von Kernkraftwerken nicht zusätzlich Strom aus Temelin beziehen muss. Natürlich waren die Recherchereporter beim Lebensmittelskandal um die Großbäckerei „Müller Brot“ im Einsatz. Die journalistischen Ergebnisse fanden und finden ihren Niederschlag in allen Programmen des Bayerischen Rundfunks. Die Recherchereporter im BayernCenter zeigen, wie notwendig eigenständige BR-Geschichten sind. Außerdem sprechen sie für die hohe journalistische Kompetenz des Bayerischen Rundfunks.

Das BayernCenter: Kompetenz auf einem Flur „Kurze Wege – Bayern aus einer Hand“, so lautet das Motto des neuen BayernCenters im Funkhaus. Seit Mai 2011 ist es die Heimat der Redaktionen Bayern, Landespolitik München, Oberbayern und Schwaben. Zentrale Anlaufstelle für den BR- und ARD-Hörfunk, immer wenn es um Bayern geht. Bewährt hat es sich bereits bei Großereignissen oder auch Katastrophen. Sämtliche Programme können auf das Center als journalistischen und logistischen Dienstleister zurückgreifen. Es ist aber auch zentraler Ansprechpartner für Wünsche von außen. Unter der Nebenstellennummer 10000 werden Fragen zu bayerischen Themen beantwortet und Anregungen entgegengenommen – und zwar jeden Werktag durchgehend von 6.00 bis 19.00 Uhr. Ein Chef vom Dienst im sogenannten „Hotroom“ koordiniert Themen, Termine und Reportereinsätze. Ein kleiner Übertragungswagen mit einer mobilen Satelliteneinheit hilft dabei, schnell und flexibel Beiträge vor Ort zu produzieren und Live-Schaltungen zu ermöglichen. Auch die lang ersehnte räumliche Einheit von Redaktion und Sendung ist im BayernCenter endlich Wirklichkeit: Die sechsfachen Regionalnachrichten und Mittagsmagazine auf Bayern 1 werden aus den unmittelbar benachbarten Studios gesendet. Wie sich Radiothemen künftig auch für Fernsehen und Online auf­ bereiten lassen, ist der nächste, wichtige Schritt in der Entwicklung des BayernCenters. Und da wollen wir auf jeden Fall ganz vorne mit dabei sein. Franz Bumeder

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Fünf Fragen an … Dr. Susanne Zimmer, Programmbereichsleiterin Bayern 1 – Bayern

Regionalität hat für den BR eine große Bedeutung. Welche Rolle spielen dabei die Korrespondenten in Bayern? Unsere Korrespondenten sind das Herz des BR. Sie berichten über harte Fakten, sollen aber auch das Lebensgefühl ihrer Region vermitteln. Sie sind Ansprechpartner vor Ort und Bindeglied zwischen ihrem Berichtsgebiet und dem gesamten Haus. Sie sind die Garanten für die Verankerung des BR in ganz Bayern.

Welche Kriterien machen ein Thema zu einem Bayern 1-Thema? Über allem steht die Frage: Bewegt ein Thema die Menschen in Bayern? Betrifft es sie persönlich? Bringt Information zu diesem Thema unseren Hörern etwas, können sie in einer für sie wichtigen Thematik mitreden oder mitentscheiden. Je näher nach diesem Maßstab ein Thema an unseren Hörern ist, desto höhere Priorität hat es für Bayern 1.

Wie schafft es Bayern 1, regional zu sein, ohne dabei provinziell zu werden? Ein Programm, das die Lebenswirklichkeit seiner Hörer abbildet, wird für die Menschen zu einem Fenster in die Region, in der sie leben. Es bietet ihnen Teilhabe am Geschehen und Grundlage für ihre Meinungsbildung zu regionalen und lokalen Themen. Provinzialität vermeidet Bayern 1 durch die Konzentration auf die relevanten regionalen Themen, die durch die wichtig­ sten überregionalen Nachrichten ergänzt werden. Wir blicken über den Tellerrand – das beste Rezept gegen Provinzialität.

Was ist für Bayern 1 gute – öffentlichrechtliche – Unterhaltung? Bei uns steht da akustische Vielfalt aus über 50 Jahren Musikgeschichte ganz oben. Wirklich große Hits sind zeitlos, sie verbinden, weil jede Generation diese Lieder für sich neu entdecken kann. Wir unterhalten die Menschen aber auch draußen im Land – mit Familienfesten oder LiveKonzerten. Die Hörer sollen wissen, welche Gesichter zu den Stimmen im Radio gehören, und das Bayern 1-Team soll wissen, für wen es Programm macht. Zur guten Radio-Unterhaltung gehört natürlich auch eine Portion Humor. Dabei gilt für uns: Wir lachen mit den Hörern, nicht über sie.

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Wie gehen Sie bei der Musik auf die Wünsche der Bayern 1-Hörer ein? Früher hat der persönliche Geschmack der Moderatoren oder Redakteure über das Musikprogramm entschieden. Heute spielen wird die Musik, die bei unseren Hörern am beliebtesten ist. Dafür führen wir regelmäßige Tests durch. Diese Ergebnisse und das Fachwissen unserer Musikredaktion bestimmen dann das Musikprogramm. Dazu kommt eine Reihe von Spezial­ sendungen wie die Volksmusik, um auch den Hörern gerecht zu werden, die der Geschmack der Mehrheit nicht so stark anspricht.

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Die Regionalredaktionen München, Oberbayern, Schwaben und Ostbayern München ist halt München!

„Scoop“ heißt schlicht „a Riesng’schicht“

Wie hat es München doch glückhaft getroffen mit Bayern! Und umgekehrt natürlich. Die barocke Hauptstadt und das seenreiche Voralpenland – sie sind füreinander geschaffen. Zwei Liebende sind sie. Ein Herz und eine Seele. Nicht auszudenken, München hätte sich einst, als die Standortfrage anstand, zum Beispiel für die Lüneburger Heide entschieden. Woher nämlich nähme dann die Stadt ihr berühmtes Lebensgefühl – ohne Bayern? Und auf dieses Lebensgefühl legen die Münchner sehr viel Wert, denn sie werden andernorts ja auch darum beneidet.

Wovon träumt ein Journalist? In Amerika vom großen „Scoop“ – so nennt man den exklusiven Aufmacher, das Topthema des Tages. Bei uns in der Regionalredaktion Oberbayern heißt der „Scoop“ schlicht eine „Riesng’schicht“.

Das Team von Mittags in München – dem Stadtradio auf Bayern 1 – hat es sich auf die Fahnen geschrieben, dieses ganz spezielle Lebensgefühl jeden Tag aufs Neue einzufangen. Und dazu gehören die Sicherheit auf der Wiesn, BMW oder die leidige Suche Münchner Eltern nach Betreuungsplätzen genauso wie die „Bussi-Bussis“, der Streit um die dritte Startbahn oder das Flair der Biergärten. Dort, wo Einheimische wie Touristen von einem weiß-blauen bayerischen Himmel überwölbt werden, der an manchen Tagen so föhnig azurblau leuchtet. Mehr geht wohl auch in Rom, Florenz oder Venedig nicht. In einer Stadt wie München liegen die Themen auf der Straße. Die Mittags in München-Reporter wollen aber nicht nur die ausgetretenen Pfade gehen, sondern auch die kleinen Geschichten aus den Seitengassen und die Menschen dahinter ins Radio bringen – Geschichten ohne Hochglanzpolitur, aber mit viel Bodenständigkeit! München ist ein Pflaster, das verpflichtet: Mittags-in-München, das Stadtradio auf Bayern 1, will informieren – kompetent und hartnäckig, dabei aber immer fair. Und unterhalten – mit Esprit und „vui Gfui“, dabei aber nie platt. Denn München ist halt München und die Welt ist bei Weitem nicht genug – wir wollen schließlich wissen, was vor unserer eigenen Haustüre passiert! Anja Wolf, Redaktion München

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Solche „Geschichten“ fallen den Reporterinnen und Reportern dieses gesegneten Landstrichs zwischen Ingolstadt und Berchtesgaden, Garmisch-Partenkirchen und Mühldorf, oft direkt in den Schoß. Die räumliche Ausdehnung und Einwohnerzahl Oberbayerns garantieren automatisch, dass die Quelle kleiner und großer Sensationen des Alltags, im Guten wie im Schlechten, nie versiegt. Etwa am Abend des 31. Januar 2012, mitten in der feierlichen Verabschiedung eines Kollegen aus der juristischen Abteilung des BR. Ein Gerücht machte sich breit. In einer Großbäckerei südlich von Freising, so lautete der Tipp eines nicht genannten Informanten, sei der Teufel los. Semmeln und Brezen würden da inmitten von Dreck und Ungeziefer produziert, man müsse mit der baldigen Schließung rechnen. Die zufällig anwesenden Juristen winkten ab: „Ohne Zeugen, ohne fundierte Beweise, vergesst es!“ Die Nacht verstrich, aber am nächsten Morgen war ein Team von Oberbayern-Reportern ab fünf Uhr früh unterwegs, interviewte Kunden und Verkäufer vor leeren Regalen, nervte die staatlichen Ämter, sammelte Fakten, die sich bis Mittag zum „Müller Brot“-Skandal verdichteten. Erst am nächsten Tag zogen die großen Zeitungen nach. Ob es sich um die Arbeitsplätze einer Raffinerie bei Ingolstadt, um den schrecklichen Mord an zwei Mädchen in Krailling handelt, um Naziaufmärsche bei Altötting oder Polizeigewalt in Rosenheim – nichts entgeht den wachsamen Augen und Ohren der professionellen Zeitzeugen in der Regionalredaktion Oberbayern. Vier strategisch über den Regierungsbezirk verteilte Korrespondenten sind unermüdlich mit modernster Ausrüstung unter-

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wegs – und vom Münchner Funkhaus aus machen sich Tag und Nacht Spezialisten auf, um für die Mittagssendung und die zwölf stündlichen Nachrichtenfenster jedes Werktages aktuelle Berichte zu liefern. Es sind „News-Junkies“ im besten Sinne, die mit besten Kontakten zur Bevölkerung und stets hellwach das Leben in Oberbayern spiegeln – ohne Eitelkeit, objektiv, verantwortungsbewusst, immer menschlich und, Gott sei Dank, oft auch mit der nötigen Prise Humor. Rudi Küffner, Regionalredaktion Oberbayern

„Wie geht es weiter mit Manroland?“ Erst ein Gerücht. Dann Informanten mit Andeutungen. Eine Pressestelle, die mauert. Recherchen, Hintergrundgespräche. Dann steht fest: Manroland, der Weltmarktführer bei Rollendruckmaschinen steht vor dem Aus. Unsere beiden Augsburg-Korrespondentinnen Annemarie Ruf und Barbara Leinfelder recherchieren weiter, nutzen ihre guten Kontakte, während die Schwabenredaktion in München die Kollegen der anderen Redaktionen über der Tragweite dieser Entwicklung informiert: 6.500 Arbeitsplätze in Gefahr – 2.400 in Augsburg. Von der „radioWelt“ in Bayern 2 bis zu B5 aktuell steht fest: Das ist ein Topthema, nicht nur für das regionale Mittagsmagazin aus Schwaben und die stündlichen Regionalnachrichten auf Bayern 1. Von der Betriebsversammlung bis zum Insolvenzantrag, vom Krisengipfel in der Fuggerstadt bis zur Entscheidung des Insolvenzverwalters sammelt die Schwabenredaktion die Wünsche aller Kollegen aus dem Haus sowie der Hörfunkwellen der ARD und koordiniert den Einsatz der KorrespondentInnen vor Ort. Wie lange brauchen wir den Ü-Wagen? Muss das Studio in Augsburg personell verstärkt werden? Können wir Kontakte für Hintergrundgespräche vermitteln? Sind alle Sender, alle Wellen und auch die Onliner gut versorgt? Gibt es wichtige Aspekte, die noch nicht beleuchtet wurden? All diese Fragen beschäftigen in diesen Tagen und Wochen die Redakteure der Schwabenredaktion – neben dem eingespielten Redaktionsablauf von der Sitzung bis zur Sendung. Und während schon alle Kollegen fragen: „Wie geht es weiter mit Manroland?“, erinnert sich kaum noch einer daran, dass es die Hörer, Zuschauer und Online-Nutzer des BR als Erste erfahren haben, dass Manroland Insolvenz angemeldet hat. Halb so wild – auch wir waren schon wieder mit einer ganz anderen Geschichte beschäftigt: Dass deutsche Kernkraftwerke künftig stärker gesichert werden sollen – Ergebnis einer Recherche unserer Korrespondentin Jenny Kramer in Gundremmingen. Interesse der Kollegen in BR und ARD garantiert.

Ein Berichtsgebiet so groß wie Rheinland-Pfalz Morgens im Sitzungszimmer: Die Redakteure nehmen gerade Platz, das mausgraue Konferenztelefon läutet in die Runde. Aus seinem Lautsprecher tönt es: „Guten Tag, die Telefon-Konferenz wird aufgebaut!“ Es ist 8.40 Uhr, die BR-Büros in Landshut, Passau, Amberg, Weiden sowie für den Raum Deggendorf und den Bayerischen Wald werden zugeschaltet. Die Tagesarbeit im Regionalstudio für Niederbayern und die Oberpfalz beginnt. Zwei Dutzend Mitarbeiter halten im Regionalstudio Ostbayern des Bayerischen Rundfunks den aktuellen Betrieb für das riesige Berichtsgebiet aufrecht. Hinzu kommen sechs BR-Büros in Niederbayern und der Oberpfalz – einem Gebiet, so groß wie RheinlandPfalz. Täglich rund um die Uhr ist das Studio für aktuelle Einsätze zu erreichen. Elfmal geht die Redaktion an jedem Werktag aus dem Studio in der Regensburger Altstadt auf Sendung: Mit Bayern 1 – Regionalnachrichten und mit dem einstündigen Bayern 1-Magazin Mittags in Niederbayern und der Oberpfalz. Immer wichtiger werden seit Jahren die Zulieferungen des Studios an alle ande­ren Radioprogramme des Bayerischen Rundfunks – besonders an Bayern 2, Bayern 3 und B5 aktuell. Dazu kommt die Zusammen­ arbeit mit der BR-online-Redaktion und mit dem Bayerischen Fernsehen. Seit Jahren drehen Mitarbeiter des Ostbayern-Studios aktuelle Bilder für „Abendschau“ und „Rundschau“. Auch arbei­­tet eine eigene Fernsehreporterin im Ostbayern-Studio. In der Redaktionskonferenz hat inzwischen der Nachrichtenre­ dakteur das Wort. Er ist seit fünf Uhr früh im Dienst und referiert über die wichtigsten Nachrichten des Morgens. Die zugeschalteten Korrespondenten berichten über die aktuelle Lage in ihren Kommunen. Der Chef vom Dienst mischt sich ein und erörtert die Termine. Das Magazin-Team präsentiert seine Sendung: Ein Aufzug zur Landshuter Burg Trausnitz, Windräder in der Oberpfalz, Tourismusbilanz in Ostbayern, Internet-Übertragung aus dem Passauer Stadtrat, Neues zum geplanten Bayerischen Geschichtsmuseum in Regensburg, Unfälle, Prozesse sowie Beschlüsse in München, Berlin und Brüssel, die sich auf Niederbayern und die Oberpfalz auswirken – die ganze Palette des aktuellen Geschehens kommt in der Redaktionskonferenz zur Sprache. Es ist jetzt kurz nach 9.00 Uhr. Die Redaktionskonferenz hat die wichtigen Termi­ne besetzt und die großen Themen sind vorbesprochen. Der Studioleiter beendet die tägliche Besprechung mit den Worten: An die Arbeit! Gerhard Schiechel, Regionalstudio Ostbayern

Josef Böck, Schwabenredaktion

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Bayern anders Reporteralltag der BR-Landeskorrespondenten

Mit rotem Kopf in einer kleinen Pfütze Ein Gleitschirmspringer verfängt sich im Tragseil der Tegelbergbahn, zwanzig Menschen sitzen in einer Gondel fest, erst nach einer Nacht über dem Abgrund können sie befreit werden – das Unglück am Tegelberg war meine Feuertaufe als frischgebackene Korrespondentin. Das BR-Programm im Viertelstundentakt mit neuen Informationen zu versorgen, verlangt volle Konzentration und bietet eine Menge Nervenkitzel. Glücklicherweise passieren solche Unglücke aber nicht ständig und es bleibt genug Zeit für Porträts und Hintergründe. Als jüngstes Mitglied der Regionalredaktion Schwaben lerne ich die ganze Vielfalt der Korrespondentenarbeit gerade erst kennen. Es gibt Tage, an denen ich dafür zuständig bin, Meldungen und aktuelle „Aufsager“ für die Nachrichten zu produzieren. Dann recherchiere ich vom Schreibtisch aus, telefoniere mit Politikern oder der Polizei und stimme mich mit den Münchner Kollegen ab. Nicht nur mit den Mitarbeitern aller Radiowellen des BR stehe ich in engem Kontakt: Mit Fernsehkollegin Michaela Neukirch teile ich mir in Kempten das Büro. Bei den täglichen Telefonkonferenzen der Schwabenredaktion sitzen wir an einem Tisch, recherchieren gemeinsam und tauschen unsere Ergebnisse aus. Auch an „Großkampftagen“, etwa als das Aus zweier Bundeswehrstandorte im Allgäu bekannt wurde, hat sich diese Zusammenarbeit bestens bewährt. Den Großteil meiner Arbeitszeit bin ich aber als Reporterin unterwegs. Mir gefällt es, spannenden Menschen zu begegnen und deren Erlebnisse hautnah an die Hörer weiterzugeben. Langeweile ist ein Fremdwort: Mein Arbeitsalltag ist mit Eindrücken gespickt, die unterschiedlicher kaum sein könnten: Vom Schnee-

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gestöber an der Skischanze in Oberstdorf ging es kürzlich direkt weiter in eine Kunstausstellung. Peinlicher Nebeneffekt: Während des Interviews im warmen Ausstellungsraum fingen meine schneebepackten Stiefel an zu tropfen. Am Ende stand ich mit rotem Kopf mitten in einer kleinen Pfütze. Viktoria Wagensommer, Korrespondentin aus Kempten/Allgäu

Eine Geschichte mit zwei Enden Morgens um sieben piepst mein Handy. Die Nummer des Absenders endet mit -999: Polizei! „Verkehrsunfall Kondrau/Waldsassen. 40-Tonner-Lkw gegen Hausmauer. Erheblicher Fahr­­zeug- und Gebäudeschaden.“ Ich kann das Drama nur ahnen, das sich dahinter verbirgt. Rasch packe ich Mikro und Kamera ein, prüfe die Akkus. Die gelbe Sicherheitsweste kommt obendrauf. Auf dem Weg zu meinem Wagen noch ein Telefonat mit dem Studio Ostbayern des BR in Regensburg: „So schnell wie möglich eine Nachrichtenminute für die Regionalnachrichten auf Bayern 1, für Bayern 3 und B5 aktuell … Stell dich auf ein längeres Magazinstück für die Mittagssendungen ein … die Onliner brauchen Bilder.“ Ganz schön viel auf einmal – aber irgendwann ist der Ablauf vor Einsätzen dieser Art Routine geworden. Um zehn nach sieben drehe ich den Zündschlüssel. Während der 90-Kilometer-Fahrt kommen die Fragen. Was erwartet mich? Gibt es Verletzte, Tote? Wie nah soll ich ran? Wie nah möchte ich ran? In der Ausbildung habe ich gelernt, dass Ethik im Journalismus wichtig ist. Inzwischen weiß ich, dass ich damit öfter konfrontiert bin, als mir lieb ist … Klick! Verflixt, die Radarfalle am Ortsausgang habe ich zu spät gesehen. 30 Stundenkilometer drüber. Ein Fahrverbot in

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Interview für Interview, wie ein Puzzle, setzt sich die Geschichte hinter der Nachricht zusammen.

meinem Beruf? Fatal. In einiger Entfernung baut sich das Bild des Unglücks auf. Ich muss unwillkürlich schlucken. Der Sattelzug aus Tschechien hat sich in das Erdgeschoss eines Zweifamilienhauses direkt an der Straße gebohrt. Der Polizist an der Unfallstelle beantwortet freundlich meine Fragen. Auch die Nachbarn zeigen sich gesprächig. Sie erzählen mir, dass die Mieter im Erdgeschoss, ein Pärchen mit einem kleinen Kind, zum Glück vor wenigen Ta­gen ausgezogen sind. Interview für Interview, wie ein Puzzle, setzt sich die Geschichte hinter der Nachricht zusammen. Es ist eine Geschichte mit relativ glimpflichem Ende: Zwei Leichtverletzte, knapp 100.000 Euro Schaden. Und wie so oft steckt dahinter noch eine weitere Geschichte: Die Anwohner fühlen sich durch den Unfall bestärkt und fordern, endlich mit dem Bau einer Ortsumgehung zu beginnen. Seit über 20 Jahren kämpfen sie darum. Was muss noch passieren, damit Politiker und Behörden in die Gänge kommen? „Bringen Sie das einmal!“ Ich lasse mir am Telefon von der Stadtverwaltung Waldsassen den Sachstand erklären. Nebenher packe ich die Kamera aus, die „Abendschau“ braucht Fernsehbilder. Auf der Rückfahrt ins Korrespondentenbüro entspanne ich mich langsam. Die ersten Reportagen habe ich von unterwegs überspielt, sie sind bereits auf Sendung. Die längeren Berichte werde ich im Büro fertig machen. Einen Anruf habe ich jedoch noch vor mir: Polizei. Ob mir wegen der Radarfalle ein Fahrverbot droht, frage ich vorsichtig. Die Antwort beruhigt mich. Noch eine Geschichte, die für dieses Mal glimpflich ausgegangen ist. Martin Gruber, Korrespondent Amberg

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Bayern 3-Dorffest Ein gemeinsames Ziel schweiĂ&#x;t die Bayern zusammen Marc Schindlbeck

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„Wo stehen zuerst drei Menschen in Schlafanzügen mit klingelnden Weckern auf dem Marktplatz?“

„Liebe Walkersbacher, liebe Gäste – jetzt ist es endlich so weit. Der Moment, auf den wir so hingefiebert haben. Bitte begrüßt die Superstars von Reamonn!“ Als Norbert Brenner, der frisch gekürte „König von Walkersbach“, die gigantische Bühne unter dem ohrenbetäubenden Jubel von mehr als 15.000 Menschen verlässt, da löst sich endgültig die Anspannung in seinem Gesicht – und man sieht nur noch Freude. Und Erleichterung.

Voting schafften – aus jedem Regierungsbezirk eines. Jetzt galt es, möglichst viele Klicks für das eigene Dorf zu sammeln. Und der Teamspirit in den Gemeinden wuchs weiter an. Die einen beklebten sämtliche Straßen im Umkreis mit „Wahlplakaten“ („Gebt uns Eure Stimme für das „Bayern 3-Dorffest“!), die anderen verteilten bei einem Fußball-Länderspiel im ausverkauften Nürnberger Stadion Tausende Flyer.

Sieben Wochen lang hatte zuvor Ausnahmezustand geherrscht in der 120-Seelen- Gemeinde in der oberbayerischen Hopfenregion Hallertau. Und das alles, weil Norbert Brenner sein „Woikerschbeck“ per E-Mail ins Rennen um das „Bayern 3-Dorffest“ geschickt hatte – gegen mehr als 500 andere bayerische Dörfer. „Dass wir am Ende wirklich gewinnen würden, davon hätte natürlich niemand zu träumen gewagt“, so Brenner. Es war sehr beeindruckend, welche Kräfte bei ihm, aber auch in vielen anderen bayerischen Gemeinden mobilisiert wurden.

Dann der emotionale Höhepunkt: Die vier Dörfer mit den meisten Online-Stimmen trafen sich im Halbfinale bzw. Finale wieder – live im Radio und live vor Ort: „Unglaublich, welche Energie die Dörfer entwickeln. Alle halten zusammen, jeder packt mit an. Es wird gemeinsam gekämpft, gebibbert und gejubelt – oder auch geweint!“ So erlebte Bayern 3-Reporter Michael Medla die Gefühlsachterbahn bei den Endspielen frühmorgens auf rappelvollen (!) Marktplätzen. Die Aufgaben, die den konkurrierenden Gemeinden morgens live aus dem Bayern 3-Studio gestellt wurden, hatten es in sich: knifflige Wortspiel-Rätsel, vertrackte Musikquizfragen und dazu stets die sogenannte „Dorfmission“, bei der alle Einwohner tatkräftig mithalfen: „Wer schafft zuerst drei Traktoren herbei, auf denen drei Musiker die Bayern 3-Verkehrsmelodie spielen?“ – „Wo stehen zuerst drei Menschen in Schlafanzügen mit klingelnden Weckern auf dem Marktplatz? – „Welches Dorf schreit am lautesten?“

Die Bayern 3-Reporter waren bei ihren Besuchen immer wieder verblüfft, auf welche Ideen die Dorfbewohner kamen, um in die engere Auswahl zu kommen: Alphornbläser-Empfangskomitees, singende Bürgermeister, rappende Jugendliche, Show-Kuhmelken, spontane Flashmobs, dazu natürlich selbstgebackene Kuchen und zünftige Brotzeiten. Am Ende kürte die Bayern 3-Redaktion sieben Dörfer, die den Sprung in die nächste Runde, ins Online-

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Bayern 3-Reporter Martin Breitkopf beim Interview während des Dorffests in Knetzgau/Unterfranken

Thomas Paschen aus Inzell (Siegergemeinde 2010) erinnert sich: „Die Anspannung und die Nervosität waren enorm. Ich hatte mehr als einmal Gänsehaut, als ich sah, wie sehr sich jeder einzelne Inzeller engagierte und mitfieberte!“ Und Marco Depner, der „König von Knetzgau“, das 2009 das „Bayern 3-Dorffest“ nach Unterfranken holte, ergänzt: „Das Zusammengehörigkeitsgefühl im Ort war im Vorfeld enorm. Und ist es bis heute!“ Tatsächlich veranstaltet Knetzgau seit den tollen Erfahrungen aus dem Spätsommer 2009, als 25.000 Bayern 3-Hörer in den Haßbergen (bei strömendem Regen) feierten, jährlich ein eigenes Livemusik-Festival. Und auch zum Finalgegner Irchenrieth in der Oberpfalz bestehen bis heute enge Bande, die demnächst sogar als offizielle Gemeindepartnerschaft besiegelt werden sollen. „Diese vielen neuen, nachhaltigen Freundschaften sind für mich der größte Erfolg des Bayern 3Dorffestes“, schwärmt Depner. Bayern 3 bringt die Menschen in den Dörfern und über Gemeindegrenzen hinweg zusammen. Als am 29. August 2008 feststeht, dass das erste „Bayern 3-Dorffest“ nur acht Tage später in der Hallertau steigen würde, da mischt sich in den euphorischen Jubel auch schnell eine geschäftige Zielstrebigkeit, die verblüfft. Alle packen bei den Arbeiten mit an: Festgelände präparieren, Buden Aufbauen, Parkplätze absperren und Personal einteilen. „In den Tagen vor dem Dorffest sind wir Walkersbacher zu einer echten Familie zusammengewachsen. Jeder hat gefragt: Was kann ich tun? So viel Dorfgemeinschaft war noch nie“, schwärmt Norbert Brenner. Binnen einer Woche stellt er gemeinsam mit Bayern 3 ein Familienfestival auf die Beine, das normalerweise mehrere Monate Vorbereitungszeit verschlingen würde. Und da der Eintritt frei ist, kann keiner abschätzen, wie viele Menschen die „größte Party des Jahres“ anlocken wird.

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Am Morgen des 6. September 2008 steht die gigantische Bayern 3-Bühne auf der großen Wiese am Ortsrand von Walkersbach, überall wird noch gehämmert und gebohrt, die Landfrauen karren Kuchen auf Bollerwagen an. Und immer wieder schallt „one, two – check, check“ durch den Ort. Die Aufregung steigt: Hält das Wetter, reichen die Parkplätze – und kommt überhaupt jemand? Zehn Stunden später steigt Norbert Brenner ein letztes Mal die Bühnenstufen hinauf, um die Hauptattraktion des Tages anzukündigen, die Chartstürmer von Reamonn. In diesem Moment gehen ihm bereits die ersten Erinnerungen durch den Kopf: Er denkt an 15.000 lachende Menschen, die gemeinsam ein friedliches, fröhliches Fest feierten; an den strahlenden Sonnenschein; an die vielen Dörfer, die im Rennen um das Dorffest ausgeschieden waren, aber heute mit Pauken und Trompeten einzogen, um mitzufeiern und Walkersbach zu gratulieren; an die Würstchen, die irgendwann ausverkauft waren und in Windeseile nachgelegt werden mussten; und er denkt an „seine Woikerschbecka“, die Unglaubliches geleistet hatten. Norbert Brenner weiß schon jetzt: Das „Bayern 3-Dorffest“ wird einen Ehrenplatz in der Gemeindegeschichte einnehmen. Einen Tag lang war Walkersbach der Mittelpunkt Bayerns. Diesen Tag kann ihnen niemand mehr nehmen. Und das Gefühl, gemeinsam etwas Großes auf die Beine gestellt zu haben, sowieso nicht.

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„Unglaublich, welche Energie die Dörfer entwickeln. Alle halten zusammen, jeder packt mit an. Es wird gemeinsam gekämpft, gebibbert und gejubelt – oder auch geweint!“

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Traditionsbewusst, vielfältig und echt Unter unserem Himmel – Ein Sendeplatz wie Bayern Johannes Pechtold

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Die ersten Noten der Anfangsmelodie „Üba d’Alma, da gibt’s Kalma ...“ von „Unter unserem Himmel“

Jeden Sonntag um 19.00 Uhr erklingt die Melodie von „Üba d’Alma, da gibt’s Kalma …“. Sie kündet seit 1969 die Sendung „Unter unserem Himmel“ im Bayerischen Fernsehen an und wurde zu einem Markenzeichen. 42 Jahre sind in der kurzlebigen Medienwelt ein geradezu biblisches Alter für eine Sendereihe. Der „Himmel“ ist dabei jung geblieben – und das in einer Zeit, die leicht das Neue auch für das Beste hält. Gerade im flüchtigen Fernsehgeschäft, das oft den schnellen Erfolg sucht, um sich im Beziehungsgeflecht von Einschaltquoten, politischen Interessen und wirtschaftlichen Zwängen zu behaupten, mag ein so alter Programmplatz überraschen, doch der „Himmel“ hat sich immer weiterentwickelt und neu erfunden, in der Auswahl seiner Themen, in der Machart seiner Sendungen. Er spürt dem Wandel in Bayerns Regionen nach, zeigt abseits weißblauer Klischees die Menschen und ihr Befinden, so wie sie sind, illustriert – mitunter auch kritisch – das Kurzlebige oder Umstrittene und verschließt sich nicht dem Neuen, wie eben auch seine Zuseher selbst. So erfreut sich von Beginn an die umfangreiche „Unter unserem Himmel“-Internetseite großer Beliebtheit mit ihren Zusatzinformationen, Archiven und DownloadMöglichkeiten. Auch in Zukunft wird sich „Unter unserem Himmel“ den neuen digitalen Verbreitungswegen weiter öffnen, um der Nutzung der neuen Endgeräte zu entsprechen.

obachtung, Porträts von Landschaften und Menschen. Ergänzt wird das Programm durch Fernsehfilme, Spielfilme oder Volksstücke. Bis heute findet sich in „Unter unserem Himmel“ eine farbige Mischung von Filmen über Städte, Märkte und Dörfer, über Berge, Täler und Flüsse, über Bräuche und Traditionen und vor allem über Menschen. Erst durch sie wird eine Gegend, ein Ort lebendig und anschaulich, erst durch sie nehmen Stimmungen und Gefühle Gestalt an. Die thematische Vielfalt, die individuelle Sicht Bayerns und seiner Leute machen den Reiz der Filme aus. Sie stammen von Autorinnen und Autoren mit einer eigenen Handschrift, die es ehrlich meinen mit den Menschen, die sie porträtieren, und mit dem Land, das sie beschreiben. So können Filme entstehen, die ihre Protagonisten weder vorführen noch wie Komparsen behandeln. Es sind Filme, die Vertrautheit schaffen und behutsam einen ganz persönlichen Zugang zu ihrem Thema suchen, um einen Gedanken zu entwickeln, eine Atmosphäre zu schaffen.

Inzwischen sind im „Himmel“ über zweitausend Dokumentationen und filmische Feuilletons mit höchstem Qualitätsanspruch entstanden. Der weitgespannte Bogen umfasst die Vielfalt, die Bayern und seine Nachbarländer auszeichnet, vom Bergfilm bis zur Volksmusik, von der feuilletonistischen Reportage bis zur Langzeitbe-

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Eine Szene aus der TV-Serie „Zeit genug“ von Franz Xaver Bogner

Bayerische Kultserien 30 Jahre Zusammenarbeit mit Franz X. Bogner Elmar Jäger

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Ein Dauerbrenner mit insgesamt 147 Folgen ist die zwischen 1990 und 2003 entstandene Serie „Café Meineid“.

Franz X. Bogner steht für bayerisches Lebensgefühl und bodenständige Anarchie. Er bevorzugt die kleine Form, seine Geschichten sind scheinbar oft unspektakulär. Dabei zeichnet Bogner eine genaue Beobachtungsgabe und große Menschenkenntnis aus. Sein Blick auf die Menschen in ihrer bayerischen Heimat wirkt immer authentisch. Er kann den „Leuten aufs Maul schauen“ und ihre Haltung in Sprache übertragen. So entsteht eine einmalige Echtheit in seinen Dialogen. Alle seine Serien haben einen ganz eigenen spezifisch bayerischen Humor und spiegeln Bogners Lust am Anarchischen. Er erzählt vom Ungewöhnlichen in den klei­nen Dingen und findet die Komik im Alltäglichen. Franz X. Bogners erste Serien entstanden 1981, und in ihnen liegen bereits viele Wurzeln für die späteren. So erzählt „Familie Meier“ auf pointierte Weise von den kleinen existenziellen Problemen einer Münchner Kleinbürgerfamilie. Ursprünglich begleitete Bogner „Familie Meier“ als Autor und Herstellungsleiter. Doch vor Drehbeginn fiel der vorgesehene Regisseur aus und Bogner musste selbst ins kalte Wasser springen. In der Serie „Zeit genug“ geht es um den dickschädeligen jungen Willi aus Simbach am Inn, der zu seinem etwas schrulligen Onkel Ignaz nach München kommt und dessen wohlgeordnetes Junggesellendasein durcheinanderbringt. Der ganz große Durchbruch gelang Franz X. Bogner dann mit seiner einmaligen Serie „Irgendwie und Sowieso“ über das Lebensgefühl der wilden 68er. Er selbst sieht die Serie als Dokument seiner Jugendzeit, wobei sich die Ereignisse von 1968 auch auf dem bayerischen Land spiegeln, wenngleich nicht ganz so weltbewegend wie anderswo. „Irgendwie und Sowieso“ wird von viel Musik getragen, ist mitreißend-lebendig und temporeich, gleichzeitig aber auch heiter-melancholisch und durchsetzt mit vielen eindringlichruhigen Momenten. Nach der Erstausstrahlung 1986 wird die Serie im Bayerischen Fernsehen regelmäßig wiederholt und war hier zuletzt ein Highlight im Sommerprogramm, kombiniert mit Sondersendungen zum 25-jährigen Jubiläum.

