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Inhaltliche Aspekte (Bewertung der vorgesehenen Ausnahmen)
- Im Beschränkungsvorschlag werden verschiedene verwendungsspezifische Ausnahmen vorgesehen, die ausreichend Zeit für die Suche nach Alternativen und die Umstellung sämtlicher Produkte geben sollen. Bei vielen Verwendungen kann der für eine Umstellung erforderliche Zeitraum mangels ersichtlicher oder technisch ausgereifter Alternativen jedoch nicht sinnvoll festgelegt werden. Selbst wenn es bereits Alternativen gibt, ist der vorgeschlagene Zeitraum für Ausnahmen für zahlreiche Verwendungen zu kurz. Die Entwicklung und Umstellung von Produktionsprozessen sowie die Entwicklung, Zulassung und Zertifizierung von Produkten erfordern in vielen Bereichen einen sehr langen Zeitraum (z. B. Medizinprodukte, Anlagentechnik).
- Viele Verwendungen, in denen bestimmte PFAS eine zentrale Rolle spielen, werden im Regelungsvorschlag nicht erwähnt, obwohl zu diesen von Seiten der Industrie umfangreiche Informationen in diebeiden „Call for evidences“ eingebracht wurden. Insbesondere der Einsatz von PFAS-haltigen Anlagenteilen in Industrieanlagen wird im Beschränkungsvorschlag gar nicht berücksichtigt, obwohl dieser für die gesamte Industrie von hoher Relevanz ist und derzeit hierfür keine geeigneten Alternativen existieren (s. o.).
- Für Ersatzteile und Gebrauchtteile sind weder grundsätzliche Ausnahmen vom Verbot noch längere Übergangsfristen vorgesehen, d. h. es sind die gleichen Fristen wie für Neuteile/-produkte vorgesehen. Die Wiederverwendung von Gebrauchtteilen (z. B. Komponenten von Industrieanlagen) wäre nach Ablauf der Übergangsfrist nicht mehr möglich, da diese nicht mehr an Dritte abgegeben werden dürften (Hinweis: Nach Art. 3 Nr.12 der REACH-Verordnung ist jede Abgabe, nicht nur die erstmalige, ein „Inverkehrbringen“). Auch die Reparatur bzw. der regelmäßige Austausch von Verschleißteilen in langlebigen Produkten, z. B. der Austausch von Dichtungen in Industrieanlagen oder der Einbau von Ersatzteilen in Kraftfahrzeuge, wäre nach Ablauf der Übergangsfrist nicht mehr möglich.
- Grundsätzlich besteht die Gefahr, dass aufgrund der starren sachlichen und zeitlichen Vorgaben und aufgrund der Komplexität der Lieferketten Ausnahmen für relevante Verwendungen übersehen und nachträglich nicht mehr gewährt werden können. Dieser Aspekt ist insbesondere für Innovationen relevant, die derzeit entwickelt werden und ohne bestimmte PFAS nicht mehr zur Anwendung kommen könnten (beispielsweise Wasserstoffelektrolyse; s. auch Stellungnahme des Nationalen Wassersstoffrates).
- Vor diesem Hintergrund stellt sich zudem die Frage, ob und nach welchem Verfahren Verlängerungen der Übergangsfristen möglich sind bzw. ob es eine Möglichkeit geben wird, noch nach Inkrafttreten der delegierten Verordnung neue Ausnahmen zu beantragen. Um zukünftigeInnovationen,diedenEinsatz vonPFAS erfordern,nicht vonVorneherein auszuschließen, sollte hierfür eine Möglichkeitgeschaffen werden. Dies sollte zudem möglich sein, wenn selbst nach einer Übergangsfrist von 13,5 Jahren und erheblichem Aufwand bei der Suche keine geeignete Alternative gefunden wurde.
- Mit dem Beschränkungsvorschlag sind klare Standort- und Wettbewerbsnachteile für die europäische Industrie verbunden, die zu einer erhöhten Abhängigkeit von außereuropäischen Märkten führen würden. So könnten Erzeugnisse, bei denen PFAS im Herstellungsprozess benötigt werden, im Erzeugnis selbst aber nicht enthalten sind oder bei denen die vorgesehenen Grenzwerte im (End-)Erzeugnis nicht überschritten werden, zukünftig nicht mehr in der EU hergestellt werden. Ein Import aus dem Ausland wäre aber weiterhin möglich. Dies gilt z. B. für die Herstellung von Halbleitern nach Ablauf der derzeit vorgesehenen Übergangsfrist von 13,5 Jahren.
