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Jenseits der Komfortzone
Das Opernstudio feiert Premiere mit zwei russischen Einaktern: Igor Strawinskys Mavra und Peter I. Tschaikowskys Iolanta. In Hauptrollen mit dabei sind Anna El-Khashem und Mirjam Mesak. Bei einem gutgelaunten Spaziergang durch den Englischen Garten lassen die beiden Sopranistinnen auch durchblicken, wie viel das Leben als Nachwuchstalent von ihnen fordert.
Die beiden Sopranistinnen strahlen vor Glück über die Besetzung. Es scheint, dass das innere Feuer sie den äußeren Frost nicht spüren lässt. Für die 22-jährige Anna El-Khashem aus Sankt Petersburg ist Mavra von Igor Strawinsky eine Art Heimspiel: „Ich verbinde die Musik mit Russland, der Einfluss des Volksliedes ist spürbar. Strawinsky betont jedoch die Wörter durch Synkopen absichtlich anders. Das verstärkt den Effekt der Opera buffa.“ El-Khashem fühlt sich ihrer Figur Parascha sehr nahe. Parascha kommt auf die Idee, ihren Freund Wassili inFrauenkleider zu stecken und ihrer Mutter Mavra als Köchin zu verkaufen. „Parascha riskiert viel und hat keine Angst. Ich glaube, ich bin auchso.“
Die 28-jährige Estländerin Mirjam Mesak erfährt in ihrer Rolle der Iolanta in der gleichnamigen lyrischen Oper von Peter I. Tschaikowsky die heilende Kraft der Liebe: „Die blinde Iolanta ist nicht traurig über ihr Schicksal, sondern umarmt das Leben.
Eine unaufhaltsame Optimistin, die das Glas immer halb voll sieht.“ Axel Ranisch ist der Regisseur des Doppelabends. Von ihm haben die Sängerinnen nur Gutes gehört – zuletzt aus der Staatsoper Stuttgart, wo er Die Liebe zu drei Orangen inszenierte.
Es ist Wahnsinn
Dass die jungen Künstlerinnen in München ihr Können zeigen, ist Nikolaus Bachler zu verdanken, der dem Opernstudio der Bayerischen Staatsoper als zweijährige Eliteschmiede einen hohen Stellenwert einräumt. Die beiden schwärmen einhellig: „Wir bekommen hier ein ganzes Paket, das von Gesangsunterricht über Körpercoachings und Sprache bis zu Schauspiel reicht. Außerdem lernen wir viel bei den Proben und Aufführungen. Es ist Wahnsinn. Wir teilen die Bühne mit den tollen Sängern, die wir als Kind im Fernsehen oder auf CD-Covers sahen.“
Ein Kiosk ruft zur Einkehr. El-Khashem und Mesak bestellen heißen Kaffee und posieren gleich danach in der klirrenden Kälte, denn Fotograf Wilfried Hösl beginnt, die beiden zu porträtieren. Sie agieren hochprofessionell, genauso wie sie bei aller jugendlicher Frische und unbändiger Dynamik angenehm reif und erwachsen wirken.
„Musik war immer mein Leben“, erzählt Mesak begeistert. In Tallinn geboren, schloss sie im Fach Klavier die Musikschule ab und tourte von Kindheit an mit dem Estonian Television Girls' Choir um die Welt. Mit 18 Jahren kam sie zum klassischen Sologesang. „Da Estland ein sehr kleines Land ist, entschied ich mich, in London zu studieren, und machte meinen Master an der Guildhall School of Music and Drama.“ Obwohl die Sopranistin erst seit Herbst letzten Jahres im Opernstudio ist, gab sie bereits die Papagena im großen Haus. „Dass ich einmal hier lande, davon wagte ich nicht zu träumen.“ Mesak versteht nach der kurzen Zeit in Deutschland jedes Wort und ist in ihrer zweiten Wahlheimat gut angekommen:„Der Übergang fiel mir leichter als gedacht. Münchens Altstadt erinnert mich an Tallinn und die offenen und freundlichen Leute an London. Eine perfekte Mischung.“
El-Khashem war es schon im Kindergarten klar, dass sie Opernsängerin werden will. „Die Leute in meinem Umfeld dachten, ich mache Spaß. Aber meine Eltern hatten eine Barock-CD von Cecilia Bartoli, die ich imitierte. War wohl nicht so schlecht.“ Sie sang im Chor der Musikschule und meldete sich „mit logischer Konsequenz“ im Staatlichen Konservatorium in Sankt Petersburg an, wo sie frühzeitig mit 17 Jahren aufgenommen wurde. „Nur das Opernstudio war nicht geplant. Als ich von meiner Aufnahme erfahren hatte, sprang ich jubelnd durch die Wohnung. Doch da ich im dritten von fünf Studienjahren war, musste ich versuchen, das alles unter einen Hut zu bringen. Vergangenen Sommer habe ich in Russland meinen Abschluss gemacht und bin jetzt – was ungewöhnlich ist – im dritten Jahr am Opernstudio.“ El-Khashem wurde vom Magazin Opernwelt als Nachwuchssängerin des Jahres 2018 ausgezeichnet. Sie fühlt sich sehr wohl in München, besonders in Schwabing und spricht fast akzentfreies Deutsch. „Eine gute Motivation und große Hilfe war dabei mein Freund, der Bariton Johannes Kammler, den ich im Opernstudio kennenlernte“.
Die Sopranistinnen sind von früh bis spät in der Oper, wo die Menschen „unfassbar freundlich und hilfsbereit“ sind. „Es ist wie eine Familie. Unter den Kollegen herrscht keine Konkurrenz. Wir bewegen uns oft außerhalb unserer Komfortzone, aber durch das vertrauensvolle Umfeld haben wir keine Angst. Das dient der persönlichen Entwicklung.“
Auch wenn sie an die bevorstehende Premiere denken, glänzen ihre Augen. Gibt es eine besonders berührende Stelle in den Stücken? „Meine Anfangsarie“, sagt El-Khashem sofort. „Eher ein einfaches Volkslied. Aber darin offenbart sich die gesamte Persönlichkeit der Parascha.“ Für Mesak ist das Duett mit Vaudémont ein wunderschöner Moment: „Iolanta erklärt, dass sie trotz ihrer Blindheit nichts vermisst, weil sie die Vögel singen hört und den Atem des Windes spürt. Alles liegt in tiefer Wahrhaftigkeit in der Musik und kommt direkt aus dem Herzen.“ Die charmanten Senkrechtstarterinnen brennen für ihr Metier – und werden sicherlich frühlingshafte Liebeswonnen ins Cuvilliés-Theater zaubern.
MAVRA / IOLANTAIGOR STRAWINSKY / PETER I. TSCHAIKOWSKY
Mo., 15.04.2019, 19:00 Uhr (Premiere), Do., 18.04.2019, Sa., 20.04.2019, Mo., 22.04.2019, Do., 25.04.2019, So., 28.04.2019, jeweils 19:00 Uhr
Cuvilliés-Theater
Das Interview führte Ingrid Lughofer