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Ende der 80er-Jahre folgte die Serie „Zur Freiheit“ mit grimmigen und komischen Lebensgeschichten kleiner Leute aus dem „Bauch von München“ zwischen Schlachthof und Großmarkthalle. Im Mittelpunkt steht die knallharte Geschäftsfrau Paula – als ganz spezifisches Sinnbild für Bogners Vorliebe für starke Frauenfiguren, wie sie auch in seinen anderen Serien immer wieder herausstechen. Ein Dauerbrenner mit insgesamt 147 Folgen ist die zwischen 1990 und 2003 entstandene Serie „Café Meineid“. Basierend auf echten Gerichtsfällen geht es in der Serie auf schmunzelnde Weise um eine ganz spezifische Form der bayerischen Rechtspflege. Wie für Franz X. Bogner typisch stehen nicht die großen Fälle, sondern die kleinen Dramen des Alltäglichen im Zentrum. Dabei ist es für Richter Wunder nicht immer leicht, den Überblick zu behalten. Mit feinsinniger Beobachtung findet er aber letztlich – meist seiner eigenen Logik folgend – immer zu einer zwar häufig ungewöhnlichen, aber doch nachvollziehbaren Form der Rechtssprechung. Oft sehr eigenwillig agiert auch die Hauptfigur in der Serie „Der Kaiser von Schexing“, die skurril-amüsante Geschichten hinter den Kulissen eines Rathauses einer fiktiven bayerischen Kleinstadt erzählt. Nachdem es keinen anderen Kandidaten gab, soll Bürgermeister Andi Kaiser zunächst nur als Marionette fungieren. Schnell entwickelt der manchmal arg unbedarfte, aber optimistische und lebensfrohe Andi seine eigenen Qualitäten und beginnt die Behördenbürokratie auszuhebeln, wenn auch nicht immer erfolgreich. So steht er in der fünften und vorerst letzten Staffel der Serie nicht nur zwischen zwei Frauen, sondern gleich zwischen allen Stühlen. Gerade abgedreht wurden acht neue Folgen der Polizeiserie „München 7“. Wieder stehen Figuren im Mittelpunkt, denen der gesunde Menschenverstand wichtiger ist als festgeschriebene Verfahrenswege. Auf originell humorvolle Weise beschreibt „München 7“ den Arbeitsalltag der Polizisten in der Münchner Innenstadt. Der heitere Melancholiker und Ur-Münchner Xaver Bartl und sein

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Szenen aus „Der Kaiser von Schexing“ und „Café Meineid“

junger Kollege Felix Kandler, der seine Wurzeln im Zockermilieu der Münchner Peripherie hat, könnten unterschiedlicher nicht sein, doch gemeinsam sind sie unschlagbar. Nachdem die ersten Folgen der Serie zwischen 2004 und 2006 äußerst erfolgreich im Bayerischen Fernsehen gesendet wurden, wurden die acht neuen Folgen im Frühjahr 2012 im Vorabendprogramm der ARD ausgestrahlt, wo auch viele andere der Kultserien des BR seinerzeit ihre Premiere erlebten. Weitere Folgen von „München 7“ befinden sich bereits in der Entwicklung, sodass wir mit Franz X. Bogner nun quasi schon ins 31. Jahr der Zusammenarbeit gehen, dem hoffentlich noch viele weitere folgen werden.

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Für viele junge bayerische Filmemacher war und ist Franz X. Bogner ein Vorbild. So ermutigte er Matthias Kiefersauer im Dialekt zu schreiben und nahm ihn zeitweise in das Autorenteam von „Café Meineid“ auf. Sicher eine entscheidende Grundlage für Matthias Kiefersauers Fernsehfilme und seine aktuelle Serie „Franzi“, die im Frühsommer 2012 mit neuen Folgen wieder im Bayerischen Fernsehen zu sehen war. Auch Marcus H. Rosenmüller wurde stark beeinflusst von Bogners Art des Erzählens. Seine Filme, aktuell die beiden vom BR koproduzierten Kinofilme „Sommer in Orange“ und „Sommer der Gaukler“ (Start im Dezember 2011) wirken ebenso bayerisch authentisch und echt, da auch er immer nah bei den Menschen bleibt und so seine Komik entwickelt.

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Fünf Fragen an … Annette Siebenbürger, Leiterin des Programmbereichs Bayern und Unterhaltung Bayerisches Fernsehen Fernsehkritiker beklagen die „Entertainisierung“ oder „Boulevardisierung“ des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Trifft dieser Vorwurf auch auf das Programm des Bayerischen Fernsehens zu? Die kritisierte Entwicklung zu einer „Entertainisierung“ bzw. „Boulevardisierung“ kann ich für den Unterhaltungsbereich des Bayerischen Fernsehens nicht nachvollziehen. Als medialer Dienstleister besitzen bei uns der Mehrwert für den Zuschauer und die Qualität des Programms oberste Priorität. Daher pflegen wir den Anspruch, dass Unterhaltung mehr als nur Entertainment sein muss. Unterhaltung bietet aber auch die Möglichkeit, einem breiten Publikum Kultur wie auch wissenswerte Informa­ tionen nahezubringen. Dass uns dies im Allgemeinen gelingt, zeigt sich in der hohen Resonanz, mit der die ZuschauerInnen unseren neu entwickelten Formaten eben­so begegnen wie unseren langjährigen. Aber ist Unterhaltung nicht das Kerngeschäft des Mediums? Ja, es gehört zum Kerngeschäft, ist jedoch nur ein Teil der Aufgaben eines öffentlich-

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rechtlichen Unternehmens, wie sie auch im Rundfunkstaatsvertrag verankert sind. Schließlich fußt unser Auftrag auf den vier inhaltlichen Säulen Information, Bildung, Kultur und Unterhaltung. Muss Unterhaltung im Bayerischen Fernsehen bayerisch sein? Nicht ausschließlich, aber schwerpunktmäßig durchaus. Schon durch den Namen „Bayerischer Rundfunk“ ist der BR bereits als Sender aus Bayern für Bayern etabliert, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, mit einem klaren regionalen Schwerpunkt Programm zu produzieren. Gerade auch in der Unterhaltung kann eine so kulturell reichhaltige Region wie Bayern in unterschiedlichsten Formaten widergespiegelt werden. Es ist zudem ein Prinzip des föderalen Systems, dass die Dritten Programme eine eher regionale Prägung haben und die jeweilige Kultur und die Themen des jeweiligen Bundeslandes abbilden, während dem Zuschauer in der ARD nationale Themen und überregionale Formate angeboten werden. Müssen Unterhaltungsformate des BR in der ARD immer „münchnerisch“ oder „oberbayerisch“ sein, um Erfolg zu haben? Nein, absolut nicht! Die beiden ARD-Vorabend-Serien „München 7“ aus der Landeshauptstadt und „Hubert & Staller“ aus der Region Oberbayern wurden aus Qualitätsgründen und nicht wegen der regionalen Schwerpunkte ausgewählt. Darüber hinaus bringt der BR neben der ORF-Koproduktion

„Musikantenstadl“ mit dem neuen Musikformat „Good Vibrations“ sowie dem Eventformat „Einfach magisch“ nur Formate in die ARD ein, die gar keinen bayerischen Schwerpunkt haben. Ab 2014 kommt die Satire-Sendung „Die Klugscheißer“ ins Erste und da haben wir mit Bruno Jonas (Niederbayern), Monika Gruber (Oberbayern) und Rick Kavanian (multikulti) eine sehr bunte, regionale Mischung am Start. Die Fernsehzuschauer werden immer älter – ein gesellschaftliches Phänomen, das vor allem die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten stark betrifft. Wie reagieren Sie als Unterhaltungschefin auf diese Entwicklung? Meiner Ansicht nach gilt es, beide Seiten nicht zu vernachlässigen. Ziel ist es, ein qualitativ hochwertiges und vielseitiges Programm anzubieten, mit dem sowohl jüngere wie ältere ZuschauerInnen etwas anfangen können. Formate, die eine hohe Akzeptanz bei einem älteren Publikum haben, werden wir daher weiterhin unverändert anbieten. Daneben werden wir aber auch Sendungen erarbeiten (wie z. B. „mia san mia“), die idealerweise generationenübergreifend eine Zielgruppe finden; denn alle Zuschauer liegen uns bei der Programmentwicklung am Herzen. Und es wird punktuell auch Sendungen geben, die wir spe­ ziell für eine jüngere Zielgruppe ent­wickeln. Da die TV-Nutzung von jungen Menschen zunehmend im Internet stattfindet, werden wir den Onlinebereich zukünftig auch in der Formatentwicklung verstärkt berücksichtigen.

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„Vom Ohrwaschl direkt in den Bauch!“ Ein Porträt über „Mister Volksmusik“ Stefan Frühbeis Ernst Vogt

Eisiger Wind bläst Stefan Frühbeis den Schnee ins Gesicht. Er stapft das Kaisertal zum Pfandlhof hinauf. Im Sommer eine gemütliche Wanderung, im Winter ein Härtetest. Denn das Ziel ist nicht der Gasthof, sondern liegt ein Stück weit höher. Dort, wo der tiefe Schnee ein Höherkommen unmöglich machen wird. Er sinniert über seine Leidenschaften: die Volksmusik und das Bergsteigen. Zwei Jahrzehnte lang hat er mit mir die Bergsteigersendungen im BR-Hörfunk gestaltet und moderiert. Als Leiter der Abteilung Volksmusik findet er Parallelen. „Gut miteinander zu musizieren“, erzählt er, „das ist a bissl so wie eine Seilschaft, wo jeder weiß, was er zu tun hat und wie er’s machen muss – nur deutlich ungefährlicher.“ Die Schritte werden kürzer beim Aufstieg im knietiefen Schnee. Trotzdem ist die Tour nach Stefan Frühbeis’ Geschmack. Er mag das Kaisertal, den Blick auf die kühnen Felsgipfel des Wilden Kaiser. Den Weg zur Antoniuskapelle und weiter bis Hinterbärenbad oder gar bis zum Stripsenjoch. Erinnerungen werden wach: „Auf abenteuerlichen Wegen ist die Harfe vom Stripsenjoch zu uns nach Hause gelangt“, weiß der Deisenhofener, „und jetzt steht sie im Alpinen Museum in München.“ Bayerische Volksmusik prägte seine Kindheit. Die Eltern probten im Wohnzimmer – entweder mit der Geigenmusi oder mit dem Saitentrio – und durch das Heizluftsystem des Kachelofens übertrug sich die Musik in das Kinderzimmer. Mit dem Luftzugschuber konnte Stefan die Lautstärke regulieren. Im Elternhaus lagerten teilweise mehr als 40 Instrumente und die Beschallung aus dem „Probenraum Wohnzimmer“ hinterließ unauslöschliche Spuren. Unsere Aufstiegsspuren im mittlerweile hüfttiefen Schnee rund um die Antoniuskapelle werden bald nicht mehr sichtbar sein. Wir drehen um und steuern den Pfandlhof an. Die Hüttenstube – das ist der Platz, wo sich Bergsteiger und Volksmusikanten treffen, schmunzelt Stefan Frühbeis. Früher stand auf allen Kaiserhütten

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eine Harfe. „Die Hüttenwirte ham sich auf d’Nacht erst hing’setzt zum Harfespielen, wenn die letzten Seilschaften gesund zurück waren“, erzählt der Volksmusik-Chef. Das musikalische Können hatte er mitgebracht: Zehn Jahre lang hat er Klavier und Kirchenorgel gelernt. Zum Kontrabass und später zur Tuba kam er durch einen Zufall. Der Bassist der Eltern hatte sich bei der Waldarbeit mit einer Säge verletzt – die Adventssingen waren in Gefahr. Da hat ihm der Vater einen Kontrabass zu Weihnachten versprochen mit den aufmunternden Worten „Das ist nicht schwer: Geige lernt man und zur Bassgeige greift man.“ Eine Weichenstellung im Musikantenleben von Stefan Frühbeis, der später mit der Tuba bei der „Haberer Tanzlmusi“ spielte und dann mehr als 30 Jahre lang mit dem Sousaphon in der „Veterinary Street Jazz Band“, die aus der Tanzlmusi hervorging. Im Pfandlhof sind wir fast die einzigen Gäste. Bei einem Achterl Rotwein denkt Stefan Frühbeis an seinen musikalischen Werdegang. Ohne Klavier- und Orgelunterricht wäre das alles nicht möglich gewesen. Es erfüllt ihn mit Stolz, dass er sich jetzt im BR ganz der Volksmusik widmen kann. Es freut ihn auch, dass diese Traditionssendung des BR nicht nur von den Älteren, sondern auch von so vielen jungen Leuten gehört wird. Darunter sind viele, die ihn schon vom „Rucksackradio“ her kennen. Das schätzt der Radiomacher aus Leidenschaft, „denn da brauch i mi net verstell’n, im Radio net, am Berg net und auch net beim Hoagart’n.“ Stefan Frühbeis hat hohe Ansprüche an die Volksmusiksendungen seiner Abteilung: „Die Leute in ihrem Denken und Fühlen dort zu erreichen, wo sie daheim sind.“ Ihm gefällt es, wenn „die richtige Musik in der richtigen Situation vom Ohrwaschl direkt in den Bauch und in die Seele geht“. So wie bei einem echten Jodler draußen in den Bergen. Dort, wo er am besten klingt. Beim Abstieg mit Blick auf die Lichter von Kufstein sind wir uns einig: „Volksmusik und Berge – das passt allemal gut zusammen.“

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„Die Leute in ihrem Denken und Fühlen dort zu erreichen, wo sie daheim sind.“

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Host mi? Sprach-Lust im Dialekt-Dschungel Holger G. Dörner

Was ist ein Bumbmstöckla? Wo hat man seine Schlozerl? Wie schmeckt ein Schambeeser? Wer hat mehr Spaß: Stroafdax oder Pfloutsch? Und warum muss man einen Buzzaschdenkl schlagen? Fragen, die eingefleischte „Host mi?“-Fans locker beantworten können: Seit „Wir in Bayern“ im Mai 2008 das bayerische WörterRaten ins Programm genommen hat, haben die Zuschauer des Nachmittagsmagazins (15.30 bis 16.45 Uhr) schon über 650 Dialekt-Rätsel gelöst – und ein Ende ist nicht in Sicht. Wer seinen Opa „Haarl“ nennt, wie in Teilen der Oberpfalz üblich, oder in Oberbayern seinen „Untern“ einnimmt, wenn er Brotzeit macht, der kann sich kaum vorstellen, dass diese Begriffe in anderen Regionen des Freistaats, ja manchmal schon in der Nachbargemeinde, gänzlich unbekannt sind. Dabei ist Bayerns Reichtum an Dialekten ganz einfach zu gewaltig, als dass irgendwer in der Lage wäre, den Überblick zu wahren über all die Feinheiten – und mitunter auch Grobheiten – der bayerischen Sprache. Es sei denn, er wäre Mundartforscher – und angetreten, den gesamten „WortSchatz“ Bayerns zu heben. Wie Professor Anthony Rowley, ein aus Großbritannien stammender Gelehrter an der Ludwig-Maximilians-Universität zu München, der seit 16 Jahren an den ersten Bänden des „Bayerischen Wörterbuchs“ arbeitet – einem Großprojekt, das voraussichtlich erst 2070 mit der Veröffentlichung des zehnten Bandes abgeschlossen sein wird. Wenn sich also einer garantiert nicht verirrt im bayerischen Dialekt-Dschungel, dann der britische Professor. Und darum ist er auch Berater und letzte Instanz bei „Host mi?“. Ein Spiel übrigens, das ganz und gar von der „Sprach-Lust“ der Zuschauer lebt – sie sind es, die die Redaktion mit immer neuen, alten Wörtern aus allen Ecken Bayerns beliefern. Mit solchen, die zumindest regional noch in aller Munde sind – und solchen, an die sich auch die Älteren nur noch vage erinnern. Ob Hulzerla oder Hineikiel, Petäterle oder Lappeduddel: jeden Tag sind die „Wir in Bayern“-Zuschauer aufgerufen, anzurufen – und Dialekt-Kompetenz zu zeigen. Live und im Gespräch mit Sabine Sauer oder Michael Sporer, denn: der erste Anrufer mit richtiger Antwort

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wird ins Studio durchgestellt und muss beweisen, dass er im Hulzerla tatsächlich den (fränkischen) Schienbeintritt erkennt und im Hineikiel den (niederbayerischen) Unterrock. Doch wie ist aus dem Benzinfeuerzeug ein „Petäterle“ geworden und aus dem Schwächling der „Lappeduddel“? Für derlei Etymologisches ist bei „Wir in Bayern“ Professor Rowley zuständig – erst seine Erklärung macht aus „Host mi?“ mehr als ein Fernsehquiz, nämlich einen kleinen, aber höchst lehrreichen und unterhaltsamen Kurs in Sachen Heimatkunde. Denn wer die Herkunft der Wörter kennt und die Bandbreite ihrer Bedeutung erfasst, gewinnt oft überraschenden Einblick in bayerische Lebensart, in Historie und Kultur des Freistaats. Schnell lernt er, dass Bairisch ein Schmelztiegel ist, eine Sprache mit Einflüssen aus aller Herren Länder. „Petäterle“ zum Beispiel kommt, so der Professor, von „peut-être“, dem französischen „vielleicht“ – weil so ein Benzinfeuerzeug halt mal geht und mal nicht. So macht „Host mi?“ bei „Wir in Bayern“ täglich Lust auf Heimat. Und wer weiß: Vielleicht kommt ja das eine oder andere alte, fast vergessene Wort auf spielerische Weise zu neuer Blüte? Damit auch in Zukunft kein „Loamsiader“ was zu „nammeln“ hat. Host mi?

Host mi? „Host mi?“, das bayerische Wörter-Raten, gibt’s täglich bei „Wir in Bayern“ (Montag bis Freitag 15.30 – 16.45 Uhr). Die Redaktion freut sich stets über neue, alte Dialekt-Begriffe: wirinbayern@br.de Ausführliches, alphabetisches Archiv der „Host mi?“– Wörter samt Erklärungen von Professor Rowley unter: wirinbayern.de

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Host mi? Der Selbstversuch! 1. Was ist ein Bumbmstöckla? a) krummer Spazierstock b) Pumpenschwengel c) kleine dicke Frau 2. Was sind Schlozerl? a) Ohren b) Finger c) Zehen

Rätsellösungen: 1c/2a/3b/4b/5c/6a

3. Was ist ein Schambeeser? a) Kalbsbraten b) Limonade c) Sahnetorte

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4. Was ist ein Stroafdax? a) Straftäter b) Herumstreunerin c) Streifenpolizist 5. Was ist ein Pfloutsch? a) Erbschleicher b) Hypochonder c) ungeschickter Mensch 6. Was ist ein Buzzaschdenkl? a) Purzelbaum b) Musikinstrument c) Provokateur

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Rainer Kaufmann führte die Regie bei den Dreharbeiten zum Heimatkrimi „Föhnlage“.

Für die Heimatkrimis unterwegs … Notizen einer Leidenschaft Stephanie Heckner

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Rainer Kaufmann probt für „Föhnlage“ mit den Schauspielern Katharina Schubert und Jürgen Tonkel.

Der 14. September 2011 ist ein fast normaler Heimatkrimitag. Im Auto nach Berlin zur Premiere von „Föhnlage. Ein Alpenkrimi“ in der Bayrischen Vertretung dreht Gundi Ellert das Radio ein bisschen lauter, als ihr Schauspielerkollege Thomas Schmauser auf Bayern 1 von den laufenden Dreharbeiten zum „Bamberger Reiter“ erzählt. Gleichzeitig sitzt Romanautor Jörg Maurer im Zug nach Berlin und schreibt an einem neuen Fall für Kommissar Jennerwein. Auch er bleibt auf langen Strecken lieber am Boden, als dass er fliegt. Heimatkrimiredakteurin Stephanie Heckner fliegt zusammen mit Martin Feifel, dem Jennerwein-Darsteller, in dieselbe Richtung. Zwischen Tomatensaft und Salzigem statt Süßem schreibt sie das Pressehandout für den nächsten Kluftingerfilm. In zwei Wochen ist Drehbeginn im Allgäu, wieder unter der Regie von Rainer Kaufmann, diesmal im Auftrag der Degeto und in Koproduktion mit dem BR. An dem Drehbuch zu „Milchgeld“ hat sie über ein Jahr intensiv mit den Autoren Stefan Holtz und Florian Iwersen gearbeitet. Auf den letzten Metern mussten noch um die 100.000 Euro eingespart werden, weil das Budget nicht reichte. Jetzt steht das

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Buch und auch den Romanautoren Klüpfel & Kobr gefällt es. Im Allgäu werden die Drehorte gesucht. Eine Molkerei muss gefunden werden und es stellt sich die Frage, ob das Motiv vom Haus Kluftinger aus dem ersten Allgäukrimi noch zur Verfügung steht. Das Casting ist abgeschlossen und auch die Besetzung für Kluftingers Vater ist gefunden. Viele Darsteller für kleinere Rollen kommen wieder aus dem Allgäu. So spielt zum Beispiel Maria Kammel die Mutter von Kluftinger. Sie ist im wahren Leben die Frau des Bürgermeisters von Altusried, wo Volker Klüpfel geboren ist und Kluftinger lebt. Realität und Fiktion. Im Leben der Redakteurin Heckner gehören diese beiden zusammen wie Kluftingers Kuhfellclogs. Der Allgäukrimi „Erntedank“ wurde schon 2008 gedreht. Es war der zweite Heimatkrimi in ihrer Reihe und es ist der erste, der nun flügge wird und mit „Milchgeld“ als neues Format ins Erste  wandert. Dort soll der neue Kluftingerfilm an einem Donnerstagabend zur besten Sendezeit ausgestrahlt werden. Das Dritte setzt damit einen starken Impuls fürs Erste. Und auch wenn Kommissar Kluftinger als Charakter sein Allgäu nur ungern verlässt, die Zuschauer

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werden sich freuen, dass er demnächst auch bundesweit zu sehen ist. Inzwischen sind alle „Föhnlage“-Mitstreiter in Berlin angekommen. Auch Regisseur Rainer Kaufmann und die Schauspielerin Katharina Marie Schubert. In der Podiumsrunde, die Andreas Bönte nach der Filmvorführung moderiert, geht es um den Heimatbegriff. Was ist Heimat eigentlich jenseits des Geografischen anderes als das gute Gefühl von Zugehörigkeit, das wir alle brauchen, besonders dann, wenn wir so dermaßen mobil sind und ständig auf Achse? So wie vier Tage zuvor: Da war die „Föhnlage“-Familie nämlich noch in Garmisch-Partenkirchen. Über 800 Gäste fasst der Kongresshaussaal. Viele kamen in Tracht, im Dirndl, in der Lederhose und mit „Pfosen“ („Wadlstrümpfe“ lernt die zugereiste Nicole Schwattke) – ein Publikum, das besonders kritisch hinschaut. Dass die Zuschauer mit der „Föhnlage“ auch in Garmisch-Partenkirchen warm wurden, ließ nicht nur Rainer Kaufmann aufatmen. Es war ein schöner Abend, der der Redakteurin neben der Planung des Bühnenablaufs und einer Ansprache an die Garmisch-Partenkirchener so nebenbei noch die Aufgabe stellte, passende Haferlschuhe in Größe 45 für den Regisseur zu organisieren, der aus Berlin angereist war und dessen eigene Haferlschuhe in Frankfurt standen. Oder war’s München? Während in Bamberg Thomas Schmauser und Teresa Weißbach bei Regisseur Michael Gutmann für den fünften Heimatkrimi vor der Kamera stehen, läuft im Hinterkopf der Redakteurin während der Vorführungen des vierten Heimatkrimis zwischen Berlin und Garmisch-Partenkirchen schon ein anderer Film, und zwar der, in dem es darum geht, sich entscheiden zu müssen. Eine Art Multiple Choice der nächsten Heimatkrimi-Produktionsjahre. Denn pro Jahr kann der BR nur einen Film für die Reihe realisieren. Soll es die

Fortsetzung von „Sau Nummer vier“ mit Regisseur Max Färberböck sein? Das Romanmanuskript von Christian Limmer wartet auf die Lektüre. Parallel ist die Drehbuchadaption von „Dampf­ nudelblues“ schon in Arbeit. Und auch über einen Heimatkrimi am Starnberger See denkt Stephanie Heckner nach. Was wäre, wenn am Starnberger See eine Leiche auftaucht, die aussieht wie Ludwig II.? Wie wird die „Föhnlage“ bei der Ausstrahlung im Bay­ erischen Fernsehen ankommen? In Jörg Maurers nächstem Roman sollen die Graseggers wieder mitspielen! Die Graseggers: Gundi Ellert und Andreas Giebel zurück aus Italien! Das wäre ein starkes Argument für eine Fortsetzung des Alpenkrimis. Dabei ist Gundi Ellert eine gebürtige Oberpfälzerin, die sich nichts mehr wünschen würde, als dass mal ein Heimatkrimi in ihrer Heimat spielt. Und Andreas Giebel wäre die perfekte Besetzung für den Starnberger Kommissar Lu: Starnberg – die reichen Leichen. „Dieser See. Ein Blau, das die Augen verwöhnt und gleichzeitig im Herzen weh tut. Weil es von einer leuchtenden Schönheit ist, der man nicht beikommt und der man nicht trauen kann“. Das Konzept von Autor Sathyan Ramesh liest sich schon mal sehr gut. Aber was ist mit der Oberpfalz? Hatte der Intendant da nicht schon nachgefragt? Bald ist Weihnachten. Da kann man sich was wünschen. Vielleicht einen zweiten Heimatkrimi pro Jahr? Wenn die Fiktion so viel Spaß macht, dann ist es manchmal schwierig, Realität und Fiktion auseinanderzuhalten. Dann freut man sich als Redakteurin so sehr über einen Kommissar Jennerwein, dem man wiederbegegnet, wie über ei­ne Zuschauerin aus Garmisch-Partenkirchen, die beim Anschauen des Films einen wunderbaren Abend hatte.

An dem Drehbuch zum Heimat­ krimi „Milchgeld“ hat sie über ein Jahr intensiv mit den Autoren Stefan Holtz und Florian Iwersen gearbeitet. <

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Teambild zu „Föhnlage“ mit einem Teil der Crew und des Schauspielerensembles: Von links, vorne: Regisseur Rainer Kaufmann, Jürgen Tonkel (Rolle: Hauptkommissar Johann Ostler) und Georg Friedrich (Rolle: Karl Swoboda); Mitte: Martin Feifel (Rolle: Hauptkommissar Hubertus Jennerwein), Redakteurin Dr. Stephanie Heckner (PB Spiel – Film – Serie, Bayerischer Rundfunk), Katharina Schubert (Rolle: Kommissarin Nicole Schwattke), Gundi Ellert (Rolle: Ursel Grasegger), Andreas Giebel (Rolle: Ignaz Grasegger), Romanautor Jörg Maurer und Produzent Wolfgang Behr; hinten: Produzent Dietmar Güntsche

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Dahoam is Dahoam Unsere tägliche Geschichte. Von der ersten Idee bis zum fertigen Drehbuch Daniela BÜhm

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„Der Cliff im A-Strang der 809 kommt in die rosa Seiten. Da war noch eine Änderungsleiche drin.“

„Der Cliff im A-Strang der 809 kommt in die rosa Seiten. Da war noch eine Änderungsleiche drin.“ Was für jeden Außenstehenden ziemlich kryptisch klingt, ist für die Macher von „Dahoam is Dahoam“ ganz normaler Jargon. Hinter den Kulissen des Seriendorfes Lansing arbeitet tagtäglich ein großes Dramaturgenund Autoren-Team am Schicksal seiner Bewohner. Bevor sich die dramatischen oder lustigen Szenen vor der Kamera abspielen können, durchläuft ein Daily-Drehbuch einen langen Entwicklungsprozess. Zuerst erarbeiten Headautor, Produzent und Producer zusammen mit der Redaktion die groben Zukunftspläne der Figuren. Mit diesen beschäftigt sich dann das Outliner-Team, das die Ideen weiterentwickelt und aus ihnen emotionale Geschichten macht: Probleme und Konflikte gesellschaftlicher, familiärer und zwischenmenschlicher Art, inspiriert vom bayerischen Lebensgefühl, mit Schwung und Humor umgesetzt. Pro Folge werden immer drei Geschichten gleichzeitig erzählt. Wenn die Stränge dann in einzelnen Szenen detailliert formuliert wurden, gehen die sogenannten Outlines an die Dialogbuchautoren. Diese erarbeiten daraus dann erst das eigentliche Drehbuch, indem sie den Figuren die passenden Sätze in den Mund legen.

„Und dann streiche ich drin rum.“ Daniela Boehm betreut als stellvertretende Redaktionsleitung Serien im Ersten – Dailys „Dahoam is Dahoam“. Sie ist neben anderen redaktionellen Aufgaben in die verschiedenen Stoffentwicklungsprozesse bis zur Drehbuchfassung stark eingebunden und im steten Austausch mit Produzent, Producer und den Autoren.

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„Bei der Kontrolle durch die Redaktion vor Ort sind viele Ding wichtig: Der umfassendste Punkt ist, dass die Dramaturgie stimmt. Zudem muss das Buch frei von Anfeindungen also „politically correct“, sein. Die Handlung und die verwendete Sprache müssen zu den Figuren passen. Und es darf keine Anschlussfehler geben, die zum Beispiel passieren können, wenn eine Geschichte über mehrere Wochen erzählt wird.“ Dass bei den vielen verschiedenen Fassungen penibel darauf geachtet werden muss, dass in den Drehbüchern keine veralteten Informationen, sogenannte Änderungsleichen stehen, versteht sich von selbst. Erst danach wird das fertige Drehbuch an Regie und Schauspieler weitergeleitet.

Nur die Ziege macht, was sie will „Wir diskutieren während des ganzen Entstehungsprozesses viel miteinander und auch der Regisseur, der das Buch später umsetzt, hat durch die filmische Umsetzung Einfluss auf die Geschichten“, sagt Daniela Boehm. Die Ergebnisse der Regiebesprechung werden auf rosa Seiten festgehalten. Noch bunter wird’s, wenn ein Schauspieler erkrankt und Geschichten kurzfristig umgeschrieben werden müssen. Da fallen viele feuerrote Änderungsseiten an. Je mehr Änderungen es gibt, umso bunter ist die letzte Buchfassung, die dann als verbindliche Vorlage in den Dreh geht. Nur ein einziges Wesen hält sich am Set nicht dran: Die tierisch zickige Hauptdarstellerin Frau Gregor. „Die Ziege sollte nur ein paar Meter von A nach B gehen“, erinnert sich Daniela Boehm lachend. „Statt zu tun, was im Drehbuch stand, hat sie nur pausenlos gefressen.“

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Heimat Abseits der Klischees: abgründig Ein Interview mit dem Regisseur Hans Steinbichler

Herr Steinbichler, Sie sind dafür berühmt, die gängigen Heimatfilm-Klischees gnadenlos zu demontieren. Was genau fasziniert Sie denn so an „Heimat"? Dass man sie verlassen muss, um sie zu begreifen. Beim Verlassen kann ich den Blick auf die Abgründe und all das Schreckliche werfen, was sich dort abspielt. Aber immer im Licht der Liebe, denn ich liebe meine Heimat sehr und kann nur weggehen, um am Ende wiederzukommen. In einem Interview sagten Sie einmal, „Heimatfilm kann mehr bieten als heile Welt“. Die heile Welt der Nachkriegsheimatfilme ist eine Altlast des Kriegs. Was konnte man denn den Leuten nach 1945 sonst bieten, als sie nach Hause kamen in ein völlig zerstörtes Land, in dem es keine Städte mehr gab? Man setzte fröhliche Menschen in die Heide und sagte: Das ist Heimat. Aber Heimat ist viel mehr. Heimat ist da, wo es wehtut. Aber was kann er denn nun mehr bieten? Einer der größten Heimatfilmer ist für mich Pedro Almodovar. Was ist seine Heimat? Sein Schwulsein. Sein Leben in einer völlig verkehrten Welt. In Gedanken, die kein Mensch hat. Aber in dieser Heimat richtet er sich ein, die zieht er durch, die erzählt er einem Publikum, das nichts mit ihr zu tun hat. Das noch nie einen Transvestiten gesehen hat. Das Mehr-Können des Heimatfilms liegt darin, dass er die ureigenste Seele von einem Autoren zeigen kann. Deswegen sind diese Filme näher, enger, bewegender, ergreifender. Wie entsteht denn Ihrer Meinung nach Qualität im Genre „Heimatfilm“? Die Qualität eines Heimatfilms liegt in der Freiheit des Denkens

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begründet. Die beginnt im Kopf des Senders. Wenn dort jemand sitzt, der – um mit dem BR zu sprechen – die Liberalitas Bavariae erfasst hat und nach unten durchsickern lässt bis in die Redaktionen, dann entsteht die Qualität, die ich meine. Das ist die Bedingung für das Gelingen von Heimatfilmen. Gelingt denn dem BR die Abbildung jener heimatlichen Abgründe, die Sie so sehr schätzen – oder sitzt auch er in der Klischeefalle? Da muss ich jetzt vorsichtig sein, denn ich sitze buchstäblich im Glashaus. Ich bin nämlich auch gern pathetisch und muss stark daran arbeiten, in meinen Filmen nicht selbst Klischees zu transportieren. Aber schon im Vorabendprogramm sieht man: Es gibt eine Nachfrage nach Klischees und die wird gerne bedient. Und zwar so sehr, dass man sich fragen muss, ob der öffentlich-rechtliche Rundfunk noch seinen Kulturauftrag erfüllt. Das meine ich ganz ernst, und nicht snobistisch oder arrogant. Eine bayerische Daily-Soap ist ein Geniestreich in Sachen Quote und AudienceFlow, aber trotzdem muss sich ein Sender wie der BR auch etwas leisten, was wehtut. Sonst spürt er nichts mehr. Und wenn er nichts mehr spürt, dann kann er nicht mehr abbilden, was abgebildet werden muss. Bayern wandelt sich – demografisch, politisch, gesellschaftlich. Inwiefern müssen Film- und Fernsehmacher darauf reagieren? Der BR sollte den Wandel abbilden – aber ohne sich selbst gleich zwanghaft mitzuwandeln. Ja, er muss sich diesem omnipräsen­ten Wandel gerade entziehen, ein Bollwerk gegen den Wandel sein. Aber nicht durch Sentiment und Beschränkung auf Rückschau und Brauchtumspflege. Sondern, indem er sich darauf besinnt, was Bayern ist: nämlich ein föderales Land mit verschiedensten Facetten.

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Hans Steinbichler (Jahrgang 1966) ist Regisseur und Drehbuchautor. In Filmen wie „Hierankl“ (2003) oder „Winterreise“ (2006) – übrigens beides BR-Koproduktionen – interpretierte er das Genre „Heimatfilm“ völlig neu – indem er konsequent die Abgründe hinter den beschaulichen Heile-Welt-Fassaden seiner bayerischen Heimat aufzeigt. Zuletzt führte Steinbichler Regie beim BR-Polizeiruf „Denn sie wissen nicht, was sie tun“.

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unten: aus dem Film „Hierankl“ von Hans Steinbichler Rechte Seite: Ursula Gruber schrieb das Drehbuch zu „Sommer in Orange“ von Marcus H. Rosenmüller (Regie) Rechte Seite unten: Szene aus „Polizeiruf 110 – Denn sie wissen nicht, was sie tun“ (Regie Hans Steinbichler) mit Kommissar-Darsteller Matthias Brandt

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Abseits der Klischees: lebensnah und humorvoll Ein Interview mit Drehbuchautorin Ursula Gruber

Ist „Sommer in Orange“ ein bayerischer Heimatfilm? Als ich anfing zu schreiben, habe ich überhaupt nicht in solchen Kategorien gedacht. Aber die Geschichte spielt eben in Bayern und ich selbst habe – abgesehen von kurzen Ausflügen nach Amerika und England – mein ganzes Leben hier verbracht. Und so ist tatsächlich ein bayerischer Heimatfilm herausgekommen. Ihr Film lässt den Retro-Charme der Achtzigerjahre aufleben – ist Heimatfilm heute zwangsläufig mit Nostalgie verbunden? Nein, überhaupt nicht. Wenn ich mir die Filme von Regisseuren wie Hans Steinbichler oder Matthias Kiefersauer anschaue, die unter „Neue Heimatfilme“ firmieren, dann finde ich die eigentlich nicht nostalgisch. Gerade im Heimat-Genre droht leicht die Klischeefalle. Wie wappnet man sich als Macher dagegen? Bayern wird in der restlichen Welt sehr einseitig als Dauer-Oktoberfest und Lederhosenland wahrgenommen, das hat mich schon immer gestört. Aber gleichzeitig haben Klischees ja auch immer einen wahren Kern, und den sollte man sichtbar machen. Am besten auf spielerische Art, zum Beispiel, indem man die Klischees so richtig überspitzt. „Die Zeiten ändern sich – und wir uns mit ihnen“, sagt der Pfarrer am Ende von „Sommer in Orange“. Gilt das auch für den bayerischen Heimatfilm? Ja, das stimmt. Die klassischen Heimatfilme der Fünfziger- oder Sechzigerjahre hatten nichts mit der Realität zu tun, die heutigen dagegen schon. Trotzdem kann man – wie man es etwa bei den Filmen von Marcus H. Rosenmüller immer wieder sieht – einen Film zugleich authentisch und märchenhaft gestalten. Man kann völlig übertreiben und sogar Slapstick-Elemente einbauen. Das darf man sich schon rausnehmen.

bayerischen Film die Schauspieler das nicht beherrschen! Im Kern geht es doch darum, dass das Wesen dieser Heimat eingefangen wird. Finden Sie das in ausreichender Form im Programm des BR wieder? Ich finde es wieder, aber oft leider nur nach Schema F – vor allem im dokumentarischen Bereich, aus dem ich ja stamme. Da würde ich mir mehr Facetten wünschen. Welche Chancen hat gerade der BR, sich „heimatlich“ zu profilieren? Die Kompetenzen dazu hat der BR ja zur Genüge. Es geht eigentlich nur darum, dass die Programmverantwortlichen genug Mut und Risikobereitschaft haben. Und dem Zuschauer vielleicht noch ein bisschen mehr zutrauen. Die Interviews führte Matthias Supé

Ursula Gruber (Jahrgang 1971), drehte Dokumentarfilme für BRSendungen wie „Menschen in Bayern“ und „Unter unserem Himmel“, bevor sie sich aufs Schreiben verlegte und mit dem Drehbuch zum Kinofilm „Sommer in Orange“ (2011, Regie: Marcus H. Rosenmüller) den Durchbruch schaffte. „Sommer in Orange“ ist eine BR-Koproduktion des Programmbereichs Spiel – Film – Serie.