- Auch wenn im Beschränkungsvorschlag einige befristete Ausnahmen für die Verwendung von Fluorpolymeren vorgesehen sind, laufen diese teilweise ins Leere, da keine (ausreichenden) Ausnahmen für die benötigten Ausgangsstoffe und Zwischenprodukte (Prozesshilfsmittel und Monomere) vorgesehen bzw. nicht rechtssicher und eindeutig formuliert sind. Im Beschränkungsvorschlag wird dies damit begründet, dass für die Herstellung bestimmter Fluorpolymere (PTFE, PVDF und FKM PFA usw.) auch nicht PFAS-haltige Prozesshilfsmittel verwendet werden können. Dieser Ansatz berücksichtigt allerdings nicht, dass dies nachweislich nicht auf alle Verwendungszwecke von Fluorpolymeren zutrifft. Für die Herstellung bestimmter hochmolekularer, sehr reiner, hochwertiger Fluorpolymere (Feinpulver oder Dispersion), die in vielen High-Tech-Anwendungen zum Einsatz kommen, gibt es zu fluorierten Polymerisierungshilfen keine Alternative. Nur diese schaffen Reaktionsbedingungen, die die Bildung der sehr hochmolekularen Ketten während des Polymerisationsprozesses ermöglichen. Die im Beschränkungsvorschlag enthaltene, nur sehr begrenzte Ausnahme für Polymerisierungshilfen würde dazu führen, dass nach Ablauf der Übergangsfrist von nur 6,5 Jahren die Herstellung von hochmolekularen Fluorpolymeren enthaltenden Endprodukten (z. B Medizinprodukte und Zukunftstechnologien) in der EU nicht mehr möglich wäre. Es wäre aber weiterhin möglich, diese Produkte (aufgrund der Ausnahmen) in die EU zu importieren. Damit würde der Beschränkungsvorschlag auch in dieser Hinsicht dem Ziel der EU zuwiderlaufen, die Lieferketten zu verkürzen und die industrielle Wertschöpfung in der EU zu stärken. Der Vorschlag sollte so überarbeitet werden, dass sichergestellt wird, dass alle Produkte, die in der EU verwendet werden können bzw. müssen, auch in der EU hergestellt werden können. Eine Abwanderung der europäischen Industrie in Drittländer als Folge der europäischen PFAS-Beschränkung muss vermieden werden.
- Offen bleibt auch, wie der Beschränkungsvorschlag hinsichtlich importierter PFAS-haltiger Produkte von Vollzugsseite angemessen umgesetzt werden kann. Da derzeit in vielen Fällen keine standardisierten Analysemethoden zur Verfügung stehen und auch in den Lieferketten Informationspflichten nur für die wenigsten PFAS bestehen, werden diese nur schwer zu überprüfen sein. Dies würde bedeuten, dass PFAS-haltige Erzeugnisse in der EU zwar nicht mehr hergestellt werden könnten, diese jedoch aufgrund des nicht bzw. nur schwer kontrollierbaren Importverbots weiter in die EU gelangen würden. So ist es beispielsweise völlig unklar, wie beim Import eines Fahrzeuges oder eines anderen komplexen Endproduktes kontrolliert werden kann, ob einzelne Bauteile (wie z. B. Dichtungen oder Schläuche) PFAS enthalten.
Mögliche Lösungsansätze und Forderungen
Um eine nachhaltige Regulierung von PFAS in Europa zu erreichen, die auf der einen Seite Menschen und Umwelt vor nicht akzeptablen Risiken schützt und auf der anderen Seite die Verfügbarkeit von Stoffen für techno-logischeEntwicklungenund innovative Anwendungen weiterhin sicherstellt,müssen aus Sicht der Industrie folgende Aspekte berücksichtigt werden:
- Die Beschränkung von PFAS muss stoffbezogen und risikobasiert sein (Art. 68 Abs. 1 der REACH-Verordnung). Nicht alle PFAS sind stellen ein inakzeptables Risiko dar, das eine Beschränkung rechtfertigen würde
- Die Beschränkung muss zwischen den unterschiedlichen PFAS-Gruppen und den Risiken, die von deren Verwendungen ausgehen, differenzieren und einzelne Stoffgruppen ganz vom Beschränkungsvorschlag ausnehmen (u. a. die Fluorpolymere). Risiken in der Herstellungs- und Abfallphase dürfen nicht zu einem unmittelbaren breiten Verbot von
Fluorpolymer-Anwendungen führen, sondern können durch Maßnahmen der IED und durch Arbeitsschutzmaßnahmen adressiert werden.
- Es sind angemessene Übergangsfristen erforderlich. Die generelle Frist von 18 Monaten ist für die Umstellung aller Anwendungen, für die keine Ausnahmen vorgesehen sind, deutlich zu gering. Selbst bei Verwendungen, bei denen schon jetzt geeignete Substitute zur Verfügung stehen (oder erkennbar sind),bedarf die Umstellung von Prozesseneines längerenZeitraums Auch die Entwicklungs-, Freigabe- und Zertifizierungszeiträume für regulierte Produkte müssen berücksichtigt werden (sowohl generell als auch bei Ausnahmen). Andernfalls drohen unverhältnismäßige Folgen für die Liefer- und Produktionsketten in vielen Schlüsselindustrien.
