Änderungen der Marktmissbrauchsverordnung im EU Listing Act
Kritische Anmerkungen
1. Einleitung
Ende 2021 kündigte die Europäische Kommission an, im Rahmen eines sog. Listing Act Regelungen vorzuschlagen, die die Attraktivität der europäischen Kapitalmärkte steigern sollten. Der Ankündigung folgte eine öffentliche Konsultation, die bis Februar 2022 dauerte. Am 7.12.2022 hat die Kommission schließlich ein umfangreiches Regelungspaket mit mehreren Entwürfen vorgelegt, die das Insolvenzrecht, das Clearing, die Mehrstimmrechte, die Änderung der EU-ProspektVO, der Marktmissbrauchsverordnung (VO (EU) 596/2014 – MAR) und der MiFIR sowie die Änderung der MiFID II und die Abschaffung der Wertpapierzulassungs-RL 2001/34/EG betreffen.
Im Hinblick auf die MAR sollen Emittenten unter anderem in Zukunft nicht mehr verpflichtet sein, kursrelevante Zwischenschritte ad hoc zu veröffentlichen. Die Publizitätspflicht soll sich auf Informationen über Umstände beschränken, die bereits gegeben sind oder bei denen man vernünftigerweise erwarten kann, dass sie in Zukunft gegeben sein werden.
2. Bewertung

2.1 Finalitätsprinzip
Für mehrschrittige, gestreckte Sachverhalte soll die Ad-hoc-Publizitätspflicht auf das Endereignis beschränkt werden (Art. 17 Abs. 1 MAR-E). Versteht man den MAR-E dahingehend, dass der Emittent ausschließlich über das tatsächlich eingetretene Endereignis im Wege einer Ad-hocMitteilung informieren muss (sog. Finalitätskonzept), würde dies in der Praxis zu deutlich mehr Rechtssicherheit bei der Erfüllung der Publizitätspflicht führen. Denn damit würde die schwierige, aber bislang erforderliche Bestimmung desjenigen Zwischenschritts entfallen, bei dessen Vorliegen der Eintritt des Endereignisses hinreichend wahrscheinlich wird. Anderenfalls wäre nicht viel gewonnen, da sowohl Abgrenzungsfragen blieben als auch in der Regel eine Selbstbefreiung weiterhin vorzunehmen wäre. Nur die gesetzliche Verankerung des Finalitätskonzepts würde daher für Unternehmen eine wirkliche Erleichterung bedeuten und damit die Attraktivität der Kapitalmärkte steigern. Denn damit entfielen die bislang erforderlichen Ad-hoc-Mitteilungen über Zwischenschritte bzw. die Selbstbefreiung nach Art. 17 Abs. 4 MAR.
Flankiert wird der MAR-E von der Ermächtigung der EU-Kommission, einen delegierten Rechtsakt mit einer Liste zu erlassen, in der ad-hoc veröffentlichungspflichtige Insiderinformationen und der jeweils vorgeschriebene Zeitpunkt der Offenlegung angegeben sind (Art. 17 Abs. 1a. MAR-E). Da ein Entwurf des delegierten Rechtsakts noch nicht vorliegt, lässt sich derzeit nicht beurteilen, ob eine solche Liste tatsächlich die gewünschte Rechtssicherheit erhöhen würde.
Die Neuregelung ändert gleichwohl nichts an der möglichen Insidereigenschaft von Zwischenschritten in einem gestreckten Sachverhalt. Lediglich die Publizitätspflicht wird modifiziert. Die Unternehmen sollen verpflichtet werden, diese Insiderinformationen geheim zu halten. Ebenfalls gilt in Bezug auf Zwischenschritte, welche die Qualität einer Insiderinformation besitzen, das Insiderhandelsverbot. Es verbleiben damit auch in diesem Bereich schwierige Compliance-Aufgaben bei den Emittenten.
Nicht zu überzeugen vermag § 17 Abs. 1b. S. 2 MAR-E, wonach auch bei gestreckten Sachverhalten im Falle des „Durchsickerns“ von Insiderinformationen an die Öffentlichkeit unverzüglich eine Ad-hocMitteilung erfolgen muss. Dies konterkariert das vorgenannte Bestreben, nur das tatsächlich eingetretene Endereignis den Regelungen der Ad-hoc-Publizität zu unterwerfen. Die Regelung in § 17 Abs. 1b. S. 2 MAR-E sollte daher aus unserer Sicht gestrichen werden.
Künftig soll bereits unverzüglich nach der Entscheidung über einen Aufschub einer Ad-hoc-Mitteilung die Begründung an die BaFin übermittelt werden. Bisher ist dies erst nach Veröffentlichung der Ad-hoc-Mitteilung erforderlich. Eine Entscheidungsbefugnis über den Aufschub soll die Aufsichtsbehörde dadurch jedoch nicht erhalten. Diese Vorverlagerung der erforderlichen BaFinInformation auf den Zeitpunkt der Selbstbefreiung ist aus Sicht des BDI kritisch zu beurteilen. Sie belastet sowohl Emittenten als auch Behörden, welche nämlich künftig auch solche Sachverhalte vorgelegt bekämen, über die gar nicht im Wege einer Ad-hoc-Mitteilung informiert wird, etwa weil die Eigenschaft als Insiderinformation entfallen ist oder das entsprechende Insiderprojekt abgebrochen wurde.