Was macht einen guten Heimatfilm für Sie aus? Er sollte die Menschen ernst nehmen und so zeigen, wie sie sind. Dazu gehört übrigens auch die Sprache. Schlimm, wenn in einem

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Außenstimme:

Wider das Plastikbairische! Helmut Schleich über Bayern, das Bayerische Fernsehen und bayerische Politik Herr Schleich, wie viel Bayern steckt in Ihrer Art von Kabarett? In meiner Art von Kabarett steckt viel Bayern. Bayern ist ja mein Herkunftsland, mein Lebensbereich und meine Heimat, auch wenn ich mit dem Wort sehr vorsichtig umgehe. In meiner kabarettistischen Arbeit betrachte ich Bayern idealtypisch, indem ich gewisse Prozesse und Strukturen aufzeige, die auch anderswo in Deutschland nachvollzogen und ähnlich empfunden werden können. Also, ich würde mich jetzt nicht als bayerischer Folklorist verstehen.

deutsch sprechenden Großmutter aufgewachsen bin, ich also früh gemerkt habe, dass man ein und denselben Sachverhalt sprachlich völlig unterschiedlich ausdrücken kann. Das hat meine Sprachund Dialektwahrnehmung sicher sehr geprägt und mir dadurch auch viel Gefühl für das Parodistische gegeben. Es ist ja eines meiner Markenzeichen geworden, dass ich mich schnell direkt in jemanden und dessen Sprache hineinversetzen kann. Der Dialekt bietet dafür viele Ausdrucksmöglichkeiten. Er bringt auch manche Sachen viel direkter auf den Punkt als die Hochsprache.

Bayern und Heimat, das ist ja für manche schon gleich­bedeutend. Welche Rolle spielt für Sie Heimat? Heimat ist ein großes, häufig missbrauchtes und insofern ein schwieriges Wort! Trotzdem fühle ich mich hier zu Hause, wenngleich ich mich in erster Linie als Münchner und weniger als bayerischer Kabarettist begreife.

Würden Sie den Dialekt im bayerischen Kabarett als Chance sehen, oder doch eher als „Abschreckung“ und damit „Abschalter“ für Bürger anderer Bundesländer? Nach dem Motto: „Verstehen wir nicht, schalten wir weg!“ Je bairischer ich auf der Bühne rede, desto mehr „Nordbürger“ verabschiede ich. Aber ich beobachte da häufig eine eher geistige Blockade beim Zuschauer. Dialekt zu verstehen, ist ja in erster Linie eine intellektuelle Frage. Umgekehrt verstehe ich ja „Plattdeutsch“ auch, wenn ich mich darauf einlasse. Und so versteht der Hamburger den bayerischen Dialekt auch, wenn er’s nur versucht. Außerdem gibt’s im Norden genügend „Bayernfreaks“, die sich freuen, wenn sie Bairisch hören. Das hat für die was von Urlaub.

Eng verknüpft mit der „bayerischen Heimat“ ist ja der Dialekt! Welche Rolle spielt für Sie der Dialekt? Die bayerische Sprache wird ja von sehr vielen als die schönste deutsche Mundart empfunden und für mich ist sie ein kabarettistisches Geschenk. Ich bin ja in Schongau geboren, also im bayerisch-schwäbischen Dialektraum, aber schon im zarten Alter von acht Jahren nach München gekommen. Dort habe ich mir dann den oberbayerischen Dialekt angeeignet. Hinzu kam, dass ich in Schongau bei meiner aus dem Saarland stammenden, hoch-

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Diese Leute finden dann ein Stück Bayern im Fernsehen wieder. Das suchen sie zumindest beim BR und zwar das authentische, nicht das „Plastikbairisch“, wie es leider in Sendungen wie

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Kabarettist Helmut Schleich mit „Nicht mit mir!“ auf der Bühne im Münchner Lustspielhaus

„Dahoam is Dahoam“ zum Teil gesprochen wird. Wobei ich sagen muss, dass sich das gebessert hat … aber nur das! (lacht) Würden Sie im Hinblick auf die Medienlandschaft sagen, dass das Bayerische Fernsehen so etwas wie „Heimat“ sein kann? Dass die Leute das Bayerische Fernsehen mit dem Begriff der Heimat verbinden? Natürlich ist das Bayerische Fernsehen für viele Bürger Bayerns ein Identifikationskern. Und da vor allen Dingen das Unterhaltungsprogramm des Bayerischen Fernsehens. Ich meine nicht nur das Kabarett. Es gibt die uralte Tradition des Komödienstadels, der ja ein Flaggschiff des Bayerischen Fernsehens ist. Aber es gibt auch andere Formate wie z. B. „Die Landfrauenküche“. Das ist so erfolgreich, weil sich die Zuschauer wiederfinden und sagen: „So ist unser Bayern, so erleben wir unser Bayern und so sehen wir uns auch gerne dargestellt!“ Ich glaube, dass das Bayerische Fernsehen manchmal trotzdem noch „hinterfotziger“ und frecher sein dürfte. Wenn ich außerhalb Bayerns, in Hamburg oder Nordrhein-Westfalen, Gastspiele gebe, werde ich immer wieder auf das Kabarettprogramm im Bayerischen Fernsehen angesprochen. Ich erlebe, dass das Kabarett am Donnerstag- und besonders am Freitagabend bundesweit sehr gut ankommt. Kabarett ist da mittlerweile das Markenzeichen des BR geworden.

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Bildet das Bayerische Fernsehen Ihrer Meinung nach die gesellschaftliche Wirklichkeit Bayerns ab? Also, ich bin ja nicht der Programmdirektor des BFS. Aber ich finde schon, dass das Bayerische Fernsehen in Teilen die bayerische und gesellschaftliche Wirklichkeit sehr gut abbildet. Es gibt in „Unter unserem Himmel“ und anderen Formaten sehr sehenswerte und genaue Reportagen über und aus Bayern. Auch auf der fiktionalen Ebene hat der BR Meilensteine gesetzt. Auf der anderen Seite gibt es eine bodenlose Art des Pseudobayerischen, wo man mit aller Gewalt versucht, den Menschen ein allzu klischeehaftes Bayernbild reinzudrücken. Da gibt es Dailysoaps und Gameshows im deutschen Fernsehen, wo man schon sagen muss: Warum verkauft ihr die Leute für blöd? Auch wenn das intern vielleicht nicht immer so wahrgenommen wird, aber es gibt Zuschauer, die das so wahrnehmen und sich darüber ärgern. Sie meinen, man sollte ein gewisses Niveau halten?! Schon! Das Bayerische Fernsehen mit seinem Programm und seinen Geschichten über Bayern; das ist doch eines der Markenzeichen! Beispielhaft sei da genannt: Serien wie „Monaco Franze“, „Irgendwie und sowieso“ oder das Volkstheater. Man sollte diese Tradition wirklich hegen und pflegen. Ich zitiere ungern Helmut Kohl, aber entscheidend ist, was hinten rauskommt. Nicht jede BR-Serie, die den Anspruch erhebt, hochwertig zu sein, ist es auch! Man sollte an Bayern und seine Geschichten glauben und das fürs Fernsehen umsetzen, damit ein möglichst vielschichtiges Bayernbild entsteht.

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Ich glaube, dass das Bayerische Fernsehen manchmal trotzdem noch „hinterfotziger“ und frecher sein dürfte.

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Im Bayerischen Fernsehen gibt es eine Vielfalt an Kabarettisten und Satirikern zu sehen. Wo würden Sie sich im Reigen von Komikern wie Günter Grünwald, Ottfried Fischer und Monika Gruber einordnen? Ich habe viel Verschiedenes gemacht. Die „Spezlwirtschaft“ ist eine Großstadtsitcom mit typisch städtischen Themen. Ich habe mich immer als schauspielernder Kabarettist begriffen, der mit und aus seinen Figuren heraus spricht. Auf diese Weise möchte ich politisch und gesellschaftlich relevante Aspekte satirisch verarbeiten. Ich denke, dass ich in meiner neuen Sendung „SchleichFernsehen“ dieses Profil zukünftig noch sehr viel stärker und präziser herausarbeiten kann. Ihr Programm „Nicht mit mir!“ bezeichnen Sie selbst als „ultimative Form persönlichen Protests“. Bietet sich in Zeiten von politisch gewollten Großprojekten besonders geeigneter Stoff für Sie selbst und Ihre Kollegen? Momentan passiert so unglaublich viel und in einem so hohen Tempo, dass man selbst als Satiriker, der gewohnt ist, schnell zu reagieren, es kaum noch zu fassen bekommt. Es ist also wichtig, worauf man sein Augenmerk legt. Man darf ja nicht anfangen, der Themenlage hinterherzuhecheln. Also suche ich mir ein Überthema. Zum Beispiel in meinem aktuellen Programm das Thema Protest. Und dieser Protest kanalisiert sich dann auf verschiedenste Wege. Ich kann das Argument, Wutbürger seien nur Spießer, die vor der eigenen Haustür keine Baustelle wollen, überhaupt nicht nachvollziehen. Protest und Widerstand entzündet sich immer an Konkretem. Ich bin politisch in der „Wackersdorf-Zeit“ sozialisiert geworden. Damals hat man gesehen, wie mit Scheinargumenten wirtschaftlich Gewolltes einfach durchgedrückt worden ist, bis es die Wirtschaft plötzlich hat fallen lassen. Und natürlich ist die „Dritte Startbahn“ wieder so ein Beispiel, wenngleich auch nicht so ein gefährliches wie eine atomare Wiederaufbe­ reitungsanlage. Da wird jetzt wieder der Wirtschaftsstandort Bayern ins Feld geführt und das Totschlagargument Arbeitsplätze,

anstatt endlich einmal darüber zu reden, ob das wirklich unsere Vorstellung von Zukunft ist, mit immer noch mehr Flugzeugen immer noch schneller von A nach B zu kommen, anstatt über ressourcenschonendere und vernetztere Formen von Mobilität ernsthaft nachzudenken. Es gibt Linienflüge von München nach Nürnberg und Stuttgart, das ist schlichtweg krank! Die Diskussion um die dritte Startbahn riecht wieder einmal förmlich danach, dass es hier nicht um das Wohl des Landes geht, sondern darum, Geld aus den öffentlichen Kassen in private Taschen zu pumpen. Würden Sie sagen, dass es zu wenig Kabarettprogramm im Bayerischen Fernsehen gibt? Es gibt viel Kabarettprogramm im BFS, es wird auch viel ausprobiert. Und weil ich ja ungern an dem Ast säge, auf dem ich sitze, sage ich: Es kann nie genug Kabarett geben. Gut muss es halt sein! Das Publikum liebt Sie für Ihr Typenkabarett. Sie parodieren ja gekonnt viele Persönlichkeiten aus allen Bereichen. Könnten Sie sich da auch einmal vorstellen, einen Kabarettkollegen oder eine Kollegin wie Monika Gruber zu parodieren? Naja, den Ottfried Fischer parodiere ich ja schon. Ich bin ja das Einzige, von Otti persönlich autorisierte Double. Die Monika Gruber zu parodieren, das würde allein schon mit den Maßen schwierig werden. (lacht) Das Gespräch führte Bernhard Paulus.

Helmut Schleich 1983 gründete Helmut Schleich zusammen mit Christian („Fonsi“) Springer und Andreas Rüttenauer das Kabarett Fernrohr. Seit 1998 tritt er als Solokünstler auf. Seit 2001 kennen ihn BRZuschauer als „Heinzi Liebl“ aus der Serie „Spezlwirtschaft“. Über Bayern hinaus bekannt ist er vor allem für seine gelungen Parodien von u. a. Ottfried Fischer, Papst Benedikt XVI. und Franz Josef Strauß. Sein parodistisches Talent zeigt er im Bayerischen Fernsehen in der Sendung „SchleichFernsehen“.

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Wertebild

„Bayernwert“, gesehen von Fotografin und Dokumentarfilmerin Petra Wallner

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Gesellschaftswert Orientierung geben in einer komplexen Welt



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Was haben Ereignisse wie der „Arabische Frühling“, die Atomkatastrophe von Fukushima oder die Europäische Schuldenkrise mit unserem Leben in Bayern zu tun? Inwiefern sind wir davon betroffen? Was bedeuten diese Ereignisse und welche Gefah­ ren oder Risiken gehen davon für unser Leben in Bayern, Deutschland oder Europa aus? Kommen mehr Menschen nach Bayern, sind Arbeitsplätze gefährdet, kommt es bei uns zu einer Inflation oder Wirtschaftskrise? Müssen wir um die bestehende gesellschaftliche Ordnung fürchten? Das sind alles Fragen, die die Menschen beschäftigen, wenn sie die Nachrichten in den Medien verfolgen.

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Als öffentlich-rechtliche Anstalt ist es eine der wichtigsten Aufgaben des Bayerischen Rundfunks, nicht nur die Menschen über solche Ereignisse zu informieren, sondern auch Antworten darauf zu finden. Wir wollen Orientierung geben. Keine leichte Aufgabe – und oft gibt es keine klaren Antworten. Die Wirklichkeit ist komplex und verändert sich je nach Betrachtungsweise. Meinungen und Argumente prallen da aufeinander. Aber auch darin besteht unsere Aufgabe: den Meinungen, der Meinungsvielfalt einen Raum zu geben. Wir belassen es aber nicht dabei, wir machen uns auch aktiv auf die Suche nach Antworten und neuen Perspektiven. Dafür stehen wir im Dialog mit der Politik, der Wissenschaft, den Kirchen und Religi­ onsgemeinschaften, den Verbänden und Vereinen.

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Wir suchen den Kontakt und den Austausch mit unseren Zuschauern und Zuhörern, mit den Nutzern unserer Internetangebote. Wir stellen uns und den Menschen in Bayern immer wieder Fragen wie: „Was ist das eigentlich ‚Bayern‘, die bayerische Ge­ sellschaft?“, „Was hält die Menschen hier zusam­ men?, „In welcher Gesellschaft leben wir?“ und „Wie wollen wir leben?“ Als Sender werben wir und treten wir ein für Offen­ heit und ein friedliches Miteinander in einer de­ mokratischen und pluralistischen Gesellschaft. Bildung sowie die Förderung von Kultur und sozia­ lem Miteinander sind dafür die Grundlagen. Nur so erfüllen wir unseren gesellschaftlichen Auftrag, und nur so bleibt Bayern, was es immer schon war: bunt, vielfältig und lebenswert.

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Die Welt im Radio – radioWelt Das Bayern 2-Magazin bringt täglich die Hintergründe zu den Geschehnissen auf der Welt Stefan Maier

„radioWelt“-Redakteurin Ulrike Beck klärt Details zu Nachrichtenmeldungen.

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Ein Name als Verpflichtung. Drei Mal täglich reist die Bayern 2„radioWelt“ um den Globus. Schaltet live nach Athen, begleitet Drogenfahnder an der bayerisch-tschechischen Grenze, schaut einer Schuldirektorin über die Schulter, wie sie den Unterrichtsausfall bewältigt, spielt einen Kommentar aus Berlin zur Afghanistanstrategie oder einen aus Washington zum Wiederaufstieg der amerikanischen Autoindustrie. Und immer wieder exklusive Gespräche, von denen es nachher oft heißt: „sagte im Bayerischen Rundfunk“. Ministerpräsidenten und Ministerinnen, Generalsekretäre und Generäle, Volkskundler und Verbraucherschützer, gescheite Menschen, unterhaltsame Menschen, normale Menschen. Wobei wir uns vor jedem Interview fragen: Was hat dieser Mensch zu sagen, wird man ihm gerne zuhören, werden unsere Hörerinnen und Hörer etwas mitnehmen? Wir, das sind erfahrene Redakteurinnen und Redakteure, Moderatorinnen und Moderatoren, freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Immer auf der Suche nach den Themen aus aller Welt, die die Menschen hier in Bayern gerade bewegen. Oder für die wir sie bewegen wollen. Pressekonferenzen und Routinetermine in­ teressieren die „radioWelt“ nur am Rande. Viel lieber fragen wir nach, wir schauen hinter den schönen Schein, wir analysieren, wir kommentieren. Und wenn uns ein Thema besonders am Herzen liegt und besondere Facetten bietet, dann widmen wir ihm eine Serie. Einen Tag oder eine Woche lang wird dann erklärt und hinterfragt. Die Serie „Wem gehört das Internet?“ war nur eine von vielen und selbstverständlich gab es weitere Informationen auf den Onlineseiten der „radioWelt“. Und nachhören kann man diese Serie immer noch. Eine Besonderheit der „radioWelt“ ist das Magazinformat. Beiträge und Interviews werden ergänzt durch fünf bis sechs liebevoll ausgewählte Musiktitel pro Stunde. Keine Hitparaden- und Chart-Musik, sondern Songs, die man nicht an jeder Ecke hört – getreu dem Bayern 2Musikmotto „Legenden und Entdeckungen“. Und so ist auch die „radioWelt“-Musik weltoffen, entspannt, anspruchsvoll und thematisch oft angebunden zu einem eben gehörten Inhalt. Das wohl wichtigste Markenzeichen der Redaktion „radioWelt“ ist die kreative und sorgfältige Planung. Während die Sendungsteams aktuell agieren und erst die „radioWelt“ am Morgen in der wichtigen Primetime und dann die „radioWelten“ am Mittag und am Abend in den Äther schicken, zerbrechen sich drei Stockwerke tiefer die Planerinnen und Planer den Kopf über die nächsten Tage. Welches Thema wird wichtig? Welches Thema wollen wir selbst setzen? Wie soll der Beitrag klingen, wer kann ihn realisieren, wird er rechtzeitig fertig? Und immer wieder der Ehrgeiz, passende und spannende Gesprächspartner ans Telefon der „radioWelt“ zu holen. Und wenn wir eine Zusage bekommen: Wie stellen wir sicher, dass das Interview

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rauschfrei beim Hörer ankommt, also der Gesprächspartner möglichst nicht am Handy und schon gar nicht im Auto mit uns telefoniert? Zeitunterschiede müssen bedacht sein. Und die Telefonnummer muss natürlich stimmen, sonst kommt das Sendungsteam ins Schleudern. Eine weitere Stärke der „radioWelt“: Die Vernetzung innerhalb des Bayerischen Rundfunks und in der ARD. Informationen und Interviewäußerungen werden selbstverständlich an andere Wellen, an br.de und an das Bayerische Fernsehen weitergereicht. Korrespondentinnen und Korrespondenten in aller Welt schätzen die Ideen und Anfragen und bei manchen hat man das Gefühl, sie freuen sich schon auf unseren Anruf im Sommer. Dann geht es nämlich um die traditionellen Sommerserien, mit denen die „radioWelt“ Sommergefühle aus aller Welt nach Bayern holen möchte. Es ist also eine riesige Bandbreite, die die Bayern 2„radioWelt“ abdecken darf – daheim im Freistaat, in Deutschland, in Europa und in der ganzen Welt. Die Arbeit wird uns niemals ausgehen: Überall passiert so viel Interessantes, warten so vie­le spannende Gesprächspartner und gibt es so viel zu erklären und zu hinterfragen.

Informationen und Interviewäußerungen werden selbst­verständlich an andere Wellen, an br.de und an das Bayerische Fernsehen weitergereicht.

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Fünf Fragen an … Wolfgang Aigner, Programmbereichsleiter Bayern 2 – Kultur und Gesellschaft Was bedeutet für Sie „öffentlichrechtliches“ Programm? Information, Bildung und Unterhaltung – diese drei Komponenten schreibt uns das Rundfunkgesetz vor. Grundsätzlich unterscheidet uns das von der kommerziell ausgerichteten Konkurrenz. Deshalb bieten wir auch Sendungen für Minderheiten an. Alles muss auf einem formalen und inhaltlichen Niveau stattfinden, das zielgruppengerecht ist und gleichzeitig in jedem Segment die qualitative Marktführerschaft innehat. Kultur – auch dafür sind Sie als PBL Bayern 2 zuständig. Welchen Stellenwert hat die Kultur im BR? Neben Rezensionen, Kritiken oder Essays gibt es Kunstformen, die ausschließlich zum Medium Radio gehören: künstlerische Features und die Hörspiele, ob klassisch oder experimentell. Diese Sendungen auf Bayern 2 machen einen wichtigen Teil dessen aus, was der BR seinem Publikum insgesamt an Kultur bietet. Zusammen mit dem Bayerischen Fernsehen, BR-alpha,

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den Onlineseiten und den Klangkörpern wird der „Kultur“ aus Bayern und für Bayern täglich im BR mehr Platz eingeräumt als in irgendeinem anderen Medium. Wir sind eines der wichtigsten und größten Kulturinstitute im Freistaat.

Was ist der „rote Faden“, der sich durch das Programm von Bayern 2 zieht? Einfache Antwort: Qualität und Anspruch. Beides prägt unser Programm – vom frühen Morgen bis spät in die Nacht.

Welche Bedeutung hat ein Programm wie Bayern 2 in Zeiten des vermeintlich immer verfügbaren Wissens im Internet? Unsere „radioWissen“-Sendungen tauchen regelmäßig unter den in Deutschland meist genutzten Audio-Podcasts auf. Gleichzeitig erzielen diese Sendungen Radioquoten, die für ein Minderheiten­ programm wie Bayern 2 erstaunlich hoch sind. Wir können also mit diesem Angebot im linearen Programm genauso punkten wie im viel größeren Internetmarkt mit dem Riesenvorteil der permanenten Verfügbarkeit. Welche Rolle spielt die Quote für Bayern 2? Sendungen ohne Publikum sind nicht zu verantworten. Aber in den ohnehin „schwachen“ Randzeiten des Hörfunks, also zum Beispiel spät abends, darf es durchaus so anspruchsvoll oder experimentell zugehen, dass auch „kleine“ Minderheiten zuhören wollen oder können. Das kann, darf und muss sich ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk leisten. Wer sonst sollte es tun?

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Expect the unexpected! – quer Fernsehen 2.0: Der Programmmacher und sein Publikum Die größte Herausforderung für den öffentlich-rechtlichen Programmmacher ist sein Publikum. Wolfgang Mezger

quer „quer“ mit Christoph Süß – das kritische, satirische Magazin vom BR: donnerstags um 20.15 Uhr im Bayerischen Fernsehen Wiederholungen: Freitag früh um 1.45 Uhr im Bayerischen Fernsehen sowie samstags um 13.15 Uhr bei 3sat

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Oft als scheues Reh bezeichnet, ist es in Wirklichkeit eher eine Diva, die hinsichtlich ihres Fernseh-Konsumverhaltens an einer Form der Persönlichkeitsspaltung leidet: der Kopf-Bauch-Schere. Der Kopf will Relevantes, Forderndes, doch wenn es zum Schwur an der Fernbedienung kommt, setzt sich meistens der Bauch mit seinem Bedürfnis nach Behaglichkeit und leicht verdaulichen Inhalten durch. Steht der öffentlich-rechtliche Programmmacher mit seinem gesetzlichen Auftrag vor diesem Hintergrund auf verlorenem Posten – verdammt entweder zum Minderheiten- oder minderwertigen Programm? Qualität oder Quote? Gerade kommerzielle Medien reduzieren – unter zunehmendem wirtschaftlichen Druck – das duale System immer mehr auf diese Frage und liefern die Antwort gleich mit. So zieht die „Süddeutsche Zeitung“ mitten in der Eurokrise psychologisch kontaminierte Parallelen: „Der öffentlich-rechtliche und der private Rundfunk koexistieren in einer Währungsunion, ihr beider Zahlungsmittel ist: die Quote.“ Aber ist das wirklich so? Gibt es wirklich nur die Wahl zwischen Pest und Cholera, zwischen mediokrer Massenware oder qualitativem Nischendasein? Oder kann es gelingen, Qualität und Quote gleichzeitig zu erreichen – und wenn ja: mit welchen Mitteln? Vielleicht kann ja das seit nunmehr fast 14 Jahre bestehende  Format einen kleinen Fingerzeig in diese Richtung liefern.  „quer“ bewegt sich als Format im politisch-gesellschaftlich-kulturellen  Milieu, also in klassischen öffentlich-rechtlichen Bereichen, erreicht in allen mir bekannten qualitativen Studien mit die höchsten Akzeptanzwerte im Bayerischen Fernsehen und erzielt seit Jahren herausragende, zweistellige Marktanteile auf einem PrimetimeSendeplatz. Wenn es also „quer“ schafft, Qualität und Quote in Einklang zu bringen, hängt dies vielleicht damit zusammen, dass die Programmmacher (Redaktion, Autoren, Moderator) sich permanent in die Zuschauerposition begeben, deren Wünsche und Bedürfnisse fortwährend neu ergründen, dass sie politischen,

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gesellschaftlichen, kulturellen Wandel wie auch Veränderungen in der Mediennutzung und dem Sehverhalten aufspüren und ins Programm implementieren. Dem Publikum auf’s Maul zu schauen heißt aber nicht, ihm nach dem Mund zu reden. Der britische Erfolgsautor John Abbott hat einmal gesagt: „Autoren müssen Pfadfinder sein. Ihr Job ist nicht, das Publikum zu fragen, wo es hin will. Ihr Job ist es, das Publikum an Orte zu führen, von denen es niemals wusste, dass es dorthin wollte.“ Der Leitspruch der „quer“-Programmmacher lautet: „Expect the unexpected!“. Die Zuschauer sollen erwarten können, dass „quer“ zu den politischgesellschaftlich-kulturellen Themen, die das Land, die Region oder die Gemeinde beschäftigen, inhaltlich und gestalterisch etwas Neues, Ungewöhnliches, Überraschendes einfällt. Dazu bedarf es des Mutes, des sicheren Instinkts, der flachen redaktionellen Strukturen und einer offenen Kritikkultur bei allen am Programm Be­ teiligten. Was heute gelingt, kann aber morgen schon bloße Erinnerung an bessere Tage sein, wenn wir die Veränderung der medialen Rezeption unseres Publikums durch die digitale Revolution nicht rechtzeitig in Programm und Markenpflege umsetzen. Schon in wenigen Jahren werden ganze Zuschauerschichten unser Format nicht mehr auf linearem Wege verfolgen. Das Publikum stellt uns also vor neue Herausforderungen. Keiner weiß genau, wie die mediale Welt von morgen aussehen wird, aber eines ist sicher: Die Verbreitungswege unserer Inhalte werden vielfältiger sein. Um in der Summe weiter erfolgreich zu bleiben, werden wir zusätzlich zu einem überzeugenden linearen Auftritt unser Angebot auf alle passenden nonlinearen Plattformen erweitern müssen. Der große Zuspruch für „quer“ in seinem Blog, bei Facebook, Twitter oder im ARD-YouTube-Channel ist eine Ermutigung, auch auf diesem Weg weiter die Fühler zu unserem Publikum auszustrecken.

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Quer durch die Social-Media-Welt David Ziegler, Online-Redakteur und Community Manager bei quer, erzählt im Interview, wie die Redaktion Social Media ins Tagesgeschehen einbindet und nutzt. Wie ist „quer“ eingestiegen ins professionelle Blogging? Wir haben im Herbst 2009 das „quer“-Blog gestartet, um dort alle „quer“-Videos kommentierbar zu machen. Ein paar Monate später kamen erst Twitter und später Facebook dazu, um unsere Themen dorthin zu bringen, wo sich viele Nutzer und potenzielle Multiplikatoren im Netz bewegen. Wir laden allerdings bei Facebook und Twitter keine Videos hoch, sondern kündigen dort nur unsere Themen an beziehungsweise bewerben Videos, die auf unseren BR-Seiten liegen. Eine Ausnahme von dieser Regel bildet unser Engagement im ARD-YouTube-Channel. Dort werden unsere Videos jede Woche hochgeladen. So werden Menschen, die „quer“ nicht kennen, aber bei YouTube nach bestimmten Themen suchen, auf unsere Sendung aufmerksam. Auf Facebook haben Sie aktuell über 28.000 Fans, bei Twitter fast 11.000 Follower. Kommt über diese Kanäle auch viel Feedback? Das ist sehr themenabhängig. Emotionale Themen wie Rauchverbot, EHEC oder E10 generieren mehr Kommentare als der fünfte Bericht zur Eurokrise. Pro Woche erhalten wir etwa 10 bis 50 Reaktionen bei Twitter. Reaktionen heißt hier: Antworten oder „Retweets“ – so nennt man es, wenn unsere Twitter-Leser Meldungen von uns an ihre eigenen Leser weiterleiten. Bei Facebook sind es 300 bis 1.500 Reaktionen pro Woche. Reaktionen heißt hier: Kommentare oder der Klick auf den „Gefällt mir"-Knopf. Wieviel Zeit investieren Sie täglich/wöchentlich ins Community Management? Das reine Lesen, Freischalten, Bearbeiten und Beantworten von Kommentaren kann von einer bis im Extremfall acht Stunden pro Tag dauern. Meistens hält sich der Aufwand in Grenzen, aber wir sind darauf vorbereitet, auch viele Kommentare abarbeiten zu können. Die Bearbeitungszeit soll möglichst kurz sein, auch z. B. samstags, wenn „quer“ auf 3sat wiederholt wird. Ein Extremfall waren zum Beispiel die ersten 48 Stunden nach dem Rücktritt von Karl-Theodor zu Guttenberg, in denen wir alleine im „quer“-Blog 600 vielfach sehr umfangreiche Kommentare erhielten. Jeder einzelne wurde gelesen, wo nötig von Unsachlichkeiten befreit

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und freigeschaltet. Bei Berichten über komplexe juristische Fälle erhalten wir mitunter kritische Fragen von fachkompetenten Zuschauern im Blog. Um solche Fragen zu beantworten und vorgebrachter Kritik zu entgegnen, muss ich den Bericht noch einmal anschauen, den zuständigen Redakteur anrufen, mitunter den Autor kontaktieren oder sogar nachrecherchieren. Inwiefern werden Reaktionen von Fans und Followern von „quer“ ausgewertet und in die redaktionelle Planung mit einbezogen, zum Beispiel zur Generierung von Themenvorschlägen? Wir schauen uns jeden Themenvorschlag an, der über Blog, Facebook oder Twitter an uns herangetragen wird. Es sind allerdings wenig brauchbare. Aber man kann über die sozialen Medien mitunter schnell Betroffene suchen. Bei einem Bericht über sogenannte Geocacher, das sind Menschen die mit GPS-Geräten auf eine Art Schnitzeljagd gehen, haben wir innerhalb weniger Stunden einige bayerische Ansprechpartner für einen Bericht gefunden. Welche Beobachtungen machen Sie im Hinblick auf die Bedeutung von Social Media für den BR bzw. Ihre Redaktion? Beliebte Medienmarken wie „quer“ können über soziale Medien und die dortige Empfehlungskultur einem größeren Personen­kreis bekannt werden, jüngere Zielgruppen erschließen und vom Feedback der Nutzer profitieren. Nicht nur der Inhalt des Feedbacks nützt uns, sondern auch unsere sichtbare Offenheit für Kritik. Dass man uns per öffentlichem Kommentar kritisieren kann, steht uns gut zu Gesicht und macht uns glaubwürdiger. Worin sehen Sie aktuell die größten Herausforderungen in dem Bereich? Das Beste aus kaum vorhandenem Budget zu machen. 28.000 „quer“-Fans auf Facebook – das sieht gut aus, ist aber weit unter Potential. Ich hoffe, dass wir in Zukunft mehr Ressourcen zur Verfügung haben, um Zielgruppen unter 50 an unsere Sendung heranzuführen und zu binden. Das Interview führte Kathrin Lucia Meyer

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Den Fragen der Zuschauer bei „Jetzt red i – Europa“ stellen sich sogar Europas Spitzenbeamte wie EU-Energiekommissar Günther Oettinger in Eggenfelden/Niederbayern.

Auf Augenhöhe mit Europa Jetzt red i – Europa versteht sich als Sprachrohr der Bürger Mario Beilhack

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Vor Ort im Saal erheben sich die Menschen, bilden Gruppen, diskutieren weiter mit den Politikern, holen sich Autogramme.

„Hund hama scho, sogt ma ja so schee in Bayern, aber bei da Griechenlandkris’n ja wohl ned“, so setzt der Bauer Franz Reiter ganz bairisch an, um EU-Energiekommissar Günther Oettinger (CDU) mit einem ungewöhnlichen Vorschlag zur Lösung dieser Krise zu konfrontieren: Griechenland muss nicht die Eurozone verlassen, nein, man wertet einfach das griechische Eurogeld ab … Wir sind in Eggenfelden in Niederbayern, es ist ein Sonntagabend im Hochsommer, und die Bürgersendung „Jetzt red i – Europa“ ist vor Ort. Der Saal der örtlichen Musikschule ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Es ist eng und mit der Dauer der 90-minütigen Aufzeichnung steigt auch die Temperatur im Saal. Dennoch ist die Atmosphäre nach der ersten Aufgeregtheit beim Start der Sendung mittlerweile recht aufgeräumt. Alle anwesenden Bürger schauen gespannt auf den ehemaligen Ministerpräsidenten von BadenWürttemberg. Was wird wohl der Oettinger zu dem Vorschlag sagen. Der EU-Energiekommissar lächelt und sagt ganz klar: „Eine Abwertung hilft da nicht und ist außerdem gar nicht möglich.“ Dann huscht ein Lächeln über das Gesicht Oettingers, als er hin­ zufügt und daran erinnert, dass im Übrigen auch der Frei­staat

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Bayern früher einmal auf die finanzielle Solidarität der Bundes­ länder angewiesen gewesen sei, und warb so für den Kurs der Euro-Staaten in der Griechenlandfrage. Anerkennendes Raunen und einige Lacher im Saal. Für die Redaktion war es gar nicht so einfach, einen Termin zu finden, an dem Günther Oettinger Zeit hatte und nach Bayern kommen konnte. Gerne hätte ihn die Planerin Annette Peter schon im Frühjahr 2011 zu Gast in der Sendung gehabt – nach Fukushima und inmitten der Diskussion um den sofortigen Ausstieg aus der Kernenergie. Das hätte auch der Moderatorin Irmtraud Richardson gefallen: „Ein politisches Schwergewicht“ wie Oettinger erklärt den Bürgern in Bayern Europas Haltung zur Nuklearwirtschaft. Dazu kam es aber nicht. Stattdessen sprechen alle jetzt vom Euro und der Schuldenkrise innerhalb der Euro-Staaten. Aber ein Politprofi wie Oettinger kann auch dazu Rede und Antwort stehen. Schließlich vertritt er als EU-Kommissar nicht nur sein Fachres­sort, sondern sieht sich auch als Repräsentant der gesamten EU(-Kommission). An dem Abend ist er nicht der einzige Politiker, der den Bürgern Europa erklären und somit nahebringen soll.