- Um allen Branchen und Unternehmen eine rechtssichere Abschätzung der Betroffenheit zu ermöglichen, muss der Anwendungsbereich der Beschränkung in transparenter Form kommuniziert und dargestellt werden. Zur Analyse der Betroffenheit entlang globaler Lieferketten ist eine Liste mit betroffenen Stoffen, die IUPAC-Namen oder CAS-Nr. enthält, erforderlich.
- Die Festlegung einer umfassenden Informationspflicht für „intentionally added“ PFAS über mindestens fünf Jahre vor einer umfassenden PFAS-Beschränkung könnte aus Sicht der Industrie einen geeigneten Ansatz darstellen, um PFAS-Emissionen zu kontrollieren und eine zielgerichtete Regulierung vorzubereiten. Dies würde zudem die gezielte Festlegung von Risikominimierungsmaßnahmen ermöglichen,
- Bezüglich der vorgesehenen Ausnahmen sollten folgende Punkte umgesetzt werden:
▪ Für gesellschaftlich hochwichtige Anwendungen wie die Medizintechnik sowie für High-Tech- und zentrale Industrieanwendungen werden umfassende Ausnahmen benötigt, um den Weiterbetrieb zahlloser Industrieanlagen, den Fortbestand ganzer Wertschöpfungsketten/-netze in Europa, die grüne Transformation der Industrie und die Ziele des Green Deal nicht zu gefährden.
▪ Die Möglichkeit, Ausnahmen zu überprüfen, zu verlängern und neu zu beantragen, ist angesichts der technischen Bedeutung der PFAS dringend erforderlich.
▪ Für das Inverkehrbringen von Ersatzteilen, Verschleißteilen und Gebrauchtteilen sind zum Zwecke der Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit Ausnahmen von der Beschränkung erforderlich (Repair as Produced-Prinzip). Diese sollten unbefristet oder zumindest über einen wesentlich längeren Zeitraum als die derzeit vorgesehenen Übergangsfristen gewährt werden.
▪ Bereits erstmals in Verkehr gebrachteProdukte sind von der Beschränkungauszunehmen. Andernfalls müssten bei nachgeschalteten Anwendern vorhandene Lagerbestände von Stoffen, Gemischen und Erzeugnissen der Abfallverwertung zugeführt werden, da unter REACH jeder Vorgang der Bereitstellung an Dritte als Inverkehrbringen gilt. -
Um Abhängigkeiten gegenüber außereuropäischen Märkten nicht drastisch zu erhöhen und um sicherzustellen, dass die Herstellung der von der Beschränkung ausgenommenen Produkte in der EU weiterhin möglich sein wird, muss es klar beschriebene Ausnahmen auch für Vorstufen, Prozesshilfsmittel und Zwischenprodukte in der gesamten Lieferkette geben. Diese sollten im Beschränkungsdossier eindeutig und rechtssicher formuliert werden Andernfalls wären zwar relevante Verwendungen von der Beschränkung ausgenommen, eine
Herstellung wäre durch das Verbot der Vorstufen etc. jedoch innerhalb der EU nicht mehr möglich.
- Die Verwendung von PFAS bietet gegenüber alternativen Verfahren oder Stoffen zumeist Vorteile hinsichtlich Energieverbrauch, Rohstoffverbrauch (insbesondere seltene Rohstoffe), Umweltschutz oder Anlagen und Arbeitssicherheit Bei der Bewertung von Alternativen ist daher ein ganzheitlicher Ansatz erforderlich, der die Einbeziehung aller relevanten technischen, funktionalen und regulatorischen Kriterien sicherstellt.
- Sachlich unrichtige technische Annahmen in Bezug auf die Verfügbarkeit von Alternativen müssen im Beschränkungsvorschlag korrigiert werden. Dies betrifft z. B. unbegründete Annahmen über die Verfügbarkeit von Alternativen für Fluorpolymere in bestimmten Anwendungen sowie die sachlich falsche Annahme, dass fluorierte Polymerisationshilfsmittel für viele derjenigen fluorpolymerhaltigen Produkte,die im aktuellen Vorschlag bereits mit Ausnahmeregelungen versehen sind, nicht notwendig sind.
- Generell ist darauf zu achten, dass die Beschränkung umsetzbar und für den Vollzug nachprüfbar bzw. vollziehbar ist. Der Vollzug muss ausgebaut und geregelt werden, um nicht konforme Importe aus Nicht-EU-Staaten wirksam zu unterbinden. Hierzu müssen u. a. vor InKraft-Treten der Beschränkung Messverfahren zum Nachweis von PFAS in Erzeugnissen entwickelt und standardisiert werden.
- Zudem ist die Kohärenzmit bestehenden oder geradeentstehenden EU-Rechtsvorschriften zu gewährleisten. Aktuell ist beispielsweise völlig unklar, wie sich das vorgeschlagene Dossier zum laufenden Beschränkungsverfahren für PFHxA verhält.