2.2. Anhebung der Meldeschwelle für Director´s Dealing-Mitteilungen
Schließlich soll die Meldeschwelle für Director’s Dealing-Mitteilungen erneut angehoben werden. Derzeit beträgt diese EUR 5.000 pro Kalenderjahr mit der Option der Anhebung auf EUR 20.000 durch die Aufsichtsbehörde. Von dieser Möglichkeit hat die BaFin bereits vor einigen Jahren Gebrauch gemacht. Der Entwurf sieht nunmehr die Möglichkeit einer Anhebung des Schwellenwerts auf EUR 20.000 vor, mit der Möglichkeit der Anhebung auf bis zu EUR 50.000 (Art. 19 Abs. 8, 9 MAR-E).
Die Anhebung der Meldeschwelle ist aus Sicht des BDI zu begrüßen. Sie würde zu einer Entlastung für die Unternehmen führen, ohne dass die Transparenz bzw. die Signalwirkung für den Kapitalmarkt darunter leiden würde.
Darüber hinaus könnte man darüber nachdenken, bestimmte Transaktionen vollständig von der Meldepflicht auszunehmen: nämlich die Gewährung von Aktien auf arbeitsrechtlicher Grundlage als Vergütungsbestandteil. Dies macht Unternehmen in der Praxis viel Arbeit, während der Informationsgehalt solcher Meldungen sehr begrenzt sein dürfte. Auch werden dadurch vor allem Arbeitnehmervertreter und deren Beteiligung an Mitarbeiterbeteiligungsprogrammen erfasst, deren Meldung gegenüber dem Kapitalmarkt keinen Mehrwert bietet. Wenn die Jahres-Schwellenwerte angehoben werden, müssen die Unternehmen immer noch nachverfolgen, ob nicht im Laufe des
Jahres die Schwelle erreicht wird, was einen nicht zu unterschätzenden Aufwand bedeutet. Und weil die Gewährung von Aktien in solchen Plänen oft zeitlich vorgegeben wird und nicht von dem Teilnehmer und Meldepflichtigen beeinflusst werden kann, ist der Aussagegehalt solcher Meldungen für den Kapitalmarkt aus unserer Sicht nahezu ohne Belang.
Vor diesem Hintergrund möchten wir anregen, entsprechende Transaktionen generell von der Meldepflicht auszunehmen.
2.3 Liste permanenter Insider
Emittenten sollen künftig nur noch eine Liste der permanenten Insider führen müssen und keine anlassbezogene Liste der weiteren Insider. Personen, die für die Emittenten tätig sind (z.B. Rechtsanwälte und Wirtschaftsprüfer), müssen hingegen weiterhin eine anlassbezogene Liste führen. Auch diese Änderungen sind aus Effizienzgründen im Grundsatz sehr zu begrüßen. Gestrichen werden sollte die in Art. 18. Abs. 1b MAR-E geregelte Möglichkeit für Mitgliedstaaten zu einem Opt-Out, welches für Emittenten die Beibehaltung des unbefriedigenden Status quo bedeuten würde. Aus Sicht des BDI wäre es zudem wünschenswert, für Tochterunternehmen, die für den Emittenten tätig sind (etwa als Accounting-Dienstleister), ebenfalls permanente Insiderlisten zuzulassen, sofern die Mitarbeiter des Tochterunternehmens nicht bereits auf der Liste der permanenten Insider des Emittenten geführt werden. Schließlich wäre es wünschenswert, die Quantität der erforderlichen, persönlichen Daten zu reduzieren.
3. Fazit
Aus Sicht des BDI sind viele der angedachten Änderungen der MAR im Grundsatz zu begrüßen. Soll das Ziel, die Attraktivität der europäischen Kapitalmärkte zu steigern, tatsächlich erreicht werden, sollten einige Regelungen im MAR-E jedoch präzisiert und mutiger reformiert werden. Einige Regelungen des MAR-E stehen dem angestrebten Ziel entgegen und sollten im weiteren Gesetzgebungsverfahren gestrichen werden.
Über den BDI
Der BDI transportiert die Interessen der deutschen Industrie an die politisch Verantwortlichen. Damit unterstützt er die Unternehmen im globalen Wettbewerb. Er verfügt über ein weit verzweigtes Netzwerk in Deutschland und Europa, auf allen wichtigen Märkten und in internationalen Organisationen. Der BDI sorgt für die politische Flankierung internationaler Markterschließung. Und er bietet Informationen und wirtschaftspolitische Beratung für alle industrierelevanten Themen. Der BDI ist die Spitzenorganisation der deutschen Industrie und der industrienahen Dienstleister. Er spricht für 39 Branchenverbände und mehr als 100.000 Unternehmen mit rund acht Mio. Beschäftigten. Die Mitgliedschaft ist freiwillig. 15 Landesvertretungen vertreten die Interessen der Wirtschaft auf regionaler Ebene.
Impressum
Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI) Breite Straße 29, 10178 Berlin www.bdi.eu
T: +49 30 2028-0
Lobbyregisternummer: R000534
Ansprechpartnerin
Dr. Kerstin Lappe, MLE Rechtsanwältin (Syndikusrechtsanwältin)
T: +49 30 2028-1554 k.lappe@bdi.eu
BDI-Dokumentennummer: D 01524