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„Hund hama scho, sogt ma ja so schee in Bayern, aber bei da Griechenlandkris’n ja wohl ned“ Bürger aus Eggenfelden

„Ein Abwertung hilft da nicht und ist außerdem gar nicht möglich.“ Günther Oettinger, EU-Kommissar für Energie

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Zwei Europaabgeordnete, Manfred Weber (CSU) und Wolfgang Kreissl-Dörfler (SPD) wurden ebenfalls zur Sendung nach Eggenfelden eingeladen. Die Bürger löchern die Politiker aber nicht nur mit Fragen zur Eurokrise. Schon lange haben sie hier verstanden, dass Europäische Verordnungen und Richtlinien ihren beruflichen wie privaten Alltag mitbestimmen. Sie beklagen den Bürokratieaufwand bei europaweiten Ausschreibungen für kommunale Bauvorhaben, kritisieren umständliche Lkw-Fahrtzeitenregelungen oder regen an, endlich einen transparenten europäischen Arbeitsmarkt zu schaffen, um auf diese Weise z. B. den Mangel an Lehrlingen bzw. Lehrstellen abzufedern. Nicht immer finden sich für eine Sendung auf Anhieb ausreichend Themen. Annette Peter und die Redakteurin Helga van Ooijen waren bereits zwei Wochen zuvor in Eggenfelden, um dort Bürger zu treffen und Themen zu sondieren. Es soll sich ja nicht in jeder Sendung immer alles um die gleichen politischen Fragen drehen: Dauerbrenner wie die Ausweisung von Schutzgebieten nach der Europäischen FaunaFlora-Habitat-Richtlinie oder die Schädigung von Fischbeständen durch Kormorane. Helga van Ooijen meint: „Es kommt dabei auch auf die richtige Mischung zwischen lokalen bzw. regionalen und den ganz gro­ßen Themen an.“ Annette Peter ergänzt: „Wir müssen auch alles gründlich nachrecherchieren, schon allein damit wir uns nicht in einer Sendung zum Lobbyisten lokaler, wirtschaftlicher oder parteipolitischer Interessen machen, und die Zuschauer uns das dann in E-Mails und Zuschriften um die Ohren hauen.“ Zusammen mit dem Redaktionsleiter Stephan Keicher und den beiden Moderatoren Irmtraud Richardson und Tilmann Schöberl sprechen sie die Themen für die jeweilige Sendung durch und legen die Schwerpunkte fest. Natürlich hängt das auch von den Politiker-Gästen ab. Eingeladen werden je nach Sendungsschwerpunkt und Lage des (politischen) Terminkalenders Vertreter der Bayerischen Staatsregierung, Abgeordnete des bayerischen Landtags, des Europäischen Parlaments und Mitglieder der EU-Kommission. Da die richtige Mischung zu finden, sei gar nicht so leicht, meint Stephan Keicher. Wichtig sei, dass man die Anliegen der Bürger ernst nehme und mit der Sendung dem Bürger die Möglichkeit gebe, sich sozusagen von Angesicht zu Angesicht mit Europa-Politikern auseinanderzusetzen. „‚Jetzt red i – Europa‘ versteht sich als Sprachrohr der Bürger“, meint Keicher. Und welche Rolle haben die Moderatoren? Sie fungieren als Anwälte, sollten nachfragen und eine Schneise durch den Dschungel europäischer Kompetenzen, Richtlinien und Verordnungen schlagen. Oft aber gibt es für die Anliegen keine klaren Antworten und auch keine klaren Adressaten. Die Bürger im Saal und die Zuschauer vor dem Fernsehgerät müssen dann erfahren, wie komplex politische Prozesse und Zuständigkeiten gerade in Europa organisiert sein können. So geht es auch der Bäuerin Maria Maierhofer aus dem Rottal, die den Rückgang der bäuerlichen Landwirtschaft als

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Folge der Förderung von Biogasanlagen beklagt. Günther Oettinger erklärt ihr, dass es zwar ein gemeinsames europäisches Ziel gäbe, nämlich den Anteil der regenerativen Energie an der Stromversorgung in allen Mitgliedsstaaten auf 20 Prozent zu erhöhen. Die Umsetzung aber falle in die Zuständigkeit der Mitgliedsländer, also sei der deutsche Bundestag als Gesetzgeber hierfür verantwortlich. Fragezeichen im Saal. Jetzt sind die beiden Moderatoren gefragt. Was heißt das, wer ist jetzt Schuld daran, dass aus Landwirten zunehmend Energiewirte werden? Die EU, die Bundesregierung mit ihrer Mehrheit im Bundestag oder vielleicht am Ende doch die Landesbehörden? Der EU-Abgeordnete Wolfgang KreisslDörfler antwortet und sieht vor allem die Bundesregierung in der Pflicht. Manfred Weber, nicht nur EU-Parlamentarier, sondern auch Bezirksvorsitzender der CSU in Niederbayern, macht hingegen klar, dass man zwar vermehrt auf den Einsatz regenerativer Energie setzen müsse, um die energiepolitische Wende zu schaffen, aber eben auch die bäuerliche Kulturlandschaft schützen und erhalten müsse … Nachdenkliche Mienen bei den Bürgern. Mittlerweile sind knapp 90 Minuten der Aufzeichnungszeit um, Tilmann Schöberl beginnt mit der Abmoderation, das Orchester der örtlichen Musikschule spielt auf – im Fernsehgerät wird drei Tage später an dieser Stelle der Abspann zu sehen sein. Vor Ort im Saal erheben sich die Menschen, bilden Gruppen, diskutieren weiter mit den Politikern, holen sich Autogramme. Viele Fragen wurden beantwortet, neue Fragen aufgeworfen. Für manches Problem, das angesprochen wurde, gab es keine zufriedenstellende Lösung, aber immerhin hatten die Menschen für die Dauer einer Sendung das Gefühl, das man ihnen zuhört.

Jetzt red i – Europa Seit 1971 gibt es „Jetzt red i“ – die älteste Bürgersendung des Bayerischen Fernsehens und eine der aktuellsten zugleich. Da für Probleme bayerischer Bürger längst nicht mehr nur politisch Verantwortliche aus Bayern und Berlin zuständig sind, sondern auch Abgeordnete und politische Beamte der Europäischen Union, gibt es seit September 2005 zusätzlich zur traditionellen Sendung „Jetzt red i“ die erweiterte Ausgabe „Jetzt red i – Europa“. Das Moderatorenduo Irmtraud Richardson – sie war lange Jahre Hörfunkkorrespondentin in Brüssel – und Tilmann Schöberl ist für die Sendung in Bayern unterwegs und fragt, was den Bürgern in Sachen Europa auf dem Herzen liegt: Was läuft schief in Brüssel? Was könnte besser gemacht werden? Aber auch – was bringt die EU dem einzelnen Bürger?

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Flagge zeigen Das Notizbuch und die Energiewende Sachverstand nicht zu kurz. Den Boom der Solarenergie beobachtet die Redaktion Wirtschaft und Soziales durchaus auch kritisch. Photovoltaik-Anlagen decken derzeit drei bis vier Prozent des Elektrizitätsbedarfs. Das Zehnfache, dreißig Prozent, sollten es schon in wenigen Jahrzehnten sein, erklärt Professor Eike Weber vom Fraunhofer-Institut in Freiburg. Ein „Notizbuch“-Interview, das unter den Hörern durch­aus gemischte Reaktionen hervorruft. So einfach könne man doch die Energiewende nicht herbeizaubern, schreibt zum Beispiel Peter K. in einer E-Mail an Bayern 2.

Klaus Boffo

Drei Redaktionen, eine Sendung: das ist das „Notizbuch“ auf Bayern 2. Zwei Stunden werktäglich, in denen die Redaktionen Gesellschaft und Familie, Umwelt und Landwirtschaft sowie Wirtschaft und Soziales nicht nur informieren und unterhalten wollen, sondern durchaus Flagge zeigen. Zum Beispiel beim Thema Atomkraft: „Was wurde aus den Kindern von Tschernobyl?“, fragte der Familienfunk schon in den 90erJahren. Die gesundheitlichen Folgen der Strahlenbelastung oder das weltweit ungelöste Problem der Atommüll-Endlagerung wurden dabei nicht nur aus Expertensicht diskutiert; Menschen mit ihren Ängsten ernst zu nehmen, sie mit ihren ganz persön­ lichen Gedanken zu Wort kommen zu lassen, ist Grundprinzip dieser Vormittags-Sendung. Als die Redaktion Umwelt und Land­ wirtschaft zum „Notizbuch“ hinzustieß, kam eine ganz neue, bodenständig-pragmatische Farbe ins „Notizbuch“: Holzpellets, Biogas, Erdwärme u.v.m.; welchen Beitrag können erneuerbare Energien zu unserer Versorgung leisten? Die Ratgeber-Rubrik – täglich die letzte halbe Stunde im „Notizbuch“ – klärte über praktische Fragen wie den Wechsel des Stromanbieters auf, und un­ter der Überschrift „Energiewende selbstgemacht“ erfuhren die Hö­rerinnen und Hörer detailliert, wie viel Strom sich im Haushalt sparen lässt, wenn man nur sorgfältig mit der Energie umgeht. Bei allem umweltpolitischen Impetus aber kommt wirtschaftlicher

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Grund genug für die Redaktion, nah dran zu bleiben an diesem vielgestaltigen Thema. So wird auch gefragt nach der Rentabilität von Geldanlagen in sogenannten Bürger-Solarparks oder Windparks. Wer früh eingestiegen ist – sei es als bloßer Anleger oder als „Solar-Landwirt“ – hat bislang gut an der Energiewende verdient. Aber acht Prozent Zinsen pro Jahr sind nicht mehr so sicher, wenn jetzt die Einspeisevergütung kräftig abgesenkt wird. Und aufgepasst! Acht Prozent Zinsen sind nicht dasselbe wie acht Prozent Rendite. Denn das eingesetzte Kapital wird ja bei einer Investition in Solar- oder Windkraftanlagen nach 20 Jahren nicht einfach wieder zu 100 Prozent ausbezahlt wie bei einem Sparbrief.

Das Notizbuch will Anwalt sein für den Verbraucher, für den mündigen Patienten, und möchte Antworten geben für alle Neugierigen. Wir weisen auf Missstände hin und fragen nach den Verantwortlichen. Erzählen von neuen Lebensformen, von der flexiblen Familie, die nicht immer Mama, Papa, Kind heißen muss. Berichten über eine Vielfalt der Kulturen in Deutschland, die längst Realität geworden ist. Sprechen über Umweltschutz und Landwirtschaft, über gerechte Bildungschancen und über Sozialpolitik. Nicht Experten reden über Betroffene, sondern die Menschen kommen selbst zu Wort. Menschen mit ihren Geschichten, spannend und einzigartig. „Das Notizbuch“ spricht über Themen, bietet Gespräche und Meinungen. Leben? Eben! „Das Notizbuch“: Montag bis Freitag von 10.05 bis 12.00 Uhr auf Bayern 2.

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Fünf Fragen an … Werner Reuß, Leiter des Programmbereichs Wissenschaft – Bildung – Geschichte Wo sehen Sie für die nächsten Jahre den Schwerpunkt Ihrer Arbeit? „Bildung“ ist ein Kernauftrag des Bayerischen Rundfunks und im Gesetz ausdrücklich genannt. Den nehmen wir sehr ernst, besonders, was die Qualität unserer Angebote betrifft. Wir beobachten aber sehr genau das veränderte Mediennutzungsverhalten unserer Zuschauer/ Innen, das uns vor eine besondere Herausforderung stellt: Wir müssen mehr im Internet anbieten, ohne auf ein qualitätsvolles Angebot im Fernsehen verzichten zu können. Nur die „formale Bildung“, also unsere curricularen Angebote, wird sich mehr und mehr im Internet finden müssen, weil dieses Medium den sich stets ändernden und vielfältigen Arbeitszeitmodellen am ehesten entgegenkommt und die Inhalte dauerhaft vorhält. Aber unser Bildungsauftrag ist nicht nur auf die „formale“ Ausbildung, auf die Vermittlung von Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten beschränkt, sondern umfasst auch die „intentionale“, also die informelle und inzidentelle Bildung.

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Deshalb gehören zum Pro­ grammbereich Sendungen wie „Querbeet“, „Gesundheit“, „LaVita“, „Geschichte“, „natureXclusiv“, „Faszination Wissen“ etc. Wie gewährleisten Sie die Programmqualität für Ihren Bereich? Wichtig ist der eigene hohe Anspruch, ein Sendeplatzprofil und eine permanente, sowohl redak­ tionsimmanente als auch – in re­ gelmäßigen Abständen – externe Evaluierung. Dabei geht es nicht nur um die Professionalität des Handwerks, sondern auch um die Relevanz der Themen und ihre inhaltliche Aufbereitung. Zudem müssen wir – wo möglich – Bezüge zum Alltag unserer Zuschauer/Innen berücksichtigen und/oder herstellen. Wir müssen was zu sagen haben: anschaulich, verständlich, nützlich, aber auch freundlich, charmant und – im besten Sinne des Wortes – unterhaltend; d.  h., wir müssen mit den Menschen ins Gespräch kommen und vor allem unsere Protagonisten respektvoll behandeln. Halten Sie die bestehenden Angebote zur Meinungsbildung und Orientierung im Bayerischen Fernsehen für ausreichend? Grundsätzlich finde ich die Angebote des BR sehr gut. Der Versuch, Orientierung zu geben, findet in den allermeisten Programmen statt und wird von allen Redaktionen als wichtiger Auftrag verstanden. Mit Angeboten wie „Das Baye-

rische Jahrtausend“ versuchen wir z. B. auch in der Geschichtsredaktion, unsere Gegenwart aus der Vergangenheit heraus zu erklären. In unserer Sendung „Gesundheit“ versuchen wir aufzuklären, Tipps zur Prophylaxe zu geben. „Faszination Wissen“ wiederum erklärt uns nicht nur die Neuheiten in Wissenschaft und Technik, sondern setzt sich auch mit Chancen und Risiken auseinander. Und nicht vergessen: das große, zumeist bewusst komplementär ausgerichtete Angebot von BR-alpha. Wie lassen sich Ihrer Meinung nach jüngere Zuschauer für Themen aus der Welt der Natur- und Geisteswissenschaften gewinnen? Jüngere Zuschauer/Innen suchen oft knappe und modern aufbereitete Informationen aus Natur und Umwelt, aus Wissenschaft und Technik, aus Kultur und Gesellschaft, aber auch für Schule und Beruf. Und junge Mediennutzer sind gute Gradmesser für „Trends“ und neue Möglichkeiten. Aber wir müssen nicht jedem Trend hinterherhecheln. Der Spagat zwischen dem Erhalt des Bewährten und dem notwendigen Neuen in Technik, Form und Inhalt stellt uns vor besondere Herausforderungen: Wir wollen ja nicht nur modern, ansprechend und „unterhaltend“, sondern auch möglichst umfassend, verlässlich und glaubwürdig informieren und berichten. Da spielt das Internet natürlich eine große Rolle. Als professionelle Fern-

sehmacher bieten wir Videos in einer bestechenden Qualität, wie man sie sonst im Netz sehr lange suchen muss. Wir wissen aber auch, dass Jugendliche nach wie vor ganz gerne fernsehen. Wir müssen und wollen also beides anbieten: Neue Vermittlungsformen im Netz und klassisches, modern gemachtes Fernsehen. Was bedeutet „Barrierefreiheit“ im Zeitalter trimedialer Medien­ angebote? Barrierefreie Angebote sind wichtig für alle Menschen mit Einschränkungen ihrer Sinneswahrnehmungen. Nur mit diesen Angeboten kann eine Teilhabe am politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Leben gewährleistet werden. Wir werden und wollen unsere klassischen Angebote wie Videotextuntertitelung und Audiodeskription aufrechterhalten. Zudem wollen wir die einzigartige Sendung „Sehen statt Hören“, eine Art „Bayerisches Fernsehen kompakt“, fort­ setzen. Das Internet bietet neue Chancen, wenn man nur an den Ausbau barrierefreier Angebote in der Mediathek oder auch den vermehrten Einsatz der Gebärdensprache bei VoD-Angeboten denkt. Wir sind in Gesprächen mit den entsprechenden Verbänden und bemühen uns, alle Ausspielarten optimal für die Verbesserung und den Ausbau barrierefreier Angebote zu nutzen.

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Bühne der Politik: München im 20. Jahrhundert Mit der Sendereihe Das Bayerische Jahrtausend schildert der BR die großen historischen Zeitströmungen, die die Städte, Regionen und Menschen in Bayern über zehn Jahrhunderte hinweg prägten. In der letzten Folge der zehnteiligen Reihe steht München im Mittelpunkt. Mario Beilhack

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„München leuchtete“, schreibt Thomas Mann zu Beginn des 20. Jahrhunderts und kann noch nicht ahnen wie grausam und grell dieses Leuchten bisweilen noch sein würde. In dem eindrucksvollen Filmessay (Idee und Buch: Christian Lappe, Redaktion Geschichte und Gesellschaft) führt uns Erzähler Udo Wachtveitl durch München als Ort politisch-medialer Inszenierungen im 20. Jahrhundert. Es sind bestimmte Straßenzüge wie die Ludwigstraße oder der Königsplatz, die für diese politischen Inszenierungen die ideale Bühne bieten. München steht im Licht der großen Politik und liefert von Anfang an die Bilder dazu: Wir sehen den bejubelten Auszug des königlichen Leibregiments aus der Residenz, vorbei an der Feldherrnhalle auf die Ludwigstraße im Jahre 1914. Münchens Grundstein als Film- und Medienstadt war bereits gelegt, als noch vor dem ersten Großen Krieg erste „Filmstudios“ im Süden auf dem Gelände der heutigen Bavaria-Film entstanden. Die BR-Dokumentation greift diese Bilder auf, mischt sie mit Reenactment-Szenen und Auftritten des Erzählers Udo Wachtveitl an den jeweiligen Originalschauplätzen. Auf diese Weise zeigt der Film, wie München zu einer Spielstätte für die politischen Umwälzungen des 20. Jahrhunderts werden konnte. Die Stadt schien sich geradezu für jedwede Art der politischmedialen Inszenierung zu eignen: Antikriegsdemonstration auf der Theresienwiese unter dem wachenden Auge der Bavaria im Herbst 1918, dann Revolution und Räterepublik. 1923 folgt der Hitlerputsch, und nach der Machtergreifung durch die Nazis 1933 Fahnenschwüre und Soldatenaufmärsche auf dem Königsplatz. Die Kameras waren einmal mehr nicht nur Zeugen des Geschehens, sondern sie wurden gezielt eingesetzt und damit wieder zu einem festen Bestandteil der propagandistischen Inszenierung von Politik. Nach dem Zusammenbruch des Naziregimes 1945 zeigen die ersten bewegten Bilder aus einem befreiten Deutschland eine Fronleichnamsprozession entlang der in Trümmern liegenden Pracht- und Aufmarschallee, der Ludwigstraße. Erzähler Wachtveitl erklärt dem Zuschauer, wie München neu ersteht und die Trümmer der Stadt allmählich an den Rand verschwinden, wo sie zu einem Schuttberg wachsen, der Jahre später München wieder zum Leuchten bringen sollte: 1965 dann die zündende Idee, das Olympische Feuer nach München zu holen. Die Stadt bekommt den Zuschlag. Sportlich, friedlich und heiter sollen sie werden, die Sommerspiele. Die Dokumentation zeigt einen Modellsegler, der seine Kreise über das im Bau befindliche Olympiagelände zieht. Natürlich ist der Himmel blau. Schnitt: Wir sehen eine typische Kleinfamilie der Endsechziger im Olympiapark spazieren gehen, der Vater filmt den Ausflug mit seiner

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Super-8-Kamera. Es flattern die bunten Fahnen der Spiele, auf dem olympischen Gelände tummeln sich Menschenmassen – eine Art Riesenpicknick-Happening zwischen Turm, See und Berg. Und dann der Schock: die Geiselnahme israelischer Sportler durch palästinensische Terroristen. Wieder steht München im Zentrum eines Weltkonfliktes, wieder gehen Bilder um die Welt. Wieder wird die Stadt zur Bühne einer politisch-medialen Inszenierung. Die nicht aufgearbeitete Vergangenheit scheint die Stadt eingeholt zu haben. Schnitt, letzte große Szene: Der Sarg mit dem Leichnam des Ministerpräsidenten Franz-Josef Strauß wird – begleitet von Abordnungen der Polizei und der Bundeswehr – durch die Ludwigstraße zum Siegestor gezogen. Ein letztes Mal im 20. Jahrhundert werden die Münchner Zeugen einer großen Inszenierung. Sie suggeriert, dass eine große politische Ära zu Ende gegangen ist. München bot im 20. Jahrhundert immer wieder nicht nur einen Schauplatz der Geschichte, sondern wie keine zweite Stadt Bayerns eine Bühne für die Politik. Das Resümee der großen München-Dokumentation zieht der Filmerzähler Udo Wachtveitl: „Die Geschichte Münchens im 20. Jahrhundert zeigt, dass es die eine Geschichte nicht gibt, und es eine Deutungshoheit über die Geschichte nicht geben darf. Der Blick auf das Ganze und der Perspektivenwechsel helfen, sich ein Bild von der Geschichte zu machen und zu verstehen, was einmal geschehen ist.“

Die Geschichte Münchens im 20. Jahrhundert zeigt, dass es die eine Geschichte nicht gibt, und es eine Deutungshoheit über die Geschichte nicht geben darf.

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Udo Wachtveitl mit Autor Matthias Sebening und Kameramann Holger Neuh채user auf der Theresienwiese

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Heinrich II. ist mit seiner Gemahlin Kunigunde nach Bamberg gekommen, um dort der Weihe des Ecksteins des Bamberger Doms beizuwohnen.

Das Bayerische Jahrtausend Zehn bayerische Städte, zehn Jahrhunderte und zehn Paradigmen stehen im Zentrum der Sendereihe „Das Bayerische Jahrtausend“. Zehn Filme charakterisieren historische Marksteine vom frühen Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert, die prägend waren für die Entwicklung des Freistaats in seiner heutigen Form. Udo Wachtveitl, bekannt aus dem Münchner „Tatort“, begleitet den Zuschauer durch „Das Bayerische Jahrtausend“ – als Spurensucher und als Fragender. Mit Spielszenen, Computeranimationen und Interviews entsteht ein zeitnahes und authentisches Bild der jeweiligen Epoche. So wird am Beispiel Bamberg und seinem Dom der Wandel im mittelalterlichen Denken aufgezeigt (11. Jh.). Würzburg steht für das Phänomen der Territorialisierung (12. Jh.), das Thema „Fernhandel“ ist für Regensburg im 13. Jahrhundert bedeutend, in der niederbayerischen Herzogresidenz Straubing entwickelt sich im 14. Jahrhundert die Schriftlichkeit der Besitz- und Rechtverhältnisse, und Nürnberg wird mit seinen Erfindungen und höchster Handwerkskunst berühmt (15. Jh.). Welthandel, Kapitalismus und Globalisierung tauchen im Augsburg des 16. Jahrhunderts auf, während in Ingolstadt im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges das öffentliche Recht und eine bayerische Behördenorganisation entstehen (17. Jh.). Erlangen profitiert nach dem Willen seines Landesherrn im Zeitalter der Vernunft vom Erfinderfleiß seiner Glaubensflüchtlinge (18. Jh.) und Fürth von der Eisenbahn, die die Industrialisierung mit sich bringt (19. Jh.).

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Fünf Fragen an … Walter Schmich, Programmbereichsleiter Bayern 3 – Jugend

Wie kann die Jugend vom Wert des öffentlich-rechtlichen Rundfunks überzeugt werden? Wir bieten den Jugendlichen mit den Inhalten unserer Jugendsendungen und vor allem mit musikalischer Newcomer-Förderung auf verschiedenen Ausspielwegen wesentlich mehr als unsere privaten Mitbewerber. Aber es ist wichtig, dass das, was wir machen, auch bei den Jugendlichen ankommt. Dazu müssen wir mit unseren Inhalten dorthin, wo sich Jugendliche aufhalten, und zwar sowohl im realen als auch im virtuellen Raum. Wir müssen auf Großveranstaltungen mit überwiegend jugendlichem Zielpublikum wie „Rock im Park“ präsent sein und parallel dazu soziale Netzwerke wie „Facebook“ nutzen, um Jugendliche anzusprechen. „Die Jugend“ ist keine homogene Zielgruppe, genauso wenig wie „die Erwachsenen“. Kann es da überhaupt ein Programm für alle geben? Ein Jugendprogramm wird immer Kom­ promisse eingehen, genauso wie man mit Bayern 3 auch nicht alle 30- bis 50-Jähri-

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gen erreichen kann. Fakt ist aber, dass Musik gerade bei den jugendlichen Hörern eine sehr große Rolle spielt Man hat gute Chancen, ein „breites, junges Publikum“ zu erreichen, wenn man in einem Programm rund um die Uhr „die Jugendlichen“ gezielt mit Moderatorinnen und Moderatoren anspricht, die auch die Sprache der Jungen sprechen. Ist Radio für die Jugend überhaupt noch ein wichtiges Medium? Auf alle Fälle. Sämtliche Zahlen aus der Medienforschung zeigen uns, dass die Radionutzung in Bayern steigt. Auch bei den Jugendlichen wird nach wie vor ein hohes Maß an Radionutzung nachgewiesen. Selbst wenn wir vor allem in dieser Zielgruppe zusätzliche Konkurrenz durch MP3Player haben. Wie in allen anderen Zielgruppen auch, ist vor allem die persönliche Ansprache ein wichtiger Pluspunkt, den gerade der MP3-Player nicht bieten kann. Insofern sind starke Radio-Personalitys als Moderatoren wichtig. Wie wichtig ist für Bayern 3 die Ver­ankerung in Bayern? Wir wollen „Radio aus Bayern für Bayern“ machen und versuchen regelmäßig, in allen sieben Regierungsbezirken präsent zu sein. Regionale Themen sind für unsere Hörerinnen und Hörer von großer Bedeutung, und so ver­suchen wir mit den Inhalten in unserem Programm die ganze regionale Vielfalt Bayerns abzudecken. Auch unsere Mode­ra­torinnen und Moderatoren,

die aus un­terschiedlichen Regionen in  ganz Bayern stammen, sollen ihre Herkunft nicht verheimlichen und dürfen auch mal in fränkisch, schwäbisch oder altbairisch mo­derieren. Zudem haben wir in unserer wichtigsten Sendung, den Bayern 3-Frühaufdrehern, die ja von einem DreierTeam moderiert werden, auch ganz bewusst auf einen konsequent bairisch sprechenden Moderator („Fleischi“) gesetzt. Mit Sendungen wie „Mensch, Otto!“ sprengt Bayern 3 das klassische Format einer Popwelle auf. War das ein Risiko? Die damalige Entscheidung war nicht ganz ohne Risiko, da man uns prophezeit hatte, mit einem derart hohen Wortanteil in der Stunde würde die Quote sicher sinken. Ein öffentlich-rechtliches Hörfunkprogramm muss sich aber auch trauen, andere Wege zu gehen und einen gewissen Mehrwert zu bieten. In dem Fall waren uns Konzept und Inhalt der Sendung wichtiger als der Quotendruck. Das Schöne an der Geschichte ist schließlich, dass wir heute sogar mehr Hörer in dieser Sendezeit haben als mit dem vorherigen Angebot, einer Musiksendung. Der Hörer honoriert also unseren Mut zum Risiko.

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Tragisch, skurril, aber auch komisch Mensch, Otto! – der etwas andere Talk Thorsten Otto

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Da sitzt er nun vor mir, sehr aufrecht, lächelt und ich suche in seinem Gesicht nach Anzeichen dafür, dass er in einer anderen Welt lebt. Dr. Peter Schmidt hat das Asperger-Syndrom, eine besondere Form des Autismus. Blitzschnell kann der promovierte Geophysiker komplizierte Integrale im Kopf berechnen, ist aber schon damit überfordert, ein Küchenmesser zu bedienen. Auch ist er nicht in der Lage, die Mimik seiner Mitmenschen zu deuten. Gleichzeitig ist er hochbegabt: IQ 148 – Einstein hatte auch nicht mehr. Für Menschen, die nichts von seinem „Asperger“ wissen, ist er der komische Kauz, der das Obst quadratisch anordnet und in Stress-Situationen zu tänzeln beginnt. Ein Blick hinter die „Mauer“ von Peter Schmidt muss faszinierend sein und somit ist er der ideale Gast für „Mensch, Otto!“. Weit mehr als 600 Geschichten haben wir erzählt seit dem Sen­destart im Oktober 2008, tragische, skurrile, aber auch komische Geschichten von Menschen, die alles sein dürfen – nur nicht langweilig! Eine der meistgestellten Fragen an unser kleines Team: Wie kommt ihr bloß an all diese unterschiedlichen Gäste? Die Antwort ist ganz einfach: Recherche, Recherche und nochmal Recherche! Unsere beiden Redakteurinnen Franziska Paskuda und Marion Fuchs sind unermüdlich auf der Suche nach Menschen, die eine spannende Lebensgeschichte haben. An dieser Stelle geht ein großes Dankeschön an die aufmerksamen Bayern 3-Hörer, die uns regelmäßig interessante Personen vorschlagen, die dann bei „Mensch, Otto!“ im Idealfall zum ersten Mal öffentlich über ihr Leben sprechen. Natürlich sollte ein Gast nicht nur eloquent sein und farbig erzählen können, er sollte auch in der Lage sein, den Hörern mit seiner Geschichte Mut zu machen, eine neue Perspektive zu eröffnen oder sie einfach nur zum Nachdenken anzuregen. Er sollte sein wie Dr. Peter Schmidt. „Thorsten Otto, der Name klingt dunkel, fast schwarz“, sagt er in seinem merkwürdig gleichmäßigen, leicht abgehackten, aber nicht unsympathischen Tonfall. „Das geht ja gut los“, denke ich mir, aber bevor ich nachfragen kann, klärt er mich auf: „Das ist keine Wertung, es ist nur so, dass jedes Wort für mich eine bestimmte Farbe und einen bestimmten Klang hat.“ Als Synästhetiker hat Peter Schmidt eine Vorliebe für bestimmte Zahlen, nach denen er auch sein Hochzeitsdatum ausgerichtet hat. Als wir die Aufzeichnung fünf Minuten vor der vollen Stunde beginnen wollen, kann er seine Unruhe nur mühsam verbergen. „Die Fünf ist keine gute Zahl, vielleicht können wir noch ein paar Minuten warten.“

Bei welchem Thema fühlt er sich wohl? Was mag er gar nicht?) fließen natürlich in die fünfseitige Akte ein, mit der ich mich auf jeden Gast vorbereite. Und nur, wenn ich eine konkrete Vorstellung vom jeweiligen Gast habe, kann ich mich zu seinem Kern vortasten, zu dem, was ihn ausmacht. Als „Skelett“ des Gesprächs dient unser „Mensch, Otto!“-Lebenslauf, den wir für jeden Gast verfassen. Das Motto von Peter Schmidt, „Wer neue Wege gehen will, muss ohne Wegweiser auskommen“, ist dann auch in der Sendung der Schlüssel zu seiner Welt: In der ist der Atlas mit seinen Straßen und Linien sein liebstes Buch. Gefühle wie Liebe etwa empfindet er nicht selbstverständlich, sondern musste er erst mithilfe von Filmen wie „Vom Winde verweht“ analysieren und entschlüsseln. In Schmidts Leben gilt ausschließlich das gesprochene Wort; denn Ironie ist ihm genauso fremd wie vielsagende Blicke oder Sprachbilder. „Der Satz einer Lehrerin ‚Von dem könnt ihr euch eine Scheibe abschneiden‘ hat mich in meiner Schulzeit in Panik versetzt, ich habe gedacht, die holen jetzt ihre Messer raus.“ Mit 40 erst hat Peter Schmidt begriffen, was es bedeutet, einem anderen einen „Bärendienst“ zu erweisen. Nur ansatzweise kann ich mir vorstellen, wie schwierig der Alltag für ihn trotz seiner enormen Begabung immer wieder sein muss. Auch die Reise zu uns nach München war für ihn eine einzige Anstrengung, aber da er so vor einer großen Öffentlichkeit für mehr Verständnis für Autisten werben konnte, „hätte sich das alles gelohnt“. Allein im Dezember 2011 ist das Gespräch mit ihm knapp 20.000 Mal als Podcast runtergeladen worden. Das Hörer-Feedback zur Sendung war überwältigend, exemplarisch die Mail von Schülerin Anna: „Musste die Matheaufgabe links liegen lassen, bin restlos begeistert vom Gast, vielen Dank für die Sendung!“ Und wir? Wir bedanken uns bei unseren Gästen.

Da ist es sehr hilfreich, dass ich aus dem Vorgespräch meiner Redakteurin mit Herrn Schmidt weiß, dass es bei ihm bestimmte Eigenheiten gibt, auf die wir Rücksicht nehmen müssen. Diese Vorgespräche sind bei besonderen Gästen wie Herrn Schmidt noch wichtiger als die detaillierte Zeitungs- und Internetrecherche; denn diese fernmündlichen Eindrücke (Wie spricht er?

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G esel lschaftswert Mei n u n gsvi elfalt u n d o r i enti er u n g

„Es gibt keine einfachen Antworten“ Theo.logik auf Bayern 2 hilft bei der Orientierung im Deutungswirrwarr Wolfgang Küpper

Kürzlich hat jemand gemeint, als Hörfunk-Journalist für den Bereich Religion und Kirche zu arbeiten, das müsse doch das reinste Abenteuer sein. Was es da allein bei den vielen Reisen in alle Welt zu erleben gebe! Nun, zu den Journalisten, die sehr viel reisen, gehöre ich nicht. In jedem Jahr gibt es in Deutschland einen Kirchentag, und nach Rom komme ich als Kirchen-Redakteur auch ab und an. Das Konklave und die Wahl von Benedikt XVI. habe ich aus unmittelbarer Nähe miterlebt. Beeindruckend war es, den Papst auf seinen Reisen in die USA nach Washington, New York und ein Jahr später nach Israel zu begleiten. Eingeprägt hat sich die Szene in Naza­reth, als ich am Straßenrand stand und über eine mobile SatellitenEinheit – sie lässt sich in einem Rucksack verstauen – live für mehrere ARD-Anstalten geschildert habe, wie Juden, Muslime und Christen in der Stadt Jesu friedlich miteinander leben und wie der Gottesdienst des Papstes an diesem Tag verlaufen war. Die direkte, unmittelbare Berichterstattung von großen Ereignissen ist unerlässlich und wichtig. Aber abenteuerlicher – und damit mindestens genauso wertvoll – scheint mir das zu sein, was jeden Tag, Woche für Woche in einer Fachredaktion Religion und Kirche kreativ geleistet wird, damit ein hörenswertes Programm entsteht. Ein großer Teil unserer Arbeit besteht im Nachdenken, über Gott und die Welt, über Sinn und Unsinn, über Greifbares und

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wundersam Göttliches. Das Nachdenken über Religion aber ist schwieriger geworden. Weil nicht jeder heute einfach nur glaubt, was die Eltern oder die Großeltern geglaubt haben. Weil in einer global vernetzten Welt unzählige Deutungen des Lebens miteinander konkurrieren und jeder zwangsläufig selbst denken, prüfen, ausprobieren, nachspüren, diskutieren und meditieren muss. Auf viele dieser Fragen gibt es keine einfachen Antworten, auch nicht im Hörfunk. Aber wir versuchen, mit unseren Sendungen Angebote zu liefern, die bei der Orientierung im Deutungswirrwarr helfen könnten. Im Jahr 2008 ist so – zusätzlich zu unserem bestehenden Programmangebot – „Theo.logik“ in Bayern 2 entstanden, zu hören montags zwischen 21.00 und 22.00 Uhr. Gleichsam aus dem Nichts konnten wir eine neue Sendung erfinden. Einzige Vorgaben: keine reine Tagesaktualität abbilden, keine Wochenchronik aufzeichnen, sondern selbstständig Themen aus dem Bereich Religion, Theologie, Kirche, Philosophie finden, entwickeln und umsetzen. Ein ausgesprochen spannender, schöpferischer Prozess ist auf diese Weise entstanden. Im Abstand von sechs bis acht Wochen werden bei uns die Schwerpunktthemen für „Theo. logik“ in der großen Redaktionsrunde geplant. „Frei schwebend“, ohne einengende Fesseln kann jeder, der an der Sendung mit­ arbeiten möchte, seine Ideen einbringen:

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m e i n u ng sv i elfa lt u n d or i e nti er u ng gese l lschaftswert

„Die Kirche im Dorf. Leben und Leiden auf dem Land“, „In guten wie in schlechten Zeiten … Wer lässt sich heute wann binden?“, „Christenverfolgung. Gewalt im Namen des Glaubens“, „Schänder Gottes. Die katholische Kirche und der sexuelle Missbrauch“, „Menschenwürde. Unantastbar!“, „In- und auswendig. Wir sind, was wir erinnern“, „Frauenarbeit und Männerseelsorge. Wird der Glaube immer weiblicher?“, „Fair statt prekär. Wie familienfreundlich sind die Kirchen als Arbeitgeber?, „Ein Jahr danach. Der Arabische Frühling und die Religion“ – Die Liste der Themen ist noch um einiges größer, und Woche für Woche kommt ein neues hinzu. An einem Montag im April 2011 ging es in „Theo.logik“ um „Freiheit und Verantwortung“. Mein Studiogast an diesem Abend hieß Joachim Gauck. Ohne zu zögern hatte er unsere Einladung ins Münchner Funkhaus angenommen, damals noch als „ehemaliger Bundespräsidenten-Kandidat“. Genau ein Jahr später haben wir das Gespräch mit dem jetzt amtierenden Bundespräsidenten wiederholt und uns mächtig gefreut.

Ein großer Teil unserer Arbeit besteht im Nachdenken, über Gott und die Welt, über Sinn und Unsinn, über Greifbares und wundersam Göttliches. <

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G esel lschaftswert migratio n u n d i ntegratio n

Ihr seid wir. puzzle – das InterKulturMagazin des BR Özlem Sarikaya

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m i grati on u n d i ntegrati on gese l lschaftswert

„Was wissen wir Deutschen schon über uns Türken“, mit diesem Satz bringt es der türkischstämmige Kabarettist Fatih Cevikkollu auf den Punkt: Wir wissen oft zu wenig vom „Anderen“. Dabei ist der „Andere“ vielleicht gar nicht so anders. Und vielleicht ist etwas, das anders ist, eigentlich ganz gut, vielleicht kann man daraus etwas für sich gewinnen. Wir sind alle geprägt und geleitet von Vorurteilen. Und unsere Gesellschaft denkt oft in Gegensätzen, unterscheidet zwischen „Ihr“ und „Wir“, steckt Menschen in Schubladen: die Türken, die Griechen, die Deutschen, die Christen, die Moslems ... Dabei ist es heute nicht mehr so einfach, eindeutige Zuordnungen vor­-­ zu­nehmen. Vieles lässt sich heute nicht mehr trennen. Türkischund Griechischstämmige sind auch Deutsche, viele Deutsche auch Moslems ... Dieses Selbstverständnis ist einer der Pfeiler des In­ terKulturMagazins „puzzle“. Kulturschaffende mit einer Zuwanderungsgeschichte wie der Kabarettist Fatih Cevikkollu, der Schriftsteller Nicol Ljubic, der Rapper Samy Deluxe und viele andere leben nicht zwischen den Kulturen, sondern zumeist mit ver­ schiedenen Kulturen. Sie haben Bindestrichidentitäten: Sie sind Deutsch-Türken, Afro-Bayern, Schwarze Deutsche ... eben so, wie sich unsere Protagonisten selbst definieren.

Gesellschaft als Puzzle Das Bild der Migranten, das in den Medien gezeichnet wird, ist oft negativ behaftet. Menschen mit Zuwanderungsbiografien nur als Opfer oder Täter darzustellen, entspricht nicht der Realität, nicht unserem gesellschaftlichen Alltag. „puzzle“ zeigt den kulturellen Reichtum unserer Gesellschaft in all seinen Facetten. Ein Puzzle besteht aus vielen verschiedenen Einzelteilen, mit verschiedenen Formen und Nuancen. Und fehlt ein Teil, so ist das Gesamtbild nicht vollständig. „puzzle“ betrachtet unsere Gesellschaft als eine Einheit, in der sich die Menschen mit unterschiedlichen Sprachen und Temperamenten ergänzen, sich gegenseitig beeinflussen und prägen.

Heimat und Identität Mit der Einteilung der Menschen in Nationalitäten, mit Diskussio­nen um Integration, Assimilation oder Leitkultur hält sich „puzzle“ nicht auf. Vielmehr zeigt „puzzle“ einige Blüten der Begegnung der Kulturen in unserem Land: afrikanische Dirndl, fränkische Kirchweih­­mu­sik auf russischen Rap, den Geschmack der alten vietnamesischen Heimat, preisgekrönte deutsche Gastarbeiter-Fashion, „koscherer“ Humor in deutschen Kinos ... Es geht um Identität und Heimat und um ein Bild der Bayern und Deutschen, das vor über 50 Jahren, als die ersten Gastarbeiter nach Deutschland kamen, ein anderes war.

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Die „puzzle“-Macher „puzzle“ besteht aus einem Redaktions- und Autorenteam mit und ohne Migrationsgeschichte. Unabhängig von der Herkunft der Sendungsmacher ist es gerade bei einer Sendung mit Themen, die mit vielen Vorurteilen behaftet sind, wichtig, dass jeder Einzelne eine Sensibilität besitzt. Die „puzzle“-Macher legen Wert auf genaues Hinschauen. Sie achten darauf, dass z. B. betende Menschen in einer Moschee nicht aus einer Perspektive gefilmt werden, von der aus man nur die Gesäße der Betenden sieht. „puzzle“ scheut sich auch nicht davor, Menschen, die aufgrund ihrer Mi­ grationsgeschichte unsicher in der Beherrschung der deutschen Sprache sind, trotzdem vorzustellen. Ein Akzent ist kein Makel und macht einen Menschen nicht weniger interessant oder ihn nicht weniger zum Experten seines Faches. Auch die Drehorte müssen nicht zwangsläufig der ersten Idee, die einem durch den Kopf geht, entsprechen. So sieht sich etwa ein jüdischer oder muslimischer Autor genauso wenig automatisch in einer Synagoge oder einer Moschee wie ein Christ zwangsläufig in einer Kirche. In jedem Fall ist es wichtig, zu differenzieren. Und die oberste Maxime von „puzzle“ ist es, den Menschen mit all ihrer Unterschiedlich­keit auf Augenhöhe zu begegnen. Kulturelle Vielfalt in Deutschland macht vor allem viel Spaß!

Hallo Almanya! Erste deutsch-türkische Infotainmentshow im deutschen Fernsehen Die Infotainmentshow „Hallo Almanya!“ hat die kulturelle Vielfalt Deutschlands auf ganz besondere und einzigartige Weise gewürdigt: Der Bayerische Rundfunk hat zusammen mit der TRT, der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt der Türkei, den 50. Jahrestag des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens mit einer Fernsehshow gefeiert: Eingeladen waren prominente Gäste wie Schauspielerin und Schriftstellerin Renan Demirkan, der Touristikunternehmer Vural Öger, die Macherinnen des Kinoerfolgs „Almanya – Willkommen in Deutschland“, die Schwestern Yasemin und Nesrin Samdereli, oder Erhan Önal, der durch seinen Aufstieg in den Profi-Kader des 1. FC Bayern der erste türkischstämmige Spieler in der Fußball-Bundesliga wurde.

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G esel lschaftswert migratio n u n d i ntegratio n

„Typisch griechisch, oder?“ Eleni Iliadou und Interkulturalität im Hörfunk Sybille Giel

„Differenzieren, differenzieren, differenzieren! Wenn es um Einwanderung und kulturelle Vielfalt geht.“

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m i grati on u n d i ntegrati on gese l lschaftswert

„Sieh mal, Sybille, ‚kopftuchtragende, unterdrückte Muslima‘ – das ist auch wieder so ein Klischee über türkische Frauen, da dürfen wir nicht drauf reinfallen!“, sagt Eleni Iliadou mit Nachdruck. In schnellen klaren Worten erklärt sie der Runde von Autoren, die sich in ihrem Büro zusammengefunden haben, warum sie es so wichtig findet, dass Journalisten ganz genau hinschauen: „Differenzieren, differenzieren, differenzieren! “ Die temperamentvolle Griechin – ist das jetzt auch ein Klischee? – ist Kopf und Seele des Interkulturellen Ressorts. Eleni Iliadou kann sehr streng und leidenschaftlich sein, wenn es um ihre Themen geht, um Einwanderung und kulturelle Vielfalt. Es ist Montag, kurz nach 10.00 Uhr, Sitzung im Interkulturellen  Res­sort in der Redaktion Gesellschaft und Familie. Themen für das Interkulturelle Magazin in B5 am Sonntag werden gesucht, heiß diskutiert, wieder verworfen, noch mal neu gedacht und schließlich für gut befunden. „‚Der Russe ist einer, der Birken liebt‘ – das ist der neue Roman von Olga Grjasnowa, der muss in die Sendung“, meint Roswitha Buchner. Sie hat Islamistik studiert und lebt immer einige Zeit in Istanbul. Andre Vincze, ein Ungar, der in Belgien aufgewachsen und nun in München verwurzelt ist, kennt den Witz, der hinter dem Titel steckt: „Russen umarmen angeb­lich Birken, wenn sie zu viel Wodka getrunken haben!“ Gelächter in der Runde. Die junge Schriftstellerin Grjasnowa ist in Aser­ baidschan geboren und in Deutschland groß geworden. In ihren Romanen geht es um die eigene Identität, um die Suche nach Zugehörigkeit in einer Gesellschaft, und natürlich um das Spiel mit Klischees und Vorurteilen. Themen, die den Journalisten, die selbst oft eine Einwanderungsgeschichte haben, ganz vertraut sind. In den letzten neun Jahren hat Eleni Iliadou so ein Team aufgebaut, das sich um all die gesellschaftlich relevanten Themen rund um Einwanderung und Integration kümmert. Das war nicht immer so. In ihrem ersten Leben im BR war sie Leiterin der Griechischen Redaktion, einer der drei „Ausländerprogramme“ des BR, die Sendungen in der jeweiligen Muttersprache für die erste Generation der Gastarbeiter gemacht hat. Bis diese Sendungen abgeschafft wurden und plötzlich italienische, griechische und spanische zusammen mit den deutschen Radiomachern der Redaktion Gesellschaft und Familie die Aufgabe zu lösen hatten, ein interkulturelles Programm zu entwickeln. Der Anfang war nicht einfach, aber dafür umso spannender: Die „Deutschen“ und die „Ausländer“ haben gemeinsam um Themen gerungen, auch mal gestritten über „unterdrückte muslimische Frauen“ oder das deutsche Bildungssystem, und sich dann immer wieder darauf geeinigt, wie wichtig es ist, Geschichten von Menschen zu erzählen, damit die Geschichte der Einwanderung nichts Fremdes bleibt. Ein Höhepunkt war, als das so entstandene Feature von Eleni Torossi „Verlassen und auf sich selbst gestellt – Die Kinder der Gastarbeiter“ den Civis-Preis, den europäischen Medienpreis für kulturelle

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Vielfalt gewann. Das Feature über die Kinder der ersten Gast­ar­ beiter erzählt, wie sie in der Heimat, meist bei Verwandten, zurückbleiben mussten. Wenn sie dann Jahre später endlich zu ihren Eltern nach Deutschland kamen, wurden sie oft enttäuscht: Die Eltern arbeiteten pausenlos und hatten keine Zeit für ihre Kinder. Für die Kollegen mit einer eigenen Einwanderungsgeschichte gehörte das zum Allgemeinwissen, für deutsche Radiomacher war das zunächst Neuland. Sechs Jahre ist das nun her. Zurück ins Hier und Jetzt des Jahres 2012: Montag 11.30 Uhr, Zeit für die Sitzung für das tägliche Magazin „Notizbuch“ auf Bayern 2: Was könnte Ende der Woche für die Diskussion „Notizbuch“-Freitagsforum spannend sein? „Europäisches Jahr für Aktives Altern“, liest die Moderatorin Jutta Prediger vor. Wie könnten wir das allgemeinverständlich machen? Vielleicht mithilfe der Frage: Wie wollen wir im Alter leben? Als WG, in einem Seniorenheim und wie sieht beispielsweise das Leben im Alter für jemanden aus, der zwei Heimaten hat, z. B. München und Izmir? Genau da sind sich alle einig, es ist wichtig, das Thema „Migration“ miteinzubeziehen, das Thema Alter eben nicht nur aus dem „deutschen“ Blickwinkel zu betrachten. Konkret heißt das: In die Diskussionssendung kommt ein Studiogast aus Niederbayern, einer aus München, und der dritte Gast ist geboren in Südspanien, lebt aber seit seinem elften Lebensjahr in München. Sie werden von ihren unterschiedlichen Wünschen und Hoffnungen fürs Alter erzählen. Damit dieses Denken bald für alle Redaktionen selbstverständlich wird, findet der nächste Termin von Eleni Iliadou an diesem Montag bei den BR-Volontären in der Ausbildungsredaktion statt. Mit den Nachwuchsjournalisten geht es um sensible Berichterstattung, aber auch um Basiswissen zum Thema Migration. Das Seminar ist ein Baustein der BR-Ausbildung geworden. Bei der intensiven Diskussion mit den jungen Journalistinnen und Journalisten kommt dann bei Eleni wieder diese Mischung aus Leidenschaft, Strenge und Temperament auf – typisch, griechisch oder Klischee?

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gesel lschaftswert ku ltu r, b i ld u n g u n d soziale s en gage m e nt

radioWissen Nicht nur Podcast – Spitzenreiter auf Bayern 2 Susanne Poelchau

Was haben der Heilige Gral, die schöne Alma Mahler, Friedrich der Große und der Lotuseffekt gemeinsam? Sie alle waren kürz­lich Thema in „radioWissen“! Für viele Hörerinnen und Hörer ist die Sendung zum festen Bestandteil des Tagesablaufs geworden. Erna K. hört besonders gern beim Bügeln zu, also bei Hausarbeiten, die ohne „radioWissen“ einfach keinen Spaß machen. Die letzte Sendung, die ihr im Ohr geblieben ist, drehte sich um bayerische Wirtshauskultur. Dass man so viel über den Stammtisch lernen kann, hat sie überrascht. Für Ernst P., bettlägerig, ist „radioWissen“ ein Tor zur Welt. Er lässt sich am liebsten überraschen von den Themen. „radioWissen“ vermittelt Basis- und Hintergrundwissen zu nahezu allen Themenbereichen: Geschichte, Musik, Literatur, Philosophie, Religion, Psychologie, Politik, Wirtschaft, Biologie oder Landeskunde. Die Themenvielfalt, das profunde Wissen und die aufwendige Gestaltung der Beiträge – das ist es, was viele zum Hören einlädt und zum Weiterhören verführt. Dabei zählen nicht nur die älteren Semester aus der alten Schulfunk-Tradition zum Hörerstamm – immer mehr junge Leute nutzen das zeitunabhängie Angebot von Podcasts und sind begeistert von dem Programm. Keine andere Sendung im Bayerischen Rundfunk wird so häufig als Podcast gehört wie „radioWissen“. Wurden im Oktober 2011 die Beiträ­ge 900.000 mal als Podcast heruntergeladen, überschritt „ra­dioWissen“ im Januar 2012 schon die Millionengrenze um 150.000. Die Studentin Valerie nimmt zum Joggen ihren „iPod“ und „radioWissen“ mit. Am liebsten sind ihr Psychologiesendungen, sagt sie: „Meine Fachzeitung für die Ohren!“ Er bekomme durch „radioWissen“ Stoff für ,Partytalk‘, erzählt ein In­genieur und er meine das gar nicht abfällig. Aber auch, wenn keine Partystimmung herrscht, wenn z. B. Finanzkrisen das Land erschüttern, haken wir von „ra­dioWissen“ nach: Was sind die  Grundlagen der Finanzökonomie, wie funktionieren eigentlich Börsen? Auch hier beweisen die Downloads, dass sich Vermittlung von Grund­wis­sen und Aktualität wunderbar ergänzen können.

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radioWissen „radioWissen“ ist einem Urgestein der Radiogeschichte entwachsen: dem Schulfunk, gegründet im September 1947. Ausgewählte Beiträge werden für den Einsatz im Unterricht multimedial aufbereitet und zur kostenfreien Nutzung angeboten. Im Internet finden Lehrkräfte umfangreiche Materialien zum Lehrplan wie Arbeitsblätter, Quizfragen, Kreuzworträtsel, Bilder und Audios. „radioWissen“ immer werktags von 9.00 – 10.00 Uhr und 15.00 – 16.00 Uhr auf Bayern 2.

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ku ltu r , b i ldu ng u n d s oz i a les e ngage m e nt gese l lschaftswert

Fünf Fragen an … Dr. Sabine Scharnagl, Leiterin des Programmbereichs Kultur und Familie Wo sehen Sie in Zukunft die Schwerpunkte im kulturellen Programmangebot des Bayerischen Fernsehens? Ich sehe inhaltlich die gleichen Schwerpunkte wie im Moment. Wir müssen uns als Sender positionieren, der neben klassischer Musik, bildender Kunst und Literatur auch einen weiteren Kulturbegriff vertritt. Dazu gehören ganz zentral Sendungen, die die Lebenswirklichkeit der Zuschauer abbilden wie zum Beispiel „Gernstl unterwegs“ oder „Stationen“. Selbstverständlich gehört auch die bayerische Kultur in all ihren Ausprägungen zu unserem Thema. Mit welchen Themen und Formaten lassen sich junge Zuschauer an den BR binden? Mit allen Themen und Formaten, wenn Sie auf gute und unverzopfte Art präsentiert werden.

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Welchen Stellenwert wird neben der Hochkultur die Popkultur einnehmen? Im Sinne von populärer Kultur nimmt sie jetzt schon einen entscheidenden Platz ein. Ob bei Literaten oder Musikern – es wird immer auch versucht, populäre Protagonisten zu finden. Popkultur im Sinne von Lena machen eh schon alle anderen, darin sehe ich nicht unsere Aufgabe. Welche innovativen medialen Plattformen halten Sie hierbei für sinnvoll und möglich? Verschiedene Sendungen brauchen unterschiedliche mediale Plattformen. „quer“ und „Stationen“ etwa müssen verstärkt bei den Social Networks aktiv sein und so den Zuschauern die Möglichkeit der Beteiligung liefern. Für andere Sendungen ist die permanente Abrufbarkeit in der Mediathek oder noch viel besser bei YouTube von großer Bedeutung, ich denke da zum Beispiel an die Sendereihe „Traumhäuser“.

Das Thema Glaube bewegt die Zuschauer, wie es beim Papstbesuch zu sehen war. Wo sehen Sie den gesellschaftlichen Auftrag der BR-Kirchenredaktion in einer säkularen Gesellschaft mit einer Vielzahl von Glaubensangeboten? Ich glaube gar nicht, dass es eine solche Vielzahl von Glaubensangeboten in der Gesellschaft gibt. Sie dürfen das nicht mit den ganzen esoterischen Religionsersatzmaßnahmen verwechseln! Die Aufgabe einer Sendereihe wie „Stationen“ besteht darin, den Zuschauern in einer sich immer rascher verändernden Welt Orientierung und Anhalt zu geben. Also den Menschen bei der Erkenntnis zu helfen, dass es jenseits aller materiellen Dinge auch noch die eigentlichen Werte gibt, die das Leben eines Menschen ausmachen.

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gesel lschaftswert ku ltu r, b i ld u n g u n d soziale s en gage m e nt

„Habe wieder euer „Carpaccio“ gesehen – einfach wunderbar.“ Gustava Gräfin Hohenthal, Zuschauerin

„Capriccio – the last defenders of public television“ Chris Dercon, Tate Modern London

„Diese Sendung hat höchstes Niveau, ist vielseitig, inspirierend, aufdeckend, kreativ, mitreißend, aufklärend, informativ und regt gleichzeitig zum Nachdenken, zum Widerstand, zum Anschauen, zum Genießen an. Eine qualitativ hochwertige, gleichzeitig aber auch sehr unterhaltsame Kultursendung wie „Capriccio“ sollte einfach für ein größeres Publikum angeboten werden!“ Angelika Brogsitter-Finck, Zuschauerin

„Ihr seid ja selbst Künstler!“ Ruth Maria Kubitschek, Schauspielerin und Schriftstellerin

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ku ltu r , b i ldu ng u n d s oz i a les e ngage m e nt gese l lschaftswert

„Ich freue mich, wenn ich an Donnerstagen spät nach Hause komme und noch bei „Capriccio“ zuschalten kann. Die Beiträge sind alle spannend, weil sie so vielfältig sind: Kunst, Kultur, Filmbesprechungen, Lebensarten – ich kann diese Sendung wärmstens empfehlen.“ Ingvild Goetz, Kunstsammlerin

„Ich bin sehr glücklich darüber, dass der BR seinem Publikum das Kulturmagazin „Capriccio“ anbietet – allem Trachten nach größtmöglichen Zuseherquoten auch bei den Öffentlich-Rechtlichen zum Trotz. Das gebührenfinanzierte Fernsehen sollte für umfassenden Qualitätsjournalismus stehen, und „Capriccio“ zählt für mich zu den Produktionen, die dieses Versprechen einlösen. Restlos zufrieden bin ich mit dem Status quo allerdings nicht: Leider ist „Capriccio“ das einzige Kulturmagazin des Bayerischen Fernsehens – und wird um 22.30 Uhr doch relativ spät ausgestrahlt.“ Anne Sophie Mutter, Musikerin

Capriccio Die Redaktion: Sylvia Griss und Franz Xaver Karl. Jede Woche neu stellen sie sich der Herausforderung, das Kulturgeschehen in Bayern und der Welt in 30 Minuten zu zeigen: überraschend, innovativ, mit ungewöhnlicher Bildsprache, genauen Recherchen und einer eigenen Haltung. Die Texte, die Bilder, die Musikalität machen „Capriccio“ so besonders. Das Kulturmagazin wäre nicht möglich, ohne ein festes Team außergewöhnlicher Autoren, die mit ihrer Kreativität und ihrem Einsatz Woche für Woche das Besondere wollen.

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gesel lschaftswert ku ltu r, b i ld u n g u n d soziale s en gage m e nt

Elfriede Jelinek

Kunst fĂźr Radio und Internet HĂśrspiel und Medienkunst heute Katarina Agathos und Herbert Kapfer

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ku ltu r , b i ldu ng u n d s oz i a les e ngage m e nt gese l lschaftswert

Seit dem Jahr 2000 realisiert die Redaktion Hörspiel und Me­ dienkunst vielbeachtete Großproduktionen. Am Anfang stand Der Zauberberg, auf der Grundlage von Thomas Manns 1924 erschienenem Jahrhundertroman. Auf die Bayern 2-Ursendung und Hörbuchedition folgten Übernahmesendungen in fast allen ARD-Kulturprogrammen. Die 20 Stunden umfassende Produk­tion „Der Mann ohne Eigenschaften.Remix“  (2004) sollte neue Zugän­­ge zu Robert Musils großem Außenseiterwerk eröffnen. Nicht nur die zu Lebzeiten des Autors veröffentlichten Romanteile, sondern auch der wissenschaftlich aufgearbeitete Nachlass bildeten die Grundlage des Hörspiels, das in enger Zusammen­ arbeit mit dem Robert-Musil-Institut Klagenfurt entstand. Diese Großproduktion steht im Kontext einer Reihe, die sich mit wichtigen deutschsprachigen Erzählwerken des 20. Jahrhunderts auseinandersetzte – Franz Kafkas „Der Process“, Hermann Brochs „Die Schlafwandler“ und Peter Weiss’ „Die Ästhetik des Wider-

stands“. Mit Alexander Kluges „Chronik der Gefühle“ und Elfriede Jelineks „Neid“ ist die Reihe bei den Gegenwartsautoren angekommen. Daneben entstanden weitere Großproduktionen, etwa „Moby-Dick“ von Herman Melville und „Die Serapions-Brüder“ von E.T.A. Hoffmann. Innovation braucht Spielfelder und Weitblick. So ist seit September 2010 Michaela Meliáns virtuelles Denkmal memoryloops.net online. 300 Tonspuren zu Orten des NS-Terrors in München 1933– 1945 mit zusätzlichen 175 englischsprachigen Audio-Tracks. Es wurde in Kooperation mit der Landeshauptstadt München realisiert. Die Tonspuren verweisen auf Orte innerhalb der ehemaligen „Haupt­stadt der Bewegung“, sie verdichten sich auf der Webseite in ei­ner von der Künstlerin gezeichneten Topgrafie. Michaela Melián, für ihre BR-Hörspiele „Föhrenwald“ und „Speicher“ preis­ ge­krönt, entwickelte in ihrer Arbeit originäre Erzählweisen, die in Memory Loops Niederschlag fanden. Es ist ein mehrmediales

Gegenwartsliteratur für’s Radio: Filmemacher, Schriftsteller und Essayist Alexander Kluge im BR-Studio

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Multimediale Kunst: Unter dem Label „Techno fossil“ sind Videos und Hörstücke versammelt, die sich mit der eigenen Zeitstruktur produktiv auseinander­ setzen. Hierbei geht es nicht um Zeit als inhaltliches Thema, sondern um den spielerischen Umgang mit dem Phänomen Zeit als formales Element. Mehr davon: Bayern 2-„artmix.galerie archiv“ http://bit.ly/PrY5yh

Werk, das stadt- und weltgeschichtliche Ereignisse zum Gegenstand hat und sich regional wie global entfaltet – ein Beispiel relevanter Medienkunst und ein nachhaltiges, öffentlich-rechtliches Gedächtnisprojekt, das der BR über einen langen Zeit­raum online halten wird. Die Redaktion Hörspiel und Medienkunst versteht sich als Produk­tions- und Distributionslabor in einer multimedialen Welt. Ein Beispiel: Aus dem großen Angebot an Einreichungen junger Künst­ler zu den Wettbewerben der artmix.galerie generiert sich der au­ diovisuelle „user generated content“. Neue Beiträge werden auf der Website und im hör!spiel!art.mix auf Bayern 2 vorgestellt. Mit der „Ursendung“ auf Bayern 2 beginnt auch die Geschichte jeder neuen Hörspielproduktion, der oft die Hörbuchveröffent­lichung

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folgt. Inzwischen etablierten sich neben der kommerziellen Sekundärverwertung zwei weitere Distributionsvarianten. Zum einen ist dies intermedium rec. – die von der Redaktion edierte CD-Reihe publiziert seit 2000 neue und historische Soundtracks –, zum anderen der 2008 eröffnete, von der Hörerschaft stark genutzte Hörspiel-Pool bei BR.de bzw. bayern2.de. Dieser bietet BR-Eigenproduktionen als Download an, primär solche, die nie als Hörbücher auf den Markt kamen. Bayern 2-Sendung, intermedium rec.-CD, Hörbuch, Hörspiel Pool und artmix.galerie sind einander ergänzende Distributionsformen, die zusammen dafür sorgen sollen, öffentliches Programmvermögen möglichst vielen Nutzergruppen zur Verfügung zu stellen.

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Fünf Fragen an … Axel Linstädt, bis 2012 Leiter des Programmbereichs BR-Klassik und künstlerischer Leiter des Internationalen Musikwettbewerbs der ARD Welche Bedeutung hat die Marke BR-Klassik für den Bayerischen Rundfunk? Eine sehr große, jedoch nicht nur für den BR, sondern auch für die gesamte ARD. Denn der BR besitzt die größte KlassikKompetenz der ARD. Die Marke BR-Klassik umfasst vielerlei: zwei Orchester, einen Chor, musica viva, Klassik in Hörfunk, Fernsehen und online, ein eigenes Label und Publikationen wie das BR-Klassik-Magazin. Der BR hat das ARD-weit beste Orchester, und in der Radio-Szene ist BR-Klassik ein Unikat und somit etwas Besonderes, nämlich die einzige echte Klassikwelle der ARD. Sie bietet ein 24-Stunden-Programm und bringt täglich für alle Kulturwellen der ARD das 6-stündige ARD-Nachtkonzert. Ist dieses Klassik-Vollprogramm ein Luxus? Gewiss ist es ein Luxus, aber in erster Linie doch ein wichtiges Lebensmittel. Kultur, und klassische Musik gehört da als wesentlicher Bestandteil dazu, ist immer Luxus, aber andererseits unbedingte Notwendigkeit!

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Grob gesagt, ein Unterscheidungsmerkmal zwischen Mensch und Tier. Überleben kann man auch ohne Musik, doch leben bzw. das Leben genießen nur mit ihr. Vielleicht hat Nietzsche ja recht, wenn er sagt: Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum. Hat denn klassische Musik überhaupt eine Zukunft? Selbstverständlich, denn sie ist von überzeitlicher Schönheit und weitgehend unabhängig von Moden. Durch diese Eigenschaft, aber auch durch die Tatsache, dass Musik verklingt, sie also transitorisch ist und immer wieder neu interpretiert werden muss, vermag sie, Lust aufs Wiederhören zu wecken, lebendig zu bleiben und dabei den Bogen in die Zukunft zu spannen.

Warum hat der BR ein eigenes KlassikLabel ins Leben gerufen? Unter anderem, um die nicht-lineare, also zeitsouveräne Nutzung unserer KlassikProgramme zu ermöglichen und um nicht wie der Zwerg Alberich auf seinem Programmschatz zu sitzen, sondern ihn mit vielen Interessierten zu teilen. Die zahlreichen Auszeichnungen für das Label sind eine Bestätigung für unser hohes künstlerisches, technisches und programmliches Know-how.

Sie sind auch künstlerischer Leiter des Internationalen Musikwettbewerbs der ARD. Welchen Stellenwert hat diese Veranstaltung? Sie gehört weltweit zu den wichtigsten Wettbewerben. Der ARD-Musikwettbewerb ist vielleicht sogar, weil er kein Spezialwettbewerb, sondern einer mit jährlich wechselnden Fächerkombinationen ist, der bedeutendste der Welt. Das sagen jedenfalls viele Kandidaten und Juroren. Mit dem Musikwettbewerb betreibt die ARD Nachwuchspflege auf höchstem Niveau.

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U21 – Deine Szene. Deine Musik. U21 sprengt das Radio, ist trimedial Susanne Prinz

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U21 – Deine Szene. Deine Musik „U21 – Deine Szene. Deine Musik“ Die Radiosendung, immer mittwochs ab 21.03 Uhr Publikum erlaubt

„U21“ – Lounge am Lenbachplatz oder in Zusammenarbeit mit dem Chor des Bayerischen Rundfunks „cOHRwürmer“, ein Konzert zum Mitsingen

„U21 – Das Verhör“ Das Video zur Sendung, jeden Monatsanfang

Der Jugendradiotag Jedes Jahr Ende September an einem einzigen Tag 12 Stunden Jugendliche am Mikrophon: „So klingt meine Stadt“ – jede Stunde eine andere bayerische Stadt mit anderen Moderatoren und „Machern“, von „U21“ in Zusammenarbeit mit der Programmredaktion Bildungsprojekte gecoacht und begleitet.

„U21 – Vernetzt“ sprengt das Radio, ist trimedial. Statt Fernsehen oder Radio oder Radio im Fernsehen ein neues Format alle drei Monate, mittwochs 21.03 Uhr „U21 – On Tour“ Sondersendungen zu („U21“-)Events aus besonderen Locations, etwa zur Langen Nacht der Musik:

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E-Mail: u21@br-klassik.de br.de/u21

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Und … Action! Klappe. Kamera läuft. Auf dem roten Teppich vor einer mit Plakaten dekorierten Wand sitzen die beiden Moderatoren auf schwarzen Sitzwürfeln und plaudern mit ihren Gästen. Zwei junge Musiker sind mit riesigen Marimbaphonen in das kleine Studio gekommen und haben noch anderes Schlagwerk mitgebracht. Im Raum findet sich kaum noch ein Quadratzentimeter freier Platz. Es ist heiß. Die Scheinwerfer heizen das kleine Studio auf, lassen die herumliegenden Kabel unangenehm nach Gummi riechen. Überall stehen und liegen technische Geräte herum, die hier sonst für andere Produktionen gebraucht werden. Vier Kameras filmen das alles: die Ecke zum Plaudern, die Live-Musik und das wilde Technikchaos. Ein Kollege vom Fernsehen schüttelt den Kopf. „Was für eine Werkstatt“. Doch die Crew freut’s: „So soll es sein“. Wir sind in der Multimedia-Regie des Münchener Funkhauses. Es geht um Klassik und junge Menschen. Und: Hier wird gerade Ra-­ dio gemacht: „U21“ – Deine Szene. Deine Musik.

Grenzen sprengend und trimedial – „U21 – Vernetzt“ Die Redaktion von „U21“ sprengt die Grenzen des Mediums, wenn es sein neues multimediales Format „U21 – Vernetzt“ produziert. Das läuft auf dem gleichen Sendeplatz am Mittwoch, alle drei Monate im Radio und gleichzeitig als Videostream im Internet. Mit Berichten und Reportagen, mit Skype-Gesprächen und einem kochenden Kritiker, mit Videoclips und Ausschnitten aus Fernsehproduktionen. Trimedial. Gestemmt wird es aus eigener Kraft vom „U21“-Team. „U21“sendet jeden Mittwoch ab 21.03 Uhr aus dem Funkhaus: Klassik als Musik von heute mit völlig anderer Musik von heute, ein einzigartiger Musikmix von Renaissance bis Rap. Junge Moderatoren präsentieren diese Mischung für junge Hörer, mit Themen aus der jungen (Musik-)Szene, mit Live-Musik und oft mit Schülern als Studiogästen. Die sitzen dann zwischen Kabeln, Musiker- und Moderatorenbeinen auf dem Boden.

Kuschelig und ein wenig eng Im Studio ist es kuschelig – und ein wenig eng. Vielleicht strebt die Redaktion deshalb so nachdrücklich hinaus in die Welt. Dahin, wo junge Musiker nachwachsen: in Konzertsälen und Schulaulen, Gemeindesälen und Vereinsheimen, Musikhochschulen und Clubs. Wo das junge Publikum zu finden ist. „U21“ will Teil der Szene sein, will sie abbilden und anschieben, sie entdecken und fördern.

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Daher der Redaktionsname: „U21 – Deine Szene. Deine Musik.“ Und deshalb hat das Team in vielen Experimenten eigene Events entwickelt: Klassikpartys, Klassik im Club, Klassik als Lounge und Klassik in Schulen, Vereinen oder Theatern. Mit dem Ü-Wagen ist die Redaktion auch detektivisch unterwegs, um aufzuzeichnen, was sich vor Ort an junger Musik-Szene entwickelt.

Junge Stars und Trends Stars finden, bevor sie Stars sind, Musiktrends entdecken, noch bevor sie Trends werden, oder besser noch: Trends mitbestimmen und Musiker zu Stars machen. Das sind die Ziele. Die Liste der Live-Studiogäste und interviewten Musiker zeigt, dass das gelingt. Darunter finden sich Namen, die auf dem Weg zur Weltkarriere sind oder sie gerade geschafft haben: Violonist David Garrett, die beiden Cellisten Maximilian Hornung und Daniel Müller-Schott, Bratschist Nils Mönkemeyer, Opernsängerin Danielle de Niese und Violonistin Arabella Steinbacher. „U21 – Das Verhör“, so heißt der Videopodcast zur Sendung, mit einem ungewöhnlichen Interviewkonzept. Keiner kennt die Fragen, auch der Interviewer nicht. Er bekommt sie in einem verschlossenen Umschlag. Da kann es dann passieren, dass er mit Bällen beworfen, geohrfeigt oder auch geküsst wird.

Leidenschaft für Musik „U21“ sucht Kontakt zu jungen Menschen. Etwa in Projektseminaren oder durch die Zusammenarbeit mit Schulen, Hochschulen und Institutionen. Besonders gut und konsequent gelingt die Anbindung an die Jugendszene alljährlich Ende September beim Jugendradiotag. Zwölf Stunden lang stehen Jugendliche am Mikrophon und moderieren „ihre“ Stundensendung unter dem Motto „So klingt meine Stadt“. Eine Woche lang haben „U21“-Mitarbeiter sie „ausgebildet“, dann bis zur Sendung betreut und begleitet. Damit jeder BR-Klassik-Hörer ganz authentisch erfahren kann, wie junge Menschen die Musikkultur von heute wahrnehmen, bewerten und abbilden. Leidenschaft für Musik – insbesondere für klassische Musik – steht im Mittelpunkt von „U21“. Spaß und Ernsthaftigkeit, Konzentration und Lockerheit sollen sich die Waage halten. Deshalb lautet das pädagogische Konzept hinter allem, dass es keines gibt. Dafür aber Bekenntnis, Sinnlichkeit, Freude, Begeisterung und Emotion.

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Leidenschaft für Musik – insbesondere für klassische Musik – steht im Mittelpunkt von „U21“.

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„U21“ sendet jeden Mittwoch ab 21.03 Uhr aus dem Funkhaus: Klassik als Musik von heute mit völlig anderer Musik von heute, ein einzigartiger Musikmix von Renaissance bis Rap. Der Dreiklang des Bayerischen Rundfunks Mit dem gut aufeinander abgestimmten Angebot seiner drei Klangkörper leistet der Bayerische Rundfunk einen wesentlichen Beitrag zum bayerischen Kulturleben. Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks So zählt das 1949 gegründete Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks zu den führenden Orchestern weltweit. Einer Umfrage unter internationalen Kritikern zufolge rangiert das Symphonieorchester als einziges Rundfunkorchester unter den ersten zwanzig weltweit auf Platz Sechs. Zum Selbstverständnis gehörte von Beginn an die Pflege zeitgenössischer Musik: Im Rahmen der Reihe „musica viva“ führten Strawinsky, Milhaud, Hindemith, Kagel oder Berio am Pult des Orchesters eigene Werke auf, und bis heute sind regelmäßige Uraufführungen selbstverständlich. Die Tradition der international renommierten Orchesterchefs reicht von Eugen Jochum über Rafael Kubelík, Sir Colin Davis und Lorin Maazel bis zu Mariss Jansons, der seit 2003 Chefdirigent von Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks ist. Unter seiner Leitung hat das Orchester ein künstlerisches Niveau erreicht, das weltweit keine Konkurrenz scheuen muss. Die auch beim Label BR-Klassik dokumentierten Konzerte in München und Bayern, in den führenden europäischen Metropo-

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len sowie in Asien und Amerika erhalten stets euphorische Kritiken. Den Rang des Orchesters spiegelte schon in der Vergangenheit die imposante Reihe internationaler Gastdirigenten wie Solti, Bernstein, Giulini, Sawallisch oder Kleiber. Aber nach wie vor lockt das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks mit Muti, Mehta, Blomstedt, Haitink, Salonen, Welser-Möst oder Harding die Dirigenten-Elite nach Bayern. Chor des Bayerischen Rundfunks Auch der Chor des Bayerischen Rundfunks – Motto: „Gesang beflügelt“ – gehört zu den besten seiner Art. 1946 gegründet vollzog sich sein künstlerischer Aufstieg parallel zu dem des BR-Symphonieorchesters; auch für Mariss Jansons ist der BR-Chor maßgeblicher Partner. Die künstlerische Leitung übernahm 2005 der Niederländer Peter Dijkstra. Im Zusammenwirken mit den Orchestern des BR sowie in A-cappellaKonzerten erarbeitet der bekennende „AntiSpezialist“ vielfältige Programme von der mittelalterlichen Motette bis zur zeitgenössischen Musik, vom Oratorium bis zur Oper. Regelmäßig gastiert der Chor bei europäischen Spitzenorchestern wie den Berliner Philharmonikern oder dem Lucerne Festival Orchestra. CD-Einspielungen wie Schumanns „Das Paradies und die Peri“ mit dem Symphonieorchester des Bayerischen

Rundfunks unter Nikolaus Harnoncourt oder Puccinis „La Bohème“ mit Anna Netrebko und Rolando Villazón erhielten internationale Auszeichnungen. Münchner Rundfunkorchester Wahrscheinlich widmet sich kein zweites bayerisches Orchester ähnlich flexibel unterschiedlichsten Repertoirebereichen wie das Münchner Rundfunkorchester. Oberste Priorität haben neben der Wiederentdeckung unbekannter Werke Fantasie und Vielfalt in Sachen Musikvermittlung. Das Spektrum reicht von konzertanten Opern und raffiniert aufbereiteten Operetten über Crossover-Projekte, Kinder- und Jugend­ konzerte, unterhaltsame Themenabende, geistliche Musik der Moderne in der Reihe „Paradisi gloria“ bis zum Schwerpunkt Filmmusik. Dieses vielseitige Profil verleiht  dem Orchester eine einzigartige Stellung in der Kulturszene unseres Landes. Mit der Produktion eines Lehár-Zyklus oder unbekannter Opern- und Konzertliteratur auch auf CD setzte Ulf Schirmer, künstle­ rischer Leiter seit 2006, neue Akzente. Konzerte und Produktionen mit Ausnahmekünstlern wie Vesselina Kasarova oder Bobby McFerrin unterstreichen den Ruf des Orchesters als gefragter Partner internationaler Stars.

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Sternstunden – Wir helfen Kindern Sternstunden reagiert schnell und fÜrdert nachhaltig

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„Sternstunden-Gala“ mit BR-Moderatorin Sabine Sauer

Die Benefizaktion des Bayerischen Rundfunks wurde 1993 initiiert. In den letzten 19 Jahren konnten mit einem Spendenaufkommen von 138 Millionen Euro über 2.000 Projekte, die meisten davon in Deutschland und vorwiegend in Bayern, aber auch weltweit, unterstützt werden. Ziel von Sternstunden ist es, die Lebensbedingungen kranker, behinderter und in Not geratener Kinder und Jugendlicher nachhaltig und dauerhaft zu verbessern. Der eigens gegründete Förderverein reagiert dort, wo Not ist, schnell und unbürokratisch. Dies geschieht jedoch niemals ohne sorgfältige Prüfung der Hilfsmaßnahmen und anschließendem intensiven Controlling über die ordnungsgemäße Verwendung der Spendengelder und der Ar­beit mit den Kindern. Bei Sternstunden wird jede Geldspende garantiert ohne Abzug an bedürftige Kinder weitergegeben, da die Sponsoren der Sparkassenfinanzgruppe alle Verwaltungskosten der Benefizaktion tragen und Sternstunden wirtschaftlich haushaltet. Dank des hohen Bekanntheitsgrades und Renommees der Sternstunden wurde auch das Aktionsjahr 2011 erneut mit einem Rekordergebnis von 13 Mil­lionen Euro abgeschlossen. Hinzu kommen weitere 15,6 Millionen Euro aus der SternstundenSonderaktion für die hungernden Menschen in Ostafrika. Erstmals organisierten die Sternstunden eine Soforthilfe im Katastrophen-

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fall. Der Bayerische Rundfunk veranstaltete gemeinsam mit Sternstunden für den 21. Juli 2011 einen Spendenaktionstag, an dem Hörfunk und Fernsehen in seinem Programm auf eine der schlimmsten Dürreperioden Ostafrikas und den damit verbun­ denen verheerenden Zuständen in den Flüchtlingslagern auf­ merksam machten und Spenden sammelten. Ein besonderer und 2011 zum achten Mal wiederkeh­render Höhepunkt im Spendenjahr war der „Sternstunden-Tag“ des Bayerischen Rundfunks, der einen Tag lang sein Programm ganz für den guten Zweck zur Verfügung stellte. So berichteten auch am Freitag, 9. Dezember 2011, von 6.00 Uhr morgens bis 23.00 Uhr nachts zahlreiche prominente Moderatoren und Paten in Hör­funkund Fernsehsendungen über  die  unterschiedlichsten Projekte und Aktionen von „Sternstunden – Wir helfen Kindern“. Parallel dazu nahmen freiwillige Helfer in den drei Spendenzen­ tralen in Unterföhring, im Münchener Funkhaus und erstmals auch in Nürnberg den ganzen Tag über Spenden entgegen. Das Gesamtergebnis wurde dann im Rahmen der großen dreistündigen „Stern­stunden-Gala“ mit Moderatorin Sabine Sauer, vielen musikalischen Top-Acts und prominenten Sternstunden-Paten aus der Nürn­ berger Frankenhalle bekannt gegeben.

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Außenstimme:

Wann ist eigentlich Heimat? Klaudia Wick, Fernsehkritikerin

Am intensivsten beheimatet fühle ich mich seit einiger Zeit zwischen den Gemüsebeeten in meinem Schrebergarten. Der liegt kurioserweise inmitten der Berliner West-City, gleich am „HansRosenthal-Platz“, der so heißt, weil dort lange der RIAS beheimatet war, wo Hans Rosenthal Unterhaltungsfachmann war, wenn er nicht für das ZDF „Dalli Dalli“ moderierte, was für mich während meiner niederrheinischen Kindheit ein wichtiges und bis heute gern erinnertes Stück Fernsehheimat ist. Heimat ist für meine Generation kein geografischer Ort mehr, sondern eine komplexe Konstruktion. Romantische Zuschreibungen (... meine Salatherzen ...), mediale Erinnerungen (... Sie finden: Das war Spitze! ...) und soziale Wirklichkeiten (... meine Postanschrift ...) mischen sich zu einem diffusen Gefühl, das im besten Fall Identität, manchmal nur Geborgenheit, selten beides gleichzeitig verspricht. Schon meine Mutter und sogar meine Großmutter waren übrigens Zugezogene. Der Krieg hatte sie ins Rheinland „verschlagen“, wie man so sagte. Die mobile Gesellschaft ist also in Wahrheit keine allzu moderne Erfindung, die neuen Medien machen es uns nur um so vieles leichter, die eigene Herkunft als etwas zu betrachten, das sich auch in der Fremde jederzeit wieder hervorholen, ansehen und mit einem Mausklick bei Facebook mit anderen teilen lässt. Oder simpel ausgedrückt: Manchmal gucke ich mir das „WDR-Fernsehen“ einfach nur wegen des rheinischen Singsangs der Moderatoren an. Manchmal ziehe ich aber auch für einen Abend nach Brandenburg, wo der RBB in seinem Regio-

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nalfenster ein Heimatgefühl bedient, das im geografischen Sinne nicht mehr meines ist und im biografischen Sinne auch nie meines war. Oder nach München, wo sie wie hier bei uns daheim (bairisch = „dahoam“) gegen den Ausbau des örtlichen Airports kämpfen. Statt wie weiland in Frankfurt „Startbahn West“ (= meine politische Vergangenheit) geht es dort halt um eine sogenannte „Startbahn drei“. Ob das einen Unterschied macht? Für die Familie Gröll aus Attaching, die wegen der heftigen Luftwirbel der Düsenjets dann aus versicherungstechnischen Gründen ihre Dachziegel am Haus festschrauben müsste, natürlich schon. Für mich als virtuelle Anrainerin aber eben nicht. Stichwort „Globalisierung“: Was ist eigentlich bayerisch daran, wenn Sigmund Gottlieb mit seinen fachkundigen Studiogästen in der „Münchner Runde“ die Eurokrise diskutiert? Streng genommen ist das ja gerade kein regionales Thema wie zum Beispiel der muntere Kochwettbewerb der „Landfrauenküche“. Dort wettei­fern Dagmar Lutzenberger aus Schwaben, Christine Schmidt-Kons aus der Oberpfalz, Anita Wallraff aus Unterfranken, Dagmar Hartleb aus Oberfranken, Claudia Fenzel aus Niederbayern, Barbara Neuner aus Oberbayern und Margit Hausmann aus Mittelfranken um den Titel, und sie köcheln dafür Ravioli (kommen die nicht aus Italien?), backen Mozzarella im Zucchinimantel (???) oder eine Aprikosentarte (klingt französisch im Abgang), die dem Alfons Schuhbeck besonders gut schmeckt. Der übrigens anderentags die Spieler des FC Bayern bekocht. Aber eben nur „auswärts“.

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Klaudia Wick lebt in Berlin und schaut fern, seit sie laufen kann. Seit 20 Jahren schreibt sie auch darüber. Früher in der taz, heute in der „Berliner Zeitung“, der „Frankfurter Rundschau“ oder in „epd medien“.

Wo immer das dann halt ist. Was im Fernsehen „auswärts“ ist, bestimmt nicht die landsmannschaftliche Zugehörigkeit, sondern die Heimatkonstruktion im Kopf des Zuschauers. Viele, die mit dem Privatfernsehen aufgewachsen sind, fühlen sich nun vor allem bei RTL daheim. Wer wie ich in den Sechzigerjahren mit dem Fernsehen im Wohnzimmer aufgewachsen ist, fremdelt noch eine Weile – ja: vielleicht lebenslang! – mit der Vorstellung eines mobilen „TV to go“. Wenn Zuhause wiederum dort ist, wo die Freunde auf einen warten, dann müsste das Fernsehen doch ei­ne ziemlich große Heimat sein. „Host mi“? Schon seit einer Weile zeichnet sich ab, dass Heimat zu etwas werden könnte, das sich mehr und mehr in Jahresringen statt in Ländergrenzen organisiert. Wir wollen uns von unseren Medien generationengerecht „angesprochen“ fühlen, und diese Ansprache verlangt zuförderst nach identifikatorischen Bezügen: Gleichaltrigkeit (ZDFneo), Klassenzugehörigkeit (Harald Schmidt), gemeinsame Seherfahrungen (Mad Men!) konstruieren die gedachte Sehgemeinschaft im heutigen Zielgruppenfernsehen stabiler als der Allgäuer Dialekt oder der Geschmackssinn für Frankfurter Äppelwoi aus jenen Zeiten, in denen sich die „Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten Deutschlands“ ganz selbstverständlich in Regionen konstituierte. Wenn ich in „Querbeet“ der süddeutschen Sabrina Werner beim „Urban Gardening“ zusehe und darüber staune, wie sie aus ihrem Balkon ein Tomaten-Biotop formt, dann ist das sicher näher an meinem Neuberliner Schrebergartenhei-

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matgefühl als der RBB-Bericht über den Brandenburger Dennis Tilwitz und seine „erste mobile Mosterei“. Die testet mein Heimatsender im „knallharten Dreistufentest“. Für mich macht er das nicht. Aber vielleicht für einige der anderen, überwiegend schon berenteten 150.000 Schrebergärtner, die in der Hauptstadt noch wie zu Omas Zeiten gärtnern. Wenn sich aber nun der Begriff „Heimat“ im „Global Village“ zum Pluraletantum erklärt, das nicht mehr eine klar begrenzte geografische Region beschreibt, sondern ein waberndes individuelles Konstrukt, was wird dann schlussendlich aus dem guten alten Regionalfernsehen? Es wird wohl als „unique“-Beheimatung mit seinen alten Zuschauern peu à peu aussterben (müssen). Und sich als gut erschlossenes, aber wenig besiedeltes Zuzugsgebiet einem Wandervölkchen anbieten (können), das Familie, Herkunft und die traditionelle Bauweise gerade für sich entdeckt und übrigens schon längst keinen Rucola mehr kauft, sondern wieder Rauke isst. Weil der Bayernwert so höher klingt. Und das eben doch etwas mit Heimat zu tun hat.

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Wertebild

„Gesellschaftswert“, gesehen von Fotografin und Dokumentarfilmerin Petra Wallner

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Unternehmenswert Qualität und Üffentlich-rechtlicher Auftrag

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u nter n ehm e n swert

Was ist das Unternehmen Bayerischer Rundfunk wert? 10 Milliarden, 15 Milliarden oder gar 150 Milliarden Euro? Was bei einem kommerziellen Sender jederzeit bezifferbar ist, das entzieht sich bei einem öffentlich-rechtlichen Sender selbst­ verständlich der Quantifizierung. Der Wert des Un­ ternehmens BR ist ein ganz anderer: Es geht nicht um Gewinnspannen und Private-Equity-Investments, sondern um den Wert der Institution Bayerischer Rundfunk für die Menschen und die Gesellschaft in Bayern. Es geht um den „public value“.

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unternehmenswert

Public Value hört nicht bei den Angeboten auf, vielmehr beginnt er bereits bei der Organisation, die Qualität hervorbringt. Die Qualitätsdiskussion hat deshalb neben den Programmangeboten auch den ganzen Sender zum Gegenstand. Der öffent­lich-rechtliche Programmauftrag verpflichtet den Bayerischen Rundfunk, die Menschen in Bayern flächendeckend und auf allen Verbreitungswegen mit seinen Programminhalten zuverlässig zu er­ reichen. Deshalb setzt der BR auf hohe technische und inhaltliche Standards, steht im Dialog mit der Gesellschaft und fördert Talent und Kreativität. Seine Produkte sind preisgekrönt und als Arbeit­­­geber und Produzent ist der BR enorm wichtig für die bayerischen Medienstandorte München und Nürnberg.

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u nter n ehm e n swert

Aus dieser durch Gebührenfinanzierung privile­ gierten Position heraus will der Bayerische Rund­ funk die Qualität seiner multimedialen Angebote entsprechend dokumentieren. Der BR versteht sich dabei als „Mittler“ und „Katalysator“, der Qualität möglich macht. Qualität ist dabei nicht absolut, sondern immer in Relation zu den Anforde­rungen zu verstehen. Deshalb befinden wir uns darüber im intensiven Diskurs, intern wie extern. Qualität muss als beständiger Prozess „betrieben“ werden, weil der Wettbewerb auf allen Kanälen und medialen Plattformen größer wird. Der beson­ dere Unternehmenswert des Bayerischen Rund­ funks muss sich daran messen lassen.


unternehmenswert Tale nt u n d kreativität

Die journalistische Elite – die Volontäre des BR Seit 25 Jahren besteht die Volontärsausbildung im Bayerischen Rundfunk, und Ludwig Maaßen, Leiter der Ausbildungsredaktion bis August 2012, war von Anfang an dabei. Im Mai 2012 wurden zwölf Bewerber für den 24. Vo­lon­ tärskurs bestimmt. Ganze zwei Jahre dauert das Volontariat. Ein Gespräch mit Ludwig Maaßen über Qualität in der journalistischen Ausbildung.

Herr Maaßen, das Volontariat beim Bayerischen Rundfunk gibt es seit 1987. Wie wichtig ist die journalistische Ausbildung dem BR? Das Volontariat ist Teil der Personalentwicklung im BR. Die Wer­ tigkeit kann man den Zahlen entnehmen: Wir haben im Jahr etwa 250 bis 300 Hospitanten oder Praktikanten, aber nur zwölf Vo­ lontäre. Das heißt: Es handelt sich um eine Elite. Wir suchen die Besten aus dem Kreis der Praktikanten aus und fördern sie nach einem ausgeklügelten System. Das besteht aus Trainings- und Redaktionsaufenthalten. Und die sind ineinander verschränkt so wie bei einem Reißverschluss. Wir machen das deshalb, weil nach einer Strecke intensiven Trainings die Aufnahmefähigkeit erschöpft ist und die Leute auch Redaktionspraxis brauchen. Sie sollen die redaktionellen Abläufe kennenlernen und das im Training Gelernte in der Praxis umsetzen. Wie wichtig dem BR das Volontariat ist, können Sie daran erkennen, dass er die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung stellt.

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Wenn Sie die Volontärsausbildung beim BR vergleichen mit der Ausbildung bei anderen Sendern, wo steht sie da? Gibt es Unterschiede? Den größten Unterschied gibt es einerseits zum ZDF, weil es dort keinen Hörfunk gibt, andererseits zum Deutschlandfunk, weil es dort kein Fernsehen gibt. Das ZDF und der BR haben beide die Volontariatszeit verlängert: Das ZDF von 15 auf 18 Monate, der BR von 18 auf 24. Der Hessische Rundfunk will 2013 mit einem er­­neu­erten, zweijährigen Volontariat beginnen. Die journalistische Ausbil­dung beim BR ist sonst nur vergleichbar mit der anderer großer ARD-Rundfunkanstalten: NDR, WDR, MDR, SWR. Da spielen wir auf jeden Fall in der oberen Liga. Letztlich geht es ja darum, den neuen Entwicklungen im Medienbetrieb Rechnung zu tragen. Das sind wir unseren Volontären wie unseren Redaktionen schuldig; und es ist notwendig für eine solide, nachhaltige journalistische Ausbildung.

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ta lent u n d kreati v ität unternehmenswert

Volontäre des Kurses V21 in einem Seminar über journalistische Ethik

Worauf legen Sie bei der Ausbildung der Volontäre besonderen Wert? Ziel ist eine hohe Qualität des Journalismus, d. h. sorgfältige Planung statt Chaos, gründliche Recherche, ideenreiche Umsetzung und die bestmögliche Produktion für alle Ausspielwege, die es heutzutage gibt. Früher gab es ja nur Hörfunk und Fernsehen, aber heute ist natürlich auch der Onlinebereich wichtig. Was hinzukommt, ist die optimale Nutzung der Ressourcen. Optimal heißt: Ich muss sie kennen, ich muss geübt sein, d. h. sie auch zeitsparend einsetzen, aber trotzdem qualitativ arbeiten. Man muss nicht am Anfang schon der Schnellste sein, aber die Zeit, in der man sei­ne Arbeit erledigen soll, spielt schon eine Rolle, und an der Schraube drehen wir auch. Aber es geht dabei auch um die Inhalte, also darum: Was will ich sagen und wie sage ich es? Die Volontäre müssen lernen, gut und schnell zu arbeiten. Wir üben das beispielsweise für das Fernsehen in Zusammenarbeit mit der

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Ludwig Maaßen, Leiter der Ausbildungsredaktion bis August 2012

„Rundschau“. Da gibt es eine Pressekonferenz. Zu der fahren wir dann mit Teams und fertigen parallel zur richtigen „Rundschau“ Nachrichtenbeiträge. Die werden dann im Anschluss intensiv mit der Redaktion besprochen. Die Volontäre sollen lernen, zuverlässig, schnell sowie ressourcenschonend zu arbeiten und dabei auch nicht das Publikum aus den Augen zu verlieren. Wie garantieren Sie eine hohe Qualität in der Ausbildung? Durch den Einsatz guter Trainer und die sehr sorgfältige Auswahl der Volontäre. Wir versuchen, unter den Bewerbern die besten zu finden. Wenn wir wissen, dass wir Nachwuchs in bestimmten Redaktionen brauchen, dann haben die Leute, die entsprechende Voraussetzungen dafür mitbringen, größere Chancen, genom­men zu werden. Qualität heißt auch: Sachkompetenz. Wir kön­nen zwar nicht unbegrenzt schulen, aber wir machen all die Dinge, von denen wir erkannt haben, dass sie wichtig sind. Zum Beispiel

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unternehmenswert Tale nt u n d kreativität

Die Volontäre sollen lernen, zuverlässig, schnell sowie res­ sourcen schonend zu arbeiten und dabei auch nicht das Publikum aus den Augen zu verlieren.

juristische Berichterstattung und Recht für Journalisten. Wir führen Seminare zur Wirtschafts- und Auslandsberichterstattung durch. Ethik ist wichtig. Wir haben außerdem ein Seminar, das nennen wir: „Das politische Bayern“. Da geht es um den Landtag, die Staatskanzlei, also staatliches Handeln und politische Institu­ tionen in Bayern. Es geht um Wissen, Urteilsvermögen und die Fragen: Was ist wichtig, was ist nicht wichtig? Zum Ausbildungsprogramm gehört auch ein einwöchiger Studienaufenthalt bei den Journalistenkollegen in Berlin sowie in Brüssel. Die Volontäre sollen nicht nur sehen, riechen und schmecken, wie dort Politik und Berichterstattung funktionieren, sondern auch miterleben, in welchem Umfeld und unter welchem Druck die Kollegen arbeiten. Wenn Sie nach über 20 Jahren rückblickend schauen, haben Sie jetzt das Gefühl, dass das Volontariat bzw. die Volontäre zur Verbesserung der Programmqualität beigetragen haben? Sowohl im Hörfunk als auch im Fernsehen? Eindeutig ja. Schon als der Rundfunkrat in den 1980ern das Volontariat anregte, hat er ja das verbunden mit einer Aufforderung, die Qualität der Journalisten zu verbessern. Es gab damals keine systematische Journalistenausbildung der Sender. Also war die Qualität der Journalisten eher dem Zufall geschuldet. Als wir das Volontariatsprogramm aufgelegt haben, haben wir gesagt, der BR ist der letzte Sender, der ein Volontariat einrichtet, dafür soll es jetzt aber das beste werden.

Ausbildung. Wir bringen den Volontären aber auch bei, neue Sendungen zu konzipieren und zu realisieren. Sie konzipieren im Laufe des Volontariats mehrere neue Formate. Also, das üben wir schon allein deshalb, damit die nicht Angst davor haben, etwas Neues zu machen, sondern damit sie sich darauf freuen. Früher war das im BR ja so: Man fürchtete sich in den Redaktionsleitungen vor neuen Ideen. Heute werden die neuen Ideen der Volontäre mehr gefördert; die Redaktionen sind offener für Anregungen. Wenn Sie sich etwas für Ihre Volontäre wünschen könnten, was wäre das? Ich würde mir wünschen, dass mehr von ihnen als feste Redakteure angestellt werden, weil das Haus einfach mehr davon hat, als wenn es Leute nimmt, die das Haus nur durch eine Hospitanz von zwei Monaten oder gar noch weniger kennengelernt haben. Da geht es ja auch um Investitionen ins Personal – Stichwort „human capital“ – , die man getätigt hat … Auch das natürlich. Man hat viel Geld reingesteckt, die Leute kennen das ganze Haus und es lohnt sich auf jeden Fall für den BR. Immer mehr Redaktionsleiter sehen das zum Glück mittlerweile auch so. Das Gespräch führte Mario Beilhack

Wie geht es für die BR-Volontäre nach ihrer Ausbildung weiter? Was kommt danach? Zwei Drittel der Ex-Volontäre landen beim Fernsehen, leider zu wenige als Redakteure, sondern die meisten als Beitragsmacher. Aktuelle Berichterstattung ist natürlich Schwerpunkt Nr. 1 der

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ta lent u n d kreati v ität unternehmenswert

Anja miller Seit 1. September 2012 ist Anja Miller Leiterin der Ausbildungsredaktion. Ihre Karriere beim BR begann 1993 als Reporterin für den Hörfunk. Daran schloss sich ein Volontariat an (1996 – 1997). Zuletzt war sie stellver­ tretende Redaktionsleiterin im ARD-Mittagsmagazin. Wir haben Frau Miller zu ihrer neuen Funktion kurz befragt: Frau Miller, wie sehen Sie Ihre Rolle als neue Leiterin der Ausbildungsredaktion? Bewährtes erhalten und Neues ermöglichen! Ich weiß bis heute sehr zu schätzen, was ich im Volontariat gelernt habe – sowohl, was das klassische journalistische Handwerk in Radio und Fernsehen betrifft als auch die politischen, juristischen und wirtschaftlichen Seminare. Wichtig für mich waren auch der Teamgeist und die konstruktiven Auseinandersetzungen in der Volontärsgruppe – da lernt man nicht nur fürs Berufsleben. Da sich der Journalismus derzeit, bedingt durch die digitale Revolution, in einer enormen, sehr spannenden Umbruchphase befindet, wird die Ausbildung dem noch stärker Rechnung tragen. Wir wollen, dass die Volontäre nicht nur planen, filmen, reportieren, interviewen, moderieren, texten und erklären, sondern ganz selbstverständlich auch twittern und bloggen. Im Veränderungsprozess BR können die Volontäre durch ihre trimediale Ausbildung außerdem wichtige Schnitt­ stellen managen und Redaktionen im crossmedialen Arbeiten unterstützen.

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unternehmenswert Tale nt u n d kreativität

Universell – Heimat im Film Josef Mayerhofer und Sebastian Stern haben gleich drei Dinge gemeinsam: Sie stammen beide aus Niederbayern, haben beide an der Hochschule für Fernsehen und Film in München studiert und dort das Studium mit einem abendfüllenden Spielfilm erfolgreich abgeschlossen. Drei gute Gründe für Julia Rappold, Nachwuchsförderrefe­rentin des FilmFernsehFonds Bayern mit den beiden jungen Filme­ machern ein Gespräch über Heimat, Film und fil­mische Heimat zu führen. <

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ta lent u n d kreati v ität unternehmenswert

Die beiden Spielfilme „Mischgebiet“ von Josef Mayerhofer und „Die Hummel“ von Sebastian Stern sind Koproduktionen des Bayerischen Rundfunks und erhielten Förderung durch den FilmFernsehFonds Bayern.

damals festgestellt, dass es in Bayern einige Schülerfilmwettbewerbe gab. Und da sind wir uns immer wieder begegnet. Mayerhofer: Wir haben uns dort immer getroffen und uns über ganz handwerkliche Dinge ausgetauscht. Wir waren ja Autodidakten.

Eure beiden Abschlussfilme, „Mischgebiet“ und „Die Hummel“, spielen ja in Niederbayern. Mussten sie auf dem Land spielen, in einer bestimmten Region, oder hätten eure Filme auch in der Stadt spielen können? Stern: Ich mag es gerne, wenn Filme verortet sind, und die Schauplätze nicht anonym oder austauschbar sind. In meinem Fall war es für die Geschichte, wo es um das Wahren von Schein und Fassade geht, sehr wichtig, dass es der Mikrokosmos einer Kleinstadt ist. Es hätte jetzt rein von der Handlung auch eine Stadt in Hessen oder Baden-Württemberg sein können. Es musste aber dennoch stimmig sein und da war es für mich leichter, etwas in einer Gegend anzusiedeln, in der ich mich selbst auskenne und von der ich beim Schreiben bestimmte Gegebenheiten vor Augen habe.

Wo seid ihr aufgewachsen? Mayerhofer: Ich bin in Vilsbiburg aufgewachsen. Stern: Also ich bin in Teisnach und Viechtach im Bayerischen Wald aufgewachsen. Schon damals haben wir da auch ein Filmfest organisiert. Daraus wurde dann das heutige Viechtacher Kurzfilmfest. Da liefen auch schon Filmbeiträge von Josef. Mayerhofer: Unbedingt merken! Geheimtipp.

Glaubt ihr, dass eure Film dadurch authentischer wurden, gerade weil ihr die Region so gut kennt? Stern: Ja mit Sicherheit. Es hilft, die Welt des Films so stimmig wie möglich hinzubekommen. Also, mir war es in diesem Fall nicht so wichtig, dass der Film in Bayern spielt, mir war es wichtig, dass die im Film dargestellte Welt stimmig ist! Mayerhofer: Bei mir war die Region schon wichtig. Es war mir wichtig, ein Bayernbild herzustellen, das ich bisher aus Filmen nicht kannte. Mir ging es darum, ein Heimatbild zu schaffen, das ambivalenter ist und das dadurch auch ein Mehr an Schönheit gewinnt, als wenn man es zu schnell verklärt oder krampfhaft in einen bestimmten Plot hineinzwingt. Das habe ich aus meinen Erfahrungen mit Dokumentarfilmen gelernt. Und doch ist „Mischgebiet“ für mich nicht nur ein Film über eine bestimmte Region in Bayern, sondern ein Film über Provinz an sich. Die Strukturen und Mechanismen im Film könnten durchaus auch woanders spielen. Das „Mischgebiet“ gibt es überall. Dort trifft etwas ausgehöhlt Traditionelles auf globale Strukturen und frisst sich auf. Für mich war aber auch das Bairische wichtig, weil ich es für eine sehr schöne Filmsprache halte. Der Dialekt bietet mehr Kino als das leider viel zu oft verwendete Hochdeutsch. So eine Dialektfarbe fehlt bei ganz vielen Filmen im deutschen Sprachraum, obwohl es den Film musikalischer macht und zur Verortung beiträgt. Stern: Ich schätze es, wenn ein Film beispielsweise in München spielt und ich dabei auch wirklich München sehen und spüren kann. Ihr seid beide in Niederbayern aufgewachsen. Erzählt doch, wie ihr zum Film gekommen seid? Stern: Deine Frage ist insofern lustig, da wir beide uns schon seit der Jugend, also seit unseren filmischen Anfängen kennen. Wir haben beide bereits als Schüler hobbymäßig Filme gemacht und

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Habt ihr sofort gewusst, da gibt es eine Filmschule in München, bei der ihr euch bewerben wollt? Mayerhofer: Ich bin wirklich sehr unbedarft an die Sache ran­ gegangen. Ich wusste schon mit etwa 16, dass ich Film studieren will. Ich wusste vage, dass es eine Filmhochschule in München gibt. Und da viele Leute aus meiner Umgebung nach München zum Studieren gingen, war für mich ganz klar, dass ich da auch hingehe. Es hat ja dann auch gleich geklappt und so bin ich irgendwie reingerutscht. Stern: Der Josef war ja ein Jahr vor mir an der HFF und da wir uns bereits kannten, kam es dann auch dazu, dass ich mal bei ihm war und wir dann meine Bewerbungsaufgabe zusammen angeschaut haben.

Die Hummel Kinofilm, 87 Minuten Inhalt: Regie: Buch: Kamera: Schnitt: Ton: Redaktion (BR): Produzenten: Darsteller:

„Die Hummel“ ist eine lakonische Komödie rund um einen Vertreter für Schönheitsprodukte in einer niederbay­erischen Kleinstadt. Sebastian Stern Sebastian Stern, Peter Berecz Sven Zellner Wolfgang Weigl Udo Steinhauser Natalie Lambsdorff Nachwuchsförderung FFF Bayern Ralf Zimmermann, Mark von Seydlitz u. a. Jürgen Tonkel, Inka Friedrich, Michael Kranz, Steffi Reinsperger, Gerhard Wittmann, Christian Pfeil

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unternehmenswert Tale nt u n d kreativität

Fühltet ihr euch an der HFF gut aufgehoben? War das Umfeld dort für eure Arbeit inspirierend? Mayerhofer: Was mir sehr gut an der HFF gefallen hat, war, dass man den autodidaktischen Weg weitergehen durfte, dass man sich dort weiter ausprobieren durfte. Ich bin ja der Meinung, dass man Filmemachen nicht wie in der Schule lernen kann, sondern man muss es selbst probieren, verinnerlichen und entdecken. Bei mir in der Dokumentarfilmabteilung habe ich auch sehr viel von den anderen Kommilitonen gelernt. Wir waren eine ganz unterschiedliche Truppe, die sich am Anfang erst beäugt hatte. Die einzige Verbindung war das gemeinsame Interesse am Film. Unser Jahrgang hat sich ganz gut zusammengerauft und wir haben noch einen guten Kontakt untereinander. Daraus haben sich gute Freundschaften und auch sehr fruchtbare Arbeitsbeziehungen entwickelt. War das bei dir auch so, Sebastian? Stern: Ja, auf jeden Fall! Ich finde auch, dass man genauso viel von seinen Mitschülern lernte wie durch die Lehrangebote. Man ist halt ständig in einem Austausch. Wir haben nie gegeneinander gearbeitet. Wir waren ja alle ganz unterschiedlich und wussten genau, wer was für Filme machen wollte. Dabei haben wir uns gegenseitig ausgeholfen und das ist auch jetzt noch so: Wenn ich Probleme mit meinem Drehbuch habe, dann gibt es den Tomek oder Christian, mit denen ich dann darüber reden kann. Die wissen genau, was mich als Filmemacher umtreibt. Woher nehmt ihr die Inspiration für eure Themen? Wie viel hat das mit euren eigenen Erfahrungen zu tun? Mayerhofer: Ich fand es sehr interessant, als ich gelesen habe, dass Helmut Dietl seine Münchner Geschichten in L.A. geschrieben haben soll. Ich weiß jetzt nicht, ob das stimmt. Man muss vielleicht woanders sein, um sich in Gedanken an einen bestimmten Ort begeben zu können. Dann ist man in der Lage, sich daran zu erinnern, und kann alles aufschreiben. Aber dennoch glaube ich, dass man einen Teil der Geschichten, die man erzählt, selbst erlebt haben muss. Bei mir geht es da um Stimmungen oder Atmosphären. Die bilden die erste Inspirationsquelle. Dann kommen erst die Personen dazu. Sebastian, woher kommt deine Inspiration? Stern: Aus Beobachtungen im echten Leben. Als Filmemacher geht man mit einem anderen Blick durchs Leben. Dazu gehört es, neugierig zu sein und nachzufragen, sodass man sich ein Reservoir an Geschichten und menschlichen Handlungsweisen zulegt, die man dann im richtigen Moment abrufen kann. Natürlich recherchiere ich auch gezielt, wenn mich ein bestimmtes Milieu, eine bestimmte Welt interessiert. Erst dann beginne ich es auch mit Leben aufzufüllen. Ich stelle mir dann vor, wie würde ich mich oder eine bestimmte Person sich in einer bestimmten Situation verhalten?

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So wird das immer eine Mischung aus Fremdbeobachtung und eigener Vorstellung. Aber ich komme dabei ohne dokumentarischen Anteil nicht aus. Ich bin besser im Finden als im Erfinden, also mehr der Bastler als der Architekt am Reißbrett. Was bedeutet für euch heute der „Heimatfilm“? Würdet ihr sagen, dass eure Filme Heimatfilme sind? Mayerhofer: Heimatfilm heute bedeutet die Suche nach einer Verwurzelung, ohne dass darauf im Film eine Antwort gefunden werden muss. Das Wesentliche ist dieser Prozess der Suche, der in allen seinen Facetten dokumentiert wird! Das darf dann auch scheitern oder kann auch ruhig schiefgehen. Die Berührung, die emotionale Aufladung entsteht durch diese Suchbewegung der Protagonisten im Film. Stern: Ich glaube, wenn man über Bayern oder Deutschland hinausschaut, dass ganz viele US-amerikanische Filme Heimatfilme sind, ohne dass wir da groß darüber nachdenken müssen. Das Westerngenre ist der Heimatfilm schlechthin und wäre undenkbar ohne die Verbindung zum Begriff „Heimat“. Ganz viele Filme des Weltkinos sind Filme, die sich mit Fragen von Verwurzelung, Tradition und Verortung beschäftigen. Heimat ist für mich ein ganz universelles Thema. Deshalb tue ich mir auch so schwer von einem „Neuen Heimatfilm“ zu sprechen, da auch in Deutschland der „Heimatfilm“ nie weg war.

Mischgebiet (International: Mixed Use Zone) Kinofilm, 87 Minuten Inhalt: Eine fiktive Ortschaft irgendwo in Niederbayern, umgeben von Mais-­ feldern und Einkaufsarealen. Nach Jahren kehrt der Rockgitarrist und Weltenbummler Simon auf den Bauernhof seines Vaters zurück. Zeitgleich verschwindet Simons Nichte Marie vom Hof. Die Wiederse- hensfreude weicht schnell aufkom- mender Sorge und Misstrauen. Regie u. Buch: Josef Mayerhofer Kamera: Petra Wallner Ton: Peter Kautzsch, Michi Hinreiner Schnitt: Jörg Elsner Produzent: Rainer Schmidt Produktions­ltg.: OnnO Ehlers Redaktion (BR): Petra Felber Nachwuchsförderung FFF Bayern Darsteller u. a.: Michi Marchner, Eva Sixt, Stephan Zinner, Gerhard Wittmann, Rudolf Waldemar Brem

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ta lent u n d kreati v ität unternehmenswert

Josef Mayerhofer

Stimmt. Aber lange Jahre hat man einfach diesen Begriff gescheut. Mayerhofer: Heimat wurde oft einseitig, verklärend besetzt. Heimat wurde zu propagandistisch aufgefasst und auch eingesetzt. Stern: Was jetzt neu ist, ist, dass das Bekenntnis zu den Wurzeln, zu Heimat oder auch zu Bayern etwas Jugendliches und Cooles haben kann. Was sich auch abseits des Films beobachten lässt, wenn man an den Erfolg von Zeitschriften wie „Muh“ oder auch an den einer Band wie „La BrassBanda“ denkt. Aber es gibt doch weiterhin große politische Probleme auf der Welt, mit denen man sich befassen sollte. Stern: Das stimmt und deshalb mag ich es als Filmemacher auch gerne, wenn man große universelle Themen herunterbricht und im Modellmaßstab der Heimat zeigen kann. Wie zeigt sich die Verunsicherung gegenüber der Welt im Leben einer Kleinstadt? Das ist ein Erzählprinzip, das ich wahnsinnig gerne mag.

Wenn ihr einen Wunsch hättet an eure Filmpartner BR oder FFF, wie würde der lauten? Mayerhofer: Ich würde mir wünschen, dass die Akteure in der Filmbranche weiterhin ihre Offenheit gegenüber kleinen Projekten oder Filmen, die etwas wagen, beibehalten. Es kann ja nicht schaden, seinen Blick etwas mehr zu weiten, auch für Formen des dokumentarischen Films. Stern: Ich wünsche mir eine Kontinuität des Vertrauens. Über ein Filmprojekt baut sich ja ein Vertrauensverhältnis auf. Man lernt sich kennen, man vertraut sich und am Ende steht ein Film. Ich wünsche mir deshalb partnerschaftliche Strukturen zwischen Filmschaffenden und Redakteuren, die über ein Projekt hinausgehen und so eine weitere Zusammenarbeit an Folgeprojekten ermöglichen. Das Gespräch führte Julia Rappold

Fühlt ihr euch am Filmstandort München gut aufgehoben? Stern: Ja. Ich möchte hier bleiben, weil es hier gute Strukturen für Filmschaffende gibt und ich mir hier während meines Studiums ein Netzwerk aufbauen konnte. Für meinen Abschlussfilm „Die Hummel“ war das ganz wichtig, um diesen überhaupt verwirklichen zu können. Mayerhofer: Bei „Mischgebiet“ war das ähnlich. Ich habe dafür sowohl vom BR als auch vom FFF großen Rückhalt und viel Unterstützung bekommen. Für mich gibt es deshalb gar keinen Grund, München oder Bayern den Rücken zu kehren.

Sebastian Stern und Julia Rappold

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unternehmenswert Tale nt u n d kreativität

Wummern im Ohr Impressionen aus der Welt eines Tonmeisters Norbert Joa

Täuscht es, oder hat Wilfried Hauer größere Ohren als unsereins – oder meint man es nur, weil man weiß, er ist Tonmeister? Hier im Studio 10 des Funkhauses schließt er manchmal für einen Moment die Augen, um die Geschichte besser sehen, spüren zu können, den Hörsinn noch weiter zu schärfen. Vor ihm: Monitorboxen, Doppelbildschirme, ein 16-Kanal-Mischpult für die Mikrofone jenseits der Trennscheibe, ein digitales Pult. Faszinierend präzise – so lassen sich Mischungen um hundertstel Sekunden verschieben, zahllose Effekte kreieren. Und doch: Auch früher hat es meisterhafte Klangmischungen gegeben, auf Band, die sich Können und Intuition verdankten. Er hat sie im Ohr, aus 41 Berufsjahren. Eben füllen Stimmen großer Schauspieler den Raum: Thomas Thieme, Peter Fricke, Brigitte Hobmeier, Karin Anselm – alle im Dienste von James Joyce. Ein Hörspiel entsteht: „Dubliner“, unter der Regie von Ulrich Lampen. Sprachblasen wandern in Kolonnen über den Schirm vor Susanne Herzig – „eine begnadet konzen­ trierte Kollegin“, sagt Hauer. Eben fiel ihr zugleich mit dem Regisseur auf, dass beim Wort „enthüllen“ die Endung fehlt. Beide tragen kastenförmige, sehr teure, sehr gute Kopfhörer. „Enthüll … das klang nicht schön, so ausgehustet“, meint Ulrich Lampen, „davon haben wir sicher noch andere Fassungen.“ Beider Manuskript ist übersät mit Strichen und Notizen der Aufnahmetage – das Rohmaterial umfasst 11.737 Takes. Jede Stimme wurde dreifach aufgezeichnet: mit einem modernen Studiomikrofon, einem älteren dynamischen und einem Kondensatormikro­fon aus den 40er-Jahren! So lassen sich die Stimmen im Sinne der Dramaturgie verfremden und bleiben doch erkennbar. „Wir produzieren hier für die Klangverliebten“, sagt Wilfried Hauer, „Liebloses wird ja schon genug produziert.“ Wie würde er wohl klingen, der „Soundtrack des Lebens von Wilfried Hauer“, Jahrgang 47, Tonmeister? Als Zehnjähriger erfüllt ihn die Stimme von Carl-Heinz Schroth alias „Dickie Dick Dickens“, Chicagos gefährlichster Gang­ ster – 51 Folgen, damals ein Radiostraßenfeger … zehn Jahre

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später fauchende Gischt und der wummernde Diesel des Minensuchbootes – noch als wehrpflichtiger Matrose hört er eine Abschlusssendung der Nürnberger Schule für Rundfunktechnik (SRT), entert daraufhin einen Ü-Wagen, trifft auf einen Tontechniker, der die Stones gemischt hat und hört seine innere Stimme sagen: „Genau das will ich auch machen“. Nach der SRT hat er 1971 im BR Studio Bonn als Tontechniker dann zwar nicht Mick Jagger unterm Schneidemesser, dafür aber die Herren Brandt, Schmidt, Genscher und Strauß. Auch nicht schlecht. Früh geht ihm auf: „In jeder Stimme steckt eine ganze Welt.“ Wilfried Hauer entwickelt sein Ohr weiter für den Klang – ob Sport, Volksmusik oder den Pop. „Gottlob habe ich alle Fehler gemacht und so viel gelernt“, sagt er. Überhaupt, dieses endlose dazulernen dürfen … wie müsste im Radio Tatort der Kiosk klingen – wo müssten welche Mikrofone stehen für die Standlfrau Gisela Schnee­ berger? Und wenn sich ein Paar im Bett unterhält, sollte man es doch auch im Bett aufnehmen – nicht wahr? Klingt echter. Und so spielte einmal eine schreckliche Vergewaltigungsszene aus Kriegstagen tatsächlich im schweren Studioholzschrank. Noch ein Tag und die „Dubliners“ sind vertonte Geschichte. Und dann? Bringt er die „Sauwaldprosa“ von Uwe Dick zum Klingen – wieder zwölf Teile, wieder 50 Studiotage. Und dann – geht Wilfried Hauer in den Ruhestand, nach 41 Jahren Klangarbeit. Vielleicht kommt er ja noch ab und an … Stille.

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ta lent u n d kreati v ität unternehmenswert

Wir produzieren hier für die Klangverliebten“, sagt Wilfried Hauer, „Liebloses wird ja schon genug produziert.“

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unternehmenswert kompeten z u n d wertschätzu n g

Die Stiftung Prix Jeunesse Eine einzigartige Qualitätsinitiative für gutes Kinderfernsehen Kirsten Schneid

Qualität im Kinder- und Jugendfernsehen weltweit zu fördern und auszuzeichnen – das ist die Aufgabe der Stiftung Prix Jeunesse. Alle zwei Jahre veranstaltet sie zu diesem Zweck im Bayerischen Rundfunk den Prix Jeunesse International.

Neben den Hauptpreisen gibt es Sonderpreise von UNICEF und UNESCO sowie einen Förderpreis für junge Talente zu gewinnen. Informationseinheiten zum jeweiligen Festivalthema bieten weiteren intensiven und aktuellen Input.

Dieses weltweit einzigartige Festival bringt mehr als 400 Kinderfernsehexperten aus allen Teilen der Welt zusammen, um eine Woche lang gemeinsam die besten Kinderprogramme zu schauen, intensiv zu diskutieren und zu bewerten. Am Ende der Festivalwoche werden die begehrten Prix-Jeunesse-Trophäen vergeben, die für höchste Qualität im Kinderfernsehen stehen.

Die Stiftung zeichnet jedoch nicht nur höchste Qualität im Kinderfernsehen aus. Sie fördert auch das Know-how von Kinderfernsehmachern weltweit durch Fortbildungsarbeit vor Ort. Mit dem Prix-Jeunesse Koffer, der die besten Kinderprogramme des letzten Festivals enthält, organisiert die Stiftung in Kooperation mit internationalen Partnerorganisationen jährlich ca. 40 – 50 Workshops für Kinderfernsehproduzenten rund um den Globus und trägt auf diese Weise die Inspiration des Münchner Festivals und das Verständnis für Hochqualität im Kinderfernsehen hinaus in die Welt. Aber auch Kinder und Jugendliche in Deutschland, und insbeson­dere in Bayern, profitieren von der Qualität der Prix-Jeunesse-Programme: Mit dem „Prix-Jeunesse-Koffer für Kids“ können Schulen und Freizeiteinrichtungen interkulturelle Medienbildung für junge Menschen anbieten. Die Stiftung Prix Jeunesse wurde 1964 vom Bayerischen Rundfunk, dem Freistaat Bayern und der Stadt München gegründet. In späteren Jahren kamen als weitere Mitglieder das ZDF, die BLM und Super RTL hinzu.

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kom pete nz u n d werts ch ätzu ng unternehmenswert

Das Internationale Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungs­ fernsehen Mehr als nur eine Institution – IZI steht für Qualität im Kinder- und Jugendfernsehen Maya Götz

Der Auftrag des IZI ist, mit seiner wissenschaftlichen Forschungsund Dokumentationstätigkeit zur Förderung der Qualität im Kinder-, Jugend- und Bildungsfernsehen beizutragen. Im Zentrum stehen die kulturelle Bedeutung des Fernsehens für Kinder und Jugendliche sowie der Bildungsauftrag der Rundfunkmedien und dessen zeitgemäße Realisierung. Das IZI dokumentiert seit seiner Gründung 1965 den internatio­ nalen Forschungsstand und erschließt die relevante Fachliteratur in der größten, im deutschsprachigen Raum erstellten SpezialDatenbank. Mit Rezeptionsstudien und Medienanalysen erweitert das IZI den internationalen Forschungsstand, insbesondere im Bereich Kinder und Fernsehen. In Zusammenarbeit mit internationalen WissenschaftlerInnen werden aktuelle und öffentlich relevante Themen erforscht, zum Beispiel, wie Kinder Katastrophen wie die in Fukushima wahrnehmen oder wie Fernsehen Kinder mit Migrationshintergrund gezielt beim Deutschspracherwerb unterstützen kann. Neben Qualitätsprogrammen werden auch aktuelle Trends und Problembereiche untersucht. Dies geht von Studien zur Faszination von Castingshows bis zur Problematik von sogenannten „ScriptedReality“-Formaten, die Kinder meist nicht als Fiktion erkennen.

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Die gewonnenen Erkenntnisse bilden die Grundlage für die Beratung von Redaktionen. Gemeinsam werden neue Formate entwickelt und Rezeptionsstudien zu öffentlich-rechtlichen Sendungen durchgeführt. So entstanden u. a. Formate wie Willi wills wissen, die Sendung mit dem Elefanten oder Kikaninchen. BR-Sendungen wie „Karen in Action“, „Checker Can“ oder „Klasse Segel Abenteuer“ wurden so gezielt auf Attraktivität und Wissensvermittlung hin getestet und in Zusammenarbeit mit der Redaktion verbessert. Das IZI veranstaltet regelmäßig nationale und internationale Tagungen und Workshops, in denen gemeinsam mit Redaktionen aktuelle Themen für ein attraktives, qualitätsorientiertes Kinder-, Jugend- und Bildungsprogramm diskutiert werden. In Vorträgen stellt das IZI seine Ergebnisse einer breiteren Öffentlichkeit vor und berät diverse Fachzeitschriften im Bereich Medienkonsum von Kindern und Jugendlichen, Medienkompetenzförderung und Qualitätsprogramme. Mehr Infos zu IZI unter: www.izi.de

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unternehmenswert kompeten z u n d wertsch채tzu n g

Faszination Tiere und Natur BR-Naturfilmproduktionen z채hlen zu den beliebtesten Formaten im Fernsehen Jana Mudrich

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„Am Ende sieht der Zuschauer einen faszinierenden HochglanzFilm, ein preisgekröntes Meisterwerk.“

„Nirgendwo auf der Welt gibt es so viele Bären pro Quadratkilometer wie hier in Kamtschatka, und kein Mensch auf dieser Welt kennt so viele wie Vasili. Dass er noch lebt, obwohl er täglich im Bärenland rund um den Kurilensee unterwegs ist, liegt daran, dass er sein Leben lang Jäger war oder Wilderer – je nachdem, wen man dazu befragt“, erzählt BR-Naturfilmer Felix Heidinger, als er von einer abenteuerliche Expedition zu den Bären auf der russischen Halbinsel zurückkommt. „Bei unserem ersten Rundgang entlang des Sees führt uns Vasili bis auf wenige Meter an eine Bärin mit ihrem Jungen heran. In dieser unmittelbaren Begegnung unternimmt er nichts, um das Tier einzuschüchtern oder zu vertreiben. Stattdessen beginnt er beruhigend auf die Bärin einzureden – wie jemand, der mit seiner Hauskatze spricht. ‚Marusch, Mariechen, bleib ganz ruhig … hab keine Angst Mariechen.‘“

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Diese abenteuerliche Expedition ins Land der Extreme steht am Anfang der Arbeit für die BR-Redaktion „Tiere und Natur“. Am Ende sieht der Zuschauer einen faszinierenden Hochglanz-Film, ein preisgekröntes Meisterwerk. Der Film „Expedition 50° Auf dem Breitengrad der Extreme – Kamtschatka“ von Felix Heidinger erhielt, neben anderen Auszeichnungen, beim Internationalen Naturfilmfestival GreenScreen in Eckernförde den Hauptpreis für die beste Geschichte. Die Jury lobte vor allem die „eindrucksvolle Darstellung einer Expedition, die geradlinig und vor allem spür­bar authentisch erzählt wird.“ Um solche Produkte zu schaffen, müssen wir uns an höchsten Qualitätskriterien messen. Erfolgreich sind auf dem Gebiet des Premium-Tier- und Naturfilms nur diejenigen Filme, die dem internationalen Vergleich standhalten, erklärt Udo Zimmermann, Leiter der Redaktion „Tiere und Natur“. Es gilt, sich neben Werken englischer, amerikanischer und asiatischer Fernsehanstalten und Pro-

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unternehmenswert kompeten z u n d wertschätzu n g

duktionsfirmen zu behaupten. Der Tier- und Naturfilm sei das einzige Genre, in dem es der BR mit einer solch anspruchsvollen Konkurrenz aufnähme, so Zimmermann. Der Redaktion sei es gelungen, sich in diesem immer härter werdenden weltweiten Wettbewerb einen festen Platz zu erobern. Dies gelingt mit aufwendigen Ko- und Eigenproduktionen, die sich sowohl durch packende Dramaturgie als auch durch zukunftsweisende technische Ausrüstung auszeichnen. Felix Heidinger dazu: „Um die Erhabenheit der Bären zu zeigen, die mehrere hundert Kilo wiegen und dabei sprinten wie Hunde, braucht man eine Highspeed-Kamera. Nur so lässt sich veranschaulichen, mit welcher Wucht diese Kraftbündel rennen, welche Menge Wasser ihre massigen Körper emporschleudern und wie die gejagten Lachse über das Wasser hinausschießen. Es geht darum, die Dramatik der Bewegungen einzufangen und erlebbar zu machen.“ Innerhalb der ARD zeichnet sich der BR dadurch aus, dass solche ambitionierten Tier- und Naturfilmprojekte überhaupt möglich sind. Ähnliche Produktionen entstehen nur noch im WDR und NDR. Die BR-Redaktion „Tiere und Natur“ hat im Laufe der letzten Jahre eine uneingeschränkte Fachkompetenz aufgebaut: Naturfilmproduktionen des BR sind längst zu einem Markenzeichen des Hauses geworden. Zuschauerbefragungen und Untersuchungen der BR-Medienforschung zeigen, dass Tier- und Naturfilme zum Kernauftrag der öffentlich-rechtlichen Sender gerechnet werden. Udo Zimmermann meint: „Unsere Dokumentationen gehören zu den beliebtesten Programmangeboten, die auf den BFS-Sendeplätzen die mit Abstand höchste Akzeptanz in den Dritten erreicht.“ Bestätigung und Ansporn sind natürlich die zahlreichen Auszeichnungen: Allein 2011 erhielten acht BR-Produktionen 14 Preise auf renommierten Festivals für Natur- und Tierfilme. Produktionen aus der Reihe „Welt der Tiere“ gehören auf dem internationalen Markt zu den meistverkauften Programmen der Telepool. Außerdem zeichnen sich die Filme durch eine hohe Repertoirefähigkeit aus: In den Dritten gehören „Welt der Tiere“ und „natur exklusiv“ zu den am meisten wiederholten Sendungen. Jede Neuproduktion wird etwa 15-mal ausgestrahlt. Durch die Realisierung von mehrteiligen Reihen wie „Expedition 50°“, „Big Five Südamerika“ und „Das Mittelmeer“ ist die Redaktion zudem weiter in den Premium-Bereich des Tier- und Naturfilms vorgedrungen. Grundlage ist da die Zusammenarbeit mit NDR und WDR sowie mit Arte. Sie ermöglicht es, hochkarätiges Programm für exklusive Primetime-Sendeplätze zu liefern („natur exklusiv“/ BFS, „Erlebnis Erde“ / ARD, „Entdeckungen“ / arte).

auf HD produziert. Zunehmend kommen auch Zeitraffer-, Miniund Highspeed-Kameras, Makrooptiken, Licht- und Kamerakräne, HD-Teleobjektive sowie ferngesteuerte Kameras über und unter Wasser zum Einsatz. Es bedarf einer immer aufwendigeren und kostenintensiveren Ausstattung, um starke Bilder einzufangen und so der Natur möglichst nahezukommen. In Zusammenarbeit mit dem Produktionsbetrieb setzt die Redaktion so neue Standards beim Equipment der Teams und bei der Perfektionierung der Bildsprache. Voraussetzung für hervorragende Dokumentationen ist aber die Lust an der Herausforderung. Autoren und Aufnahme-Teams müssen sich immer wieder in unvorhersehbaren Situationen bewähren: Wie weit darf sich das Team bei Dreharbeiten einer wilden, unberechenbaren Tierart nähern? Wie lassen sich in schwierigen Situationen die spektakulärsten Beobachtungen filmen? Wo finden sich die Protagonisten, die Zugang zu fremden und unwegsamen Territorien verschaffen? Ob Dreharbeiten auf unbekanntem Gelände gelingen, hängt oft von Erfahrungswerten ab – manchmal spontane Entscheidungen und meistens sorgfältiges Abwägen von Risiken und Chancen. Es zählt die Bereitschaft, lange Expeditionen unter rauen Bedingungen auf sich zu nehmen. Und es zählt die Fähigkeit, einzelne Einstellungen minutiös vorzubereiten, zu proben und unter widrigen Umständen umzusetzen. „Manchmal ahnt man nicht, was auf einen zukommt. Bei unserer Expedition nach Kamtschatka wussten wir zunächst nicht, ob wir Vasili, der uns zu den Bären führen sollte, vertrauen konnten. Ob er Gefahrensituationen würde meistern können. Es lag in meiner Verantwortung, dies richtig einzuschätzen“, erzählt Felix Heidinger. Dank ihrer erfahrenen Autorinnen und Autoren verfügt die Redaktion über das Know-how, um eine große thematische Bandbreite abzudecken. Die Kompetenz, die sich die Filmemacher in exotischen Regionen erarbeitet haben, lässt sich auch auf Projekte in Mitteleuropa anwenden. Dabei rücken andere Schwerpunkte und Motive in den Fokus. Besonders reizvoll ist es, die heimische Fauna und Flora in ihrer faszinierenden Vielfalt darzustellen – auf vertrautem Gebiet neue Perspektiven und Einsichten zu offenbaren. In jedem Fall geht es darum, das Bewusstsein für Tier- und Naturschutz zu schärfen. Die Filme sollen – sofern dies möglich ist – Bezüge schaffen zwischen dem Umgang mit der Tier- und Naturwelt in anderen Ländern und in der heimischen Umgebung. Auf diese Art leisten sie einen Beitrag zu einem reflektierten und umsichtigen Umgang mit dem Leben auf unserer Erde.

Um weiterhin in der ersten Liga der Tier- und Naturfilmproduktion mitzuspielen, sind ständige technische Neuerungen notwendig. Eigen- und Koproduktionen werden bereits seit mehreren Jahren

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kom pete nz u n d werts ch ätzu ng unternehmenswert

Die Formate der Redaktion „Tiere und Natur“ setzen unterschiedliche Schwerpunkte. natur exklusiv Die Langzeitbeobachtungen finden über mindestens ein Jahr hinweg statt. Schauplätze sind sowohl exotische als auch vertraute Regionen. In der Reihe „Wildes Deutschland“ sollen daher herausragende Naturräume unserer Heimat als Blue-Chip-Produktionen dargestellt werden. Flugaufnahmen zeigen die Landschaft in eindrucksvoller Brillanz aus der Vogelperspektive. Modernste Aufnahmetechniken geben dem Film einen „Hochglanzlook“, die sonst nur BBC-Produktionen bieten. (51 Sendeplätze im BFS, 7 Sendeplätze in der ARD, 7 Sendeplätze auf Arte) Welt der Tiere Dramatische Tiergeschichten, Tierschicksale zum Mitfühlen und Geschichten von außergewöhnlichen Mensch-Tier-Beziehungen bilden den Schwerpunkt in diesem Format. (35 Sendeplätze im BFS) Nashorn, Zebra & Co – Die Doku-Soap aus dem Münchner Tierpark Tierfilmer Felix Heidinger und Jens-Uwe Heins sind immer mit dabei, wenn es im Münchner Tierpark Hellabrunn etwas zu erleben gibt – und sie sind immer ganz nah dran am Geschehen. Das Ergebnis sind unzählige anrührende Geschichten von Tieren und Menschen: banale und bedeutende, amüsante und traurige. (40 ARD-Sendeplätze/Staffel) Zeit für Tiere Auf diesem Sendeplatz stehen die zahmen Tiere im Mittelpunkt. „Zeit für Tiere“ ist die einzige Sendung im BFS, die sich mit Haustieren, deren Aufzucht, Haltung und Pflege befasst. Hier geht es darum, wie wichtig und wertvoll das Zusammenleben mit Tieren für viele Menschen ist. Ein wichtiger Aspekt ist der ServiceCharakter der Berichte und Reportagen. Sie vermitteln Aufschlussreiches, Hintergründiges und Aktuelles rund um Eigenschaften, Bedürfnisse und die Erziehung der Haustiere. (47 Sendeplätze im BFS)

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Tiere in freier Wildbahn möglichst „hautnah“ zu erleben, darin liegt für viele Zuschauer der Reiz von Tierdokumentationen. Hochspezialisierte Filmteams mit viel Erfahrung und Bewusstsein für die Wunder dieser Welt machen die Bilder von „Pinguin“ und „Bär“.

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unternehmenswert kompeten z u n d wertschätzu n g

Sozial und verantwortungsvoll – der BR als Arbeitgeber In Zeiten der Krise ist der BR als Arbeitgeber ein verlässlicher Sozialpartner Stefan Bossle, Karl Teofilovic

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kom pete nz u n d werts ch ätzu ng unternehmenswert

Der BR ist sich bewusst, dass er nur dauerhaft erfolgreich sein kann, wenn sich seine Beschäftig­ ten wertgeschätzt fühlen.

Der Bayerische Rundfunk beschäftigt Menschen quer durch zahlreiche Berufsgruppen: Journalisten und Autoren, Rundfunk- und Fernsehtechniker, Musiker, Verwaltungsfachleute, IT-Experten, Juristen sowie unterschiedlichste Handwerker. Sogar ein DiplomAgraringenieur steht auf der Gehaltsliste. Für all diese Menschen bietet der BR einen sicheren Arbeitsplatz, vorbildliche Sozialleistungen, flexible Arbeitszeiten, Kinderbetreuung und vieles mehr. Der Bayerische Rundfunk strebt die gleichmäßige Vertretung von Frauen und Männern in allen beruflichen Bereichen und auf allen hierarchischen Ebenen an. Er fördert eine offene und kommunikative Unternehmenskultur. Im Jahr 2011 wandte der BR für seine festen und freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mehr als 460 Millionen Euro auf (Gehälter, Leistungsvergütungen und Sozialleistungen inkl. Altersversorgung). Diese Summe – die in die öffentlichen Kassen und die private Wirtschaft zurückfließt – erhöht sich noch einmal, wenn man die Arbeitsplätze bei BR-Tochtergesellschaften hinzurechnet sowie die Jobs, die durch BR-Aufträge in bayerischen Unternehmen gesichert werden. Da etablierte Ertragsmodelle durch das Internet und die Digitalisierung seit einiger Zeit massiv infrage gestellt sind, wächst der ökonomische Druck auf Zeitungs- und Zeitschriftenverlage sowie auf die elektronischen Medien immens. Aufgrund dieser Tatsache sowie einbrechender Werbeeinnahmen und hoher Renditeerwartungen von Investoren haben viele Medienunternehmen in den vergangenen Jahren Arbeitsplätze abgebaut. Der Bayerische Rundfunk ist diesen Zwängen derzeit noch nicht so massiv ausgesetzt. Deswegen – und wegen seiner Unternehmenskultur – sind die etwa 4.900 Arbeitsplätze des BR ebenso sicher wie die Vorsorge für die Ruheständler. Der Bayerische Rundfunk ist – gerade in Zeiten der Krise – ein sehr verlässlicher Sozialpartner am Medienstandort Bayern.

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Der BR ist sich bewusst, dass er nur dauerhaft erfolgreich sein kann, wenn sich seine Beschäftigten wertgeschätzt und motiviert fühlen, sie engagiert ihrer Arbeit nachgehen und sich mit dem Unternehmen identifizieren. Loyalität, Vertrauen und Offenheit, Engagement, Kommunikationsfähigkeit und soziale Kompetenz sind zentrale Werte, die überall im BR gefördert und gelebt werden. Außerdem versucht der BR eine optimale „Work-Life-Balance“ sicherzustellen: Jahres-, Arbeitszeitund Lebensarbeitszeitkonten sind dabei ebenso selbstverständlich wie Gleitzeit und die Möglichkeit zur Teilzeitarbeit. Daneben schult der Bayerische Rundfunk seine Führungskräfte regelmäßig im Umgang mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – ganz im Sinne des Leitbilds „Die Menschen im BR“. Familienbelange nehmen einen hohen Stellenwert ein: Der Bayerische Rundfunk gewährleistet Familienzuschlag zum Gehalt, Geburtsbeihilfe, Zusatzurlaub bei Geburt oder Krankheit des Kindes, Kontakthalteprogramm/Fortbildung während der Elternzeit und die Anrechnung von Elternzeit auf die Altersversorgung. Der BR trägt mitarbeiterorganisierte Kindergärten, er vermittelt und berät bei der Betreuung des Nachwuchses. Auch eine Spontanund eine Notfallbetreuung gehören zum Sozialangebot des BR – genauso wie die betriebliche Wiedereingliederung für Menschen, die längere Zeit krank waren. Bei der Pflege von Angehörigen lässt der BR seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht alleine – es gibt Beratung und Unterstützung.

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unternehmenswert i n ve stitio n u n d wertschö pfu n g

Die Möglichmacher Die Produktions- und Technikdirektion des BR sorgt für die professionelle, kreative, technische und wirtschaftliche Umsetzung von allen Produktionen des BR im Fernsehen, im Hörfunk und im Internet Wolfgang Haas

In einer schnelllebigen Informationsgesellschaft ist Live-Berichterstattung mit Event-Charakter unverzichtbar. Dazu stehen den Redaktionen die BR-eigenen Personal- und Sachressourcen jederzeit und auch kurzfristig zur Verfügung.

Bayerischen Rundfunk als „Marke“ und eine Unterscheidbarkeit gegenüber anderen „beliebigen“ Angeboten soll durch eine eige­ne Handschrift gewahrt bleiben.

Ob im Umfeld von München und Nürnberg, ob in den Regionalstudios oder in den Produktionsaußenstellen von Fernsehen und Hörfunk, die Präsenz vor Ort mit geschulten Mitarbeiter/-innen und entsprechendem technischen Equipment (Fernseh- oder Hörfunk-Ü-Wägen, SNG-Fahrzeugen, mobile Schnittplätze etc.) ermöglicht eine aktuelle nationale und internationale Berichterstattung auch als Dienstleister für die ARD. Erst die Zusammenarbeit mit den Bereichen Fernseh-, Hörfunk- und Multimediaproduktion der Produktions- und Technikdirektion sorgt aber dafür, dass alle Produktionen des Bayerischen Fernsehens und BR-alpha, des Hörfunks und im Internet höchst professionell und in bester Qualität umgesetzt werden.

Möglichmacher und Berater

Unsere Mission Als Leitlinie gilt für uns: Die Produkte des BR sind stets in einer Form zu produzieren und zu senden, die sowohl den redaktio­ nellen Erwartungen als auch dem öffentlich-rechtlichen Auftrag entsprechen. Dabei ist das vielseitige Know-how zu erhalten und stetig weiterzuentwickeln, um den Anforderungen der unterschiedlichen Genres gerecht zu werden. Die Identität mit dem

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Die Hörfunk-, Fernseh- und Multimediaproduktionsbereiche, wie auch die gesamte Produktions- und Technikdirektion mit den technischen und planerischen Einheiten und der Programmverbreitung, mit all ihren festen und freien Mitarbeiter/-innen sehen sich als die Möglichmacher: Für jede redaktionelle Anforderung wollen wir die passende Lösung aus einer Hand anbieten und mit Qualitätstandards für künstlerisches, handwerkliches, technisches und wirtschaftliches Handeln überzeugen. Dabei sehen sich „Produktion und Technik“ als kompetente Berater, professionelle Dienstleister und verlässliche Partner für die Redaktionen in Fernsehen und Hörfunk. So werden technologische Entwicklungen nicht nur begleitet, sondern auch selbst initiiert, um schließlich im Produktionsalltag überführt zu werden. Die Einführung und Umsetzung von HDTV ist ein gelungenes Beispiel dafür, wie technische Innovationen – trotz knapper werdender Finanzmittel – den Mitarbeitern im BR in kurzer Zeit zugänglich gemacht werden. Ein weiteres Beispiel ist die führende Rolle des BR in der Entwicklung und Einführung innovativer und effizienter Technologien in den Bereichen Digitalradio, Klangerlebnis (Sur-

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round-Sound), Datenverwaltung und Anwendung sowie in der Verkehrs-Telematik. Alle diese technischen Neuerungen müssen aber schnell erlernbar und einfach anzuwenden sein. Vor dem Hintergrund multimedial vernetzter Arbeitsweisen (s. u. Trimediale Herausforderung) spielen standardisierte Arbeitsabläufe eine zunehmend größere Rolle. Innerhalb der Produktions- und Technikdirektion sorgen deshalb die jeweiligen Anlagetechniken für die einwandfreie Funktion aller wichtigen Systeme im Sende- und Produktionsbetrieb.

Trimediale Herausforderung Die Digitalisierung der Medien wirft neue Fragen auf: Wie sehen Konzepte für Produktion und Technik bei einer medienübergreifenden redaktionellen Arbeitsweise aus? Wie wirkt sich die Tri­ medialität auf Fernseh-, Hörfunk- und Onlineproduktionen aus? Welche technischen Infrastrukturen sind zukünftig zu schaffen, wenn zwischen PC, TV und Radio immer weniger unterschieden wird? Welche Herausforderungen entstehen durch die zunehmende Anzahl an mobilen Empfangsgeräten? Wie die konkreten Antworten auch immer aussehen werden, der Einsatz neuer Techniken und deren Integration in die bereits vorhandene Infrastruktur sowie passende Informations- und Schulungsangebote wie auch Qualifizierungsmaßnahmen für Kollegen/-innen in den Fachabteilungen und in den Redaktionen gehören bereits heute zu den ständigen Aufgaben. Mit der Produktion der „Rundshow“ verwirklichten Mitarbeiter aus den Be­reichen Fernsehen sowie Produktion und Technik ein bislang in Deutschland einzigartiges trimediales Pilotprojekt. Die Erfahrungen dazu bilden schon jetzt eine gute Basis für die multi­mediale Zukunft des BR.

Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement

BR-Sendetechnik heißt: Zugang zu einer großen Vielfalt von Programmen und Inhalten auf ver­ schiedensten Verbreitungswegen für unterschiedlichste Empfangsgeräte ermöglichen – und zwar unabhängig von Zeit und Ort.

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Die Bereiche von „Produktion und Technik“ leisten einen unverzichtbaren Beitrag für die Menschen in Bayern, indem sie diesen Zugang zu einer großen Vielfalt von Programmen auf den verschiedensten Verbreitungswegen sowie über unterschiedlichste Empfangsgeräte ermöglichen – und zwar unabhängig von Zeit und Ort. Damit der BR aber seine Stellung in einem sich rasch verändernden Markt erfolgreich behaupten kann, wird es immer mehr auf ein umfassendes und nachhaltiges Qualitätsmanagement ankommen. Dieses Qualitätsmanagement ist eine der wichtigsten Aufgaben neben den komplexen technischen Herausforderungen, die es für den BR zu bewältigen gilt.

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BR auf allen Kanälen Programmdistribution, Programmverbreitung und Wettbewerbsfähigkeit in einer fragmentierten und hybriden Medienwelt Helwin Lesch

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Öffentlich-rechtliche Rund­ funkangebote werden nicht mehr nur über Antenne, Kabel oder Satellit konsumiert, sondern auch zunehmend im Internet und auf mobilen Geräten nachgefragt.

„Public Value“ bedeutet für Produktion und Distribution des Bayerischen Rundfunks, die Angebote des Bayerischen Fernsehens überall dort empfangbar zu machen, wo sie der Zuschauer und Zuhörer zu Recht erwartet, und dies in einer wettbewerbsfähigen Ausprägung und technischen Qualität. Diese beiden Forderungen in Zeiten der Digitalisierung und der Verschmelzung linearer und nicht-linearer Verbreitungsnetze und Angebote zu erfüllen, stellt einen öffentlich-rechtlichen Sender vor große Herausforderungen. Leitlinie für die Distribution unserer Programme sind die Erwartungen unserer Teilnehmerinnen und Teilnehmer an die Präsenz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Dabei beobachten wir seit mehreren Jahren eine deutliche Fragmentierung der Märkte. Öffentlich-rechtliche Rundfunkangebote werden nicht mehr nur über Antenne, Kabel oder Satellit konsumiert, sondern auch zunehmend im Internet und auf mobilen Geräten nachgefragt. Gleichzeitig steht besonders der öffentlich-rechtliche Rundfunk vor der Aufgabe, für gleiche Lebensverhältnisse in Stadt und Land zu sorgen, also seine Programme auch in solchen Regionen an­ zubieten, die aufgrund ihrer dünnen Besiedelung oder anspruchsvollen Topografie besondere Kostenbelastungen in der Versor­gung mit sich bringen. Besondere Fragen für die Präsenz öffentlich-rechtlicher Angebote werfen Plattformbetreiber auf. Plattformbetreiber bündeln Programme verschiedener, öffentlich-rechtlicher oder privater Sender und verbreiten diese als Paket. Dies betrifft sowohl unsere Fernseh- als auch unsere Hörfunkangebote. Aus wirtschaftlich nachvollziehbaren Gründen orientieren sie sich bei dieser Auswahl an deren unmittelbarem Erfolg im Markt. Dies kann jedoch im Wider-

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spruch zum Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks stehen, der auch solche Programmangebote verbreiten muss, deren quantitativer Markterfolg überschaubar, deren Beitrag zum „Public Value“ und Profil des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aber be­ sonders hoch ist. Während die Politik bisher versuchte, diese Inte­ ressensgegensätze durch sogenannte „Must-Carry-Regelungen“ zu überbrücken, zeigt sich in einem Umfeld aus zunehmender Diversifizierung der Verbreitungswege, der Konvergenz mit dem Internet und einer Vielzahl neuer Plattformbetreibern, dass diese Ansätze auf die Dauer zu kurz greifen. Die Lösung liegt für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk daher in einem Paketgedanken, der vorsieht, die öffentlich-rechtlichen Programme den Plattformbetreibern nur gebündelt zur Verfügung zu stellen. So ist es beispielsweise im April 2010 gelungen „T-Home“, also einen der größten Anbieter von internetbasiertem Fernsehen (IPTV) davon zu überzeugen, dass auch das „Bayerische Fernsehen – Nord“, über IPTV verbreitet werden muss. Neben der Präsenz auf allen relevanten Märkten spielt die Wett­ bewerbsfähigkeit der dargebotenen Produkte eine zentrale Rolle. „Public Value“ bedeutet unter dieser Perspektive, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk im Hinblick auf die Bedienbarkeit und Nutzbarkeit seiner Angebote eine besondere Verantwortung trägt. Dies gilt nicht nur für Menschen mit Behinderungen (vgl. „Barrierefreiheit“), sondern für die Gesamtheit der Bevölkerung. Öffentlich-rechtliche Angebote sollen auch in Zukunft von der breiten Masse der Teilnehmer und nicht nur von technik-affinen „early adopter“ genutzt werden können. Nutzerfreundlich gestaltete lineare und nicht-lineare Angebote des Bayerischen Rundfunks können dazu beitragen, eine digitale Kluft in der Fähigkeit zur Nutzung dieser neuen Angebote in unserer Gesellschaft zu überbrücken.

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Insbesondere der Erhalt von Empfangsmöglichkeiten, die einen unkomplizierten und anonymen Zugriff durch den Teilnehmer ermöglichen, ohne Verschlüsselung auskommen, und keine proprietären Endgeräte oder besondere Vertragsbedingungen vorsehen, sind dem Bayerischen Rundfunk dabei ein hohes Anliegen. Wettbewerbsfähigkeit im Sinne des „Public Value“ bedeutet auch, dass die technische Qualität und gestalterische Vielfalt der dar­ gebotenen Produkte nicht hinter das Angebot des Marktes zurückfallen darf. Hier sind hybride Darstellungsformen des Rundfunks, also Kombinationen aus dem linearen Fernsehangebot mit nicht linearen, internetbasierten Zusatzinformationen (Stichwort: „HbbTV“) zu nennen. Der Bayerische Rundfunk hat sehr früh die Bedeutung dieser Technik, sowohl für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer als auch für die Nutzbarmachung des Informationsund Programmvermögens des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, auf verschiedenen Verbreitungswegen erkannt und als erster 2010 hybride Angebote auch über Antenne verfügbar gemacht. Leitender Gedanke ist, dass gerade in der portablen und mobilen Nutzungssituation, die wir über die Antenne erreichen, die Nachfrage nach Zusatzinformationen besonders hoch ist. In die glei­­­che Richtung weist der Schritt des Bayerischen Rundfunks, seine „Rundschau“ in einer „100-Sekunden-Version“ auch mobil ver­ fügbar zu machen. Beim Digitalradio hat sich die ARD zusammen mit den Endgeräteherstellern auf eine Mindestauswahl von Zusatzdiensten, deren Empfangbarkeit mit allen DAB+ Radios sichergestellt ist (sogenanntes „Minimal Set“ mit Dynamic Label, Verkehrsdaten und EPG), geeinigt. Darüber hinaus bieten viele Em­pfänger auch die Möglichkeit, erweiterte Zusatzdaten (z. B. Slideshows) darzustellen. Wettbewerbsfähigkeit im Sinne des „Public Value“ bedeutet schließlich auch, leistungsfähige Netzinfrastrukturen in- und außerhalb des Hauses bereitzustellen. Innerhalb eines Sendeun­ ternehmens eröffnen „Media360Grad-Programme“ neue Möglich­ keiten, den Vertrieb von Inhalten über eine Vielzahl von Platt­formen konsequent an den Zuschauerwartungen und Markerfordernissen auszurichten und flexibel zu steuern. Außerhalb des Hauses sind insbesondere unsere gut ausgebauten Netzinfrastrukturen zur Signalkontribution, also für die Zu- und Ausspielung von Beiträgen, Sendungen und Daten von wachsender Bedeutung. Diese breitbandigen Leitungen sind in Zeiten immer kürzerer Informationszyklen und wachsender Qualitätsanforderungen eine wichtige Säule für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Kolleginnen und Kollegen im Programm und erlauben eine akti­ve Erfüllung des Programmauftrages des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.

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BR-Sender am Wendelstein: oben: Sendetechnik rechts: Techniker im Controlroom des Senders

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Qualität auf Mausklick – die BR-Mediathek Mehr als 150.000 Audios und Videos stehen rund um die Uhr zum Abruf bereit Dennis Lohmann und Petra Zinth

Sabine will ihre „Rundschau“ auch in Australien live sehen, Sebastian hat einen Videolink zu „on3-südwild“ bekommen, Rudi hat bei Google „Bruno Jonas“ eingegeben und ist auf eine Menge Bayern 3-Audios gestoßen, Brigitte hat die letzte „quer“-Sen­dung verpasst und Niki will sich fürs Auto ihr persönliches Best of aus dem Bayern 2-Angebot auf ihr Smartphone laden. Unterschiedliche Gründe, aber ein Ziel: In der BR-Mediathek fin­den diese Internetnutzer, was sie suchen: Audios und Videos aus allen Programmen des Bayerischen Rundfunks stehen dort zum Abruf zur Verfügung oder können live gehört bzw. gesehen werden. Praktisch von jedem internetfähigen Computer, rund um die Uhr, und bald auch via HbbTV auf dem heimischen Flatscreen-Fern­ seher oder unterwegs auf dem Smartphone. Ein Service, der beim BR schon fast Tradition hat: Der Heimatsender folgt dem Nutzer, ganz gleich wohin dieser unterwegs ist, gemäß dem Motto: „Mein BR“. Begonnen hat es im Jahr 2005. Als erster Sender der ARD versammelte der BR seine Audios zum Runterladen in einem PodcastCenter. Damit war der Grundstein gelegt, auf dem ein sich weiterhin dynamisch entwickelndes Angebot aufgesetzt werden konnte. Mittlerweile werden bis zu zwölf Millionen Audio- und Video­ dateien pro Monat in der BR-Mediathek „Podcast“ abgerufen, Tendenz weiter steigend. Seit 2009 haben die Fernsehredaktionen einen eigenen Bereich für ihre Videos in der BR-Mediathek und

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In der BR-Mediathek stehen zu jeder Tages- und Nachtzeit Audios und Videos aus allen Programmen des Bayerischen Rundfunks zum Hören.

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auch dieses Angebot fand auf Anhieb regen Zuspruch. Mittlerweile ist bereits jeder zweite Download der „Top20“ in der BR-Podcast-Welt ein Programmvideo. Intensiv gefragt sind bei den Audios und Videos jene Angebote, die jeweils bis zu einer Woche davor in einem der BR-Radio- oder Fernsehprogramme gesendet wurden. Aber das ist nur eine aktuelle Momentaufnahme. Die älteren Beiträge spielen zwar quantitativ bereits eine bedeutende Rolle. Ihr besonderer Wert liegt aber in ihrer strategischen Bedeutung als sogenannter „Long Tail Content“. Vor allem diese Beiträge sind es, die bei den thematischen Suchen für das Gros der Treffer sorgen. In allen Nutzungsszenarien gilt: Die Bedeutung der Mediatheken wird weiterhin steigen, aber die Geschwindigkeit und der Fokus des Bedeutungszuwachses kann nur geschätzt werden. Welche Beschleunigung die nicht-lineare Nutzung von Audios und Videos zum Beispiel durch Audio- und Video-Empfehlungen in sozialen Netzwerken erfahren kann, ist schon heute deutlich spürbar. Der BR ist dank seiner hochwertigen Hörfunk- und Fernsehbeiträge für eine Entwicklung in Richtung nicht-linearer Nutzung grundsätzlich gut gerüstet. Inhaltlich verfügt der BR in vielen Themenbereichen über das beste und umfangreichste Material. Mehr als 150.000 Audios und Videos stehen aktuell über „BR.de“ rund um die Uhr zur Verfügung. Ein Teil wird nach Ablauf der gesetzlich möglichen Verweildauer wieder gelöscht. Dafür kommen stän­dig neue dazu. Letztlich wird ein erheblicher Anteil am Gesamtsen­ devolumen des BR im Web publiziert. Dieser Anteil wird gewiss weiter wachsen. Ebenso muss die BR-Mediathek an neue multimediale Trends angepasst werden. Die Nutzerführung ist zu verbessern und die technische Qualität zu optimieren. Nur dann kann die BR-Mediathek mit den Mediatheken anderer großer Sender Schritt halten. Außerdem sind neue Ausspielwege wie HbbTV und neue Qualitätsstufen wie HD-Audios und -Videos zu berücksichtigen. Freilich sind die Finanzen knapp. Vor diesem Hintergrund ist bei der Verteilung der Ressourcen ein dynamisch balanciertes Verhältnis zu finden zwischen dem Anteil für die originäre Produktion der Inhalte und dem Anteil für dessen Verbreitung, die auf den immer wichtigeren Plattformen außerhalb des klassischen Radiound Fernsehprogramms erfolgt. Ausbaumöglichkeiten für die BR-Mediathek gibt es viele. Dahin­ter stehen jedoch komplexe und damit auch aufwendige technische Anforderungen. Vor allem bei den Videos sind komplexe Rechteklärungen zu berücksichtigen. Mit Blick auf die Fülle der ebenfalls wichtigen Weichenstellungen für die Zukunft ist also bei der BRMediathek keine „Big Bang“-Strategie angezeigt. Der BR wird diesen wichtigen Service schrittweise optimieren und ausbauen. Maßgebend ist dabei die weitere Entwicklung der Nutzung von Radio- und Fernsehbeiträgen über das Internet. Denn bei allen Erfolgen der Mediatheken mit ihrem wachsenden, zeitunabhängigen, vom Nutzer selbstbestimmten Audio- und Videokonsum

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dürfen zwei typische Mediennutzer noch lange nicht aus dem Zentrum der Ressourcenplanung geschoben werden: Annette auf der Couch vor ihrem Fernseher und Gerhard mit seinem Radio in der Küche oder im Auto. Sie hören wie früher per einmaligem Knopfdruck die altbekannten Radio- und Fernsehprogramme des BR über Kabel, Satellit oder terrestrisch – und diese Nutzungsform wird auch in den nächsten Jahren noch den Löwenanteil bilden. Die BR-Mediathek bleibt ein zentrales Beispiel für den Wandel und die Erweiterung der Vertriebspalette des klassischen Rundfunks. Dazu gehören natürlich auch die mittlerweile schon klassische Website des BR, die Blogs oder die zahlreichen Aktivitäten im Bereich Social Media. Das Entscheidende dabei ist: Verbreitungswege, Medien oder Plattformen werden miteinander vernetzt. Sie können nicht gegeneinander aufgewogen oder in Konkurrenz zueinander gesehen werden. Im Gegenteil: Sie ergänzen sich und stärken sich gegenseitig. Die neuen multimedialen Angebote sind eine Erweiterung unseres Auftrags, qualitativ hochwertige, öff­ entlich-rechtliche Inhalte anzubieten. Darin liegt unsere Zukunft, und in die müssen wir weiterhin investieren.

Mittlerweile werden bis zu zwölf Millionen Audio- und Video­ dateien pro Monat in der BRMediathek „Podcast“ abgerufen, Tendenz weiter steigend.

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Auch (das ist) „Unser Wert“ Der BR als Medienunternehmen Stefan Bossle und Karl Teofilovic

Als viertgrößte ARD-Anstalt spielt der BR nicht nur am Medien­ standort Bayern eine wesentliche Rolle, sondern auch in Deutschland. Er beschäftigte 2011 etwa 4.900 fest angestellte und feste freie Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter und verfügt über sieben größere Standorte. Im Herzen Münchens steht das Funkhaus, sozusagen die Zentrale des BR. Dort angesiedelt sind die Hörfunkprogramme, die Intendanz, die Juristische Direktion, weite Teile von Verwaltung und Technik sowie die ARD-Programmdirektion. An den Standorten Freimann und Unterföhring befinden sich die Einrichtungen des Bayerischen Fernsehens und von BR-alpha. In Ismaning stehen Sendeanlagen des Bayerischen Rundfunks. Hinzu kommen das Studio Franken in Nürnberg, das Regionalstudio Mainfranken in Würzburg und das Regionalstudio Ostbayern in Regensburg. Der Bayerische Rundfunk unterhält außerdem 20 Korrespondentenbüros in allen Teilen des Freistaats und hat Hörfunk- bzw. Fernsehkorrespondenten in Berlin. Im Ausland ist der BR präsent mit Hörfunk-/Fernsehkor­ respondentenbüros in Wien, London, Paris, Brüssel, Rom, Tel Aviv, Washington und Buenos Aires sowie in Istanbul und Teheran. An allen diesen Standorten werden Menschen beschäftigt, Sozial­ leistungen erbracht, Steuern bezahlt. Überall, wo der Bayerische Rundfunk vertreten ist, erteilt er Aufträge an die Wirtschaft – an Handwerker, an Dienstleister, an produzierende Unternehmen. Die wirtschafts- und medienpolitische Bedeutung des BR spiegelt sich auch in seinen Tochtergesellschaften und Unternehmensbeteiligungen wider. Die Bayern Digital Radio GmbH, die Bayerische Medien Technik GmbH und das Institut für Rundfunktechnik (IRT) sind führend bei der Entwicklung von DAB. Die Bavaria Filmkunst GmbH, die Degeto Film GmbH und die Telepool GmbH spielen eine wesentliche Rolle bei dem Bemühen, Bayern für Filmschaffende attraktiv zu halten. Die BRmedia GmbH ist einer der wichtigsten Partner für die Werbewirtschaft. Hinzu kommen die Stiftung Prix Jeunesse und die Stiftung Zuhören, die sich um Kinderfilm und Bildung – vor allem von Kindern und Jugendlichen – bemühen. Diese Unternehmen und Institutionen erbringen einen wichtigen Beitrag für die Attraktivität, Leistungsfähigkeit und Innovationskraft

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des Medienstandorts Bayern. Aufträge und Investitionen sind der Treibstoff für den Motor einer Volkswirtschaft – rund 475 Millio­nen Euro für bezogene Leistungen und Material ließ der Bayerische Rund­funk 2011 in den ökonomischen Kreislauf fließen. Dadurch werden zuverlässig Arbeitsplätze in Bayern gesichert – ein nicht zu vernachlässigender Faktor in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit. Und nicht zuletzt wirkt der BR als technischer Innovationsmotor, was sich ebenfalls positiv auf die wirtschaftliche Bilanz des Freistaats auswirkt.

Wirtschaftsfaktor BR Ungeachtet der schwierigen Wirtschafts- und Finanzbedingun­­gen hat der BR seine Investitionsquote in den vergangenen Jahren mit über vier Prozent der Gesamtaufwendungen konstant gehalten. Im langjährigen Mittel investiert der Bayerische Rundfunk etwa 40 – 45 Millionen Euro im Jahr. Ein Beispiel: Im Wirtschaftsplan 2012 sind Investitionsmittel von etwas mehr als elf Millionen Euro für die Einführung von HD-TV und eines neuen HD-Aufzeichnungssystems eingeplant, zur technologischen Umrüstung und An­pas­ sung der Sende- und Produktionssysteme im Fernsehen – ins­ gesamt wurden dafür in den vergangenen Jahren knapp 40 Millio­nen Euro bereitgestellt. Investitionen stellen Ausgaben dar, die für „dauerhaftere“ Projekte oder Anschaffungen gedacht sind. Daneben fließt Geld aus vielen anderen (kurzfristigeren) Aufträgen in den Wirtschaftskreislauf. So steckt der Bayerische Rundfunk rund 50 Millionen Euro jährlich in die Produktion von Fernsehfilmen und Serien. Nimmt man alle Aufträge zusammen, die der BR 2011 der Filmwirtschaft erteilte, ergibt sich eine Gesamtsumme von über 175 Millionen Euro. Bei den Investitionen der kommen­den Jahre liegt der Schwerpunkt weiter auf Projekten der digitalen und vernetzten Hörfunk-, Fernseh- und Sendetechnik, u. a. auch zur Realisierung der Trimedialität. Vor diesem Hintergrund gibt der BR für den Umbau von Studios bei Hörfunk und Fernsehen sowie für technische Nachrüstungen und Updates an allen Standorten immer wieder mehrstellige Millionensummen aus. Auch da­­durch sichert der BR Existenzen in Wirtschaft und Handwerk.

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Fünf Fragen an … Bettina Ricklefs, Leiterin des Programmbereichs Spiel – Film – Serie

Mit welchen Sendeformaten und Themen lassen sich schon heute die Zuschauer von morgen binden? Mit starken attraktiven Marken und verlässlich hoher Qualität – wie etwa mit unseren wertvollen Kinderfilmen, unseren Kinofilmen, Dokumentationen sowie Mittwochsfilmen, die mit zeitgeschichtlichen Themen und spannenden, anspruchsvollen wie auch gut recherchierten Inhalten mit Alltagsbezug Anerkennung beim Publikum finden. Gleichwohl müssen wir an Alleinstellungsmerkmalen arbeiten und diese kommunizieren. „Heimat“ ist so ein wichtiger Themenkomplex, der im Wettbewerb mit dem zunehmend globaler werdenden TV-Markt eine große Chance hat. Vorstellbar wäre für mich auch, den Zuschauer künftig in den Themen- und Formatfindungsprozess stärker einzubinden. Aber vor allem gilt es, immer neugierig zu sein, sich niemals auf Bewährtes zu verlassen. Welche medialen Plattformen halten Sie dabei für geeignet? In den kommenden Jahren werden beim BR Hörfunk, Fernsehen und Internet immer

stärker zusammenwachsen. Dabei wird der Repertoiregedanke eine wichtige Rolle spielen. Unsere Kino- und Fernsehfilme im linearen Fernsehen besitzen großes Potenzial dank ihres ästhetischen, stilistischen und technischen Niveaus und bleiben auch nach Erstausstrahlung wertbeständig. Es entsteht wiederholbares Programm. Dieses Repertoire hat essenziellen Wert für die Zukunft. Die Mehrfachnutzung hochwer­ tiger Programme ist mehrfache Wertschöpfung. Inwiefern ist denn der bayerische Heimatbegriff leitend bei der Auswahl von Stoffen für den überregionalen ARD-Einsatz? Der Heimatbezug war in der Vergangenheit wichtig und wird auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Sicherlich ist die regionale Verwurzelung in einer zunehmend globalisierten Welt entscheidend, sollte aber immer nur ein Merkmal bei der Auswahl von Filmstoffen sein. Wenn ein Filmstoff gut ist, werden wir ihn natürlich nicht aufgrund eines fehlenden Heimatbezugs ablehnen, das erste und letzte Kriterium sollte immer die Qualität des Stoffes sein. Der BR zeichnet sich als Koproduzent wegweisender, oft preisgekrönter Produktionen aus. Welchen Stellenwert wird das in Zukunft haben? Wir wollen unseren guten Ruf als Koproduzenten in den kommenden Jahren verfestigen und erweitern. In der Vergangenheit wurden wir dafür mit zahlrei­chen Preisen belohnt. Doch bei aller Wert-

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schätzung dürfen wir nicht übersehen, dass wir finanziell nicht mehr aus dem Unendlichen schöpfen können. Der Konflikt – einerseits noch mindestens drei Jahre eingefrorene Etats, andererseits der Wunsch nach Qualität – wird zur Herausforderung. Mut und Risikobereitschaft sind gefragt. Wir werden vielleicht in der Quantität, nicht aber in der Qualität Abstriche machen. Es geht uns um eine zuverlässige und nachhaltige Qualitätsgarantie, dass Filme eben lebendig bleiben, wichtige, kulturel­le Impulse geben können und dass so künstlerische Nachhaltigkeit geschaffen wird. Stichwort „Qualität durch Nachwuchs­ förderung“: Welches Gewicht werden Sie ihr in Zukunft einräumen? Die Nachwuchsförderung ist und bleibt eine der wichtigsten Säulen in unserem Programm. Wir wollen jungen Autoren und Regisseuren den Raum geben, das Per­sön­liche, Unverwechselbare ausfindig zu machen, die eigene Handschrift zu entwickeln, die eigene Sicht auf die Welt zu vermitteln und zu den verschiedenen sozialen und politischen Milieus Position zu beziehen. Davon erwarten wir uns einen neuen Blick – auch auf Bekanntes und eine neue, filmische Sicht auf Themen.

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Bleibende Werte Der Bayerische Rundfunk als Filmproduzent Harald Steinwender

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Filme erfüllen verschiedene Funktionen für unsere Gesellschaft: Sie sind Kunstform und Massenmedium, Unterhaltungsware und Wirtschaftsgut, zugleich immer Spiegelbild ihrer Entstehungs­zeit, im besten Fall sogar herausragende Zeitzeugnisse. Wenn sich zukünftige Generationen fragen werden, wer wir waren, wie die Menschen im 20. und frühen 21. Jahrhundert gelebt, gedacht und gefühlt haben, dann finden sie Antworten in den Filmen unserer Zeit. So erzählt ein Spielfilm wie Florian Henckel von Donnersmarcks „Das Leben der Anderen“ nicht nur heutigen Zuschauern etwas über das Leben in der DDR, er wird späteren Generationen auch zeigen, wie die Deutschen 15 Jahre nach dem Ende der zweiten deutschen Diktatur begannen, ihre Vergangenheit zu reflektieren. Moderne Heimatfilme wie Marcus H. Rosenmüllers „Wer früher stirbt ist länger tot“ und Hans Steinbichlers „Hierankl“ entwerfen das Konzept „Heimat“ ganz neu aus einer regionalen Perspektive. Eine internationale Koproduktion wie Michael Hanekes Parabel „Das weiße Band“ stellt bedeutende Fragen nach den histori­­schen und politischen Folgen autoritärer Strukturen. All diese Filme sind in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Rundfunk entstanden, der seit Jahrzehnten ein geschätzter Partner der deutschen Filmwirtschaft ist. Der BR engagiert sich für Spiel- und Dokumentarfilme auf unterschiedliche Weise: als Ko­pro­duzent von Filmen, die von Anfang an für eine Kinoauswertung geplant sind, mal federführend wie bei „Sophie Scholl – Die letzten Tage“, mal als einer von mehreren ARD-Sendern, die sich gemeinsam an einem Projekt beteiligen wie an „Der Baader Meinhof Kom­plex“. Mitunter werden auch herausragende Fernseh-Auftrags­ produktionen wie Dani Levys „Alles auf Zucker!“, eine Produktion des WDR und des BR, im Kino ausgewertet. Allein im Jahr 2011 kamen eine Vielzahl von qualitativ hochwer­ tigen Filmen mit BR-Beteiligung in die deutschen Kinos und auf Festivals zur Uraufführung, darunter Florian Cossens „Das Lied in mir“, Philipp J. Pamers „Bergblut“, Marcus H. Rosenmüllers „Sommer in Orange“, Christian Züberts „Dreiviertelmond“, Maggie Perens „Die Farbe des Ozeans“, Chris Kraus’ „Poll“ und Roman Po­ lanskis „Der Gott des Gemetzels“ sowie Dokumentarfilme wie Gereon Wetzels „El Bulli – Cooking in Progress“ und Cyril Tuschis „Der Fall Chodorkowski“. Eine Auswahl, die sich sehen lassen kann, deren Qualität für sich spricht und die in ihrer Vielfalt vom Kunstfilm bis zum populären Sujet, vom Melodram bis zur Komödie auch die Vielfalt des deutschen Kinos widerspiegelt.

derungsanstalt (FFA) bereit, die den deutschen Film und die Filmwirtschaft unterstützt, er kooperiert mit der Hochschule für Fernsehen und Film München (HFF) und beteiligt sich damit an der Nachwuchsförderung, er ist Gesellschafter der Telepool GmbH, die weltweit Filme vertreibt. Weiterhin engagiert sich der BR bei Nachwuchsfestivals, in der Partnerschaft auf dem Filmfest München für den „Förderpreis Deutscher Film“, durch die Unterstützung der Regensburger Kurzfilmwoche und des Internationalen Festivals der Filmhochschulen. Das sind wohlgemerkt nur einige Beispiele. Selbst durch den Einkauf von Spielfilmlizenzen, die mit mehr als 500 Programmstunden eine wichtige Säule der Programmgestaltung des Bayerischen Fernsehens sind, profitieren Verleiher und Filmindustrie, die aus den Kinoerlösen allein nie ihre Projekte finanzieren könnten. Dieses Engagement wird nicht nur in Deutschland, sondern auch international wahrgenommen. Die Preise und Auszeichnungen, die BR-Koproduktionen erhalten haben, sind schon Legion – allen voran der Oscar 2007 für „Das Leben der Anderen“ und die „Goldene Palme“ auf dem Filmfestival Cannes 2009 für „Das weiße Band“. Allein im Jahr 2010 gab es mehr als 100 deutsche und internationale Preise für Auftrags- und Koproduktionen des BR. Natürlich ist die Beteiligung des BR am deutschen und interna­­tio­nalen Film nicht völlig uneigennützig und in der Regel an die Auswertungsrechte für das deutsche Fernsehen gekoppelt. Da­bei können das Bayerische Fernsehen, die ARD und arte von der hohen Repertoirefähigkeit der BR-Produktionen profitieren. Aber auch die Programmgestaltung bietet in Zeiten schwankender Kinobesucherzahlen Spiel- und Dokumentarfilmen eine Nische, in der sie ein größeres Publikum erreichen können. So stehen den 660.000 deutschen Kinobesuchern von „Das weiße Band“ 4,3 Millionen Zuschauer bei der Erstausstrahlung im Ersten am 3. Oktober 2011 gegenüber. Auch das ist Teil der Vermittlung von Filmkunst und ein Weg, die Filmkultur Deutschlands zu beleben. Eine Filmkultur, die im Übrigen in ihrer heutigen Form ohne das Engagement der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender nicht mehr existieren würde. In diesem Sinn leistet der Bayerische Rundfunk seit Jahrzehnten konstant auf hohem Niveau einen bedeutenden Beitrag zum deutschen Film, der als kulturelles Gedächtnis unserer Gesellschaft einen unverzichtbaren bleibenden Wert darstellt.

Hinzu kommen die Leistungen des BR als Mitglied und Partner bedeutender Institutionen der deutschen Filmwelt. Der BR ist Ge­ sellschafter des FilmFernsehFonds Bayern (FFF) und damit an der Filmförderung in Bayern beteiligt, er stellt Mittel für die Filmför­

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Außenstimme:

Vertrauen hat einen Preis Dr. Klaus Unterberger ist Leiter des Public-Value-Kompetenzzentrum in der ORF-Generaldirektion, verantwortlich für Maßnahmen der ORF-Qualitätssicherung und der internen und externen Kommunikation zu Fragen des öffentlichrechtlichen Profils.

Dr. Klaus Unterberger Dr. Klaus Unterberger ist Leiter des „Public-ValueKompetenzzentrums“ in der ORF-Generaldirektion und dort u. a. zuständig für Maßnahmen der Qualitätssicherung. Er arbeitet seit 1982 für den Österreichischen Rundfunk und war als Redakteur und Moderator für zahlreiche Sendereihen u. a. „Argumente“ und „Bürgeranwalt“ tätig.

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Wer öffentlich-rechtlichen Medien vertrauen soll, muss sich ver­ lassen können, dass nicht nur die Qualität, sondern auch die Rechnung stimmt. Das gilt insbesondere für den ORF und wohl auch den BR, die aus Gebührenmitteln finanziert werden. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, unserem Publikum glaubwürdig nachzuweisen, dass Gebühren sinnvoll investiert verwendet, unsere Programme und Aktivitäten wirtschaftlich effizient umgesetzt und von wirksamer Kontrolle begleitet werden. Der ORF hat daher im Rahmen seines Qualitätsmanagements neben jenen Kategorien, die sich unmittelbar auf die Programmproduktion beziehen einen „Unternehmenswert“ definiert, der drei wesent­­liche Leistungskriterien ausweist:

Kompetenz Qualität ist mehr als eine Behauptung. Daher verpflichten sich öffentlich-rechtliche Medien zu einem System von kontinuierlicher Analyse, interner und externer Evaluierung, die garantieren, dass die gesetzlichen Funktionsaufträge erfüllt und entsprechende Qualitätsstandards in redaktioneller Arbeit und Produktionstechnik eingehalten werden. Dazu gehören verbindliche Programmrichtlinien, ein Verhaltenskodex für Journalist/innen, die Kooperation mit der Wissenschaft, der Dialog mit Expert/innen sowie der intensive, internationale Austausch von Erfahrung und Know-how mit Partnern in der EBU (European Broadcasting Union). Auch wenn sich nicht alles in Zahlen und Daten fassen lässt: Kompetenz ist eine überprüfbare Eigenschaft. Ausbildung und Weiterbildung der Mitarbeiter/innen stellen sicher, dass die originäre Qualität öffentlich-rechtlicher Medienproduktion auch erkannt und wirksam umgesetzt wird. Eben weil öffentlich-rechtliche Medien mehr als nur „just business“ sind, ist auch Sozialkompetenz relevant: Fra­gen der Gleichbehandlung, Rechte und Pflichten der Mitarbeiter/innen, interkulturelle Kompetenz, programmwirksame Elemente wie Jugendschutz, Barrierefreiheit und Humanitarian Broad­ casting drücken aus, dass Public Value bedeutet, zuweilen auch eine Haltung einzunehmen und eine soziale Dimension zu beanspruchen, die öffentlich-rechtliche Medien von kommer­ziel­ler Konkurrenz unterscheidet.

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Transparenz Wer weiß schon, wem Pro7/Sat1 gehört? Wem gegenüber sich ProgrammdirektorInnen von RTL rechtfertigen, wenn nicht ih­ren – zumeist – anonymen Investoren? Der Vergleich macht sicher: Nur öffentlich-rechtliche Medien machen mit der Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit ernst. Gebührenzahler/innen sollen wissen, WER in den Kontrollgremien mitbestimmt, wann und warum richtungsweisende Entscheidungen getroffen werden. Im Gegensatz zu kommerziellen Medien stellt der öffentlich-rechtliche Rundfunk sicher, dass Vertreter der Gesellschaft mitreden und mitbestimmen, auch wenn das manchmal zu Auseinandersetzung, Kritik und Konflikt führt. Diese Verlässlichkeit in Überprüfbarkeit und Transparenz muss auch wahrnehmbar umgesetzt werden: durch umfangreiche Unternehmenskommunikation, durch ein funktionierendes Beschwerdemanagement, durch seriöse und kompetente Produktinformation und nicht zuletzt durch bürgernahe Initiativen, die unter Beweis stellen, dass der Begriff „Rundfunk der Gesellschaft“ auch tatsächlich gilt.

Innovation ORF und BR bewegen sich in einem herausfordernden Umfeld: Zunehmende Konkurrenz, neue Kommunikationstechnologien und eine zu Recht anspruchsvolle Öffentlichkeit machen Entscheidungen notwendig, die auf die Zukunft ausgerichtet sind: HDTV, Video on Demand, Onlinekommunikation, aber auch die Programmentwicklung in Fernsehen und Radio erfordern crossmediales Den­­ken, das zu radikalen Veränderungen bereit ist. Die Innovationsgeschwin­digkeit hat sich im digitalen Zeitalter vervielfacht. Öffentlich-rechtliche Unternehmen müssen daher auch „über ihren Schatten springen“ und ihre Navigation auf neue Horizonte statt auf alte Gewissheiten ausrichten. Innovation ist dabei eine „Erinnerung an die Zukunft“, die den geltenden Auftrag der Gesellschaft mit den Ansprüchen der Medienwelt von morgen verbindet. Das alles hat einen Preis: Vertrauenswürdige Information, anspruchsvolle Unterhaltung, kulturelle, regionale, ethnische, internationale Vielfalt, überprüfbare Kompetenz auf Klick und Knopfdruck ist nicht gratis. Der Unternehmenswert öffentlich-rechtlicher Medien sollte deutlich machen, dass die Gebühren­finanzierung eine sinnvolle Investition in Medienqualität ist. Dass Fernsehen, Radio und Online mehr sind als Geschäftsmodelle. Dass Public Service auch in Zukunft eine öffentliche Aufgabe ist, die dem demokratischen Diskurs und vor allem den Anliegen und Interessen der Menschen nützt.

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Wertebild

„Unternehmenswert“, gesehen von Fotografin und Dokumentarfilmerin Petra Wallner

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Impressum Herausgeber Bayerischer Rundfunk Ulrich Wilhelm (Intendant) Verantwortlich: Andreas Bönte (Programmbeauftragter Bayerisches Fernsehen) Redaktion Georg Scheller (Leitung) Mario Beilhack Konzept & Gestaltung fpm factor product münchen In Zusammenarbeit mit Redaktionen des Hörfunks und Fernsehens Produktions- und Technikdirektion BR-Marketing Druck Aumüller Druck GmbH & Co. KG Stand November 2012

Bildnachweise S. 7: BR / Ralf Wilschewski S. 9: BR / Foto Sessner S. 16 / 17 / 19 / 21: Mario Beilhack S. 22 / 23: BR / Bernhard Paulus S. 25: Mario Beilhack S. 27: BR / Foto Sessner S. 30 / 31: Denis Pernath S. 32: BR / Theresa Högner S. 33: Denis Pernath S. 34: Privat / Torsten Teichmann S. 35: BR / Ralf Wilschewski S. 39 o.: BR / Christoph Mukherjee S. 39 u. und re.: BR / Evelyn Schels S. 41: Mario Beilhack S. 44 o. und u. li.: BR / Claudia Becher S. 44 u. re.: BR / Friedl Ritter S. 45: BR / Claudia Becher S. 46: BR / Claudia Becher S. 47: BR Bildarchiv S. 48: BR / Matthias Kestel S. 50 / 51: BR / Matthias Kestel S. 52: BR / Benedikt Geisenhof / if... Cinema S. 53 o. li.: BR / Gerald von Foris / if… Cinema S. 53 o. re.: BR / if... Cinema S. 53 u.: BR / Benedikt Geisenhof / if... Cinema S. 54 o.: BR / Gerald von Foris / if… Cinema S. 54 u.: BR / if... Cinema S. 55: BR / Sessner S. 57: Privat / Armin Nassehi S. 67: Susanne Kolibius S. 69: BR / Ralf Wilschewski S. 71: BR Bildarchiv S. 73: BR / Gerhard Blank S. 74: BR Bildarchiv S. 78 o.: BR / Markus Konvalin S. 78 u.: BR / Uli Dambeck S. 79: BR Bildarchiv S. 80: BR Bildarchiv S. 81 u. li.: BR Bildarchiv S. 81 u. re.: BR / Markus Konvalin S. 82: BR S. 84 o.: BR / Infafilm S. 84 u.: BR / Günther Reisp S. 86 li.: BR / Günther Reisp S. 86 re.: BR / Foto Sessner S. 87: BR / Theresa Högner S. 89: BR S. 91: Denis Pernath S. 92: BR / Jürgen Olczyk S. 93: BR / Jürgen Olczyk S. 95: BR / Theresa Högner S. 96 o.: BR / Marco Orlando Pichler S. 96 u.: BR / Marco Orlando Pichler S. 97: BR / Marco Orlando Pichler S. 99: BR / Raphaela Film S. 100: BR / BR / Avista Film / Walter Wehner

S. 101 o.: BR / Majestic / Mathias Bothor S. 101 u.: BR / Claussen+Wöbke+Putz Filmproduktion GmbH S. 102: BR / Majestic / Mathias Bothor S. 105: BR / Bernhard Paulus S. 107: BR / Bernhard Paulus S. 116: Denis Pernath S. 117: BR / Robert Scharold S. 119: Denis Pernath S. 120: BR / Bernhard Paulus S. 122: BR / Bernhard Paulus S. 124: Mario Beilhack S. 129: BR / Foto Sessner S. 130: BR / Ulrich Group S. 132 / 133: BR / Daniel Ritter S. 134 li. o.: BR / Ulrich Group S. 134 re. o.: BR / Ulrich Group S. 134 u.: BR / Ulrich Group S. 135: BR / Uta Kellermann S. 136: Denis Pernath S. 140: BR / Gerald von Foris / Graf Verlag S. 145: BR / Marco Orlando Pichler S. 148: BR / Wilfried Petzi S. 149: BR / Wilfried Petzi S. 150 alle Fotos: BR / Rössler S. 151: BR / Ulrike Kreutzer-Schertler S. 152: BR S. 153: BR S. 155: BR S. 156: BR S. 158: Getty Images S. 159: BR / Ralf Wilschewski S. 161: Privat / Klaudia Wick S. 171: Mario Beilhack S. 173: Denis Pernath S. 173: BR S. 174: BR / Hendrik Heiden S. 177 o.: Mario Beilhack S. 177 u.: Mario Beilhack S. 178: Mario Beilhack S. 179: Denis Pernath S. 180: BR / Prix Jeunesse S. 182: BR / Felix Heidinger S. 183: BR / Jens-Uwe Heins S. 185 o.: BR / Jens-Uwe Heins S. 185 u.: BR / Jens-Uwe Heins S. 186: Denis Pernath S. 189: Denis Pernath S. 190: BR / Ralf Wilschewski S. 193: BR / Ralf Wilschewski S. 194: Max Hofstetter S. 197: BR / Theresa Högner S. 198 li. o.: BR / piffl medien S. 198 re. o.: BR / X-Verleih S. 198 li. u.: BR / Wiedemann & Berg S. 198 re. u.: BR / Jürgen Olczyk S. 200: Privat / Klaus Unterberger


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